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VORWÄRTS/744: Wie die Nationalbank die Wirtschaft (nicht) rettete


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 25/26 2011 vom 8. Juli 2011

Wie die Nationalbank die Wirtschaft (nicht) rettete

Von Thomas Schwendener


Mit verschiedenen ökonomischen Massnahmen versuchte die Schweizer Nationalbank in den vergangenen Monaten und Jahren die Wirtschaft zu stabilisieren - auf Kosten ihres Budgets. Nun hat sie ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten. Einen Ausweg aus dem aktuellen wirtschaftlichen Dilemma scheint es innerhalb des Kapitalismus kaum zu geben.


Das erste Mal seit ihrer Gründung im Jahre 1906 schüttet die "Schweizer Nationalbank" (SNB) dieses Jahr kein Geld mehr an die Kantone aus. Die insgesamt 2,5 Milliarden Franken, von denen die Kantone zwei Drittel für sich beanspruchen konnten, machen immerhin zwischen 2 und 3 Prozent ihrer gesamten Einnahmen aus. Für Zürich bedeutet dies, dass der Kanton 290 Millionen Franken weniger an Einnahmen verbuchen kann. Zusammen mit den Mindereinnahmen durch die Unternehmenssteuerreform II - die sich auf bis zu 200 Millionen Franken belaufen dürften - muss mit grössere Budgeteinschrankungen gerechnet werden. Die aktuelle Sparpolitik des Kantons bei Sozial- und Gesundheitsleistungen aber auch im Bildungsbereich dürfte sich damit in Zukunft nochmals zuspitzen. Damit schlagen die Vorgänge im hochkomplexen Finanzbereich einmal mehr auf die Lohnabhängigen durch. Denn es ist nicht damit zu rechnen, dass sich in den Räten Mehrheiten finden lassen, um die Unternehmen wieder stärker zu besteuern.


Leere Kassen

Die SNB hat für ihre Zuwendungen schlicht kein Geld mehr in der sogenannten Ausschüttungsreserve. Es war die Nationalbank, die im Jahr 2008 der UBS ihre faulen Ramschpapiere für rund 60 Milliarden abkaufte und die Bank damit vor dem Untergang rettete (allerdings konnte sie mit diesen Papieren zwischenzeitlich etwas Gewinn machen). Zudem hält die SNB griechische Staatsanleihen in unbekannter Höhe und kaufte für geschätzte 120 Milliarden Franken Euros auf, die unterdessen stark an Wert verloren haben. Diese Devisenmarktintervention unternahm die Bank, um den Franken vor seinem für die Exportindustrie schädlichen Höhenflug zu bewahren. Zusätzlich ist der Leitzins - also der Zins zu welchem Geschäftsbanken bei der Nationalbank Kredite aufnehmen können - mit 0,25 Prozent extrem niedrig und es wurde erst kürzlich beschlossen, ihn beizubehalten um den Schweizer Franken gegenüber dem Euro nicht noch weiter zu stärken. Dies dürfte sich in den Geschäftsbüchern der SNB auch nicht positiv niederschlagen. Die Bank, die sich vom "Gesamtinteresse des Landes leiten lassen, als vorrangiges Ziel die Preisstabilität gewährleisten und dabei der konjunkturellen Entwicklung Rechnung tragen" muss, gerät nun selbst ins Wanken. Eine UBS-Rettungsübung wie vor zwei Jahren wäre kaum mehr möglich - und das während die SNB die beiden Schweizer Grossbanken UBS und CS wegen ihrer mangelnden Eigenkapitaldeckung als tickende Zeitbomben betrachtet. In Krisenzeiten, in denen rund um das und auch im Land immer wieder ökonomische Verwerfungen zu verzeichnen sind, wird die Luft für eine Bank, die sich der Stabilität einer Volkswirtschaft verschrieben hat, zunehmend dünner. Zwar kann die SNB nicht in Konkurs geraten, da sie notfalls Geld drucken kann. Doch dies würde längerfristig zur Inflation führen, welche dann wiederum von der Nationalbank bekämpft werden müsste.


Verlagerung der Probleme

Es ist längst bekannt, dass die Wirtschaftswissenschaft keine exakte Wissenschaft ist, sondern eher dem Gottesdienst in der streng dogmatischen Kirche ähnelt. Und so kann es auch nicht erstaunen, dass die sogenannten ExpertInnen je nach ideologischer Schule ganz unterschiedlicher Ansicht bezüglich den SNB-Massnahmen sind. Bloss eines eint die PriesterInnen der Wirtschaftswelt: Sie bleiben an der Oberfläche der Geldströme kleben und haben keinen Begriff von der Produktion von Mehrwert und den damit zusammenhängenden Profitraten. Seit dem offenen Ausbruch der sogenannten Subprime-Krise in den USA im Jahre 2008 gleichen die staatlichen Eingriffe und die Ratschläge der ExpertInnen einer einzigen, riesigen Feuerwehrübung. Kaum hat man das Feuer an einem Ort gelöscht, bricht es anderswo wieder aus. Die platzenden Blasen der Finanzökonomie kriegten die Staaten und ihre Nationalbanken nur auf Kosten einer enormen Erhöhung der ohnehin astronomischen Staatsverschuldung und faktischen Abschreibungen bei den Nationalbanken wieder halbwegs in den Griff Wobei vermehrt Stimmen laut werden, die darauf hinweisen, dass die Banken heute im gleichen Stil weiterwirtschaften und die nächsten Blasen zu plätzen drohen. Damit hat sich die Krise erstmal einfach verlagert: Heute sind es die Staaten und ihre nationalen Banken - aktuell ganz akut etwa Griechenland - die vor einem riesigen Schuldenberg stehen, den die Staaten immer nur abtragen können, indem sie neue Schulden zur Zinsdeckung aufnehmen. Das ging zwar über Jahre gut, aber wenn die kürzlich geretteten Finanzinstitute den Rating-Agenturen folgen, welche die entsprechenden Titel stark abwerten, dann kriegen die Staaten die notwendigen Finanzmittel nicht mehr zusammen oder müssen exorbitante Zinsen tragen. Griechenland müsste zum Beispiel für zweijährige Staatsanleihen 25 Prozent Zinsen bezahlen.


Der Kern der Krise

Wie es überhaupt zu diesen Problemen gekommen ist, lässt sich letztlich nur erklären, wenn man auf den Ursprung der Krise und ihren eigentlichen Kern zurückgeht: Auf die sinkenden Profitraten und die damit verbundenen Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Das Problem hat seinen Ursprung darin, dass sich das konstante Kapital (vor allem die Maschinerie) im Gegensatz zur Arbeitskraft mit der technischen Entwicklung ständig erhöhte und so immer mehr Kapital vorgeschossen werden musste, um überhaupt einen Arbeiter oder eine Arbeiterin zu beschäftigten ergo auszubeuten. Damit sinken einerseits die Profitraten, weil immer weniger Mehrwert produzierende Arbeitskraft im Verhältnis zum Maschinenpark vernutzt wird. Andererseits dehnt sich der Kreditsektor auf allen Ebenen aus, weil die für die Produktion aufgewendeten immensen Summen immer weniger aus den Profiten beglichen werden können. So wurde zur Mehrwertproduktion immer stärker auf künftige Mehrwerte vorgegriffen - in Form des Kredits. Die Finanzspekulation lebt eben in letzter Instanz von der Spekulation auf künftigen Mehrwert und das kann nur gut gehen, solange die reale Wirtschaft wächst und man mit dem produzierten Mehrwert die Kredite sukzessive bedienen kann. Diese Möglichkeit wurde und wird aber mit der Wegrationalisierung von Arbeitskräften zunehmend untergraben. Die kreditfinanzierte Konjunktur wuchs so ins Unermessliche: Über allerhand Kredite wurde eine substanzlose Nachfrage am Leben erhalten, die nicht mehr auf reellen Gewinnen und Löhnen beruhte, sondern durch faule Kredite und die Finanzblase getragen wurde. Das Platzen der Blase im Jahr 2008 mit den Konkursen verschiedener grosser Geldinstitute zeigte, dass die vom Kredit angetriebene Blasen-Wirtschaft an ihre Grenzen gestossen war, und die von ihr abhängige und in sie verstrickte sogenannte Realwirtschaft mit sich zu reissen drohte.

Die Defizitkonjunktur konnte noch nicht mal mit den zusätzlichen Milliarden der Nationalbanken wieder gleich angetrieben werden. Es konnten lediglich die Geldinstitute über Wasser gehalten werden. Zusätzliche staatliche Konjunkturprogramme konnten den Absturz zwar aufhalten, verlagerten aber bloss die Krise von den Geldmärkten hin zu den Staatsfinanzen. Die zweckoptimistischen Entwarnungen von den sogenannten ExpertInnen, die sich von Monat zu Monat hangeln, verkennen den Kern der Krise. Dieser ist eben in der strukturellen Verwertungskrise des Kapitals zu suchen. Und so stehen der Schweizer Staat und die ihm angeschlossenen Finanzinstitute wie die SNB vor einem unlösbaren Dilemma: Egal, welche ökonomischen Massnahmen sie ergreifen, sie werden die innere Logik der Krise nicht überwinden können. Unter diesen Umständen ist es für die ExpertInnen ein Leichtes, ihre Kritik vorzubringen und einigermassen gut dazustehen. Doch eine wirkliche Lösung des Problems ohne gesellschaftliche Verwerfungen und eine riesige Kapitalentwertung ist auch mit ihren Patentrezepten innerhalb des bestehenden Systems nicht zu haben.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26 2011 - 67. Jahrgang - 8. Juli 2011, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2011