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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1277: Horizontobservatorium - Ein bißchen mehr "Ewigkeit" für das Ruhrgebiet


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Horizontobservatorium
Ein bisschen mehr "Ewigkeit" für das Ruhrgebiet

Von Rolf Euler


Vor 400 Jahren, im Jahre 1609, haben Galileo Galilei und andere Gelehrte erstmals ein Teleskop für astronomische Beobachtungen eingesetzt. Johannes Kepler legte mit seinem Werk Astronomia Nova die Grundlagen zum Verständnis der physikalischen Gesetzmäßigkeiten, denen die Himmelskörper gehorchen. Am 25. September 1608 reiste Hans Lipperhey, ein junger Mann aus Middelburg, nach Den Haag, um eine seiner Erfindungen, das Fernrohr, der holländischen Regierung vorzuführen. Obwohl ihm das Patent nicht zuerkannt wurde, hörte Galileo Galilei von dieser Geschichte und entschied sich dafür, das "holländische Perspektivglas" zu verwenden und es zum Himmel zu richten.

Den Emscherschnellweg entlang ziehen sich zwei Halbbögen, die jedem Besucher die Grundlagen der ältesten Wissenschaft der Welt, der Astronomie, näher bringen.


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Wer regelmäßig auf der A2 von Oberhausen nach Dortmund unterwegs ist, kennt schon immer bei Herten die markanten Fördertürme der stillgelegten Zeche Ewald. Seit einiger Zeit kommen auf der nahen Halde zwei auffallende Bögen in Sicht, die als Kontrast zur Industriearchitektur des Reviers besonders ins Auge fallen. Sie ziehen von weit her den Blick an und verleiten zum Aufstieg, um dem neuesten "Haldenereignis" des Ruhrgebiets womöglich auf den Grund zu kommen.

Der Kommunalverband, der die Halden des Bergbaus übernimmt, wenn Schüttung und Sicherung abgeschlossen sind, hat seit Jahren auf den Halden entlang des "Emscherschnellwegs", der A42 zwischen Dortmund und Duisburg, Neues schaffen lassen - Kunstwerke, Aussichtspunkte, Wallfahrtswege, eine Skihalle, ein Windrad, Mountainbikestrecken und Wanderwege. Und nun also: Halbbögen, deren Gleichmaß und Kunstfertigkeit auf Anhieb mehr vermuten lässt als ein "Nur-Kunstwerk"

Wer die mehreren hundert Stufen auf die 160 Meter hohe Halde geklettert ist oder den Serpentinenweg - womöglich mit einem guten Fahrrad - gemeistert hat, und über eine völlig ebene Fläche in eine runde Vertiefung tritt, steht mit Fernblick nach allen Seiten unter zwei riesigen Halbbögen. Die beiden an einer Stelle zusammenhängenden Bögen stellen den weithin sichtbaren Teil eines Horizontobservatoriums dar, ein modernes "Stonehenge", das einen neuen Blick auf Sonne und Sterne ermöglicht und versucht, lange Zeiträume etwas anschaulicher zu machen. Optisch "kreist die Sonne um die Erde" - auf immer gleichen Bahnen seit "ewigen" Zeiten - und wird hier für den Blick "eingefangen".

Dank der Ideen und Hartnäckigkeit der Mitarbeiter der Sternwarte Recklinghausen und dank des Geldes vom Kommunalverband gibt es nun einen Ort, der den langen Zeiträumen und Entfernungen, den fast unveränderlichen Bewegungen von Sonne und Sternen gewidmet ist - eine "Landmarke", wie es sie so noch nicht gegeben hat.

Mit "Ewigkeiten" kennt man sich im Ruhrrevier aus. Die Kohle, die hier auf nur noch fünf Bergwerken gefördert wird, ist vor rund 300 Millionen Jahren entstanden. Und die Sandschichten, die damals die riesigen Urwälder bedeckten, aus denen die Kohle entstand, wurden zu Gestein gepresst, das in großen Mengen mit der Kohle ans Tageslicht kommt und aufgehaldet wird. Die Hinterlassenschaften der Kohleförderung sind - nachdem man sich um den blauen Himmel an der Ruhr nicht mehr sorgen muss - nicht nur der Klimawandel durch Kohlendioxid, sondern die Halden zwischen Ruhr, Emscher und Lippe. Auch diese Steine sind "ewig" - so alt wie die Kohle - und erst in den letzten Jahren sichtbar geworden.

300 Millionen Jahre sind eine Ewigkeit für das normale Menschenleben - fußt doch die bekanntere Menschengeschichte auf den letzten 20000 Jahren, die frühen Spuren werden auf 2 Millionen Jahre datiert. Das Sonnensystem und die Sterne, für die das Observatorium auf der Halde entstanden ist, sind zwanzigmal älter als die Kohle.


Erfahrbare Wissenschaft

Schon in frühen Zeiten war der regelmäßige Lauf der Sterne und Sternbilder wie auch der wiederkehrende Sonnenlauf durch das Jahr das Maß der menschlichen Zeit. Die Tages- und Jahreszeiten, Winter- und Sommerhalbjahre, Sonnenauf- und -untergangspunkte waren Gegenstand der ersten Berechnungen und Zeitmesser, der ersten "Kulturtechniken" und astronomischen Forschungen.

Auf diesen für die frühere Menschengeschichte wesentlichen Kenntnissen baut das neue Observatorium auf, und es lässt sie neu fassbar werden. Wer navigiert noch nach Sternenhimmel, wer sät noch nach Sonnenphasen, wen interessieren Sternbilder und dauerhafte (nach menschlichem Lebensmaß: "ewige") Orientierungspunkte? Am Himmel über der Ruhr ist tagsüber der Staub feiner und damit fast unsichtbar - dafür ist er in der Nacht für die Beobachtung umso unzugänglicher: Die "Lichtverschmutzung" nimmt zu und macht den Astronomen der Sternwarte die Arbeit schwer. Daher die Idee, in großem Maßstab eine Einrichtung zu schaffen, die den beobachtenden Menschen ermöglicht und erfordert, ihm (erneut) Wissen und kulturelle Leistungen der Vorfahren zugänglich macht.

So ist diese Idee verwirklicht worden: Der eine Halbbogen steht genau in Nord-Süd-Richtung und ist damit ein Modell oder Teilausschnitt des Längengrades, er teilt den sichtbaren Himmel in eine West- und Osthälfte. Hinter diesem Bogen verschwindet die Sonne jeden Tag genau um 12 Uhr wahrer Ortszeit. Mit der Nordhälfte des Bogens wird nachts der Polarstern verdeckt - er ist mit einem Symbol am Rohr gekennzeichnet - um den sich der Sternhimmel scheinbar dreht. Der andere Halbbogen verläuft genau parallel zum Erdäquator, und diese beiden Halbkreisförmigen Rohrbogen sind damit ein "Modell" der gedachten Erde, auf der die Beobachtungen stattfinden.

Beobachtungen sind von einem kleinen Podest genau in der Mitte des Platzes unter dem "Zenit" des Nord-Süd-Bogens möglich. Von hier aus verschwindet die Sonne mittags hinter dem Südbogen. Von hier aus sieht man nachts den Polarstern nicht (nur sein Symbol auf dem Bogen). Von hier aus blickt man über den Plateauhorizont der Halde genau geradeaus "ins Unendliche" Von hier aus sieht man Sonnenauf- und -untergangspunkte im Jahresverlauf.

Mit Markierungsblenden hervorgehoben sind diejenigen Stellen, an denen die Sonne zu den Sonnenwenden im Juni und Dezember, den Tag- und Nachtgleichen im März und September sowie an den zeitlich dazwischen liegenden Tagen auf- bzw. untergeht. Der Äquatorbogen verdeckt den Sonnenstand bei Frühlings- und Herbstanfang den ganzen Tag: sie verläuft für den Beobachter in der Mitte genau "dahinter" Aber um die Mittagszeit, wenn sie genau im Süden steht, scheint sie durch die Verbindungsstelle der beiden Bögen, die als offenes Rohr ein "Sonnenloch" ergibt.

Weitere Marken mit Erklärungstafeln machen auf bestimmte Sternereignisse aufmerksam, eine Einrichtung erläutert die bekannte Taumelbewegung der Erde im Raum (Präzession), wie bei einem Kreisel, dessen Achse nicht senkrecht stehenbleibt. Um das anschaulich zu machen, hat man ein Guckloch geschaffen, in dem mehrere Zinken den Verlauf der Arkturbahn verdecken. In 10, 20 und 30 Jahren werden immer einer weniger dieser Zinken verdeckt - und in mehreren hundert Jahren wird der Polarstern nicht mehr von dem Nordbogen verdeckt sein.

Ein weiteres Element der Erfahrungen über die Erde, die gewusst, aber nicht bewusst wahrgenommen werden: Auf dem Plateau macht ein Beobachtungskanal die Erdkrümmung sichtbar, denn nur durch die Vertiefung kann man den Gasometer in Oberhausen sehen, dessen Dach genau die gleiche Höhe wie die Halde hat.


Ewigkeiten

Die Halde ist schon Standort einer großen Sonnenuhr, eines Obelisken auf einem gepflasterten Platz, auf dem die Tages- und Monatsangaben des Sonnenschattens eingraviert sind. Wanderwege, Fahrradwege, Routen der Industriekultur führen vorbei oder darüber. Seit Baubeginn pilgern Tausende Menschen auf die Halde. Weitere Erklärungstafeln sind nötig, geplant ist eine Informationshalle.

Vor zehn Jahren, als die Idee des Observatoriums entstand, gab es in Recklinghausen und Herten noch fördernde Schachtanlagen, die die Halde bedienten, und bei den dort arbeitenden Bergleuten hätte wohl keiner gedacht, dass auf den Bergehalden, die früher mit Staub und grauem Stein die Sonne für die Anwohner verdeckten, so etwas entstehen könnte.

Mitten zwischen Müllverbrennungsanlage, Steinkohlekraftwerk und ehemaligen Zechen, über die der Mensch auf der Halde hinweg bis Dortmund, Oberhausen und zu den Ruhrbergen schaut, steht eine einmalige Anlage, die mit der Messlatte der bisherigen "Kulturförderung", "Ersatzindustrieansiedlung", "Tourismusankurbelung" nicht zu erfassen ist. Das Observatorium ragt nicht nur optisch aus dem Ruhrgebiet heraus - es ragt auch aus den sonstigen Haldengipfelbauten heraus als anderes Element der Verschönerung der Region. Es birgt (hinter dem Rücken der Kulturhauptstadt-Vorbereitungen) die Möglichkeit, menschliches Maß an dem langer Zeiträume und großer Entfernungen zu erkennen, Erkenntnisse und Möglichkeiten wiederzuentdecken, die fast nur noch Spezialisten vorbehalten waren.

Der Aufstieg lohnt sich!


Führungen, Veranstaltungen und weitere Infos im Internet unter:
www.horizontastronomie.de oder www.sternwarte-recklinghausen.de


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 24. Jg., Mai 2009, Seite 21
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
(VsP, www.vsp-vernetzt.de)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2009