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VORWÄRTS/1407: Für Lohn und Wertschätzung


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 29/30 vom 20. Sept. 2018

Für Lohn und Wertschätzung

von Sabine Hunziker


Auch 27 Jahre nach dem ersten Frauenstreik der Schweiz besteht noch immer Lohndiskriminierung zwischen den Geschlechtern. Der Kampf der Frauen für Gleichheit geht weiter: am 22. September in Bern.


Die Rechnung zur Lohngleichheit ist noch offen: PolitikerInnen und UnternehmerInnen interessiert es nicht, dass der Inhalt der Lohntüten Ende Monat bei gleicher Arbeit unterschiedlich ist. Seit 1981 gibt es den Grundsatz für Gleichberechtigung und 1996 trat das Gleichstellungsgesetz in Kraft, das auf die Beseitigung von Benachteiligungen der Frauen im Erwerbsleben wie geringe Löhne oder ungleiche Anstellungschancen hinzielt. In der Bundesverfassung heisst es im Artikel 8: Mann und Frau sind gleichberechtigt." Das gilt für rechtliche und tatsächliche Gleichstellung in Familie, Ausbildung und Arbeit. Und: "Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit."


10.000 Franken pro Jahr

Es ist also durch die Bundesverfassung und das Gleichstellungsgesetz eindeutig verboten, wenn Frauen für gleichwertige Arbeit weniger erhalten. In der Praxis wird dieses Verbot missachtet. Auch Jahre später verdienen Frauen 20 Prozent weniger als Männer in einer vergleichbaren Position. Eine Rechnung zeigt, um welche Beträge Frauen hier von den Unternehmen betrogen werden: Verdient der Mann 4.500 Franken, so erhält die Frau bei gleichwertiger Arbeit nur 3.600 Franken. Zusammengerechnet bedeutet dies eine Einbusse von rund 10.000 Franken pro Jahr. Über das gesamte Berufsleben hin macht das 350.000 Franken aus. "Dieser Lohnunterschied ist nur möglich, weil wir in einem System leben, das Menschen gegeneinander ausspielt, ausbeutet und das insbesondere Frauen ausbeutet und diskriminiert", meint Tamara Funiciello, Präsidentin der Juso Schweiz.


Schluss mit der Diskriminierung

Immer wieder wird mit Aktionen auf diese Diskriminierung aufmerksam gemacht. Dieses Jahr wurde beispielsweise die 1.-Mai-Demo unter dem Motto "Lohngleichheit. Punkt. Schluss!" durchgeführt. Seit Jahrzehnten warten Frauen auf freiwillige Massnahmen zur Lohngleichheit. Anfangs Jahr schien es, als wäre ein kleiner Schritt dahin passiert: Der Bundesrat hatte beschlossen, aktiv für die Bekämpfung der lohnmässigen Diskriminierung in der Schweiz einzutreten. Der Vorschlag des Bundesrates sah vor, dass Unternehmen verpflichtet werden, Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern transparent zu machen. Zudem sollen Lohnanalysen durchgeführt und geprüft werden. Sanktionen für Betriebe waren aber nicht vorgesehen. Trotz dieser milden Vorgehensweise wurden die vorgelegten Massnahmen zurückgewiesen, so dass jetzt vorerst nichts gegen Lohndiskriminierung unternommen wird. Die Empörung war gross über diesen Entscheid. Doch wer Änderung will, muss selber anfangen zu handeln.

Am Samstag 22. September 2018 findet in Bern eine schweizweite Demonstration für Lohngleichheit und gegen Diskriminierung statt. Lohnunterschiede sind davon nur die Spitze - das was man beziffern kann. So hat die Demo "#ENOUGH18" noch weitere Themen wie fehlende Anerkennung der Frauenarbeit oder mangelhafte Altersvorsorge mit durchschnittlich 37 Prozent weniger Rente. "Die Schweiz ist ein Entwicklungsland in Sachen Gleichstellung, und besonders bei der Lohngleichheit weigern sich die Arbeitgeber Verfassung und Gesetz anzuwenden", sagt Corinne Schärer, Abteilungsleiterin Vertragspolitik IG Frauen von der Gewerkschaft Unia.


Lange Streiktradition der Frauen

"#ENOUGH18" reiht sich in eine Tradition von Frauensteiks ein: Angefangen vor 27 Jahren unter dem Motto "Wenn Frau will, steht alles still" legten am 14. Juni 1991 eine halbe Million Frauen in der Schweiz die Arbeit nieder. Die Streikaktion aus dem Anlass des 10-jährigen Jubiläums der Verankerung des Gleichberechtigungsartikels in der Bundesverfassung wurde zum Protest gegen die zögerliche Umsetzung des Artikels aufgerufen. Mit vielen Streikaktionen, lilafarbenen Fahnen, Demobanner und mit einem Konzert aus Trillerpfeifen strömten Massen durch die Gassen von Bern. Der Anstoss für die Aktion stammte von den über den ungleichen Lohn empörten Uhrenarbeiterinnen aus dem Vallée de Joux. Auch weltweit gab es Vorbilder wie der isländische Frauenstreiktag vom 24. Oktober 1975, an dem 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung streikte, oder wie Anjuska Weil von der Partei der Arbeit (PdA) ergänzt: "1912 streikten Textilarbeiterinnen in Lawrence (USA) gegen Hungerlöhne und Kinderarbeit. Die Forderung 'Brot und Rosen' geht auf ein Lied in diesem Streik zurück. 'Brot und Rosen' ist nach wie vor aktuell: Es geht um Lohn und Wertschätzung."

Im Juni 2011 fand ein zweiter nationaler Frauenaktions- und Streiktag statt. Rund 50 teilnehmende Organisationen protestierten mit Aktionen, weil viele Gleichstellungsforderungen, insbesondere im Bereich Lohngleichheit, nicht erfüllt sind. Am SGB-Frauenkongress im Januar 2018 wurde entschieden, dass am 14. Juni 2019 ein weiterer Frauenstreik lanciert werden soll, die definitive Abstimmung für eine Durchführung durch den Schweizerischen Gewerkschaftsbund wird Ende Jahr passieren. Anne Polikeit von der Parteileitung der PdA Schweiz meint: "Gleichberechtigung kann nur mit Kampf erreicht werden wie jeder Fortschritt in unserer Arbeits- und Lebensqualität."

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 29/30 - 74. Jahrgang - 20. September 2018, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2018

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