Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


VORWÄRTS/1369: Neue Härte gegen Sans-Papiers


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 29. März 2018

Neue Härte gegen Sans-Papiers

von Heiner Busch


Basel überzieht legalisierte Sans-Papiers und ihre UnterstützerInnen mit Strafverfahren. Eine Nationalratskommission will die Denunziation zum Gesetz erheben. So sollen "insbesondere Schulen Kinder bei den Behörden melden können". Über dieses neue Vorhaben wird das Parlament im Sommer befinden.

Im Februar 2017 hatte der Kanton Genf die "Operation Papyrus" bekannt gemacht. 1093 Menschen ohne rechtlichen Status haben bis Februar 2018 eine B-Bewilligung erhalten. Zwar blieben die abgelehnten Asylsuchenden von der neuen Regelung ausgeschlossen und es handelt sich auch nicht um die lange geforderte kollektive Regularisierung. Jedes Dossier wurde und wird weiterhin einzeln geprüft, die Kriterien sind jedoch transparent und bieten den Betroffenen bei der Entscheidung, ob sie sich aus der Anonymität heraus wagen sollen, mehr Rechtssicherheit.

Dass ein bürgerlich dominierter Kanton unter dem als Hardliner bekannten Sicherheitsdirektor Pierre Maudet (FDP) eine solche Massnahme in die Wege leitete, liess die Hoffnung keimen, dass man sich auch in anderen Teilen der Schweiz von der Härtefall-Lotterie verabschieden würde. Fehlanzeige: Im Jura und in der Waadt scheiterten entsprechende parlamentarische Vorstösse - wenn auch nur knapp. Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP) lehnte ein solches Vorhaben rundweg ab, und sein Berner Amtskollege Hans-Jürg Käser (FDP) spielt Büro-Mikado: Wer sich bewegt, hat verloren.


Widersprüchlich und unfair

Einzig in Basel-Stadt schien sich etwas zu tun. Im Juni 2017 überwies der Grosse Rat mit 63 gegen 21 Stimmen einen Vorstoss, der auch für den Stadtkanton eine "Operation Papyrus" forderte. Im selben Monat wurde allerdings bekannt, dass acht Sans-Papiers, die über die Härtefallregelung eine Aufenthaltsbewilligung erhalten hatten, nun mit einem Strafverfahren wegen illegalen Aufenthalts und Arbeiten ohne Bewilligung überzogen wurden. Grundlage dafür waren die Dossiers, die sie bei der Basler Migrationsbehörde eingereicht hatten. Um die Bewilligung überhaupt erhalten zu können, mussten sie dort nachweisen, dass sie sich seit mindestens zehn Jahren in Basel aufhalten und einer existenzsichernden Arbeit nachgehen, wodurch sie nicht nur die "Beweise" gegen sich selbst, sondern auch gegen ihre UnterstützerInnen und ArbeitgeberInnen lieferten. Das Solidaritätsnetz Basel organisierte den Protest - mit einem satirischen Video, mit Aktionen auf der Strasse (unter anderem einer "Pappteller-Prozession") und einem offenen Brief an Sicherheitsdirektor Baschi Dürr (FDP), den im Juni 350 Personen unterzeichneten.

Im August kam die Antwort, in der Dürr zunächst die angeblich "liberale" Basler Praxis beim Umgang mit Härtefallgesuchen rühmte, um dann zu begründen, "warum die staatlichen Behörden diejenigen Personen, die sie als Härtefall beurteilen, gleichzeitig bestrafen". Das sei zwar "auf den ersten Blick wenig ersichtlich", aber illegale Einreise und Aufenthalt sowie Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung seien gemäss Art. 115 des Ausländergesetzes Offizialdelikte. Bei einem Verzicht auf die Strafverfolgung würden sich die MitarbeiterInnen des Migrationsamtes strafbar machen. Dürr wolle sich aber beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement für eine Änderung des AuG einsetzen.

Den Weg nach Bern könnte sich Dürr sparen, wenn er sich eine Rechtsauskunft bei dem Basler Rechtsprofessor Peter Uebersax einholen würde. In der Dezember-Ausgabe des "plädoyer" machte der Migrationsrechtsspezialist nämlich deutlich, dass die Strafverfolgung bei Härtefällen keineswegs unausweichlich ist. Die Kantone Basel-Stadt und Zürich betreiben diese Praxis, andere Kantone wie Genf gerade eben nicht. Der "illegale Aufenthalt" sei zwar ein Offizialdelikt, aber erstens sei das Migrationsamt keine Strafbehörde und habe deshalb auch keine Anzeigepflicht. Und zweitens: "Wenn im Verfahren der Erteilung einer Härtefallbewilligung von den Sans-Papiers die Preisgabe der Identität verlangt wird, ist es treuwidrig und unfair, sie gestützt darauf strafrechtlich zu verfolgen." Ein Härtefall setze grundsätzlich Straffreiheit voraus.


Eine Motion des Hasses

Ende Januar des neuen Jahres war es dann nicht das EJPD, sondern die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Nationalrats, die in Sachen Sans-Papiers aktiv wurde. Mit 17 zu 8 Stimmen beschloss sie eine Motion einzureichen, um "eine kohärentere Gesetzgebung zu den Sans-Papiers zu erwirken". Mit Ausnahme von Barbara Schmid-Federer (CVP) stimmten sämtliche bürgerlichen Kommissionsmitglieder für den Vorstoss. Kohärenz im Sinne der SGK ist nichts anderes als Härte. Die Kommission will Sans-Papiers grundsätzlich von allen Sozialversicherungsleistungen ausschliessen. Im Krankheitsfall soll eine "staatliche Anlaufstelle" zuständig sein., VermieterInnen und ArbeitgeberInnen von Sans-Papier sollen härter bestraft werden. Und der "Datenaustausch zwischen staatlichen Stellen" soll erleichtert werden, "damit insbesondere Schulen Kinder bei den Behörden melden können" - so wörtlich die Pressemitteilung der Kommission. Dass damit die Bundesverfassung verletzt wird, die in Art. 11 den Anspruch von Kindern und Jugendlichen "auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung" fordert, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Bereits in der Frühjahrssession sollte sich der Nationalrat mit der Motion befassen. Weil nun auch seine Staatspolitische Kommission darüber beraten will, wurde die Debatte auf die Sommersession verschoben.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12/2018 - 74. Jahrgang - 29. März 2018, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang