Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2093: "Wir können nicht mehr nur die andere Wange hinhalten" - Gespräch mit Daniel Clain


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12. Dezember 2016
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Wir können nicht mehr nur die andere Wange hinhalten"
Daniel Clain über die Reaktionen in der Bevölkerung auf die US-Präsidentenwahl

Interview von Violetta Bock


Donald Trump hat in seinem Wahlkampf eine Sprache der Gewalt gebraucht. Das hat Folgen. Viele seiner Anhänger sehen sich nun ermutigt, den Worten Taten folgen zu lassen. Daniel Clain berichtet von zunehmenden tätlichen Angriffen auf alles, was in das selbstzufriedene Weltbild weißer amerikanischer Kleinbürger in der Provinz nicht hineinpasst. Und wie die Betroffenen darauf reagieren.
Daniel Clain lebt in Milwaukee. Er ist Afroamerikaner, arbeitet in
Solidarity, einer mit der IV. Internationale in den USA sympathisierenden Organisation, und der IWW (Industrial Workers of the World). Sein Schwerpunkt ist der Kampf für Mieter- und Bürgerrechte. Außerdem unterstützt er die Organisierung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern gegen Menschenhandel. Im Gespräch mit Violetta Bock erzählt er von den Protesten gegen Trump, von Black Lives Matter und der Repression durch die Polizei.


SoZ: Hat dich die Wahl Trumps überrascht?

Daniel Clain: Nein, überhaupt nicht. Amerika hat in den letzten Jahren bezogen auf die bürgerlichen Freiheiten einige wichtige Fortschritte gemacht. Wir hatten mit Barack Obama den ersten afroamerikanischen Präsidenten, die Ehe von Homosexuellen wurde legalisiert.

Das ist alles ganz an der Oberfläche und ganz offensichtlich liegt noch viel Arbeit vor uns. Aber deshalb hatte ich auch vorher schon den Eindruck, dass die reaktionären Kräfte auf dem rechten Flügel bei der nächsten Wahl einen Sprung nach vorn machen werden. Das ist typisch. Jedesmal, wenn in Amerika ein Präsident für zwei Legislaturperioden gewählt wird, kommt der nächste Präsident von der anderen Seite. Also, das ist ganz simple Soziologie. Daher war ich enttäuscht, aber keineswegs schockiert.


SoZ: Was hat sich seit der Wahl verändert?

Daniel Clain: Es gibt mehr Angriffe vom rechten Flügel in der Bevölkerung. Ich denke, Trumps Wahl hat viele Faschisten, Rassisten, Sexisten, Anti-Muslime, Anti-LGBTQ(*) ermutigt. Es gab viele Übergriffe, mehr als gewöhnlich. Damit will ich nicht sagen, dass es vor Trump idyllisch war, aber wenn die ganze Nation auf einen Mann blickt und er Dinge sagt wie: "Ich fasse Frauen an ihre Vagina" und "Ihr könnt mit Frauen machen, was ihr wollt", dann hören die Menschen ihm zu. Das sind Worte, die einen großen Einfluss haben. Und es gibt viele dumme Leute.

Es gab viele Drangsalierungen, aber keine, der nicht mit Gewalt begegnet wurde. In der schwarzen Community gibt es ein neues Sprichwort, das heißt: "Wir sind nicht unsere Großeltern." Das bezieht sich darauf, dass es in der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre immer darum ging, friedlich zu sein, immer von der Politik respektiert zu werden. Aber nun heißt es: Wenn du die Rechte meines Freundes verletzt, werde ich dich verletzen. Ich werde nicht die andere Wange hinhalten, ich werde deine mit der Faust schlagen.


SoZ: Wie formieren sich die Proteste?

Daniel Clain: Wir haben jede Menge organisiert. Die Medien versuchen es so darzustellen, als würden da nur Menschen protestieren, die über das Ergebnis jammern und sich darüber beschweren, dass sie nicht gewonnen haben. Aber alle, mit denen zusammen ich protestiert habe, waren genauso gegen Hillary Clinton, wie sie gegen Trump sind. Und ich bin sogar ziemlich sicher, dass wir auch bei der Wahl Hillarys auf die Straße gegangen wären. Die Medien stellen es anders dar. Viele Liberale wollen immer Frieden halten, koste es was es wolle, selbst wenn da ein faschistischer Diktator kommt, egal was, sie kommen immer mit dem Spruch: "Er hat das Recht, das zu sagen, denn so steht es in unserer Verfassung." Aber hier geht es nicht nur um Worte. Diese Worte übersetzen sich in Aktionen von Menschen. Und hier muss Gewalt mit Gewalt begegnet werden oder wir werden einfach überrannt.


SoZ: Wie setzen sich die Protestierenden zusammen?

Daniel Clain: Ich kann nur über Milwaukee sprechen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es woanders ähnlich ist. Nun, es sind die linken Zirkel, auch viele Liberale und Demokraten kommen raus. Außerdem wurden viele politisiert, die zuvor nicht unbedingt politisch waren. Bei den Protesten in Milwaukee waren viele dabei, die nie zuvor in ihrem Leben auf einer Demonstration waren und jetzt ihren Unmut gegenüber diesem Amerika zeigen, nicht mal nur gegenüber der Wahl Trumps, sondern gegenüber dem Wahlmännergremium, das ihn am Ende wählen wird, obwohl Hillary mehr Stimmen bekommen hat.


SoZ: Welche Rolle spielt Black Lives Matter in diesem Kontext?

Daniel Clain: Viele ziehen eine Verbindung von Trump zur Regierung Ronald Reagans. Die Reagan-Regierung drehte sich vor allem um Law and Order. Das war ihr Schwerpunkt. Sie verabschiedete viele Gesetze wie den Krieg gegen Drogen, der in erster Linie Afroamerikaner trifft. Viele wurden für den Rest ihres Lebens wegen Marihuana ins Gefängnis geschickt.

Black Lives Matter ist ein Teil der Anti-Trump-Proteste, weil Trump als Verkörperung des Rassismus eine direkte Auswirkung auf das Leben von Nichtweißen haben wird.


SoZ: Kannst du mehr über Black Lives Matter Sagen? Wie ist es entstanden?

Daniel Clain: Black Lives Matter entstand, als der Mörder von Trayvon Martin nicht verurteilt wurde. Trayvon Martin war auf dem Weg zu einem Bekannten in einer gehobenen Wohngegend, und ein Mann beobachtete, wie der junge Schwarze in einer Nachbarschaft umherging, in der normalerweise nur Weiße sind. Er fing an, wütend zu werden und ihn zu belästigen und rief sogar die Polizei. Die Notrufzentrale sagte ihm, er solle ihm nicht folgen, aber er tat es trotzdem. Letzten Endes gerieten sie aneinander und er erschoss diesen 17jährigen High-School-Schüler. Er wurde nicht verurteilt.

Der Name Black Lives Matter entstand, als eine Frau dazu schrieb: "Wir machen uns etwas aus schwarzen Kindern, aus schwarzen Frauen." Und am Ende sagte sie: "Black lives matter." Ein andere Frau hörte das und fügte einen Hashtag hinzu: #BlackLivesMatter. Viele nahmen das auf und es verbreitete sich online. Es wurde positiv aufgegriffen mit TransLivesMatter, BrownLivesMatter, aber auch negativ mit BlueLivesMatter. Das betrifft Polizisten. Letztere nehmen das so wahr, als richtete sich der Protest gegen Polizistenmorde gegen Polizisten überhaupt. Aber das zeigt, was diejenigen, die so denken, für die Aufgabe der Polizei halten.

Außerdem gibt es nicht so etwas wie Blaues Leben. Es gibt schwarze, braune, trans- und homosexuelle Leben, weil wir so geboren wurden. Aber als Cop ziehst du eine Uniform an und du kannst sie ausziehen. Ja, es ist ein gefährlicher Job, und viele haben ein natürliches Misstrauen in Cops, weil sie oft Leute töten. Wir stellten auch fest, dass viele Rechte sich organisiert haben, um die Cops zu beschützen. Bei den Anti-Trump-Protesten war z.B. ein Mann mit einer amerikanischen Fahne und griff Leute an. Die Fahne wurde zerbrochen und die Medien kamen mit ihren Kameras. Er weinte und stellte es so dar, als sei er ohne Grund angegriffen worden.

Dann gibt es noch AllLivesMatter, das von Liberalen entwickelt wurde, weil sie Polizeigewalt für das Thema aller halten, nicht nur von Schwarzen. Aber es ist ein spezifisches Problem für Schwarze, weil sie überproportional oft von Polizisten erschossen werden. Es auf AllLivesMatter zu reduzieren, verdeckt nur die Unterschiede, die da sind.

Wie bei fast allen schwarzen Befreiungsbewegungen in Amerika - viele wissen das nicht - sind es auch bei Black Lives Matter typischerweise Frauen, die vorne stehen. Normalerweise sind es mehr Frauen als Männer. Black Lives Matter ist weniger eine Organisation, eher eine Gruppe von Aktivistinnen. Es gibt keine Adresse oder Anführerinnen. In der amerikanischen Geschichte wurden Gruppen von schwarzen Radikalen oft zerschlagen. Das sieht man an der Black Liberation Army, an den Black Panthers, selbst bei Martin Luther King, der ein friedlicher Aktivist war und ermordet wurde. Die lange Geschichte des Rassismus gegen die Ureinwohner Amerikas und gegen Afroamerikaner, die von Cops erschossen wurden, das war ein Punkt für die Mobilisierung. Es gibt so viele unbewaffnete Schwarze, Frauen und Transgender, die von Polizisten ermordet wurden.


SoZ: Was ist der Kern der Proteste?

Daniel Clain: Sie sind nicht nur gegen Trump. Sie sind gegen das ganze System. Viele fühlen sich vom System entrechtet, von den Mächtigen und der Oligarchie. Die Leute haben es satt. Aber ich weiß nicht, wie lang der Widerstand anhält. Im Moment springen viele auf und es ist schön, so viele in ihren Communities und auf politischer Ebene aktiv zu sehen.


SoZ: Welche Perspektive siehst du?

Daniel Clain: Ich persönlich denke, Trump wird nicht die ganze Legislatur durchhalten. Ich denke, er muss vor Gericht wegen Verschwörung, er sollte ins Gefängnis wegen sexueller Belästigung. Es ist absolut albern, dass er überhaupt kandidieren konnte. Er verdient Millionen, und wie alle Politiker versprach er, Brücken zu bauen, wo kein Fluss ist. Er setzt jede Menge gefährliche Gedanken und Meinungen frei. Ich hoffe, die Proteste halten an. Selbst wenn sein Vizepräsident dran kommt, stehen wir an der gleichen Stelle. Aber es geht darum, das ganze System zu entlarven.


SoZ: Siehst du auch Möglichkeiten für neue Bündnisse, wie etwa mit der Umweltbewegung?

Daniel Clain: Ja, klar. Denn Trump ist für die Pipeline, die auf indigenem Land gebaut wird. Das ist eine direkte Bedrohung für deren Wasserversorgung. Man denke nur an Flint, Michigan. Das Wasser dort ist immer noch vergiftet. Aber bei Flint und Standing Rock waren viele Weiße erstaunlich ruhig. Dabei ist es ein übergeordneter Kampf, der viele Menschen direkt betrifft. Leute könnten von diesem Wasser sterben, nur weil andere Geld verdienen wollen.


SoZ: Trump wird am 20.Januar offiziell Präsident und es gibt einen Aufruf zur internationalen Solidarität mit den Protesten an diesem Tag. Wie könnte die aussehen?

Daniel Clain: Das wird hart, außer ihr steigt ins Flugzeug. Aber ihr könnt Solidarität zeigen durch Social Media, Solidaritätsbriefe... Behaltet uns in euren Gedanken, so wie wir an euch denken, und kämpft weiter. Es ist ein langer, langer Weg zum Kommunismus, und der Kapitalismus kann nicht ewig dauern. Aber wir müssen uns beeilen, sonst ist von unserem Planeten nichts mehr übrig, das wir teilen können.


(*) LGBTQ: Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12, 31. Jg., Dezember 2016, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
Die Soz erscheint monatlich und kostet 3,50 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 58 Euro
Sozialabo: 28 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang