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VORWÄRTS/753: Staat und Repression


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.31/32 vom 9. September 2011

Staat und Repression

Von Johannes Supe


Wir sagen es immer und immer wieder: Der bürgerliche Staat bedarf der Repression um sich selbst zu erhalten. Der "vorwärts" betrachtet kritisch die Entwicklung der letzten Monate und zieht die entsprechenden Schlüsse aus der Situation.


In Zürich haben wir die Massenverhaftung von 543 Menschen (1. Mai); die Vernichtung von politischem Material durch die Polizei (2. Mai); das Auftreten einer gepanzerten und bewaffneten Polizei bei einer Schülerdemonstration, Einsatz von Pfefferspray gegen SchülerInnen (8. Juni); die Veröffentlichung von Fotos verdächtiger "Chaoten" durch die Polizei (18. Juli); die Veröffentlichung von Fotos von "Hooligans" (August).

In Bern gab es die Verabschiedung des "Sozialhilfegesetzes, welches es ermöglicht, BezügerInnen auszuhorchen und auszuspionieren (März); die gewaltsame Auflösung der Anti-Repressions-Demonstration und 180 Verhaftungen (4. Juni); die polizeiliche Räumung des "AKW-Ade-Camps" (21. Juni). Ja, in der Tat: es gibt sie, die Repression und es gibt sie noch weit massenhafter, als hier aufgezählt wurde. Von wem kommt sie, gegen wen geht sie, weshalb wird sie gebraucht?


Wer

Man kann die Frage des "wer?" auf Einzelne richten. Dann müsste man einen Leupi (Grüne), eine Regula Rytz (Grüne) oder einen Tschäppät (SP) hervorheben. Von ihnen ist im "vorwärts" schon weithin berichtet worden, weniger von all den Einzelnen, die hinter ihnen stehen und sie rechtfertigen. Doch geht man von der Ebene des Einzelnen zu der des Besonderen, so dürfen wir sagen, dass es Sozialdemokratie und Grüne sind, in allen von uns betrachteten Fällen, die jeweils Repression aufbauten, beschlossen. Allgemeiner aber ist die Repression staatlich. SP und Grüne agieren im Rahmen des Staates. Die Repression, die sie beschliessen, kann nur im Rahmen des Staates und durch den Staat, seine Organe wie etwa die Polizei, verwirklicht werden. In diesem Sinne sprechen wir also von staatlichem Handeln; die Repression ist immer Ausdruck des Staates.


Weshalb

"Da der Staat entstanden ist aus dem Bedürfnis, Klassengegensätze im Zaum zu halten, da er aber gleichzeitig mitten im Konflikt dieser Klassen entstanden ist, so ist er in der Regel Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse, die vermittelst seiner auch politisch herrschende Klasse wird und so neue Mittel erwirbt zur Niederhaltung und Ausbeutung der unterdrückten Klasse." Friedrich Engels bringt es hier auf den Punkt. Der Staat dient der Niederhaltung der unterdrückten Klasse durch die unterdrückende Klasse. So - und so allein - wird klar, welchem Zweck die staatliche Repression dient ("Niederhaltung der unterdrückten Klasse"), gegen wen sich die Repression richtet (wir werden es gleich betrachten) und es wird auch klar, weshalb es so auffallend oft die "rot"-grünen sind, die diese Niederhaltung betreiben. Man mag es drehen, wie man will, aber Sozialdemokratie und Grüne Partei haben nicht den Anspruch, die bürgerliche Gesellschaft zu sprengen. Sie selbst sind, in ihrem Kern, bürgerlich. Und sie nehmen eine wichtige Rolle in dieser Gesellschaft ein. Sie gliedern einerseits Teile des Kleinbürgertums und, im Moment wohl wichtiger, der fortschrittlichen Intelligenz in das System ein. Das macht sie zur einzigen Kraft, die diese Form der Repression überhaupt durchsetzen konnte. Hätten nämlich, beispielsweise, CVP und FDP die selben Repressionsmassnahmen angewandt, dann wäre es eben jene fortschrittliche Intelligenz gewesen, die den entschiedensten Widerstand geleistet hätte. So aber, vermittelst SP und Grüner, ist es dem Staat möglich, eine immer härtere, immer häufiger werdende Verfolgung und Verhaftung und damit Niederhaltung vorzunehmen - fast ohne jeden Widerstand.


Wen

Man trifft den Hooligan, man meint aber all jene, die Widerstand leisten können, somit auch den Arbeiter. Das in etwa dürfte das Prinzip der jetzigen Repression sein. Einige militante Linke, einige UmweltaktivistInnen, daneben brachiale Fussballfans und, als bisher grösste Gruppe, die SozialhilfebezügerInnen. Das sind die, die die jetzige Repression zu spüren bekommen. Das sind allerdings auch die, die der Staat wohl am wenigsten fürchten muss. Sie sind keine "Klasse" im eigentlichen Sinn und entsprechend mangelt es ihnen an (auch ökonomischer!) Schlagkraft. Warum also sie schlagen? Um eine grössere Repression gegen weit mehr vorzubereiten. Die Klasse, die da eigentlich gemeint ist, nämlich die Arbeiterklasse, an die wagt man sich noch nicht offen heran. Man greift stattdessen mal mehr, mal weniger progressive, aber vereinzelte Elemente der Gesellschaft an. So sieht eine gute Vorbereitung aus. Vorbereitung, etwa um "griechische Verhältnisse" besser abwehren zu können. Um gerüstet zu sein, wenn die sozialen Verschlechterungen, die wir allenthalben hinnehmen müssen, auch für die breite Masse spürbar werden. Repression heute, sie dient der Niederhaltung des Widerstands von morgen. Wer immer auch in Zukunft Widerstand leisten wird, er oder sie wird es mit einer Repression zu tun bekommen, die stärker ist, weil sie jetzt nicht verhindert wurde.


Selbstverpflichtungen

Zweierlei wird der "vorwärts" tun. Er wird mit denen brechen, die Repression anwenden, denn er erkennt, dass sie sich gegen die Bewegung, gegen die "andere Gesellschaft" stellen, dass sie objektiv gegen die Arbeiterschaft kämpfen. Und der "vorwärts" wird die Frage der Repression wieder vermehrt aufgreifen, bearbeiten, verständlich machen, kritisieren. Nach seinen Kräften wird er Auswege aufzeigen. Eines ist klar: Widerstand ist nur durch die übergreifende Solidarität mit den Betroffenen möglich!


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32/2011 - 67. Jahrgang - 9. September 2011, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2011