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VORWÄRTS/979: Die Multis in die Schranken weisen!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.45/46 vom 20. Dezember 2013

Die Multis in die Schranken weisen!

Von Siro Torresan



MultiWatch ist eine breite Koalition von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Gewerkschaften, Parteien und Organisationen der globalisierungskritischen Bewegung und ist bestes Beispiel dafür, dass man gegen die Schandtaten der Schweizer Multis hier vor Ort Widerstand leisten kann. Ein Interview mit Yvonne Zimmermann und Hans Schäppi, die beide im Vorstand von MultiWatch aktiv sind und darin die Solidaritätsorganisation Solifonds vertreten. -


vorwärts: Wann und mit welcher Motivation ist MultiWatch gegründet worden?

MultiWatch: Nach der Veranstaltung "Das andere Davos" im Januar 2002, an die ein Gewerkschafter aus Kolumbien eingeladen war, bildete sich eine Arbeitsgruppe unter dem Titel "Kampagne für Menschenrechte" mit AktivistInnen aus Attac, Gewerkschaften und NGOs, um sich mit der Politik der Multis in den Ländern des Südens auseinanderzusetzen. Begonnen haben wir mit einer Beteiligung an der internationalen Kampagne gegen Coca Cola. Da ging es insbesondere darum aufzuzeigen, dass Gewerkschafter in Coca Cola-Betrieben in Kolumbien und Guatemala ermordet worden sind und der Konzern massiv gegen die Gewerkschaften vorging. Die Kontakte mit den GewerkschafterInnen der kolumbianischen Lebensmittelgewerkschaft "Sinaltrainal" machte schon 2002 deutlich, dass hier in der Schweiz vorab eine Kampagne zum Lebensmittelmulti Nestlé geführt werden muss.

Nach verschiedenen Aktivitäten wurde im Herbst 2005 im Hinblick auf eine Audiencia zu Nestlé, eine öffentliche Anhörung, MultiWatch als Verein mit verschiedenen Trägerorganisationen von Gewerkschaften über Solidaritätsorganisationen, kirchliche Basisorganisationen bis zu NGO's gegründet. Ein Netzwerk, in dem verschiedene Erfahrungen und Kontakte mit Basisorganisationen in den Ländern des Südens zusammenkommen. An der Audiencia im Rahmen des Permanenten Völkertribunals war Nestlé auf der Anklagebank. In der Folge versuchte Nestlé die "vernünftigeren" Trägerorganisationen von MultiWatch abzuspalten. Der Multi begann einen so genannten vertraulichen Dialog mit den Hilfswerken, worauf diese weitere öffentliche Kritik an Nestlé unterliessen. So hörte man zum Beispiel kein Wort der Kritik daran, dass Nestlé die Gruppe Attac-Vaud, KritikerInnen in de Schweiz, hatte ausspionieren lassen. Gegenüber der Gewerkschaft Unia versuchte es der Multi mit Druck und drohte damit, keine Gesamtarbeitsverträge mehr abzuschliessen. In der Folge hat sich MultiWatch als eine permanente Beobachtungsplattform konstituiert. Eine Menschenrechtsorganisation, die das Verhalten von multinationalen Konzernen mit Sitz in der Schweiz anprangert. Oft haben die Konzerne bei uns in der Schweiz einen guten Ruf, pflegen ein wunderbares Image, gleichzeitig gehen sie in anderen Ländern brachial gegen Gewerkschaften vor, missachten die Rechte der betroffenen Gemeinschaften, kriminalisieren KritikerInnen.


vorwärts: Bitte erklärt uns eure konkrete Arbeit anhand eines Fallbeispiels.

MultiWatch: In Espinar im südlichen Andenhochland in Peru, besteht seit Jahren ein Konflikt zwischen der lokalen Bevölkerung und dem Schweizer Bergbaumulti Xstrata (heute Glencore Xstrata). Die Bevölkerung leidet unter der Verschmutzung durch die Mine: In Wasser, Boden, Blut und Urin wurde eine gravierende Schwermetallbelastung nachgewiesen. Die AnwohnerInnen leiden unter gesundheitlichen Problemen, ihr Vieh verzeichnet häufige Aborte und Missbildungen. Der Multi streitet allerdings ab, dass dies etwas mit seiner Abbautätigkeit zu tun hätte. Im Mai 2012 eskalierte der Konflikt: Nachdem Xstrata zu keinen Gesprächen bereit war, reagierte die Bevölkerung mit einem Protest. Staatliche Sicherheitskräfte, die Xstrata unter einen direkten Vertrag genommen hat, so dass sie praktisch im Dienst des Multis stehen, gingen gewaltsam gegen die Proteste vor. Drei DemonstrantInnen wurden getötet, zahlreiche weitere wurden in Gefangenenlagern auf dem Minencamp inhaftiert und haben heute schwere Anklagen am Hals. MultiWatch hat VertreterInnen der Gemeinde - darunter den Bürgermeister und eine Vertreterin einer Menschenyechtsorganisation - bei einem Besuch in der Schweiz begleitet, bevor der Konflikt eskalierte. Wir gingen mit ihnen an die Xstrata-Generalversammlung und protestierten gegen die Haltung des Konzerns. Wir haben versucht, hier in der Schweiz eine Öffentlichkeit zum Fall zu schaffen und den Multi dazu zu bewegen, dass er sich mit der Gemeinde an einen Tisch setzt. Ein Vorstandsmitglied von MultiWatch arbeitet sehr direkt mit einer Menschenrechtsorganisation in Espinar zusammen. Und der Solifonds, der Teil von MultiWatch ist, hat nach der Eskalation direkte Unterstützung geleistet, damit Angeklagte vor Gericht verteidigt werden können.


vorwärts: Welches sind die grössten Schwierigkeiten, die ihr in eurer Arbeit antrefft?

MultiWatch: Ein Problem ist sicherlich, dass wir nicht sehr viel Geld zur Verfügung haben. Mit Ach und Krach und ständigen Bemühungen können wir eine 20-Prozent-Stelle für die Geschäftsführung bezahlen. Die restliche Arbeit leisten wir unbezahlt und das heisst auch, dass unsere Kapazitäten beschränkt sind. Das hat ein Frustpotenzial: Wenn du einen Blick auf die Machenschaften der Multis wirfst, wird klar, dass viel mehr Arbeit nötig wäre, als wir leisten können. Dennoch: Wenn wir sehen, wie vehement die Multis auf unsere Kampagnen reagieren, merken wir, dass wir trotz begrenzten Mitteln nicht ganz ohne Einfluss sind.


vorwärts: Was ist die politische Rolle von MultiWatch hier in der Schweiz?

MultiWatch: MultiWatch entstand aus der globalisierungskritischen Bewegung um die Jahrtausendwende und kritisiert die Macht der Konzerne. Wir zeigen mit dem Finger auf einige der Machenschaften der Schweizer Multis vorab in Ländern des Südens, während sie gleichzeitig hier in der Schweiz ein sauberes Image pflegen und sich als verantwortliche, nachhaltige Unternehmen darstellen. Damit wollen wir sie hier bei uns, am Hauptsitz, für ihre Verletzungen von Menschen- und Gewerkschaftsrechten zur Rechenschaft ziehen, an denen sie woanders beteiligt sind, aber nichts befürchten müssen. Ebenfalls geht es darum, den Widerstand und Protest hier am Hauptsitz der Multis mit den Widerständen und Kämpfen an anderen Orten zu vernetzen, wo diese Konzerne tätig sind.


vorwärts: Welche Möglichkeiten gib es, hier in der Schweiz, Widerstand gegen die Multis zu leisten?

MultiWatch: Viele Leute sind mittlerweile kritisch eingestellt gegenüber Multis wie Nestlé oder Glencore. Die Sensibilisierung hat insgesamt zugenommen. Es wird verstärkt über diese Geschäfte diskutiert und im vergangenen April wurde eine grosse Demonstration gegen den Gipfel der Rohstoffkonzerne in Lausanne durchgeführt. Das Thema ist auch in den Medien präsent. Kampagnen sind sehr wichtig, das haben auch die Reaktionen von Multis gezeigt. Es ist ihnen sehr unangenehm, eine negative Öffentlichkeit zu bekommen. Multis wie Nestlé oder Holcim haben sofort Gegenmassnahmen ergriffen und versucht, KritikerInnen zu delegitimieren. Gleichzeitig rüsten sie ihre Kommunikationsabteilung auf und machen verstärkte Imagepflege. Es ist wichtig, dieses sorgfältig polierte Image anzukratzen und aufzuzeigen, was dahinter steht. Der Zementkonzern Holcim etwa hat hier einen guten Ruf, erst eine Kampagne von MultiWatch hat diesen angekratzt. Breite Diskussionen sind wichtig.


vorwärts: Welche sind die Ziele für die nächsten drei Jahre? Und welchen Wunsch habt ihr für Multi Watch?

MultiWatch: Wir würden gern unser Tätigkeitsfeld ausweiten und mehr Konzerne unter die Lupe nehmen. Derzeit sind wir an einer Kampagne zu Glencore Xstrata. Für das kommende Jahr planen wir eine Publikation zu diesem Konzern, in dem konkrete Fälle aufgezeigt werden.

Wir wünschen uns vor allem ein Erstarken der sozialen Bewegungen. In den Tätigkeitsländern der Multis wünschen wir uns, dass die Basisbewegungen ihre Rechte verstärkt durchsetzen und den Multis Grenzen setzen können. Der Wunsch nach einem Erstarken der sozialen Bewegungen gilt aber auch für die Schweiz, wo die Multis eine beinahe absolute Macht haben. Denken wir nur daran, wie die Regierungen nach der Pfeife der Multis tanzen. So soll zum Beispiel die aktuelle Strafklage gegen Nestlé einfach eingestellt werden. Auch hier muss es darum gehen, die Multis, die sich als neue Feudalherren und Oligarchen aufführen, in die Schranken zu weisen und die Demokratie in unserer Gesellschaft zu stärken.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 45/46, Jahresendbeilage - 69. Jahrgang - 20. Dez. 2013 , S. 15
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2014