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VORWÄRTS/924: Die Neubesetzung der autonomen Schule Bern


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.17/18 vom 10. Mai 2013

denk:mal! - Die Neubesetzung der autonomen Schule Bern

Von der Redaktion



Am 20. April 2013 besetzte das autonome Kollektiv denk:mal den Wohnblock am Lagerweg 12 im Lorraine-Quartier in Bern, weil es bis Ende Juni einem Überbauungsprojekt im Wankdorf weichen muss. Der vorwärts hat mit den Besetzenden über hierarchiefreies Lernen, Stadtkämpfe und Solidaritätsarbeit gesprochen.


vorwärts: Könnt ihr uns erklären, was beziehungsweise wer das denk:mal ist?

denk:mal: Das denk:mal versteht sich als emanzipatorische Plattform und als solche versuchen wir in erster Linie Raum für verschiedene nicht-kommerzielle Tätigkeiten zur Verfügung zu stellen und die verschiedenen Aktivitäten unter einem Dach zu koordinieren. Wir sehen es eigentlich nicht direkt als die Aufgabe des denk:mals an, Kurse anzubieten oder durchzuführen, auch wenn diese Trennung in der Realität nicht ganz so einfach funktioniert. Uns liegen alle Aktivitäten am Herzen und wir versuchen sie aufrecht zu erhalten, weiterzuführen und Interessierte für neue Angebote zu gewinnen.

Als Anlaufstelle fungiert das offene Plenum jeweils am Donnerstagabend. Dort werden Entscheidungen getroffen, neue Kurse verhandelt und Wünsche und Interessen jongliert. Bedingungen für Veranstaltungen sind, dass sie unkommerzieller Natur, möglichst hierarchiefrei und ohne Diskriminierung von statten gehen sollen.


vorwärts: Welche Angebote bietet ihr an und welche Aktivitäten pflegt ihr?

denk:mal: Die autonome Schule denk:mal bietet seit inzwischen fast acht Jahren Raum für kostenlose Bildungsangebote an. Dazu gehören beispielsweise Spanisch, Yoga, Türkisch oder Arabisch. Die meistbesuchten Veranstaltungen im denk:mal sind die Deutschkurse, die in vier Niveaus an vier Tagen pro Woche stattfinden. Zwischen 70 und 90 Personen besuchen jede Woche den Deutschkurs. Seit sechs Jahren befinden sich unsere Lokalitäten an der Stauffacherstrasse in Bern in einem ehemaligen Waaghäuschen. Der Zwischennutzungsvertrag läuft Ende Juni aus, zusätzlich wachsen wir auch logistisch über das Gebäude hinaus, es platzt aus allen Nähten.


vorwärts: Was bedeutet es, eine "autonome" Schule zu sein?

denk:mal: Wir sind als basisdemokratisches Kollektiv organisiert, wir setzen uns die Vorgaben und Ziele selbst. Wir legen grossen Wert auf Selbstbestimmung. Wer bei uns mitmacht, entscheidet selbst mit, was wichtig ist. Es geht um hierarchiefreies lernen, ohne Zwang und Druck Wissen zu vermitteln und vermitteln zu lassen.


vorwärts: Ende Juni verliert ihr eure aktuelle Bleibe im Wankdorf. Auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten habt ihr am 20. April den Lagerweg 12 besetzt. Wie ist es dazu gekommen?

denk:mal: Wir wussten schon länger, dass es irgendwann definitiv der letzte Zwischennutzungsvertrag sein wird, den wir von der Stadt für das Waaghäuschen des ehemaligen Schlachthofs am Rande der zukünftigen Wankdorf-City mit der Liegenschaftsverwaltung der Stadt Bern abschliessen können. Und nun rückt der Zeitpunkt näher, an dem wir unsere Räumlichkeiten an der Stauffacherstrasse tatsächlich verlassen und gemäss aktueller Planung einer Kindertagesstätte Platz machen müssen. So haben wir uns auf die Suche nach einer Alternative gemacht und sie am Lagerweg, mitten im Lorraine-Quartier, gefunden.


vorwärts: Inwiefern reiht sich diese Neubesetzung in eine längere Reihe von städtischen Kämpfen und von Kämpfen für ein Recht auf Stadt ein?

denk:mal: Da kann man die Freiraumkämpfe der autonomen Schulen - es gibt sie ja auch andernorts - auf jeden Fall dazu zählen. Gemeint ist damit aber nicht "bloss" der Akt des Besetzens, sondern die gesamte Arbeit beziehungsweise das gesamte Projekt. Mit der Besetzung erlangt das Projekt Raum und Aufmerksamkeit, was zentral für den Neuaufbau ist.


vorwärts: Wie stehen die Wahrscheinlichkeiten heute, dass ihr längerfristig am Lagerweg 12 bleiben könnt?

denk:mal: Dazu können wir noch nichts Konkretes sagen, was sich aber jeden Tag ändern kann. Wir hoffen auf gute Vertragsverhandlungen, damit wir längerfristig weiterplanen können. Wir fühlen uns bereits heimisch und die Lage ist ideal.


vorwärts: Der Lagerweg 12 beherbergte 20 Jahre lang ein Bordell. Habt ihr durch die Besetzung auch eine Diskussion über die Themen Prostitution, Geschlechterverhältnisse etcetera anstossen können?

denk:mal: Diese Themen sind allgegenwärtig im und ums Haus herum und haben einen regen Dialog angestossen.


vorwärts: Wie reagiert das Quartier Lorraine auf eure Besetzung?

denk:mal: Die autonome Schule wurde herzlich als Nachbarin willkommen geheissen. "Endlich werden mal die Storen hochgerollt!" Es ist berührend, auf wie viel Interesse und Unterstützung auf allen Ebenen wir bauen können.


vorwärts: Habt ihr mit der Besetzung Solidarität gefunden bei linken Gruppen, Organisationen, Projekten? Und inwiefern besteht eine Verbindung zu anderen Besetzungen und bewegungsnahen Aktivitäten?

denk:mal: Auch hier können wir uns nur bedanken für die grosse Solidarität. VertreterInnen aus den verschiedensten Gruppierungen melden sich bei uns oder tauchen an unseren Sitzungen auf. Im Moment sind wir in Verhandlungen, wie allfällige Zusammenarbeiten aussehen könnten. Und über die Stadtgrenzen hinaus pflegen wir vor allem Kontakte zu anderen autonomen Schulprojekten in Biel, Luzern und Zürich.


Weitere Informationen zum denk:mal und zur Besetzung:
www.denk-mal.info
Das denk:mal freut sich über Spenden!

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 17/18 - 69. Jahrgang - 10. Mai 2013, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2013