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VORWÄRTS/1048: Von Freibier und Freiräumen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 33/34 vom 3. Oktober 2014

Von Freibier und Freiräumen

Interview mit den Zürcher Rappern Seizmo dä Graf und MC Rouman von Jonas Komposch



Die Zürcher Rapper Seizmo dä Graf und MC Rouman sind seit fünfzehn Jahren mit verschiedenen Projekten unterwegs. Seit einiger Zeit machen sie gemeinsame Sache. Die kulturelle Dynamik einer lebendigen aber auch umkämpften Stadt gab den beiden Künstlern eine Steilvorlage, und der kreative Drang und die technischen Skills schienen sich immer mehr zu steigern. Was dabei herauskam, zeigten Seizmo und Rouman vor Kurzem im Zürcher Club Exil. Mit dem klingenden Albumnamen "Freibier" luden sie zur grossen Plattentaufe. Auch wenn die neue Scheibe mit einer guten Portion tanzbarem Partyrap auftrumpft, finden sich darauf etliche sozialkritische Texte. Eine eher seltene Paarung, wie ich fand. Ich traf das Duo an einem verregneten Mittwochabend auf ein Bier in der Langstrasse.


vorwärts: Warum treffen wir uns gerade im Langstars? Das Bier ist teuer, die Musik laut.

Seizmo: Wir waren hier von Beginn an dabei, waren an einer der ersten Jamsessions und hatten auch schon, einige Auftritte hier. Geniessen wir diesen Ort, solange es ihn noch gibt!

Rouman: In dieser Bar triffst du jeden Abend Leute aus den verschiedensten Ländern, da zur Bar auch ein Hostel gehört. Ich bin hier auch im Kulturverein aktiv, mit dem wir Kunstausstellungen realisieren. Das Langstars war eine verdammt gute Idee, nur sind die Mieten auch hier viel zu hoch. Ein weiterer kultureller Ort, der Zürich fehlen wird.


vorwärts: Mit der Verdrängung von solchen kulturellen Orten und mit Gentrifizierung beschäftigt ihr euch ja nicht nur in euren Liedern, sondern auch im Rahmen universitärer Forschung.

Rouman: Ja, ich studiere neben all meinen anderen Projekten noch Ethnologie und populäre Kulturen an der Uni Zürich und habe einen ethnographischen Film über das einst besetzte Labitzke-Areal gedreht. Filmemacher Pino-Max Wegmüller ("Züri Glitzert", 2013) hat mich dabei unterstützt.


vorwärts: Seizmo, in deiner Masterarbeit untersuchst du Freiräume in der Stadt Zürich. Was ist ein "Freiraum" für dich?

Seizmo: Ein Ort, an dem nur solche Regeln existieren, die sich die aktiven Leute selber geben. Im Freiraum ist alles möglich: Wohnen, Musizieren, Malen, Werken, ... der Vielfalt sind keine Grenzen gesetzt. In meiner Arbeit interessierte ich mich besonders für die Frage, wie man solche Räume schützen, aber auch generieren kann. Und da stösst man bald an eine Grenze. In den seltensten Fällen überdauern Räume, die keinen Regeln unterworfen sind. Um einen solchen Raum zu behalten, braucht es Regeln. Andererseits sind Räume, die von der Stadt übernommen wurden oder solche, die immer noch von der Gründergeneration betrieben werden, derart gewachsen, ja verwachsen, dass sie nicht mehr ihrer ursprünglichen Idee gerecht werden.

Rouman: Für mich sind Freiräume nicht nur Gebäude. Der Begriff umfasst mehr, etwa auch den städtischen Raum. In Zürich hat es noch nie viele Freiräume gegeben. Doch jetzt werden es immer weniger. Die einzigen freien Räume sind momentan noch die besetzten Häuser.


vorwärts: Habt ihr auch ein politisches Interesse an diesen Freiräumen?

Rouman: Ich habe mich lange dagegen gewehrt, politisch verwertet oder instrumentalisiert zu werden. Durch unser Wirken in den besetzten Häusern Zürichs merkten wir, wie viel man durch Kunst auslösen kann und dass unsere Kunst auch politisch ist, obwohl wir das gar nie im Sinn hatten. Wir machen Politik durch Kultur. Und natürlich sind wir links, doch wo genau links wir stehen, ist nicht so klar, wir haben kein Manifest oder ein Programm, das wir den Leuten aufdrücken wollen.

Seizmo: Wir sind vor allem gesellschaftskritisch und weniger politisch im herkömmlichen Sinne. Wir sind in keiner Partei, nehmen aber oft an Demos teil. Bei mir ist das Bedürfnis auch nicht mehr so ausgeprägt, mich in einer politischen Gruppe zusammenzuschliessen. Vermittelt durch die Musik, die für mich übrigens auch ein Freiraum ist, bringe ich die politischen Themen ein.


vorwärts: Etwa im Umfeld des Winterthurer StandortFUCKtor-Protests gibt es Stimmen, die sich gegen die Forderung nach "Freiräumen" wehren, da sie keine kleinen Oasen im grossen Ganzen wollen, sondern tiefere soziale Veränderungen anstreben.

Rouman: Ich bin offen für solche Bewegungen. Ich war auch in Winterthur und habe miterlebt, wie die Polizei auf Leute geschossen hat. Auch am 1. Mai spielten wir, an der Binz-Demo, am Protest gegen das Goldforum oder an der Kundgebung Wem-gehört-Zürich. Ich kämpfe eben mit Musik, Kultur und Malerei.

Seizmo: Ich denke, wir sollten uns nicht mit den kleinen, geschenkten Nischen begnügen, denn für das, was wir wollen, braucht es eine offene Gesellschaft, eine gewisse Stimmung in der Stadt. Das erreicht man natürlich nicht durch Aufwertung, und dass die Randgruppen irgendwo noch ihr Süppchen kochen dürfen, ändert auch nichts. So funktioniert keine Gesellschaft.


vorwärts: Zum Rap: Euer erstes gemeinsames Album heisst "Freibier". War das früher nicht auch der Name eurer Combo?

Seizmo: Ja, doch dann haben wir uns dagegen entschieden, da der Name uns nicht gerade präzis beschreibt. Nun heisst einfach unser Album so. "Freibier" hat etwas punkiges, etwas verruchtes. Ausserdem verteilen wir Freibier an unseren Auftritten.

Rouman: Genau genommen hat uns ein Auftritt von Delinquent Habits inspiriert. In Savognin. Die schenkten dort gratis Tequila aus und wurden dafür vom Publikum geliebt. Wir machen das nun mit Bierdosen. Das ist auch ein Dankeschön an unser Publikum. Wir geben ihnen etwas zurück, auch wenn nicht alle Clubbesitzer Freude daran haben. Wir schenken halt günstiges Bier aus...


vorwärts: Welche Marke dreht ihr uns da eigentlich ständig an?

Seizmo: Das kam mehr durch einen grafischen Zufall zustande. Die Dose vom Prix Garantie-Bier ist vor allem weiss, was uns entgegenkommt, da wir eigene Etiketten drüber kleben.


vorwärts: Billiges Dosenbier verbinde ich eher mit Punkrock als mit Rap.

Seizmo: Ich komme klar vom Punkrock, konnte früher wenig mit Rap anfangen, da ich nur das MTV-Zeugs kannte. Über Crossover bin ich dann auf Mundartrap gestossen. Rookie (heute Rokator) war der Erste, den ich hörte. Da wurde mir bewusst, dass Rap auch kritisch sein und Spass machen kann und nicht nur repräsentieren muss.

Rouman: Bis ich vierzehn Jahre alt war, hab ich jeden Scheiss gehört. Boygroups, Bravohits, alles! Dann begann. ich, einen eigenen Stil zu entwickeln. Reggae hat mich fasziniert. Ich fing an zu Freestylen, kaufte Platten mit Instrumentals drauf und schrieb Texte dazu. Wir trafen uns schon früh mit Leuten, die Freude an unterschiedlichster Musik hatten, das ist noch heute so.


vorwärts: So entstehen auch eure Lieder?

Seizmo: Meist kommen Freunde oder Bekannte mit ihren Beat-Produktionen zu uns. Diese inspirieren uns zu neuen Reimen oder wir kombinieren sie mit bereits geschriebenen Texten. Am Anfang steht aber immer der Beat!


vorwärts: Wie schätzt ihr die hiesige Rapszene ein? Das Meiste bewegt sich doch ziemlich "underground", ob es nun will oder nicht.

Seizmo: Das ist im Rap nicht anders als in anderen Musikstilen. Hier ist ja niemand wirklich bekannt. Auch im Rock nicht. Im Rap ist zudem die Zuhörerschaft noch kleiner. Vielen Leuten sagt Rap gar nichts und im Radio ... Da spielen sie eben nicht einen Sterneis sondern einen Adrian Stern.

Rouman: Ich konnte mich von Beginn an nicht zu hundert Prozent mit der Hip Hop-Szene identifizieren. Die Musik ist oft nicht tanzbar. Im besten Fall halten die Leute noch einen Arm in die Luft. Auch der Battlerap sagt mir nicht sehr viel, obwohl ich die Fähigkeiten respektiere. In der Szene gibt es eine Menge Arroganz und Oberflächlichkeit. Im Track "Sell Out" kritisieren wir diese Tendenz und in "Das isch Rap" geben wir die Antwort darauf, warum wir Rap dennoch lieben.


vorwärts: Man sollte sich also nicht darum kümmern, was die Szene von einem hält?

Seizmo: Man muss schlicht offen sein, um Musik zu machen und offen ist die Hip Hop-Szene nicht; obwohl es die einzelnen Leute sind. Das ganze Hip Hop-Ding ist auch konservativ und nicht sehr experimentell. Das hängt damit zusammen, dass eine bestimmte Art des Rap als erfolgsversprechend betrachtet wird und diese nun unendlich kopiert wird. Uns ist egal, ob wir Erfolg haben oder nicht. Wir lassen uns nicht einschränken durch irgendwelche Codes.

Rouman: Wir orientierten uns stets an den Vibes des Oldschool, doch diese Werte sind weitgehend verloren gegangen.

Seizmo: Wir versuchen nicht den alten Stil zu kopieren, aber wir behalten diesen Spirit bei und entziehen uns der Welle des engstirnigen Gangster-Raps.


vorwärts: Ist es denn nicht auch eine Klassenfrage, wer welchen Hip Hop macht?

Rouman: Rap entstand in New York auch aus einem revolutionären Geist, aus einer gewissen Machtlosigkeit der schwarzen Bevölkerung heraus. Wenn sich heute aber gut betuchte Schweizer Rapper benehmen, als wären sie die letzten Strassenköter oder die härtesten Gangster, kann ich das nicht ernst nehmen. Wir machen authentischen Rap!

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 33/34 - 70. Jahrgang - 3. Oktober 2014, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2014