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VORWÄRTS/595: "Der Revolution wird kein Prozeß gemacht"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 25/26/09 vom 26. Juni 2009

"Der Revolution wird kein Prozess gemacht"

Von Heinz Mainz


In Mailand sind vorletzte Woche 14 revolutionäre KommunistInnen zu insgesamt über 110 Jahren Gefängnis verurteilt worden - weil sie es wagten, den Kapitalismus konkret in Frage zu stellen und als angreifbar hinzustellen. Doch das Ziel, die revolutionäre Bewegung zu ersticken, hat der italienische Staat nicht erreicht.


Im Palazzo di Giustizia - dem Mailänder "Palast der Justiz" - fanden die Verhandlungen des Prozesses gegen die kommunistischen Angeklagten statt. Einem Palast, der vor allem eines versinnbildlicht: den Klassencharakter der Justiz. Erbaut wurde das riesige Gebäude unter der faschistischen Herrschaft Benito Mussolinis, acht Jahre nahm der Bau in Anspruch, von 1933 bis 1941. Mühe hat man sich gegeben für das Gebäude. Kolossalität soll es - so scheint es - darstellen, Grösse und Macht. Als wolle es die Unerschütterlichkeit der herrschenden Ordnung versinnbildlichen, an der jede Regung, jeder Versuch der Auflehnung scheitern müsse.


Solidaritätswelle

Mailand, 4. Mai 2009: Es ist der letzte Prozesstag, der im Justizpalast selbst stattfindet. Das Schlussplädoyer sowie die Urteilsverkündung sollten dann in einem speziellen Bunker im Mailänder Gefängnis San Vittore stattfinden. Die Angeklagten befinden in einem Käfig. Wegen der engen Anordnung der vertikalen und horizontalen Gitterstäben sind sie kaum zu erkennen.

Was ihnen vorgeworfen wird: Mitgliedschaft in einer subversiven Vereinigung und einer bewaffneten Bande ("Banda armata"). Was sie gemacht haben: Sie wollten eine militante kommunistische Partei aufbauen - die "Politisch-militärische Kommunistische Partei" ("Partito comunista politico-militare") und haben eine Zeitschrift, die "Aurora", herausgegeben. Konkrete Aktionen haben sie bisher keine gemacht. Trotzdem fordert die Staatsanwaltschaft Gefängnisstrafen von insgesamt über 200 Jahren. Alleine die Idee, militanten Widerstand zu leisten, ist diese drakonischen Strafe wert; es macht dem italienischen Staat offensichtlich Angst, die Möglichkeit aufzuwerfen, gegen den Kapitalismus zu kämpfen, die herrschenden Verhältnisse mit konkretem Ansatz in Frage zu stellen. So ist es auch die Idee, gegen die sich der Staat richtet: Von Anfang an sollte die Politisierung des Prozesses verhindert werden, die Gefangenen isoliert abgeurteilt, die revolutionäre Regung im Keim erstickt werden. Politische Statements im Gerichtssaal sind unerwünscht. Schon wegen Solidaritätsbekundungen durch die Zuschauer liess der Richter den Saal durch Carabinieri räumen. Trotzdem: Bereits vom ersten Augenblick an, als am 12. Februar 2007 die Razzien und Verhaftungen durch die Polizei stattfanden, hat es eine Welle der Solidarität für die Gefangenen gegeben. An den Prozesstagen waren immer Menschen aus Italien und aus aller Welt anwesend, die sich mit den Gefangenen solidarisierten.

Auch an diesem Prozesstag haben sich etwa 150 Menschen vor dem Gerichtsgebäude und im Gerichtssaal eingefunden, darunter viele, welche aus Deutschland, der Schweiz, Belgien oder Frankreich angereist sind. Obwohl die BesucherInnen von Carabinieri vor dem Einlass in den Gerichtssaal kontrolliert werden, gelingt es einigen, Transparente in den Gerichtssaal zu schmuggeln. Am Schluss des Prozesstags werden zusammen mit den Gefangenen die Fäuste erhoben und Parolen gerufen: "Contro la crisi dell imperialismo: guerra di classe - per il communismo", oder "Contro fascismo e repressione: rivoluzione." ("Gegen die Krise des Imperialismus: Klassenkampf - für den Kommunismus", beziehungsweise "Gegen Faschismus und Repression: Revolution.")


Harte Haftbedingungen

Die Gefangenen unterlagen während des Prozesses erhöhten Sicherheitsbedingungen. Sie wurden zum Teil in Isolation gehalten und unterlagen Post- und Besuchsrestriktionen. Bei einer Verlegung wurden sie von Polizisten geschlagen und geprügelt. Die jüngeren Angeklagten wurden teilweise unter Hausarrest gestellt. Dabei durften sie weder Besuche empfangen noch mit der Aussenwelt kommunizieren. Das Gericht bestimmte, bei welchen Verwandten sie zu wohnen hatten. So war die Situation der unter Hausarrest stehenden nicht viel besser als die der Gefangenen. Während des Prozesses trat die Faschistische Partei als Nebenkläger auf, weil Recherchematerialien zu ihrem führenden Exponenten bei den Hausdurchsuchungen festgestellt wurden. Dadurch konnten sie am Prozess präsent sein - was eine bewusste Provokation gegenüber den politischen Gefangenen war. Obwohl nichts weiter als die Recherchematerialien vorlag, verlangte die Faschistische Partei von den Angeklagten Schadenersatz. Dieser absurden Forderung wurde vom Gericht nicht nachgekommen, aber, dass sie an diesem politischen Prozess teilnehmen und sich als Nebenkläger und Opfer der PC p-m inszenieren konnten, hatten sie erreicht.


110 Jahre Knast

Vorletzte Woche wurden im Bunker des San-Vittoria-Gefängnisses die Urteile verkündet: 15 Jahre Gefängnis sind die höchste Strafen, zehn Tage Arrest die niedrigste. Insgesamt wurden 14 der Angeklagten verurteilt, drei wurden freigesprochen. Über 110 Jahren beträgt die Zeit, welche die Gefangenen zusammengerechnet im Knast verbringen müssen. Als Strafe dafür, dass sie konkret die Machtfrage aufgeworfen haben, den Kapitalismus und seine Strukturen angreifen wollten. Bei der Urteilsverkündung haben die Gefangenen zusammen mit solidarischen Zuschauern die Internationale gesungen. Mit erhobener Faust. Wenig später wurde vor dem italienischen Konsulat in Zürich als Ausdruck der Solidarität eine Barrikade in Brand gesteckt. Es gab Solidaritätsbekundungen aus ganz Italien, Deutschland, Belgien, Frankreich und aus der Türkei.

Die Gefangenen liessen sich nicht brechen. Für sie ist klar: Der Kampf geht weiter. Das Ziel des Staates, die revolutionäre Bewegung an Repression und Isolation scheitern zu lassen, ist nicht aufgegangen, an der Unerschütterlichkeit der Staatsmacht wurde gerüttelt. "Der Revolution wird kein Prozess gemacht", liessen die Gefangenen der PC p-m in ihrer Prozesserklärung verlauten.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26/2009 - 65. Jahrgang - 26. Juni 2009, S. 9
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2009