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VORWÄRTS/708: Biopiraterie


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 47/48/2011 vom 22. Dezember 2010

Biopiraterie


ata. Unser Speisezettel hier im reichen Norden sehnt sich immer mehr nach Abwechslung. Um eine breite Auswahl zu gewährleisten, ist man auf genetische Ressourcen aus den Ländern des Südens angewiesen. Menschen, welche diese biologische Vielfalt teilweise über Jahrtausende bewahrten, werden dabei meist betrogen.


Seit Jahrtausenden nutzt der Mensch genetische Ressourcen, also Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen. Tiere und Pflanzen bilden die Grundlage unserer Ernährung, Medizin und Kosmetik. Der zeitgenössische euro-atlantische "homo oeconomicus" holt sich diese Ressourcen mittlerweile meist aus anderen Kontinenten und macht damit Profit. Diese Ausbeutung in globalem Ausmass, verbunden mit der Unterdrückung von Völker, geht auf die Zeit der Entdeckungen im 15. und 16. Jahrhundert zurück.

Heutzutage geschieht dies durch weltweit agierende Konzerne, welche immer häufiger Patente auf genetische Ressourcen anmelden. Ziel ist es, den Genpool als Rohmaterial industriell zu nutzen. Der Schweizer Agrokonzern Syngenta versuchte mit mehreren Patenten fast das gesamte Reisgenom zu monopolisieren, was zum Glück abgelehnt wurde. Ausser Syngenta gibt es aber viele weitere Unternehmen, die genetische oder biologische Ressourcen patentieren und nutzen, ohne die Zustimmung des Herkunftslandes, der lokalen Gemeinschaften und der indigenen Völker, die die Ressourcen bisher züchteten und nutzten. Oft gelingt ihnen dieser Diebstahl folgenlos, denn die Beweislast liegt auf den Schultern der Betrogenen. Diese haben oft weder das juristische Wissen noch das nötige Geld, um eine Nachprüfung eines Patentes zu veranlassen.


Fairness

Die Bestandteile der Biodiversität (biologische Vielfalt) sind die Artenvielfalt, die genetische Vielfalt und die Vielfalt von Ökosystemen. Sie bezieht sich also auf alle Aspekte der Vielfalt in der lebendigen Welt. Die bereitgestellte Leistung der Biodiversität ist eine Grundlage für das menschliche Wohlergehen, weshalb ihre Erhaltung von besonderem Interesse ist. Die Erhaltung der biologischen Vielfalt wird zudem durch die Biodiversitätskonvention eng an die Gerechtigkeitsfrage gekoppelt. Nur wenn auch die biodiversitätsreichen Entwicklungsländer gerecht von der Nutzung der genetischen Ressourcen profitieren, werden sie den politischen Willen und die finanziellen Möglichkeiten aufbringen können, die Vielfalt zu erhalten und nachhaltig zu nutzen.

In der Konvention wurden die Bedingungen für den Zugang und die Aufteilung der Vorteile definiert. Das Prinzip ist einfach: Die Ursprungsländer und allenfalls die indigene Bevölkerung sollen um Erlaubnis für den Zugang zu Ressourcen angefragt werden. Danach wird ein Vertrag ausgehandelt, durch welchen die Ressourcengeber in einer gerechten und ausgewogenen Weise am Nutzen der Verwertung partizipieren können. Beim Nutzen kann es sich genauso gut um einen kommerziellen Gewinn, als auch um eine wissenschaftliche Erkenntnis handeln. Mittlerweile haben praktisch alle Staaten der Erde die Konvention ratifiziert. Ausnahmen sind Nordkorea,der Vatikan und die USA. Mit der Umsetzung hapert es gewaltig. Und zwar im Süden wie im Norden. Viele Entwicklungsländer standen zuerst in der Kritik, da sie die entsprechenden Gesetzgebungen nur langsam erarbeiteten. Diese Situation führte zu einer unklaren Rechtslage, was den Zugang für viele erschwerte. Die Industrieländer, so wie die Schweiz, haben die betreffenden Artikel noch weniger in ihr Recht übertragen. Dadurch hatten die Biopiraten bei der Patentierung und Kommerzialisierung ihrer Produkte in den Nutzerländern freie Bahn.


Biopiraterie

Als Biopiraterie bezeichnet man die unrechtmässige Aneignung genetischer Ressourcen und/oder des damit verbundenen traditionellen Wissens. Man kann zwei Formen der Biopiraterie unterscheiden: Bei der einen besitzt man einen legalen Zugang zu Ressourcen und meldet ein Patent ohne Neuheit an oder begeht vorsätzlich Vertragsbruch. Das Patentsystem verfügt über ungenügende Kontrollmöglichkeiten, um solche unrechtmässigen Patente bereits bei der Einreichung zurückzuweisen.

Im anderen Fall verfügt man über einen illegalen Zugang zu den genetischen Ressourcen. Ein illegaler Zugang heisst konkret: Keine auf Kenntnis der Sachlage begründete Zustimmung der ressourcengebenden Partei und keine gerechte Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen oder des traditionellen Wissens ergeben. Meldet man dann noch ein Patent mit oder ohne Neuheit an, zieht man einen kommerziellen Nutzen oder benützt man die Ressourcen, respektive das traditionelle Wissen, für die Forschung, so wird auch hier von Biopiraterie gesprochen.

Zur Bekämpfung von Biopiraterie, unter der ganze Bevölkerungsgruppen leiden, braucht es Kontrollen. Es muss kontrollierbar sein, ob der Zugang zu den verwendeten Ressourcen legal war. Das kann geschehen, wenn zum Beispiel bei der Patentanmeldung der legale Zugang zu den verwendeten Materialien bescheinigt wird. Um diese Kontrolle zu vereinfachen, soll das neue Regime ein international anerkanntes Zertifikat beinhalten, welches den legalen Zugang bescheinigt und die genetische Ressource auf ihrem Weg um die Welt begleitet. Denn es kann nicht sein, dass weiterhin stillschweigend Diebstahl an über Jahrhunderte erworbenem Wissen und biologischer Vielfalt begangen wird.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 47/48/2010 - 66. Jahrgang - 22. Dezember 2010
Sonderbeilage Ökologie, S. 15
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2011