Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/1051: Spanien - Widerstand verhindert Abtreibungsverbot


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 35/36 vom 17. Oktober 2014

Widerstand verhindert Abtreibungsverbot

Von Jonas Komposch



Wegen langanhaltenden Mobilisierungen und direkten Aktionen gegen das geplante Abtreibungsgesetz sank das Ansehen des spanischen Premiers Mariano Rajoy massiv. Um seine Wiederwahl zu retten, verwarf er Ende September den frauenfeindlichen Gesetzesentwurf.


Dass im Zuge der ökonomischen Misere und der verschärften Klassenkämpfe vermehrt wieder autoritäre Regierungsstile aufkommen, scheint nachvollziehbar. Dass damit auch gesellschaftliche Rückschritte eingefordert werden, die weit herum als unvorstellbar gelten, erstaunt angesichts demokratischer Politiksysteme schon eher. Hierzu erteilten die SpanierInnen ihrem Premierminister Mariano Rajoy vom Partido Popular (PP) unlängst eine Lektion, die er nicht vergessen kann, will er weiterhin eine politische Rolle spielen. Mit landesweiten Protestaktionen machten Feministinnen auf den reaktionären und frauenfeindlichen Gehalt des geplanten Abtreibungsgesetzes aufmerksam. Der Gesetzesentwurf, ein Wahlversprechen Rajoys, war dermassen rückschrittlich, dass er auch im konservativen Spektrum und sogar innerhalb des PP kritisiert wurde. Die gesamte Linke lief derweil regelrecht Sturm gegen die Vorlage. Doch auch die selbsternannten LebensschützerInnen mobilisierten Massen. Letztlich aber musste auch Rajoy einsehen, dass in seinem zwar katholischen aber auch modernen Spanien eine grosse Mehrheit die unmittelbare Gefahr für jede Frau erkennt und daher vehement für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch - und damit gegen ihn - votiert. Also liess er das Gesetz kurzerhand fallen, was wiederum den Verfasser des Entwurfs, Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón zum Rücktritt veranlasste.


Zurück ins mittelalterliche Abseits

Das geplante Gesetz sah vor, Schwangerschaftsabbrüche nur noch in zwei bestimmten Fällen zuzulassen. Zum einen bei Vergewaltigung, sofern der Gewaltakt nicht schon länger als 12 Wochen zurückliegt und sofern bereits Anzeige erstattet wurde. Zum anderen bei zweifach attestierten "notwendigen" Eingriffen, ohne die "lebensbedrohende oder schwere physische oder psychische Schäden der Frau" erwartet werden. Nach einer Vergewaltigung eine Polizeistation aufsuchen zu müssen, wurde von den GegnerInnen als patriarchale Zumutung und massiver Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau gewertet. Besonders getroffen hätte dies behördlich gesuchte Frauen oder solche ohne Aufenthaltsrecht.

Abtreibungen haben in Spanien seit jeher einen schweren Stand. Nach progressiven Anfängen während der Spanischen Revolution 1936 folgte die franquistische Verfolgung von AbtreibungsbefürworterInnen. Noch bis 1985 waren Schwangerschaftsabbrüche in Spanien gänzlich verboten. Also begaben sich Frauen, die es sich leisten konnten, in Kliniken liberaler Länder. Für Frauen ohne hinreichende Mittel blieb nur die illegale Abtreibung unter prekären Bedingungen oder die ungewollte Mutterschaft. 2010 festigte der damalige sozialistische Premier Zapatero das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Wegen der zugleich geförderten Sexualaufklärung sank die Abtreibungsrate merklich. Dennoch: Mit der Verschärfung wären nach Schätzungen von FrauenrechtlerInnen 91 Prozent aller heutigen Eingriffe illegal. Im europäischen Vergleich hätte sich Spanien damit ins mittelalterliche Abseits gestellt. Nur Kleinststaaten wie Liechtenstein, San Marino oder Monaco sind in dieser Frage noch rückständiger; und nur die katholischen Hochburgen Irland und Polen vergleichbar diskriminierend.


Widerstand stellt Rajoy ein Bein

Die Protestkultur Spaniens ist grundsätzlich geprägt durch eine rege Teilnahme von Menschen über dem klassisch jugendlichen AktivistInnenalter. So führten oft ältere Frauen die Demonstrationen und Versammlungen gegen das Gesetz an. Die feministische Literaturprofessorin Arancha Borrachero verweist auf die Generationenproblematik: "Die Jugend ist sich nicht bewusst, dass Frauen um solche Rechte einmal kämpfen mussten. Dass sie nicht selbstverständlich sind. Dass man sie auch wieder verlieren kann." Dennoch haben sich auch junge Frauen aus dem Umfeld der Basisgewerkschaften, der sozialen Zentren und der Empörtenbewegung zu Initiativen zusammengeschlossen. Eine Initiative auf internationaler Ebene hat besonderes Aufsehen erregt: Das "Red Federica Montseny" (RFM) wurde von spanischen Indignados in Berlin gegründet und beruft sich auf die feministische Anarchistin und erste spanische Ministerin Federica Montseny (1905-1994), welche während der Revolution die Abtreibungslegalisierung vorantrieb. Das RFM war offen dazu ausgelegt, trotz drohendem Verbot Schwangerschaftsabbrüche zu ermöglichen. Hierzu schlossen sich im europäischen Ausland lebende spanische FeministInnen zusammen, um im Falle der Inkraftsetzung des neuen Gesetzes Hilfsstrukturen für abtreibungswillige Frauen anzubieten. Auf Basis gegenseitiger Hilfe wären Freiwillige im Ausland bei Unterbringung, Arztwahl und Kommunikation den Frauen aus Spanien zur Seite gestanden.

Auf der Halbinsel wiederum brachten massenhafte direkte Aktionen die Regierung in Erklärungsnot und an die Grenze einer politischen Krise. Die Kampagne gegen das Abtreibungsrecht war geplant als Anbiederungsversuch bei der reaktionär-katholischen Rechten. Doch der Schuss ging nach hinten los! Einerseits ist nun die Rechte aus dem Häuschen und wird Rajoy wegen dem Bruch des Wahlversprechens die Stimme verweigern. Andererseits hat der Kampf für das sexuelle und reproduktive Selbstbestimmungsrecht die fortschrittlichen Kräfte erneut alarmiert und für weitere Aktionen in Stellung gebracht.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 35/36 - 70. Jahrgang - 17. Oktober 2014, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2014