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VORWÄRTS/779: Interview mit einem Rapper - "Ich will meine Geschichte erzählen"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.43/44 vom 2. Dezember 2011

"Ich will meine Geschichte erzählen"

Von Johannes Supe


Der vorwärts führte ein Gespräch mit Salwan A. (19). In Winterthur ist der Rapper bekannt unter dem Namen ShenZo. Seine Musik ist zwiespältig: Einerseits hat sie sich in eine tendentiell gesellschaftskritische und antirassistische Richtung entwickelt, andererseits tauchen immer wieder sexistische und homophobe Elemente in seinen Liedern auf. Damit ist ShenZo exemplarisch für weite Teile dieser Musikrichtung.


VORWÄRTS: Shenzo, in der Recherche im Vorfeld haben wir entdeckt, dass du aus Syrien stammst. Kannst du uns erzählen, wie du in die Schweiz gekommen bist?

SHENZO: Ich wurde in Syrien geboren, aber meine Familie ist geflüchtet. Zuerst in den Libanon, dann in die Schweiz. Mein Vater ist zuerst geflohen, er ging allein nach Beirut und dann mit einem einfachen Boot Richtung Griechenland. Von da aus über Italien in die Schweiz. Und dort hat er für uns alles vorbereitet, die Asylgesuche und so. Wir konnten dann einen normalen Weg nehmen und mussten nicht mit Schleppern auf einem Boot fahren.

An Syrien erinnere ich mich kaum mehr. Ich weiss nur noch, dass alles arm war, sehr sehr arm. Und auch in Beirut war es nicht viel anders. Alles war vom Krieg verwüstet, als ich dort gespielt habe, auf Spielplätzen - da waren es nur Ruinen. Hier in der Schweiz bin ich, seit ich etwa zehn Jahre alt bin. Am Anfang konnte ich noch kein Wort deutsch. Aber nach anderthalb Jahren war ich schon so gut im Hochdeutsch, dass ich den Sprachkurs abbrechen konnte, und dann dauerte es nur noch ein halbes Jahr, bis ich auch Schweizerdeutsch sprechen konnte. Von da an habe ich dann meinen Wortschatz durch's Schreiben von Texten, durch Bücher und Gespräche erweitert.

VORWÄRTS: Wie ist man dir denn in der Schweiz begegnet? Wie hast du die Zeit hier erlebt?

SHENZO: Hier in der Schweiz war es ein anderer Krieg, ein mentaler Krieg. Nicht nur gegen die Ausländer, sondern auch unter ihnen selbst. Da sagt der eine zum anderen etwa "Nigger" oder "Terrorist". Als Araber war es einfach sehr schwierig. Zum Beispiel habe ich trotz guter Noten und fleissigen Bewerbungen, es waren mehr als 50, keine Lehrstelle bekommen. Erst durch sehr viel persönlichen Einsatz habe ich jetzt als Anlagen- und Apparatebauer meine Lehre bekommen.

Und ein anderes Beispiel, wie es dir hier als Ausländer geht, ist das: Einmal bin ich über einen Zebrastreifen gegangen und ein LKW musste anhalten. Der Fahrer hat dann rausgeschaut und gerufen: "Geh mal schneller, du Ausländer!" Das passiert nicht oft, aber vielleicht so zwei- oder dreimal im Monat. Und das genügt, um dich fertig zu machen.

VORWÄRTS: Wie bist du dann zur Musik gekommen?

SHENZO: Ich habe mit 13 mit der Musik angefangen, zusammen mit einem andren Kollegen, einem Albaner. Seine Eltern und meine kamen beide aus schlimmen Verhältnissen, also sehr arm. Wir wussten nicht, wie wir uns anders beschäftigen sollen, ausser Gewalt oder Fussball spielen. Und dann standen wir in einer Garage und er meinte, wir sollten anfangen zu rappen. Und das haben wir auch gemacht und ich habe es bis heute durchgehalten. Es ist einfach gut, die Wut so rauszulassen. Musik bedeutet für mich jetzt das, was für andere Fussball oder Thaiboxen ist. Den Stress und den Alltag einmal vergessen. Wenn ich Texte schreibe, dann fühlt sich das gut an.

VORWÄRTS: Aber deine Musik machst du ja nicht nur für dich. Man kann sie hören, andere können sie hören. Möchtest du etwas mit ihr erreichen?

SHENZO: Ich will für die Leute reden, für die sonst keiner spricht. Es gibt ja fast nur Gangsterrap von Gewalt. Aber nur ganz wenige erzählen wirklich Geschichten. Ich will meine Geschichte erzählen. Dann kann man sich erst mit mir identifizieren und wenn das geht, dann haben die Leute jemanden, der für sie spricht.

VORWÄRTS: Hat sich denn die Art, wie du Musik machst, im Laufe der Zeit verändert?

SHENZO: Ja, eindeutig. Meine Lieder waren anfangs nur aggressiv und menschenverachtend. Aber heute habe ich meinen eigenen Stil, inspiriert durch mein Leben. Mit 16 wollte ich etwas neues einführen. Ich habe das "Hardcore Secondo Rap" genannt. Gangsterrap und die Sachen, die aus Amerika oder Deutschland kamen, sind so ausgelutscht. Und ich wollte etwas, was sich ganz speziell auf die Schweiz bezieht. Wobei ich ja auch härtere Texte mache. Heute steht das nicht mehr so im Vordergrund, aber vielleicht kommt das wieder.

VORWÄRTS: Es fällt auf, dass in deinen Liedern immer wieder etwas Antirassistisches auftaucht. Du sprichst häufig an, dass es ganz egal ist, woher die Leute stammen. Ist das für dich ein wichtiges Element deiner Musik?

SHENZO: Ja. Ein Kollege von mir, der rappt, hat mir mal eine Frage gestellt. "Ich bin Albaner und du bist Araber. Ich bin dunkelhäutiger und du etwas heller. Aber was passiert, wenn man uns schneidet?" Da habe ich gesagt: "Blut kommt." Und er meinte nur: "Genau." Das werde ich nie vergessen, das hat mich inspiriert.

VORWÄRTS: Aber gleichzeitig, und das ist nicht hinnehmbar, tauchen in deinen Liedern immer wieder Ausdrücke wie "Schwuchtel" oder "schwul" als Beleidigung auf. Und auch Frauen sind in deinen Liedern entweder Schlampen oder Objekte, die du nimmst. Wieso?

SHENZO: Also, wenn ich zu jemandem Schwuchtel sage, dann nur, damit er sich beleidigt fühlt. Ich halte ihm den Spiegel vor, denn ich will die Leute provozieren. Ich selber halte nichts davon, vom schwul sein. Aber ich bin eigentlich nicht intolerant. Und was Frauen angeht, hat das einen besonderen Grund. Wo fast jeder zweite Haushalt geschieden ist, haben viele Frauen keinen Vater mehr zu Hause. Und dann fangen die mit 13 an zu trinken und zu kiffen und haben mit allen möglichen Männern Sex. Und gleichzeitig schreiben sie auf Facebook, sie seien keine Schlampen. Ich glaube, die Frauen, die sich davon getroffen fühlen, sind genau die, die ich meine.

VORWÄRTS: Das sind ziemliche Vorurteile. Aus Interesse: Wann hast du angefangen, zu trinken?

SHENZO: Ich habe mit 14 angefangen. Aber mittlerweile trinke ich nichts mehr und nehme auch keine Drogen und kiffe auch nicht mehr.

VORWÄRTS: Wie entstehen eigentlich deine Texte? Kannst du uns vielleicht etwas zu deinem letzten Lied "Thai Boxer Stadt" erzählen?

SHENZO: Das Lied hat eine ganz besondere Geschichte. Ein Kollege aus dem Musti Gym in Winterthur ist zweifacher Weltmeister im Thaiboxen und auch zweifacher Schweizer Meister. Und er hat mir erzählt, dass das Thaiboxen der Schweiz hier in Winterthur entstanden ist. Und das wollte ich ansprechen. Und es geht in dem Song auch nicht um Gewalt, sondern um die Energie die da im Training zusammenkommt. Und die wollte ich in Worte fassen. Und trotzdem musste ich noch etwas anderes ansprechen. "Die Leute kommen von überall, international, egal ob Ausländer, weiss oder schwarz, hass überfüllt die Leute." Diese Wut wollte ich reinbringen. Weil es in der Schweiz immer so aussieht, als sei alles Friede, Freude, Eierkuchen.

VORWÄRTS: In der Erklärung zu einem anderen Text schreibst du: "Fühlet de Produkt vo eui GSELLSCHAFT!" Wie siehst du denn die Chancen, diese Gesellschaft zu verändern?

SHENZO: Die sehe ich nur minimal. Und wenn, dann nur mit Musik und Kunst und so. Die Politik ist für mich nur ein grosses Geschäft. Und gleichzeitig verschwinden die Leute im Alkohol. Menschen, die wirklich sagen, was sie denken oder was sie sehen, gibt es nur wenige.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 43/44/2011 - 67. Jahrgang - 02. Dezember 2011, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2011