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VORWÄRTS/714: "Bread and Roses" - Eine Liebeserklärung an die Gewerkschaft


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12/2011 vom 25. März 2011

Eine Liebeserklärung an die Gewerkschaft


jos. Wieder organisierte der revolutionäre Aufbau eine Filmvorführung: Mit "Bread and Roses" wurden die Lage mexikanischer Einwanderer und eine besondere Form der gewerkschaftlichen Arbeit thematisiert. Eine Filmkritik.


"Brot und Rosen!", auf diese prosaische Formulierung brachten es die ArbeiterInnen im Textilstreik in Lawrence, Massachusetts 1912. "Bread and Roses" bezieht sich explizit auf diesen Arbeitskampf und zeigt doch etwas anderes: Protagonistin Maya wird illegal von Mexiko in die USA geschmuggelt. Dort angekommen findet sie mit ihrer Schwester Rosa einen Job in der Reinungsfirma Angel. Doch dort herrschen himmelschreiende Zustände, denn zu einem Hungerlohn, ohne Krankenversicherung und Urlaub müssen die vorwiegend weiblichen Reinigungskräfte unter der Knute ihres despotischen Aufsehers Perez arbeiten. Als sich die Gewerkschaft SEIU in Form des sympathischen Aktivisten Sam einschaltet, nehmen die ArbeiterInnen den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen auf.


Zwischen Fiktion und Realität

Fall und Personen sind erfunden, dennoch gibt es einen Anspruch auf Authentizität: Die Grundlage des Films bilden Recherchen über die Gewerkschaft SEIU und deren "Justice for Janitors"-Kampagne (Gerechtigkeit für Reinigungskräfte). Auch die Lage der illegalen mexikanischen Einwanderer folgt eng der Realität. Damit sind die beiden Schwerpunkte des Films klar abgesteckt: Es geht einerseits um das "Organizing" als besondere Taktik von SEIU und andererseits um Mayas und Rosas Lebenssituation. Demgegenüber stehen Liebesgeschichte und Erzählung über zwei ungleiche Schwestern als fiktiver Part des Films.


Politischer Anspruch...

Lehrreich ist der Film da, wo er sich auf das Organizing bezieht. Diese Form der Gewerkschaftsarbeit setzt weniger auf den konkreten Arbeitskampf, als vielmehr auf die Aktivierung des öffentlichen Interesses. In diesem Sinne "streiken" die ArbeiterInnen im Film auch nicht; ihre Aktionen sind auf Medienwirksamkeit getrimmt. Es wird gezeigt, wie die Reinigungsangestellten eine Party von Prominenten sprengen, wie sie Kreuzungen blockieren und öffentlich den Besitzer des Bürogebäudes, in dem sie arbeiten, blossstellen. Geleitet und beraten werden ihre Aktionen dabei von Sam, dem Aktivisten. Die Reduzierung auf eine, oder zwei Person(en) ist aber nicht bloss ein filmisches Mittel: Organizing beruht auf dem intimen Zusammenarbeiten von sehr wenigen Aktivisten mit den Arbeiter(inne)n. Es ist das Grundkonzept dieser Methode, dass sich Beziehungen zwischen den Gewerkschaftern, die aktiv den Kampf begleiten, und den Arbeiter(inne)n entstehen. In dieser Hinsicht ist der Film nicht nur realistisch, er ist auch geradezu grandios, da er es schafft, diese Arbeitsform richtig einzufangen und wiederzugeben. Anzumerken ist, dass der gesamte Film von einem Grundoptimismus geprägt ist; sowohl den Arbeiter(inne)n wie auch dem Konzept des Organizing wird viel Sympathie entgegengebracht. Allerdings soviel, dass das Konzept in keiner Hinsicht in Frage gestellt wird. Doch auch das wäre notwendig, denn Organizing bedeutet grösstenteils den Verzicht auf das eigentliche Kampfmittel der Schaffenden: den Streik. Ironisch ist das in Hinsicht auf die selbstgewählte Anlehnung an den Streik von 1912, der ja genau das war: ein Streik. Hiermit soll nicht das Organizing als Konzept abgelehnt werden - auf keinen Fall, denn es beruht auch auf der sehr positiv zu bewertenden Mobilisierung der Basis -, es muss aber die Frage aufgeworfen werden, inwiefern es immer eine adäquate Form des Arbeitskampfes ist.


...und filmische Realität

Ganz andere Fragen stellen sich gegenüber dem Film als Film. Allen voran: Funktioniert er? "Bread and Roses" ist kein Dokumentarfilm: Er gibt sich Mühe, den Sehgewohnheiten einer grossen Masse von Leuten zu entsprechen. Diesem Bemühen sind wohl auch Liebesgeschichte und Komikelemente im Film geschuldet. Dass man trotzdem versucht, einen ernsten Hintergrund zu vermitteln, sollte deshalb positiv gesehen werden. Dennoch ist auch Kritik berechtigt: Die starken emotionalen Momente des Films, die ausschliesslich tragischer Natur sind, werden fast augenblicklich aufgelöst durch heitere, strahlende Bilder. Wir hören die erschreckende(!) Geschichte von Rosa - nur eine Szene später folgt eine der witzigsten Sequenzen des Films. Wir erleben das gewaltsame Ende einer Demonstration mit - danach wird eine Party gefeiert. Dieser enorm rasche Wechsel von Bildstil und Thematik raubt dem Film einiges an Potential, denn es lässt den Zuschauenden ratlos zurück: Wie ernst ist das Gezeigte denn nun gemeint?

Eine andere Schwäche des Films liegt darin, dass er gleichzeitig Lovestory und Arbeitergeschichte, Schwesternschicksal und Gewerkschaftsabbildung ist. In den 110 Minuten des Films wird derart viel erzählt, dass einiges zu schnell oder zu oberflächlich abgehandelt wird. Da werden die Spannungen innerhalb SEIU nur angedeutet und das schwierige Werben für den Kampf der ArbeiterInnen hat über Nacht Erfolg.

Trotz dieser Schwierigkeiten ist der Film sehenswert. Politisch allemal und für einen (gemeinsamen) Filmabend eignet er sich auch - über dem Niveau des üblichen Hollywoodmists liegt er alleweil.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12/2011 - 67. Jahrgang - 25. März 2011, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2011