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VORWÄRTS/1087: Die Abwendung der Schockstarre


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 27. März 2015

Die Abwendung der Schockstarre

Von Thomas Schwendener


Der "Frankenschock" hat mittlerweile einige Spuren in der Wirtschaftslandschaft der Schweiz hinterlassen. Während in den Parlamenten über politische Reaktionen debattiert wird, setzen die Unternehmen fleissig Massnahmen um - immer zu Lasten der Proletarisierten.


Gut zwei Monate ist es her, seit die Schweizer Nationalbank (SNB) mit der Aufhebung der Euro-Untergrenze von 1,20 Franken die Schweizer Nationalökonomie und ihre LiebhaberInnen geschockt hat. Die Gründe dafür sind mittlerweile bekannt: Die massiven Euro-Reserven der SNB werden trotz formeller Unabhängigkeit ein politisches Problem, falls der Euro-Kurs fällt. Das würde aufgrund der Verluste bedeuten, dass die SNB kein Geld mehr an Bund und Kantone ausschüttet und entsprechend unter Druck kommt. Zum Zeitpunkt des SNB-Entscheids war eine Abwertung des Euros zu erwarten gewesen, weil die Europäische Zentralbank angekündigt hatte, über den Ankauf von Staatsanleihen, Euros in Billionenhöhe in die Märkte zu pumpen. Dem hätte die SNB auch mit ausgedehnten Euro-Aufkäufen nur schwer entgegenwirken können. Gegenüber der Handelszeitung gab der SNB-Chef, Thomas Jordan zu Protokoll: "Ein Hinauszögern des Aufhebens des Mindestkurses wäre nur auf Kosten einer unkontrollierbaren Ausdehnung der Bilanz um mehrere 100 Milliarden - potenziell um ein Mehrfaches des schweizerischen Bruttoinlandsprodukts - möglich gewesen."

Mittlerweile diskutiert der Nationalrat in einer dringlichen Debatte über den "Frankenschock" und notwendige politische Reaktionen. Die Rechte sieht die Lösung des Problems in einer Deregulierung verschiedener Bereiche - insbesondere natürlich des Arbeitsmarktes - und in Steuererleichterungen für Unternehmen. Die Linke dagegen fordert eine neue Euro-Untergrenze und lehnt Massnahmen wie tiefere Löhne ab.


Die SNB im Spannungsfeld

Der Auftrag der SNB ist, eine Geld- und Währungspolitik im Namen des ganzen Landes zu betreiben. Widersinnig ist diese Vorstellung natürlich schon deshalb, weil die Schweizer Wirtschaft in verschiedene Kapitalfraktionen zerfällt und es kaum ein einheitliches Interesse gibt. Die Aufwertung des Schweizer Frankens hat den BesitzerInnen von Geldkapital in Schweizer Franken erstmal genutzt. Sie können sich jetzt auf den internationalen Märkten einen grösseren Anteil am Kuchen aneigenen. Währenddessen müssen die auf Export orientierten BesitzerInnen von produktivem Kapital mit der Verteuerung des Frankens einer Verteuerung ihrer Waren von rund 10 bis 20 Prozent entgegensehen. Aufgrund des hohen Spezialisierungsgrades der Exportindustrie fallen die Arbeitskosten für den Preis der Waren weit stärker ins Gewicht als die Kosten für Rohstoffe und Maschinen, die zumindest teilweise aus dem Ausland gekauft werden könnten. Angesichts der hohen Exportquote (Verhältnis von Exportvolumen zum Bruttoinlandsprodukt) der Schweiz von über 32 Prozent dürfte das - in Kombination mit dem ebenfalls stärk betroffenen Tourismus - ein für den Standort Schweiz schwer verdaulicher Brocken sein.

Vereinfacht gesagt hat zumindest kurzfristig der Finanzplatz Schweiz gegenüber dem Industriestandort profitiert. Vereinfacht ist das allerdings deshalb, weil einerseits dieselben KapitalbesitzerInnen Kapital sowohl in Geldform als auch in Form von Produktionsmitteln und Waren besitzen. Aber auch, weil sich die Massnahme gewissermassen selbst in den Schwanz beisst: Die Stärke der Währung wird durch die Verteuerung des Frankens und der damit verbundenen Verschlechterung der Konkurrenzstellung der Schweizer Exportindustrie untergraben. Darum sind die aktuellen Angriffe auf die Lebensbedingungen der Proletarisierten im Sinne des gesamten nationalen Kapitals. Sie sind der Versuch, die Konkurrenzsituation durch eine Stabilisierung oder Senkung der Lohnstückkosten, die auf dem internationalen Markt ausschlaggebend sind, günstig zu halten.


Angriffe auf die ArbeiterInnen

Was die parlamentarische Rechte momentan fordert, wird in der Wirtschaft bereits kräftig umgesetzt. In den Medien finden sich fast täglich Meldungen über wirtschaftliche "Anpassungen" im Zeichen des "Frankenschocks. Auf der Internetpräsenz des Handelsblattes findet sich eine Bildstrecke mit rund 60 Reaktionen auf den verteuerten Franken. Die Unternehmen haben verschiedene Instrumentarien zur Verfügung, die aber alle einen gemeinsamen Nenner haben: Alle gehen zu Lasten der ArbeiterInnen. Wenn die Auftragsbücher voll sind, lohnt sich eine Erhöhung der Arbeitszeit. Wenn die Auftragsbücher grössere Lücken aufweisen, stehen Massenentlassungen und Kurzarbeit auf dem Programm. Was das bedeutet ist klar: Einerseits werden ArbeiterInnen aufs Pflaster geschmissen, andererseits müssen die verbliebenen in kürzerer Zeit mehr leisten. Kombiniert werden die Massnahmen gerne mit Kürzungen des Lohns. Angesichts der Geschwindigkeit und Menge der Reaktionen liegt es auf der Hand, dass die Unternehmen schon länger geplante Massnahmen mit dem "Frankenschock" legitimieren.

Eine Massnahme, die dem Wirtschaftsstandort Schweiz nicht nutzt, aber auch mancherorts angekündigt wurde, ist die Auslagerung der Produktion in Länder mit tieferen Lohnkosten. In welchem Ausmass das eintreten wird, hängt davon ab, wie fit der Schweizer Industriestandort in der internationalen Konkurrenz gemacht werden kann.


Kämpfe der Proletarisierten

Den wirtschaftlichen Angriffen werden mit grosser Wahrscheinlichkeit politische in Form von Sparpaketen, Deregulierungen und Kürzungen im öffentlichen Bereich folgen. Inwieweit sich die Angriffe umsetzen lassen, hängt davon ab, wie und wo sich die Proletarisierten zu wehren beginnen. Einige Tessiner ArbeiterInnen haben es vorgemacht und die Einschnitte vorerst dank eines Streiks abgewehrt. Doch angesichts der wenigen Kämpfe in den letzten Jahren sollte man wohl nicht allzu frohen Mutes sein.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12 - 71. Jahrgang - 27. März 2015, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2015

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