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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1946: Spanien - "Wir wollen für und mit den Bürgern regieren"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, Juli/August 2015
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Wir wollen für und mit den Bürgern regieren"
José María González Santos, genannt Kichi, ist Bürgermeister von Cádiz geworden


In mehreren Städten Spaniens haben bei den jüngsten Kommunalwahlen linke Bürgerlisten mit Unterstützung der Partei Podemos, die aus der Bewegung 15M hervorgegangen ist, aus dem Stand Bürgermeisterposten erobert, so auch in Cádiz (Andalusien). Die Liste "Por Cádiz sí se puede - Candidatura de Unidad Popular" wurde zweitstärkste Partei. Ihr Spitzenkandidat war José María González. Der 39jährige, der "Kichi" genannt wird, wurde von spanischen Arbeitsmigranten in Rotterdam geboren, der Vater war Schweißer, die Mutter arbeitete in einer Fabrik für Schiffsturbinen und als Putzfrau. Kichi studierte neuzeitliche Geschichte und arbeitete als Lehrervertretung, eine Zeitlang auch als Hauptamtlicher der Lehrergewerkschaft Ustea. Kichi ist auch ein eifriger Karnevalist, engagiert in einer der größeren Karnevalsgruppen von Cádiz. In der Wahlnacht brachte ihm die Gruppe vor der Haustür ein Ständchen dar, Si yo fuera alcalde de Cádiz (Wenn ich Bürgermeister von Cádiz wäre). Das traditionelle Amtsgebaren eines Bürgermeisters lehnt er ab. Cádiz wurde von der Immobilienkrise stark gebeutelt, die Wohnungsnot ist krass, fast 4000 Haushalte suchen eine Wohnung, zugleich stehen fast 7000 Immobilien leer.
Die SoZ wollte von ihm wissen, wie er diese Probleme anpacken will.
Kichi González ist Mitglied der Organisation
Anticapitalistas, der Sektion der IV. Internationale im spanischen Staat, die in Podemos arbeitet.

(Übersetzung: Carmen Wenzke.)


SoZ: Du bist auf die Liste einer Koalition gewählt worden, die zum erstenmal kandidiert hat. Wie ist diese Liste entstanden, und wie ist sie zusammengesetzt?

Kichi González: Zunächst eine Klarstellung: Es handelt sich nicht um eine Koalition politischer Parteien. Die Wahlliste Por Cádiz sí se puede. Candidatura de Unidad Popular (Für Cádiz können wir doch. Kandidatur der Volkseinheit) entstand aus einem Prozess offener Bürgerbeteiligung auf Versammlungen: jede anwesende Person konnte Kandidaten vorschlagen, die später durch Vorwahlen ausgewählt wurden. Das Programm wurde ebenfalls nach einer öffentlichen Debatte ausgearbeitet. Auch über die Bündnispolitik wurde auf öffentlichen Versammlungen diskutiert. Das Ergebnis war: Wir wollen nur allein regieren oder gar nicht.


SoZ: Wie erklärst du euren enormen Wahlerfolg?

Kichi González: Die Losung, mit der wir in zahlreichen Städten angetreten sind, ist allgemein als Unidad Popular (Volkseinheit) bekannt. Das sollte man nicht mit der gleichnamigen katalanischen Partei (CUP - Kandidaturen der Volkseinheit, die Unabhängigkeit anstrebende "Unidad-Popular-Kandidatur" der katalanischen Länder) verwechseln. Diese Losung ermöglicht die Beteiligung der "Empörten", die sich nicht durch die traditionellen Parteien vertreten fühlen.

Aber unseren Wahlerfolg kann man nicht nur daraus erklären, dass wir eine entschieden demokratische Losung verwendet haben. In Cádiz und Puerto Real, wo wir Bürgermeistersitze erobern konnten, gibt es eine schlimme soziale Notlage mit besonders hoher Arbeitslosigkeit und eine Zunahme von Armut in der Arbeiterklasse. Alle diese von der Krise Betroffenen haben uns gewählt, weil wir Seite an Seite mit ihnen in den sozialen Bewegungen, in den Betrieben und auf der Straße kämpfen und mit ihnen gegen die Zwangsräumung ihrer Wohnungen Widerstand leisten. Wir sind ein aktiver Teil des Volkes, das sein Schicksal selbst in die Hände nehmen will.

Wir haben ein Programm entwickelt, das darauf abzielt, die Beschäftigung zu erhöhen, mit der Korruption Schluss zu machen, die Verwaltung der privatisierten öffentlichen Dienste wieder in die Hände der Kommunen zu legen und gemeinsam mit den Bürgern neue Formen der Teilhabe an Entscheidungen voranzutreiben. Dasselbe trifft auf Städte wie Barcelona, Vigo, Compostela, Madrid oder Zaragoza zu und auf viele Bergbau- und Industriestandorte zahlreicher Regionen.


SoZ: Wie sind die Wahlergebnisse der anderen Parteien in Cádiz und mit wem regiert ihr jetzt zusammen?

Kichi González: Die rechte Volkspartei (PP) hat 10 Ratssitze bekommen, wir 8 Sitze, die Sozialdemokraten (PSOE) 5 und eine Koalition, die die Vereinigte Linke (IU) betrieben hat, 2. Die PP hatte die Stadt seit zwanzig Jahren mit absoluter Mehrheit regiert. Wir regieren mit niemandem, wir haben programmatische Vereinbarungen mit der Koalition um die IU getroffen, und die PSOE musste sich entscheiden, ob sie weitere vier Jahre die PP regieren lassen oder uns wählen wollte. Der Druck eines breiten Teils der Bevölkerung hat sie bewogen, für uns zu stimmen.


SoZ: Was werden eure ersten Maßnahmen sein? Welchen Spielraum habt ihr in der Stadtregierung?

Kichi González: Wir haben ein erstes Maßnahmepaket für die ersten hundert Regierungstage geschnürt: Wir wollen die Schulkantinen während der Schulferien offen halten, damit alle Kinder der Stadt zu essen haben; wir wollen verhindern, dass armen Familien Wasser und Strom abgestellt wird; wir werden die Banken auffordern, Menschen, die keine andere Bleibe haben, ihre Hypothekenschulden zu stunden; wir werden ein Audit über die Schulden der Kommune veranstalten; alle Informationen im Internet zugänglich machen; öffentliche Versammlungen in allen Stadtteilen organisieren, um die Bevölkerung an den Entscheidungen teilhaben zu lassen; partizipative Haushalte für 2016 organisieren; die Gehälter der politischen Vertreter auf ein Maximum von drei Mindestgehältern kürzen; die Anzahl politischer Verträge radikal reduzieren und die Arbeit der Angestellten im öffentlichen Dienst, mit denen wir schon vorher in Kontakt waren, unterstützen. Wir werden umgehend ein effizientes Energiesparprogramm vorlegen. Darüber hinaus haben wir Pläne, um industrielle Fertigungsprozesse von nützlichen Komponenten für erneuerbare Energien anzustoßen.

Unser Handlungsspielraum ist sehr begrenzt. Wir haben auf zahlreichen Gebieten sehr wenige Zuständigkeiten, dort wo das Rechtssystem eine solche den Autonomen Gemeinschaften oder dem Staat zuspricht. Darum können wir auch auf kommunaler Ebene kaum Steuern eintreiben. Der Stadtrat ist wirtschaftlich pleite wegen der vielen Jahre der Korruption und einer schlechten Verwaltung, die nur die Freunde der Bürgermeisterin begünstigte.

Jedes Kind, das in Cádiz geboren wird, ist schon bei der Geburt mit 1800 Euro verschuldet, das ist sein Anteil an den Schulden des Stadtrats, die 235 Millionen Euro betragen. Wir verfügen nur noch über soviel Geld, dass wir den Angestellten im öffentlichen Dienst ein Monatsgehalt auszahlen können.

Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist daher: Entweder wir stellen uns der Herausforderung, für und mit den Bürgerinnen und Bürgern zu regieren, oder wir lassen das Rathaus in den Händen der neoliberalen Rechten. Ich werde euch darüber auf dem Laufenden halten, wie wir alle diese Probleme Schritt für Schritt lösen werden. Bei jedem einzelnen Schritt, den wir gehen werden, werden wir die Bürger aufrufen, selbst darüber zu bestimmen.


SoZ: Es scheint so, als hätten von Bewegungen getragene Listen bessere Wahlaussichten als solche von Podemos allein. Wird das auch Konsequenzen für die Parlamentswahlen haben?

Kichi González: Im allgemeinen stimmt es, dass die Kandidaturen der Volkseinheit bessere Ergebnisse erzielt haben als Podemos, die nur bei den Wahlen in den Autonomen Gemeinschaften allein kandidiert hat. Für historische Nationalitäten wie Katalonien, Galicien und das Baskenland fanden diesmal keine Wahlen zu den autonomen Gemeinschaften statt, auch nicht in Andalusien, weil sie dort schon abgehalten wurden. Wir sollten bei der Bewertung der Wahlergebnisse aber berücksichtigen, dass sie sich erstens - mit Ausnahme der Stadt Madrid - nicht wirklich gravierend unterscheiden. Zweitens hat Podemos zahlreiche dieser Bündniskandidaturen unterstützt.

Um Schlüsse für die nächsten Parlamentswahlen daraus zu ziehen, ist es noch zu früh. Die politische Lage ist sehr unsicher. Die Wahlumfragen zeigen ständig sich ändernde Wahlpräferenzen. Die Bourgeoisie hat reagiert und gegen Podemos neue Parteien gegründet (z.B. Ciudadanos), und sie hat auch die PSOE und die PP zu gewissen Änderungen ihrer Linie veranlasst.

Podemos stellt die wichtigste linke Kraft dar, die das soziale und demokratische Unwohlsein politisch ausdrückt, aber wenn sie sich gut behaupten will und gute Wahlergebnisse erzielen will, muss sie die populären Schichten der Bevölkerung, auf die Podemos sich stützt, wieder mobilisieren und ihre Politik auf andere Bereiche der Linken und der sozialen Bewegungen ausweiten.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 30. Jg., Juli/August 2015, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96, Telefax: 0221/923 11 97
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2015

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