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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1681: Wie sich die Bundeswehr auf weitere Kriege vorbereitet


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9 - September 2012
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Rüstungsexporte verbieten

Wie sich die Bundeswehr auf weitere Kriege vorbereitet

Interview mit Claudia Haydt



Der neue Bundespräsident fordert "Mutbürger in Uniform" und "deutsche Militäreinsätze über die Grenzen hinaus". Daran war Horst Köhler noch gescheitert. Saudi Arabien und Qatar bekommen großzügige Panzerlieferungen und Israel U-Boote - ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Die Bundeswehr darf in Schulen Rekruten anwerben und die Überwachungstechniken werden immer ausgefeilter. Mit aller Gewalt versucht die politische Führung Deutschlands, die in der Bevölkerung verbreitete Abwehr gegen den Krieg zu brechen.
Die SoZ sprach darüber mit Claudia Haydt. Sie ist Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung, www.imi-online.de.


SOZ: Erleben wir derzeit einen neuen Militarisierungsschub?

Claudia Haydt: Joachim Gauck versucht, bei der eher kriegs- und sogar militärskeptischen Bevölkerung Akzeptanz für eine Außenpolitik mit militärischen Mitteln zu schaffen.

SOZ: Fällt das auf fruchtbaren Boden?

Claudia Haydt: Gesamtgesellschaftlich nein, aber die junge Generation im Alter zwischen 15 und 25 ist durchaus offen für seine eher idealistische Argumentation, denn bei ihr ist kritisches Bewusstsein gegenüber dem Militär leider wenig verankert, wie sollte es auch. Wenn dann eine moralische Autorität wie der Bundespräsident erzählt, dass die Bundeswehr Verantwortung übernimmt, dass es zivilgesellschaftliches Engagement erfordert, sich bei der Bundeswehr für Menschenrechte weltweit zu engagieren, dann ist das genau für dieses Alterssegment ein Problem - da müssen wir uns von Seiten der Friedensbewegung überlegen, wie wir gegensteuern können. Diese Generation will die Bundeswehr ja ansprechen, um Soldatinnen und Soldaten zu rekrutieren.

SOZ: Wie erfolgreich sind denn die Rekrutierungsversuche an den Schulen?

Claudia Haydt: Sie sind überwiegend dort erfolgreich, wo die Wirtschaft relativ schwach ist und die Menschen die Alternative haben: Entweder ich gehe zur Bundeswehr, oder ich verkaufe mich völlig unter Qualifikation, oder die Arbeitslosigkeit. Die Rekrutierung läuft jedoch nicht so gut, wie es sich die Bundeswehr wünscht, aus meiner und der Sicht der Friedensbewegung jedoch zu gut, zudem läuft es für die Bundeswehr besser als für die Armeen in anderen europäischen Ländern. Die Bundeswehr ist stolz auf ihre Rekrutierungsstrategien: Wer zum Bund geht bekommt eine Ausbildung, die man auch im zivilen Bereich nutzen kann, man kann studieren, ohne Studiengebühren bezahlen zu müssen, und man hat von Anfang an ein gesichertes Einkommen. Sie wirbt auch ganz gezielt damit, dass bei jungen Menschen das Einstiegsgehalt höher ist, als das was Leiharbeiter bekommen. Die Bundeswehr spricht gezielt die Lebenssituation junger Leute an.

SOZ: Kriegen die Leute mit, dass die Bundeswehr jetzt auf Kriegführung orientiert?

Claudia Haydt: Ja, in der Zwischenzeit diskutieren die jungen Menschen, ob sie sich drauf einlassen sollen oder nicht. Da hilft gerade zögernden jungen Menschen die Argumentation von Gauck, dass sie hier zwar ein Risiko eingehen, dieses aber moralisch wertvoll ist. Das Risiko wird mit Idealismus verbrämt. Außerdem bringt es mehr Geld: Die so genannten Auslandsverwendungszuschläge für jeden Tag im Ausland betragen etwa 110 Euro bei Einsätzen mit hohem Risiko zusätzlich zum Gehalt und steuerfrei, das ist für einen jungen Menschen sehr, sehr viel Geld.

SOZ: Wie weit ist die Bundeswehr auf dem Weg zur
Interventionsarmee?

Claudia Haydt: Die Bundeswehr ist eine Interventionsarmee. Sie ist zum allergrößten Teil nicht mehr auf Landesverteidigung ausgerichtet, die Strukturen dafür gibt es praktisch nicht mehr. Mit all dem, was jetzt neu beschafft wird, ist sie ausgerichtet auf Einsätze "out of area", also auf Krieg, auf Besatzung, auf kurzfristige Interventionen. Ein Beispiel: Wenn ein Erdölhafen in einem Bürgerkriegsgebiet liegt, wird der Hafen besetzt, um den Nachschub der Rohstoffe zu sichern. So etwas wie im Balkan oder in Afghanistan, nämlich längerfristige Besatzungseinsätze, versucht die Bundeswehr in Zukunft eher zu vermeiden, da es kosten- und personalintensiv ist, schlussendlich aber wenig bringt.

SOZ: Was ist mit den Polizeiausbildungen? Es scheint ja in Afghanistan und auch in Saudi-Arabien eine Beratertätigkeit für Aufstandsbekämpfungen im Inneren zu geben?

Claudia Haydt: Seit dem letzten Sommer gibt es ein neues Konzept aus dem Auswärtigen Amt. Es setzt auf die sog. Gestaltermächte. Die Bundesregierung identifiziert Länder, die für die deutsche Wirtschaft von strategischer Bedeutung sind und gestaltend in der eigenen Region wirken. Dazu gehören Katar oder eben Saudi-Arabien, oder die anderen Golfstaaten. Von diesen Staaten wird gesagt, sie seien noch nicht weit genug für die Demokratie, weshalb dort vor allem für Stabilität gesorgt werden müsse, d.h. die deutsche Außenpolitik müsse darauf ausgerichtet sein, die Gestaltermächte so zu stärken, dass sie für Stabilität im eigenen Land, aber auch in der Region sorgen können. Das ist die Legitimation dafür, Paramilitärs auszubilden, Grenzsicherung durchzuführen, Waffen zu liefern.

SOZ: Folgt die deutsche Außenpolitik der US-Regierung oder setzt die Bundesregierung eigene Schwerpunkte?

Claudia Haydt: Es gibt eine weitgehende Übereinstimmung mit den USA, aber keine vollständige. Prozentual lässt sich das schwer festmachen, aber die Schnittmenge ist deutlich größer als die Menge des Dissenses. In Fällen wie Syrien und Iran gibt es jedoch ein stärkeres Interesse der deutschen Wirtschaft, das nicht so eskalieren zu lassen, weil man von einer Zusammenarbeit mit den jetzigen Machthabern mehr profitiert als von einem Machtwechsel. Wenn die deutsche Politik allerdings merkt, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, am Status quo festzuhalten, ist sie durchaus bereit, die US-Politik auch in der Eskalation mit zu unterstützen.

SOZ: Welche Rolle spielt Deutschland in Bezug auf Syrien?

Claudia Haydt: Vor der syrischen Küste kreuzen wiederholt Flottendienstboote, das sind voll ausgerüstete Spionageschiffe. Davon hat die Bundesmarine drei, die können den gesamten terrestrischen Funkverkehr, also jedes Telefongespräch, jede Internetverbindung Hunderte von Kilometer über das Festland hinweg erfassen, sie wissen also auch, wenn die offizielle syrische Armee ihre Truppen verlegt. Das Boot kann wahrscheinlich auch alles mithören, was die syrischen Regierungsstellen untereinander kommunizieren, es sei denn, es ist genial verschlüsselt, wenn nicht, kann das die Bundeswehr mit ihrem mitgeführten Dechiffrierungsgerät entschlüsseln. Neben dem technischen Equipment arbeiten auf diesen Schiffen nicht nur Bundeswehrangehörige, sondern auch BND-Leute. Sie werten vor Ort direkt alles aus, was an Informationen gesammelt wird. Deswegen ist das, was die Bild-Zeitung etwas spektakulär berichtet hat, dass das Flottendienstboot möglicherweise Informationen sammelt, um sie an die Aufständischen weiterzugeben, zumindest sehr gut möglich. Ob das so ist, können wir nicht so einfach überprüfen, weil ja nicht mal die Abgeordneten darüber informiert werden.

SOZ: Die syrische Opposition ist wohl nicht der Hauptgrund, weshalb ein so aufwändiges Schiff da hingeschickt wird. An wen werden diese Nachrichten sonst noch geschickt?

Claudia Haydt: Zunächst einmal will die Bundesregierung selbst wissen, was in der Region passiert, um einschätzen zu können, wie stabil sie ist und auf welche politischen Entwicklungen sie sich einstellen muss. Das sagt sie auch so. Die nächsten Adressaten sind die Nato-Verbündeten, z.B. die Türkei, die hat solche Flottenboote nicht. Darüber hinaus werden natürlich auch die USA, Großbritannien und Israel informiert.

SOZ: Spielt die Bundeswehr noch in anderer Hinsicht in Syrien eine Rolle?

Claudia Haydt: Sie spielt auf jeden Fall auch eine Rolle als Waffenlieferant. Es gibt zwei Länder, die wohl für Waffenlieferungen an die Aufständischen in Syrien zuständig sind, das ist einerseits Katar, unterstützt von den anderen Golfstaaten, andererseits die Türkei. Beide Länder sind nachgewiesenermaßen enge Verbündete Deutschlands und werden von Deutschland mit Waffen und Know-how versorgt. Über diesen ganz kleinen Umweg trägt Deutschland dazu bei, dass in Syrien die bewaffnete Auseinandersetzung eskaliert, und kommt damit eben nicht der Forderung der kritischen syrischen Opposition nach, einen Waffenstillstand herbeizuführen.

SOZ: Die Waffenlieferungen widersprechen aber dem Kriegswaffenkontrollgesetz.

Claudia Haydt: Sie widersprechen dem Kriegswaffenkontrollgesetz und schlussendlich auch unserer Verfassung, denn das Grundgesetz äußert sich relativ klar über den Export von Kriegswaffen. Er findet trotzdem statt, und ein wichtiger Grund dafür ist tatsächlich die Umstrukturierung der Bundeswehr.

SOZ: Gibt es dagegen keine Verfassungsklage?

Claudia Haydt: Ich denke nicht, dass über Verfassungsklagen etwas zu machen ist, im Gegenteil, das Risiko, dass man bei der großen Politiknähe unserer Verfassungsrichter verliert, ist sogar relativ hoch. Ich denke eher, wir brauchen andere Gesetze, z.B. ein Verbot von Rüstungsexporten, das findet in der Bevölkerung ganz großen Widerhall, sobald man irgendwo Unterschriften dafür sammelt, laufen einem die Menschen fast die Tür ein. Ich hab' jetzt im Sommer am Bodensee eine Fahrradtour gegen den Rüstungsstandort Bodensee mitgemacht, sie richtete sich gegen Unternehmen wie EADS usw., die in der Region viele Arbeitsplätze schaffen. Obwohl sie das tun, wurden wir nicht beschimpft, sondern gefragt, was man dagegen tun könnte und wie sie Menschen gegenüber argumentieren können, die in der Branche arbeiten. Ich habe ihnen geraten, in den Betriebsräten Arbeitsgruppen zu bilden, die darüber beraten, was statt dessen hergestellt werden könnte.

SOZ: Gibt es eine europäische Arbeitsteilung in Bezug auf die Interventionsfähigkeit?

Claudia Haydt: Ja, nicht so weitgehend, wie es sich die Bundesregierung wünscht, aber es gibt sie in vielen Bereichen. Es gibt ein neues System, das nennt sich "Pooling and Sharing" (zusammenlegen und teilen). Da werden z.B. im Transportbereich gemeinsame "pools", also Ressourcen geschaffen, zu denen Deutschland, die Niederlande, Belgien, Frankreich je eine bestimmte Menge an Transportkapazitäten beitragen. Diese werden dann nahezu jenseits aller nationalen Kontrolle genutzt. Das war z.B. während des Libyen-Krieges relevant. Deutsche Flugzeuge lieferten in großem Umfang die Munition für die Bombardierungen. Im Kernbereich der militärischen Machtausübung, also wenn es konkret ums Bombardieren und Schießen geht, gibt es das erst in Ansätzen, wie bei den europäischen Battle Groups (Gefechtsverbände) obwohl auch hier eine engere Zusammenarbeit gewünscht ist, zumindest von den Regierungen in Deutschland und Frankreich.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 27.Jg., September 2012, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2012