vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 41/42 vom 7. Dezember 2017
Ausbeutung, Repression und weisse Folter
von Damian Bugmann
49 Häftlinge der bernisch-kantonalen Männerstrafanstalt Thorberg streikten Ende November für bessere Haftbedingungen. Die Direktion griff zu strengen Strafen, um Ruhe und Ordnung herzustellen, signalisierte aber, die Hauptforderung bezüglich Beziehungszimmer zu prüfen.
Auf dem Thorberg in Krauchthal werden rund 180 Häftlinge
festgehalten. Die 49 Streikenden forderten mehr Lohn, mehr
Privatsphäre sowie mehr und besseres Essen. Ein Beziehungszimmer,
argumentierten sie, gäbe es bereits in anderen Haftanstalten. Da wurde
gleich mit Kanonen auf Spatzen geschossen: "Vermummte und schwer
bewaffnete Polizisten durchkämmten jede Zelle. Sie nahmen neun
Häftlinge mit", sagte ein Thorberg-Insasse zur traditionellen
schweizerischen Boulevardzeitung. Vier von ihnen kamen in den Bunker
in Isolationshaft, fünf wurden in andere Strafanstalten verlegt, die
restlichen vierzig Streikenden eine Woche in ihren Zellen
eingeschlossen: keine Dusche, kein Kioskeinkauf, kein Auslauf, keine
Zeitungen, kein Fernsehen. Natürlich geht es Direktor Thomas Egger
darum, Widerstand repressiv zu spalten und zu brechen sowie
"Rädelsführer" zu entfernen. Mit Gewalt und Sanktionen werden die
Forderungen nach besseren Haftbedingungen abgewürgt und
entpolitisiert. Und man behält sich vor, die Forderung nach einem
Beziehungszimmer, das man schon lange hätte einrichten sollen,
gnädigst vielleicht doch zu erfüllen.
Der Betrieb der Justizvollzugsanstalt sei durch den Streik nicht beeinträchtigt worden, sagte Direktor Egger der "Schweizerischen Depeschenagentur": "Die Logistik funktionierte wie immer." Streiks gebe es in der Anstalt ab und zu, meistens seien es aber Einzelpersonen, die ihrer Arbeit aus individuellen Gründen nicht nachgingen. Dass so viele gemeinsam streikten, sei selten. Aber offensichtlich funktioniere die Gruppendynamik. Er suggeriert damit, ein Teil der Häftlinge werde durch Gruppendruck, er nennt es "Hackordnung", zum Mitmachen gedrängt.
Gefangene sind gesetzlich zur Arbeit verpflichtet, die Arbeit soll der Resozialisierung dienen. Sie erhalten auf dem Thorberg bescheidene 320 Franken im Monat. Während der Arbeitsniederlegung kriegen sie laut Egger nichts. Im Krauchthaler Gefängnis gibt es eine Buchbinderei, eine Malerei, eine Weberei und eine Sattlerei/Polsterei. Arbeitsplätze hat es auch in der Küche, in der Wäscherei, in der Bäckerei und im Hausdienst. Clevere Firmen lassen ihre Produkte im Gefängnis produzieren und verpacken, um ihre Produktionskosten tief zu halten und sich im menschenverachtenden kapitalistischen Wettbewerb Vorteile auf Kosten der Gefangenen zu verschaffen.
Kleines scheinheiliges, peinliches Nachspiel von selbsternannten HüterInnen der senkrechten Schweizer Tugenden: Die SVP teilte mit, sie habe im Kantonsrat die Motion "Kein Sexzimmer in bernischen Justizvollzugsanstalten" eingereicht. Begründung: Meuterei solle nicht belohnt, sondern bestraft werden, der Staat dürfe sich von solchen Machenschaften "nicht in die Knie zwingen lassen", Verurteilte sollen ihr Leben in der Haftanstalt "nicht einfach weiterleben dürfen". Ausserdem fördere ein solches Zimmer die Prostitution.
Können die meist jungen Männer ihre Sexualität nicht leben, kann dies zu Frustrationen, Aggressionen, Gewaltausbrüchen oder sogar zu sexuellem Missbrauch führen. Sexentzug ist laut der Gefangenen-Selbsthilfeorganisation Reform 91 "weisse Folter". Diese subtile Art der Folter greift die Psyche der Menschen an und schädigt sie. Ein Beziehungsraum gibt Menschen mit verinnerlichter repressiver Sexualmoral eine prächtige Projektionsfläche für ihre schmutzigen Fantasien. Einen Beziehungsraum in einem Gefängnis muss man sich eher vorstellen als Zweizimmerwohnung mit Kochnische, Wohnraum und Schlafzimmer. Es soll ermöglichen, in kurzen Zeitabschnitten mit der Frau und den Kindern, falls welche da sind, eine gemeinsame Zeit zu verbringen.
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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 41/40 - 73. Jahrgang - 7. Dezember 2017, S. 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2017
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