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VORWÄRTS/678: Warum nicht "zäme"?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 33/34/2010 vom 10. September 2010

INLAND
Warum nicht "zäme"?

Redaktion. Es ist eine alte, linke Forderung nach mehr Demokratie, wenn das Stimm- und Wahlrecht für AusländerInnen verlangt wird. Eine Forderung, die viele Fragen aufwirft. Wie die Antworten dazu lauten, haben unter anderem die Genossinnen der PdA Bern bestens erarbeitet.



Am 26. September wird in Bern über die Initiative "zäme läbe, zäme schtimme" abgestimmt. Siehe dazu auch den Beitrag von Willi Egloff unten auf dieser Seite mit dem gleichnamigen Titel der Initiative. Der PdA Bern als initiierender Kraft ist es dank ihrer Beharrlichkeit gelungen, ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, politischen Parteien und Interessenorganisationen für die Initiative zu gewinnen. Und das Initiativkomitee hat ganze Arbeit geleistet, Kompliment!

Sie haben das Argumentarium mit Fragen und Antworten aufgebaut, sodass die ganze Thematik rund um das Ausländerstimmrecht bestens beleuchtet wird.


FRAGE: Wie hoch ist der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer, die seit zehn Jahren in der Schweiz wohnen? Wie viele Personen sind dies in Bern?

ANTWORT: Von den 1,6 Millionen Ausländerinnen und Ausländern wohnen eine Million seit zehn oder mehr Jahren in der Schweiz oder sind in der Schweiz geboren. Rund 1,1 Millionen haben eine Niederlassungsbewilligung. Im Kanton Bern gibt es auf rund 965000 Einwohnerinnen und Einwohner rund 125.000 Ausländerinnen und Ausländer. Davon leben etwa 80.000 seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz.

FRAGE: Wie viele Personen würden bei einer Annahme der Initiative das Stimmrecht erhalten?

ANTWORT: Durch die Annahme der Initiative allein würde noch kein einziger Ausländer und keine einzige Ausländerin das Stimmrecht erhalten. Vielmehr müsste zunächst die Wohnsitzgemeinde beschliessen, für ihr Gebiet dieses Stimmrecht einzuführen. Wie viele Personen davon betroffen wären, ist je nach Gemeinde sehr unterschiedlich. Am meisten, schätzungsweise etwa 12.000 Personen, wären es in der Stadt Bern, etwa 6.000 in der Stadt Biel.

FRAGE: Welche Länder in Europa kennen das Ausländerstimmrecht?

ANTWORT: Alle EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, den Angehörigen anderer EU-Staaten das Stimmrecht in kommunalen Angelegenheiten zu gewähren. Verschiedene Staaten gewähren dieses Recht auch Angehörigen anderer Länder. Auch im EFTA-Staat Norwegen sind die Ausländerinnen und Ausländer in kommunalen Angelegenheiten stimmberechtigt.

FRAGE: Wo gibt es in der Schweiz ein Ausländerstimmrecht?

ANTWORT: Die Kantone Neuenburg und Jura kennen das Ausländerstimmrecht auf kommunaler und kantonaler Ebene, die Kantone Freiburg, Genf und Waadt auf kommunaler Ebene. In den Kantonen Appenzell Ausserrhoden und Graubünden können die Gemeinden das Ausländerstimmrecht für kommunale Angelegenheiten einführen. Ausserdem besteht das Ausländerstimmrecht in einem grossen Teil der öffentlich-rechtlichen Kirchgemeinden der Schweiz.

FRAGE: Warum führen die Städte dieses Ausländerstimmrecht nicht einfach ein?

Die Gemeindeparlamente der Städte Bern, Biel und Moutier haben sich, teilweise mehrfach, für das Stimm- und Wahlrecht der bei ihnen wohnenden Ausländerinnen und Ausländer ausgesprochen. Sie können es aber auch für ihre eigenen Behörden nicht einführen, da die Kantonsverfassung dies verbietet. Damit ein Stimm- und Wahlrecht auf Gemeindeebene möglich wird, muss daher die Kantonsverfassung so geändert werden, wie dies die Initiative verlangt.

FRAGE: Sollte die Erteilung des Stimmrechts nicht eher an die Einbürgerung gebunden sein?

ANTWORT: Demokratie besteht darin, dass diejenigen direkt oder indirekt Entscheide fällen, die von diesen Entscheidungen betroffen sind. Praktisch alle staatlichen Erlasse beziehen sich auf die Wohnbevölkerung. Es gibt - abgesehen von Wahl- und Militärgesetzen - praktisch keine Erlasse, die nur Schweizerinnen und Schweizer betreffen. Es ist daher nur logisch, wenn sich das Stimmrecht nach dem Wohnort, nicht nach der Staatsangehörigkeit richtet.

FRAGE: Führt dies nicht dazu, dass einzelne Leute im Inland und im Ausland stimmberechtigt sind?

ANTWORT: Das kann tatsächlich vorkommen. Es ist beispielsweise für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer der Fall, die in ihrem Wohnsitzstaat stimmberechtigt sind, weil sie auch in der Schweiz auf nationaler Ebene abstimmen und wählen können. Allerdings ist eine Teilnahme an Abstimmungen auf kommunaler Ebene in aller Regel nur für Leute möglich, die an diesem Ort Wohnsitz haben. So dürfen auch Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in kommunalen Angelegenheiten nicht mitstimmen.

FRAGE: Warum wird von Ausländerinnen und Ausländern, die stimmen wollen, nicht verlangt, dass sie sich einbürgern lassen?

ANTWORT: Der Wechsel der Nationalität hat in vielen Fällen Auswirkungen weit über den Erwerb des Stimmrechts hinaus. Viele Länder entziehen ihren Staatsangehörigen die Nationalität, wenn sie eine andere erwerben. Dies kann bedeuten, dass diese Leute ihr eigenes Herkunftsland und die noch dort wohnenden Familienangehörigen nur noch mit einem Visum oder gar nicht mehr besuchen können. Andere Länder verbieten den Grundbesitz von Ausländerinnen und Ausländern, was bei einem Wechsel der Nationalität zum Verlust von Eigentum im Herkunftsland führen kann. Es ist unfair, die Erteilung des Stimmrechts mit solch schwerwiegenden persönlichen Nachteilen zu verbinden.

FRAGE: Warum setzen sich gerade die Städte für das Ausländerstimmrecht ein?

ANTWORT: In den Städten ist der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer an der Wohnbevölkerung grösser als in den Landgemeinden. Die Städte spüren daher als erste, dass sie durch die fehlenden politischen Rechte eines erheblichen Teils der Bevölkerung in ihrem demokratischen Funktionieren behindert werden. Gerade für die Planung und Durchführung von Schul- oder Integrationsprojekten wären sie eigentlich auf die Kompetenzen des ausländischen Bevölkerungsteils angewiesen, können diese aber nicht nutzen, weil diese Personen nicht in politische Gremien wie Schul- oder Vormundschaftskommissionen wählbar sind.

FRAGE: Wie hat sich die Einführung des Ausländerstimmrechts auf die Abstimmungsergebnisse in den Gemeinden ausgewirkt?

ANTWORT: Die Erfahrung in den Kantonen, welche das Ausländerstimmrecht in den letzten zehn Jahren eingeführt haben, zeigen, dass die Stimmbeteiligung der Ausländerinnen und Ausländer bei den ersten Abstimmungen unter derjenigen der Schweizerinnen und Schweizer liegt, sich dieser aber nach wenigen Jahren angleicht. Auch das übrige Abstimmungsverhalten weicht nicht in messbarer Weise von demjenigen der Schweizerinnen und Schweizer ab. Eine Verschiebung der politischen Gewichte lässt sich daher nicht beobachten, was allerdings auch schon im mehrheitlich geringen prozentualen Anteil der neu Stimmberechtigten begründet ist.


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"Zäme läbe, zäme schtimme"

Von Willi Egloff


Am 26. September wird im Kanton Bern über die Initiative "Zäme läbe, zäme schtimme" abgestimmt. Die Initiative will den Gemeinden des Kantons Bern das Recht einräumen, das kommunale Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer einzuführen. Die PdA Bern war - zusammen mit dem Gewerkschaftsbund des Kantons - an der Lancierung und. am Zustandekommen der Initiative massgeblich beteiligt.



"Zäme läbe, zäme schtimme"

In einer Demokratie sollen diejenigen die politischen Entscheide treffen, welche von ihnen betroffen sind. Auf Gemeindeebene sind das die Leute, die in der jeweiligen Gemeinde wohnen. Deshalb muss die höchste Instanz der Gemeinde die Wohnbevölkerung sein, sei es in Form einer Gemeindeversammlung, sei es in Form von Urnenabstimmungen.


Undemokratisch und dumm

Zur Wohnbevölkerung gehören auch die Ausländerinnen und Ausländer. Es wäre daher logisch und gerecht, dass auch sie in Gemeindeangelegenheiten stimm- und wahlberechtigt sind. Das sieht der Regierungsrat des Kantons Bern ebenfalls so: Er empfiehlt die Initiative "Zäme läbe, zäme schtimme" zur Annahme. Auch in unsern Nachbarkantonen Freiburg, Jura, Neuenburg und Waadt können Ausländerinnen und Ausländer auf kommunaler Ebene stimmen. Der Grosse Rat mit seiner bürgerlichen Mehrheit will das nicht. Er will den Gemeinden weiterhin verbieten, die Ausländerinnen und Ausländer am politischen Leben zu beteiligen. Das ist nicht nur undemokratisch, sondern auch dumm. Viele Gemeinden haben Mühe, für ihre Planungs-, Schul- und sonstigen Kommissionen genügend qualifizierte Leute zu finden. Qualifizierte Ausländerinnen und Ausländer, die in diesen Gemeinden wohnen, dürfen nicht gewählt werden, selbst wenn sie zur Mitarbeit bereit sind. Sogar Ausländerkommissionen müssen mit Schweizerinnen und Schweizern besetzt werden! Die gleichen Parteien, die ihre Politik auf dem Rücken der Ausländerinnen und Ausländer machen, verweisen nun plötzlich auf die Möglichkeit der Einbürgerung. Das ist aber gar nicht die Frage, die sich stellt. Wir stimmen ja nicht an unserem Heimatort ab, sondern am Wohnort. Stimm- und Wahlrecht beziehen sich in einer Demokratie nicht auf die Herkunft, sondern auf politische Mitwirkung am Ort, an dem wir leben.


Mehr Demokratie

Die Annahme der Initiative würde einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Demokratie leisten und wäre ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit. Sie würde auch den Gemeinden helfen, da sie den Einbezug der ausländischen Wohnbevölkerung in die politische Alltagsarbeit erleichtert. Ein Ja zu "Zäme läbe, zäme schtimme" wäre daher ein kleiner, aber auch ein wichtiger Schritt zu mehr Demokratie.

WILLI EGLOFF, PDA BERN


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 33/34/2010 - 66. Jahrgang - 10. September 2010, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2010