vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 23/24 vom 7. Juli 2017
Italien wegen Folter verurteilt
Von Siro Torresan
Die äusserst brutale Räumung der Schule Diaz in Genua durch die italienische Polizei während dem G8-Treffen im Jahr 2001 war Folter. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. Weiter wurde das Land verurteilt, weil Folter keine gesetzliche Straftat ist.
Blenden wir kurz zurück: Genua, 21. Juli 2001. Es ist kurz nach
22 Uhr, als die italienische Polizei die Schule Diaz stürmt, eines der
drei Hauptzentren des "Genoa Social Forum", das die Proteste gegen das
G8-Gipfeltreffen der Mächtigen der Welt mitorganisiert und
koordiniert. Über 100 AktivistInnen aus ganz Europa befinden sich in
den Räumlichkeiten der Schule, viele von ihnen am Ausruhen in ihren
Schlafsäcken. Die schreckliche Brutalität und Gewalt der
StaatshüterInnen kennt keine Grenzen: 93 AktivistInnen werden
verhaftet, 82 Personen werden verletzt, 63 müssen ins Spital gebracht
werden, teilweise mit schweren Verletzungen. Einer der ersten
Personen, welche die Polizei nach der brutalen Räumungsaktion vor der
Schule vorfindet, ist der britische Journalist Mark Covell. Er wird
mit Schlagstöcken derart massiv verprügelt, dass er ins Koma fällt. 19
G8-GegnerInnen werden in die Polizeikaserne Bolzaneto gebracht. Sie
müssen sich nackt an eine Wand stellen und faschistische Lieder
singen. Wer nicht singt, wird verprügelt.
Und damit es nie vergessen geht: Während den Protesten gegen den G8 stirbt der 23-jährige Carlo Giuliani. Er wurde von einem Polizisten erschossen.
Einer der Gewaltopfer der Diaz ist der damals 61-jährige Arnaldo Cestaro und Aktivist von Rifondazione Comunista. Er wurde mit Brüchen an den Armen, Hüften und Beinen (!) ins Spital eingeliefert. Jahrelang musste er deswegen zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen. "Heute bin ich 77 Jahr alt und ich werde den damals erlebten Horror nie vergessen. Ich hab das Massaker live ansehen müssen, ich habe den Horror unseres Staates gesehen", gibt er der Tageszeitung "Il Fatto Quotidiano" zu Protokoll.
Cestaro wurde nach dem erlebten Horror aktiv im Komitee "Wahrheit und Gerechtigkeit für Genua" und reichte mit rund weiteren 40 Betroffenen Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMGR) ein. Dieser hat nun endlich entschieden und festgehalten, dass der Polizeieinsatz "als Folter qualifiziert werden muss". Der EMGR hat Italien wegen Verstosses gegen "Artikel 3 - Verbot von Folter" der Europäischen Menschenrechte verurteilt. Dieser hält fest: "Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden." Italien muss nun den KlägerInnen eine Entschädigung von 45.000 bis 55.000 Euro bezahlen. Verurteilt wurde Italien vom EMGR auch deswegen, weil es keine rechtlichen Grundlagen kennt, um Folter zu bestrafen. In Italien ist Folter kein Verbrechen! Daher spricht der EMGR von einem "strukturellen Problem" und fordert Italien auf, die nötigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen.
Die gleichen Forderungen stellte die Linke bald nach den Vorfällen von Genua im nationalen Parlament in Rom. Die Sache versandete und es wurde nichts daraus, unter anderem wegen dem erbitterten Widerstand der rassistischen Lega Nord. Jene Partei des Rechtspopulisten Matteo Salvini, die an den lokalen Wahlen von Anfang Juni 2017 als Siegerin hervor ging.
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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 23/24 - 73. Jahrgang - 7. Juli 2017, S. 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2017
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