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VORWÄRTS/1004: Nationaler Standort ist Trumpf


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.11/12 vom 28. März 2014

Nationaler Standort ist Trumpf

Von Thomas Schwendener



Am 18. Mai steht die Abstimmung über einen flächendeckenden Mindestlohn von 4000 Franken an. Schon heute wird über verschiedene Kanäle Abstimmungskampf betrieben. Doch die grosse Offensive steht noch aus. Es ist zu befürchten, dass der Trumpf des nationalen Standorts auch dieses Mal direkt für das Kapital sticht.


Rund 330.000 Menschen in der Schweiz erhalten einen Lohn von unter 22 Franken in der Stunde. Das heisst, dass neun Prozent aller Beschäftigten bei einem Vollzeitpensum weniger als 4000 Franken pro Monat nach Hause bringen. Diesen Umstand will ein Initiativkomitee um den Schweizer Gewerkschaftsbund ändern und fordert einen Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde. Nach aktuellen Umfragen würden heute 52 Prozent der WählerInnen für die Mindestlohn-Initiative stimmen und bloss 42 Prozent dagegen. In der Romandie sind sogar 59 Prozent für den geforderten Mindestlohn. Zu allzu grossem Optimismus sollten diese Umfrageergebnisse jedoch nicht verleiten. Die Abstimmung über die Initiative "sechs Wochen Ferien für alle", über die im März 2012 befunden wurde, war von ähnlichen Kreisen befürwortet worden und hatte ein vergleichbares Ansinnen: den Proletarisierten einen grösseren Anteil am gesellschaftlichen Reichtum zu verschaffen. Auch damals gab es für die Initiative gute Umfrageergebnisse. Zwei Monate vor der Abstimmung wollten noch 57 Prozent der Abstimmenden ein Ja in die Urne legen. Doch dann schlug die nationale Offensive der GegnerInnen mit ihrer Standortlogik voll durch; mit dem Resultat, dass die Initiative klar mit 66,5 Prozent verworfen wurde.


Das allgemeine Wohl

Die BefürworterInnen der Mindestlohninitiative machen sich stark für "faire Löhne". Das ist zwar eigentlich eine Absurdität, weil der Lohn immer tiefer sein muss als das, was die Arbeiterin an Mehrwert produziert. Immerhin argumentieren die BefürworterInnen hier aber auf einer Ebene, auf der sie gewinnen können. Ebenso, wenn man den Schutz vor Lohndumping in den Vordergrund stellt. Es geht um die partikularen Interessen der ArbeiterInnen. Doch schon wenn gefordert wird "Alle sollen von der Wirtschaft profitieren, nimmt die Argumentation jene verhängnisvolle Wendung, die zur Konkurrenz um die bessere Politik für den Wirtschaftsstandort führt. Man will doch nur das Beste für ein "starkes Land"! Man propagiert eine linkskeynesianische Variante der Ankurbelung der hiesigen Wirtschaft. Über höhere Löhne würde schliesslich allen geholfen: Den ArbeiterInnen, den fairen Unternehmen und dem Staat. So findet man sich in der wohligen Wärme der produktiven nationalen Gemeinschaft wieder. Dumm nur, dass die Argumente der GegnerInnen in den entsprechenden Abstimmungen stärker waren. Man erinnere sich bloss an jene Urnengänge, in denen es direkt um die Verbesserung der Lage der Proletarisierten ging: 36-Stunden-Woche, Frühpensionierung oder sechs Wochen Ferien. Ganz zu schweigen davon, wenn es um die Teile der Proletarisierten ging, die vom Sozialstaat abhängig sind. Es waren immer die Argumente des nationalen Standortes, welche sich gerade gegen die linken Ansinnen - immer auch vertreten im Namen des allgemeinen Wohls - geltend gemacht haben.


Keynes gegen die Liberalen

Die GegnerInnen der Initiative malen den Teufel an die Wand: Mehr Arbeitslose, siechende KMUs und ein schlechtes Abschneiden in der internationalen Konkurrenz mit allen katastrophalen Folgen seien das Resultat der Initiative. Auch wenn das erstmal Panikmache ist, muss man den rationalen Kern der Argumentation zur Kenntnis nehmen. Wenn die Lohnkosten am niedrigsten sind, dann sind die Profite am höchsten, und das ist gut für das Kapital. In der internationalen Konkurrenz sind die Lohnstückkosten ausschlaggebend und diese werden gerade mit einer Anhebung der Löhne verteuert. Auf der anderen Seite hat das keynesianische Argument der Linken auch etwas für sich: Mit einer Senkung der Löhne und Sozialleistungen wird die Binnennachfrage untergraben. Der Witz ist, dass beide Ansätze jeweils bestimmte Probleme der Wirtschaft verschärfen, wenn sie andere bekämpfen: Keynesianische Nachfragepolitik reduziert die Profitraten und liberale Attacken auf Lohn und Sozialabgaben untergraben die (Binnen-) Nachfrage. Aus diesem Dilemma gibt es keinen immanenten Ausweg. Die Linke müsste sich aber endlich einmal bewusst werden, dass es bisher immer die direkten Argumente der Profite des nationalen Kapitals waren, die sie an den Abstimmungssonntagen geschlagen haben. Das verfängt in der Bevölkerung anscheinend mehr als der vermeintliche Wirtschaftsaufschwung über den Nachfragemechanismus.


Für die Partikularinteressen der Proletarisierten

Der nationale Standort scheint sakrosankt. Nicht ganz zu unrecht: Die Abhängigkeit des Einzelnen von Staat und Kapital führt auch dazu, dass viele sich für den nationalen Standort einsetzen - an der Urne und anderswo. Doch gänzlich hermetisch ist dieses Denken nicht. So könnte die Linke immerhin die Konsequenz aus ihren Niederlagen ziehen und primär für die Partikularinteressen der Proletarisierten argumentieren. So zum Beispiel die bevorstehende Abstimmung als die Klassenfrage behandeln, die sie nun mal ist: 4000 Franken Mindestlohn, weil der ganze Reichtum von den ArbeiterInnen geschaffen wird! Aber das scheinen sich die sozialpartnerschaftlich eingebundenen Gewerkschaften und ihre ParteifreundInnen nicht zu getrauen. Ihr demokratischer Vorstoss ist schliesslich auch kein Ausdruck der Stärke, sondern erstmal Folge dessen, dass an der Klassenkampffront von unten so wenig geht. Und so läuft man sehenden Auges in die nächste schwierige Konfrontation mit den Wirtschaftsverbänden und bürgerlichen Parteien. Dabei werden die partikularen proletarischen Interessen, um die es hier geht, nur untergeordnet als Argumente benutzt. Auch das wäre noch herzlich wenig, aber immerhin mehr als das ewige Vorrechnen von alternativen Programmen für den nationalen Standort.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12 - 70. Jahrgang - 28. März 2014 , S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2014