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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1256: Zur Diskussion über die Bahnprivatisierung


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Wir wollen keinen fairen Wettbewerb, wir wollen keinen Wettbewerb"
Ein Kollege von Transnet zur Diskussion über die Bahnprivatisierung

Von Jochen Gester


Im Mai 2008 wurde bekannt, dass der langjährige Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen seine Insiderkenntnisse in der Gewerkschaft Transnet für einen beruflichen Aufstieg auf die Arbeitgeberbank genutzt hatte. Viele Transnet-Mitglieder fühlten sich verraten und forderten Konsequenzen; für den Transnet-Vorstand kamen die Proteste ganz unerwartet.
Jochen Gester wollte von Peter Polke, Vertrauensperson bei Transnet und seit acht Jahren ehrenamtlicher Betriebsrat bei der Berliner S-Bahn, wissen, ob es zu Konsequenzen gekommen ist.


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SOZ: Ihr habt euch damals für einen personellen und politischen Neuanfang ins Zeug gelegt und u.a. die Einberufung einer bundesweiten Vertrauenspersonenkonferenz gefordert. Seid ihr eurem Ziel, die gewerkschaftliche Politik stärker durch die Mitglieder bestimmen und kontrollieren zu lassen, näher gekommen, oder wird die alte Politik von neuen Köpfen einfach weitergeführt?

PETER POLKE: Unser Ziel, gemeinsame Vertrauenspersonenkonferenzen einberufen zu können, hätten wir auf unserem Gewerkschaftstag im November 2008 in Berlin über einen Initiativantrag einbringen müssen. Wir entschlossen uns aber, unsere Kraft auf den Antrag von Alfred Lange, Betriebsratsvorsitzender von DB-Railion, zu konzentrieren. Lange forderte den Verbleib der Bahn in staatlichem Besitz und als integriertes Unternehmen, um Qualität und Sicherheitsstandards der Bahn zu verbessern. Damit waren wir unserem Ziel schon etwas näher.

In der anschließenden Diskussion beantragte der Jugendausbildungsvertreter Eberhard Podzuweit, jegliche Zustimmung des Vorstands zur weiteren Privatisierung der Bahn an eine abschließende Diskussion der Gremien auf örtlicher Basis zu binden. Dieser Antrag wurde angenommen. Auf Grundlage dieser Beratungsergebnisse sollte dann der Beirat Entscheidungen treffen.

Eine echte Wende wäre nur zu erreichen, wenn Transnet einen Sondergewerkschaftstag einberufen würde, der beschließt, von unten herauf alle Gremien neu zu wählen.

In der Zwischenzeit ist es um den Initiativantrag aber ganz still geworden. Erneut will der Vorstand den Wandel in Richtung Privatisierung mitgestalten. So begleitet er die derzeit laufenden Ausschreibungen der Regionalstrecken Berlin und Brandenburg mit Protesten, die einen "fairen Wettbewerb" fordern.

SOZ: Der Gewerkschaftstag der Transnet in Magdeburg im Jahr 2000 hat noch einstimmig für den Verbleib der gesamten Bahn im Bundesbesitz und gegen den Börsengang gestimmt. Auf dem ordentlichen Gewerkschaftstag in Berlin 2008 wurde ein Antrag des auch von euch getragenen Netzwerks "Bahn von unten", der eben dies forderte, mehrheitlich abgelehnt. Laut Umfragen würde ihn aber die Mehrheit der Bevölkerung unterstützen. Wie lässt sich das Abstimmungsverhalten der Delegierten erklären?

PETER POLKE: Der geforderte und erhoffte Neuanfang beschränkte sich leider auf ein paar kosmetische Veränderungen. Deshalb regten wir an, Sondergewerkschaftstage einzuberufen, um basisorientierte Politik für unsere Mitglieder zu machen. Das wurde mit der Begründung abgelehnt, dies müsse zu Beitragserhöhungen führen und würde unsere Gewerkschaft ruinieren.

Der neue Vorstand und dessen Beirat wird sich daran messen lassen müssen, wie er mit dem Initiativantrag des Kollegen Podzuweit umgeht. Leider propagiert der Vorstand immer noch den fairen Wettbewerb. Wir müssen klarmachen: Nah- und Fernverkehr gehören zur öffentlichen Daseinsvorsorge, das ist mit jeder Form von Wettbewerb unvereinbar.

Das zentrale Problem ist, dass die Europäische Union die Öffnung des öffentlichen Personennahverkehrs für den Wettbewerb verlangt. Inzwischen wissen wir ganz praktisch, dass dies Niedriglohn, prekäre Beschäftigung, Ausgliederungen, Abbau von Sicherheitsstandards und Streckenstilllegungen nach sich zieht. Wir als Gewerkschaft können damit die Interessen der Kollegen nicht vertreten.

Damit Transnet überleben kann, brauchen wir das "Nein" der Gewerkschaft zur Öffnung des Wettbewerbs auf allen Ebenen. Aber wollen wir Klartext reden. Die Öffnung für den Wettbewerb wird von keiner politischen Kraft in Frage gestellt. Der Vorsitzende der Transnet hat mich auf dem Gewerkschaftstag gefragt: Willst du wirklich die Bahnreform Anfang der 90er Jahre rückgängig machen? Da kann ich nur antworten: Ja, darum geht es. Der damals eingeschlagene Weg widerspricht den Interessen der Bahn, der Bevölkerung und der Mitarbeiter. Dafür brauchen wir eine politische Kraft. Wir wollen keinen fairen Wettbewerb, wir wollen keinen Wettbewerb.

SOZ: In den letzten Monaten ist das Management der Berliner S-Bahn öffentlich unter Druck geraten. Der Senat streicht Gelder für unpünktliche und ausfallende Züge. Auch der Betriebsrat nutzte die Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass Sicherheit und Gesundheit von Beschäftigten und Fahrgästen den Börsenzielen Mehdorns geopfert werden. Entstehen hier neue Chancen für ein einheitliches Handeln der Kollegen unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit und eine Möglichkeit, den Kampf gegen die Privatisierung weiterzuführen?

PETER POLKE: Der Vorstand der S-Bahn (die der Deutschen Bahn gehört) setzt das politische Ziel des Senats um. Er ist politisch verantwortlich. Wir können unseren Vorstand kritisieren, aber es ist unerträglich, wenn nun die politischen Verantwortlichen unseren Vorstand kritisieren. Denn sie haben sich politisch für den Wettbewerb entschieden. Dem versuchen wir entgegenzutreten.

Wir haben unsere Konkurrenz untereinander überwunden und eine gemeinsame Erklärung der Ver.di-Vertrauensleute bei der BVG und der Transnet-Vertrauenspersonen bei der S-Bahn Berlin verabschiedet. Unsere Hauptforderungen sind, europaweit den Personennahverkehr in voller staatliche Verantwortung und Finanzierung zu belassen, alle privatisierten Betriebe der öffentlichen Daseinsfürsorge zu rekommunalisieren bzw. wieder zu verstaatlichen, sowie europaweit das Recht auf Mobilität, auf den Schutz unserer Tarifverträge, Arbeitsplätze und sozialen Errungenschaften zu gewährleisten.

Es ist gut, dass der Betriebsrat unsere Erklärung an den Vorstand der DB-Stadtverkehr übergeben hat. Die wirklichen Verantwortlichen sitzen aber in der Politik, auf deren Verantwortung fehlt leider in den Publikationen des Betriebsrats jeder Verweis.

SOZ: Es gibt jetzt eine Kampagne, die darauf abzielt, die Ausschreibung für Zugstrecken in der Region zu verhindern, weil die Gefahr besteht, dass Anbieter mit Dumpinglöhnen das Rennen machen. Wie stehen eure Chancen in diesem Konflikt?

PETER POLKE: Die Kampagne "Gemeinsam gegen unfairen Wettbewerb und soziale Kälte" engt unsere Chancen zu sehr ein. Nur durch die Forderung nach einem ÖPNV in öffentlicher Hand aus einem Guss und nach einheitlichen Qualitätskriterien erhalten wir die Chance, die Daseinsvorsorge und Mobilitätsgarantie nicht nur für unsere Kollegen, sondern auch für alle Bürger zu erhalten und Flächentarifverträge für die Schiene durchzusetzen. Nur durch die Aufhebung des Wettbewerbszwangs lassen sich die Interessen der Bevölkerung, der Kollegen, und auch unsere Gewerkschaft Transnet verteidigen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 24. Jg., April 2009, Seite 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2009