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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2354: 20 Jahre weiter Kohleabbau? Nicht mit uns!


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 · März 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

20 Jahre weiter Kohleabbau? Nicht mit uns!
Die Ergebnisse der Kohlekommission - Kompromiss oder Instrumentalisierung?

von Angela Klein


Um die 50 Leute finden sich am Montag nach dem Schlussmarathon der Kohlekommission im Evangelischen Gemeindesaal in Buir ein, eine der Gemeinden, die darum bangen musste, dass sich die Abbruchkante des Tagebaus Hambach buchstäblich bis zu ihrer Haustüre vorfrisst. Diese Gefahr scheint gebannt, die Kohlekommission hat in ihren Bericht geschrieben: "Die Kommission hält es für wünschenswert, dass der Hambacher Forst erhalten bleibt." Dahinter wird NRW-Ministerpräsident Laschet (CDU) schlecht zurückfallen können, will er nicht riskieren, dass dies als einseitige Kündigung des "Kohlekompromisses" verstanden wird. Vernehmbares Aufatmen bei der Initiative Buirer für Buir.

Deren Vertreter sitzen zusammen mit anderen Initiativen aus der Region sowie dem BUND in einer Reihe auf dem Podium. Es sind, seit die Proteste gegen den Braunkohleabbau im Rheinischen Revier Massencharakter angenommen haben, mehr Gruppen geworden: Die Bewohner der Dörfer am Rande des Tagebaus Garzweiler nördlich vom Tagebau Hambach haben sich zur Initiative "Alle Dörfer bleiben" zusammengeschlossen. Der Abschlussbericht der Kohlekommission hat sie verzweifelt zurückgelassen, ihr Anliegen wird da höchstens unter ferner liefen behandelt. An der explizitesten Stelle heißt es: "Darüber hinaus bittet die Kommission die Landesregierungen, mit den Betroffenen vor Ort in einen Dialog um die Umsiedlungen zu treten, um soziale und wirtschaftliche Härten zu vermeiden."

Außerdem hat sich ein "zivilgesellschaftlicher Koordinierungskreis Strukturwandel" gebildet, der eigene Vorstellungen vom Strukturwandel entwickelt hat, die denen der Kohlekommission entgegengesetzt sind. Er legt, wie auch die anderen Podiumsteilnehmenden, Wert darauf, dass er die Anlage zum Bericht, in dem zahllose Einzelmaßnahmen zur Entwicklung von Infrastruktur und neuen industriellen Ansätzen in den Braunkohleregionen aufgelistet sind, nicht teilt. Seine Vorstellungen von einem Strukturwandel sind eng verbunden mit einem Einstieg in eine CO2-neutrale, an ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit, ökologischem Landbau und Bürgerbeteiligung orientierte Wirtschaft, während die Kohlekommission jeden Ansatz für eine andere Wirtschaftskonzeption vermissen lässt.

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Antje Grothus von den Buirern für Buir saß für die Bewohner des Rheinischen Reviers in der Kohlekommission, für die der Lausitz war es Hannelore Wodtke von der Grünen Zukunft in Welzow. Wodtke hat als einzige gegen den Bericht gestimmt. Antje Grothus erklärt den Unterschied folgendermaßen: Das Bekenntnis der Kommission zum Erhalt des Hambacher Forsts und zum Dialog mit den Bewohnern der Tagebauranddörfer sei ein Zeichen dafür, dass "die Landesregierung ihre Blockadehaltung aufgegeben" und "dazugelernt" habe. "Die Lausitz konnte den Bericht deswegen nicht mittragen, weil die Ost-Ministerpräsidenten weiter auf ihrer Blockadehaltung beharren."

Hannelore Wodtke erklärt es in einem Interview mit den Lausitz-Nachrichten (27.1.) ähnlich. Gefragt, warum sie als einzige gegen den Abschlussbericht der Kohlekommission gestimmt hat, sagt sie: "Anders als in Nordrhein-Westfalen, wo der Einstieg in den Kohleausstieg sofort beginnt, bleibt im Osten Deutschlands erstmal alles beim alten. Es wird Geld für den Strukturwandel fließen, was ich gut finde. Aber trotzdem laufen die Kohlekraftwerke weiter, als wäre nichts passiert... Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat sich da keinen Millimeter bewegt."


Was steht drin?

Unterschiedliche Betroffenheiten, unterschiedliche Reaktionen - und dennoch ist von einem Spaltpilz in den Bewegungen nichts zu spüren, sie präsentieren sich erstaunlich geschlossen. Der gemeinsame Tenor, im wesentlichen vorgetragen vom Vertreter des BUND, lautet:

Der Bericht ist ein brauchbarer Anfang, weil die Kommission empfiehlt, den Bau neuer Kohlekraftwerke nicht mehr zu genehmigen und bereits gebaute, aber noch nicht im Betrieb befindliche Kraftwerke nicht in Betrieb zu nehmen - das betrifft etwa ein brandneues Steinkohlekraftwerk in Datteln.

Außerdem sollen bis 2022 12,5 Gigawatt (von insgesamt derzeit 45 GW) Kohlekapazität abgeschaltet werden - das sind zusätzlich zu denen, die ohnehin bis 2022 vom Netz genommen werden sollen, 3 GW Braunkohle- und 4 GW Steinkohlekraftwerke.

Zwischen 2022 und 2030 sollen weitere 6 GW stetig und linear vom Netz genommen werden. Präzise Zwischenschritte werden dafür nicht definiert, es heißt nur, es solle möglichst "ein Innovationsprojekt" eine Verringerung um 10 Mio. Tonnen ermöglichen. Ohne die Definition solcher Schritte ist aber zu befürchten, dass bis zum Ende des Jahrzehnts Fortschritte bei der Abschaltung verschleppt werden.

Ab 2038 soll dann in Deutschland keine Kohle mehr verbrannt werden. Damit könne, laut Kommission, der Klimaschutzplan der Bundesregierung umgesetzt werden (also das Ziel, bis 2030 die Emissionen um 60 Prozent zu reduzieren); das nicht mehr pünktlich zu realisierende 2020er-Ziel (40 Prozent weniger im Vergleich zu 1990) wird weiter verfehlt. Die Kommission betont zwar, es solle so schnell wie möglich erreicht werden, aber sie benennt keine Schritte in diese Richtung.

Hinzukommt, dass dies alles nur Empfehlungen sind, und die sind noch den Initiativen aus dem Rheinischen Revier (wie auch den drei Umweltschutzorganisationen, die an der Kohlekommission teilgenommen haben) zufolge in mehrfacher Hinsicht verbesserungsbedürftig. Sie fordern:

- Die Landesregierung NRW muss sicherstellen, dass die Dörfer nicht abgebaggert werden - das ist jetzt die Hauptforderung. NRW muss sofort ein Moratorium verfügen, bis klar ist, was die nächsten Schritte sind. Die Kirche in Manheim muss erhalten bleiben.

- Es muss einen Mindestabstand von 1500 Metern zwischen den Dörfern und dem Tagebaurand geben.

- Der Hambacher Wald muss schnellstens als Flora-Fauna-Habitat-Gebiet entsprechend der EU-Richtlinie ausgewiesen werden.

"Die Landesregierung ist jetzt am Zuge", erklärte der Vertreter des BUND NRW.

In zwei Punkten haben die Umweltverbände nicht zugestimmt: dem Ausstiegsdatum und der fehlenden Festlegung von verbindlichen Zwischenzielen. Sie sehen jedoch Gelegenheiten zur Nachbesserung: Drei Revisionsdaten werden im Bericht genannt: 2023, 2026 und 2029.


Viel Geld - wofür?

Die zugesagten finanziellen Hilfen für den Strukturwandel sind saftig: insgesamt 40 Mrd. über 20 Jahre - pro Jahr 1,3 Mrd., die an konkrete Projekte geknüpft sind, und zusätzlich 700 Mio. zur freien Verfügung. Die Projekte sollen in einem Maßnahmengesetz aufgeführt werden, das bis Ende April stehen soll.

Ein großer Teil des Berichts besteht aus dem Zusammentragen unzähliger Einzelmaßnahmen - man hat den Eindruck, es wurde alles aufgeschrieben, was eine Landesregierung sich schon mal gewünscht hat. Schwerpunkte liegen auf den Bereichen Infrastruktur (bessere Verkehrsanbindung per Bahn und Straße; Ausbau der digitalen Infrastruktur; beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien, einschließlich umweltfreundlicher Gaskraftwerke, und Aufbau von Industriekapazitäten für die nächste Phase der Energiewende (Power to Gas etwa, oder Wasserstofftechnologie, Geothermie usw.); Ansiedlung von dazu passenden Forschungseinrichtungen; Ansiedlung von Bundesbehörden (5000 neue Arbeitsplätze werden allein hierdurch in Aussicht gestellt).

Weil die Herausnahme der Braunkohle das Stromangebot zunächst verknappt, drohen höhere Strompreise. Die Kommission rät, Verbraucher und Industrie mit bis zu 2 Mrd. Euro im Jahr von den Kosten zu entlasten.

Die Kohleindustrie soll für die Stilllegungen entschädigt werden, wobei diese Zahlungen für die Renaturierung zu verwenden sind (im Gespräch sind rund 6 Mrd. Euro jährlich bis 2030).

Für die Beschäftigten sind Übergangshilfen analog zum Ausstieg aus der Steinkohle vorgesehen, betriebsbedingte Kündigungen sollen ausgeschlossen sein. Es seien "verbindliche tarifliche Regelungen zwischen den Sozialpartnern zu treffen, z.B. zur Sicherung einer qualifizierten Arbeit durch Vermittlung und Ausgleich von Lohneinbußen, Aus- und Weiterbildung, zur Abfederung finanzieller Einbußen oder für einen früheren Eintritt in den Ruhestand und Brücken zum APG, Ausgleich von Rentenabschlägen oder für einen sonstigen früheren Eintritt in den Ruhestand ... In die entsprechenden Verhandlungen sind die Mitbestimmungsorgane und ihre Gewerkschaften einzubinden."

Das Ganze muss nun in Gesetze gegossen werden. Die Vereinbarung setzt zunächst auf die Freiwilligkeit der Wirtschaft, sich an Verhandlungen über eine schrittweise Reduzierung der Kapazitäten zu beteiligen. Sollte es zu keiner Einigung kommen, werden ordnungspolitische Maßnahmen festgesetzt. Darüber wird es noch manches Gezerre geben. RWE hat sofort mit einem "signifikanten Stellenabbau" gedroht. Der Wirtschaftsflügel der Union regt sich auf über die "teure Symbolpolitik", die nicht wirklich ins Bild neoliberaler Wirtschaftsdoktrin passt. BDI-Chef Dieter Kempf, der mit in der Kommission saß, rät hingegen, die Füße still zu halten: "Ein Herauspicken von Einzelmaßnahmen bringt den Konsens in Gefahr."

Mit seinen mehrfach wiederholten Zusicherungen für einen sozialverträglichen Übergang und seiner Überfülle an aufgeführten Vorhaben für den Strukturwandel, die einfach nur nebeneinander stehen, ohne ein Bild zu ergeben, wohin der Wandel denn führen soll, strahlt der Bericht eine gewisse Panik aus. Er mag ein Hinweis darauf sein, dass die Regierenden versuchen, die Quadratur des Kreises zu beschreiben: Sie müssen etwas gegen den Klimawandel tun, wollen auf keinen Fall die Interessen der Industrie beeinträchtigen, aber sie dürfen auch nicht den Eindruck erwecken, als würde dies auf Kosten der Bevölkerung in den Revieren gehen, das wäre in diesem Jahr der Landtagswahlen Ost für beide Koalitionsparteien ein Harakiri.


"Wir gehen hier nicht weg!"

Unterm Strich kann man sagen: Das wenige, was erreicht worden ist, ist dem Erfolg der jahrelangen Mobilisierung gegen die Braunkohle zuzuschreiben. "Bürgerschaftliches Engagement lohnt sich!", war denn auch das Fazit der Runde in Buir.

Die Familie Dresen aus Kuckum, vertreten durch Mutter und Sohn, appelliert jedoch, dass der Widerstand jetzt nicht nachlassen darf, sondern ausgebaut werden muss: Sohn David hält die Kohlekommission für gescheitert, weil es keine verbindliche Zusicherung für den Erhalt der Dörfer gibt. Deren Erhalt hängt stark davon ab, in welchen Regionen zuerst welche Kraftwerke abgeschaltet werden. "Alle Hambis sollen kommen, sonst geht der soziale Friede verloren und es gibt eine Radikalisierung auch des bürgerlichen Milieus", erklärte er. Darin sind sich alle einig: Man bleibt fest zusammen. Am 23. März gibt es einen Sternmarsch nach Keyenberg.

Was ist der Maßstab für die Bewertung der Mitarbeit in einer Institution wie der Kohlekommission?

- Konnte man darauf setzen, dass mehr dabei herauskommen würde? Nein, von den 28 Mitgliedern der Kommission waren ganze 5 als aufrechte Umweltschützer einzustufen, alle anderen, einschließlich der Vertreter der Grünen und der Gewerkschaften, sind Teil der Kohlemafia. Unter diesen Umständen konnte man nicht damit rechnen, dass ein frühes Kohleausstiegsdatum genannt würde.

- War es unter diesen Umständen überhaupt sinnvoll, an der Kommission teilzunehmen? Ja, ohne die Stimme der Betroffenen und der Umweltverbände wäre ein noch späteres Ausstiegsdatum festgelegt worden, mutmaßlich ohne Korrekturmöglichkeit zwischendurch, und der Hambacher Wald wäre geopfert worden.

Es sind Fortschritte im Schneckentempo, die erreicht wurden, aber es sind welche. Das größte Plus an diesem Ergebnis jedoch ist, dass der Widerstand dadurch nicht gespalten wurde, im Gegenteil - er wird mit größerer Energie fortgesetzt als zuvor.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 34. Jg., März 2019, S. 14
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2019

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