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VORWÄRTS/1081: Jetzt will Podemos an die Macht


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 5/6 vom 13. Februar 2015

Jetzt will auch Podemos an die Macht

Von David Hunziker


Die erst im März 2014 gegründete linkspopulistische spanische Partei Podemos gleicht in vieler Hinsicht dem griechischen Parteienbildnis Syriza. Auch Podemos' rasanter wird getragen vom Wunsch der Bevölkerung, die zerstörerische Austeritätspolitik in Europa zu beenden. Im Hinblick auf die nationalen Wahlen vorn; nächsten Herbst, hat sich die Partei zunehmend von ihren basisdemokratischen Wurzeln entfernt und einen reformistischen Kurs angenommen.


Die am 31. Januar von Podemos ("Wir können") in Madrid durchgeführte Grossdemonstration "für einen Wandel" wurde von vielen dazu genutzt, den Wahlsieg von Syriza in Griechenland zu feiern. Viele der 100.000 DemonstrantInnen brachten griechische Fahnen und sagten zu JournalistInnen, dass das Beispiel von Griechenland ihnen Hoffnung gebe. Auf dem symbolträchtigen Puerta del Sol-Platz, der schon von der Indignados-Bewegung (auch M-15 genannt) besetzt worden war, beschwor der 36-jährige Generalsekretär der Partei, Pablo Iglesias den politischen Wandel.

Der von Podemos propagierte Wandel gleicht den Zielen von Syriza: das Ende der Austeritätspolitik, die Bekämpfung der Korruption und "richtige Demokratie". Wie Syriza könnte auch Podemos der langjährigen Zweiparteienherrschaft ein Ende bereiten; seit der Franco-Diktatur wurde Spanien bisher durchgehend von der Partido Popular (PP) und der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) regiert. Seit ihrer Gründung im März vergangenen Jahres gelang der Partei ein beachtlicher Aufstieg: Bei den Europawahlen vom darauffolgenden Mai holte die Partei bereits überraschende 8 Prozent der Stimmen und 5 Sitze im Europäischen Parlament und seit letztem November liegt sie in Umfragen gar vor den beiden Regierungsparteien. Nach eigenen Angaben hat Podemos bereits 320.000 Mitglieder. Doch wie ist es dazu gekommen?


Die Ausgangslage

Podemos schafft es, sich als Antwort auf die sozialen Probleme Spaniens darzustellen, die zwar weniger drastisch sind als in Griechenland, aber dennoch beträchtlich. Zwar ist die Arbeitslosigkeit zuletzt leicht gesunken, mit 23,7 Prozent liegt Spanien in der Eurozone aber immer noch auf dem zweiten Rang (hinter Griechenland). Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 50 Prozent, 25 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Derweil nimmt die Zahl der MillionärInnen stark zu, Spanien liegt jeweils auf den vordersten Rängen bei der Lohnungleichheit in der EU. Die zwischen 2004 und 2011 regierende PSOE versuchte sich zuerst an einer keynesianischen Reaktion auf die Krise, lenkte dann aber ein und befolgte ab 2010 die von der Troika vorgeschlagene Austeritätspolitik. Folglich kam die PP an die Macht und nahm weitere Kürzungen im Sozialwesen vor. In der Folge sanken die Löhne in den letzten zwei Jahren um 10 Prozent. Ausserdem verabschiedete die konservative Regierung Gesetze, die das Protestrecht empfindlich einschränkten.

Doch ein weiterer Faktor kommt Podemos zugute: In Umfragen geben SpanierInnen an, dass die Korruption ihnen nach der Arbeitslosigkeit am meisten Sorgen bereite. Ende 2014 sind zahlreiche Korruptionsfälle aufgeflogen, in die auch ExponentInnen der PP und der PSOE verwickelt sind. Das prominenteste Beispiel ist wohl Rodrigo Rato, ehemaliger spanischer Wirtschaftsminister, von 2004 bis 2007 geschäftsführender Direktor des IWF, und von 2010 bis 2012 Präsident des Bankenkonglomerats Bankia. In die Fälle verwickelt waren jedoch auch ExponentInnen der beiden grössten spanischen Gewerkschaften - der Comisiones Obreras und der Unión General de Trabajadores -, Firmen oder Fussballklubs, und sogar die Schwester des Königs. Durch die Aufdeckung dieser Fälle wurde das Vertrauen der Bevölkerung in die spanische Politik schwer beschädigt. Viele Leute halten die Korruption sogar für die Hauptursache der Krise.

Diese Korruptionsfälle sind entscheidend für den Erfolg von Podemos, weil sie der Art, wie die Partei politisiert, direkt in die Hände spielen. Ginge es nur darum, eine politische Antwort auf die sozialen Probleme Spaniens zu finden, wäre wohl auch die traditionelle Linke um eine griffige Antwort nicht verlegen. Bei "der Europawahl hatte das Bündnis Izquierda Plural (Pluralistische Linke)" sogar noch mehr Stimmen geholt als Podemos. Dessen Parteien - darunter die Kommunistische Partei - können von Podemos' jüngsten Umfrageerfolgen jedoch nur träumen. Dass die traditionelle Linke nicht denselben Schub erlebt, hat wohl auch damit zu tun, dass die lange Regierungsbeteiligung der neoliberal gewendeten PSOE und die Korruptionsvorwürfe an die Gewerkschaften zu ihrer Diskreditierung beigetragen haben.


Die Strategie

Podemos stellt sich daher bewusst auch als Alternative zur traditionellen Linken dar. Die Führung der Partei stellt die politische Landschaft bewusst nicht mehr anhand des Klassengegensatzes dar und insistiert stattdessen sogar darauf, politisch weder links noch rechts zu stehen. Für Podemos stellt sich der politische Kampf als Opposition zwischen der einfachen Bevölkerung und der korrupten Politikerkaste dar. Diese Reaktion auf die Diagnose des fehlenden Klassenbewusstseins der Arbeiterklasse ist vom post-marxistischen argentinischen Theoretiker Ernesto Laclau inspiriert, der sich in seinen Analysen an den bolivarischen Bewegungen Lateinamerikas orientiert hatte.

Laclau stützte sich auf Gramscis Begriff der Hegemonie, entledigte ihn seiner marxistischen Implikationen und argumentierte dafür, dass Populismus ein wichtiges Mittel für soziale Bewegungen sein kann, eine politische Hegemonie zu erreichen. Dabei räumt er dem Klassengegensatz keine privilegierte Stellung gegenüber anderen gesellschaftlichen Antagonismen ein; der Antagonismus Proletariat-Bourgeoisie ist nur noch eine Möglichkeit, um politische Identitäten zu bilden. Mit diesem theoretischen Schritt weicht Laclau stark von der marxistischen Auffassung des Staates ab, der bei ihm nur noch ein neutrales Mittel zur Durchsetzung der Interessen partikulärer Gruppen ist und keine systematische Verknüpfung mit dem Kapitalismus aufweist. Interessant: Podemos ist derzeit nicht die einzige linke Partei, die auf Laclau zurückgreift. Drei Minister der Syriza-Regierung haben an Universität Essex (England) studiert, wo Laclau Zeit einen Lehrstuhl innehatte.

Podemos' Ziel ist es, im Hinblick auf die Wahlen vom kommenden Herbst eine möglichst grosse Wählerschaft hinter sich zu scharen. Dabei treten die über das ganze Land verteilten basisdemokratischen Versammlungen, aus denen Podemos einst entstanden ist, zunehmend in den Hintergrund. Stattdessen konzentriert sich die Show nun auf die Person Pablo Iglesias', der mithilfe der Massenmedien in kurzer Zeit zu einem Politstar aufgestiegen ist. In Talkshows, die von grossen Teilen der Bevölkerung konsumiert werden, tritt Iglesias regelmässig gegen VertreterInnen des politischen Establishments an und promotet seine Partei als die, neue politische Kraft. Wie auch für Syriza spielt der charismatische Anführer eine entscheidende Rolle. Um die Identifikation mit der Partei zu erleichtern, wird Podemos in der Öffentlichkeit bewusst nur von wenigen ausgewählten Personen aus der Parteiführung repräsentiert. Doch diese hierarchische Organisation und die parlamentaristische Ausrichtung waren nicht von Anfang an Teil des Parteikonzepts.


Die Ursprünge

Podemos hat seine Ursprünge in der Indignados- oder M-15-Bewegung, die im Mai 2011 hunderte Plätze in Spanien besetzt hat. Podemos ist ein Versuch, die Dynamik dieser Bewegung in eine Parteistruktur einzubinden, gleichzeitig aber der basisdemokratischen Organisation der Bewegung treu zu bleiben. Initiiert wurde Podemos im Januar 2014 im Hinblick auf die Europawahlen mit einem Manifest, das von Indignados-AktivistInnen und einer Gruppe von AkademikerInnen - Iglesias ist einer von ihnen - unterschrieben wurde, die zuvor dem von der Kommunistischen Partei geführten Bündnis Izquierda Unida (Vereinigte Linke) nahestanden. Sie kamen zum Schluss, dass die traditionellen politischen Identitäten der Linken nicht mehr effektiv waren und die Zeit reif war, für eine populistische Linke.

Zwar besteht die Basis von Podemos noch aus über 1000 basisdemokratischen Gruppen in ganz Spanien. Doch nach den Europawahlen setzte sich Iglesias, der eine zentralistischere Organisation forderte und den Einfluss jener Gruppen auf die Partei schwächen wollte, parteiintern gegen VertreterInnen der linkeren Izquierda Anticapitalista (Antikapitalistische Linke) durch. In der Folge wurde die Regel eingeführt, dass Mitglieder von Podemos nicht gleichzeitig noch Mitglied einer anderen Organisation sein dürfen - zur Schwächung der Izquierda Anticapitalista.

Die neue Machtgier eines Teils der europäischen Linken hat zahlreiche führende TheoretikerInnen hellhörig gemacht. So hat der Ökonom Thomas Piketty, Autor von "Das Kapital im 21. Jahrhundert", etwa bereits Interesse bekundet, informeller Berater von Podemos im Falle eines Wahlsiegs zu werden. Beim marxistischen Theoretiker Antonio Negri ("Empire"), der für seine Aversion gegen Parteipolitik - "vertikale Organisation" - und Liebe für Grassroots-Bewegungen - "horizontale Organisation" - bekannt ist, hat bei einer Tagung im letzten Herbst in Italien erklärt, für die Linke sei nun wieder die Zeit gekommen, in die Vertikale zu gehen.

Ein Blick auf Podemos' bisherige Forderungen - ein Parteiprogramm existiert noch nicht - zeigt, dass die Partei vor allem die demokratischen Institutionen stärken will und eine reformistische Umverteilungspolitik anstrebt, Revolutionäre Umschichtungen sind von Podemos - wie von Syriza - also nicht zu erwarten. Vielleicht stehen nun gerade am Anfang eines Prozesses der Erneuerung der Sozialdemokratie. Doch wenn es Podemos oder Syriza tatsächlich gelingen sollte. die katastrophale Lage der Bevölkerung in Spanien und Griechenland etwas zu lindern, wäre es zynisch, sich ihnen entgegenzustellen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 5/6 - 71. Jahrgang - 13. Februar 2015, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2015

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