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VORWÄRTS/1484: Der Klimastreik steht vor Gericht


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 21/22 vom 27. Juni 2019

Der Klimastreik steht vor Gericht

von Fabian Perlini


Die staatliche Repression hat begonnen, sich auch gegen Klimastreiker*innen zu richten. Mit Zakaria Dridi (17 Jahre) muss sich erstmals eine minderjährige Person für ihr friedliches Streiken vor Gericht verantworten. Die Enttäuschung der Aktivist*innen ist gross. Einschüchtern lassen sie sich aber nicht.


Seit dem Start der Jugendbewegung im Dezember 2018 ist Zakaria Dridi an allen Klimademonstrationen an vorderster Front beteiligt. Zum Beispiel als es darum ging, mit der Polizei die Demonstrationsrouten festzulegen. Oder im Februar 2019, als er Mitglied der Jugenddelegation war, der die Waadtländer Regierung ihren Plan zur Reduktion der Treibhausgasemissionen vorlegte, der "die Jugendlichen jedoch nicht zufriedenstellte", wie Zakaria erklärte.

Und noch einen Tag vor seinem Gerichtstermin war Zakaria zu Gast im Bundeshaus, wo seine Delegation mit SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga diskutierte. Auf dem Gruppen-Foto, das die Bundesrätin gleichentags auf Instagram postete, sieht man Zakaria neben der stolz lächelnden Bundesrätin. Doch für die Jugendlichen war auch dieses Polit-Treffen frustrierend, wie auf der Internetseite der Klimabewegung nachgelesen werden kann (climatestrike.ch). Weshalb steht dieser junge Mann nun plötzlich vor Gericht?


Alles wegen eines Sitzstreiks

Während des Klimastreiks vom 15. März beschlossen rund 20 Aktivist*innen ihren Protest in die Halle der staatlichen Vorsorgekasse Retraites Populaires zu verlagern. "Unser Handeln war gewaltfrei und friedlich", erklärt Dridi. "Wir wollten lediglich die Anlagepolitik dieses Fonds anprangern, der die Rentengelder der Staatsbediensteten in fossile Brennstoffe investiert." Und als die Polizei kam und die Demonstrant*innen aufforderte, das Gelände zu verlassen, blieben diese sitzen. "Wir weigerten uns einfach aufzustehen, als die Polizei uns darum bat. Nichts weiter", stellt Dridi klar. "Ein paar Wochen später kam eine Strafanzeige vom Jugendgericht. Ich bin die einzige Person unserer Gruppe, die vorgeladen wurde", erzählt Dridi weiter. Er ist der einzige der Gruppe, der noch nicht volljährig ist. Zum aktuellen Zeitpunkt wird nur er angeklagt, und zwar wegen zweier Straftaten: "Verhinderung einer Amtshandlung" und damit auch "Verstoss gegen das Zuwiderhandlungsgesetz". Er muss mit einer Geldstrafe rechnen.


Protest vor dem Gericht

Am Tag der Anhörung, dem 18. Juni, versammelten sich rund 90 Aktivist*innen vor dem Lausanner Jugendgericht. Deren Meinung konnte zahlreichen Transparenten entnommen werden. Da stand zum Beispiel: "Ihr habt nicht den wahren Schuldigen!" und "Das Verbrechen ist die politische Untätigkeit!"

Besonders empört waren die Versammelten darüber, dass es die Polizei selbst war, die Strafanzeige eingereicht hatte. In ihrer Rede vor dem Gerichtsgebäude rief eine Klimaaktivistin den Versammelten zu: "An Zakaria soll ein Exempel statuiert werden. Der Staat versucht uns klar zu machen, dass wenn wir nicht brav an unserem Platz bleiben, uns das Gleiche widerfahren wird wie ihm!" Nachdem Dridi das Gerichtsgebäude wieder verlassen durfte, erklärte er, dass die Polizei der Meinung sei, dass er mit seinem passiven Widerstand eine Grenze übertreten habe. Er habe nun ein paar Tage Zeit zu reagieren. Man werde begründen, dass die Aktion im Rahmen des Klimastreiks geschah und fordern, dass die Polizei ihre Anklage zurückziehe. Illusionen macht sich Dridi aber nicht. Dem vorwärts erklärte er enttäuscht: "Die ganze Sache ist einfach nur lächerlich! Die Richter*innen haben null Verständnis für die Klimabewegung!"


Ein politischer Prozess

Neben seinem Engagement für den Klimastreik ist Zakaria Dridi Mitglied der Kommunistischen Jugend (KJ) sowie der Partei der Arbeit (PdA) und wird im Oktober für seine Partei für die Nationalratswahlen kandidieren. Zu den Klimaaktivist*innen vor Gericht gesellten sich deshalb auch mehrere Genoss*innen der PdA. In ihrer Pressmitteilung liess die Partei verkünden, dass sie die Anklage von Dridi für einen politischen Entscheid hält: "Wir glauben, dass er von den Behörden gezielt ins Visier genommen wird, weil er einer derjenigen ist, die am stärksten in den Klimastreik eingebunden sind: Er ist in den Medien und ergreift oft das Wort; beim Verhandeln der Demonstrationswege sowie im Kantonsrat. Was für eine Schande, auf einen Minderjährigen loszugehen!"

In ihrer Rede vor den versammelten Demonstrant*innen nannte die Anaïs Timofte, die Spitzenkandidatin der PdA Waadt für die Nationalratswahlen, die wahrhaft Schuldigen: "Wir beschuldigen die Pensionskassen, massiv in fossile Brennstoffe zu investieren. Wir klagen die 100 globalen Unternehmen an, die für 71 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sind, all die Politiker, die dies geschehen lassen, sowie alle Lobbys, die das Parlament korrumpieren!"


Ungebrochener Widerstand

Die Zeit scheint vorbei zu sein, in der die Klimaaktivist*innen von der staatlichen Repression verschont blieben. Im Mai wurden Mitglieder des Lausanner Klimakollektivs mit hohen Bussen bestraft, wegen einer friedlich-spielerischen Aktion in einem Gebäude der Credit Suisse und jetzt steht der erste Aktivist vor Gericht. Wo führt das hin?

Doch die Jugend gibt sich nicht so leicht geschlagen. Auf der Internetseite der Klimastreiker*innen steht mit Bezug zum Gerichtsfall: "Im Angesicht gewisser Einschränkungen muss man sich überlegen, was man mehr möchte: das Befolgen von Regeln oder das bewusste Brechen einiger davon." Und Zakaria Dridi lässt den vorwärts mitteilen: "Lasst euch nicht entmutigen, habt keine Angst! Wir müssen weiter machen. Wir müssen jetzt noch mehr stören!"

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22 - 75. Jahrgang - 27. Juni 2019, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2019

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