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VORWÄRTS/574: Freiheit für alle politischen Gefangenen!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 45/46/08 vom 19. Dezember 2008

International
Freiheit für alle politischen Gefangenen!


luk. Weltweit befinden sich Tausende - politische und soziale - Gefangene im Hungerstreik. Einer von ihnen - Marco Camenisch. Sie kämpfen für bessere Haftbedingungen oder Freiheit und damit natürlich auch gegen den Staat.


Seit dem 1. Dezember befindet sich Marco Camenisch im Hungerstreik. "Bis frühestens dem 22. Dezember führe ich diese Solidaritäts- und Kampfinitiative zur definitiven Ausrottung aller Einsperreinrichtungen, zur Befreiung aller gefangenen Wesen und natürlich zur Ausrottung jener Zivilisation, von der das kapitalistische System, als planetarische Todesmaschine, die Vollendung ist", gibt der anarchistische, politische Gefangene in seiner Erklärung bekannt. Er schliesst sich mit dem Hungerstreik dem Kampf der italienischen, zu lebenslänglicher Haft Verurteilten an. "Solidarität kennt keine Grenzen!" sagt er, und drückt die Solidarität mit den Kämpfen in den Knästen auf der ganzen Welt aus - in Spanien, Deutschland, Lateinamerika, Griechenland - und verweist auch auf die Situation von politischen Gefangenen wie Mumia Abu-Jamal in den USA oder Jean-Marc Rouillan und Ibrahim Abdallah in Frankreich.


Weltweite Knastkämpfe

Im November zu Ende gegangen ist ein Massenhungerstreik in den griechischen Gefängnissen: In den 5.500 Gefängnisplätzen des Landes sind über 12.000 gefangene Menschen untergebracht worden. Gut 10.000 davon haben sich am Hungerstreik im Kampf gegen die miserablen Zustände in den dortigen Knästen beteiligt: Psychische und physische Folter sind gemäss der Aussage von Gefangenen üblich, die hygienischen Bedingungen seien katastrophal. Neben der Verweigerung von der Aufnahme von Nahrung verweigerten 15 Gefangene zeitweise auch die Aufnahme von Flüssigkeit. Drei Menschen sind an den Folgen des Hungerstreiks gestorben. Doch mit diesen Kampfmassnahmen konnte ein grosser Sieg errungen werden: Rund 6.000 Gefangene - also etwa die Hälfte aller Insassen - werden auf Geheiss der griechischen Regierung freigelassen.

In Italien kämpfen die Gefangenen indes gegen die lebenslängliche Strafe. "Lebenslänglich" ("ergastolo") ist im italienischen Strafrecht eine unbefristete Haftstrafe nicht unter 24 Jahren. Beim Beginn der Kampagne vor einem Jahr haben die Lebenslänglichen mit der Forderung auf ihre Lage aufmerksam gemacht, dass man doch anstelle des langsamen Todes der lebenslänglichen Strafe lieber wieder die Todesstrafe einführen solle. Auch die politischen Gefangenen der Politisch-militärischen Kommunistischen Partei (PC[p-m]) - gegen welche der Prozess noch läuft - beteiligen sich, wo sich die Gelegenheit ergibt, am Hungerstreik der italienischen Lebenslänglichen.

In Spanien trägt der Hungerstreik einen ganz politischen Charakter: Seit dem 17. Oktober befinden sich die Gefangenen der (wiederaufgebauten) Kommunistischen Partei Spaniens (PCE[r]) und der "Gruppen des antifaschistischen Widerstands des Ersten Oktobers" (GRAPO) im Hungerstreik. Obwohl die Haftstrafen teilweise abgesessen wurden, werden die politischen Gefangenen nicht freigelassen. Dies unter fadenscheinige Begründungen durch die Gerichte oder - "unkomplizierter" - indem sie "vergessen" werden und niemand sie aus der Haft entlässt. Es ist klar, dass der spanische Staat damit verhindern will, dass sich die revolutionäre KommunistInnen wieder politisch betätigen können. In den südamerikanischen Ländern Argentinien und Chile befinden sich seit Mitte November militante AnarchistInnen verschiedener Organisation ebenfalls im Hungerstreik.

In der Türkei sind die 115 inhaftierten Mitglieder der Organisation "Tayat" in den Hungerstreik getreten. Sie fordern damit, dass ein Gesetz vollzogen wird, das den politischen Gefangenen erlaubt, sich einmal pro Woche zehn Stunden zu treffen. Ein Gesetz, dass laut der türkischen Menschenrechtsorganisation IHD praktisch nie zur Anwendung kommt.


Zeichen einer Krise

Was man über die Situation in den Gefängnissen sicher sagen kann, ist, dass die Intensität, mit der die Kämpfe geführt werden und deren Zahl einzigartig sind. Gleichzeitig sagen sie aber auch viel über Charakter und Zustand des Staates aus, sowohl was das Politische als auch das Soziale betrifft: Wenn ein Staat gegen politische Gefangene hysterisch überreagiert, sie brutal foltert - wie in der Türkei, aber auch und in Griechenland und Spanien - und sie auf keinen Fall in die Freiheit entlassen will - wie in Spanien -, ist das ein Zeichen dafür, dass er reale Angst vor militanten revolutionären Kräften hat und sich von ihnen mehr oder weniger gefährdet sieht. Apropos hysterische Üherreaktion: Jean-Marc Rouillan, ein ehemaliges Mitglied der französischen militanten Gruppe "Action directe", wurde im Dezember 2007 unter Auflagen aus dem Gefängnis entlassen. Eine davon war, dass er sich nicht politisch äussern dürfe. Im Oktober dieses Jahres antwortete er auf die Frage, ob er die Taten der "Action directe" bedauere: "Dazu darf ich mich nicht äussern... Aber die Tatsache, dass ich mich nicht äussere, ist bereits eine Antwort. Denn es ist klar, dass, wenn ich alles, was wir gemacht haben, in den Dreck ziehen würde, ich das Recht hätte, mich dazu zu äussern." Worauf die Staatsanwaltschaft ihn wieder inhaftieren liess...

Gleichzeitig sind überfüllte Gefängnisse mit kämpfenden Gefängnisinsassen Zeichen für soziale Probleme, für eine verschärfte Klassensituation. Gegen Gesetze verstösst man nicht aus einer metaphysischen "kriminellen Energie" heraus, wie es bürgerliche Medien oft moralisierend versuchen darzustellen, sondern aus Armut, aus der sozialen Misere heraus. Wenn nur Fensterscheiben von dem Brot trennen, das fehlt, so schlage man diese ein. Und wenn Gefängnisse überbelegt sind, heisst das, dass immer mehr Menschen im gesetzes- und staatskonformem Leben keine Perspektive mehr sehen, und, dass der Staat darauf nicht vorbereitet ist.

Kampf in den Knästen heisst implizit immer auch Klassenkampf: Kampf gegen Repression, Kampf gegen Unterdrückung von vielen durch wenige, Kampf gegen die Macht- und Herrschaftsstrukturen, Kampf gegen den Staat.


Verschärfung auch in Regensdorf

Auch im Hochsicherheits-Gefängnis Pöschwies in Regensdorf, wo Marco Camenisch einsitzt, kam es zu Verschärfungen der Haftbedingungen. "So wurde ein Häftling 27 Tage isoliert, dann in einen anderen Knast verlegt - und an ihn empfindliche Geldbussen verteilt. Dies, weil einige Häftlinge lange Unterhosen unter kurzen Sporthosen trugen, um sich heim Sport gegen Nässe und Kälte zu schützen. Diese seit den 1990er Jahren gängige Praxis wurde von heute auf morgen ohne ersichtlichen Grund verboten, den Inhaftierten zudem die üblichen Beschwerdemöglichkeiten verwehrt", dokumentieren die "FreundInnen und UnterstützerInnen von Marco Camenisch" einen Fall. Aber auch Massnahmen wie ein generelles Rauchverbot für die Gefangenen zeigen die härtere Gangart der Justizvollzieher auf. Dass es in Pöschwies immer wieder durch grobe Fahrlässigkeiten der Wächter zu Todesfällen von Gefangenen kommt, zeigt, wie wenig ein Menschenleben den Gefängnisbehörden Wert ist.

Vom 19. bis zum 22. Dezember findet das 7. Internationale Symposium gegen Isolation statt. Den Ursprung hat das Symposium im jährlich und auch dieses Jahr stattfindenden Hungerstreik inhaftierter KommunistInnen in der Türkei, die sich gegen die so genannten F-Typ-Isolationsgefängnisse richten.

Im Rahmen dieses Symposiums kommt es auch in der Schweiz zu einem Knastspaziergang nach Pöschwies, bei der die Solidarität mit Marco Camenisch - der sich dann immer noch im Hungerstreik befinden wird - und all den anderen kämpfenden Gefangenen weltweit ausgesprochen und ein Zeichen gegen Isolationshaft gesetzt werden kann.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 45/46/2008 - 64. Jahrgang - 19. Dezember 2008, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2009