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VORWÄRTS/780: Widersprüche im Rap


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.43/44 vom 2. Dezember 2011

Widersprüche im Rap

Von Johannes Supe


Die Hip-Hop-Szene ist fest in reaktionärer Hand. Politische MusikerInnen finden sich immer seltener. Und bei vielen der Ausnahmen, den politischen Rappern, lassen sich neben fortschrittlichen Elementen auch reaktionäre Einschübe finden. Eine erste Auseinandersetzung mit einer widersprüchlichen Musikform.


Anfang November zog ein Skandal durch die deutsche Musikwelt: Bushido wurde mit einem Integrationspreis ausgezeichnet. Dabei textete der Rapper Zeilen der übelsten, homophoben Art. In Ausschnitten hört sich das etwa so an: "Ihr Tunten werdet vergast" oder "Ein Schwanz in den Arsch, ein Schwanz in den Mund". Nun wird der "Bambi" vom Burda-Verlag vergeben, seines Zeichens einer der grössten Verlags- und Medienkonzerne Deutschlands, und es darf angenommen werden, dass ein grosser Skandal gern gesehene Werbung ist. Allerdings weist die Auszeichnung auch auf die Widersprüche und den schwierigen Umgang mit dem Rap hin.


Vom Anfang an widersprüchlich

In der Recherche um den Rapper ShenZo ist auch der vorwärts mit dem Phänomen einer weitenteils tief widersprüchlichen Musikform konfrontiert worden. Dabei geht die Hip-Hop-Kultur aus den 7Oern hervor. Hier entstand sie in der Bronx, dem Armenviertel von New York, und hatte einen durchaus sozialkritischen Anspruch. Mehrheitlich vom afroamerikanischen Proletariat getragen, wurden die Lebensumstände in den Ghetto-ähnlichen Verhältnissen thematisiert. Spontane Partys in alten Fabriken oder auf der Strasse waren Ausdruck dieser Bewegung. Allerdings gab es schon damals homophobe und sexistische Einschübe - es waren mehrheitlich Männer, die den Hip-Hop schufen und dominierten. Hauptsächlich durch die Kommerzialisierung des Hip-Hops verlor sich das progressive Element allerdings immer mehr gegenüber den sexistischen, homophoben und Spontangewalt bejahenden Einschüben. So sind auch die fortschrittlichsten Teile des Raps nur selten vor einem Rückfall ins Reaktionäre gewappnet. Im Rap von ShenZo zeigt sich diese Tendenz exemplarisch.


Fortschrittlich

ShenZo, dessen Name martialisch an "Chainsaw", also Kettensäge, angelehnt ist, kann grundsätzlich als fortschrittlicherer Rapper betrachtet werden. Wo seine Texte am Anfang noch durch Zeilen wie "Unsere Schwänze sind so dick wie Baumstämme" glänzten, haben sie nun ein durchaus sozialkritisches Element. ShenZos Musik hat eine Entwicklung durchgemacht. Seine neueren Lieder, etwa "Fühl min Hass", deuten auf gesellschaftliche Entwicklungen hin. Da heisst es dann als Zustandsbeschreibung: "Wünsche, dass meine gute Seele wiederkommt, aber jetzt ist's zu spät. (...) Fühl min Hass, das ist meine Kraft." Das Lied gibt auch eine oberflächliche, aber eindeutige Antwort, wie es dahin gekommen ist: "Die Welt hat mich so gemacht." Und in der Beschreibung des Liedes liest man: "Fühlet die produkt vo eui GSELLSCHAFT". In einem anderen Lied, und dieses Motiv taucht in ShenZos Liedern immer wieder auf, hören wir dann: "Meine Mannschaft ist international, schwarz oder weiss, scheissegal. (...) Scheiss auf Politik, Plakate mit schwarzen Schafen." Es gibt also beides: Sowohl eine gesellschaftliche Erklärung für persönliche Entwicklungen (wenn auch nur eine oberflächliche) und ein antirassistisches Element in ShenZos Musik.


Reaktionär

Dem stehen allerdings Homophobie und Sexismus gegenüber. In dem selben Lied, "Thai Boxer Stadt", hören wir: "Schwuchtel, nimm meinen Schwanz in den Mund." Die Texte von ShenZo zeichnen sich dadurch aus, dass Homosexualität ausschliesslich negativ dargestellt wird. "Schwul" und "Schwuchtel" und "gay" sind einzig und allein Beleidigungen, sollen verletzen, werden als verächtlich aufgeführt. Und neben dieser Homophobie stört die Darstellung von Frauen ungemein. Frauen tauchen in ShenZos Liedern entweder als Objekte auf, die man benutzt oder unselbstständige, willige Lustobjekte - "dini Frau findet mich sweet". Das Lied "Hollywood Woman" ist eine einzige Beleidigung gegenüber Frauen.

Erstaunlich ist also, dass nicht nur die Musik insgesamt widersprüchlich ist, sondern sich die Widersprüche unvermittelt oft direkt im selben Lied gegenüberstehen.


Offene Frage

Die Frage, wie mit dieser Musik umzugehen ist, kann der vorwärts nicht beantworten. Sicher ist, dass die Abgrenzung gegen alle sexistischen und homophoben Elemente in der Musik stattfinden muss. Die andere Frage ist aber, ob man versucht, mit Musikerinnen und Musikern wie ShenZo zusammenzuarbeiten. Im spezifischen Fall wird man sagen können: Es hat eine Entwicklung seiner Musik gegeben, gut möglich also, dass sie weitergeht. Widersprüche haben einen Hang dazu, die Entwicklung voranzutreiben. Für den vorwärts ist ein solcher Musiker im Moment allerdings nicht auftrittsfähig - auf einem vorwärts-Fest wird man ihn nicht finden.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 43/44/2011 - 67. Jahrgang - 02. Dezember 2011, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2011