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VORWÄRTS/963: Die Heldin mit der Burka


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 35/36 vom 11. Oktober 2013

Die Heldin mit der Burka

Von David Hunziger



Ein mittelmässiger Popstar hat die erste animierte Zeichentrickserie Pakistans kreiert und damit gleich eine politische Debatte angestossen. "Burka Avenger" handelt von einer Lehrerin, die als Superheldin ihre Identität hinter traditioneller islamischer Kleidung verbirgt und so ihre Feinde bekämpft. Mancher Feministin geht das zu weit.


Eines Tages wollen die kleine Ashu und ihre Freunde zur Schule gehen. Als sie dort ankommen, hat der Bösewicht Baba Bandook aber bereits ein riesiges Schloss vor die Tür gehängt, um den Kindern den Zutritt zu verwehren. Da tritt Ashu aus der Menge und hält eine kleine Ansprache: "Wir brauchen Bildung, sie ist unser Recht. Die Mädchen von heute sind die Mütter von morgen. Wenn die Mütter nicht gebildet sind, werden auch zukünftige Generationen nicht lesen und schreiben können."

Doch Hilfe naht. Niemand ahnt, dass "Burka Avenger", die wendige Superheldin, die eine asiatische Kampfkunst beherrscht und die Bösewichte schon bald mit Büchern und Bleistiften beschiesst, eigentlich die unauffällige Lehrerin Jiya ist, die an der nun geschlossenen Mädchenschule unterrichtete. Wie alle Superhelden verbirgt sie ihre Identität mit einer Verkleidung; doch ist diese Verkleidung für einmal ein politisch stark aufgeladenes Symbol: die Burka.


Superheldin gegen Fundamentalisten-Wicht

Sofort wird klar, dass diese Kinderserie mehr will als nur zu unterhalten. Ihre Protagonistin ist eine Superheldin der sozialen Gerechtigkeit. Und auch der Bösewicht ist nicht aus der Luft gegriffen. Die geschilderte Szene ruft in Pakistan das Bild von Schulen hervor, die die Taliban in Brand gesteckt haben, um den Mädchen Bildung und damit die Möglichkeit zur Emanzipation zu verwehren. Der Bösewicht, ein Magier, ist hier ein eigentlicher Bösewicht, kein Vertreter einer ewigen dunklen Seite. Viel eher ist er ein "Fundamentalisten-Wicht". Seine Magie ist der ideologische Sumpf der Religion, der den Frauen ihre Rechte verwehrt. Unterstützt wird er dabei von einem korrupten Lokalpolitiker, der die Schliessung der Schule mit diabolischem Lachen goutiert.

Jiya wurde als Kind von ihrem Adoptivvater in der asiatischen Kampfkunst Takht Kabaddi unterrichtet, zu deren Techniken der Wurf mit Bleistiften und Büchern gehört. Mit diesen Waffen kümmert sie sich in der Serie auch um Probleme wie Kinderarbeit, Diskriminierung, Umweltverschmutzung oder die Stromversorgung. Ihr Kostüm, die Burka, ist in hohem Mass stilisiert und erinnert nur entfernt an Burkas, die in islamischen Ländern tatsächlich auf der Strasse getragen werden. Dennoch wird kritisiert, dass die neue Superheldin gerade dieses Kleidungsstück tragen müsse, das schlicht für die Unterdrückung von Frauen stehe. Sherry Rehman etwa, ehemalige Botschafterin Pakistans in den USA, meint, ein anderes traditionelles Gewand, das weniger für die Unterdrückung der Frau steht, wäre geeigneter gewesen. Auch die berühmte pakistanische Journalistin Marvi Sirmed bezweifelt, dass weibliche Ermächtigung mit der Burka vereinbar sei.


Hässlich, aber gescheit

Kreiert wurde die Serie vom pakistanisch-britischen Doppelbürger Aaron Haroon Rashid, der unter dem Namen Haroon in Pakistan als Pop-Sänger bekannt ist. Ein Stück, das er mit 16 Jahren komponierte, war das erste auf MTV gespielte Lied aus Pakistan. Wenn man sich Haroons Musik anhört, bekommt man nitht den Eindruck, dass hier ein grosser Künstler am Werk ist. Auch die Serie "Burka Avenger" erinnert mit ihrer lieblosen Animation zuerst einmal eher an einige Zwischensequenzen aus einem Computerspiel der 90er Jahre oder an einen zufälligen Blick ins Programm des Kindersenders Nickelodeon. Schnell zeigt sich darin aber der geschickte Umgang mit der politischen Thematik.

So kann Haroon den Kritikerinnen problemlos entgegenhalten: Zuerst einmal trage Jiya in ihrem bürgerlichen Leben keine Burka. Wie die Frauen in Pakistan, die nicht durch das Gesetz gezwungen werden, entscheide sie sich als Superheldin dafür, ihre Identität auf diese Art zu verschleiern. "Entscheidung, so heisst es in einer Diskussionsrunde am Fernsehen über die Sendung dagegen einmal, "ist in Genderfragen ein heikles Wort". Doch in Sachen Selbstbestimmung steht Haroons Superheldin im internationalen Genre-Vergleich nicht schlecht da. In Interviews betont ihr Erschaffer, es sei ihm wichtig gewesen, die sexualisierten Kostüme von Catwoman und Wonder Woman zu vermeiden. Da seine Serie für Pakistan gedacht sei, sei die Burka eine naheliegende Option gewesen.


Mehr als eine platte Botschaft

Man kann hier durchaus einen Schritt weitergehen und behaupten, dass "Burka Avenger" ausschliesslich aufgrund dieser Burka bemerkenswert ist. Denn die Serie vermag es dadurch gerade, über das blosse Propagieren politischer Botschaften wie "Bildung ist ein Menschenrecht" hinauszugehen und zu reflektieren, dass Symbole nur in einem bestimmten Kontext Bedeutung haben. Die Tatsache, dass sie in verschiedenen Kontexten auftreten, bewirkt eine Vielheit von teilweise widersprüchlichen Bedeutungen: Die Burka ist daher sowohl Symbol der Unterdrückung wie auch Schutz des Körpers vor der Sexualisierung; je nach politischer Situation in einer bestimmten Gesellschaft und der Rolle, die der weibliche Körper darin einnimmt.

Eine Kritik, die die Burka als ewiges Symbol für die Unterdrückung der Frau versteht und "Burka Avenger" daher kritisiert, wird durch die Konzeption der Serie also von Vornherein entkräftet. Indem sich eine Frau in der Burka als Superheldin ihre Handlungsfähigkeit zurückerobert, setzt sie bei den konkreten Widersprüchen einer real existierenden Gesellschaft an. Die konventionelle Ästhetik der Serie, die im herkömmlichen Kinderprogramm gezeigt werden kann, ermöglicht ihr den Zugang zum Zielpublikum. Ein künstlerisch aufgewerteter Freiheitsengel aus dem Westen könnte das nie.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 35/36 - 69. Jahrgang - 11. Oktober 2013, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2013