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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2461: "Die Rahmenbedingungen müssen stimmen" - Gespräch mit Elisabeth Fresen (AbL)


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1 · Januar 2020
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Die Rahmenbedingungen müssen stimmen"
Dann kann der Bauer auch Klima- und Insektenschutz

SoZ-Gespräch mit Elisabeth Fresen (AbL)


In Brüssel werden derzeit die Fördermittel für Landwirtschaft für die Periode 2021-2027 ausgehandelt. Die Agrarförderung ist mit bislang 40 Prozent der größte Posten im EU-Haushalt. Dieser Beitrag soll erheblich gekürzt werden, nämlich auf etwa 28 Prozent - zum einen weil die EU mit Großbritannien demnächst einen Nettozahler verliert, zum anderen weil die EU ihre Prioritäten verschiebt - u.a. in Richtung Aufrüstung. Außerdem sollen verstärkt Mittel an eine ökologische Bewirtschaftung gebunden werden.

In diesem Herbst sind über mehrere Wochen Zehntausende Bauern gegen höhere Umweltauflagen, für mehr Respekt aus der Gesellschaft auf die Straße gegangen. Wir sprachen darüber mit der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Elisabeth Fresen. Sie ist 29 Jahre alt und übernimmt gerade den Hof von ihrem Vater in Verden an der Aller. Auf dem Hof hält sie Mutterkühe, also Rinder zur Fleischproduktion, auf Naturschutzflächen; die Rinder stehen das ganze Jahr über auf der Weide. Der Betrieb ist ökozertifiziert.

Am 18. Januar findet in Berlin anlässlich der Grünen Woche die alljährliche Demonstration von Bauern und Umweltorganisationen "Wir haben es satt" gegen das Höfesterben und für eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU statt.


SoZ: In den letzten Monaten sind viele tausend Bauern auf die Straße gegangen und haben gegen vermehrte Umweltschutzauflagen demonstriert. Die Veranstalter nennen sich Land schafft Verbindung. Was ist das für eine Organisation?

Elisabeth Fresen: Das sollten Sie Land schafft Verbindung am besten selbst fragen. Ich kann Ihnen nur meinen persönlichen Eindruck schildern. Sie bezeichnen sich selbst als unabhängig von allen Organisationen, also auch vom Bauernverband.


SoZ: Kennen Sie Bauern, die sich an den Demonstrationen beteiligt haben?

Elisabeth Fresen: Ja. Es sind auch Bauern aus meinem Dorf oder aus benachbarten Dörfern zu den Demos gefahren, die ich kenne.


SoZ: Was bewegt die?

Elisabeth Fresen: Die bewegt vor allem, dass immer mehr Auflagen kommen, von denen sie denken, dass sie die nicht bewältigen können. So wird z.B. die Düngemittelverordnung verschärft: In Zukunft dürfen Landwirte 20 Prozent weniger Stickstoff düngen, als sie an Bedarf ermitteln. Diese Vorschrift gilt in den "roten Gebieten", wo extrem viel Nitrat im Grundwasser ist.
Es geht ihnen auch darum, dass in Fauna-Flora-Habitaten nicht mehr alle zur Verfügung stehenden Insektenschutzmittel eingesetzt werden. Oder dass Gülle, also Wirtschaftsdünger, länger gelagert werden muss. Mehr Lagerkapazität ist sehr, sehr teuer.
Sie finden aber auch das Freihandelsabkommen Mercosur falsch, weil dadurch noch mehr billiges Fleisch unseren Markt überschwemmt.


SoZ: Finden sie es nur falsch, oder fühlen sie sich auch in ihrer Existenz bedroht?

Elisabeth Fresen: Genau, das sagen sie. Ich kann zumindest nachvollziehen, dass die Gesamtheit der Auflagen, die jetzt mit dem Agrarpaket besonders gebündelt auf sie zukommen, als existenzbedrohend wahrgenommen wird. Die Politik hat jahrzehntelang ökologisch gebotene Veränderungen verhindert - auch der Deutsche Bauernverband wollte die Bauern und Bäuerinnen davor bewahren. Der Veränderungsstau hat nun zu Aktionismus geführt. Die Fülle der Maßnahmen macht den Bauern und Bäuerinnen Angst. Die Preise, die wir im Moment für Getreide, Fleisch und Milch bekommen, sind ruinös. Unter diesen schlechten Voraussetzungen können sie alle diese Veränderungen nicht stemmen.


SoZ: Dem Protest gegen das Mercosur-Abkommen können Sie sich wahrscheinlich anschließen?

Elisabeth Fresen: Ja, das stimmt. Gerade ich als Mutterkuhhalterin produziere ja auch Rindfleisch. Und ich weiß: Der Rindfleischmarkt in der EU ist ohnehin übersättigt, wenn jetzt noch mehr Rindfleisch reinkommt, sinken die Preise noch stärker. In diesem Freihandelsabkommen ist der Import von Fleisch zudem an keinerlei Standards geknüpft, es ist egal, wie die Tiere gehalten werden, wie sie gefüttert werden, wieviel Platz sie haben usw. Wir deutschen Bäuerinnen und Bauern müssen uns an strenge Auflagen in bezug auf den Tierschutz halten, können dann nicht mehr konkurrieren. In meinem Fall - Bioproduktion, Naturschutz, ganzjährige Weidehaltung - ist das ein sehr, sehr hoher Standard, da kann ich mit Billigfleisch nicht mithalten.


SoZ: Es gibt also Schnittmengen zwischen Ihrem Verband und den Bauern, die da protestiert haben?

Elisabeth Fresen: Ja, das stimmt. Als AbL-Mitglied betone ich aber, dass wir auch gegen Freihandelsabkommen sind, die unsere Produkte in andere Teile der Erde exportieren. Wir sind gegen Dumpingexporte, wir sind dagegen, dass unsere Milch möglichst billig nach China exportiert werden soll, wir sind dagegen, dass unser Milchpulver billig nach Afrika exportiert werden soll - all das lehnen wir ebenfalls ab, wir sind solidarisch mit Bauern und Bäuerinnen auf der ganzen Welt.


SoZ: Das fehlt bei den anderen?

Elisabeth Fresen: Ja, das hab ich auf jeden Fall bei denen noch nicht gehört.


SoZ: Gab es denn Mitglieder Ihres Verbands, die bei diesen Protesten mitgemacht haben?

Elisabeth Fresen: Ich weiß von AbLerinnen und AbLern, die dort nicht mitgemacht haben, aber ich weiß auch von wenigen, die mitgefahren sind. Die allermeisten haben mir gesagt, dass sie bewusst nicht mitgefahren sind.


SoZ: Haben Sie den Eindruck, dass bei Land schafft Verbindung rechte Positionen vertreten werden?

Elisabeth Fresen: Mein Eindruck ist, es gibt bei Bauern und Bäuerinnen einen Querschnitt, genauso wie in der Gesellschaft als ganzes. So wie in ganz Deutschland beinah 15-20 Prozent AfD wählen, so kann ich mir vorstellen, dass das bei Land schafft Verbindung ebenso ist, aber ich sehe nicht, dass die grundsätzlich rechte Positionen haben.


SoZ: Was sagen Sie den Bauern, die sich an den Demonstrationen beteiligt haben?

Elisabeth Fresen: Ich habe Verständnis dafür, dass sie auf die Straße gehen, ich habe auch Respekt davor. Ich persönlich halte einen anderen Weg für besser, nämlich den gemeinsam mit der Gesellschaft. Ich glaube, wir als Bäuerinnen und Bauern sind in den letzten Jahrzehnten viel zu wenige geworden, als dass wir allein für etwas kämpfen können, wir haben ja nur noch 270.000 bäuerliche Betriebe in Deutschland. Ich kämpfe lieber mit einem starken Bündnis aus Umweltverbänden, Verbrauchern und Verbraucherinnen...


SoZ: Können Sie diesen Bauern einen Weg aufzeigen, wie sie ihren Betrieb auch ohne Pestizide und mit weniger Dünger halten können?

Elisabeth Fresen: Wir Bäuerinnen und Bauern können einiges leisten, wir können Klimaschutz, wir können Insektenschutz, wir können unser Grundwasser schützen, unseren Boden nachhaltig bewirtschaften, all das können wir, und es ist in unserem ureigenen Interesse. Wir kämpfen dafür, dass wir das auch leisten dürfen. Dafür müssen z.B. Subventionsgelder so ausgezahlt werden, dass wir für unsere gesellschaftlichen Leistungen entlohnt werden.
Dafür müssen sich die Rahmenbedingungen ändern, d.h. wir brauchen eine neue Gemeinsame Agrarpolitik, wo Gelder daran geknüpft werden, wie ich meinen Boden bewirtschafte, ob ich meine Kühe auf die Weide stelle, ob ich meine Schweine auf Stroh halte, ob meine Hühner Auslauf haben. Ob ich die mit meinen eigenen Futtermitteln füttern kann, ob ich das Grundwasser schone, dass ich vielfältige Ackerkulturen habe. Das ist die eine Säule.
Die zweite Säule ist, dass wir faire Produktpreise bekommen. Und das ist auch eine meiner größten Sorgen. Wenn ich jetzt auf die Hofübernahme blicke, frage ich mich: Kann ich genug Geld verdienen, damit ich gut leben kann?


SoZ: Wie kommen Sie zu fairen Preisen?

Elisabeth Fresen: Ein Baustein wäre, dass die Produktqualität leicht ersichtlich ist. Wie wir's bei den Eiern haben, mit der Haltungskennzeichnung 0-4, das ist für Verbraucherinnen und Verbraucher sehr einfach zu verstehen, dann greifen sie auch zum Freilandei. Eine solche Qualitätskennzeichnung brauchen wir dringend auch für andere Produkte. Ein anderer Baustein wäre die abnehmende Hand, Molkereien, Schlachtereien, mit denen müssen wir bessere Verträge machen können.
Milchbauern und Milchbäuerinnen z.B. haben eine Andienungspflicht, müssen also ihre gesamte Milch an eine bestimmte Molkerei liefern. Die Molkereien bestimmen die Preise dann oftmals rückwirkend, können also Preise nehmen, wie sie wollen. Großmolkereien wie das Deutsche Milchkontor haben so was wie eine Monopolstellung. Das gleiche gilt für Schlachtung. Es gibt fast keine kleinen Schlachthäuser mehr, der gängige Weg ist der Verkauf an einen großen Schlachthof, und dann hab' ich eben als kleine Bäuerin keinen Einfluss auf die Preise.


SoZ: Wie wäre eine solche neue Infrastruktur aufzubauen? Was könnte diese Handelszentren ersetzen?

Elisabeth Fresen: Das ist eine spannende Frage. Meine Traumvorstellung wäre, dass wir das dezentral lösen und in bäuerliche Hände geben oder auch in die Hände von Verbraucherinnen und Verbrauchern, Bäuerinnen und Bauern. Wir müssen dafür regionale Lösungen schaffen.
Ich weiß, dass verschiedene AbL-Höfe genossenschaftlich ein kleines Schlachthaus kaufen oder gegründet haben, so was gibt es. Investitionsförderungen gibt es ja, aber immer nur für Neuanschaffungen. Warum haben denn so viele Schlachtereien und kleine Molkereien aufgegeben? Das hat auch mit den Vorgaben der EU zu tun, die eben nur sehr schwer oder überhaupt nicht mehr kostendeckend einzuhalten waren.


SoZ: Was waren das für Vorgaben?

Elisabeth Fresen: Dafür bin ich keine Expertin. Meines Wissens ging es u.a. um Hygienevorschriften, wie die Maschinen sein müssen usw. Man musste als kleiner Betrieb große Investitionen leisten, die modernsten Maschinen kaufen oder den Schlachtraum auf bestimmte Art und Weise gestalten.


SoZ: Ist die AbL auch in Projekten der solidarischen Landwirtschaft engagiert?

Elisabeth Fresen: Das ist ein sehr guter Weg. Konkret arbeiten wir als AbL aber nicht daran, wir arbeiten in Bündnissen - etwa mit Slow Food, die ein tolles Netzwerk haben mit Bäuerinnen und Bauern, mit Handwerksbetrieben, aber auch mit der Stadtbevölkerung. Ich würde den Schwerpunkt der AbL eher im Politischen sehen, wir haben dringendere Probleme.


SoZ: Zum Beispiel?

Elisabeth Fresen: Dringlicher für uns ist gerade die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), weil das der wichtigste Hebel ist, über den Landwirtschaft gesteuert wird. Da steckt sehr viel Geld drin. Die Betriebe richten sich danach aus, wie diese Gelder ausgeschüttet werden.
Bäuerinnen und Bauern bekommen aus diesem EU-Topf einen großen Teil ihres Einkommens, im Durchschnitt über 40 Prozent. Im Moment wird ein Großteil der Gelder, die sog. erste Säule, unabhängig davon gezahlt, was ich überhaupt mache. Ich bekomme einfach pro Hektar ungefähr 300 Euro. Die zweite Säule der Zahlungen ist wesentlich kleiner, hier sind die Gelder gekoppelt an das, was ich mache - mache ich Naturschutz und habe einen späten Mähtermin, damit die Vögel brüten können, Kräuter und Gräser aussamen können, mach ich Wasserschutz, mach ich ökologischen Landbau - all das wird aus dieser zweiten Säule finanziert, macht aber nur einen kleinen Teil der Zahlungen aus.
Aus AbL-Sicht sollten auch die Gelder aus der ersten Säule ganz dringend an gesellschaftliche Leistung gekoppelt werden. Es sind ja Steuergelder, und die Gesellschaft hat klare Wünsche, sie will Klimaschutz, Wasserschutz, Naturschutz, Stopp des Insektensterbens - all das könnten wir mit diesen Steuergeldern gezielt fördern.


SoZ: In welche Richtung will die EU ihre Agrarpolitik reformieren?

Elisabeth Fresen: Was jetzt durchgesickert ist, ist ein kleiner Lichtblick, denn 20 Prozent der ersten Säule sollen gekoppelt werden an die Bewirtschaftungsweise. Ein großer Teil wird aber immer noch unabhängig davon ausgezahlt. Die AbL schlägt dagegen ein Punktesystem vor: Je nachdem, wie mein Betrieb gestrickt ist, kann ich Punkte sammeln für gesellschaftliche Leistung und bekomme dafür Geld.


SoZ: Die AbL ist Teil von Via Campesina. Werden Ihre Forderungen auch von Bauern aus anderen Ländern geteilt?

Elisabeth Fresen: Für die Gemeinsame Agrarpolitik - ja. Soweit ich weiß, haben wir innerhalb dieses Bündnisses aber den konkretesten Vorschlag.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1, 35. Jg., Januar 2020, S. 3
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2020

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