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VORWÄRTS/914: Die Reaktionen auf den Aufruf Öcalans


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.13/14 vom 12. April 2013

Die Reaktionen auf den Aufruf Öcalans

Von der vorwärts-Redaktion



Dem Aufruf vom 21. März des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK), Abdullah Öcalan, folgte als Antwort eine Erklärung der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK). In einer Videobotschaft sagte der KCK-Exekutivratsvorsitzende Murat Karayilan: "Hiermit teilen wir mit, dass KCK, PKK und HPG (Volksverteidigungskräfte) ab dem 23. März einen Waffenstillstand erklären".


Am 21. März 2013 wurde die Verlesung des Aufrufs des PKK-Vorsitzenden Öcalan auf dem Newroz-Fest in Diyarbakir von dutzenden türkischen und zahlreichen internationalen Fernsehkanälen live übertragen. "Vor Millionen von Zeugen, die diesen Aufruf hören, sage ich: Endlich beginnt eine neue Ära - nicht die Waffen, sondern die demokratische Politik wird nun im Vordergrund stehen. Die Zeit ist gekommen, unsere bewaffneten Kräfte hinter die Grenze zurückzuziehen", so die Worte Öcalans.

In der Erklärung des KCK-Exekutivrats heisst es unter anderem: "Die Kurdische Befreiungsbewegung wird keine militärischen Angriffe mehr durchführen. Alle Aktivitäten auf türkischem Territorium finden nun im Rahmen dieses Waffenstillstandes statt. Sollten unsere Kräfte jedoch angegriffen werden, haben sie das Recht, sich zu verteidigen. Wie im Völkerrecht festgelegt, verfügen wir in einem solchen Fall über das legitime Recht in Form der Selbstverteidigung zu reagieren und auf diese Weise Angriffe zu vergelten. Solange kein Angriff auf unsere Kräfte erfolgt, wird von ihnen keine militärische Aktion ausgehen. Dies ist die von uns beschlossene Entscheidung."


Rückzug nicht vor Herbst

In einem Interview mit dem türkischen Journalisten Hasan Cemal für die Internetseite "T24" sagte Karayilan, ebenfalls am 23. März 2013: "Hinsichtlich des Friedensprozesses gibt es von vielen Seiten noch immer Vorbehalte. Diese hatten wir zunächst auch. Wir sind jedoch diesbezüglich nach Diskussionen weiter gekommen. Für eine tiefgreifende Lösung der Frage gilt es, sich von Voreingenommenheit zu lösen. Nun ist es wichtig, dass auch die Regierung einen Schritt macht. Für einen Rückzug vom türkischen Staatsterritorium ist für unsere Seite ein gesetzlicher Rahmen zur Absicherung dieses Schrittes notwendig. Das ist der erste Punkt."

Und Karayilan fügte hinzu: "Der Architekt dieses Prozesses ist unser Vorsitzender Apo (Abdullah Öcalan). Damit die Phase des Rückzugs positiv verlaufen kann, ist eine direkte Einbindung des Vorsitzenden Apo notwendig. In diesem Sinne hat er eine Erklärung abgegeben, die den weiteren Rahmen skizziert. Sämtliche Akteure dazu zu bewegen, einen Rückzug der Guerilla zu ermöglichen, ist dabei eine zentrale Frage. Diesbezüglich ist eine bessere und schnellere Kommunikation zwischen Abdullah Öcalan und Kandil (einem Hauptstandort der Guerilla im irakischen Kurdistan) von grosser Bedeutung. Für die Beobachtung der Rückzugsphase und der Lösung möglicher Probleme kann ein Gremium von weisen Personen gegründet werden." Auf die Frage, wann der Rückzug abgeschlossen sei, antwortete Karayilan: "Egal wie schnell auch vorangegangen wird, der Rückzug wird sich noch über den Herbst hinausziehen. Ein Rückzug bedarf neben Überzeugung auch organisatorischer Vorbereitung."


Kommission von Weisen einberufen

Im Verlauf eines Treffens mit mehreren türkischen JournalistInnen erklärte der türkische Ministerpräsident Erdogan am 23. März, dass die türkische Regierung die Einrichtung einer Wahrheitsfindungskommission derzeit nicht in Betracht ziehe, jedoch die Gründung einer "Kommission von weisen Personen" beschlossen habe. Berichten der türkischen Tageszeitung "Radikal" zufolge hat Erdogan die grosse Bedeutung einer solchen Kommission für die "gesellschaftliche Psychologie" betont. Es wird eine Kommission von 25 bis 28 Personen gegründet werden. Die Namen wurden festgelegt. In ihr werden AkademikerInnen, JournalistInnen, SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und VertreterInnen von zivilgesellschaftlichen Organisationen tätig sein. Die Kommission wird aufgrund der Anzahl der Beteiligten und deren Mobilität in Gruppen von je sieben Personen aufgeteilt, die jeweils in Provinzen und Regionen arbeiten.

"Die Kommission wird die Entwicklungen bezüglich des Rückzugs beobachten, Informationen von der jeweiligen Lokalbevölkerung sammeln und sich mit VertreterInnen von NGOs treffen. Je nach Bedarf wird sie in gemeinsamer Koordinierung mit der Regierung Aufgaben übernehmen. Die Hauptfunktion der Kommission liegt darin, für den positiven Verlauf des Rückzugprozesses zu sorgen und mögliche Komplikationen aus dem Weg zu räumen", erklärte Erdogan. Zudem sagte der Ministerpräsident, dass gesetzliche Regelungen für den Rückzug derzeit nicht auf der Tagesordnung der Regierung stünden, jedoch diskutiert werden könnten.

Unterdessen sagte der stellvertretende Vorsitzende der "Partei für Frieden und Demokratie" (BDP), Demir Celik, gegenüber der türkischen Nachrichtenagentur IHA: "Wir erwarten, dass der Waffenstillstand, der Rückzug und darauffolgend eine gleichberechtigte, demokratische und freiheitliche Verfassung in den nächsten Monaten realisiert werden. Wir erwarten, dass die politischen Gefangenen freigelassen und die Antiterrorismusgesetze sowie die Verfassung des 12. September (die Verfassung des Militärputsches vom 12. September 1980) abgeschafft beziehungsweise verändert werden. Wir erwarten eine gleichberechtigte, freiheitliche, zivile und demokratische Verfassung. Wir erwarten, dass die kurdische Sprache, Identität und Kultur garantiert und gesichert wird."


Rechte der Minderheiten sichern

In einem Gespräch mit "Civaka Azad" erklärte Mahmut Sakar, stellvertretender Vorsitzender von MAF-DAD (Verein für Demokratie und Internationales Recht): "Da der begonnene Lösungsprozess auf offizieller Ebene stattfindet, können wir feststellen, dass die türkische Regierung Abdullah Öcalan und die Arbeiterpartei Kurdistans als politische Vertreter des kurdischen Volkes anerkannt hat. In diesem Sinne sind die europäischen Gesetze, die die PKK kriminalisieren, neu zu bewerten." Die EU wird die Einstufung der PKK als Terrororgansiation nicht mehr legitimieren können. Das gilt insbesondere, wenn der Konflikt gelöst wird und die PKK legal in der Türkei agieren kann. Für Mahmut Sakar steht weiter fest: "Hinsichtlich des Rückzuges der kurdischen Guerilla vom türkischen Staatsgebiet sollte die EU als Beobachterin fungieren. In der neuen Verfassung gilt es, die politischen, sozialen und kulturellen Rechte sämtlicher Minderheiten in der Türkei zu sichern."


Quelle: Medienmitteilung "Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V." vom 25. März 2013

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14 - 69. Jahrgang - 12. April 2013, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Mai 2013