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VORWÄRTS/618: Rüstungskonversion - Eine Umstellung ist machbar


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 43/44/09 vom 13. November 2009

INLAND
Eine Umstellung ist machbar


mgb. Am 29. November stimmen wir über die Kriegsmaterialinitiative der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) ab. Gegnerinnen monieren einen massiven Stellenabbau in der Rüstungsindustrie, sollte die Vorlage tatsächlich durchkommen. Doch stimmt das wirklich?


Seit 2006 macht ein breites Bündnis von pazifistischen und linken Gruppierungen um die GSoA gegen Kriegsmaterialexporte mobil. Mit einer Initiative wollen sie den Export von sämtlichem Kriegsmaterial aus der Schweiz verbieten. Die Vorlage kommt nun zur Abstimmung. Als die Unia Ende Oktober ihre Ja-Parole zur Initiative bekannt gab, folgte in der bürgerlichen Presse ein übler Verriss dem nächsten. Die Initiative gefährde zwischen 5.000 und 1O.000 Jobs in Rüstungsbetrieben und Zulieferfirmen. Es sei unhaltbar, dass sich ausgerechnet die Gewerkschaften für einen Abbau von Arbeitsplätzen stark machen. "Wenn zum Beispiel bei Studer in Regensdorf 65 Stellen verlagert werden sollen, rollt die Unia die roten Fahnen aus - in der Rüstungsindustrie engagiert sie sich für den Abbau von Tausenden von Arbeitsplätzen", so Armin Müller in der SonntagsZeitung vom 1. November.

Die BefürworterInnen stellen sich hingegen auf den Standpunkt, dass die Arbeitsplätze zumindest mittel- und langfristig erhalten bleiben. Rüstungskonversion - die Umstellung von militärischer auf zivile Produktion - sei für alle exportierenden Rüstungsbetriebe eine machbare Option. Um kurzfristige Probleme abzufedern, sehe die Initiative zudem vor, dass der Bund die Umstellung unterstütze und soziale Härten abfedere. Was stimmt nun? Setzt sich die Unia tatsächlich mitten in der Krise für den Abbau tausender von Arbeitsplätzen ein? Oder bleiben diese Jobs dank Konversion gesichert?


Vorbild "Lucas Aerospace"

Die Möglichkeiten einer Umstellung von militärischer auf zivile Produktion kam in der Schweiz und anderswo in den 1980er Jahren ein erstes Mal auf, inspiriert durch die Geschehnisse rund um "Lucas Aerospace": Aus Sorge um ihre Arbeitsplätze - und aufgrund moralischer Bedenken, für einen Rüstungsbetrieb zu arbeiten - begannen Ende der 70er Jahre Arbeiterinnen und Arbeiter der "Lucas Aerospace" von sich aus, ohne Wissen des Managements, eine Neuausrichtung des Unternehmens von der militärischen Luftfahrt hin zu ausschliesslich ziviler Produktion zu planen. Sie entwickelten neue Produkte, zeichneten Produktionspläne, bauten Prototypen und testeten diese in den firmeneigenen Anlagen. Die ausgereiften Produkte führten sie dann dem Management der "Lucas Aerospace" vor. Ihre Chefs verwarfen jedoch sämtliche Projekte. Sie konnten es nicht verkraften, dass ihre Angestellten solch ein Mammutprojekt hinter ihrem Rücken lanciert hatten. Dadurch siegte der Stolz über die Intelligenz. Denn viele der Produkte, welche die Lucas-Angestellten entwarfen, werden mittlerweile mit grossem Erfolg hergestellt - bloss durch andere Unternehmen. Darunter befinden sich unter anderem: Hybridmotoren für Autos, tragbare Defibrillatoren (Elektroschockgerät gegen Herzinfarkte) und Wärmepumpen. Die Mitarbeitenden von Lucas lieferten so ein Paradebeispiel ab, wie erfolgreiche Konversion aussehen könnte (und, dass man für effiziente und innovative Produktion besser ohne Management arbeitet...).

Nach dem Ende des Kalten Krieges intensivierte sich die Diskussion über Konversion. Als 1989 in Berlin die Mauer fiel, freuten sich längst nicht alle über die damals bestehende Hoffnung auf friedlichere Zeiten. Die Arbeitenden der Rüstungsindustrie sahen ihre Jobs im neuen geopolitischen Klima massiv bedroht. Doch viele Rüstungsunternehmen erkannten die Zeichen der Zeit und erschlossen sich neue Kundensegmente, auch in der Schweiz. Oerlikon Bührle beispielsweise begann damit, Gegenstände für die zivile Raumfahrt zu entwickeln. Die RUAG - immerhin der offizielle Rüstungsbetrieb des Bundes - unternahm ebenfalls erste zivile Gehversuche. Mit Erfolg, wie sich erweisen sollte: 2005 erwirtschaftete die RUAG bereits rund 38 Prozent ihres Umsatzes aus der zivilen Produktion, wodurch natürlich auch viele neue Arbeitsplätze geschaffen wurden.


Weiteres Potential vorhanden

Doch hat die Konversion in der Schweiz damit nicht bereits ihren Zenit erreicht?! Durchaus nicht, wie ein Blick auf die Geschäftsbilanzen grosser Schweizer Rüstungskonzerne zeigt. So besitzen beispielsweise die Pilatus-Werke (ein für die Nidwaldner Volkswirtschaft wichtiger Betrieb) ein überaus erfolgreiches ziviles Standbein. Sie stellen nicht nur Kriegsflugzeuge her, mit denen im Tschad oder in Chiapas (Mexiko) Bomben auf die Zivilbevölkerung abgeworfen werden. Nein, sie produzieren auch so genannte Turboprop-Maschinen. Dabei handelt es sich um kleine Flugzeuge für den zivilen Gebrauch. Die Maschinen zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Betriebskosten wesentlich geringer ausfallen als bei herkömmlichen Businessjets. Die Nachfrage ist derart gross, dass es Pilatus derzeit an Arbeitskräften mangelt.

Bei der RUAG wäre ebenfalls einiges möglich. Eine Studie des Bundesamtes für Energie hat ergeben, dass in der Schweiz mit relativ bescheidenen Investitionen rund 63.000 Arbeitsplätze in den Bereichen der erneuerbaren Energien und Energieeffizient geschaffen werden könnten. Gerade die RUAG wäre aufgrund ihres technologischen Know-hows prädestiniert für einen Ausbau dieses Sektors. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren ihre industriellen Fähigkeiten in Bereichen wie der Recycling-Technologie und dem zivilen Flugzeugbau bemerkenswert steigern können. Anstatt noch tödlichere Munition könnte die RUAG neu beispielsweise effizientere Solarkollektoren entwickeln. Weiteres Potential für die Umstellung auf zivile Produktion ist also durchaus vorhanden.


Menschliche Schicksale

Damit zeigt sich deutlich, dass Konversion in der Schweiz machbar ist. Dennoch könnte kurzfristig der eine oder andere Arbeitsplatz verloren gehen. Gemäss einer Studie des Bundes gefährdet die Initiative knapp 5.000 Arbeitsplätze in der Schweizer Rüstungsexportsindustrie. Das entspricht etwa der Hälfte der Beschäftigten im Berner Inselspital. Obwohl auch im schlimmsten Fall nicht besonders viele Jobs betroffen sind, sollte uns Linken jeder Arbeitsplatzverlust am Herzen liegen. Denn hinter jeder Entlassung stecken menschliche Schicksale.

Doch die Initiantinnen und Initianten tragen diesem Problem Rechnung. Bei einer Annahme der Kriegsmaterialinitiative muss der Bund während zehn Jahren betroffene Regionen und Beschäftigte unterstützen. Für alle Direktbetroffenen wird es dadurch gute Sozialpläne, Umschulungsprogramme und vieles mehr geben. Der Umbau würde auf die denkbar sozialverträglichste Art und Weise abgefedert. Gemäss Auskunft des Bundes würde dies weniger als eine Milliarde Franken kosten, auf zehn Jahre verteilt. In einem Land, das über 60 Milliarden in die UBS investieren kann, sollte dies wahrlich ein kleiner Betrag für die Beendigung eines todbringenden Geschäfts sein. Auch wem die Arbeitsplätze am Herzen liegen, darf deshalb mit gutem Gewissen Ja bei der Initiative stimmen. Denn, um es mit den Wurten von Linda Bär, einer GSoA-Aktivistin, zu sagen: "Arbeitsplätze kann man erneuern, Menschenleben nicht!"


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 43/44/2009 - 65. Jahrgang - 13. November 2009, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2009