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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1546: Palästinenser fordern das Recht auf Rückkehr


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Reclaim the home
Palästinenser fordern das Recht auf Rückkehr

Von Angela Klein


Die arabische Revolution stellt die bisherige Nahostpolitik der USA und der EU in Frage. Offiziell weiß man das in Washington, Berlin, London und Paris, doch fällt es den alten Kolonialmächten schwer, daraus Konsequenzen zu ziehen.


Bestes Beispiel dafür ist die Rede, die Barack Obama am 19. Mai in Washington hielt: Darin begrüßte er, dass die Bevölkerung im Nahen Osten ihr Schicksal nun in die eigene Hand nehme und die Diktatoren Platz machen müssten, doch dem palästinensischen Volk, das im September endlich vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen den lange versprochenen Palästinenserstaat ausrufen will, hielt er vor, das sei reine Symbolpolitik. Zuerst müsse Hamas das Existenzrecht Israels als jüdischen Staat anerkennen; die Anerkennung der Grenzen von 1967 durch Israel hingegen verband er mit der Forderung nach einem "gegenseitig vereinbarten Austausch" - der Bevölkerung vermutlich, was darauf hinaus läuft, das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr gegen die Räumung der Siedlungen aufzuwiegen.


Naqba-Tag

Zu Tausenden stürmten palästinensische Jugendliche am 15. Mai, dem Naqba-Tag, von Libanon, Syrien und Gaza aus die Grenzen zu Israel und forderten das Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr in ihre Heimat. Am 15. Mai 1948 waren 760.000 Palästinenser ins benachbarte Syrien, Jordanien, Ägypten und in den Libanon vor dem tags zuvor ausgerufenen Staat Israel geflohen; dort leben sie bis heute in Flüchtlingslagern. Ihre Zahl einschließlich ihrer Nachkommen schätzt das für sie zuständige UN-Hilfswerk auf heute 4,7 Millionen. In Israel leben 1,2 Millionen Palästinenser, sie machen 20% der Bevölkerung aus. Die Massenaktion zeigt, wie lebendig Flucht und Vertreibung auch 63 Jahre nach der "Katastrophe" (die deutsche Übersetzung für Naqba) im Massenbewusstsein noch ist und wie dringend der Wunsch nach Rückkehr.

Das israelische Militär reagierte auf diesen Ansturm nicht weniger repressiv als die arabischen Diktatoren auf die demokratischen Bewegungen: Die israelische Armee erschoss mindestens ein Dutzend Menschen, über hundert wurden verletzt. Die US-Regierung behauptet, die Aktionen seien von Syrien und vom Iran aus gesteuert gewesen, sie will den syrischen Aufstand gegen die neu erwachte palästinensische Bewegung abschirmen; tatsächlich wurden die Aktionen in den Flüchtlingslagern vorbereitet. Israel hat seinen palästinensischen Mitbürgern sogar per Gesetz verboten, der Naqba zu gedenken.

Im Windschatten der Aufstände in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Bahrain und anderen Staaten des Nahen Ostens fanden im März/April dieses Jahres in der Westbank und im Gazastreifen Massenaktionen statt, die ein Ende des innerpalästinensischen Zwistes forderten und zugleich die Korruption und Repression der Verwaltungen von Hamas und Fatah anprangerten. Eine dritte, unabhängige Kraft ist auf den Plan getreten, die von arabischen Jugendlichen gern als "dritte Intifada" bezeichnet wird, aber anders als deren Vorläuferinnen die Lösung nicht in gewaltsamen Aktionen, sondern in der Einheit des palästinensischen Volkes und im massenhaften zivilen Ungehorsam sucht. Ein unmittelbares Ergebnis dieser palästinensischen Variante der arabischen Revolution war die Aufnahme von Gesprächen zwischen Hamas und Fatah zur Bildung einer gemeinsamen palästinensischen Regierung - Voraussetzung für die Realisierung eines Palästinenserstaats.


Massensolidarität

Ohne die arabische Revolution wäre dieser Schritt nicht möglich gewesen, die ägyptische Regierung hat nach dem Sturz Mubaraks eine außenpolitische Kehrtwende vorgenommen und das "Kairoer Abkommen" zwischen Hamas und Fatah vermittelt. Der ägyptische Außenminister hat angekündigt, die Grenze zum Gazastreifen bald dauerhaft zu öffnen. Dabei ist dies nur eine Interimsregierung, die noch mit vielen Seilen dem alten machthabenden Milieu um Mubarak verbunden ist - Mubarak war gleich hinter Israel der USA ergebenster Freund in der Region. Eine neue, im Herbst demokratisch gewählte Regierung wird sich sicher noch weiter von den Pfaden der US-Außenpolitik entfernen.

So wie das Virus der Revolution von Tunesien und Ägypten auf die palästinensische Bevölkerung übersprang, so erweitert die neue Massenbewegung in und um Palästina die bislang rein innenpolitisch ausgerichteten Erhebungen in den arabischen Ländern um eine außenpolitische Dimension. Die Palästinenser blieben am 15. Mai nicht unter sich, sie erfuhren breite Unterstützung durch ägyptische und tunesische Jugendliche. Die ägyptische Bewegung 6. April verbreitete auf Youtube und Facebook einen Aufruf für einen Solidaritätsmarsch auf Gaza, begleitet von mehreren Karawanen mit Hilfsgütern, zu dem sich über 4000 Teilnehmer anmeldeten. Die "Freiheitskarawane" wurde jedoch von der ägyptischen Armee am Abend des 13. Mai, bei der Stadt Ismailia am Suezkanal aufgehalten, die Güter wurden konfisziert und zehn der Teilnehmer verhaftet. 500 Teilnehmer versuchten in der Nacht, die Militärabsperrungen zu Fuß zu umgehen. Eine andere, kleinere Karawane mit 15 Künstlern, die auf dem Weg nach Gaza zu einer gemeinsamen Veranstaltung mit den Beduinen vom Sinai gefahren war, wurde von der Armee bei der Stadt Arisch im Norden des Sinai aufgefangen.

Trotz der Kanalsperre konnten über 3000 Jugendliche Arish erreichen, das nur 50 Kilometer von Gaza entfernt ist. Dort demonstrierten sie gemeinsam mit 2000 Einwohnern der Stadt gegen die Gaza-Blockade.

Gleichzeitig demonstrierten zwischen Freitag und Sonntag Zehntausende in Kairo, Alexandria und anderen arabischen Städten ihre Solidarität mit Palästina. In Kairo versammelten sie sich vor der israelischen Botschaft und forderten die Regierung auf, die israelische Botschaft zu schließen, den skandalösen Erdgasvertrag mit Israel zu annullieren (Israel erhält das ägyptische Erdgas zu 20% des Marktpreises) und die Blockade über Gaza zu beenden. Die Aktionen begannen am 13. Mai um 3.30 Uhr mit Morgengebeten in vielen Moscheen von Saudi-Arabien bis Marokko.


Neue Chance für Palästina

Die Gemeinsamkeiten und der innere Zusammenhang des gesellschaftlichen Aufbegehrens in den arabischen Staaten beschränken sich sichtbar nicht auf gleichgerichtete demokratische Forderungen und ein allgemeines Sympathiegefühl mit dem palästinensischen Volk, sie finden in der palästinensischen Sache eine tatsächliche Überwölbung ihrer Aktionen und einen gemeinsamen Bezugspunkt gegenüber den ausländischen Mächten.

Für die alten Kolonialmächte, die immer noch meinen, diese Region wegen ihres Ölreichtums als ihren Hinterhof behandeln zu müssen, ist diese neue Entwicklung ein größter anzunehmender Unfall, stellt er doch Israels Rolle als zentraler Stützpfeiler der imperialistischen Kontrolle über die Region in Frage. Zahlreiche Beobachter haben darauf hingewiesen, dass Israel mit Mubarak seinen wichtigsten Verbündeten verloren hat, und in Syrien (wie in Libyen übrigens auch), trotz aller Ausfälle gegen Präsident Assad, lieber mit ihm als mit einem Vertreter der Opposition verhandelt. Anders als gewisse Antiimperialisten, die eine sehr eindimensionale Vorstellung von diesem Begriff haben und über den Konflikten zwischen einzelnen, vorgeblich antiwestlichen arabischen Potentaten und den USA übersehen, dass jeder einzelne von ihnen bislang fest in die US-kontrollierte" globalen Sicherheitsarchitektur" eingebunden war, sind es die arabischen Revolutionen, die die palästinensische Sache befördern, nicht der syrische oder der libysche Staatspräsident.

Diese Entwicklung gibt der schwachen propalästinensischen Solidaritätsbewegung in Deutschland neuen Auftrieb. Im April war eine deutsche Delegation zu Besuch ins Westjordanland gereist, in der dritten Juniwoche startet erneut von verschiedenen europäischen Häfen aus eine Flotille der Free-Gaza-Bewegung, im Juli laden zahlreiche palästinensische und israelische Organisationen ein zu einer Internationalen Solidaritätswoche.

Die arabische Revolution bietet eine neue Chance, aus der Sackgasse des sog. Nahostkonflikts herauszukommen. Umso skandalöser ist es, dass DIE LINKE in Deutschland sich von Israel immer noch den Handlungsrahmen diktieren lässt.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 26.Jg., Juni 2011, S. 17
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2011