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VORWÄRTS/990: Masseneinwanderungs-Initiative - Zur Freude von Schwarzenbach


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 5/6 vom 14. Februar 2014

Zur Freude von Schwarzenbach

von Siro Torresan und Thomas Schwendener



Die knappe Annahme der "Masseneinwanderungsinitiative" hat einmal mehr bewiesen: Das Schweizer Stimmvolk lässt sich für rassistische Kampagnen mobilisieren. Der Widerstand von Links war hingegen gering. Man überliess die Führung der Gegenkampagnen den Wirtschaftsverbänden, die immerhin noch die Logik des Kapitals über das rassistische Ressentiment stellten.


Wir schreiben das Jahr 1970. Zur Abstimmung kommt die "Schwarzenbach-Initiative". Sie verlangt, dass der Bund "Massnahmen gegen die Überfremdung und Überbevölkerung" in der Schweiz trifft. Konkret soll "die Zahl der Ausländer in der Schweiz 500.000 nicht übersteigen", verlangte der Initiativtext. Für die Kantone "beträgt der Anteil max. 12 Prozent der schweizerischen Wohnbevölkerung; Ausnahme Kanton Genf: 25 Prozent." Der Name des Volksbegehrens geht bekanntlich auf seinen Initiatoren James Schwarzenbach zurück, der aus einer Textilindustriellenfamilie aus dem Kanton Zürich entstammt. Schwarzenbach war der Inbegriff des Schweizer Rechtsextremismus. In seiner Jugend war er überzeugtes Mitglied der "Nationalen Front", die Hitlers NS-Deutschland offen unterstütze. Schwarzenbach wurde dann Verleger und betätigte sich auch als Autor. Die in seinem damaligen Thomas-Verlag erschienenen Publikationen gelten als faschistisch, völkisch und antisemitisch. Schwarzenbach war ein begnadeter Redner. Oft trat er an Podiumsdiskussionen während der Abstimmungskampagne alleine, aber gekonnt für die Initiative ein. Eine Kampagne, die höchst emotional und verbissen geführt wurde. Sie hinterliess tiefe Gräben in der Gesellschaft. Zum Zeitpunkt der Abstimmung sass Schwarzenbach als Einzelkämpfer und Chef der "Nationalen Aktion für Volk und Heimat" (NA) im Nationalrat. Dies seit den Wahlen im Jahr 1967, als er in seinem Heimatkanton Zürich gewählt wurde. Auf nationaler Ebene kam die NA mit 6287 Stimmen auf einen Wähleranteil von 0,63 Prozent.

Dann kam der 7. Juni anno 1970 nach der angeblichen Geburt jenes Ausländers, dessen Geburtstag am 25. Dezember jeden Jahres auch in der Schweiz gefeiert wird: 74,7 Prozent der stimmberechtigten Schweizer Männer strömten zur Urne; so viele wie nie zuvor in der Nachkriegszeit ausser bei den Abstimmungen über die AHV 1947. 555.571 von ihnen, 45 Prozent, unterstützen das rassistische, fremdenfeindliche Vorhaben von James Schwarzenbach. Wäre die Initiative angenommen worden, hätten rund 300.000 AusländerInnen ausgeschafft werden müssen. Dies gerade mal 25 Jahre und wenige Wochen nach Beendigung des Horrors des 2. Weltkriegs. Verwüstung, Schreck, Elend und Vertreibungen waren noch sehr vielen der Abstimmenden bestens präsent, doch waren sie noch selten gute Pädagogik in Sachen Nächstenliebe. Und so sagten über eine halbe Million Schweizer Männer Ja zu den Ausschaffungen.


Kommt bei Herr und Frau Eidgenosse gut an

Was hat sich seit jenem 18. Juni verändert? Nichts und doch Vieles! Nichts, weil auch dieses Jahr wieder einige, wenn nicht gar viele, aus dem gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Lager für die Initiative gestimmt haben. Bitter aber wahr. "Obwohl Gewerkschaftsfunktionäre und SP-Parteisekretäre teils schweren Herzens, aber politisch korrekt die Initiative zur Ablehnung empfahlen, zeigen die Abstimmungsanalysen, dass die Initiative bei der Arbeiterschaft tatsächlich grosse Zustimmung gefunden hatte", schreiben die linksliberalen Wirtschaftsjournalisten Philipp Löpfe und Werner Vontobel in ihrem 2011 erschienenen Buch "Aufruhr im Paradies" zur "Schwarzenbach-Initiative". Im vergangenen Abstimmungskampf organisierte die Gewerkschaft syndicom Podiumsdiskussionen mit SVP-Präsident Toni Brunner. Dies, um die "Argumente der Befürworter direkt zu demontieren - noch dazu direkt gegenüber einem Hardliner der SVP" - und so die "Unentschlossenen" zu überzeugen, schreibt die IG Migration der Gewerkschaft. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Mit den "Unentschlossenen" sind die BasiskollegInnen in den eigenen Reihen gemeint.

Nichts hat sich geändert, weil die SVP-Initiative inhaltlich eine Fotokopie der "Schwarzenbach-Initiative" ist. "Die Zahl der Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz wird durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzt. Die Höchstzahlen gelten für sämtliche Bewilligungen des Ausländerrechts unter Einbezug des Asylwesens", verlangt die SVP. Und so wie 1970 wird mit rassistischer Propaganda die Stimmung im Volk eingeheizt.


Salonfähig geworden

Die Veränderungen in den letzten 45 Jahren führten dazu, dass alles nur noch schlimmer wurde. Das politische Erbe von James Schwarzenbach hat die SVP übernommen. Die Masseneinwanderungs-Initiative ist einmal mehr bester Beweis dafür. So ist es heute mit der SVP die stärkste Partei im Lande, welche die Initiative lancierte, und nicht mehr "nur" ein faschistischer Einzelkämpfer im Nationalrat mit einer 0,63 Prozent starken Partei im Rücken. Ein wesentlicher und markanter Unterschied zu 1970. Es ist die Partei, die im Nationalrat die grösste Fraktion stellt, in vielen Kantonen und Gemeinden kräftig mitbestimmt. Es ist die Partei, die seit gut 20 Jahren die politische Agenda im Lande der Eidgenossen diktiert. Ihre Politik führte dazu, dass Forderungen wie jene von Schwarzenbach, die vor 40 Jahren noch dem extremen rechten Lager zugeordnet wurden, heute endgültig in der Mitte der Schweizer Gesellschaft angekommen sind. Sie sind salonfähig geworden, wie man so schön sagt. Diese Tatsachen zeigen den eindrücklichen Siegeszug der konservativen, nationalistischen SVP. Schwarzenbach wird in seinem Grab, in dem er seit 1994 liegt, die Korken knallen lassen!


Nicht der Inhalt ist Schrott, sondern der Zeitpunkt ist falsch

Der gesellschaftliche und politische Siegeszug der SVP ist zugleich das Spiegelbild der vernichtenden Niederlage der gesamten Linken in der Schweiz. Die Gewerkschaften und die SP mobilisierten zwar gegen die Initiative. Sie wiesen auch auf den rassistischen Hintergrund hin. Doch hauptsächlich sangen sie im Chor der GegnerInnen aus dem bürgerlichen Lager mit, die den Abstimmungskampf anführten. Und so waren die Bilateralen-Verträge, die es zu schützen und erhalten gilt, das politische Zugpferd der Nein-Kampagne. In einem Schreiben an das Schweizer Volk, das von sämtlichen Präsidenten von CVP, BDP, SP, FDP, Grünen, GLP und EVP (alle im Nationalrat vertretenen Parteien ausser der SVP natürlich) unterschrieben wurde, ist zu lesen: "Der weltweit einzigartige Wohlstand der Schweiz hängt massgeblich von einem intakten Verhältnis zur EU ab." Die Unterzeichnenden sind sich zwar bewusst, dass "die Personenfreizügigkeit mit der EU nicht nur positive Seiten" hat. Doch: "Diese Abstimmung ist der falsche Moment, um ein Zeichen zu setzen. Zu viel steht auf dem Spiel. Der hohe Lebensstandard in der Schweiz ist keine Selbstverständlichkeit, deshalb sollten wir zu den Bilateralen Verträgen Sorge tragen." Wohlgemerkt, nicht der politische Inhalt der SVP-Initiative ist völlig verkehrt und Schrott, sondern alleine der Zeitpunkt.

Von der radikalen und ausserparlamentarischen Linken hörte man kaum was bis gar nichts im Abstimmungskampf. Zu klein und zersplittert ist sie, dass sie eine Gegenkampagne lancieren könnte. Nicht mal für eine kleine Demo im Vorfeld der Abstimmung reichten die Kräfte aus. Oder liegt der Grund des Schweigens darin, dass die Abstimmung innerhalb der radikalen Linken als unwichtig eingestuft wurde, da sie nichts zur Revolution beiträgt? So fehlte es im Abstimmungskampf weitgehend an politischen Inhalten, die etwas tiefer gehen als die Bilateralen Verträge mit der EU. Das Problem bei einem Ja scheinen die wirtschaftlichen Konsequenzen und nicht die Tatsache, dass die Initiative auf rechtskonservativen, nationalistischen Gesellschaftsgedanken und Vorstellungen aufbaut. Die Debatte wird somit "entpolitisiert" und auf einen Nebenschauplatz verschoben.


Die Zwänge des nationalen Standorts

Es kann nicht erstaunen, dass die Argumente der staatstragenden Parteien einmal mehr lediglich das Wohl des nationalen Standorts zum Inhalt hatten. Dafür wurden und werden sie schliesslich gewählt: Um die Belange des Wirtschaftsstandortes mit etwas mehr sozialer Dekoration (SP, Grüne) oder etwas mehr wirtschaftlichem Liberalismus (FDP, SVP) zu vertreten. Und es ist auch dem lieben Onkel von der SP bewusst, dass die Standortargumentation in der Bevölkerung gut verfängt. In den Abstimmungskampagnen spielt es dabei nur eine untergeordnete Rolle, was für den Standort tatsächlich das Förderlichste wäre, wichtig ist, dass die vermeintlichen Argumente mit grösstmöglicher Drastik vorgetragen werden. Die Argumentation verfängt nicht nur, weil das Stimmvolk nationalistisch und rassistisch verhetzt ist - das ist es zu guten Teilen auch -, sondern weil auch tatsächlich das Interesse des nationalen Standorts vermittelt dem Interesse des Einzelnen entspricht. Solange die Insassen dieser Nation ihr tägliches Leben auf den Grundlagen dieser Gesellschaft bestreiten müssen, solange zerbrechen sie sich eben auch den Kopf, wie es dieser national organisierten Gesellschaft am besten geht. Schliesslich ist ihr Wohl nicht ganz unwesentlich vom guten Abschneiden "ihrer" Firma und "ihres" Staates in der internationalen Konkurrenz abhängig. Nur wenn der Laden brummt, werden die Löhne ausbezahlt und der Sozialstaat nicht ganz geschliffen. Dazu kommt nebst dem gewöhnlichen Rassismus - den man wiederum nur aus den gesellschaftlichen Strukturen erklären kann -, dass AusländerInnen tatsächlich als KonkurrentInnen um staatliche Knete und Arbeitsplätze antreten; auch wenn sie selbstverständlich nicht ursächlich dafür verantwortlich sind und die Wut auf die verantwortlichen Staatsbüttel und FirmenbesitzerInnen eigentlich viel klüger wäre. Doch solange der Sturz der Verantwortlichen und Profiteure des ganzen Schlamassels nicht auf der Tagesordnung steht, scheint die Wut auf jene, die noch unter einem stehen, irgendwie naheliegender. In einer Gesellschaft, in der in der Konkurrenz alle gegen alle geworfen werden, ist die Begrenzung der Konkurrenzmasse schliesslich zweckrational. Das ist in Kombination mit der Verteidigung des nationalen Standortes der rationale Kern des ganzen rassistischen Überhangs, der in der Abstimmung eine wesentliche Rolle gespielt hat.


Die Linke: radikal oder zahnlos

Über diese Probleme hilft kein noch so gutgemeinter Appell an die Nächstenliebe und keine noch so tolle Kampagne gegen Rassismus hinweg. Wer sich auf den Boden dieser Gesellschaft stellt, der muss allerhand Sachzwänge und ihre unappetitlichen Folgen schlucken. Man mag dann zwar darüber debattieren, welche Kontingente der nationale Standort erfordert und wie sie reguliert werden sollen; oder welche flankierenden Massnahmen man für die autochthonen ArbeiterInnen einführen soll. Aber alles wird durch die Zwänge von Kapital und Standort bestimmt.

Von solchen Debatten muss sich die radikale Linke fernhalten. Doch auch ihre schönen Kampagnen, Demonstrationen und Veranstaltungen - die in Bezug auf die Abstimmung eben ausgeblieben sind - helfen nicht gegen die Folgen der nationalstaatlich organisierten Welt. Man kann der radikalen Linken viel vorwerfen, aber nicht, dass sie das Resultat der Abstimmung nicht verhindern konnte. Solange die Insassen der Nation ihren Lebensalltag auf den Grundlagen dieser Gesellschaft organisieren müssen, sind die Vorstellungen revolutionärer Gruppen schlichte Luftschlösser und werden kaum von einer Mehrheit angenommen werden. Die radikale Linke bleibt ein marginaler Faktor, auch wenn sie eigentlich als einzige einen gangbaren Weg für die Betroffenen und alle halbwegs menschlich Gebliebenen propagiert: die revolutionäre Aufhebung der Sachzwänge und ihrer tödlichen Folgen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 5/6/2014 - 70. Jahrgang - 14. Februar 2014, S. 1-2
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2014