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VORWÄRTS/902: Solidarität mit Sonja und Christian!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.07/08 vom 1. März 2013

Solidarität mit Sonja und Christian!

Von Lieselotte Hermann



Seit Sonja Suder (80) und Christian Gauger (71) im September 2011 nach 33 Jahren Exil von Frankreich an Deutschland ausgeliefert worden sind, fordert eine internationale Solidaritätskampagne ihre Freilassung.


Bei der Auslieferung wurde Christian in einem Krankenwagen liegend über die Grenze gebracht. Sonja kam in den Knast Frankfurt-Preungesheim, Christian auf eine Knastkrankenstation. Obwohl er nach einem Herzstillstand im Oktober 1997 auf ständige medizinische und persönliche Betreuung angewiesen ist, wurde er erst nach über einem Monat von der Haft verschont, er muss sich nun zweimal die Woche bei den Bullen melden. Sonja sitzt seit eineinhalb Jahren im Knast und dürfte die älteste Untersuchungsgefangene Europas sein. Obschon die Untersuchungen bereits seit Jahrzehnten abgeschlossen sind.

1978 sind Sonja und Christian aus der BRD abgehauen und haben im französischen Exil eine neue Existenz aufgebaut. Ihnen wird nun vorgeworfen, sie wären Mitglieder der Stadtguerilla Revolutionäre Zellen (RZ) gewesen. Sie sollen für Aktionen der RZ verurteilt werden, die mehr als 30 Jahre zurückliegen. Die entsprechenden Aktionen richteten sich gegen die Vertreibung der Unterklassen aus den Innenstädten und gegen die Atom- und Rüstungsindustrie, die das rassistische Apartheidregime in Südafrika belieferte.


Unter Folter erzwungene Aussagen

Bei den drei Aktionen, die den beiden vorgeworfen werden, stützt sich die Anklage auf angebliche Aussagen von Hermann F., die mit Foltermethoden erlangt worden sind. 1978 explodierte auf Hermanns Knien ein Sprengsatz, der für das Konsulat der argentinischen Militärdiktatur bestimmt gewesen sein soll. Er überlebte, verlor aber seine Augen und Beine und erlitt schwere Verbrennungen. Vollgepumpt mit Schmerz- und Beruhigungsmitteln und völlig isoliert, wurde er erst in einem Krankenhaus, dann in einer Polizeikaserne von der Staatsschutzpolizei verhört. Diese täuschten zum Teil vor, Krankenhauspersonal zu sein, indem sie weisse Kittel trugen. 18 Wochen lang wurde er in dieser Lage eingesperrt. Kontakt zu seinen FreundInnen und einem Vertrauensanwalt wurde verhindert. Hermann F. hat alle Aussagen als Konstruktion und nicht von ihm stammend zurückgewiesen. Trotzdem wird jetzt durch das Gericht versucht, diese unter illegalen Foltermethoden erlangten "Aussagen" als Beweise zuzulassen. Ein weiterer Vorstoss, Folter als legitimes Mittel der Strafverfolgung zu etablieren.

Im Jahr 2000 wurden Sonja und Christian in Paris erstmals verhaftet. Eine weitere Beschuldigung war hinzugekommen: Dem Kronzeugen Hans Joachim Klein ist nach 24 Jahren auf einmal eingefallen, dass er Sonja belasten könnte. Klein behauptete, sie hätte 1975 Waffen für die Aktion eines palästinensisch-deutschen Kommandos gegen die OPEC-Konferenz der Erdölminister nach Wien gebracht. Klein war bei dieser Aktion verhaftet worden und hat sich später davon distanziert. Um einer langen Haftstrafe zu entgehen, hat er seither mehrfach als Kronzeuge gegen andere ausgesagt. Seine Aussagen wurden bereits gerichtlich als unglaubwürdig zurückgewiesen. Frankreich weigerte sich damals, die beiden auszuliefern. Erst mit der Einführung des Europäischen Haftbefehls sind Auslieferungen trotz Verjährung und zweifelhafter Beweise möglich.


Der Kronzeuge sitzt auf seiner Bühne

Am 21. September 2012 hat in Frankfurt der haarsträubende Gerichtsprozess gegen die beiden begonnen. Er wird unsinnig lange dauern, bis jetzt sind Daten bis im August 2013 festgelegt. Da Christians Gesundheit schwer angeschlagen ist, wird nur an zwei Halbtagen pro Woche verhandelt. Dabei werden vor allem hochbetagte Bullen vorgeladen, deren Gedächtnis zu wünschen übrig lässt. Und Kronzeuge Klein erhält eine Bühne, um seine oft fehlenden Erinnerungen auszubreiten. Wenn Widersprüche in seinen Aussagen auftreten, wird er regelmässig durch Staatsanwaltschaft und Richterin verteidigt. Der Prozess zeichnet sich aus durch eine besondere Härte der Richterin gegen die BesucherInnen. Hinter Panzerglas verbannt, werden sie bei jeder Regung aus dem Saal verwiesen und erhalten Zutrittsverbote. Die Richterin verlangt persönliche Kopien aller Ausweise der ProzessbesucherInnen.

Obwohl in 26 Prozesstagen nichts Nennenswertes herausgekommen ist, wurde ein Haftentlassungsgesuch von Sonja verweigert. Das Gericht findet die Aussagen von Klein zwar widersprüchlich, aber nicht unglaubwürdig. Und es behauptet für die 80-jährige Gefangene Fluchtgefahr. Dieser Prozess ist Ausdruck einer Rachejustiz, die auf Biegen und Brechen linken Widerstand kriminalisieren will. Der staatliche Verfolgungswille ist ungebrochen und kalkuliert auch ein, dass Sonja bis zu ihrem Lebensende weggesperrt bleibt. Widerstand gegen AKW, Rassismus und Vertreibung war legitim und ist es auch heute. Die Gefangenen sind Teil unserer Kämpfe um Befreiung und dürfen nicht vergessen werden.


MEHR INFOS:
www.verdammtlangquer.org schreibt an:
Sonja Suder, JVA III
Obere Kreuzäckerstr. 4
D-60435 Frankfurt am Main (Absender nicht vergessen!)

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 07/08 - 69. Jahrgang - 1. März 2013, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2013