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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1522: Nach dem Atomunfall in Japan


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Nach dem Atomunfall in Japan
Aussteigen. Sofort.
Stromkonzerne versuchen weiter zu erpressen

Von Wolfgang Pomrehn


Die multiple Reaktorkatastrophe im Japanischen Fukushima ist ein Beispiel dafür, wie sich der Lauf der Geschichte unversehens beschleunigen kann.


Eben sah es noch so aus, als könnten sich die vier Großen, die Stromkonzerne Vattenfall, E.on, EnBW und RWE mit ihrer Forderung nach Verlängerung der AKW-Laufzeiten durchsetzen. Doch dann änderte ein Erdbeben, eine Laune der Natur, alles. Nun scheint auf einmal alles offen und die Anti-AKW-Bewegung könnte in den nächsten Monaten Erfolge durchsetzen, an die jahrzehntelang kaum zu denken war.

Derweil wäre der Umschwung ohne die hartnäckige politische Kleinarbeit Tausender Aktiver nicht denkbar gewesen, die oft über Jahrzehnte die Auseinandersetzung am Leben hielten, und insbesondere an den Standorten, allen voran Gorleben, immer wieder den Finger in die Wunde legten. Vermutlich trug auch die Maßlosigkeit der beteiligten Konzerne und ihre ungeheure Arroganz, mit der sie die schwarz-gelben Parteien über alle Stimmungen in der Bevölkerung hinweg walzen ließen, dazu bei, dass nun für sie alles auf dem Spiel steht. Schließlich ist die Anti-AKW-Bewegung nicht erst durch die japanische Tragödie zu neuem Leben erwacht, sondern hatte bereits in der Auseinandersetzung um die Laufzeitverlängerung ihre neue Vitalität bewiesen.

In ungewöhnlicher Eile versuchte die Bundesregierung nach dem Bekanntwerden der Havarie zu retten, was zu retten ist. Die vorübergehende Abschaltung der sieben ältesten Meiler bis Mitte Juni wurde angeordnet, bis dahin soll eine erneute Sicherheitsüberprüfung durchgeführt werden. Dass einige der Atomreaktoren ohnehin schon stillstanden und andere nur die bereits geplante jährliche Revision vorziehen, ging im allgemeinen Mediengeplapper weitgehend unter. Bundeskanzlerin Merkel demonstrierte im Vorfeld wichtiger Landtagswahlen Entschlusskraft. Nur war das Manöver zu durchsichtig, die Mehrheit der Menschen im Lande kaufen ihr den Sinneswandel nicht ab.

In den ersten Tagen nach Merkels Moratoriumbeschluss sah es so aus, als würden die Konzerne in ihrem eigenen Interesse stillhalten und für eine Weile auf Tauchstation gehen, damit ihre Lieblingskoalition möglichst unbeschadet durch die Landtagswahlen kommt. Doch schon bald zeigte sich, dass auch in den Etagen von E.on & Co. das Guttenberg-Syndrom grassiert. In grenzenloser Selbstüberschätzung begannen einige Vorständler die Zahlungen in den sog. Ökofonds in Frage zu stellen, die ihnen die Bundesregierung als Feigenblatt im Rahmen des Beschlusses zur Laufzeitverlängerung auferlegt hatte. Auch im Angesicht der Katastrophe also das alte Spiel: Die Öffentlichkeit soll erpresst werden.

Fragt sich, was nach den Landtagswahlen kommt. Zum einen ist klar: Das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfungen wird allein vom Druck weiterer Proteste abhängen. Das heißt, auch die sieben ältesten Meiler werden nur dann abgeschaltet bleiben, wenn es entsprechenden politischen Druck gibt, wenn die Proteste in den nächsten Wochen und Monaten weiter gehen. Selbst eine etwaige grün-sozialdemokratische Landesregierung in Baden-Württemberg wird die dortigen AKWs nicht ohne weiteres stillegen, das machte der Grüne Spitzenkandidat Winfried Kretschmann bereits vor der Wahl im Taz-Interview deutlich. Auch er und die am dortigen AKW-Betreiber EnBW neben dem Land beteiligten Kommunen werden weiter massiven Druck aus der Bevölkerung brauchen, damit sie sich in Richtung Atomausstieg bewegen und ihn nicht an Dividendenerwartungen scheitern lassen.

Klar ist weiter, dass ein zügiger Ausstieg möglich ist. Die SPD und auch offenbar ein Teil der Grünen wollen lediglich zurück zum alten Ausstiegsszenario, dass viel zu langsam und, wie wir im letzten Jahr gesehen haben, juristisch derart schludrig ausgeführt war, dass Stromkonzerne und deren Regierung es spielend kippen konnten. Doch mit einem Zurück zum rot-grünen Atomkompromiss, der in orwellesker Manier gar Atomkonsens genannt wurde, kann sich die Anti-AKW-Bewegung nicht zufrieden geben. Derzeit und noch mindestens bis Mitte Juni stehen acht der 17 noch verbliebenen deutschen AKWs still. Offensichtlich geht es auch ohne sie. Für Beobachter der Branche ist das nicht weiter verwunderlich: Der Ausbau der erneuerbaren Energieträger hat die Republik nämlich seit einigen Jahren zu einem Netto-Exporteur elektrischer Energie gemacht.

Auch die restlichen AKWs können zügig abgeschaltet werden. Der Chef des Umweltbundesamtes Jochen Flasbarth meinte Mitte März im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass der letzte Meiler 2017 vom Netz gehen könne. Verschiedene Studien zeigen, dass schon 2020 knapp die Hälfte des Strombedarfs mit Sonne, Wind & Co. gedeckt werden könnte, vielleicht sogar mehr, wenn es Union und FDP nicht noch gelingt die Solarbranche auszubremsen. Voraussetzung ist allerdings, dass mehr Speicher gebaut und die Netzstrukturen entsprechend angepasst werden. Letzteres würde erheblich erleichtert, wenn die Netze endlich nicht mehr nach marktwirtschaftlichen Kriterien bewirtschaftet, sondern in öffentliche Hand übertragen würden.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 26.Jg., April 2011, S. 3
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2011