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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2273: CSU torpediert Rückkehr in Vollzeit, SPD legt faulen Kompromiss vor


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 · Juli/August 2018 Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Schön wär's ja, aber...
CSU torpediert Rückkehr in Vollzeit, SPD legt faulen Kompromiss vor

von Manfred Dietenberger


Wer in Teilzeit arbeiten und entsprechend seine Arbeitszeit verkürzen will/muss, kann das bereits heute per Rechtsanspruch einfordern. Bislang ist dies jedoch eine Einbahnstraße in die Armutsfalle: Einen gesetzlichen Anspruch auf die Rückkehr in eine Vollzeitstelle gibt es bislang nicht, soll es aber ab 2019 geben.

Dazu hat das Bundeskabinett der schwarz-roten Koalitionäre jetzt dem Gesetzesentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil zugestimmt. Der Text mit dem sperrigen Namen «Entwurf zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts und zur Einführung einer Brückenteilzeit» soll vorgeblich garantieren, dass es ab dem 1. Januar 2019 für Millionen Menschen in Deutschland in Zukunft einfacher wird, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Schon bei der Vorstellung des Entwurfs posaunte Arbeitsminister Heil: «Das ist, glaube ich, ein fairer Kompromiss, der der Lebensrealität auch von Unternehmen und Beschäftigten entspricht.» Das Rückkehrrecht sei auch eine Möglichkeit, Altersarmut zu vermeiden.

Aber stimmt das wirklich? Schön wär's ja und mehr als nötig auch, aber es wird auch diesmal wieder mehr versprochen als gehalten. Wird aus dem Entwurf tatsächlich ein Gesetz, sollen künftig Beschäftigte in Betrieben mit mindestens 45 Beschäftigten einen Rechtsanspruch auf eine befristete Teilzeitphase mit Rückkehrrecht bekommen, die zwischen einem und fünf Jahre dauern kann.

Aber: Der Kollege oder die Kollegin muss vorher mindestens schon ein halbes Jahr im Betrieb beschäftigt gewesen sein. Außerdem wird es eine «Zumutbarkeitsgrenze» für Unternehmen mit 46 bis 200 Beschäftigten geben: hier muss nur einem von 15 Beschäftigten der geplante Anspruch auf Brückenteilzeit gewährt werden.

Heil verkauft seinen Gesetzentwurf als «ganz entscheidenden Wert»: «Es muss um Arbeitszeit gehen, die zum Leben passt.» Aber stimmt das? Anfang des Jahres setzte die IG Metall für ihre männerlastige Branche ein tarifliches Recht auf befristete Teilzeit durch. Fast jede zweite erwerbstätige Frau hat keine Vollzeitstelle, Mütter mit kleinen Kindern sind sogar zu knapp drei Vierteln in Teilzeit beschäftigt. Die vielen Ausnahmen des geplanten Gesetzes sorgen für Ernüchterung, denn es gilt im besten Fall nur für 55 Prozent aller Beschäftigten. Es gibt annähernd fast 3 Millionen Betriebe mit maximal 45 Beschäftigten - das sind rund 96 Prozent aller Betriebe. In diesen Unternehmen haben insgesamt 7,6 Millionen Frauen und 6,9 Millionen Männer überhaupt keinen Anspruch auf eine Rückkehr. Für 39 Prozent wird das Gesetz nichts bringen, da es nur in Betrieben ab 45 Beschäftigte gilt. Und weil in Betrieben mit 45 bis 200 Beschäftigten nur jeder 15. Beschäftigte das Recht auf Rückkehr in Vollzeit in Anspruch nehmen kann, schauen weitere 26 Prozent aller Beschäftigten in die Röhre.

Und was ist mit den übrigen 45 Prozent? Auch für die sind die Aussichten alles andere als rosig. Denn die drei Bundesminister der CSU haben der Kabinettsvorlage von Bundesarbeitsminister Heil nur unter Vorbehalt zugestimmt. Dies geht aus einer inzwischen bekannt gewordenen Protokollnotiz von Bundesinnenminister Horst Seehofer, Verkehrsminister Andreas Scheuer und Entwicklungsminister Gerd Müller (alle CSU) hervor. «Unter Zurückstellung eigener fachlicher Bedenken und bei Kritik an dem von BMAS durchgeführten Ressortabstimmungsverfahren stimmen BMI, BMVI und BMZ dem Gesetzentwurf nur zu, weil Bundesminister Heil ausdrücklich zugesichert hat, dass die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände die im vorgelegten Gesetzentwurf gefundenen Regelungen mitträgt.»

Sah Heils Kabinettsvorlage noch vor, dass das Unternehmen die Beweislast für das Fehlen eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes zu tragen hat, wenn einem Beschäftigten die Rückkehr in Vollzeit verweigert wird, so findet sich jetzt im Gesetzentwurf der Koalition zusätzlich die «Klarstellung»: «Ein freier zu besetzender Arbeitsplatz liegt vor, wenn der Arbeitgeber die Organisationsentscheidung getroffen hat, diesen zu schaffen oder einen unbesetzten Arbeitsplatz neu zu besetzen.»

«Bis zu 600.000 Beschäftigte könnten von dem Gesetz profitieren, vor allem Frauen», mirakelte Sozialdemokrat Hubertus Heil. Aber da liegt er wohl falsch. Viel näher an der betrieblichen Wirklichkeit liegt der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) mit seiner Einschätzung: «Dort, wo eine Veränderung der Arbeitszeit möglich ist, finden Arbeitgeber und Arbeitnehmer schon heute millionenfach einvernehmlich eine Lösung - und das ganz ohne Gesetz. Und dort, wo aus betrieblichen Gründen eine Veränderung nicht möglich ist, wird das Gesetz auch nicht weiterhelfen.»

Weiter hilft uns abhängig Beschäftigten nur eine radikale kollektive Arbeitszeitverkürzung für alle. Wir brauchen den 4-Stunden-Tag bzw. die 20-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Nicht nur, aber auch aus Gründen der Beschäftigungs- und Geschlechtergerechtigkeit, zur Steigerung der Lebensqualität und der gesellschaftlichen Teilhabe.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 33. Jg., Juli/August 2018, S. 10
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2018

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