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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2207: Interview - Gewerkschaftsaktivistin Dianne Feeley zur Situation in der US-Autoindustrie


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12 · Dezember 2017
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Wir brauchen nicht noch mehr Autos"
Die Gewerkschaftsaktivistin Dianne Feeley zur Situation in der US-Autoindustrie

Interview mit Dianne Feeley von Paul Michel


Dianne Feeley lebt in Detroit und hat früher bei Ford und bei American Axle, einem Autozulieferer, gearbeitet. Sie ist auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben im Local 22 der United Autoworkers (UAW) aktiv und schreibt für Labor Notes, der wichtigsten Zeitschrift konsequenter Gewerkschaftsaktiven in den USA. Sie gehört zum Herausgeberkreis der Zeitschrift Against the Current und zur Leitung der marxistischen Organisation Solidarity. Für die SoZ sprach Paul Michel mit Dianne Feeley.


SoZ: Die Krise von 2008/2009 hat die US-Autoindustrie schwer getroffen. Seither haben sich die Konzerne wieder erholt. Wie ist der gegenwärtige Zustand der US-Autoindustrie?

Dianne Feeley: Die "Großen Drei", General Motors (GM), Chrysler und Ford, wurden in der Krise alle schwer gebeutelt. Ford musste als einziger nicht um eine Rettung nachsuchen. Jetzt stehen sie alle drei ganz gut da, obwohl die Stückzahlen ihren Höhepunkt schon wieder überschritten haben und in den nächsten Jahren wohl sinken werden.

Nicht nur für den direkten Fertigungsbereich, sondern auch für die Zulieferer der Autoindustrie brachte die Rezession in großem Umfang Entlassungen. Aber es waren die Konzerne Chrysler und GM, nicht die dort arbeitenden Menschen, die gerettet wurden. Die Obama-Regierung übte sogar Druck auf die Beschäftigten aus, sie sollten "Opfer bringen", um ihre Jobs zu retten. Die Beschäftigten haben keinen Einfluss auf die Geschäftspolitik der Konzerne. Dennoch sollten sie, nicht die Topmanager die Zeche zahlen.

Die Vereinbarung zwischen dem US-Finanzministerium, den Autokonzernen und der Gewerkschaft UAW lautete: Löhne und Renten sollen in Zukunft bei GM und Chrysler (seit der Fusion mit FIAT in FCA umbenannt) so hoch sein wie bei den "Transplants", den Ablegern ausländischer Autokonzerne in den USA, die "gewerkschaftsfrei" sind. Das sollte für alle neu eingestellten Kollegen gelten. Es sollte also von nun an ein Bezahlsystem in "zwei Schichten" geben. Den Beschäftigten wurde erzählt, so könnten sie ihre Jobs retten, sie sollten auf die Erholung ihrer Unternehmen hoffen.

Im Zuge der Erholung stellte FCA dann 14.000 Arbeiter ein, die nun 16 US-Dollar pro Stunde anstatt 28 Dollar erhalten. Heute sind etwa 45 Prozent der Beschäftigten von FCA in dieser unteren Schicht eingruppiert, bei GM sind es 20 Prozent. Bei Ford hat die Geschäftsleitung, obwohl das Unternehmen gar nicht vor dem Bankrott stand, ebenfalls verlangt, dass die Gewerkschaft der Einführung des Zwei-Schichten-Modells zustimmt, jetzt arbeiten etwa 30 Prozent zu den niedrigen Standards. Ursprünglich sollte es die Möglichkeit geben, wieder auf die höhere Schicht zu kommen (das sollte allerdings nie für die Zulagen gelten!). Aber als die Vereinbarung zwischen dem Management von FCA und der Gewerkschaft UAW der Belegschaft vorgestellt wurde, war davon keine Rede mehr. Entsprechend lehnte eine Mehrheit der Beschäftigten die Vereinbarung ab - zur Überraschung von Gewerkschaft und Management, die glaubten, die Leute sollten froh sein, dass sie überhaupt noch einen Job haben...

Der Arbeitsdruck in der Autoindustrie ist sehr hoch und es gibt sehr harte Regeln bei Fehlzeiten, weil natürlich viel weniger Leute beschäftigt sind, als für die Erledigung der Arbeiten erforderlich wäre. Das ist es, worum es bei der "Lean Production" geht: Wenn nicht genügend Arbeiter da sind, stehen alle unter dem Druck, noch härter zu arbeiten.


SoZ: Die US-Konzerne haben einen Teil ihrer Produktion beiderseits der mexikanischen Grenze verlagert. Wie sieht dort die Arbeitsteilung aus?

Dianne Feeley: Die "Großen Drei" haben entschieden, die Produktion von Kleinwagen nach Mexiko zu verlagern und die profitablere Produktion von Vans und Lkw in den USA zu behalten. Es gibt auf beiden Seiten der Grenze Fertigungsstätten. Ich habe z.B. in einem Unternehmen gearbeitet, das Achsen, vorwiegend für GM, zu einem geringeren Teil für Toyota, produzierte. Von den fünf Betrieben, die GM einst an American Axles verkaufte, sind mittlerweile vier geschlossen. Achsen werden jetzt in Mexiko und China hergestellt, um den dortigen Fertigungsfabriken näher zu sein. Für den Rest gilt: Die Produktion wurde von Detroit und Buffalo in kleinere Städte verlagert, wo sie niedrigere Löhne zahlen müssen.


SoZ: Wie stehst du zu den Elektrofahrzeugen?

Dianne Feeley: Ich vermute, dass wir auch in einer neuen, anderen Gesellschaft eine gewisse Anzahl von Autos brauchen werden. Da sind Elektrofahrzeuge sicher besser als die aktuellen CO2-Schleudern. Offensichtlich gibt es im Batteriebereich momentan einen scharfen Wettbewerb - wobei die US-Konzerne auf Lithiumzellen setzen, während Japaner und Europäer Brennstoffzellen (auf Wasserstoffbasis) den Vorzug geben. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat weniger als ein Prozent der Bevölkerung ein Elektroauto oder ein Auto mit Hybridantrieb gekauft...

Ein Grund, weshalb die US-Autokonzerne an Elektro- bzw. Hybridautos interessiert sind, liegt in den Auswirkungen, die sie auf den Durchschnittsverbrauch der gesamten Autoflotte des jeweiligen Herstellers haben. Weil das Geschäft mit Vans und Kleintransportern, die einen sehr hohen CO2-Ausstoß haben, sehr lukrativ und profitabel ist, sollen die E-Modelle dazu beitragen, dass die Gesamtproduktion des Konzerns innerhalb der vorgeschriebenen Norm bleibt. Natürlich hat Trump die EPA (Environmental Protection Agency) bereits angewiesen, die vorgesehen Standards aufzuweichen.

Die Frage ist: Wollen wir Forschungsgelder dafür ausgeben, dass das Elektroauto verbessert wird, insbesondere dessen Reichweite? Wollen wir weiterhin den Privatbesitz von Elektroautos? Ich meine: Der Durchschnittsfahrer hat sein Auto mindestens 90 Prozent der Zeit auf dem Parkplatz stehen. Der private Besitz eines Autos scheint mir nicht gerechtfertigt, wenn man das zu den Kosten in Beziehung setzt, die dadurch für die Gesellschaft anfallen. In Detroit, wo ich lebe, fahren die Beschäftigten täglich im Durchschnitt 10 Meilen zur Arbeit. In einer künftigen Gesellschaft sollte die Arbeit stärker dezentralisiert und die Wege zur Arbeit kürzer sein. Dann wären viele Leute in der Lage, zur Arbeit zu laufen oder mit dem Fahrrad zu fahren oder bei Bedarf öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen (die natürlich beträchtlich ausgebaut werden müssten).


SoZ: Gibt es unter linken Aktiven eine Debatte, wie unsere Alternative zur Autogesellschaft aussehen kann?

Dianne Feeley: Zur Zeit der großen Krise, als die Bundesregierung für Chrysler und GM Rettungsprogramme auflegte, hielt eine Gruppe von Basisaktivisten und ehemaligen Beschäftigten der Autoindustrie, die sog. "Autoworker Caravan", in Washington eine Pressekonferenz. Sie erklärten, die Regierung solle den Autobossen auch Vorschriften machen hinsichtlich dessen, was sie produzieren. Schließlich brauchen wir nicht noch mehr Autos, wir brauchen mehr Busse und mehr Züge. Außerhalb der großen Städte wie New York, Boston, Chicago und der Bay Area gibt es nämlich so gut wie kein öffentliches Transportwesen.

Ich lebe in Detroit, wo die Mehrheit der Menschen ihren Arbeitsplatz außerhalb der Stadtgrenzen hat. Aber mindestens ein Drittel der Menschen hat kein Auto und ist auf ein total unzulängliches, aber teures Bussystem angewiesen. Vor 90 Jahren hatten wir ein besseres öffentliches Transportwesen als heute. Im übrigen hätte in der Achsenfabrik, in der ich früher gearbeitet habe, die Produktion ohne große Probleme auf Windräder umgestellt werden können. Doch die Produktion wurde eingestellt und die Anlagen demontiert.


SoZ: Wie kriegen wir einen gerechten Übergang hin, sodass am Ende nicht die Beschäftigten der Autoindustrie die Leidtragenden sind?

Dianne Feeley: Früher arbeiteten in Detroit einmal 300.000 Menschen in den Autofabriken, heute sind es in der Endmontage gerade noch 11.000 Beschäftige. Es gibt im Großraum Detroit noch einige Endmontagebetriebe und Zulieferer. Es gibt in der Region mehr Ingenieure als in irgendeinem anderen Teil unseres Landes. Hier sind die Forschungseinrichtungen der "Großen Drei" und von Toyota angesiedelt.

Unsere Vorstellung, diese Fabriken so umzustellen, dass dann dort Dinge produziert werden, die für eine ökologisch nachhaltige Gesellschaft wichtig sind, ist absolut richtig. In der Geschichte der US-Autoindustrie gibt es mehrere Beispiele dafür, dass eine völlige Umstellung der Produktion machbar ist. Im Ersten und im Zweiten Weltkrieg wurden die Autofabriken auf Kriegsproduktion umgestellt. Im Zweiten Weltkrieg dauerte es gerade mal sechs Monate, um die gesamte Produktion von Zivil-Pkw auf militärische Produkte (Flugzeuge, Panzer) umzustellen. Aber wir brauchen keine Kriege und keine Waffenproduktion. Wir brauchen Produktion für ein öffentliches Transportsystem (Busse, Eisenbahnen usw.).

Beim Übergang in eine Welt, wo die Energie aus erneuerbaren Ressourcen gewonnen wird, gibt es viel zu tun. Wir müssen Energie sparen, indem wir z.B. unsere Gebäude besser isolieren. Bei der Wärmedämmung von Gebäuden fällt viel Arbeit an. Hinzu kommen unsere Probleme hier in der Region Detroit mit der Wasserversorgung. Das ganze Leitungssystem in Südmichigan ist ziemlich desolat, die Infrastruktur muss komplett erneuert werden. Wir haben große Probleme mit der Verschmutzung der Großen Seen durch Industrie und Landwirtschaft - immerhin liefern sie 20 Prozent des Trinkwassers der Welt.

Wir sind eine Stadt, die von großer Ungleichheit geprägt ist. Die äußert sich am krassesten in der Kindersterblichkeit, in Atemwegserkrankungen und Bildungsgrad. Der Ausbau der öffentlichen Gesundheitsversorgung und der Bildung muss absolute Priorität bekommen. Schließlich sind wir eine Musikstadt - Gospel, Blues, Jazz, Motown, Rap und Techno -, eine Stadt des Tanzes, der Kunst und der Theater. Wir hätten die Chance, Detroit zu einem kulturellen Zentrum weiterzuentwickeln und damit die Trennung zwischen Industrieproduktion und kultureller Entwicklung abzubauen.

Um diesen Wandel in Gang zu setzen, müssen wir aber Schluss machen mit der Ungleichheit, die eines der bestimmenden Merkmale dieser Stadt ist. Es gilt, die Schranken niederzureißen, mit denen sich Frauen im Arbeitsleben konfrontiert sehen. Wir brauchen Einrichtungen, die hohe Standards bei Erziehung und Bildung vom Kinderhort bis ins Erwachsenenalter gewährleisten. Dann können wir es auch schaffen, dass Detroit einmal ein Ort wird, wo nicht mehr reiche Projektmanager wie Halbgötter angehimmelt und die Armen und Verzweifelten kriminalisiert werden.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12, 32. Jg., Dezember 2017, S. 6
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2018

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