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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2215: Interview mit Binali Demir - "Eine Fusion bedeutet immer Ärger"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1 · Januar 2018
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Eine Fusion bedeutet immer Ärger"
Binali Demir informiert über den Stand der Verhandlungen zwischen ThyssenKrupp und Tata sowie über den Widerstand der Beschäftigten

Ein SoZ-Interview mit Binali Demir


Seit eineinhalb Jahren berichten die Medien über Fusionspläne zwischen dem europäischen Teil des indischen Stahlkonzerns Tata und und dem deutschen Thyssen-Konzern. Beide wollen ihre Stahlsparte zu einem neuen europäischen Stahlkonzern verschmelzen. Der Konzernsitz soll in die Niederlande verlegt werden.

Seit eineinhalb Jahren ringen die Beschäftigten um Informationen. Die IG Metall hat dem Thyssen-Konzern ein Ultimatum gesetzt. Noch vor Weihnachten wollen Gewerkschaft und Belegschaft Informationen über Details der Fusion und die Auswirkungen auf die Beschäftigten der deutschen Standorte.

Die schwarz-gelbe Landesregierung in NRW bewertet die geplante Fusion der Stahlsparte erwartungsgemäß positiv. Damit könne "ein Optimum an Arbeitsplätzen gesichert werden", äußerte sich NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP). Ähnlich äußerte sich Ministerpräsident Armin Laschet (CDU): Die Fusion solle ja gerade gewährleisten, "dass Duisburg Stahlstandort bleibt", sagte Laschet dem WDR.

Was davon zu halten ist, darüber sprach die SoZ mit Binali Demir. Demir ist Mitglied des Betriebsrats im Thyssen-Werk Duisburg-Hamborn.


SoZ: Die IG Metall hat das Jahr 2016 zum Schicksalsjahr der Stahlbranche erklärt. Weltweit folgt in der Regel auf Krisen eine Welle der Fusionen, wie sieht es bei ThyssenKrupp aus?

Binali Demir: Ich weiß nicht, was als Krise bezeichnet wird. Wir haben im Geschäftsjahr 2015/2016 über 370 Millionen EBIT, das ist das Ergebnis vor Steuern und Zinsen, erreicht, aktuell sind es 547 Millionen. Also kann man im Stahlbereich immer noch genug Geld verdienen. Offiziell hat ThyssenKrupp zwar Verluste gemacht, das liegt aber an der gescheiterten Expansion in die USA und nach Brasilien. Die haben ThyssenKrupp unter dem Strich rund 8 Mrd. Euro Verluste eingebracht.

SoZ: Aber Beschäftigte und Unternehmer der Stahlbranche haben gemeinsam in Brüssel demonstriert, um auf die Krisensituation der Branche aufmerksam zu machen - mit Erfolg. Danach wurden Einfuhrzölle auf Stahlimporte eingeführt.

Binali Demir: Ja, das ist richtig. Auf einen Teil der Stahlsorten wurden Einfuhrzölle erhoben. Daraufhin verringerten sich die Stahlimporte aus China in die EU. In dieser Zeit fanden die Fusionsgespräche mit dem indischen Konzern Tata statt. Während Beschäftigte und Unternehmer gemeinsam gegen die Billigimporte auftraten, verhandelte ThyssenKrupp heimlich mit Tata Steel, ohne die Belegschaft darüber rechtzeitig und umfassend zu informieren. Wir mussten erst Druck aufbauen, Proteste und außerordentliche Belegschaftsversammlungen organisieren, damit uns der Vorstand wenigstens teilweise über den Stand der Verhandlungen informierte.

Mittlerweile stellt das Unternehmen Flugblätter her und lässt sie vor den Betrieben verteilen - sie spielen jetzt selbst Betriebsrat und Gewerkschaft. Sie führen auch Werksgespräche durch. Sie kämpfen um die Köpfe der Beschäftigten, um sie zu beeinflussen und zu manipulieren. Sie wollen den Widerstand der Beschäftigten gegen die Fusion brechen.

SoZ: Wie ist der Stand der Gespräche zwischen TKS und Tata?

Binali Demir: Stand ist, dass TKS und Tata im September eine Absichtserklärung - ein Memorandum of Understanding - für ein Joint Venture der europäischen Stahlaktivitäten unterschrieben haben. Darin vereinbaren sie die Offenlegung der Bücher und die Bewertung der jeweiligen Anlagen. Zum 1.1.2018 soll es dann richtig losgehen. Ziel ist, bis Ende 2018 zu prüfen, ob eine Fusion sinnvoll ist. Dann muss noch kartellrechtlich geprüft werden, ob dadurch eine Monopolstellung entsteht oder nicht. Würde das Verfahren im Sinne der Fusion entschieden, müsste noch der Aufsichtsrat mehrheitlich zustimmen.

SoZ: Wie schätzt ihr das Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat ein?

Binali Demir: Unsere Befürchtung ist, dass der Aufsichtsrat zustimmt. Wir haben ja auf Konzernebene keine Montanmitbestimmung, sondern das 76er Modell mit dem doppelten Stimmrecht für den Aufsichtsratsvorsitzenden, in diesem Fall Herrn Lehner. Er hat sich bereits dazu bekannt, dass er den Zusammenschluss unterstützt.

SoZ: Mit der Absichtserklärung wurde auch bekannt, dass jährlich 600 Mio. Euro eingespart werden sollen. Welche Auswirkungen wird das auf die Beschäftigten haben?

Binali Demir: Allein durch den Zusammenschluss, glauben sie, können sie über einen Synergieeffekt den Abbau von zweimal 2000 Beschäftigten, erreichen und damit die Personalkosten um 400-600 Mio. Euro verringern. Mittlerweile treiben sie die Fusion durch das Bilden von Arbeitsgruppen und Untergruppen mit fachkundigen Direktoren und Ingenieuren voran, die in die verschiedenen Werke nach Großbritannien und in die Niederlande gehen.

Zeitgleich kommen ähnliche Arbeitsgruppen von Tata wiederum zu uns. So tauschen sich Thyssen und Tata aus und informieren sich über die jeweiligen Anlagen und Abläufe. Bis 2020 - bis dahin wird es keine betriebsbedingten Kündigungen geben - sollen die Produktionsnetzwerke optimiert werden. Das heißt im Klartext, dass bis dahin klar sein soll, welche Anlage weiterbetrieben und welche Anlage geschlossen werden kann, welche Anlage Kostenvorteile bringt, welche Anlage bei Tata besser läuft, welche bei Thyssen. Alles, was parallel läuft und wo das gleiche Produkt hergestellt wird, kann geschlossen werden. Diese Arbeitsgruppen, diese Auserwählten, sollen also herausfinden, welche Produktionsstätten geschlossen werden können.

Hinzu kommt, dass es noch einen Zusatzvertrag gibt, der erst auf Drängen der Gewerkschaft und der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat preisgegeben wurde. Der Vertrag legt fest, dass 2,5 Mio. Tonnen Stahl aus Indien geliefert werden sollen, also von dem indischen Tata-Konzern an den europäischen.

SoZ: Duisburg ist der größte Stahlstandort von Thyssen. Welche Werke sind noch betroffen? Im November habt ihr in Andernach demonstriert, warum nicht vor der Konzernzentrale?

Binali Demir: Das wurde von der IG Metall so organisiert. Wir würden auch zur Villa Hügel ziehen oder zum Hauptsitz nach Essen. Geplant ist, dass vor jedem Standort eine Protestaktion stattfindet. Wir haben mit dem Hüttenwerk in Duisburg angefangen, danach waren wir in Bochum und in Andernach. Bei TKS hier in Hamborn haben wir sowieso mehrere Aktionen gemacht. Es waren solidarische Aktionen der Beschäftigten von den sieben Thyssen-Standorten.

Zu diesen sieben Thyssen-Standorten mit etwa 18.500 Beschäftigten kommen noch andere Firmenstandorte, wie etwa Thyssen M&S hinzu. Insgesamt sind 27.000 Beschäftigte betroffen, von Tata 21.000. Die neugegründete Firma soll also 48.000 Beschäftigte an 34 Standorten haben. Unsere Befürchtung ist, dass nicht alle Standorte erhalten bleiben. In Andernach wird z.B. Weißblech hergestellt. Das weltweit führende Unternehmen ist jedoch Tata in den Niederlanden. Wir befürchten, dass der Standort in Andernach den kürzeren ziehen wird.

SoZ: Bestehen zwischen den Betriebsräten und Vertrauensleuten in den jeweiligen Standorten Kontakte und Arbeitszusammenhänge, insbesondere zu den niederländischen Kolleginnen und Kollegen?

Binali Demir: Unser Betrieb ist gewerkschaftlich gut organisiert. Für die sieben Standorte gibt es einen Gesamtbetriebsrat. Das funktioniert wunderbar. Auch die Vertrauenskörperleitungen der Standorte treffen sich regelmäßig jede Woche einmal und beraten sich. Mittlerweile gibt es auch einen Auftrag an den IG-Metall-Bezirksleiter Heiko Rees, die internationalen Verbindungen zu den britischen und niederländischen Beschäftigten herzustellen. So könnte auch gemeinsam eine internationale Aktion, z. B. in Amsterdam, organisiert werden. Von den niederländischen Kollegen wissen wir, dass sie auch gegen eine Fusion sind.

SoZ: Ihr habt große Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen organisiert. Hat das die Geschäftsführung beeindruckt, gibt es erste Erfolge?

Binali Demir: So sang- und klanglos, wie sich das der Vorstandsvorsitzende Heinrich Hiesinger vorgestellt hat, läuft es nicht. Er vermeidet jegliche öffentliche Diskussion, weil er einen Imageverlust fürchtet. Die öffentlichen Aktivitäten haben zumindest verhindert, dass die Fusion schnell vorangetrieben wird. Also, abstimmen und übers Kniebrechen läuft nicht mehr. Die Aktion in Andernach war erfolgreich. Der Vorstand hat nachgegeben, und wir konnten zwei unabhängige Wirtschaftsprüfer bestellen.

Einer soll erst mal prüfen, ob das neu gegründete Unternehmen finanziell auf eigenen Füßen stehen kann. Der andere untersucht, ob die Pensionsrückstellungen der britischen Niederlassungen von Tata tatsächlich - wie von Unternehmensseite behauptet - nicht als finanzieller Ballast auf das neue Unternehmen drücken. Darüber haben wir bisher keinen Einblick und können das nicht einschätzen. Es geht dabei um Pensionsrückstellungen in Höhe von 3,6 Mrd. Euro. Dazu gibt es jetzt einen Experten, der das untersucht.

Das nächste Druckmittel ist eine Umfrage der IG Metall an allen Stahlstandorten des Thyssen-Konzerns, bei der die Belegschaft über eine Fusion abstimmen soll. Wir sind sicher, dass 99 Prozent der Belegschaft in Hamborn, bis auf die leitenden Angestellten, gegen eine Fusion sind. Mittlerweile sind fast alle fusionsgeschädigt. Es gibt Kolleginnen und Kollegen aus Witten, aus Hattingen, aus Oberhausen, aus Dortmund, aus Bochum und aus Krefeld. Es gibt Schichten, die aus allen Betrieben zusammengewürfelt sind. Sie haben mittlerweile alle die Faxen dicke. Sie wissen, eine Fusion bedeutet immer Ärger, Benachteiligung, Personalabbau. Das will keiner. Wir sind uns also sicher, dass wir durch die Abstimmung mehr Druck aufbauen können.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1, 33. Jg., Januar 2018, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2018

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