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ROTFUCHS/181: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 227 - Dezember 2016


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

19. Jahrgang, Nr. 227, Dezember 2016



Inhalt

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Ohne Frieden kein Überleben

Die bundesweite Friedensdemonstration in Berlin am 8. Oktober war eines der wenigen erfreulichen Ereignisse im zu Ende gehenden Jahr. Die Organisatoren schrieben zu Recht in ihrer Abschlußerklärung: "Wir setzen ein deutliches Zeichen gegen Krieg und für Frieden - überall. Vor allem in Syrien." Erstmals seit mehreren Jahren gelang es, bundesweit Menschen in dieser Zahl - insgesamt etwa 8000 - zu mobilisieren. Sie sprachen es auf Plakaten, Transparenten und in den Redebeiträgen klar aus: Dieses Land führt Krieg, und damit muß Schluß sein! Es nimmt in vorderster Linie an den Feldzügen teil, die vom Westen unter Führung der USA angezettelt wurden und unter permanentem Bruch des Völkerrechts stattfinden. Von deutschem Boden geht wieder Krieg aus.

Die bürgerlichen Medien, die Politiker der etablierten Parteien, erklären, das Gegenteil sei wahr. Die Bundesrepublik habe eine fast 70jährige Friedensperiode erlebt. Nur weil keine Bomben auf Hamburg oder Stuttgart fallen? Der Staatsterror des Westens von Nordafrika bis Zentralasien findet längst sein blutiges Echo auf europäischem Boden. Das nunmehr 15 Jahre andauernde Schießen und Bomben in Afghanistan, die direkte deutsche Beteiligung mit Aufklärungsflugzeugen am Syrien-Krieg, das Truppenkontingent in Mali - das alles hat mit Krieg nichts zu tun? Von US-Atomwaffen in der Eifel, von Ramstein Air Base, der Drehscheibe für den Drohnenkrieg Barack Obamas und seines Vorgängers, vom Rüstungsexport und von der logistischen Unterstützung der Bundeswehr für jeden Krieg der USA und anderer NATO-Partner ganz zu schweigen. Nein, der Westen führt einen Angriffskrieg nach dem andern, aber er redet nicht gern darüber.

Der 8. Oktober hat ein Zeichen gesetzt, indem er auf die Tatsachen hingewiesen hat. Das besagt aber zugleich: Er kann nur ein Anfang gewesen sein. Erstens werden diese Kriege fortgesetzt, zweitens treffen NATO und Bundesregierung Vorbereitungen auf mehr und größere Kriege - was sollen deutsche Soldaten und deutsche Panzer an der russischen Grenze in Litauen? -, drittens war in diesem Jahr verräterisch oft in Erklärungen hoher US-Generale und des US-Kriegsministers von einem dritten Weltkrieg die Rede. Die Mehrheit der Menschen, auch in der Bundesrepublik, ist besorgt, ihre Beunruhigung wird genutzt, um Themen wie Migration, Integration, versuchte oder vollführte Attentate nationalistisch auszuschlachten und um Arbeiter- wie Friedensbewegung zu spalten. Das Verfahren ist nicht neu, der Imperialismus nutzt es wiederkehrend seit seinen Anfängen - mit dem deutschen Faschismus und dem zweiten Griff nach der Weltmacht hatte es seine schlimmsten Auswirkungen. In der Bundesrepublik bietet sich jetzt eine neue völkisch-rassistische Partei, die nun in zehn Landtagen sitzt, als Instrument an, um imperialistischen Klasseninteressen wieder eine Massenbasis zu verschaffen. Mit ihr öffnet sich das Bürgertum politisch erneut für Faschisten.

Ein Aufstand gegen den Krieg und gegen die vor aller Augen stattfindenden Kriegsvorbereitungen, auch die ideologischen, ist nötig. Er bedarf nicht Tausender, nicht Zehntausender, er bedarf Millionen Menschen, die auf die Straße gehen. Die größte organisierte Friedensbewegung, die Gewerkschaften, sind bis heute ebensowenig mobilisiert wie Millionen Wähler von SPD, Grünen, Linken, aber auch der bürgerlichen Parteien. Sie müssen gewonnen werden, so wie es gegen TTIP und CETA in beachtlichem Maß gelang. Dann wird aus dem Zeichen vom 8. Oktober 2016 eine Macht.

Arnold Schölzel

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Syrien zwischen Schatten und Licht
Menschen erzählen von ihrem zerrissenen Land

Mit dem Buch "Syrien zwischen Schatten und Licht" ist Karin Leukefeld - vielen als Berichterstatterin aus den Konfliktzentren des Nahen Ostens bekannt - ein großer Wurf gelungen. Als der Rezensent zu lesen begann, erwartete er ein Sachbuch. Das ist Leukefelds jüngste Arbeit tatsächlich. Der Leser findet eine beachtliche Wissensfülle, sowohl zur Zeitgeschichte als auch zur jüngeren Vergangenheit. Sie reicht vom Ringen um die Befreiung vom kolonialen Joch bis zur Gestaltung und Ausrichtung der nationalen Souveränität Syriens und seiner arabischen Nachbarländer. Dazu gehören die nationale Kultur ebenso wie die Darstellung des vielfältigen Lebens der Menschen in diesem Land und den angrenzenden Staaten.

Eine Zeittafel "100 Jahre Syrien 1916-2016" bietet einen guten Überblick über die turbulente Geschichte, welche die Autorin auf 14 Seiten darstellt. Weitere acht Seiten Bibliographie und Begriffserklärungen werden nicht nur dem mit dem Nahen Osten noch nicht näher bekannten Leser von Nutzen sein.

Als Sachbuch im besten Sinne erweist sich Leukefelds Arbeit auch mit übersichtlich gestalteten Karten von Syrien und der Region des "fruchtbaren Halbmondes" sowie zum Sykes-Picot-Abkommen von 1916 und den 1922 vom Völkerbund gebilligten Mandatsgebieten.

"Syrien zwischen Schatten und Licht" ist zugleich lebendige Belletristik. Flüssig geschrieben, liest sich das Buch tatsächlich wie eine Erzählung. Das gelingt, weil "Menschen ... von ihrem zerrissenen Land erzählen". Und was für Menschen!

Auf 334 Seiten werden hundert Jahre syrischer und gesamtarabischer Geschichte lebendig - und das zugleich kompakt und doch überaus anschaulich. Quasi zum Auftakt zeichnet sie das Porträt des 1916 in al-Bassa, Palästina, geborenen Wissenschaftlers und Patrioten Yusif Sayigh und daran anschließend das des syrisch-libanesischen Nationalhelden Antoun Saadeh. Man spürt die warmherzige Sympathie der Autorin für die Porträtierten. Einbezogen sind auch deren familiärer Hintergrund und engste Angehörige, mit denen Karin Leukefeld persönlich verbunden ist. Das trifft auf alle zu, die der Journalistin offensichtlich sehr bereitwillig als Vermittler ihrer Traditionen sowie ihrer Sehnsüchte entgegenkamen.

Schon mit der Schilderung des persönlichen und politischen Lebensweges dieser beiden herausragenden Persönlichkeiten sehr verschiedener Herkunft sowie des Baath-Politikers, Juristen und Geschichtsphilosophen George Jabbour erfaßt Leukefeld mehr als das erste halbe Jahrhundert der von ihr behandelten historischen Periode in der Region des "fruchtbaren Halbmonds".

Die Autorin gliedert diese hundert Jahre in sieben Zeitabschnitte, die sie jeweils biographisch oder episodisch aus dem Leben ihrer Zeitzeugen illustriert. Zu Wort kommen neben den bereits Genannten Syrer, Libanesen, Araber, Kurden, Drusen, Tscherkessen - darunter Moslems und Christen der unterschiedlichsten Konfessionen und Richtungen wie auch Atheisten. Sie sind Politiker, Handwerker, Händler, Wissenschaftler, Künstler. Patriotische Oppositionelle, denen es um das Wohl des syrischen Volkes, nicht um den Sturz der gewählten legitimen Führung des Landes geht, sind gleichfalls darunter.

Ein herausragendes Anliegen Leukefelds, den Frauen in der arabischen Gesellschaft den ihnen gebührenden gewichtigen Platz zu geben, unterstreicht sie mit überzeugenden Beispielen ihres aktiven und gestaltenden Wirkens. Das Schlußkapitel titelt sie "Die Frauen werden Syrien wieder aufbauen".

Karin Leukefeld erfaßt die Entwicklung in der Region von der Mandatszeit über die "Große Syrische Revolution" (1925-1927) und die Erringung der staatlichen Unabhängigkeit bis zur Gegenwart des dem Land aufgezwungenen Krieges. Sie dokumentiert lange Phasen von imperialistischen Verschwörungen und innersyrischen Rivalitäten mit Putschen und Revolten. Anschaulich sind die andauernde westliche Einmischung und Erpressung dargestellt. Und Leukefeld zeigt, wie dem mit verschiedenen Ausprägungen des arabischen Nationalismus und mit Hilfe der Sowjetunion und ihrer Verbündeten begegnet wurde. In diesem Kontext analysiert sie auch die Bildung der Vereinigten Arabischen Republik mit Nassers Ägypten und deren Scheitern. Nachhaltig erinnert wird an die israelische Aggression und die arabische Niederlage im Sechstagekrieg mit Verlust der Golanhöhen 1967.

Zugleich wird die Entwicklung der Baath-Partei seit ihrem ersten Sieg in den Parlamentswahlen 1954 über Putsche und Niederlagen zur herrschenden Kraft vermittelt. Der gründlichen Charakterisierung der Ära des Hafiz Assad mit ihren tiefen Widersprüchen und dem gescheiterten Versuch der Wiedererlangung des verlorenen Territoriums im Oktoberkrieg 1973 folgt die Darstellung der inneren Auseinandersetzungen unter Hafiz und seinem Nachfolger.

Mit der Analyse der Bemühungen um Stabilisierung und gleichzeitige Neuorientierung und Reformierung des Landes gelingt es ihr aufzuzeigen, wie es zum verhängnisvollen Krieg kommen konnte, der heute die Welt bewegt. Sie macht überzeugend klar, wie es durch die massive imperialistische und seitens der arabischen feudalen Reaktion betriebenen äußeren Einmischung zur gegenwärtigen Katastrophe gekommen ist. Sie legt offen, welche verhängnisvolle Rolle die dem syrischen Volk letztlich feindlichen Kräfte der untereinander zerstrittenen inneren und vor allem äußeren syrischen Opposition spielen.

Die Autorin, die mit bewundernswertem Mut bereits fast zwei Jahrzehnte vom Brennpunkt des Geschehens berichtet, zitiert zielsicher zur Charakterisierung der Situation aus innerer Sicht eine Aussage der Geschichtsprofessorin Sofia Saadeh, der Tochter des syrisch-libanesischen Nationalhelden Antoun Saadeh, von 2015: "Für mich ist völlig klar, daß wir einen neuen kalten Krieg haben. Wenn keine Lösung gefunden und Syrien aufgeteilt wird, kann es zu einem direkten, lange andauernden Krieg kommen. Doch was kann das Ziel eines solchen Krieges sein? Wenn die USA und ihre Verbündeten Syrien nicht kontrollieren können, dann geht es um Destabilisierung und Zerstörung. Und wir - Libanesen, Syrer, Palästinenser - bezahlen alle den Preis."

Angesichts der aktuellen Situation ist dies ein Buch, das viele Fragen beantwortet und hilft, sich in der keineswegs übersichtlichen Nahost- Lage zurechtzufinden.

Bernd Fischer


Karin Leukefeld: Syrien zwischen Schatten und Licht. Menschen erzählen von ihrem zerrissenen Land.
Rotpunktverlag, Zürich 2016. 334 Seiten, 24 €, ISBN 978-3-85869- 689-2

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Bedenkt: Auch ich bin Ausländer

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Graphik wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Die UNO-Agenda 2030 und ihre Zukunftsziele

Dürfen Politiker wie Barack Obama und Angela Merkel in bestimmten Fällen auch gelobt werden - zum Beispiel, wenn "die mächtigste Frau Europas" die Strapazen einer Reise nach New York auf sich nimmt, um dort eine Unterschrift zu leisten? Eine solche Reise unternahm sie am 25. September 2015. An jenem Tag unterschrieben die deutsche Bundeskanzlerin wie mehr als 150 Staats- und Regierungschefs ein Dokument der UNO "Globale Zukunftsziele für globale Entwicklung", das inzwischen als Agenda 2030 kursiert, weil die gesteckten Ziele bis 2030 erreicht werden sollen.

Es geht - so der Text - um nicht weniger als um die "Transformation unserer Welt". Aber wohin?

In der Präambel wird eine Art Heilserwartung ausgesprochen: "Wenn wir unsere Ambitionen in allen Bereichen der Agenda verwirklichen können, wird sich das Leben aller Menschen grundlegend verbessern und eine Transformation der Welt zum Besseren stattfinden." Wenn ...

Wer die Millenniumserklärung der UNO aus dem Jahre 2000 noch nicht vergessen hat, müßte hellhörig werden und danach fragen, welche Fortschritte denn eigentlich erreicht worden sind. Kaum jemand wagt die Ursachen für die Flüchtlingskrise, die Kinderarmut und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich zu leugnen. Und dieselben gesellschaftlichen Kräfte, welche die heutigen Mißstände herbeigeführt haben, wollen sie beseitigen?

In unseren Breitengraden wird behauptet, die Deutschen seien bei alledem am besten weggekommen, was den Schluß nahelegen könnte, die Agenda 2030 gehe uns nichts an. Das jedoch mitnichten. Erstens vollzieht sich in Deutschland derselbe Prozeß wie überall in der Welt. Zweitens umfaßt die Agenda Menschheitsprobleme, für die auch die BRD verantwortlich ist. Drittens treffen die negativen Folgen auch unser Land.

Mit dem neuen Dokument soll nun alles anders und besser werden. Die Unterzeichner unterstrichen seine "beispiellose Reichweite und Bedeutung", denn mit den Zielen will man in der Politik weltweit Prioritäten setzen. Insgesamt sind es siebzehn, die den Beifall jedes vernünftigen Menschen finden dürften. Fünf von ihnen seien exemplarisch genannt: Armut soll in all ihren Formen überall in der Welt abgeschafft werden. Der Hunger soll durch die "Ernährungssicherheit" für alle überwunden werden. Ein dauerhaftes nachhaltiges Wirtschaftswachstum soll menschenwürdige Arbeit für alle sichern. Die Ungleichheit in und zwischen den Ländern soll verringert werden. Ozeane und Meere und ihre Ressourcen sollen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und genutzt werden.

Vergebens sucht man allerdings nach solchen Punkten wie Abrüstung, vor allem der Atomwaffen, und Frieden, die nicht genannt sind, obwohl Kriege, Rüstung und Waffenexport der Erreichung der siebzehn Ziele am meisten entgegenstehen.

Und wo steht Deutschland, wenn es um die Verwirklichung der genannten Vorgaben geht? Allein die Zahlen bezüglich der Alters- und Kinderarmut sprechen Bände. Laut offizieller Statistik leben 25 Prozent der Jugendlichen in Deutschland in Armut. Auch im Bildungswesen, dem Gesundheitssystem, der Gleichstellung der Geschlechter ist dieses Land weit davon entfernt, auch nur annähernd in Reichweite der Zielstellungen zu kommen.

Sich der Hoffnung hinzugeben, daß die Agenda 2030 der UNO-Mitgliedsstaaten die versprochene "Transformation" bewirken wird, führt eher in die Sackgasse. Denn es ist die Marschrichtung, die in die falsche Richtung weist, von Obama, Merkel und Co. den Völkern aber aufgezwungen werden soll. Zwar werden beide in 14 Jahren schon lange nicht mehr im Amt sein, aber bereits heute tragen sie Schuld an der Fehlentwicklung. Die Unterschrift in New York allein verdient noch keinen Dank. Was jedoch dringend not tut, ist, die Unterzeichner beim Wort zu nehmen - und zwar durch jene, welche sich tatsächlich den Menschenrechten und einer Transformation der Welt verpflichtet fühlen. Und das ist die Mehrheit der Menschen. Sie bedarf des inhaltlichen und organisatorischen Zusammenschlusses zu einer außerparlamentarischen Opposition, die für die Agenda 2030 als einem Programm für alle streitet und sich dabei nicht von parlamentarischen Scheingefechten täuschen läßt.

Prof. Dr. Horst Schneider

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Freifahrtschein für die Erdogan-Diktatur
von Sevim Dagdelen

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]
Der Artikel ist aufrufbar über:
http://www.rotfuchs.net/rotfuchs-227-dezember-2016.htm

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Bleibt Schweden weiter blockfrei?

Die auf Harmonie und Kompromiß bedachten Schweden streiten. Schuld daran ist Angstmacher Rußland. In der Sicherheitspolitik gehen in Stockholm die Meinungen auseinander. Die Frage einer NATO-Mitgliedschaft des blockfreien skandinavischen Landes steht seit Ausbruch des Ukrainekonflikts wieder einmal groß auf der Tagesordnung. Politiker und Medien malen eine unsichtbare Gefahr aus, die erneut aus dem Osten kommt. Vom Zwischenfall im Luftraum scheint es nicht mehr weit bis zur Einverleibung des Königreichs durch eine fremde Macht. Da heißt es, gewappnet zu sein. Nach Jahren der Kürzungen in diesem Etat - was zur Stabilisierung seiner Finanzen nach der Krise Anfang der 90er Jahre beitrug - steigen die Militärausgaben nun wieder. Neue U-Boote und Kampfflugzeuge werden angeschafft. Die Insel Gotland soll durch eine eigene Garnison schwerer vom Iwan einzunehmen sein. Und ab 2018 werden jährlich sogar wieder einige tausend Männer und Frauen zum Wehrdienst herangezogen.

Die Minderheitsregierung von Premier Stefan Löfven aus Sozialdemokraten und Grünen steht dennoch von seiten der bürgerlichen Opposition in der Kritik, welche allein den Beitritt zur NATO als eine wirksame "Versicherung" gegen den rauflustigen russischen Bären anpreist. Doch eine solche will das Kabinett weiterhin nicht abschließen. Immerhin nähert man sich der Allianz weiter an. In deren strategische Planungen ist das Land seit Jahrzehnten als Verbündeter einbezogen und mit ihr heute im Rahmen einer sogenannten Partnerschaft für den Frieden liiert. Ende September erklärte Stockholm zudem seinen Beitritt zum Stratcom-Exzellenzzentrum der NATO für Strategische Kommunikation, das deren Propagandazwecken und für psychologische Operationen dient. Sowohl Schweden als auch Finnland, wo gerade eine ähnliche Debatte stattfindet, könnten im Krisenfall den Beistand der NATO erbitten. Mit einem Anschluß an den Pakt riskierten sie eine drastische Verschlechterung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Rußland und dessen Partnern.

Gestiegen ist nach Umfragen die Anzahl der schwedischen Bürger, die sich mittlerweile für einen Beitritt zum westlichen Militärbündnis aussprechen. Doch überwiegt in der Bevölkerung weiter eine ablehnende Haltung. Und ohne eine Volksabstimmung führt in Schweden kein Weg hinein in den Nordatlantikpakt.

Daß sich zwischen Trelleborg und Kiruna nicht wenige gegenüber den Schlagzeilen vom angeblichen Kriegstreiber Putin und zu den Lockrufen aus Brüssel resistent zeigen, hat viele Gründe. Zum einen ist es ein altes, noch aus den Tagen des kalten Krieges wohlbekanntes Gespenst, welches die Rechte an die Wand malt. Schweden wurde auch damals damit fertig, ohne sich der NATO förmlich anzuschließen. Zum anderen schlagen sich die von dem Pakt nach dem Verschwinden seines Konterparts auf dem Balkan, im Nahen Osten und in Nordafrika betriebenen Kriege sowie deren chaotische Folgen, einschließlich der dadurch ausgelösten Flüchtlingsströme, in der öffentlichen Meinung nieder. Teil dieser Kriegsallianz zu werden, bedeutete zudem auch in den Augen vieler Schweden, ihr Land zu einem potentiellen Ziel von Terroranschlägen zu machen.

Schwer zu vermitteln ist ihnen ohnehin, daß die Ostausdehnung der NATO seit dem Zerfall der Sowjetunion nicht von Rußland selbst als bedrohlich gesehen werden muß. Andere lehnen die NATO als US-geführtes imperialistisches Projekt oder aus pazifistischer Gesinnung grundsätzlich ab.

In der Haltung zur NATO zieht sich auch ein Riß durch die politischen Institutionen in Stockholm. Dies zeigt sich an der Debatte zu der Frage, welche Haltung Schweden in der UNO in den Verhandlungen über einen Atomwaffen-Verbotsvertrag einnehmen soll. Noch vor Jahresende will die Generalversammlung über einen entsprechenden Antrag der Mitgliedsstaaten Südafrika, Brasilien, Österreich, Irland, Mexiko und Nigeria, welcher auf dem geltenden Nichtweiterverbreitungsabkommen aufbaut, beraten. Was der Weltsicherheitsrat in seiner Sitzung vom 23. September 2016 zur "Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihren Trägersystemen" einmal mehr bekräftigte, nämlich, daß diese "eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt", würde dann auch für den Besitz solcher Schlüssel zur Apokalypse gelten. Gefordert wird die "vollständige Vernichtung" aller Kernwaffen. Bei den Atommächten, die ihre Kernwaffenarsenale derzeit aufwendig modernisieren und die Schwelle zum möglichen Einsatz auf dem Gefechtsfeld senken - der Trend geht zu kleineren Sprengköpfen -, trifft das auf taube Ohren.

Für den verteidigungspolitischen Sprecher der konservativen Moderaten im schwedischen Reichstag, Hans Ingmar Wallmark, geht es hierbei nicht nur um Symbolpolitik. Er fordert ein klares Nein Schwedens zur UN-Resolution - nur so lasse sich die Tür zur NATO offenhalten. Damit trifft er auch im Verteidigungsministerium manchen Nerv. Hier fürchtet man eine Beeinträchtigung der engen Zusammenarbeit mit der NATO und Nachteile im Geschäft mit Rüstungsgütern, sollte Stockholm der USA als größter Nuklearmacht Moral predigen wollen. Schwedens Eliten und besonders das Militär sind ohnehin mit Brüssel und Washington im Bunde. Das hat hier Tradition, auf dem "unsinkbaren Flugzeugträger", als welcher das blockfreie Schweden von den USA nach dem zweiten Weltkrieg angesehen wurde. Während der sogenannten U-Boot-Vorfälle in den 80er Jahren spielten hohe Militärs eine dubiose Rolle. Nach Antritt der Regierung Löfven 2014 kam es zu einer Neuauflage. Mehrfach wurde in jüngster Zeit Jagd auf vermeintlich russische U-Boote gemacht. Es ist dasselbe Muster: Erneut wird eine mediale Hysterie erzeugt und so die öffentliche Meinung manipuliert. Das politische Spiel von Militärs und Geheimpolizei hinter dem Rücken der eigenen Regierung brachte damals die Regierung des Sozialdemokraten Olof Palme in Bedrängnis, der nicht nach US-Pfeife tanzte. Von konservativen Kreisen wurde der großbürgerliche Palme zum Verräter gestempelt. Dieser suchte die Blockkonfrontation zu überwinden und setzte sich für nuklearwaffenfreie Zonen ein. Damit stand er Reagans Strategie eines Totrüstens der Sowjetunion direkt im Weg. Am 28. Februar 1986 wurde Olof Palme ermordet. Der Täter konnte nie zweifelsfrei ermittelt werden.

Ganz so gefährlich lebt Schwedens Außenministerin Margot Wallström wohl nicht. Allerdings hat sich die Löfven-Regierung den Einsatz für Abrüstung auf die Fahne geschrieben. Sollte sie sich nun nicht hinter die UN-Resolution für einen Kernwaffenstop stellen, würde das ihre Glaubwürdigkeit weiter beschädigen. Schwedische Friedensorganisationen und die Linkspartei verweisen in der Debatte auch darauf, daß ein NATO-Staat Schweden als Vermittler in internationalen Konflikten Akzeptanz einbüßen würde. Das friedenspolitische Palme-Erbe ist auch in Teilen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei noch auffindbar. Bereits seit Gründung 1949 gehört das nordische Land Norwegen zum NATO-Klub. Erstmals sollen nun auch dort US-Soldaten stationiert werden - nahe der russischen Grenze.

Peter Steiniger

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Ein bewegendes historisches Dokument aus Brasilien
Dilma Rousseff: "Laßt nicht nach im Kampf!"

Heute hat der Bundessenat eine Entscheidung getroffen, die in die Geschichte der großen Ungerechtigkeiten eingeht. Die Senatoren, die für das "Impeachment" stimmten, haben sich für eine Verfassungsverletzung ausgesprochen. Sie entschieden sich dafür, den Regierungsauftrag einer Präsidentin zu unterbrechen, die kein Verbrechen der Verantwortlichkeit begangen hat. Sie verurteilten eine Unschuldige und vollzogen einen parlamentarischen Putsch.

Mit der Zustimmung zu meiner endgültigen Entfernung aus dem Amt haben - zusammen mit Politikern, die verzweifelt versuchen, dem Arm der Justiz zu entkommen - diejenigen die Macht übernommen, die in den letzten vier Wahlen besiegt worden waren. Sie gelangen nicht durch die direkte Wahl an die Regierung, wie ich und Lula dies 2002, 2006, 2010 und 2014 getan haben. Sie eignen sich die Macht durch einen Staatsstreich an.

Es ist dies der zweite Staatsstreich, mit dem ich in meinem Leben konfrontiert werde. Der erste, unterstützt von dem Schrecken der Waffen, der Repression und der Folter, traf mich, als ich eine junge Aktivistin war. Der zweite parlamentarische Putsch, der heute in Form einer legalen Farce stattfand, enthob mich des Amtes, in das ich vom Volk gewählt worden war.

Es handelt sich um eine eindeutig indirekte Wahl, bei der der Wille von 61 Senatoren den ersetzte, der in 54.000.000 Wählerstimmen zum Ausdruck gebracht worden war. Es ist ein Betrug, gegen den wir noch bei allen möglichen Instanzen vorgehen werden.

Es überrascht, daß die größte Aktion unserer Geschichte gegen die Korruption, mittels verabschiedeter Maßnahmen und seit 2003 erlassener Gesetze, die von meiner Regierung vertieft wurde, dazu geführt hat, daß ausgerechnet eine Gruppe der Korruptesten, gegen die ermittelt wird, an die Macht kommt.

Das nationale progressive, alle umfassende und demokratische Projekt, für das ich stehe, wird von einer mächtigen konservativen und reaktionären Macht unterbrochen, die von einer parteiischen und käuflichen Presse unterstützt wird. Sie haben die Institutionen des Staates gekapert, um sie in den Dienst des radikalsten wirtschaftlichen Liberalismus und des sozialen Rückschritts zu stellen. Sie haben den ersten weiblichen Präsidenten in Brasilien gestürzt, ohne daß es für diesen politischen Prozeß irgendeine konstitutionelle Grundlage gegeben hätte.

Aber der Putsch, der gerade stattgefunden hat, richtet sich nicht nur gegen mich und meine Partei. Das war nur der Anfang. Der Putsch trifft unterschiedslos jede politisch progressive und demokratische Organisation.

Der Putsch ist gegen die sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen und gegen jene gerichtet, die für die Rechte in all ihren Formen kämpfen: das Recht auf Arbeit und der Schutz der Arbeitsgesetze, das Recht auf eine gerechte Rente, das Recht auf Wohnung und Land, das Recht auf Bildung, Gesundheit, Kultur, das Recht der Jugend, ihre Geschichte selbst zu bestimmen, die Rechte der Schwarzen, der Indigenen, der Frauen, das Recht zu sprechen, ohne unter Druck gesetzt zu werden.

Der Putsch ist gegen das Volk und das Land. Der Putsch ist frauenfeindlich. Der Putsch ist homophobisch. Der Putsch ist rassistisch. Er ist die Auferlegung einer Kultur der Intoleranz, der Vorurteile und der Gewalt.

Ich bitte Brasilien und die Brasilianer, mich anzuhören. Ich spreche zu den über 54 Millionen, die mich 2014 gewählt haben. Ich spreche zu den 110 Millionen, die die direkte Wahl als Form der Präsidentenwahl unterstützen.

Ich spreche vor allem zu den Brasilianern, die unter meiner Regierungszeit der Armut entronnen sind, die sich den Traum eines Hauses erfüllen konnten, die jetzt medizinisch betreut werden, zur Universität gehen und aufgehört haben, innerhalb des Landes unsichtbar zu sein, die jetzt Rechte haben, die ihnen bis dahin immer verweigert worden waren.

Die Fassungslosigkeit und der Schmerz, die uns in Momenten wie diesen überkommen, sind schlechte Ratgeber. Laßt nicht nach im Kampf!

Hört gut zu: Sie glauben, sie hätten uns besiegt, aber sie irren sich. Ich weiß, daß alle kämpfen werden. Sie werden die standhafteste, unermüdlichste, voller Energie steckende Opposition gegen sich haben, die eine Putschregierung sich nur denken kann.

Als Präsident Lula 2003 zum ersten Mal gewählt wurde, sangen wir, und als wir an die Regierung kamen, daß keiner Angst davor haben solle, glücklich zu sein. Über 13 Jahre lang haben wir erfolgreich ein Projekt vorangetrieben, das die größte soziale Inklusion (Einschluß von Menschen unterschiedlicher Art in die Gesellschaft, d. Red.) und die höchste Verminderung der Ungleichheiten in der Geschichte unseres Landes zur Folge hatte.

Die Geschichte endet nicht auf diese Weise. Ich bin sicher, daß die Unterbrechung dieses Prozesses durch den Staatsstreich nicht endgültig ist. Wir kommen zurück - um unsere Reise hin zu einem Brasilien fortzusetzen, wo das Volk souverän ist.

Ich hoffe, daß wir in der Lage sind, uns in Verteidigung der für alle Progressiven gemeinsamen Sache zu vereinen, unabhängig von der jeweiligen Parteizugehörigkeit oder politischen Position. Ich schlage vor, daß wir alle zusammen gegen den Rückschritt kämpfen, gegen die konservative Agenda, gegen die Auslöschung der Rechte, für die nationale Souveränität und die volle Wiederherstellung der Demokratie.

Ich habe die Präsidentschaft verlassen, wie ich sie betreten habe: ohne mich auf irgendeine illegale Handlung eingelassen zu haben, ohne irgendeine meiner Verpflichtungen verraten zu haben; mit Würde und immer noch derselben Liebe und Bewunderung für die brasilianischen Männer und Frauen und demselben Willen, weiterhin für Brasilien zu kämpfen.

Ich habe meine Wahrheit gelebt. Ich habe das Beste gegeben, zu dem ich fähig war. Mich bewegte das menschliche Leiden, ich war ergriffen vom Kampf gegen die Armut und den Hunger, ich bekämpfte die Ungleichheit.

Ich ließ mich auf gute Kämpfe ein. Ich habe einige verloren, viele gewonnen und in diesem Augenblick fühle ich mich von Darcy Ribeiro inspiriert um zu sagen: Ich würde nicht gern an der Stelle jener sein, die sich als Sieger betrachten. Die Geschichte wird unerbittlich mit ihnen sein.

Die Frauen Brasiliens, die mich mit Blumen und Zuneigung bedeckt haben, bitte ich zu glauben, daß man es schaffen kann. Die zukünftigen Generationen von Brasilianerinnen werden erfahren, daß, als zum ersten Mal eine Frau die Präsidentschaft Brasiliens übernahm, der "Machismo" und die Frauenfeindlichkeit ihr häßlichstes Gesicht zeigten. Wir haben den Weg eröffnet, die Einbahnstraße, die zur Gleichheit der Geschlechter führt. Nichts wird uns dazu bringen, zurückzuweichen.

In diesem Moment werde ich euch nicht Lebewohl sagen. Ich bin sicher, daß man sagen kann: Bis bald!

Ich möchte zum Schluß mit euch eine wunderschöne Inspiration des russischen Dichters Majakowski teilen:

Wir sind nicht zufrieden, natürlich nicht,
aber warum sollten wir traurig sein?
Das Meer der Geschichte ist sehr bewegt.
Die Bedrohungen und die Kriege,
wir müssen sie überstehen.
Wir brechen sie in der Mitte durch,
wir schneiden sie durch,
wie der Kiel das Meer durchschneidet.

Eine feste Umarmung an alle Brasilianer, die mit mir den Glauben an die Demokratie und den Traum von Gerechtigkeit teilen.

Donnerstag, den 1. September

(Aus "Granma", Oktober 2016)

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Als die Nazipolizei aus mir einen Antifaschisten machte

Es war an einem März-Abend im Jahre 1934, als ein Überfallkommando der Nazipolizei (Schupo) unsere naßkalte Kellerwohnung in der Stallschreiberstraße 55 im Bezirk Kreuzberg stürmte. Dieses Haus gibt es im Original nicht mehr. Es wurde durch englische Fliegerbomben Anfang der vierziger Jahre in Schutt und Asche gelegt. Der feige Luftkrieg Hitlers und Görings gegen die britische Zivilbevölkerung schlug auf die Deutschen zurück.

Kellerwohnungen dieser Art waren feuchte, muffige Löcher, manche hatten über eine schmale umgitterte Treppe Eingänge von der Straße aus. Heute bekommt man so etwas noch in alten Filmen zu sehen. Wie romantisch, sagen Leute, die da "nich vorn Sechser" hätten drin leben mögen. Vielleicht war dieses Loch noch ein paar Mark billiger gewesen als das vorherige, nur das kann der Grund gewesen sein, daß sich die Familie dafür entschied, denn wer tauscht schon grundlos Dreck gegen Dreck ein? Der Aufenthalt in dieser "Wohnung" war jedoch nur von kurzer Dauer. Und das hatte was mit meinem Vater Fritz Wilhelm H. und diesem Hitler zu tun, der sechs Wochen nach meiner Geburt, am 30. Januar 1933, "die Macht übernahm". Fritze H. war einer von denen, die etwas dagegen hatten, daß der Hitler den nächsten Weltbrand vorbereiten wollte. Nun hatte dieser wiederum was dagegen, daß der Hesse etwas gegen ihn hatte, und ließ den und seinesgleichen kurzerhand ins Zuchthaus werfen. Und das kam so:

Wie viele andere deutsche Arbeiter war auch unser Vater einer der Millionen Arbeitslosen und lebte von den paar Mark "Stütze", die es gab (80 Reichsmark im Monat mit Frau und zwei Kindern). Hier und da mal eine Gelegenheitsarbeit reichte für den Familienunterhalt hinten und vorne nicht. Und da dachten er und seine ältere Schwester Liesbeth, man müsse etwas tun! Sie hatte dem Vater empfohlen: "Geh zu den Kommunisten, die wollen diese ungerechten Zustände in Deutschland wirklich ändern!" Andere, bis dahin anständige Menschen, gingen dem "Führer" mit seinem National-"Sozialismus" auf den Leim, schrien frenetisch "Heil Hitler!" und hatten Jahre später, wie das ganze deutsche Volk und die Völker Europas, eine furchtbare Zeche zu zahlen. Fritze H. stellte, gegen den Willen der Mutter, den Keller-Wohnraum einer antifaschistischen Widerstandsgruppe zur Verfügung. Die hielt hier illegale Beratungen ab, arbeitete redaktionell an der Herstellung der "Roten Fahne" für den KPD-Unterbezirk Neukölln und vervielfältigte Flugblätter mit einer kleinen Hand-Druckpresse. Die Mutter hatte fürchterliche Angst, vor allem um ihre Kinder; waren doch die brutalen Verfolgungen Anders-Denkender und vor allem -Handelnder durch die Nazis und ihren inzwischen "gleichgeschalteten" Staatsapparat, bekannt. Es kam zu Streitigkeiten zwischen den Eltern und zum Verrat der Gruppe an die Nazis. Wie und durch wen, wird man leider nie erfahren.

Eines Abends, die Genossen waren gerade dabei, die "Rote Fahne" herzustellen, drang die Nazipolizei in die Wohnung ein und verhaftete sie, einschließlich des Vaters. Irgendwer hatte mir noch die bis dahin gefertigten Exemplare der "Roten Fahne" unter meine Matratze im Kinderwagen geschoben. Ein Kinderbettchen, für das kein Geld und kein Platz da war, gab es nicht. Durch den Lärm, der mit der ganzen Aktion verbunden war, fing ich an zu schreien und machte in die Windeln. Das Geschrei und sicher auch der nicht angenehme Geruch hielt die Polizisten offenbar von der Durchsuchung meines Domizils ab, ich rettete mit meinem Kinderpopo die "Rote Fahne" und hatte zugleich meine erste direkte Berührung mit der roten Presse, wie ich sie noch oft und vor allem im Berufsleben haben sollte.

Der Vater kam mit seinen Genossen vor ein Gericht und wurde von deutschen Richtern wegen "Beteiligung am Hochverrat" angeklagt. Mich, den fünfzehn Monate jungen Antifaschisten, hatten sie damals nicht erwischt. Dennoch war das Strafmaß für uns Kinder hoch, denn die Zeit des Faschismus war kein Zuckerschlecken! Mein eineinhalb Jahre älterer Bruder und ich wurden in Lagern des "Jungvolks" und in der Schule zu Hitler-Verehrern erzogen. Die Eltern hatten sich getrennt und hätten dagegen auch gar nichts tun können.

Dann kamen die Soldaten der Roten Armee, die uns von den Nazi-Flausen befreiten, indem sie mit ihren zerfetzten Kampfuniformen in unseren letzten Evakuierungsort Lommatzsch (Sachsen) einmarschierten, am Markt mit ihren Panzern und Panjewagen biwakierten und uns Kinder von ihrem kärglichen Brot und Trockenfisch abgaben, Akkordeon spielten und tanzten, bis unsere Mutter uns von den "bösen Soldaten" wegholte. Über Nacht zogen sie weiter in den Krieg - nach Berlin. Dann kam die SS und veranstaltete ein blutiges Massaker. Wir waren Augenzeugen, so etwas vergißt man sein Leben lang nicht. Eines gehört aber hierher: Die Begegnung mit "diesen Russen" war der Beginn unsere kindlichen Freundschaft zu ihnen, die bis heute lebendig ist in mir und als deutsch-sowjetische Freundschaft unser ganzes Land erfaßte. Mit der Zuchthausstrafe war die Sache für den Vater nicht zu Ende. Die Verfolgung hörte nicht auf, bis die Wehrmacht die bisher "wehrunwürdigen" Zuchthäusler ebenfalls für den "Endsieg" benötigte und Vater 1942 zunächst in ein Strafbataillon eingezogen wurde, wo er an der Ostfront sofort einen Bauchschuß erhielt, den man bekanntlich selten überlebt.

Inzwischen weiß die Welt, daß diejenigen, die von Anfang an unter Einsatz ihres Lebens mutig gegen die Faschisten gekämpft hatten, keine Verbrecher und schon gar keine Hochverräter waren; egal, welche politische Anschauung sie hatten. Im Gegenteil, antifaschistische Christen, Sozialdemokraten und andere hatten damals genauso selbstlos gegen diese Barbaren ihr Leben eingesetzt wie die Kommunisten.

In der Bundesrepublik Deutschland hat es meines Wissens bis heute keine generelle Aufhebung der nazistischen Unrechtsurteile, geschweige denn eine Entschädigung dieser Opfer oder ihrer Familien, gegeben. Statt dessen gab es große Gesten der Vergebung gegenüber Nazi-Generälen, Nazi-Juristen u. a., auch Entschädigungen. So erhalten z. B. noch lebende ehemalige Angehörige baltischer SS-Verbände von der Bundesrepublik Deutschland anteilige Rentenbeträge. Dafür aber wird von unbefugten Historikern an der einseitigen Geschichts"aufarbeitung" der DDR gebastelt, und zwar so, daß Enkel ihre Großeltern fragen: "Sag mal Opa, war denn die DDR wirklich so ein Unrechtsstaat, wart ihr denn alle 'Schtasi?' " Heute wird von staatlicher Seite alles versucht, vor allem der jüngeren Generation ein falsches, verlogenes Geschichtsbild zu vermitteln. Genauso, wie sie es mit uns, der Kriegs- und Nachkriegsgeneration, machten. Nur hat das bei uns nicht funktioniert, weil es noch eine Menge am Leben Gebliebener gab, die uns die Augen über die ebenso verlogene Geschichtsvermittlung durch die Nazis öffnen konnten.

Klaus J. Hesse, Berlin

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Über die unterschiedliche "Bewältigung" des Faschismus in Ost und West

Der im Oktoberheft veröffentlichte Beitrag von Hermann Kant "Wie mir der Antifaschismus aufgezwungen wurde", geschrieben schon 1993, hat auch heute, mehr als 20 Jahre danach, nichts von seiner Aktualität und Bedeutung verloren. Wir sind gegenwärtig Zeuge, wie 70 Jahre nach dem Sturz des Faschismus in Deutschland so nach und nach, etwas verschämt und bestimmt lieber verschwiegen, die Fakten der "Entnazifizierung" in der Bundesrepublik aufgearbeitet werden. Vor wenigen Jahren erschien das Buch über Nazis im Auswärtigen Amt der BRD, jetzt die Dokumentation zu Faschisten im Bundesjustizministerium. Sogar am "Braunbuch", in den 60er Jahren in der DDR veröffentlicht, das Hunderte von Kriegs- und Naziverbrechern nannte, die in der Bundesrepublik und in Westberlin wieder in Ämter kamen, kommt man nicht vorbei.

Es wird zugegeben: Ja, es gab sie bis in den Spitzen der Ministerien, ganze Abteilungen waren mit ihnen besetzt, selbst nachgewiesene Verbrechen, gefällte Todesurteile wurden nicht verfolgt, wurden kleingeredet oder verschwiegen. Ja, man hat sie gebraucht, ihre Gesinnung, ihren Antikommunismus, ihre Ost-Erfahrung, ihre Bereitschaft, sich im kalten Krieg nützlich zu erweisen. Das Echo in den Medien zu dieser so späten Aufarbeitung hält sich in Grenzen. Ein paar kurze Meldungen, eine Diskussion bei "phoenix" ... Aber auch da wird eine Frage nicht gestellt: Wie ist die BRD - der andere deutsche Staat - mit dieser Vergangenheit umgegangen? Warum kamen dort Justiz, Bildungswesen, Kultur, Armee oder auch die Diplomatie sowie der ganze Staat nicht ohne diese Leute aus? Eine weitere Frage wird bewußt vermieden: Welchen Einfluß hatten diese angeblich "entnazifizierten" Nazis auf die Gesellschaft, den Staat, die junge Generation? Welche Leitbilder wurden weitergetragen, welche Legenden entwickelt?

Hermann Kant zeigt in seinem überzeugenden und unter die Haut gehenden Beitrag, welche Bedeutung die Antifaschisten hatten, die im Osten darangingen, einen Staat aufzubauen, in dem solche Verbrechen nie wieder möglich sein würden. Er nennt die Namen, die Vorbilder für die Generation wurden, welche diesen Staat vierzig Jahre führte. Er nennt jene, die aus dem Exil zurückkamen, die KZs und Zuchthäuser überlebten, die in der Roten Armee, bei Titos Partisanen oder in der Resistance am Kampf gegen den Faschismus teilgenommen hatten.

Ich selbst habe im außenpolitischen Dienst diese Menschen erlebt, die ihr Wissen, ihre Lebenserfahrung und ihre Vision eines anderen Deutschland umsetzten und sie der jungen Generation weitergaben. Ich erinnere mich an Johannes König, Stefan Heymann, Rudi Jahn, Rudolf Helmer, Fritz Große, Georg Handke, welche die KZs in Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Mauthausen und das Zuchthaus Waldheim überlebten, an Rudolf Dölling, Horst Brie, Rudolf Appelt, Bernhard Koenen, Änne Kundermann und Herbert Fischer, die aus der Emigration aus Moskau, Peking, Mexiko, der Schweiz, Schweden und Indien zurückgekehrt waren. Ehemalige Spanienkämpfer wie Fritz Johne, Eduard Claudius, Gerhard Henke, Karl Kormes, Karl Mewis, Georg Stibi, Walter Vesper waren dabei, wie auch Ernst Scholz, der in der Resistance kämpfte, und Stefan Doernberg aus der Roten Armee. Nicht zu vergessen Sepp Schwab, Otto Winzer oder Klaus Gysi, die sich schon vor der "Machtergreifung" der Nazis mit diesen auseinandersetzten. Sie alle wurden Botschafter oder vertraten die DDR auf internationalem Parkett. "Nie wieder Krieg!" und neues Vertrauen in ein anderes Deutschland, das gaben sie weiter. Das Beispiel ihres Kampfes wurde zum Credo einer ganzen Generation junger Diplomaten. Das war der in der DDR "verordnete" oder, wie Kant sagt, der "aufgezwungene" Antifaschismus.

Franz Tallowitz, Saterland

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Zuschrift an die Lokalpresse zur Friedensdemonstration am 8. Oktober
von Wolfgang Helfritsch

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]
Der Artikel ist aufrufbar über:
http://www.rotfuchs.net/rotfuchs-227-dezember-2016.htm

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Zeugnisse österreichischer Antifaschisten aus der Haft
"Mein Kopf wird euch auch nicht retten"

Noch zu Beginn der 70er Jahren wurde jene Geschichtsdarstellung über die "Opfer verlorener Zeiten" mit staatlichen Subventionen vorangetrieben, die bei den edierten Justizdokumenten die Namen der Nazijuristen ebenso verschwinden ließ wie die in jedem Urteil auf die Mitwirkung der NS-Richter und NS-Staatsanwälte an der Hauptverhandlung und am Schuldspruch hinweisenden Namen. Über die Vielzahl der nach 1945 im Justizbereich verbliebenen Täter hat der Wiener Widerstandskämpfer, Kommunist und Jurist der Arbeiterklasse Eduard Rabofsky viele, aber offiziell nicht zur Kenntnis genommene Arbeiten veröffentlicht. Das 1963 vom Kommunisten Herbert Steiner gegründete Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) war bemüht, den von der "Moskauer Deklaration" der Alliierten (Großbritannien, USA und Sowjetunion) vom 30. Oktober 1943 geforderten Beitrag zur Befreiung des Landes zu dokumentieren.

Der österreichische Nationalfeiertag (26. Oktober) erhielt in diesem Jahr durch die vom Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien, Friedrich Forsthuber, ermöglichte Vorstellung des von Lisl Rizy und Willi Weinert gemeinsam herausgegeben Werkes "Mein Kopf wird euch auch nicht retten" eine bis dahin so noch nicht begehbar gewesene ebenso historisch exakte wie emotionale Brücke zur Vergangenheit. Es ist Forsthubers Verdienst, mit einer solchen Veranstaltung das Verhältnis der Justiz zum Menschlichen hinterfragen zulassen. In jahrelanger mühevoller und viel Empathie erforderlichen Arbeit haben die beiden Autoren ohne jede finanzielle oder organisatorische Unterstützung Korrespondenzen von ermordeten österreichischen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern aus der Haft mit dazugehörigen Behördendokumenten, die in ihrer Nacktheit die Unmenschlichkeit des Systems widerspiegeln, gesammelt.

Biographien mit Fotos der Verurteilten und von Angehörigen ermöglichen einen augenscheinlichen Kontext. Die vier Bände lassen sich nicht lesen - sie sind vielmehr eine Fundgrube, sie sind ein würdiger Kranz zum Gedenken an österreichische Opfer des nationalen und internationalen Kampfes um die revolutionäre Umkehrung der Geschichte. Nicht zuletzt gibt das Werk Anstoß zum Nachdenken über die Frage, welche Bedeutung ihre Ziele heute noch haben.

Der am 26. Februar 1943 im Landesgericht geköpfte Wiener Straßenbahner Franz Mager schreibt aus der Todeszelle: "Trotzdem der Schein gegenwärtig gegen mich spricht, habe ich die Gewißheit, daß ich nicht für ewig als ein Verbrecher betrachtet werde und mein tragischer Tod als Schande für Euch angesehen wird. Ich habe kein Verbrechen gegen den Staat begangen. Ich bin auch kein Held oder Märtyrer, sondern ganz einfach, was ich immer war, ein einfacher, ganz einfacher Mensch, der sterben muß, weil er in diese Zeit nicht paßt. Ich bin ein Opfer der schrecklichen Zeit, wie so viele, viele Tausende vor und nach mir. Ich muß sterben, weil mir Solidarität in Fleisch und Blut übergegangen ist, weil mir die Rücksicht auf meine Mitmenschen, meine Berufskollegen höher stand als meine eigene Rettung. Ich bin aus einer Zeit gekommen, in der die Solidarität etwas gegolten hat, Ehrensache jedes anständigen Arbeiters war und als die erste und wichtigste Voraussetzung des gemeinsamen Kampfes und Sieges für eine bessere, glückliche Weltordnung war. Ich hoffe, daß diese Solidarität, Nächstenliebe, Kameradschaft oder wie immer man das eine, beste Gefühl nennen mag, daß es Euch zugute kommen wird und ihr eingebettet in den Schoß der Familie und der größeren Gemeinschaft Euer Fortkommen finden werdet."

Für die am 17. Mai 1943 im Wiener Landesgericht geköpfte 33jährige kommunistische Schneiderin Hedwig Urach ist in der Todeszelle der marxistische Humanismus Trost. Ihr Blick ist von der Hoffnung auf eine neue Welt mit neuen Menschen getragen, wenn sie am 9. Mai 1932 an ihre Lieben schreibt: "... daß ich trotz aller menschlichen Enttäuschungen, die mir sogar in der Todeszelle nicht erspart geblieben sind, doch zu diesem Glauben an die Schönheit und Freude mich bekenne, als das Herrlichste einer kommenden Generation."

Auch der aus Tirol stammende römisch-katholische Priester, Religionslehrer und Marianist Jakob Gapp wurde ein Opfer der Faschisten. 1939 aus dem besetzten Österreich in das römisch-katholische Spanien geflüchtet, wurde er im November 1942 von dort an den deutschen Sicherheitsdienst ausgeliefert. Gapp gab keine Tat zu, aber er bekannte sich - obwohl er wußte, welchen Preis er dafür würde zahlen müssen - zu seiner gegen den Krieg und den Faschismus gerichteten Überzeugung. Das genügte dem Volksgerichtshof zu seiner Verurteilung als Gesinnungstäter: "Wer so die Stimme des Blutes in sich verrät, wer alles daransetzt, Deutschland seine Freunde zu entfremden und Deutschlands Feinden zu helfen, weil ihr Sieg für unser Volk weniger schlimm sei als unser Sieg - ein solcher Deutscher hat für immer, für unser Geschlecht und die Reihe der deutschen Geschlechter nach uns, seine Ehre verwirkt; und er muß deshalb als verräterischer Helfer unserer Kriegsfeinde (§ 91b StGB) mit dem Tode bestraft werden." Ohne jedes Beweisverfahren und ohne Zeugen wurde Gapp vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 13. August 1943 in Berlin Plötzensee hingerichtet. Aus der Todeszelle schreibt Gapp am Tag seiner Hinrichtung dem Superior der Gesellschaft Mariae: "... ich erneuere meine Gelübde und opfere mich durch die Hände der lieben Himmelsmutter dem lieben Gott auf. [...] Grüßen Sie alle Mitbrüder; ich werde die grüßen, die 'drüben' sind. Alles geht vorüber, nur der Himmel nicht." "Non omnis moriar" - Ich werde nicht vollends sterben! In Hörweite des Fallbeils nehmen der Straßenbahner Franz Mager und die Schneiderin Hedwig Urach in ergreifender Weise ihren persönlichen Tod nicht als Ende ihrer Biographie an. Sie denken ohne jede Resignation als historische Materialisten über den Tod hinaus, weil sie von der Hoffnung getragen sind, daß ihr Kampf um eine menschliche Gesellschaft, die sie aber nicht mehr erleben werden, fortgeführt wird. Dieses materialistisch revolutionäre Todesverständnis hat Jakob Gapp nicht, aber er hat, indem er die Nachfolge von Jesus konkret lebt, seinem Leben einen revolutionären Inhalt gegeben. In vielen Dokumenten dieses fundamentalen Werkes von Rizy und Weinert wird offenkundig, wie Menschen verschiedener Weltanschauung nicht voneinander getrennt sind, wenn sie in ihrem Handeln tatsächlich von solidarischer Mitmenschlichkeit geleitet werden. Möge ihre Parteinahme Vorbild in unserer barbarischen Welt sein!

Prof. Dr. Gerhard Oberkofler

Lisl Rizy/Willi Weinert (Hg.): Mein Kopf wird euch auch nicht retten. Korrespondenzen österreichischer Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen aus der Haft.
4 Bände; 2225 Seiten, ca. 1100 Fotos und Abbildungen (großteils farbig). Stern-Verlag, Wien 2016, 78 €. ISBN: Bd. 1-4 978-3-9502478-4-8


Marie Fischer an ihre Tochter Erika, 2. August 1942:

Ich habe viel Zeit zum Denken und philosophiere mir so Verschiedenes vor. Ich denke nie an mich und meine Lage, ich denke immer nur im Gesamten. Es wäre so schön, wenn wieder Frieden wäre und wenn alle Menschen gut zueinander wären. Wenn wir wieder Menschen wären. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Auch Du mußt tapfer durchhalten. Bei allem Leid, was noch über uns kommen mag, liebe Erika, denke nie an dein Leid, denke immer nur an das Leid aller. Nur dann kannst Du tapfer durchhalten und dabei ein guter Mensch werden. [...] Mir hat der Ermittlungsrichter gesagt, ich soll meine mütterlichen Gefühle unterdrücken. Ich weiß nicht, meiner Meinung nach geht dies überhaupt nicht, und bin überzeugt, wenn andere in solche Situation kommen, daß sie auch nicht ihre Eltern- und Gattengefühle unterdrücken können. Oder bin ich zu sehr Mensch?

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Spanienfreiwillige aus Baden
Kritische Anmerkungen zu einem Lexikon

Die Veröffentlichung von "Sie werden nicht durchkommen" (Bd. 1), herausgegeben von Werner Abel und Enrico Hilbert, hätte eine Lücke in der Erforschung des antifaschistischen Widerstands und des Internationalismus in der Zeit der Nazi-Barbarei schließen können. Die Fortschreibung bzw. Ergänzung der bisherigen Forschungen von Gottfried Hamacher u. a. und vom Verband DRAFD über Spanienfreiwillige aus Nazi-Deutschland war geboten, erfüllt jedoch nicht die wissenschaftlichen Standards, die u. a. nach den biographischen Lexika von Huber/Hug (2009) und Landauer (2003) bzw. des Spanienarchivs des DÖW (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes) über die Schweizer bzw. österreichischen Spanienfreiwilligen zu erwarten sind. Zudem leidet die Veröffentlichung unter einer Reihe von Schwächen. Wir beschränken unsere Anmerkungen auf die Kurzbiographien von Spanienfreiwilligen aus Baden, deren Lebenswege wir größtenteils erforscht haben.

Leider sind die Daten in den von Abel und Hilbert vorgelegten Kurzbiographien nicht nachvollziehbar, da keine Quellen genannt sind.

Aufgrund unserer Recherchen bezüglich der Spanienfreiwilligen aus unserer Region müssen wir feststellen, daß wesentliche Quellen nicht erschlossen wurden: Für fast die Hälfte der von uns dokumentierten über 80 Spanienfreiwilligen liegen Wiedergutmachungsakten im Staatsarchiv Freiburg bzw. im Generallandesarchiv Karlsruhe, aus ihnen ergibt sich u. a., daß Anton Mattes eben nicht in Spanien war. Weitere Akten sind bei den Stadtarchiven Freiburg und Karlsruhe aufbewahrt; bei Fritz Salm und Matthias/Weber wären wesentliche Angaben für die über 30 Spanienfreiwilligen aus dem Großraum Mannheim/Heidelberg zu finden gewesen. Im "Heimatgeschichtlichen Wegweiser" des Studienkreises Deutscher Widerstand sind etliche - leider hier fehlende - Einzelangaben enthalten, obwohl der Studienkreis in der summarischen Quellenangabe aufgeführt ist. Ebenso fehlen die in Henri Büttner über Freiburg und bei Armin Bannwarth über Südbaden Genannten. Die von Huber dokumentierten Spanienfreiwilligen aus der Schweiz, die aus Baden stammen, fehlen größtenteils. Daß diese Veröffentlichungen nicht ausgewertet wurden, erklärt, daß zehn der Spanienfreiwilligen aus Baden in der jetzt vorliegenden Liste nicht enthalten sind. Bei den über die von uns dokumentierten Spanienkämpferinnen und Spanienkämpfer hinaus aufgeführten acht Namen mit Bezug zu Baden fehlen Quellenangaben.

Bei fast allen Genannten fehlt ihre Beteiligung am Abwehrkampf, obwohl Angaben leicht erreichbar sind: Für viele Spanienfreiwillige ist nachweisbar, was sie in verschiedenen Zusammenhängen gegen die NSDAP und zum Schutz der Republik getan haben, sei es in der KPD, in der SAP, in der SPD, im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, in der Eisernen Front ... Gleiches gilt für die Jahre bis 1936 in den illegalen Strukturen der genannten Parteien durch Weitergabe von Antinazi-Schriften, nächtliches Kleben oder Malen von Parolen, Grenzarbeit Richtung Frankreich und Schweiz zum Materialtransport und zur Rettung Gefährdeter aus dem "Reich". Daß Interbrigadisten aus Baden bzw. Angaben über sie fehlen, die vor 1933 im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, in der Eisernen Front, der SPD bzw. der SAP aktiv waren, mag in der Nichtbeachtung verschiedener Quellen begründet sein.

Bis 1936 waren von den über 80 uns bekannten Spanienfreiwilligen aus Baden 13 wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" eingesperrt, 17 saßen ohne Anklage oder Urteil in "Schutzhaft" in den schnell eingerichteten frühen Konzentrationslagern Kislau, Ankenbuck oder Heuberg. Über 30 Spanienfreiwillige hatten zwischen 1933 und 1936 ihre Heimat wegen drohender Verfolgung verlassen müssen. Ohne diese "Vorgeschichten" ist nicht nachvollziehbar, warum Menschen sich entschlossen, 1936 nach Spanien zu gehen.

Zwar sollen die Kurzbiographien "persönliche Elemente" und die "berufliche Entwicklung vor und nach Spanien" enthalten, also sich auf "individuelle Menschen" konzentrieren - so die Ankündigung, leider bleiben aber die meisten Einträge blutleer; die Daten sind dürr. Es fehlen, obwohl vorhanden oder leicht erreichbar, Angaben zu den Lebensorten, zum Familienstand, zu Ehefrauen bzw. -männern, zu Kindern, zu den Berufen vor Spanien und den Tätigkeiten nach der Befreiung 1945.

Bei den Spanienfreiwilligen, die aus jüdischen Familien stammten, fehlt eben diese Angabe: Nur bei Carl Einstein ist sie vermerkt, bei Edgar Ginsberger, Hermann Hertz - sein Name fehlt -, bei Edgar und Gretel Linick ist "jüdisch" entfallen, auch bei Kurt-Hans Steiner, obwohl bekannt bzw. erforschbar: Statt deutlich zu machen, daß Juden bzw. Menschen mit jüdischem Familienhintergrund gegen die Nazis - auch mit der Waffe in der Hand - gekämpft haben, bleibt diese Seite des auf lokaler und regionaler Ebene nur ansatzweise erforschten jüdischen Abwehrkampfes ausgeblendet.

Bei den Angaben zu den Lebenswegen zwischen 1939 und 1945 klaffen Lücken: Bei etlichen fehlen die Internierungen in Lagern wie Gurs, im Straflager Le Vernet und/oder die Verschleppung in Gefängnisse und Konzentrationslager im "Reich" ganz so, als ob sie 1939 Spanien verlassen und sich 1945 einfach wieder zu Hause eingefunden hätten - obwohl die Fehlstellen leicht zu füllen gewesen wären: Etliche Biographien brechen einfach ab: Josef Arzner, Richard Durban, Alfred Kirchner, Fritz Koch, Ludwig/Louis Schneider, Eugen Seidt ..., obwohl weitere Angaben vorhanden sind. Bei Spanienfreiwilligen, die nach der Flucht in die Schweiz dort als "unerwünschte Ausländer" in Lagern wie Bassecourt oder Möhlin interniert wurden, sucht man diese Angabe vergeblich - obwohl die entsprechenden Unterlagen vorliegen.

Aus unzureichender Recherche rührt die Angabe, Margarete/Gretel Linick sei die Ehefrau von Edgar Linick gewesen. Ein Blick in die Wiedergutmachungsakte ihres Vaters David hätte genügt um festzustellen, daß Edgar und Gretel Geschwister waren. Schlimmer noch: Bei Gretel Linick fehlen die Internierungen in den Lagern Gurs und Rivesaltes und ihre Deportation über das Transit-Lager Drancy am 16.9.1942 ins Vernichtungslager Auschwitz. Auch die Schicksale von Edgar Ginsberger, ebenfalls aus einer jüdischen Familie, und Gustav Grywatsch fehlen. Daß Carl Einstein im Lager Gurs war, entspricht nicht dem Forschungsstand.

Nicht nachvollziehbar ist der Sinn von Formulierungen wie "stellte sich an die Seite der Spanischen Republik ... stand an der Seite der Spanischen Republik": Was haben Arzner oder Birk da gemacht? Zugeschaut, während Baumann, Bürger, Dallinger, Durban u. a. "kämpften"?

Diese Schwächen wären vermeidbar gewesen: Wir haben einem der Mitarbeiter der Veröffentlichung 2013 unsere damaligen Forschungsergebnisse angeboten, um so die nun vorliegende Veröffentlichung zu ergänzen. Im Gegenzug wünschten wir die Übermittlung der Namen der Spanienfreiwilligen aus Baden, auf die wir aufgrund unserer Recherchemöglichkeiten eventuell noch nicht gestoßen waren. Leider war dieser Austausch von Forschungsergebnissen im Hinblick auf die jetzt vorgelegte Veröffentlichung nicht gewollt - Ergebnis: siehe oben, wissenschaftlich unzulänglich und für weitere Forschungen kaum brauchbar.

Vielleicht ist eine Zusammenarbeit zur Wahrnehmung und - auch kritischen - Würdigung unserer Vorkämpferinnen und Vorkämpfer im Hinblick auf eine 2. Auflage oder eine Ergänzung möglich. An uns soll es nicht liegen, wir bieten unsere Mitarbeit an. Die uns bisher unbekannten Spanienfreiwilligen aus Baden sind Ansporn zu weiteren Recherchen.

Brigitte und Gerhard Brändle, Karlsruhe

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Bündnis mit der Zukunft

Gespräch mit Prof. Dr. sc. Alexander Dymschitz (1974)

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]
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Julij Kwizinski - Zum Gedenken an den Freund

Am 28. September 2016 wäre der herausragende Politiker und exzellente Diplomat der UdSSR und Rußlands Julij Alexandrowitsch Kwizinski 80 Jahre alt geworden.

Seine hervorragenden Fähigkeiten, seine Energie, ja sein ganzes Leben stellte Kwizinski in den Dienst der Verteidigung der Interessen unseres Landes.

Er war ein Patriot seines Vaterlandes. "Man darf sich nicht von seiner Geschichte und seiner Vergangenheit lossagen. Ein Volk ohne Vergangenheit wird auch keine Zukunft haben", betonte er. "Daher setze ich dreimal meine Unterschrift unter die weise englische Regel: 'Right or wrong - my country'" (Das ist mein Land, ob es recht hat oder nicht.)

Nach Absolvierung des Staatlichen Moskauer Instituts für Internationale Beziehungen (MGIMO) arbeitete er als Dolmetscher und persönlicher Referent beim UdSSR-Botschafter in der DDR Michail Georgijewitsch Perwuchin, was seinen Aufstieg auf diplomatischem Parkett einleitete.

"Ich bin überzeugt", so betonte Kwizinski, "daß ein guter Diplomat nicht imstande ist, die Materie bis zu Ende zu begreifen, mit der er sich befassen muß, ohne mindestens über die Grundkenntnisse von der militärisch-strategischen Lage in der Welt sowie von den Finanz- und Wirtschaftsmechanismen, die diese Lage beeinflussen, zu verfügen. Sicher muß man auch über vieles anderes Bescheid wissen, aber ohne diese beiden oben erwähnten Elemente ist es schwer, seine eigene, wenn überhaupt eine Ansicht über Dinge zu haben."

Die Sternstunde in der Laufbahn Kwizinskis als Diplomat fiel in die 60er Jahre, als die Leitung des Außenministeriums der UdSSR mit den Westmächten - den USA, Großbritannien und Frankreich - über Westberlin zu verhandeln begann, in einer gespannten Lage also, in der der Frieden in Europa in akuter Gefahr war. Damals wurde diese Stadt an der Nahtstelle zwischen den zwei militärischen Bündnissystemen "die billigste Atombombe" genannt. Und Kwizinski wurde zu einem jener Pioniere, die diese Bombe entschärften.

Worin lag das Geheimnis seines Erfolges? Es ist einerseits das bis ins Detail gehende gründliche Wissen um den Verhandlungsgegenstand - er hat mit einer Dissertation über Westberlin promoviert. Zum anderen ist es seine beharrliche Suche nach einer Lösung des Problems, bei dem es weder Sieger noch Besiegte geben darf.

Das im Ergebnis von einvernehmlichen Kompromissen erreichte Vierseitige Abkommen über Westberlin, das im Jahr 1971 unterzeichnet worden war, wurde zur ersten Nachkriegsvereinbarung zur deutschen Frage zwischen den Siegermächten im zweiten Weltkrieg.

Aber nicht nur die UdSSR, auch die USA, Großbritannien und Frankreich waren mit diesem Abkommen zufrieden. Es wurde ein Durchbruch zur Abschwächung der unerbittlichen Konfrontation zwischen DDR und BRD erreicht - zweifellos auch ein persönliches Verdienst Julij Kwizinskis. Dieses, sein erstes Auftreten am Verhandlungstisch war für westliche Diplomaten und Massenmedien eine Sensation. Ein junger sowjetischer Diplomat - 34 Jahre alt - beherrschte die Materie souverän. Gelegentlich nahm er sogar auf die Bibel Bezug, was bei westlichen Unterhändlern Verwunderung auslöste. Nein, so ist ein sowjetischer Kommunist?!

Kwizinski trat sicher und würdevoll auf, wie es dem Vertreter einer Großmacht zur Ehre gereicht, und zuweilen sogar dreist. Aber man nahm es ihm nicht übel. Im persönlichen Umgang war er ein interessanter, charmanter Gesprächspartner. Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Niederländisch und Norwegisch beherrschend führte er meisterhaft vertrauliche Gespräche. Er kannte deutsche Gedichte und Sprichwörter auswendig.

Fragen der Abrüstung oder Heinrich Heine, das politische Kabarett in der DDR oder die Walpurgisnacht von Goethe - der sowjetische Botschafter fühlte sich auf dem politischen wie auf dem literarischen Parkett zu Hause und fürchtete nicht auszurutschen. Er sprach nicht nur fließend, sondern auch in einer bildhaften und an Redensarten reichen deutschen Sprache, daß man "vor Neid grün werden konnte", was die westdeutsche Presse hervorzuheben wußte.

Der Sozialdemokrat Egon Bahr bestätigt auf seine Weise, was den sowjetischen Diplomaten auszeichnete: "... Die Kenntnis des Westens hat ihn kritisch gestimmt, aber nicht zu einem Abweichler gemacht. Kraft seines Intellekts hat er sich nicht den Illusionen in bezug auf den Westen hingegeben. Ich habe ihn als einen kernfesten Unterhändler erkannt, der alle Instrumente seines Gewerbes handfest beherrscht hat."

Kwizinski war Hauptakteur bei den Genfer Verhandlungen mit den USA zur Abrüstung und Rüstungskontrolle Anfang der 80er Jahre. Als Botschafter in der BRD hat er nicht wenig für die Entwicklung der sowjetisch-westdeutschen Beziehungen getan.

Später wurde er als Botschafter nach Norwegen entsandt, das seit der Studentenzeit im MGIMO seine Phantasie besonders angeregt hatte. Ausgerechnet dort ging er in die Geschichte der Diplomatie als ein besonders erfolgreicher politischer Vertreter unseres Landes ein. Nach der Beendigung seiner Tätigkeit in Oslo wurde der Außerordentliche und Bevollmächtigte Botschafter der Russischen Föderation mit dem "Großen Kreuz des Verdienstordens des Königreichs Norwegen" ausgezeichnet. In der gesamten Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern war das der zweite Fall der Würdigung eines Botschafters der UdSSR mit solch einer hohen Auszeichnung. Jahrzehnte vor ihm wurde mit dem gleichen Orden die berühmte Gesandte der Sowjetunion in Norwegen und erste akkreditierte Diplomatin weltweit Alexandra M. Kollontai ausgezeichnet. Seine diplomatische Karriere beendete Julij Alexandrowitsch im Amt des Ersten Stellvertretenden Außenministers.

Als sein persönliches Drama empfand Kwizinski den Zusammenbruch der Sowjetunion. Er war überzeugt, daß Rußland zur Idee der staatlichen Glorie, zu seinen traditionsgebundenen moralischen Werten und zu seiner Rolle auf der Weltbühne zurückkehrt. Das wichtigste sei, daß sich eine starke Führungspersönlichkeit findet, die den Willen und die Fähigkeit unter Beweis stellt, "uns aus der Wolfsgrube, in die wir hineingefahren waren, wieder hinauszuführen".

Genauso schwer traf Kwizinski der Sturz der DDR. Er betonte, daß die DDR ein uns freundschaftlich verbundener Staat gewesen war, ein Ergebnis unseres schwersten Krieges, der unerhörtes Leid brachte und den wir mit Tränen in den Augen beendeten. Zusammen mit der DDR haben wir in all den Nachkriegsjahren dafür gekämpft, daß von deutschem Boden nie mehr die Gefahr eines Krieges ausgeht. Rußland und Deutschland, sagte er, müßten - geprägt durch die Geschichte - ein gemeinsames Interesse an gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern haben, die auf Praktizismus und gegenseitig vorteilhaften Interessen fußen sollten. Während seiner gesamten diplomatischen Laufbahn ging Kwizinski davon aus, daß die Geschichte Europas immer von den russisch-deutschen Beziehungen abhängig war.

Nach der Beendigung der diplomatischen Karriere wurde er zum Abgeordneten der Staatsduma auf der zentralen KPRF-Liste gewählt. Julij Kwizinski ist Verfasser von sechs Büchern. Eines seiner Werke "Rußland - Deutschland. Erinnerungen an die Zukunft" ist sein eigentliches geistiges Vermächtnis.

Er ist am 3. März 2010 nach einer tödlichen Krankheit aus dem Leben geschieden. In seinen letzten Tagen, die Qualen ignorierend, diktierte er noch nächste politische Artikel. Ein Kämpfer seinem Charakter nach, ein mutiger und willensstarker Mensch blieb er bis zum Ende auf dem Schlachtfeld. Im Gedächtnis der Freunde und Kollegen, seiner Mitstreiter war und bleibt er ein Staatsbürger und Patriot Rußlands, dem unser Land zu großem Dank verpflichtet ist.

Freunde und Kollegen, Moskau

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Die Wohnung als soziales Gut ist längst passé

Es gab einmal eine Zeit, da konnte man sich freuen, im Osten, in der DDR, zu wohnen. Besucher aus München oder Mainz warfen neidische Blicke auf unsere Mietabrechnungen oder schönen Gartenlauben. "Was, so wenig zahlt Ihr?", wurden wir gefragt. Quadratmeterpreise in neuen Wohnungen von 0,79 Mark und ein symbolhafter Pachtpreis von einem Pfennig pro Quadratmeter Gartenland waren über Jahrzehnte gleichbleibend. Sucht man heute in Großstädten nach einer Wohnung, wird man des Lebens nicht mehr froh. Doch Parzellen-Gartenland, mühsam aufgebaut, erhält man fast nachgeschmissen. Während sich in Dresden oder Leipzig die Wohnungssuchenden bei Besichtigungen bis zur Straße hin schlängeln, reißt man in kleineren Städten und in ländlichen Gegenden Wohnraum ab. Das heißt aber jetzt nicht "Abriß", sondern "Rückbau". Die einmal mit dem Ersparten geschaffenen Gartenkolonien werden wie sauer Bier und zum Nulltarif nach "Wertabschätzung" zum Schaden aller Gartenfreunde angeboten. In den ostdeutschen Städten gab es bisher noch immer eine lebendige soziale Mischung, was auch die Integration von Zugewanderten einschloß. Das ändert sich nun ganz gewaltig. Wohnungs- und auch Verbandspolitik wird nicht mehr nach sozialen, sondern nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten betrieben.

Als am 15. November 1962 der erste Spatenstich an der heutigen Wismarer Straße stattfand, war das der Beginn eines Wohnungsbauprogramms, um die Wohnungsversorgung der Riesaer Bevölkerung zu verbessern. Wohnungsnot herrschte ja nicht nur in unserer Stadt, zudem brauchte die sich extensiv erweiternde Industrie viele Arbeitskräfte. In der Zeit von 1962 bis 1990 wurden insgesamt über 9700 Mietwohnungen und etwa 320 Eigenheime geschaffen, dazu kamen Nachfolgeeinrichtungen wie Schulen, Kaufhallen, Polikliniken. Auch das Verlangen nach Freizeit und Erholung wurde mit der Schaffung des Kleingartenparks Riesa-Weida 1978 nicht vergessen. Hier fanden über 500 Familien ihren Platz im Grünen. Die immense Aufbauarbeit in der Geschichte der Riesaer Gartenbewegung wurde 1984 mit der Auszeichnung als "staatlich anerkanntes Naherholungsgebiet" gewürdigt.

1990 folgte die große Umstellung. Ein Jahr später ist der Eigenbetrieb "Gebäudewirtschaft" in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt worden. Die bisherigen Mieteinnahmen, die bisher nur zwischen 10 und 15 Prozent der tatsächlichen Bewirtschaftungskosten lagen, konnten so nicht weiter getragen werden. Für den entstehenden Verlust kam der neue Staat nicht mehr auf. Während die Wohnung in der DDR als soziales Gut galt, wurde sie in der kapitalistischen Gesellschaft zum Wirtschaftsgut. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen hatten nun auch die Kleingartenfreunde zu tragen. Durch die einsetzende Fluktuation der Riesaer Bevölkerung sah man sich veranlaßt, leerstehende Wohnungen abzureißen, die übriggebliebenen Bewohner, zumeist heute die "Alten", haben sich eben einzuschränken und die finanziellen Folgen der kapitalistischen Wohnungspolitik zu tragen. Wer hilft diesen Menschen?

Hermann Ziegenbalg, Riesa-Weida

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Kapitalismus führt zu Wohnungselend

Daß propagandistisch laut aufgezogene Wohnungsbauprogramme die Teuerungswelle nicht stoppen werden, belegen mehrere Marktberichte der Immobilienbranche. Eine Studie für Hamburg prognostiziert einen weiteren Anstieg der Mieten um 50 % bis 2030 und das trotz des "aufgrund anhaltend steigender Nachfrage" aufgelegten Senats-Bauprogramms. Allzu durchsichtig ist, daß man diesen spekulativen Boom nicht durch marktwirksame Regulierung behindern will. Mit Scheinkompromissen mühen sich die verantwortlichen Politiker vielmehr, ihn am Laufen zu halten und städteplanerisch zu begünstigen. Lobbyistische Auftragsgutachter fordern "zur Vermeidung kriminalitätsgefährdeter Ghettoisierung" eine 1:3-Durchmischung von Neubauvierteln ganz im Sinne der Investoren.

Diese famose "Sozialmix-Direktive" verlangt eine Zuteilung von zwei Dritteln des knappen Baulands für den freien Immobilienmarkt als Vorbedingung zur Errichtung von nur einem Drittel Sozialbauten, was das Geschäft munter anheizen wird. Nun können den Spekulanten selbst ökologisch wertvolle Flächen unter dem Vorwand sozialer Dringlichkeit zugeschanzt werden. Sogar bestehende Sozialbauten wurden mit der "Sozialmix"-Begründung entmietet und dem freien Markt übertragen. Auch Merkels Mietrechtsnovelle und das Erneuerbare-Energien-Gesetz im Zuge der völlig mißratenen "Energiewende" sind Wohnkostentreiber. In Ballungsgebieten werden alle Mieten weiter steigen und für immer mehr Bevölkerungsgruppen unbezahlbar gemacht. Schon kletterten in Nordrhein-Westfalen und München einige Sozial- und Genossenschaftsmieten auf 9,50 € pro Quadratmeter im Zuge sogenannter Aufwertungsmaßnahmen, Sanierungen und "Nachverdichtungen" mit Luxus-Neubauten. Kontraproduktiv und gar nicht nachhaltig wirkt auch der oft gepriesene subventionierte privatunternehmerische Wohnungsbau mit "befristeter Sozialbindung". Zuschüsse, Erleichterungen bei Grunderwerb und Steuern oder kürzere Preisbindungsfristen versüßen Immobilienhaien die Aneignung später unbeschränkt ausbeutbarer Liegenschaften.

Wohnraum ist eine Ware, deren Preis von der Nachfrage abhängt. Wohngebäude werden im Kapitalismus nicht als Unterkünfte zur Daseinssicherung der Menschen gebaut, sondern nur, um damit profitablen Handel zu treiben. Dem entsprach die jahrzehntelange Abschaffung und Privatisierung des öffentlichen sozialen Wohnungsbaus, die dem "sich selbst regulierenden freien Markt" das Feld überließ. Mit wachstumsfördernden Gesetzesreformen, Sanierungs- und Bauvorschriften päppelte man die entsprechenden Branchen. Der gegenwärtige Boom entstand durch eine kapitalmarktbedingte verstärkte Nachfrage nach Grundbesitz und "Betongold" - Investitionsobjekte mit besonders hohen Renditeaussichten. Ein ungesunder spekulativer Wachstumsrausch, der schon mehrmals als "Blase" platzte.

Dabei blieben mittelständische Häuslebauer und einige unterfinanzierte Unternehmer auf der Strecke, mit erheblichen Folgen für Staat und Bevölkerung. Luxusbauten, Ferienwohnungen und lukrative Kapitalanlagen decken faktisch keinen echten Wohnbedarf. Die vielen Wohnungssuchenden, die so etwas nicht bezahlen können, gehören als Mieter oder Käufer überhaupt nicht mehr zur Kundenzielgruppe des freien Immobilienmarktes. Der tatsächliche Bedarf an bezahlbarem Wohnraum läßt sich nach der jeweiligen örtlichen Sozialstruktur einschätzen. Sozialhilfebezieher, Alleinerziehende, Rentner, Bafög-Studenten, Niedriglöhner, alle, die den Löwenanteil ihres Einkommens zunehmend für Wohnkosten ausgeben müssen, gehören dazu. SPD, Grüne und CDU stellten mit ihren neoliberalen "Reformen" (wie Schaffung prekärer Arbeitsverhältnisse, Privatisierung kommunaler Liegenschaften und Bereiche öffentlicher Daseinsvorsorge, erzwungener Schuldensperre in den Kommunen, Neufassung von Rahmenbedingungen für Geschäftsmodelle und Finanzwirtschaft) die Weichen für die anhaltende Wohnungsnot. Daran werden auch Frau Nahles' dreiste Beschwichtigungsmanöver nichts ändern.

Jobst-Heinrich Müller

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Willenserklärung des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden
am 3. Oktober 2016 anläßlich der Alternativen Einheitsfeier

Das Ostdeutsche Kuratorium von Verbänden e.V. führt zum zehnten Mal in Folge am "Tag der deutschen Einheit" eine alternative Veranstaltung durch. Wir - die 500 Teilnehmer - bekunden damit unseren unveränderlichen Willen, an diesem staatlich festgelegten Feiertag auf die eklatanten politischen, wirtschaftlichen, sozialen und juristischen Mängel nach 25 Jahren staatlicher Einheit aufmerksam zu machen.

Das Volk der Deutschen Demokratischen Republik wurde niemals demokratisch darüber befragt, ob es unter den Bedingungen der kapitalistischen Bundesrepublik leben will. Die Abstimmung des Volkes über eine seinen Interessen entsprechende gesamtdeutsche Verfassung wird bis heute verwehrt. Wir stellen fest, daß wesentliche Regelungen des Grundgesetzes durch die herrschende Politik unterlaufen werden. Elementare Bestimmungen für eine Friedenspolitik und soziale Gerechtigkeit werden verletzt. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse Ostdeutschlands mit den Ländern der alten Bundesrepublik ist in der wirtschaftlichen Leistung, den Löhnen und Sozialleistungen bis heute nicht realisiert.

Unter dem Motto unserer heutigen Veranstaltung "Frieden. Freiheit. Solidarität" erheben wir besonders unsere Stimme gegen die Beteiligung Deutschlands an Angriffskriegen in vielen Ländern dieser Welt; den Export von Vernichtungswaffen im Interesse kapitalistischer Konzerne; die wirtschaftliche Ausplünderung und soziale Ausgrenzung des eigenen Volkes und anderer Völker; die Verunglimpfung und Schikanierung von Menschen, die durch Kriege und Ausbeutung aus ihrer Heimat fliehen mußten.

Wir fordern endlich wirksame Maßnahmen gegen das Massensterben an den EU-Außengrenzen!

Wir fordern eine menschenwürdige Einbürgerung von Flüchtlingen in die reichen Staaten!

Unser - den Traditionen der DDR verpflichtetes - Verständnis von "Frieden. Freiheit. Solidarität" ist ein anderes als das hohler Phrasen und inhaltsleerer Beteuerungen.

Frieden bedeutet für uns, die Ursachen für dieses schlimmste Verbrechen an der Menschheit zu beseitigen: die Ausbeutung anderer Völker und die Mißachtung deren Recht auf Selbstbestimmung über die Gestaltung ihrer Gesellschaft. Wir sind gegen den Export "westlicher Werte" als Staatsdoktrin!

Freiheit ist für uns keine hohle Phrase. Persönliche Freiheiten sind nur dann zu erreichen, wenn die Menschen dafür über die lebensnotwendigen Voraussetzungen verfügen. Deshalb gehören Freiheit, Frieden und soziale Gerechtigkeit untrennbar zusammen.

Solidarität ist eine Kategorie des Kampfes für ein menschenwürdiges Leben in Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit, gegen Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung, sie stellt für uns nicht allein und vorrangig das Sammeln von Spenden dar. Es erfordert vielmehr die solidarische Unterstützung der unterentwickelten Länder und nicht die Ausplünderung ihrer Naturreichtümer und ausgebildeten Arbeitskräfte für den Profit des Kapitals.

Angesichts des Versagens der im Parlament vertretenen Parteien zur Gestaltung einer besseren Gesellschaft setzen wir uns dafür ein und fordern dazu auf, Menschen unterschiedlicher Herkunft und politischer Anschauung zur außerparlamentarischen Durchsetzung dieser Ziele zusammenzuführen.

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Aufruf zur Luxemburg-Liebknecht-Demonstration 2017

"Krieg", so Rosa Luxemburg während des I. Weltkrieges, "ist ein methodisches, organisiertes, riesenhaftes Morden." Die Kriegsprofiteure meuchelten Rosa und Karl und viele ihrer Weggefährten für diese Unbestechlichkeit des Denkens und Handelns.

Es folgte das Massenmorden des deutschen Faschismus.
Und heute warnen Fidel Castro, Papst Franziskus und ungezählte andere Menschen vor dem nuklearen Inferno.
Kriege und kriegerische Konflikte überziehen die Erde. 60 Millionen sind auf der Flucht vor Krieg, Terror und Hunger. Zynisch machen Nazis gerade diese geschundenen Menschen verantwortlich für die Sorgen derer hierzulande.
Und die Ausbeuter teilen und herrschen, betreiben Sozialabbau, bauen am Überwachungsstaat, schnüren die Asylpakete, liefern Waffen in Krisengebiete, lassen töten mittels Drohnen, schicken Soldaten - machen so Profit.

Demonstrieren wir - Linke verschiedener Couleur - am 15. Januar 2017 
friedlich für die Solidarität unter den Ausgebeuteten, wo immer sie geboren sind. Demonstrieren wir gegen Kriege und gegen Faschisten - für eine sozial gerechte und solidarische Welt. Dafür kämpften und starben Rosa und Karl. Wir führen ihren Kampf weiter.

LL-Bündnis, September 2016

Bitte schickt Eure Unterstützerunterschriften (Name, Vorname, ggf. Titel, Ort)
an Klaus Meinel, Platz der Vereinten Nationen 25, 10249 Berlin
E-Mail: klaus_meinel@web.de

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Meine Gedanken zum Bildungssystem in der DDR
von Prof. Dr. Ingeborg Rapoport

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]
Der Artikel ist aufrufbar über:
http://www.rotfuchs.net/rotfuchs-227-dezember-2016.htm

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"Wer lernen will, kann diskutieren"
Wissenschaftliche Weltanschauung erlebt

Die Karl-Liebknecht-Schule der DKP befindet sich in einem Gebäude der Arbeiterbewegung in Leverkusen. Es wurde Anfang der 30er Jahre als "Volkshaus" von revolutionären Arbeitern errichtet und von den Faschisten enteignet. Nach 1945 kam das Haus in den Besitz der Kulturvereinigung Leverkusen. Mieter und Hauptnutzer dieser Einrichtung ist die Karl-Liebknecht-Schule. Seit mehreren Jahren gehört marxistische Bildungsarbeit zu den vorrangigen Aufgaben der Schule. Angeboten werden Wochenend- und Grundlagenseminare über mehrere Tage.

Die Schule gibt außerdem der SDAJ Raum für ihre regelmäßigen Zusammenkünfte und ermöglicht Treffen ausländischer Genossinnen und Genossen. Unser "Hausmeister", Mustafa, sagte einmal: "Haus gehört Arbeiterklasse." Für mich ist es ein Ort gelebter Solidarität.

Als ich vor sieben Jahren das erste Mal dieses Gebäude betrat, fühlte ich mich dort sofort heimisch. Weil die Schule genügend Übernachtungsmöglichkeiten bietet, geht man nach den Seminaren nicht wieder auseinander. Bei Bier, Wein und guter türkischer Küche sitzen die Genossinnen und Genossen oft lange zusammen, um zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen oder einfach mal gemeinsam herzlich zu lachen.

Das Seminar, das am 17. und 18. September stattfand, war dem marxistischen Philosophen Hans Heinz Holz gewidmet, der sich die Erforschung und Weiterentwicklung der dialektisch-materialistischen Philosophie zur Lebensaufgabe gemacht hatte und mitbeteiligt war an der Ausarbeitung des aktuellen Parteiprogramms der DKP. Er gehörte bis zu seinem Tod im Dezember 2011 dem "RotFuchs"-Autorenkreis an. Das Seminar war Teil der Reihe "Politische Philosophie und philosophische Politik" und gab eine Einführung in Holz' Buch "Kommunisten heute - Die Partei und ihre Weltanschauung" (nachzulesen unter http://rotfuchs.net/kommunisten-heute.html).

Wie wir erleben durften, ein alles andere als trockener Stoff! Es kommt nämlich darauf an, wie man an Texte herangeht, welche gedanklichen Verbindungen geschaffen werden, was jeder einzelne in die Diskussion einbringen kann. Unser Referent Andreas Hüllinghorst schlug vor, den Text Schritt für Schritt durchzuarbeiten - ein Vorgehen, das sich aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen der Teilnehmer als richtig erwies. Aber gerade diese führten zu der gelungenen und alle bereichernden Schulung. Wir waren erstaunt, was durch gemeinsame Arbeit aus einem philosophischen Text von hohem Abstraktionsniveau herauszuholen ist. Unser Schulleiter Jürgen Lloyd, der auch dabei war, formulierte: "Wer lernen will, kann diskutieren."

Hans Heinz Holz schrieb das Buch nach der Niederlage des realen Sozialismus in Europa. Es ging ihm darum, in einer Zeit der Unsicherheit kommunistisches Selbstverständnis wiederzugewinnen und zu zeigen, wie wichtig dabei "die Frage der theoretischen Grundlagen in den kommunistischen Parteien in der Zukunft ist". Denn wir haben eine Weltanschauung, die uns ermöglicht, selbst dann, wenn eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse noch in großer Ferne liegt, nicht wie ein Blatt im Wind zu stehen. Politisches Handeln heißt nach Holz "gemeinsames Handeln gemäß ein und derselben Idee", und "Kommunisten werden in ihrem politischen Handeln dadurch bestimmt, daß sie eine in ihren Grundzügen klar umrissene Auffassung von den Bedingungen haben, unter denen sich die Gesellschaft geschichtlich entwickelt hat".

Zu den Schwerpunkten, die wir im Seminar diskutierten, gehörten die Frage der Bedingungen menschlicher Entwicklung und das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Die Natur unterliegt Gesetzmäßigkeiten. Wenn man das nicht erfaßt, hat das Folgen. Wir klärten Begriffe wie Selbstbewußtsein und fragten: Wie wird die Welt erkannt? Worin liegt der Unterschied zwischen Kant und Hegel? Was unterscheidet die idealistische von der materialistischen Philosophie? Es wurde eingehend diskutiert über das Verhältnis zwischen allgemeinen Begriffen und persönlicher Wahrnehmung. Nur dem Menschen ist es gegeben, Sachverhalte anderen nahezubringen, die sie so nicht erlebt haben. Der Text führte uns immer wieder in den politischen Alltag zurück. Meinungen auszutauschen ist etwas anderes als Situationen einzuschätzen. Diskussionen sollten von Sachlichkeit getragen werden, und kontrovers diskutieren heißt zu versuchen, sich durch Argumente zu verständigen.

Dazu benötigen wir oft viel Geduld - auch die Einsicht, daß Fehler machen und Fehler korrigieren zum politischen Alltag gehört. Der dialektisch-historische Materialismus ist eine Weltanschauung und eine wissenschaftliche Methode zur Wahrheitsfindung, deren Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen gerichtet ist. Man denke nur am Marx und die elfte Feuerbachthese!

"Was gibt uns die Gewißheit, die richtige Theorie zu vertreten?" fragt Hans Heinz Holz. Seine Antwort: "allein die geschichtliche Wahrheit". Denn das Besondere einer kommunistischen Partei ist, daß ihre Theorie nicht die Interessen irgendeiner Gruppe vertritt, sondern "nur dann kommunistisch ist, wenn sie das Wohl aller anstrebt". Damit wird erklärt, daß Arbeiterinteressen "allgemeine Menschheitsinteressen" sind. Der Text ist auch ein Appell an uns, diese Theorie nicht zugunsten eines Jonglierens mit beliebigen Meinungen aufs Spiel zu setzen.

Die Krise der Partei, so Holz, ist nicht die Krise des Marxismus. Doch wie schwierig ist es, Menschen von der notwendigen Veränderung dieser Gesellschaft zu überzeugen, in einer Welt, in der alle Bereiche des Lebens dem Erhalt des Kapitalismus dienen, dessen Mechanismen nur schwer zu durchschauen sind. Gerade deshalb "erfordern viele neue Entwicklungen in der Welt unsere Antworten".

Holz' Ausarbeitung wirft auch einen Blick auf Lenins Schrift "Was tun?", die eine Antwort auf Theorien wie die von Bernstein gibt. In der Auseinandersetzung zwischen Opportunismus und Dogmatismus in der russischen Sozialdemokratie entwickelte Lenin den "demokratischen Zentralismus". Auch hier warnt Holz vor falsch verstandener Umsetzung des Begriffs des Prinzips innerhalb der Partei. Sie dürfe ihr Konzept "nicht als vorgegeben übernehmen", sondern müsse es "aufgrund theoretisch sauberer Analysen in ihren eigenen Reihen erarbeiten und dauernd überprüfen".

In unserer Auswertung wurde vor allem die konstruktive Gruppensituation betont. Das Seminar zeigte, daß Denken Freude machen und gemeinsame Arbeit am Text im Diskutieren schulen kann. Die unterschiedlichen Erfahrungen der Teilnehmer förderten die Zusammenarbeit. Sie zeigten, wie innerparteiliche Probleme gelöst werden können.

Zwei erkenntnisreiche Tage ermutigten alle, sich auch künftig systematisch mit Fragen unserer wissenschaftlichen Weltanschauung zu befassen.

Es sei noch angemerkt: Die Teilnahme an den Kursen ist nicht nur DKP-Mitgliedern möglich. Die Tür steht allen Sozialisten und Kommunisten offen, die mit anderen diskutieren und etwas dazulernen möchten. Keine Angst: Das Angebot ist sehr breit und nicht nur philosophisch.

Ulla Ermen, Königs Wusterhausen


Wer mehr über die Karl-Liebknecht-Schule erfahren möchte, wird auf der Website der KLS fündig:

http://www.karl-liebknecht-schule.org

Karl-Liebknecht-Schule der DKP
Am Stadtpark 68
51373 Leverkusen
Tel.: 0214 / 45418
kls@karl-liebknecht-schule.org

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RF-Extra
Adiós compañero!
Nachruf für Rolf Losansky

Als Rolf Losansky, der große Meister des Kinderfilms, Mitte September im Alter von 85 Jahren starb, da war es, als ob ein Licht erloschen ist, ein Licht, das nicht zu ersetzen ist. Seine Kinderfilme, etwa fünfundzwanzig an der Zahl, waren voller Poesie, Mitmenschlichkeit, Herzenswärme und Heiterkeit. Eine poetisch-philosophische Dimension, die leise und nachhaltig daherkam, durchzog seine Filme.

Ich nenne nur einige Titel stellvertretend für die vielen: "Das Geheimnis der 17", "Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen", "Das Schulgespenst", "Der lange Ritt zur Schule", "Ein Schneemann für Afrika", "Moritz in der Litfaßsäule", "Der verzauberte Einbrecher", "Abschiedsdisco", "Das Wolkenschaf", "Hans im Glück" usw.

Voller Trauer sage ich: Rolf Losansky ist als Künstler für Kinder unersetzlich. Seine herzenswarme Art, in Kinderseelen zu schauen, sie zu trösten und sie mit seinen wunderbaren, leisen Filmen ein bißchen stärker zu machen, diese Farbe wird fehlen, in dieser Zeit der marktgerechten, lauten und grobschlächtigen Oberflächlichkeit.

Wer wissen will, wie das Leben in der DDR wirklich war, der schaue sich diese Filme an, sie sind eine sensible Chronik. Rolf Losansky hat über Generationen Kinder mit seinen Filmen glücklich gemacht und ihr Herz berührt, daß sich sehr viele lebenslang an die Filme erinnern und erinnern werden.

Er wurde 1931 in Frankfurt/Oder geboren, erlebte und überlebte als Junge zwischen Kind und Halb-erwachsen-Sein das Grauen des zweiten Weltkrieges. Sein Vater und vier seiner Onkel starben im Krieg. Rolf hat seiner Mutter geholfen, mit den zwei jüngeren Geschwistern durch den Krieg zu kommen. Buchdrucker lernte er, ging zur ABF, um anschließend Medizin zu studieren. Doch brach er dieses Studium zum Glück ab, weil er nicht sehen konnte, wenn Kinder litten oder starben. Er wollte sie fröhlich machen und stark und ihnen beim Schwersten helfen: leben zu lernen. Deshalb begann er ein Studium der Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg und sah bald seine Stärke im Film für Kinder. Die DDR war sein Land. Hier lebte er gerne, hier konnte er sich im DEFA-Studio für Spielfilme verwirklichen. Ein Viertel der Jahresproduktion waren Kinderfilme. Die DEFA-Kinderfilme wurden in dreißig Länder exportiert und waren ein Markenzeichen der DDR. Am 1. Januar 1991 änderte sich das total.

Da wurden die ersten 1500 künstlerischen Mitarbeiter des Studios entlassen, weitere tausend folgten. Und der Kinderfilm wurde zum Stiefkind. Über allem stand der häßliche und dumme Spruch "Die DEFA riecht nicht gut."

Ich hatte das Glück, als Filmautorin für und mit Rolf Losansky drei Kinderspielfilme und zwei Theaterstücke zu schreiben. Das Schreiben mit ihm machte Riesenspaß, denn wir konnten dabei so viel lachen. Ich hatte das größere Vergnügen, denn Rolf versuchte mir immer, die Szenen vorzuspielen und warf sich dafür auf meinen blauen Teppich oder telefonierte mit einer riesigen Schere.

Nach der "Wende" gelang es ihm, noch zwei Spielfilme zu produzieren. Doch trotz persönlicher Schicksalsschläge, wie dem Tod seiner Frau, später seines Sohnes, blieb er ungebrochen, als müsse er für seine lieben Toten weiterleben. Er inszenierte fürs Kindertheater, unterrichtete an drei Theaterhochschulen, tourte mit seinen Kinderfilmen durch "Großdeutschland" und führte in vollen Kinos herrliche Filmgespräche mit den Kindern.

Ich war oft an seiner Seite, bewunderte seine Energie und seinen hellen Geist. Immerhin war er da schon über achtzig. Wir hatten beide noch soviel bunte Gedanken im Kopf und saßen noch am dritten gemeinsamen Theaterstück für Kinder. Für den Kinderfilm gab es für uns keine Chancen mehr. Aber wir waren uns im Sinne von Marx einig, der Mensch soll heiter von seiner Vergangenheit Abschied nehmen. Mit heiterer Kraft hat er mich und andere immer wieder mitgerissen. Sein großes Verdienst war es auch, als Präsident des Festivals "Goldener Spatz" in Gera 1990/91 den "Ostwaggon mit dem Westwaggon zusammenzukoppeln" und damit - natürlich mit Hilfe anderer -, dieses Festival bis jetzt zu erhalten.

Und Preise? Preise hat er so viele, daß der Platz nicht reicht, sie zu nennen. Ich beschränke mich deshalb: diverse Filmpreise auf vier Kontinenten und in der DDR 1979 den Nationalpreis, viele Hauptpreise beim Kinderfilm-Festival "Goldener Spatz" in Gera und anderswo und 2011 den Preis der DEFA-Stiftung fürs Lebenswerk sowie den "Goldenen Ehrenspatz" und den "Ehrenschlingel" in Chemnitz. Das Geheimnis meines Lebens- und Arbeitsfreundes Rolf Losansky, bis ins hohe Alter so jung und vital geblieben zu sein, war ganz einfach: Er hatte das Kind in sich bewahrt. Deshalb konnte er sich so empfindsam in seine Zuschauerkinder einfühlen und sie in Freude und Leid verstehen. Als ihn im Jahr seines 50. Filmjubiläums, im Sommer 2013, ein Schlaganfall an den Rand des Lebens brachte, schaffte er es, danach noch drei Jahre im Rollstuhl zu leben, halb gelähmt und der Sprache beraubt, aber mit heiterer Würde, alles verstehend, was nahe Verwandte und Freunde ihm mitteilten, wenn sie ihn besuchten. Und mit seinen geringen Möglichkeiten gelang es ihm, die Besucher zu beschenken, mit seiner tapferen Heiterkeit.

Er wollte es ihnen nicht zu schwer machen. Die Basis dafür schaffte seine Tochter Danka Losansky, die entschied, den geliebten Vater nicht ins Pflegeheim abzuschieben. In seiner Wohnung war er umgeben von seinen Filmen, Bildern und Büchern, rundum betreut von den ungarischen Pflegerinnen Sissi und Margrit, die sich in der Pflege abwechselten. Es war eine Kette der Freundschaft, die bis zuletzt um ihn war. Auch einige seiner Filmkinder besuchten ihn ständig und gründeten den Freundeskreis "Rolf Losansky".

Rolf Losansky wurde am 6. Oktober auf dem Friedhof in Bornstedt bei Potsdam bestattet. Knut Elstermann hielt die würdig-heitere Trauerrede. Mehr als zweihundert Menschen kamen zum letzten Abschied. Ich habe ihm eine kleine Litfaßsäule aus Pappe, ein Geschenk von Kindern, mit ins Grab gegeben, beklebt mit seinem Bild, dem von Karl Marx und Fotos seiner Filme. Seine Filme bleiben uns und der Nachwelt als Geschenk.

Adiós, compañero Rolf!

Christa Kozik

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RotFuchs Extra II
Erinnerung an den Filmregisseur Rolf Losansky (1931-2016)
Wunderalter sind mir am liebsten...

von Ingeborg Zimmerling

RotFuchs Extra III
"Wording", ein Tarnwort für "Sprachregelung"
von Eckart Spoo

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Beiträge wurden nicht in den Schattenblick übernommen.]
Die Artikel sind aufrufbar über:
http://www.rotfuchs.net/rotfuchs-227-dezember-2016.htm

Ende RF-Extra

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Sozialistisches Eigentum
Rede auf der Konferenz des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden (OKV) vom 17. November 2016

Im zweiten Kapitel des Kommunistischen Manifests heißt es: "In diesem Sinn können die Kommunisten ihre Theorie in einem Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums, zusammenfassen."(1)

Es ist wichtig, ins Bewußtsein zu heben, warum dieser Satz mit den Worten In diesem Sinn eingeleitet wird. Denn im gleichen Kontext betonten Marx und Engels, Überwindung bisheriger Eigentumsverhältnisse sei kein kommunistisches Alleinstellungsmerkmal; alle Eigentumsverhältnisse unterliegen beständigen geschichtlichen Veränderungen; es handele sich keineswegs - wie von den Gegnern verleumderisch unterstellt - um Beseitigung des Eigentums überhaupt, sondern um die des bürgerlichen, des kapitalistischen Eigentums; das Kapital ist der letzte und vollendetste Ausdruck der Erzeugung und Aneignung der Produkte, die auf Klassengegensätzen, also auf Ausbeutung der einen durch die anderen, beruht; es gehe nunmehr also nicht um die Abschaffung von persönlich erworbenem, selbsterarbeitetem Eigentum, das im allgemeinen Bewußtsein die Grundlage aller persönlichen Freiheit, Tätigkeit und Selbständigkeit bilde. Zu beantworten sei jedoch die Frage, ob die Lohnarbeit, die Arbeit des Proletariers, ihm Eigentum schaffe. Das sei keineswegs so. Die Lohnarbeit schafft das Kapital, welches die Lohnarbeit ausbeutet, und dieses kapitalistische Eigentum kann sich nur unter der Bedingung vermehren, daß es neue Lohnarbeit erzeugt, um sie von neuem auszubeuten. Dieses bürgerliche Eigentum bewegt sich allein innerhalb des Gegensatzes von Kapital und Lohnarbeit.

Daraus leitet sich zugleich die Schlußfolgerung ab, Kapitalist zu sein bedeute nicht, nur eine rein persönliche - etwa charakterlich bedingte - Stellung in der Produktion einzunehmen. Das Kapital sei vielmehr ein gesellschaftliches Produkt, das letztlich nur durch gemeinsame Tätigkeit aller Mitglieder der Gesellschaft entsteht und sich reproduziert. Der sich ausprägende gesellschaftliche Charakter der Produktion verdeutlicht, daß in der bürgerlichen Gesellschaft die lebendige Arbeit nur ein Mittel ist, die aufgehäufte Arbeit zu vermehren. In der kommunistischen Gesellschaft werde die aufgehäufte Arbeit dagegen dazu dienen, den Lebensprozeß der Werktätigen zu erweitern, zu bereichern und zu befördern.

Karl Marx hat wiederholt klargestellt, die Kommunisten hielten die Proletarier keineswegs für Götter. Die Begründung der historischen Mission des Proletariats verlange vor allem, aufzudecken, was die Arbeiterklasse objektiv sei und was sie aufgrund ihrer Klassenlage schließlich zu tun gezwungen sein werde. Nur unter Beachtung der Gesamtheit dieser Gesichtspunkte wird deutlich, warum die Erringung der politischen Macht der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten zwingend notwendig, jedoch kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck ist.

Auch in den gegenwärtigen Schlachten dürfen wir keinen dieser Aspekte aus den Augen verlieren, wollen wir uns nicht gegnerischer Propaganda wehrlos ausliefern. Die Klassiker haben stets dem detaillierten Nachweis des Wandels der Eigentumsformen große Aufmerksamkeit geschenkt. Ich verweise auf das vierundzwanzigste Kapitel des ersten Bandes des "Kapitals" in dem Karl Marx die ursprüngliche Akkumulation ausführlich analysierte. "Je ein Kapitalist schlägt viele tot" lautet seine Schlußfolgerung bezüglich der geschichtlichen Tendenz des kapitalistischen Akkumulationsprozesses. Denn "Hand in Hand mit dieser Zentralisation oder der Expropriation vieler Kapitalisten durch wenige entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets wachsender Stufenleiter".

Das bedeutet im einzelnen: die bewußte technische Anwendung der Wissenschaft; die Verwandlung der Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Produktionsmittel kombinierter, gesellschaftlicher Arbeit; die Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts und die daraus resultierende Ausprägung des internationalen Charakters des Kapitalismus.

Daraus folgt letztlich: "Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vorteile dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch der Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse. Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert."(2)

Die aus der kapitalistischen Produktionsweise entspringende Aneignungsweise, also das kapitalistische Eigentum, sei die erste Verneinung des individuellen, auf eigene Arbeit gegründeten Privateigentums. Mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses erzeuge der Kapitalismus jedoch einen erneuten fundamentalen Wandel. Es handele sich um Negation der Negation. Dabei werde allerdings nicht das Privateigentum wiederhergestellt, sondern das individuelle Eigentum auf der Grundlage der Errungenschaften der kapitalistischen Ära, der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel.

Die im Kapitalismus sich vollziehende Untergrabung und schrittweise Beseitigung des auf eigener Arbeit beruhenden Privateigentums ist ein unerhört langwieriger, harter und schwieriger Prozeß. Die Umwandlung des tatsächlich bereits auf gesellschaftlicher Produktion beruhenden kapitalistischen Eigentums in sozialistisches werde dagegen schneller vor sich gehen, denn damals handelte es sich um die Enteignung der Volksmasse durch wenige Aneigner, nun jedoch um die Enteignung weniger Usurpatoren durch die Volksmasse. Karl Marx wird es mir nicht verübeln, wenn ich im Lichte der Erfahrungen der vergangenen anderthalb Jahrhunderte zu dieser letztlichen Aussage anmerke, daß er den zeitlichen Horizont und die Schwierigkeiten der erneuten Umwandlung sehr optimistisch prognostiziert hat.

Zur Untermauerung dieser im "Kapital" entwickelten fundamentalen Erkenntnisse dient auch Friedrich Engels' 1884 veröffentlichtes Werk "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats". Die Zivilisation, so Engels, habe zunächst den Unterschied zwischen Rechten und Pflichten auch dem Blödsinnigsten klargemacht, indem sie einer Klasse so ziemlich alle Rechte zuwies, der anderen dagegen praktisch alle Pflichten. Das habe sich jedoch zunehmend als gefährlich erwiesen und solle deshalb nicht mehr sein. Und nun wörtlich: "Was für die herrschende Klasse gut ist, soll gut sein für die ganze Gesellschaft, mit der die herrschende Klasse sich identifiziert. Je weiter die Zivilisation fortschreitet, je mehr ist sie genötigt, die von ihr mit Notwendigkeit geschaffnen Übelstände mit dem Mantel der Liebe zu bedecken, sie zu beschönigen und wegzuleugnen, kurz eine konventionelle Heuchelei einzuführen, die weder früheren Gesellschaftsformen noch selbst den ersten Stufen der Zivilisation bekannt war und die zuletzt in der Behauptung gipfelt: Die Ausbeutung der unterdrückten Klasse werde betrieben von der ausbeutenden Klasse einzig und allein im Interesse der ausgebeuteten Klasse selbst; und wenn diese das nicht einsehe, sondern rebellisch werde, so sei das der schnödeste Undank gegen die Wohltäter, die Ausbeuter."(3)

Das Kapital agiert in dieser Richtung erfolgreich. Wie wäre es sonst zu erklären, daß Klassenkampf und Klassenbewußtsein für viele heute Fremdworte zu sein scheinen? Wie wäre es sonst möglich, daß in der Alltagssprache, wie selbstverständlich, Kapitalisten fälschlicherweise als Arbeitgeber, die Arbeiter hingegen sogar von Gewerkschaftern als Arbeitnehmer bezeichnet werden? Wie ist es zu werten, wenn etwas besser entlohnte Arbeiter sich ohne Widerspruch als Angehörige eines diffusen Mittelstandes einordnen lassen?

Treffender als Friedrich Engels können wir auch heute, unter der Last ständiger Berieselung aus unzähligen Massenmedien, diese Sachverhalte kaum darstellen. Hinzugekommen sind allerdings nicht enden wollende Hetzkampagnen zur Verteufelung der Deutschen Demokratischen Republik. Man ärgert sich natürlich jedesmal, wenn wieder eine solche Sau durch die Hecke getrieben wird. Doch als Dialektiker sollten wir stets fragen, warum der Gegner das über ein Vierteljahrhundert nach der Niederlage des europäischen Sozialismus mehr denn je für unabdingbar hält. Es gibt nur eine logische Erklärung: Die neuen alten Herren befürchten Schlimmes für ihr System. Uns dagegen sollte das mit Zuversicht erfüllen: Trotz alledem!

Ich empfehle, zur Eigentumsproblematik auch Karl Kautskys "Thomas Moore und seine Utopie", die zwei Bände über "Die Vorläufer des neueren Sozialismus", seine Begründung des Erfurter Programms der SPD und schließlich die 1909 erschienene Schrift "Der Weg zur Macht" zu lesen. Denn erst 1912 vollzog Kautsky seinen schmählichen Schwenk zum Opportunismus und erfand den Ultraimperialismus. Schließlich landete er im Antisowjetismus, wie auch seine heutigen Gefolgsleute. Sie nennen sich jedoch Transformationstheoretiker, weil sie meinen, das klinge gefälliger. Halten wir fest: Die marxistisch-leninistischen Antworten auf die Fragen des kapitalistischen wie des sozialistischen Eigentums sind absolut folgerichtig.

Doch ebenso muß klar sein: Unsere Theorie hat, wie jede andere Gesellschaftskonzeption, natürlich ständig von neuem die Probe der Praxis zu bestehen. Könnte es nicht sein, daß trotz aller theoretischen Folgerichtigkeit die sozialökonomischen Bedingungen in den verflossenen Jahrzehnten sich so gravierend gewandelt haben, daß die revolutionären Schlußfolgerungen heute nicht mehr gelten? Diese entscheidende Frage ist in der Tat immer wieder, gestützt auf umfassende, allseitig überprüfbare Analysen, zu beantworten. Denn sonst wird man unsere Theorie entweder dogmatisch auffassen oder sie andererseits als eine originelle Konzeption ansehen, die nunmehr jedoch den ihr gebührenden Platz nur noch im Museum für Altertümer finden könne.

Wenden wir uns deshalb den aktuellen Tatsachen zu: Im Januar 2016, zu Beginn des "Weltwirtschaftsgipfels" in Davos, veröffentlichte die keineswegs marxistisch orientierte Nichtregierungsorganisation OXFAM den sehr aufschlußreichen Bericht: "An Economy for the 1 %".(4)

Darin wird ausgeführt, die Kluft zwischen Arm und Reich werde in nahezu jedem Land der Welt immer größer. Die Geschwindigkeit, mit der das vor sich gehe, sei besorgniserregend. Ein 2015 vorgelegter Weltreport der Bank Credit Suisse ergab, im Folgejahr werde das reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr besitzen als die restlichen 99 %. Tatsächlich sei diese Schwelle jedoch bereits mehrere Monate eher überschritten worden.

Das allein hätte die in Davos versammelten Herrscher der Welt wohl nur zu der bekannten zynischen Aussage veranlaßt, es sei nun einmal ein unabänderliches Gesetz menschlichen Lebens, daß es Leistungsträger auf der einen und Versager auf der anderen Seite gebe. Doch es sollte dicker kommen: OXFAM teilte mit, im Jahre 2016 besäßen lediglich 62 Einzelpersonen so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Erdbevölkerung. Ein Jahr zuvor seien das noch 80 Superreiche gewesen. Das Gesamtvermögen der ärmeren Hälfte der Menschheit ist in den letzten fünf Jahren um 38 Prozent, das sind eine Billion Dollar, geschrumpft, obwohl die Erdbevölkerung um 400 Millionen Menschen gewachsen sei. Gleichzeitig habe sich das Vermögen der 62 Reichsten um mehr als eine halbe Billion Dollar erhöht.

Ich gestatte mir anzumerken: Wir müssen angesichts dieser Fakten nicht im dunkeln tappen, wenn es um die Aufdeckung der entscheidenden Ursachen für die gegenwärtige größte Völkerwanderung in der Geschichte der Menschheit geht. Verfolgt man nun aber die Diskussion zu diesen von OXFAM dargelegten katastrophalen Tatbeständen, so überrascht eine fast absolute Totenstille. Auch die skrupellosesten Zyniker wagen es nicht, erneut mit der Leistungsträgermasche aufzutreten: Denn wenn man diese arme Hälfte der Weltbevölkerung - zirka 3,6 von 7,2 Milliarden - den fünf Dutzend Halbgöttern persönlich zuordnet, sind das pro Kopf 58 Millionen Menschen.

Lediglich ein Argument wird genannt, das sachlich zu beachten ist: Das ist der scheue Verweis, die Berechnungsgrundlage bei OXFAM sei insofern anfechtbar, weil das Vermögen dieser 62 Magnaten zum größten Teil in Aktien angelegt sei. Ein Börsencrash wie im Jahre 2008 könne bewirken, ihre Zahl wieder auf - sagen wir - 80 ansteigen zu lassen.

Das ist in der Tat denkbar. Denn auch das wissen wir ja von Karl Marx: Eine zentrale Funktion zyklischer Krisen ist es, durch vorübergehende Kapitalvernichtung das kapitalistische System gewaltsam wieder auf jenen Punkt zurückzuführen, von dem aus es weitermachen kann. Die Kurve der Zuspitzung in der Gesamtbewegung des Kapitals verläuft in der Tat nicht gleichmäßig als Gerade, sondern wellenförmig. Das ändert jedoch, wie die Realität ausweist, nicht das geringste an der von Marx aufgedeckten dynamischen Zuspitzung des Grundwiderspruchs. Diese Erkenntnis ist - auch wenn natürlich weiterführende Erkenntnisse, über die Digitalisierung, die Umweltproblematik usw. einbezogen werden müssen - von größtem Gewicht für den Nachweis der unveränderten Gültigkeit unserer revolutionären Theorie.

Betrachtung der Eigentumsfrage in der Geschichte heißt keineswegs, nur klassische Philosophie, utopischen Sozialismus, christliche Schwärmer usw. ins Auge zu fassen. Wir sind gehalten, auch jene Denker zu berücksichtigen, die keinerlei Schlußfolgerungen in Richtung Sozialismus formulierten. Da kann man auf mancherlei Verblüffendes stoßen. Ich nenne beispielsweise Aussagen Jean-Jacques Rousseaus in seinem 1750 verfaßten Diskurs über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen.

Dort heißt es: "Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und auf den Gedanken kam zu sagen 'Dies ist mein' und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Begründer der zivilen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Morde, wie viele Leiden und Schrecken hätte nicht derjenige dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: Hütet euch davor, auf diesen Betrüger zu hören. Ihr seid verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und daß die Erde niemandem gehört!'"(5)

Konkurrenz und Rivalität auf der einen Seite, Gegensatz der Interessen auf der andern und stets das versteckte Verlangen, seinen Profit auf Kosten anderer zu machen, alle diese Übel seien Wirkungen des Eigentums und Folgen der unvermeidlich entstehenden Ungleichheit. Rousseau kam dennoch zu dem Schluß: Das lasse sich nunmehr nicht mehr rückgängig machen. Möglich und notwendig sei jedoch ein auf Vernunft aller Beteiligten gegründeter Gesellschaftsvertrag, der diese üblen Folgen begrenze und steuere. Das schrieb der große Aufklärer und Wegbereiter der französischen Revolution von 1789 und reflektierte damit die Tatsache, daß die industrielle Revolution lediglich erste Schatten warf und der Kapitalismus damals unzweifelhaft eine progressive Gesellschaftsformation war.

Und auch beeindruckende Überlegungen des gerade 25jährigen Wilhelm von Humboldt aus dem Jahre 1792 will ich hier anführen, die ungeachtet ihrer bürgerlichidealistischen Ausrichtung Beachtenswertes hinsichtlich des Eigentums, auch des sozialistischen, zu vermitteln vermögen. Er schrieb: "Alles im Menschen ist Organisation. Was in ihm gedeihen soll, muß in ihm gesäet werden. Alle Kraft setzt Enthusiasmus voraus, und nur wenige Dinge nähren diesen so sehr, als den Gegenstand desselben als ein gegenwärtiges, oder künftiges Eigenthum anzusehen. Nun aber hält der Mensch das nie so sehr für sein, was er besitzt, als was er thut, und der Arbeiter, welcher einen Garten bestellt, ist vielleicht in einem wahreren Sinne Eigenthümer als der müßige Schwelger, der ihn genießt."(6)

Gibt es hier nicht einen Zusammenhang mit Lenins wiederholten Hinweisen, der sozialistische Staat sei nur dann stark, wenn seine Bürger alles wüßten, es verstünden, und auf dieser soliden Basis bewußt handelten. Im Umkehrschluß heißt das doch: Wenn sie vieles nicht wissen, Entscheidendes zunehmend auch nicht mehr verstehen, dann werden sie aufhören, bewußt zu agieren. Das haben wir schmerzlich erfahren, und das gebietet uns, diesbezügliche schwere Fehler in der nächsten Runde unter allen Umständen zu vermeiden. Humboldts Aussage regt zudem dazu an, etwas zu der gelegentlich unter Sozialisten verbreiteten Stimmung zu sagen, in der ersten Phase der den Kapitalismus ablösenden Gesellschaftsformation sei jeglichem überdurchschnittlichem Wohlstand mit Argwohn und Ablehnung zu begegnen. Das ist, um es deutlich auszusprechen, keine marxistische Haltung.

Ein Beispiel: Wenn ein begabter Maler mit eigener Hand, Pinsel, Leinwand und Farbe, Bildwerke schafft, die ihm begeisterte Anhänger zu stattlichen Preisen abkaufen, dann kann er natürlich ein reicher Mann werden. Das ist nicht im geringsten anrüchig, denn sein Wohlstand hat mit Ausbeutung nichts gemein. Seine Mitbürger sollte es freuen, wenn er ohne jegliche Sorge um den Lebensunterhalt seinem künstlerischen Genius freien Lauf lassen kann. Das gilt aber nur unter der Voraussetzung, daß er nicht sein Geld unverzüglich in Kapital verwandelt.

Was persönliches, selbsterarbeitetes Eigentum betrifft, gibt es auch einen weiteren Bezug zwischen der Aufklärung und der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, deren hundertsten Jahrestag wir 2017 feiern. Ich verweise auf das von Lenin unterzeichnete Dekret über den Grund und Boden, das neben dem Dekret über den Frieden, der Deklaration der Rechte der Völker Rußlands und den Bestimmungen über die Arbeiterkontrolle den Sieg im Roten Oktober verbürgte. Der Text des Bodendekrets ist nicht von den Bolschewiki verfaßt worden. Es übernahm unverändert wörtlich einen Wählerauftrag des Allrussischen Sowjets der Bauerndeputierten. Die große Mehrheit in diesem Sowjet stellten jedoch noch im August 1917 die Sozialrevolutionäre.

Im ersten Absatz hieß es: "Das Privateigentum an Grund und Boden wird für immer aufgehoben, der Boden darf weder verkauft noch gekauft, weder in Pacht gegeben noch verpfändet, noch auf irgendeine andere Weise veräußert werden. Der gesamte Boden: die Staats-, Apanage-, Kabinetts-, Kloster-, Kirchen-, Possessions-, Majorats-, und Privatländereien, das Gemeinde-, und Bauernland usw., wird entschädigungslos enteignet, zum Gemeineigentum des Volkes erklärt und allen, die ihn bearbeiten, zur Nutzung übergeben."(7)

Anzumerken ist: In der DDR ist das Land der werktätigen Bauern zu keinem Zeitpunkt, auch nicht nach deren Eintritt in eine LPG, nationalisiert worden. Das hindert jedoch manchen Zeitgenossen keineswegs, nach dem konterrevolutionären Umschwung zu behaupten, er sei damals enteignet worden. Unbestreitbar ist hingegen: 1990 wurde von der vorletzten Regierung der DDR verfassungswidrig die Treuhandanstalt gegründet und damit faktisch das sozialistische Volkseigentum - das Ergebnis jahrzehntelanger, mehr bzw. bei manchen auch weniger engagierter Arbeit aller Bürger - für herrenlos erklärt. Die Kohl-Regierung und ihre willigen Vollstrecker mußten nur noch Ausführungsbestimmungen modifizieren, um eine dritte Negation des Eigentums, die kompromißlose Wiederherstellung der Herrschaft des Kapitals, in die Tat umzusetzen. Würde ich diese Abläufe im einzelnen interpretieren, müßte ich sehr scharfe Formulierungen verwenden. Darauf will ich verzichten. Abschließend sei der Blick vielmehr auf die früheste Phase kapitalistischer Entwicklung, das Zeitalter der Renaissance und der Reformation, gerichtet, weil bereits damals die Eigentumsproblematik eine bedeutende Rolle spielte. Ins nächste Jahr fällt ja auch das 500. Reformationsjubiläum.

Es steht natürlich außer Frage: Alle namhaften Akteure der Reformation, Jan Hus, Martin Luther, Johannes Calvin und auch der entschieden revolutionäre Thomas Müntzer, sind stets von religiösen Motiven angetrieben worden. Doch sie lebten in einer Zeit der Umbrüche und reflektierten theologisch die frühbürgerliche Revolution und den Großen Deutschen Bauernkrieg. Es gilt demzufolge der Frage nachzugehen, warum Karl Marx schrieb, der Reformator Dr. Martin Luther sei "der älteste deutsche Nationalökonom" gewesen.(8) Es ist wichtig, zu erfassen, welche sozialökonomischen Inhalte sich hinter Luthers scharfzüngigen Tiraden gegen den Wucher und den Mammon verbargen.

Ein Mindestmaß an Bibelfestigkeit kann sich als nützlich erweisen. Die Evangelisten Matthäus (Kapitel 6/Abschnitt 24) und Lukas (Kapitel 16/Abschnitt 13) bezeugen ja eindrucksvoll, wie Jesus Christus in seiner Bergpredigt eine klare Scheidelinie zwischen Gut und Böse zog: Niemand kann zwei Herren dienen, Gott und dem Mammon.

Gelegentlich ist man gut beraten, Diskussionspartner nicht gleich mit Marx- und Lenin-Zitaten zu erschrecken. Richten wir also den Blick auf das Jahr 2017 und auf beide Jubiläen: Es ist viel zu tun, packen wir's an!

Prof. Dr. Götz Dieckmann

(1) MEW, Bd. 4, S. 475
(2) MEW, Bd. 23, S. 790 f.
(3) MEW, Bd. 21, S. 172
(4) Ein Wirtschaftssystem für die Superreichen.
https://www.oxfam.de/system/files/20160118-wirtschaftssystem-superreiche.pdf
(5) J.-J. Rousseau: Discours sur l'Origine et les Fondements de l'Inegalitè parmi les Hommes. Paris 1977
(6) Wilhelm von Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau 1851, S. 20
(7) Die ersten Dekrete der Sowjetmacht. Berlin 1987, S. 55
(8) Karl Marx: Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie. Berlin 1974, S. 891

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Über die Grenze zwischen Frieden und Krieg
Achtet nicht auf das, was sie sagen, achtet auf das, was sie tun!

Das Wort Grenze löst, insbesondere wenn die zwischen den beiden deutschen Staaten gemeint ist, in gewissen Kreisen höchstes Unbehagen aus. Man unterstellt ihr etwas Gewalttätiges, Trennendes, Verächtliches. Doch dieselben Leute lassen zu, daß an den europäischen Außengrenzen Menschen, die in Sehnsucht nach einem besseren Leben vor Krieg und Hunger aus ihren Heimatländern fliehen, sterben und leiden, täglich und tausendfach.

Es wird behauptet, die BRD helfe weltweit dem Frieden zum Durchbruch. Doch es reicht ein Blick ins neue Weißbuch der Bundeswehr, um zu erkennen: Der Umbau dieser Armee zur Hightech-Angriffsarmee läuft auf Hochtouren, Richtlinie um Richtlinie, die den deutschen Militarismus nach dem zweiten Weltkrieg in die Schranken wies, wird gekippt. Und überallhin, wo es die Rendite lohnt, exportiert der Weltmeister Großdeutschland Haß, Mißgunst und vor allem Waffen. Die Trümmer Belgrads sind nach der letzten deutschen Bombardierung 1999 noch nicht geräumt, da schreit es nach militärisch gesichertem Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt. Die Antragsteller sind jene Banken und Konzerne, jene Siemens, Daimler und Deutsche Bank, die das letzte Inferno auf dem deutschen Sonderweg sponserten. Taten folgten: Heute steht die Bundeswehr dort, wo die Wehrmacht immer stehen wollte. Achtet nicht auf das, was sie sagen, achtet auf das, was sie tun!

Wenn Grenzen sich den Kriegstreibern entgegenstellen, die die Welt in rentabel und wertlos sortieren und Faschisten und Kriegsverbrecher in Amt und Würden bringen, wenn Grenzen Versuche beschützen, sich der größten Geißel der Menschheit, dem Imperialismus, entgegenzustellen, dann haben Grenzen etwas Verbindendes, dann können sie Leitplanken einer neuen Zeit sein. Die Grenze der DDR war solch eine besondere Grenze. Ein Dienst, der Dienst an dem Versuch war, dem Frieden die Freiheit zu geben, indem jenen die Freiheit beschnitten wird, die uns friedlos machen bis heute. Dieser Dienst war nicht nur einer für die DDR. Er war auch Teil eines Verteidigungsvertragssystems, das letztlich für die friedlichste Epoche der Menschen in Europa sorgte und das all jene, die gegen Kolonialismus und Ausbeutung kämpften, entlastete, ihnen den Rücken freihielt, eine bessere Ausgangsbasis verschaffte. Vielleicht war es nicht oft zu spüren, wenn Grenzer Nacht um Nacht im Graben lagen, in Wetter und Hitze Ausschau hielten und zum Glück meistens nichts zu melden war, wenn Stunden und Kilometer im Dienst nicht enden wollten - doch sie haben Millionen in Ost und West, unserer Kindheit, den Eltern das wohl größte Geschenk gemacht, das ein Mensch einem Menschen geben kann: Frieden. Ein anderer Frieden als jener, der uns heute täglich mit verlogenen Worten gereicht wird und der uns verdammt zuzusehen, wie wieder tausendfach geschieht, was Grenztruppen und NVA vierzig Jahre lang verhinderten: Krieg von deutschem Boden aus.

Unentdecktes Land e. V.

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Wozu Dopingvorwürfe instrumentalisiert werden

Wenn es gegen Rußland geht, wird selbst der Sport mißbraucht, um das Land an den Pranger zu stellen. Olympischen Spielen kommt dabei eine besondere Rolle zu. Sie sind seit jeher ein beliebtes Mittel, politischen Druck gegen die "andere Seite" auszuüben. 1952 in Helsinki konnte nur eine deutsche Mannschaft - die der BRD - an den Spielen teilnehmen, da die DDR auf Betreiben bundesdeutscher Politiker im IOC nicht anerkannt war. 1980 boykottierten die USA sowie die Bundesrepublik Deutschland die Olympischen Spiele in Moskau wegen des Einmarsches sowjetischer Truppen in Afghanistan. Auch die DDR war davon betroffen. Dieser Beschluß, den wir sehr bedauerten, platzte mitten in die Vorbereitungen auf Olympia 1984 in Los Angeles. Die Sportler damit zu konfrontieren, war nicht einfach. Wir erlebten, wie bei erwachsenen Männern die Tränen flossen, da sie viele Jahre äußerst hart trainiert hatten, um bei diesem sportlichen Höhepunkt dabeisein zu können. Wir erinnern auch daran, daß in jener Hoch-Zeit des kalten Krieges gerade Sport und Olympia geeignet gewesen wären, Völkerverständigung und ein friedliches Miteinander sowohl im Wettkampf wie auch in Gesprächen zu fördern und dazu beizutragen, daß sich Menschen und Völker näherkommen.

Heute wird Politik - man denke nur an das Stichwort Doping - erneut auf dem Rücken der Sportler ausgetragen. Natürlich sollten überführte Dopingsünder ausgeschlossen werden. Aber ganze Verbände oder gar ganze Länder auf Grund einzelner Verfehlungen die Teilnahme zu verweigern, ist Sippenhaft, ungerecht und verfolgt in Wahrheit nur das Ziel, Rußland politisch wie gesellschaftlich zu schwächen und so auch mehr Medaillen für sich zu gewinnen, wie der abschließende Medaillenspiegel unschwer erkennen läßt.

In diesem Zusammenhang hat sich besonders der Journalist Hajo Seppelt - ein ausgewiesener Rußlandhasser - exponiert. Er sollte besser die Dopingproblematik in der BRD aufarbeiten. Mit seinen unbewiesenen Veröffentlichungen schadet er der Leichtathletik und dem gesamten Sport. Was ist z. B. mit Dopingpraktiken der Freiburger Ärzte, was mit Dr. Armin Klümper, vom Innenministerium finanziell unterstützt?

Was ist mit Evi Sachenbacher während der Olympischen Spielen in Sotschi, was ist mit dem Ringer Leiphold, dem man die Goldmedaille bei Olympia in Sydney wegen Doping aberkannt hat? Was ist mit der Leichtathletin Birgit Dressel, die in Behandlung von Dr. Klümper war und nach einem "Medikamentenmix" verstorben ist?

Was ist mit den Radsportlern Jan Ullrich, Erik Zabel, Rolf Aldag und anderen? Was ist mit den US-Amerikanern, die nachweislich im Radsport und in der Leichtathletik gedopt haben? Was ist mit den Sportlern anderer Länder, die bei Nachproben ermittelt wurden, oder was ist mit Kenia, wo massiv gegen die Dopingregeln verstoßen worden sein soll? Es ist kein russisches Problem allein.

Niemand kann im Ernst glauben, daß in Rußland gedopt werde und im Rest der Welt nicht. Inzwischen wurde Rußland auch von den Paralympics ausgeschlossen. Hier bestraft man die bereits durch ihre Behinderung betroffenen Sportler noch einmal, egal ob sie sich den Regeln entsprechend verhalten haben oder nicht. Zusätzlich verabschiedete das IOC einige Sofortmaßnahmen. Unter anderem werden vorerst keine IOC-Sportveranstaltungen in Rußland mehr organisiert. Auch die Planung möglicher Europaspiele 2019 in Rußland wurde auf Eis gelegt.

Das vorläufige Ende der antirussischen Kampagne, die seit den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 auf Hochtouren läuft und mit der die westlichen Länder auf der sportpolitischen Ebene geschafft haben, was sie auf der geopolitischen nicht vermochten: die Isolierung der Russischen Föderation, neben China das größte Hindernis zur Durchsetzung ihrer ökonomischen Interessen. Solange die Welt des Spitzensports kommerzialisiert bleibt, wird es immer Doping geben.

Willi Tepper / Erhard Richter (†), Berlin

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Das Unbehagen in der Demokratie

Das aus dem Griechischen stammende Wort "Demokratie" und die Sache, die es bezeichnet, bedeuten laut allen mir bekannten Enzyklopädien (im Gegensatz etwa zu Theokratie, Aristokratie, Plutokratie und anderen Herrschaftsformen) soviel wie Volksherrschaft, und diese stützt sich auf den ehernen Grundsatz, daß alle Gewalt vom Volke ausgeht, womit stets die Gesamtheit des Volkes und nicht etwa eine privilegierte Gruppe oder nur eine soziale Oberschicht gemeint ist, sondern (so in der Formaldemokratie) die Mehrheit, deren Wille auf direktem Wege durch Plebiszite (Volksabstimmungen) oder die Wahl von Volksvertretern (parlamentarische Demokratie) zu ermitteln ist. Auf diese Weise (so der englische Philosoph Jeremy Bentham, 1748 bis 1832) soll "das größte Glück der größten Zahl" gewährleistet sein, was freilich voraussetzt, daß die Mehrheit weiß, was für sie gut ist und nicht etwa in einem "falschen Bewußtsein" (Marx) befangen ist.

Genau hier setzt bereits unsere Skepsis an, denn selbst unter der Voraussetzung sogenannter freier Wahlen und dort, wo Wahlergebnisse nicht gefälscht werden, kommt es schon im Vorfeld von Wahlen zu massiven und oftmals irreführenden Beeinflussungen der Wähler, durch die Schürung von Ängsten oder verheißungsvolle Versprechen ("herrliche Zeiten", "Wohlstand für alle", "Keiner soll hungern und frieren", "blühende Landschaften" usw.), die sich dann über kurz oder lang als dreiste Lügen erweisen.

Besonders fragwürdig sind die Ergebnisse von Volksabstimmungen, die allenfalls etwas darüber sagen, was die Mehrheit will oder nicht will, aber nicht das geringste darüber, ob das von der Mehrheit Gewollte gut und richtig ist. Zwar sehen vier Augen mehr als zwei, aber auch fünf oder gar fünfzig Millionen Wähler können verblendet in einem Begeisterungstaumel Fehlentscheidungen treffen und sich wie die Lemminge ins Verderben stürzen. Wer garantiert, daß selbst nach den atomaren Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima nicht Mehrheiten weiterhin für das Betreiben von Atomkraftwerken plädieren? Und fordern nicht gerade jetzt fanatisierte Massen in der Türkei die Wiedereinführung der den Menschenrechten hohnsprechenden Todesstrafe? - Wer dächte da nicht unwillkürlich an den kollektiven Schrei: "Führer befiehl, wir folgen!" oder an das Ende der Weimarer Demokratie durch die Selbstentmachtung des Parlaments, das mehrheitlich das Ermächtigungsgesetz erließ und damit die Voraussetzung für die Schreckensherrschaft der Faschisten schuf?

Damit sind wir bei einem Beispiel, das zeigt, daß auch der parlamentarischen Demokratie nicht zu trauen ist - sei es, weil Abgeordnete mit Blindheit geschlagen sein können, sei es, daß sie (auch das ist menschlich) bestechlich und korrupt sind oder Vetternwirschaft betreiben, das heißt trotz ihres Auftrags, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, auf dem Wege der Gesetzgebung unter Täuschung der Öffentlichkeit Entscheidungen treffen, die (siehe die Zahlen der Obdachlosen, die der unterhalb der Armutsgrenze lebenden Kinder, die der verarmten Rentner) gerade nicht das Glück der größten Zahl, sondern im Gegenteil den wachsenden Wohlstand einer verschwindend kleinen Gruppe von Kapitaleignern fördern - jener 10 Prozent der Gesamtbevölkerung, die im Besitz von 90 Prozent des gesamten Volksvermögens sind!

Längst werden in den demokratisch verfaßten Ländern Europas und der übrigen Welt die wirklich wichtigen gesellschaftspolitischen Entscheidungen nicht mehr von den gewählten Regierungen getroffen! Die Bankenbosse, die Konzernherren, die Pharmaindustrie, die Waffenfabrikanten sind es, die das Sagen haben, die die Regierungen unter Druck setzen und im Bündnis mit diesen die Völker knechten. Dies eben ist unsern Regenten vorzuwerfen: daß sie mit den Feinden ihrer Völker paktieren, die Demokratie mißbrauchen, ihre Wähler betrügen, daß sie das Unrecht verschleiern, statt es publik zu machen, und also mitschuldig werden. Manche zunächst demokratisch gewählte Regenten mutieren über kurz oder lang sogar zu Diktatoren, die demokratische Grundrechte abbauen, Verfassungen aushebeln und die Menschenrechte verletzen.

Von einer inhaltlichen Verwirklichung der Demokratie, etwa der Vergesellschaftung der Produktionsmittel, kann ebenfalls nicht die Rede sein, obwohl gerade dafür Artikel 14 des Grundgesetzes ("Eigentum verpflichtet") die Voraussetzung böte.

Angesichts eines derart desaströsen Bildes, wie zumal die westeuropäischen parlamentarischen oder Formaldemokratien es bieten - was um alles in der Welt könnte bei einer derartigen Diagnose noch ein praktikables Therapeutikum sein? Wir wissen, längst sind die Monopolkapitalisten so klug geworden, daß sie die vielfältigen Formen der Ausbeutung geschickt zu tarnen wissen, längst sind sie so schlau, die unterdrückten Massen leidlich bei Laune zu halten und über ihre Nöte zu täuschen, damit sie nur ja kein Klassenbewußtsein entwickeln oder gar sich international zusammenschließen. Revolutionäre Situationen (obwohl sie da und dort, z. B. in Bangladesch, längst existieren) werden verschleiert, damit sie nicht ins Bewußtsein der Weltöffentlichkeit dringen. Die leidvoll Betroffenen, die Ausgebeuteten, hält man bewußt in der Angst, daß es ihnen, sobald sie aufbegehren, noch schlechter gehen werde als ohnehin schon. Wie sehr, bis zu welchem Grad muß der Leidensdruck noch steigen?

Ich bin kein Prophet, aber eines scheint mir sicher: Früher oder später wird es da oder dort zur Revolution kommen, und die Kapitaleigner, im Bündnis mit den Militärs, werden nicht zögern, Waffen einzusetzen, um ihre Pfründe zu sichern. Es droht ein womöglich globaler Krieg. Um ihn zu verhindern, ist eine neue Internationale weltweiter Friedenskräfte dringend geboten!

Theodor Weißenborn

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Entscheidungen an der Grenze
Am 1. Dezember 1946 wurde die Deutsche Grenzpolizei gebildet

Anfang Juni 1952, die mündlichen Abiturprüfungen standen unmittelbar bevor, hatte ich mich noch nicht für einen Studiengang entschieden. Ich schwankte zwischen Journalistik, Jura und Pädagogik mit den Fächern Geschichte und Deutsch. Da rief mich die SED-Kreisleitung zu einem Gespräch. Die Genossen machten es kurz: Am 26. Mai hatte der Ministerrat der DDR Maßnahmen zur verstärkten Sicherung der Demarkationslinie zu den westlichen Besatzungszonen beschlossen, woraus sich auch die Notwenigkeit zur Verstärkung der Grenzpolizei ergab. Ob ich bereit sei, mein Studium vorerst aufzugeben und drei Jahre an der Grenze zu dienen. Es wäre wichtig, daß junge Genossen - ich war seit dem 24. März Mitglied der Partei - mit gutem Beispiel vorangingen, denn der Dienst sei freiwillig.

Man mußte mich nicht überzeugen, hatte ich doch die politische Entwicklung aufmerksam verfolgt. Seit der separaten Währungsreform 1948 betrieben reaktionäre Politiker in Bonn mit Adenauer an der Spitze die Spaltung Deutschlands.

So fand ich mich am 7. Juli mit vielen etwa gleichaltrigen jungen Männern in der Zentralschule der Deutschen Grenzpolizei in Sondershausen ein. Von der hohen Anzahl Freiwilliger offensichtlich überrascht, gab es zwar Unterkünfte, aber keine Uniformen. Dennoch begann am nächsten Tag die Ausbildung, viele von uns bestritten sie in Sommerkleidung. Neben ausgiebigen Sportstunden gab es Vorträge und Instruktionen über die Situation an der Demarkationslinie, über das Verhalten im Grenzdienst, über Gesetze und Vorschriften; dazu Unterrichtung am sowjetischen Karabiner 44. Nach einer Woche, nun eingekleidet in die blaue Polizeiuniform mit einem grünen Schild und einem silbernen "G" auf dem linken Ärmel, schloß sich die praktische Geländeausbildung an. Hier übten wir, wie man sich im Gelände bewegt, wie man sich tarnt, wie Grenzverletzer gestellt und festgenommen werden.

Völlig überraschend erhielten wir am späten Abend des 31. Juli den Befehl zum Abmarsch an die Grenze. Grund: Unsere Unterkünfte wurden für die nachkommenden Freiwilligen gebraucht. So erreichten wir am nächsten Morgen einen winzigen Ort im südlichen Thüringen an der D-Linie, wie wir damals sagten, zur US-amerikanischen Besatzungszone. Haubinda hieß das Dorf und war Standort einer Grenzkommandantur. Hier sollte die Ausbildung unter Leitung des Stabschefs, eines blutjungen Unterkommissars, fortgesetzt werden.

Sie blieb mir erspart, denn schon am übernächsten Tag beförderte mich ein Pferdefuhrwerk zum etwa zehn Kilometer entfernten Grenzkommando Mendhausen. Ich sollte die dort verbliebenen drei Parteimitglieder in der politischen Arbeit unterstützen, denn der Politstellvertreter sei schwer erkrankt und würde für viele Monate ausfallen. Vor allem sollte ich die ab September einzuführende regelmäßige politische Schulung meiner Kameraden leiten.

Was ich in Mendhausen antraf, entsprach in keiner Weise meiner Vorstellung von einer Volkspolizei-Dienststelle. Von einem dafür vorgesehenen Gebäude keine Spur. In einem halben Bauernhaus wurden zwei untere Räume als Wache und Waffenkammer genutzt. Darüber befand sich das Dienstzimmer des Kommandoleiters, im Nebengelaß schlief er. Auf der anderen Straßenseite konnte ein ganzes Haus von den Grenzern genutzt werden; dort waren Küche, ein kleiner Speiseraum sowie ein Freizeit- und Kulturraum eingerichtet worden, darüber Unterkünfte für jeweils zwei bis drei Mann.

Zur Ausrüstung zählten neben alten Karabinern K 98 einige Pistolen, ein Krad, zwei Fahrräder, zwei Pferde (zur Bearbeitung des 10-m-Kontrollstreifens) sowie in der Wache ein altes Feldtelefon. Mit dem Krad fuhren Meister Kirschnick, wenn er nach Haubinda befohlen wurde, und der Furier, wenn er mit einem großen Rucksack Lebensmittel in Römhild einkaufte.

Am nächsten Tag begleitete ich den Kommandoleiter zu einem Kontrollgang an die Grenzlinie. Er erklärte mir die Streifenwege und wo die günstigsten Beobachtungsposten sind, wobei er darauf hinwies, daß auch Beobachter der Sowjetarmee in unserem Abschnitt eingesetzt sind. Natürlich informierte er mich über Aktivitäten westlich der Grenze sowohl des Wachpersonals als auch von Zivilisten. Provokationen der verschiedensten Art fänden häufig statt, deshalb sei Wachsamkeit dringend geboten. Dabei verwies er darauf, daß innerhalb von nur drei Jahren sieben Grenzer von westzonalen Terroristen und US-amerikanischen Besatzern ermordet worden sind.

Dann begann mein Grenzeralltag. Verlief er normal, waren das jeweils acht Stunden in drei Schichten. Anfangs wurden mir erfahrene Postenführer zugeteilt: Oberwachtmeister Werner Herrmann sowie die Wachtmeister Heinz Roßberg und Werner Tittel, Arbeiterjungs aus Sachsen.

Auch von der Gegenseite wurde die Grenze bewacht. Jeden Tag hielten sich dort Angehörige des Zollgrenzdienstes und der bayerischen Grenzpolizei auf, Männer im fortgeschrittenen Alter, von denen man annehmen konnte, daß sie bereits anderen Machthabern treu gedient hatten. Sie verhielten sich zurückhaltend, beobachteten unser Gebiet, machten Notizen. Anders der Bundesgrenzschutz. Die militärisch ausgebildete, ausgerüstete und bewaffnete Truppe erschien meist in Zugstärke und trat entsprechend provokant und aggressiv auf. Dummdreiste Bemerkungen, Beschimpfungen und Drohungen kamen über die Grenze, sobald sie einen unserer Posten sahen. Manche dieser uniformierten Rowdys richteten auch ihre Waffen auf uns. Und dann tauchten auch noch die Ami-Besatzer auf. In ihren Jeeps fuhren sie mit ostwärts gerichteten MGs nicht nur die Grenzlinie entlang, sondern auch darüber auf unser Hoheitsgebiet. Wenn aber ein sowjetischer Posten auftauchte, verschwanden sie ganz schnell.

Der 7. Oktober 1952 brachte erste Maßnahmen zur Entwicklung der Deutschen Grenzpolizei zu einer Grenztruppe. Wir erhielten neue Uniformen, neue Waffen und militärische Dienstgrade. Vier Wochen später erhielten wir personelle Verstärkung, die wir mangels anderer Unterkünfte in den Saal der Dorfgaststätte einquartierten. Obwohl ich erst drei Monate Grenz-Erfahrung hatte, wurde ich als Postenführer eingesetzt, hatte nun an einem bestimmten Abschnitt für jeweils acht Stunden die Verantwortung für die Unantastbarkeit unserer Staatsgrenze. Außerdem war ich weiter für die politische Schulung meiner Genossen zuständig.

Bis zum Jahreswechsel 1952/53 reifte mein Entschluß, auf ein Hochschulstudium zu verzichten und statt dessen meine Perspektive in den Reihen der Deutschen Grenzpolizei zu sehen. Die bisher gemachten Erfahrungen, das Leben im Kollektiv, das kameradschaftliche Verhältnis zu den Vorgesetzten und nicht zuletzt die politische Entwicklung in beiden deutschen Staaten bestimmten meine berufliche Zukunft. Achtzehn Jahre habe ich den Dienst an der Staatsgrenze versehen, bis ich in eine andere Funktion in der NVA versetzt wurde. Ich konnte mich in diesen Jahren zum Militärjournalisten qualifizieren und ein Fernstudium der Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität absolvieren.

Günter Freyer, Oberstleutnant a. D.


Hans Bauer (Hrsg.): Halt! Stehenbleiben!
Grenze und Grenzregime der DDR.
edition ost, Berlin 2016. 272 S., 14,99 €

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Ruth Rewald ist nicht vergessen

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]
Der Artikel ist aufrufbar über:
http://www.rotfuchs.net/rotfuchs-227-dezember-2016.htm

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Christine Laszar zum 85.

Otto Mellies sagte kürzlich bei einer Buchlesung in Bad Doberan über sie: "Ich lernte sie als eine junge Frau von außergewöhnlicher Schönheit, mit einer großartigen Ausstrahlung kennen." Die Rede ist von Christine Laszar, die am 19. Dezember in Rostock ihren 85. Geburtstag begeht. Sie spielte in mehr als 20 DEFA-Filmen, stand mit Jürgen Frohriep, Hans-Peter Minetti, Alfred Müller und Otto Mellies vor der Kamera.

Von Kindesbeinen an wollte die 1931 in den Masuren geborene Christine auf die Bühne oder zum Film. Sie studierte ihn Westberlin, hatte erste Engagements am Renaissance-Theater, beim Kabarett "Die Stachelschweine" und am "Theater der Zeit" in München. Ihre Filmkarriere begann, als der Brecht-Regisseur Erich Engel (1891-1966) sie für die Hauptrolle in "Geschwader Fledermaus", ein Antikriegsfilm, engagierte. Nach den Schrecken des Krieges glaubte sie, daß es eine neue bessere Gesellschaftsordnung geben müßte, die sie in der DDR zu finden hoffte. So siedelte sie 1958, nach der Scheidung von ihrem ersten Ehemann, dem Schauspieler Rudolf Schündler, mit ihrer vierjährigen Tochter Katrin nach Ostberlin über. Zunächst wohnte sie mehrere Monate im Gästehaus der DEFA. Hier lernte sie Karl-Eduard von Schnitzler kennen, der damals beim Rundfunk arbeitete, ebenfalls aus dem Westen gekommen und geschieden war. Sie heirateten bald, doch die Ehe hielt nur vier Jahre.

Der Arbeit an der Volksbühne Berlin folgte eine erfolgreiche Zeit als Filmschauspielerin. Aus den Streifen "For eyes only", "Der Arzt von Bothenow", "Weißes Blut" und dem Krimi "Schwarzer Samt" sowie dem Fernseh-Mehrteiler "Tempel des Satans" ist sie uns in guter Erinnerung. Die Schauspielerei, die sie ohnehin nicht bis zur Rente betreiben wollte, gab sie in den 70er Jahren auf und begann als Redakteurin beim Fernsehen. Filmfeuilletons und Künstlerporträts waren ihr Metier. Mit ihrem Wechsel ins Ostseestudio erfolgte der Umzug nach Rostock. Leider war es um ihre Gesundheit nicht gut bestellt, was schließlich zur Invalidität führte.

Nach einem Urlaub in Dänemark siedelte sie 1993, spontan mit Sack und Pack, samt ihrem Trabbi, nach Nyköbing um, wo sie, wie sie sagte, "einige sehr schöne Jahre" verlebt hat. Doch die häufiger erforderlichen Arztbesuche waren der Anlaß, wieder nach Rostock zurückzukehren. Ihr Handicap war vor allem der Verlust der Sehkraft. Doch trotz aller Probleme läßt sich Christine Laszar ihren Optimismus nicht nehmen.

Ursula Rosentreter, Rostock

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Wie stelle ich mir das Jahr 2000 vor?

Doris Laartz aus Leipzig, 1991 Lehrerin in einer 6. Klasse, übergab uns Aufsätze, die ihre Schüler damals zur Frage "Wie stelle ich mir das Jahr 2000 vor?" zu Papier brachten. Wir dokumentieren einen davon.


Ich stelle mir vor, daß ich im Jahr 2000 in einer sauberen und hygienischen Umwelt lebe, daß ich den reinsten Sauerstoff einatme, die Ab- und Giftgasfabriken nicht mehr existieren. Daß die Lebensmittel nicht in Folien und die Flüssigkeiten in Büchsen sind, sondern in Papier und Flaschen, die wiederverwendet werden können. Es sollten Arbeitsplätze für jeden Menschen, der arbeiten möchte, vorhanden sein. Alle Menschen sollen ein glückliches und gesundes Leben führen. Ich möchte eine Familie haben, die mich und andere Menschen unterstützt und den Leuten hilft, die in Not und Elend leben müssen. - Ich möchte einen passenden Arbeitsplatz für mich. - Ich wünsche mir, daß alle Menschen in Frieden und nicht im Krieg aufwachsen. - Ich stelle mir vor, im Jahr 2000 alle Kinder - egal, welche Hautfarbe sie haben - miteinander spielen zu sehen. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, daß nie, nie wieder ein Weltkrieg ausbricht. Alle Menschen sollen sich vertragen und sich nicht gegenseitig umbringen! So wie sie es manchmal mit Walen und Delphinen tun. Es darf keine brutalen Menschen mehr geben, die Tiere umbringen. Es müssen sich auch die Schiffe mit den Öltanks ändern, damit die Meere sauber bleiben und die Fische frei und unbeschwert leben können. Die Erde soll leben und nicht untergehen!

Ich möchte im Jahr 2000 einen lieben und verständnisvollen Mann und zwei liebevolle Kinder haben. Aber auch ein umweltfreundliches Auto, ein wunderschönes Haus und einen großen, blumenreichen Garten. Und für meine Eltern auch ein schönes Haus.

Bianca (1991)

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Das Weihnachtsmärchen

"Was war Ihr erstes Erlebnis, als Sie gefangen wurden?" fragte ich den Gefreiten Seibert aus Breslau.

"Mein erstes Erlebnis? So komisch das auch klingen mag - ein Weihnachtsmärchen! Im Dezember 1941 war das. Wir hatten Schreckliches durchmachen müssen, die Todeskälte, bis an den Hals im Schnee, die halbe Kompanie schon krepiert und dann der Rückmarsch von Moskau - aber das haben Ihnen schon andere erzählt, daß ich's nicht noch mal aufzuwärmen brauche.

Ich war MG-Schütze, seit Anfang an dabei. Wie wir uns nun im November ganz ausgepumpt hatten, da war ich so schlapp, daß ich kaum das MG mehr richten konnte: 'Na', sagt der Hauptmann, 'Seibert, Sie haben sich gut gehalten, ich verspreche Ihnen zu Weihnachten Urlaub.' Aber nun ging's wie gesagt rückwärts. Statt ins Quartier nach Moskau zu kommen, hieß es, Winterlinie beziehen, im Eisbunker. Ach, hatten die uns angeschissen, von wegen die Russen haben die letzten Reserven ins Feuer geschmissen. Anfang Dezember noch hatte ich meiner Frau eine Karte geschrieben: Weihnachten daheeme!

Und so Mitte Dezember krieg ich noch einen Brief von ihr: Fall ja nicht noch den Russen in die Hände, hier stehen schreckliche Dinge in der Zeitung, was die mit den Gefangenen machen. Lieber wollte sie, daß ich eine Kugel kriege, als daß ich so was durchmachen müßte. Und da uns unsere Offiziere alle Tage solche Foltergeschichten erzählten, hatten wir einen Heidenbammel vor der Gefangennahme. Wenn uns Russen in die Hände fielen, ließ der Hauptmann sie auf der Stelle abknallen, denn die machen es ja mit unseren ebenso, sagte er immer. Und das fanden wir ganz in der Ordnung, wenn uns die Kerle auch oft leid taten.

Nu, ich sage Ihnen, es war eine schreckliche Zeit; dreimal stand der Tod vor einem: Frost, Kugel oder Gefangenschaft. Das war nun so Mitte Dezember. Einen Abend war Ruhe. Ich geh zum Hauptmann, sage, jetzt möcht ich um den versprochenen Urlaub bitten. 'Sind Sie wahnsinnig?' brüllt der mich an, 'kein Mensch mehr da zum MG-Bedienen, und da wollen Sie auf Urlaub?'

Nun wußte ich aber, daß an demselben Tage ein anderer MG-Schütze auf Urlaub gegangen war, das war aber dem Hauptmann sein Neffe, so ein weechgebackenes Jingerle, wie man bei uns daheeme sagt. Da hat mich doch die Wut gepackt, wo ich schon zwei Finger und einen Fuß angefroren hatte. Also der Weihnachtstraum war aus. Und dann kam der 20. Dezember. Das Datum vergaß ich nie. Wir waren mit unserer MG-Kompanie beim Rückzugdecken auf Flankensicherung, sollten unbemerkt in einem Hohlweg vor einem Wäldchen Stellung beziehen und nur auf Befehl Feuer eröffnen. Wie ich nun da so liege, vor Frost steif wie ein Klippfisch, da kommt mir vom Wäldchen drüben so ein bißchen Tannenduft in die Nase, und auf einmal war mein Weihnachtstraum wieder da. Da packt mich doch auf einmal so eine Raserei und ich gebe in die stille Nacht eine Lage raus, daß alles so rasselt.

Aber das war mein Verhängnis, oder besser mein Glück. Denn auf einmal bricht's aus dem Wald heraus mit Hurra, und im Nu saßen uns paar Kerlen die Russen auf dem Hals. Ach, leb wohl, mein Weiberl, leb wohl, mein Wuschperl, dacht ich, als so ein langer Russe auf mich niederstürzte. Ich konnte mich gar nicht mehr umbringen, der hatte mich schon gepackt und schleppte mich mit sich. Da kam ein anderer Russe dazu, der sah, wie ich mich losreißen wollte, da sagte er auf deutsch: 'Du Dummkopf, Dir tut doch kein Mensch was!' Ich rief: 'Schießt mich doch nieder! Ich will nicht zum Stab!' Da sagt der Russe wieder und lacht: 'Du mußt mit, wir wollen Euch doch braten und fressen!' Mach nur noch so dumme Witze, dacht ich. Nun kamen wir in ein Dorf. Wir kriegten ein Geschirr heißen Kohl. Kaum ein Mensch kümmerte sich um uns.

Gegen Morgen kam ein Kommissar, er gab uns Zigaretten und fragte uns Verschiedenes. Aber wir trauten dem Frieden nicht. Wir sagten, die Foltereien kommen erst hinten beim Stab. Vormittags brachten sie uns zur Bahnstation. Drei Tage fuhren wir, wußten nicht wohin. Unterwegs dachte ich schweren Herzens an Weihnachten und an Frau und Kind, wie die schreien werden, wenn sie Nachricht kriegen, ich bin vermißt.

Endlich einmal gegen Abend halten wir wo an einem kleinen Tannenwald. Da sagt der Landser neben mir: 'Guck mal, die kleinen Christbäume. Heute ist doch Heiligabend.' 'Was', sag ich, 'Heiligabend?' Und da hat's mich doch so gepackt, daß ich in die Dunkelheit loslaufen wollte, sollten sie doch ruhig hinterherknallen! Aber mein Landser hielt mich fest, ich soll doch keine Dummheiten machen, vielleicht kämen wir dort mit dem Leben davon. Nun trotteten wir durch den niedrigen Wald, und dann standen wir vor einem Haus, sah aus wie ein Kloster. Kommen in einen dämmrigen Flur. Da hör ich, wie welche deutsch sprechen und lachen. Irgendwo spielt einer Klavier. Dann ging's in ein großes Kellergewölbe, da mußten wir uns duschen und kriegten andere Klamotten. Ich dachte immer, wozu das alles?

Und da kommt ein Landser und sagt, er hätte in einen Saal reingeguckt, da hätte ein Christbaum gestanden. 'Du phantasierst wohl schon', sage ich. Und dann mußten wir 40 ins Hauptgebäude zurück. Nu, und da geht eine große Tür auf, und, ich denke, ich bin verrückt geworden, da steht ein riesiger Christbaum, und die Kerzen brennen. Und die Alten stehen feierlich da und singen: Brüder, zur Sonne! Da hab ich doch laut angefangen zu heulen. Und da kommt ein russischer Kommissar und fragt: 'Warum weinst du? Kannst dich doch eher freuen, daß du gerettet bist!' In dem Augenblick hätte ich den Mann umarmen können. Alle hätte ich umarmen können.

Gerettet! Ja, jetzt erst wußte ich, ich bin gerettet. Sehen Sie, das war mein Weihnachtsmärchen. Nun werden wir hier noch mal Weihnachten feiern, noch schöner als letztes Jahr. Ich freue mich schon auf die neuen Landser, wie die staunen werden. Aber das schönste Weihnachten wird dann das nächste sein. Kein Hitler mehr, kein Krieg mehr, und ich lebendig und gesund wieder daheeme bei Muttern."

Erich Weinert (1942)

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Stimmen aus aller Welt über die DDR (Folge 6)

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR, existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandspresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen werden wir in den nächsten Monaten einige dieser Äußerungen veröffentlichen - Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt - und für uns - war.


Kanonikus Raymond Goor (1908-1996)

Präsident des Internationalen Komitees für Sicherheit und europäische Zusammenarbeit, Lenin-Friedenspreisträger

Jeder ernsthafte Analytiker der historischen Evolution der europäischen Politik seit dem Ende des zweiten Weltkrieges kann nicht mehr leugnen, daß die Existenz der DDR einen günstigen Faktor für die Durchsetzung der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und für die fortschreitende Entwicklung einer vorteilhaften gegenseitigen Zusammenarbeit bildet. Die Tatsache, daß die DDR im Herzen Europas liegt, ist nicht nur ein geographischer Gesichtspunkt, sondern auch ein geopolitischer.

Bei der Herstellung neuer internationaler Beziehungen zwischen den europäischen Völkern kommt der DDR eine besondere Rolle zu. Ihre Grenzen sind neue Grenzen, deren Schutz für die Stabilität und die Entwicklung der zwischenstaatlichen Beziehungen unerläßlich ist.

Das gute und harmonische Funktionieren des Herzens - bestimmt es nicht die Vitalität und Aktivität des ganzen Körpers? Alle Freunde der DDR zählen auf sie und wissen, daß sie auch für die Zukunft eines neuen Europas auf sie zählen können, eines Europas, das nicht mehr durch lähmende Angst, Mißtrauen und destruktiven Verdacht gequält wird und das, solchermaßen befreit, zu der Entwicklung einer ökonomischen und politischen Weltordnung wird beitragen können, in der die Rechte der Völker und Menschen auf dieser Erde künftig respektiert werden.


David Oistrach (1908-1974)

Geigenvirtuose, Komponist und Dirigent, UdSSR

Es war 1952 zur Beethoven-Ehrung, als ich das erste Mal in die DDR kam. Diese erste Reise hat unvergängliche Eindrücke bei mir hinterlassen, die in den folgenden Jahren weiter vertieft wurden. Aus dieser Zeit datieren auch meine Bekanntschaften mit wunderbaren Musikern wie den Dirigenten Hermann Abendroth und Franz Konwitschny. Wir haben uns sehr schnell angefreundet, und in allen folgenden Jahren hat sich diese Freundschaft vertieft, wurde enger. Immer besser wurde auch meine Kenntnis vom Publikum in der DDR. Im Unterschied zu anderen Ländern ist Musik für die Menschen hier nicht nur Vergnügen, sondern eine Lebensnotwendigkeit, das spürt man in allem: dem Interesse an Konzerten, der ungewöhnlichen Popularität der Schallplatte, den hohen Auflagen der Musikliteratur und Noten. Das alles bildet natürlich nicht nur ein teilnehmendes Publikum, sondern auch ein wissendes, das sehr fein auf das Können des Künstlers reagiert.

Besonders engen Kontakt pflegte ich mit den DDR-Orchestern, die man ruhig zu den besten der Welt zählen darf: die Dresdner Staatskapelle oder das Leipziger Gewandhausorchester. Ich bewunderte das große Repertoire der DDR-Bühnen, es ist ein schwieriges, jedoch auch interessantes. Die großen Häuser beherrschen Opern von Händel bis hin zur jüngsten Oper von Paul Dessau. Ich war fast überall in der Welt und weiß, wie Theater und Oper der DDR geschätzt werden. Als alter Freund dieses Landes und seiner Kunst freue ich mich darüber sehr.

Auf der Rückreise aus dem Urlaub war ich für zwei Tage in Berlin, wohnte im Hotel "Stadt Berlin". Als ich aus dem Fenster auf das Panorama sah, auf das Zentrum, auf die Spirale am Brunnen und den Fernsehturm, war es schwer vorstellbar, daß das alles in "meinen 22 DDR-Jahren" aufgebaut worden war. Ich meine nicht nur die Quantität, ich meine den Stil: Die Architekten haben den modernen Stil ergänzt durch viele harmonische Details der Kunst und Geschichte. Und nicht nur die Architekten, auch die Arbeiter haben mit ihrer handwerklichen Meisterschaft dazu beigetragen. Diese Menschen sind die Schöpfer des neuen Lebens, nicht nur der Paläste. Und wenn ich vor ihnen spiele, denke ich: Nicht du bist der Künstler, sondern sie.


Halina Czerny-Stefanska (1922-2001)

Pianistin und Hochschullehrerin, VR Polen

Als ich in Zwickau war, lag die Fixierung des Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen wenige Tage zurück. Da war ich sehr bewegt, daß nun schriftlich niedergelegt ist, auf einer neuen, höheren Stufe, was die Völker unserer beiden Länder doch schon seit vielen Jahren in menschlichen Kontakten und auf dem Gebiet der Wissenschaft, der Volksbildung oder der Kultur in der Praxis verwirklichen. Die unzähligen guten Verbindungen sind dadurch dokumentiert worden, und ich sehe in diesem Vertrag noch weitere Möglichkeiten des freundschaftlichen Zusammenwirkens. Meine künstlerische und pädagogisch-bewertende Arbeit in der DDR steht in diesem Zusammenhang. Immer wieder komme ich gern hierher.


Dr. Leopoldo Niilus (1930-2015)

Direktor der Kommission der Kirche für Internationale Angelegenheiten beim Weltrat der Kirchen in Genf

Ein intimer Kenner der DDR, ihres erfolgreichen Aufbauwerkes und der Probleme, die sie bei der weiteren Ausgestaltung ihrer sozialistischen Gesellschaft gewiß noch zu lösen haben wird, bin ich noch nicht. Darum mögen die Herausgeber dieser Festschrift, die mich zu einem Votum "30 Jahre DDR" einluden, Verständnis dafür haben, daß ich bei meinen Glückwünschen zum Republiksjubiläum gewissermaßen auf "ökumenischem Parkett" bleibe.

Ich möchte von den Erfahrungen meiner derzeitigen Arbeit im Weltkirchenrat her den Beitrag hervorheben, den die evangelischen Kirchen in diesem Land zu wichtigen Programmen der ökumenischen Bewegung geleistet haben und auch gegenwärtig leisten. Der im September 1969 neugegründete Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR hat seine organisatorisch-rechtliche Unabhängigkeit gegenüber den Kirchen in der BRD bereits kurze Zeit darauf sehr eindrucksvoll veranschaulicht: Anfang 1971 - gerade in den Weltkirchenrat aufgenommen - begann er dessen Programm zur Bekämpfung des Rassismus zu unterstützen. Bis zum heutigen Tag hat er an dieser Loyalität festgehalten und sie durch eigenständige humanitäre Spendenaktionen für Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika zu beweisen gewußt.

Ein anderes Beispiel ist das Engagement, mit dem sich der DDR-Kirchenbund an unserem seit der Weltkirchenkonferenz in Nairobi entwickelten Studienprogramm über Militarismus und Abrüstung beteiligt. Als sehr nützlich betrachte ich auch bilaterale Gespräche, wie sie der DDR-Kirchenbund im Frühjahr 1978 mit dem Nationalrat der Kirchen Christi in den USA über die akute Gefährdung des Weltfriedens durch die Entwicklung neuer Massenvernichtungsmittel, zum Beispiel der Neutronenwaffe, aufgenommen hat.

Innerhalb der Ökumene ist mit großer Aufmerksamkeit das Gespräch zwischen dem DDR-Staatsratsvorsitzenden und der Leitung des DDR-Kirchenbundes am 6. März 1978 zur Kenntnis genommen worden. Ich glaube, daß der bei jener Begegnung zwischen Staat und Kirche in der DDR bekundete Konsens in Sachen Friede und Abrüstung, Antirassismus und Menschenrechte auch in Zukunft gute Früchte bringen wird.

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Das Jahr will gehn. Schon? Aber gib uns vorher noch ein Fest, auf dem es sich Abschied nehmen läßt. Zu früh, immer geschieht alles im Leben, was wirklich wichtig ist, zu früh.

Kleine Urenkelin, Liebe, laß Dir ruhig Zeit. Dein wichtigster Termin wäre Anfang Januar, das geht ja noch. Aber wann immer Du erscheinst, mein Jubel ist Dir sicher. Ein leiser Wunsch nur, daß Du kein Weihnachtskind sein sollst, denn dann fallen Dir ja Weihnacht und Geburtstag als Fest zusammen, und das Jahr wird ohne große Tage vielleicht ungerecht lang. Aber: "Auf deinem kleinen Throne / wächst unsre Verstärkung - die nächste Amazone!!!" Du sollst geliebt sein, und Du kannst für gar nix. Für keinen Lebensfehler, kein falsch Vorausgedachtes oder vergeblich Gelebtes. Nimm Platz in all den zauberhaften Sächelchen, an die nicht zu denken war, als Deine Großmutter geboren wurde, meine Tochter, deren Windeln ich vor Übereifer und schmerzlichem Mangel mit bunten Fäden bestickte. Sah schön aus, bis nach der ersten Wäsche. Wenn ich sehe, welche Ausstattung Dich erwartet, könnte ich für einen Augenblick alles schön finden, die ganze Welt.

Aber so war das Jahr nicht. Es gab auch friedliche, bewegende Momente, gute Nachrichten aus der Wissenschaft und kluge Vorschläge durch einzelne Persönlichkeiten. Aber die Schläge auf das Herz und die Nerven wurden als unerträglich empfunden und sind es gewesen. Weltpolitik? Es bleibt vorrangig beim Bedienen von Interessen. Das Jahr will gehn? Da braucht es große Momente: Trauer um die Verbündeten, die uns bei der Arbeit fehlen werden. Wir sind verpflichtet, ihren Gedanken und Nachlässen Respekt zu erweisen. Nicht ablegen, sondern aufheben.

Ich fühlte mich noch einmal unter Druck gesetzt, unschuldige Opfer "einzuordnen", weil da eine Gemeinschaft von Mördern aus dem Ruder gelaufen ist und nun von ihren vorherigen Erfindern besiegt werden muß. Wer gab dieser "Clique" Raum, Waffen und Quellen für ihren Reichtum? Das wissen wir. Aber wir sind überfordert, auch wir. Unser Verstehen, unsere Einsicht und unsere Lernfähigkeit sind überfordert und versagen vor der Frage, was wir denn nun angesichts der entstandenen Situation tun könnten. Die Bilder, die vielen unerträglichen Bilder von Flüchtenden, die niemand haben will. Es geschieht der Menschheit nun trotz und mit Hilfe weitgereifter Technik, daß eine große weltumspannende Unordnung entstehen konnte.

Es gibt das grausige Bild eines Trump und dagegen die entwaffnenden Beispiele von einzelnen Helden des Alltags, die ein Gleichnis schaffen können - aber selbst eine Vielzahl von ihnen wäre machtlos gegen die große Unordnung. Läuft das auf einen Ruf nach Lanzelot hinaus oder auf einen neuen Messias, der uns eine nie gekannte Religion aufdrückt, gegen die wir dann wieder angehen müssen?

Ach, Weihnachten bringt uns neben vielgeliebtem Schnickschnack auch neue Bücher unter den Weihnachtsbaum, vielleicht finden wir in ihnen eine Lösung, wenigstens einen Ansatz. Es sind schließlich meist berühmte Leute, die sie verfaßt haben. Berühmte Leute sind berühmt, weil sie ihre Arbeit gemacht haben! Dieser Gedanke ist gültig, siehe doch Shakespeare oder Renoir, Mozart oder Pavarotti oder Clown Grock. Und Stephen Hawking.

In unseren hastigen Zeiten scheint es, als wäre sie kaum noch erlangbar, die großartige Lebensleistung. Solche, derentwegen Menschen Lasten auf sich gehäuft oder abgeworfen haben, ihr ängstliches Selbst überwunden oder zu ihm hingefunden. Das, wofür sich alles gelohnt hat; der Stein auf dem Weg, die lange Einsamkeit bis zum entscheidenden Moment des Einfalls, die Furcht vor dem Urteil "der Welt".

Das wahrscheinlich Beschwerlichste: nicht aufgeben, nach dem Rückschlag wieder rangehen, weitermachen, der Leichtigkeit durch die Arbeit näher kommen. Jener Leichtigkeit, ohne die kein Werk aufblühen kann, ohne das es nicht in die Verbreitung gelangt.

Was denn wäre unsere Aufgabe? Die wahre, die schwere und einzige Befriedung. Wir scheinen ständig vor die Wahl gestellt, unser Zutrauen oder sogar Vertrauen zu vergeben, zu verschenken oder mißtrauisch wieder an uns zu nehmen. Die Zeiten sind nicht so, wie sie als Moderne Zeiten vorausgesehen und in die Kunst gebracht wurden. Aber ähnlich, verdammt ähnlich schon. Uns wächst kein Sitzfleisch. Alles ist ständig von Lärm begleitet, umtost, untermalt, alles soll möglichst bald fertig sein und zugleich verändert werden, auf den Kopf gestellt oder umjubelt. Das gilt fast soviel, wie verrissen zu werden, worauf die Retter den zu kurz oder zu früh Gekommenen, Unverstandenen in Mode bringen. Oder sie helfen, sein Werk unter den Tisch zu kehren. Manche der Förderer begreifen ihn so schnell, wie sie ihn nachher vergessen.

Eben habe ich mir einen Band "Neue Liebesgedichte" gegönnt. Was sprang mich an? Was weckte Gefühle? Und gab es da Wärme und Duft, Leid und Angst, Seligkeit, Sinnlichkeit? All das haben mich die Dichter gelehrt zu verlangen und zu erwarten. "Geschwind, zu Pferde!" und "Und doch, welch Glück, geliebt zu werden / Und lieben, Götter, welch ein Glück!" Das hat Goethe schon mit 26 Jahren geschrieben. Und gewußt. - In den "Neuen Liebesgedichten" habe ich keinen Wimpernschlag davon entdeckt, aber ich will, daß die Liebe sterbensängstlich und die Welt auf den Kopf zu stellen imstande ist. So haben sie doch geliebt, ob Frida Kahlo oder Else Lasker-Schüler, Louise Labé, und hat nicht die junge Sarah Kirsch uns bezaubert? Ihr Gang in die Kaufhalle, um dort vergeblich Eier für das Abendbrot des Geliebten zu holen: ein Gedicht, das ihrer Sprache die Bezeichnung "Sarah-Sound" einbrachte. Es gab viele "Poesiealben" in der DDR, in ihnen war alles über die Liebe zu finden. Ja, "Es war, als hätt' der Himmel / die Erde still geküßt ..." oder "Und auch den Kuß / ich hätt ihn längst vergessen ..." Selbstvergessenheit gehört in die Liebe. Ihren Atem zu beschreiben scheint so leicht, so leicht. Aber sie siedelt neben dem anspruchsvollen Teil, dem Schmerz.

"Wart auf mich, ich komm zurück, aber warte sehr ..." Das hat Konstantin Simonow als Soldat geschrieben im schrecklichen Jahr 41. Ein unsterbliches Liebesgedicht!

Weihnachten werde ich wieder einmal Liebesgedichte lesen, um zu merken, ob ich noch lebe.

Der kühnere Gedanke wäre, wieder einmal eins zu schreiben. Ich erinnere mich daran, mit welcher Unverschämtheit ich mich vor ach so vielen Jahren eines Bleistifts bemächtigte, mir ein Stück Papier griff - oder war es ein Zeitungsrand? -, und ich schrieb drauflos. "Ick möcht mal mitn Finga inn Himmel pieken ..." Ich hatte gar keine Ahnung, viel zu wenig Bildung, aber eins hatte ich als Vorbereitung auf lange Jahre stiller Arbeit immerhin schon geleistet: Ich hatte nicht nur jeden erlangbaren Band Gedichte, ob bei Leuten oder in der Volksbibliothek, gelesen, sondern - mit der Hand abgeschrieben, still für mich und versunken, während um mich her Kuchen aufgetafelt wurde oder ganz normaler Alltag mit all seinen Geräuschen ablief. Und ich weiß heute noch, daß ich manchmal mitten in welchem Tun auch immer innehielt, weil ich einen Satz aus ganz normalem alltäglichem Zusammenhang wie ein Pochen an mein Gehirn oder an mein Herz empfand. Es hob sich so ein Wort, ein Satz aus allem Alltäglichen heraus und wollte in jene Kiste gepackt werden, die ich dann ein Leben lang groß genug fand, ihr immer noch etwas anzuvertrauen. Aus der Tiefe des langen Erinnerns erreicht mich der traurige Satz, den Tucholsky hinterließ: "Er hat nur einmal wirklich geliebt ..."

Liebesgedichte sollten atmen und sehnsüchtig machen. Ja, das sollten sie. Aber in den "Neuen" habe ich dergleichen nicht gefunden.

Schöne Weihnachten!


Ick möcht mal mitn Finga inn Himmel pieken,
ob det wohl jeht?
Ick kann vonne Wiese nach oben kieken
und sehn, wie ne Wolke zerjeht.
Denn is doch det Blaue janz nah -
aba ick war noch nie da.

Mir hat schon mal eena een Kuß jejehm,
det tat mir jut.
Ick möcht mal een Liebsten fürt janze Lebn,
mit den hätt ick janz schön viel Mut.
Und ick war schon der Liebe janz nah -
aba ick war noch nie da.

*

Leserbriefe an RotFuchs

Der September-RF gefiel mir besonders gut, da an so viele humanistische Menschen, die sich für den gesellschaftlichen Fortschritt einsetzten, gedacht wurde. Zu meinen Grundsätzen gehört es, in Dankbarkeit jene zu würdigen, die in diesem Sinne lebten und wirkten. Ihr Vorbild darf nicht in Vergessenheit geraten.

Karlheinz Oehme, Döbeln


Seit vielen Jahren beziehe ich den "RotFuchs" und freue mich jeden Monat auf sein Erscheinen. Besonders freut es mich, daß auch nach dem Tod von Klaus Steiniger diese Zeitschrift nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Schon deshalb versuche ich immer wieder, den RF an Freunde und Bekannte weiterzugeben und damit neue Leser zu gewinnen. Euch, den "Machern", wünsche ich auch weiterhin viel Kraft. Können wir uns doch sicher sein, daß wir in unserem Kampf nicht allein sind und es viele Gleichgesinnte gibt. Ich betrachte es als unumgänglich, auch den Jungen, welche die DDR nicht miterleben durften, diese Zeitschrift näherzubringen. Das ist im CSU-Land Bayern zwar nicht so einfach, aber auch hier gilt, steter Tropfen höhlt den Stein!

Hans-Peter Ackermann, Oberviechtach/Opf.


Es gab 1946 erstaunliche Vorgänge in deutschen Landen, von denen einige von aktueller Bedeutung sind. Dazu gehören die Volksentscheide in Sachsen und Hessen über die Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher. Der Volksentscheid am 1. Dezember 1946 in Hessen unterschied sich in einigen Punkten von dem in Sachsen. Dort stimmten die Wähler über ihre Verfassung und gesondert über den Artikel 41 ab, der folgenden Wortlaut hat: "Mit Inkrafttreten dieser Verfassung werden 1. in Gemeineigentum überführt: der Bergbau (Kohlen, Kali, Erze), die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, die Betriebe der Energiewirtschaft und das an Schienen und Oberleitungen gebundene Verkehrswesen; 2. vom Staat beaufsichtigt oder verwaltet: die Großbanken und Versicherungsunternehmen und diejenigen in Ziffer 1 genannten Betriebe, deren Sitz nicht in Hessen liegt." In Hessen stimmten 71,9 % der Wahlberechtigten diesem Artikel zu. (In Sachsen waren es 77,6 %.)
Im Unterschied zur sowjetischen Besatzungsmacht in Sachsen verhinderte die amerikanische Besatzungsadministration in Hessen seinerzeit die Durchführung der im Volksentscheid beschlossenen Enteignung. Der Artikel 41 ist bis heute Bestandteil der dortigen Verfassung ebenso wie der Artikel 69, der den Krieg ächtet und die Friedenspflicht postuliert. Es liegt nicht im Interesse der Mehrheit der Hessen, diese Artikel zu streichen. Sie könnten die rechtliche Grundlage und der Hebel für eine alternative Politik sein.

Prof. Dr. Horst Schneider, Dresden


Im September-RF schreibt Theodor Weißenborn in "Was die Sprache verschweigt" unter anderem auch über Fischfangquoten. Hier werden meines Erachtens zwei Dinge vermischt, die nur indirekt miteinander zu tun haben. Fischfangquoten werden von Organisationen wie der EU, aber auch von Küstenländern erlassen, um die Fischbestände im nördlichen Atlantik mit seinen Nebenmeeren (Ostsee/Nordsee etc.) und Nordpazifik vor Überfischung zu schützen.
Vor allem westafrikanischen Ländern zwingt die EU sogenannte Freihandelsverträge auf, die es westeuropäischen Trawlern ermöglichen, in deren Gewässern ohne Quotenzwänge alles wegzufangen, was zwischen Grund und Wasseroberfläche schwimmt. Damit wird jedoch gleichzeitig den örtlichen Küstenfischern ihre Existenzgrundlage genommen.
Allerdings werden auch nicht Fischköpfe, Flossen und Gräten angelandet (Der Fischer bezeichnet diese Abfälle als "Gammel"). Die werden an Bord sofort zu Fischmehl verarbeitet, was zusätzlich gutes Geld bringt. Für den afrikanischen Markt wird ein gewisser Teil des Fanges eingefroren und dort angelandet - wieder als EU-subventionierter Konkurrent des örtlichen Küstenfischers.

Hans-J. Kaufmann, Rostock


Immer wieder können wir auf das solidarische Kuba unter Führung seiner Kommunisten stolz sein. Als auf Haiti das verheerende Erdbeben über 200.000 Tote forderte und die Cholera unbarmherzig zuschlug, schrieb eine große deutsche Zeitschrift angesichts der nicht ausreichenden internationalen Hilfe für die Insel: "Wenn man in Haiti weitere Ärzte und medizinische Fachkräfte braucht, wird nicht in Washington oder Brüssel angerufen, sondern in Havanna. Ausgerechnet das sozialistische Kuba leistet die beste Hilfe."
Obwohl der Osten Kubas durch den jetzigen Hurrikan "Metthew" auch verwüstet wurde, flog wiederum sofort medizinisches Personal aus Kuba nach Haiti. Darunter auch Dr. Dias, der erst wenige Tage zuvor von einer Vortragsreise aus Schwerin zurückkam, die von Cuba si ermöglicht worden war. Er hatte darüber hinaus in zwölf deutschen Städten über seinen mit anderen Spezialisten der Karibikinsel durchgeführten Einsatz gegen Ebola in Westafrika berichtet.

Karl Scheffsky, Schwerin


Major a.D. Karl-Heinz Gerstler bezieht sich in seinem Leserbrief der September-Ausgabe auf den im Alter von 91 Jahren verstorbenen stellvertretenden Minister für Nationale Verteidigung der DDR, Generaloberst a.D. Horst Stechbarth. Die vom Mainstream gesteuerten Medien verschweigen vehement die Tatsache, daß wir dem sozialistischen Militär maßgeblich die Verhinderung eines im November 1989 drohenden Bürgerkrieges verdanken, was in seiner Autobiographie "Soldat im Osten" nachzulesen ist.
Für alle, die sich für die Militärpolitik und die NVA interessieren, möchte ich auf ein Büchlein hinweisen, das mein "RotFuchs"-Freund Wolfgang Palko als Miniaturbuch unter dem Titel "Soldaten für den Frieden - 60. Jahrestag der Nationalen Volksarmee" herausgegeben hat. Es dokumentiert die vollständige Rede Horst Stechbarths, die er am 27. Februar 2016 anläßlich des 60. Gründungstages der NVA in Demen gehalten hat. Das Dokument wird durch den vom Traditionsverband der NVA initiierten Aufruf "Soldaten für den Frieden" ergänzt.
Das Büchlein kostet 7 € und kann unter der Tel.-Nr. 0331-270 17 87 oder per E-Mail: pa50@gmx.de bestellt werden.

Dr. Karl-Heinz Otto, Potsdam


Manchmal noch amüsiert, meist jedoch gleichgültig und manches Mal angewidert von der Schamlosigkeit, wie unter Täuschung Selbstlob, Lüge und Haß verbreitet wird, nehme ich die Wahlwerbung zur Kenntnis.
Die Linken, die mich ja eigentlich interessieren, unterwerfen sich dem Spagat zwischen Inhalt und Wirksamkeit der Werbebotschaft. Dabei wäre Aufklärung die Alternative zur flachen Wahlwerbung. Aber die bedarf wahrhaft klarer Aussagen, unbequem und hart, logisch konsequent und unverstellt deutlich. Doch es geht auch nicht nur um Aufklärung oder besseres Wissen. Es geht inzwischen ums Überleben. Grenzenlos kriminell ist das System geworden, "das tötet" (so Papst Franziskus).
Da muß am Hindukusch und - wieder - in Litauen und sonstwo die deutsche Bundeswehr ran - neue (alte) "Verantwortung" für die Profitsicherung übernehmen. Die Berliner werden derweil mit "Müller oder was" beschäftigt und lassen sich von der AfD ködern. Dann wird die "schlimme" CDU abgelöst durch die ebenso schlimme SPD, was die Zeitehe mit den Linken nicht besser, aber die Linken schlechter macht, bis sie so schlimm sind, daß die Dauerehe mit der SPD möglich wird. Man kann über die Grenzen nach Italien, Frankreich, Griechenland schauen und sehen, was aus Linken in "Regierungsverantwortung" dort wurde.
Dabei geht es ums Leben und Überleben der Menschheit - das aber ist Systemsache und geht an der Masse weitgehend vorbei. Man versucht, selbst so gut wie möglich über die Runden zu kommen. Wie soll das enden?

Renato Lorenz, Berlin


Die Erfahrungen der Linken mit Regierungsbeteiligungen sind bisher negativ. Von 1998 bis 2006 regierte die SPD in einer Koalition mit der PDS in Mecklenburg-Vorpommern (MV). Dann war etwa die Hälfte der PDS-Wähler verschwunden. Ähnliche Ergebnisse gab es in den Landesverbänden Berlin und Brandenburg.
Trotzdem halten Führungskräfte der Linkspartei an der Absicht, auch im Bund mitzuregieren, fest. Ekkehard Lieberam, Vorsitzender des Marxistischen Forums Sachsen, erklärte: "Nirgendwo ist es unter dem Einfluß der PDS oder der Linken in einer Landesregierung auch nur zu Ansätzen eines Kurswechsels gegen Neoliberalismus bzw. zu einem sozial-ökologischen Richtungswechsel gekommen." Frust unter den Anhängern und Abwanderung von Wählern waren die Folge.
Die Flüchtlingskrise, die die Menschen auch in Deutschland polarisiert hat und die Erfolge der AfD in starkem Maße bestimmte, spielten in der Politik der PDL kaum eine Rolle. Dasselbe gilt für die realen Ängste der Menschen, die auch durch die Konfrontation der EU mit Rußland geweckt wurden.
Durch Mitgestalten und Mitregieren das gegenwärtige gesellschaftliche System zu überwinden, ist zwar eine Grundthese der Transformationstheorie, doch wo hat sie jemals zum Erfolg geführt?
Profit um jeden Preis ist bekanntlich die Grundlage dieser Gesellschaft. Immer noch gilt, daß der Staat das Machtinstrument der herrschenden Klasse ist. Somit hat der Staat dafür zu sorgen, daß immer größere Teile des gesellschaftlichen Reichtums der herrschenden Schicht zugute kommen. Das ist seine Verpflichtung, unabhängig von den Parteien, die gerade die Regierung stellen. So ist die Parteienlandschaft immer beliebiger geworden. Mit TTIP und CETA werden sie gänzlich überflüssig, da diese Verträge zu einem Selbstbedienungsladen für Großkonzerne werden. Mit Hilfe privater Gerichte können sie sich direkt aus dem Staatssäckel bedienen, wenn ihre Gewinnerwartungen nicht erfüllt werden. Es muß ihnen wie ein Schlaraffenland erscheinen, wobei die Betonung auf raffen liegt. Wer das gefährdet, wird nicht geduldet. Griechenland ist nur ein Beispiel.
Linke Regierungsbeteiligungen haben nicht nur in Frankreich und Italien, sondern auch in skandinavischen Ländern zu einem extremen Niedergang linker Parteien geführt.

Horst Neumann, Bad Kleinen


Unglaublich! Der Wahlausgang in Mecklenburg-Vorpommern für die AfD veranlaßte die Bundeskanzlerin Angela Merkel zu der Bemerkung, daß diese Partei trotz allem von den anderen nicht "in den Boden gestampft" werden solle.
Und Die Linke will weiterhin mitregieren. Besitzstandswahrung und Anbiederung sind offenbar wichtiger als der Kampf um die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Hans-Georg Vogl, Zwickau


Zu den Leserbriefen von Horst Schneider und Hermann Jacobs im Oktober-"RotFuchs" möchte ich ergänzen: Bundeskanzler Schröder weigerte sich nicht aus Friedensliebe, sondern aus wahltaktischen Gründen, Deutschland in einen Krieg um das irakische Öl zu verwickeln. Aber als Chef einer Regierung von SPD und Grünen hatte er 1999 keine Skrupel, daß sich Deutschland das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg an einem Aggressionskrieg gegen Jugoslawien beteiligte. Die Folgen kann man heute noch in Belgrad und anderswo sehen.
Aus meiner Sicht wurde das Völkerrecht bei der Wiedervereinigung der Krim mit Rußland eingehalten. Bei der Volksabstimmung wurde das Quorum erreicht, und die große Mehrheit der Wähler hat sich für den Anschluß entschieden. Diese Auffassung teilt auch Bernd Biedermann, der in seinem Beitrag in gleicher Ausgabe schreibt, daß das Selbstbestimmungsrecht des Volkes auf jeden Fall Vorrang gegenüber dem Souveränitätsanspruch von Staaten hat und begründet das mit der UNO-Resolution 2625 (XXV) vom 24.10.1970. Auf jeden Fall ist verhindert worden, daß die Flotte der USA im Hafen von Sewastopol ankern kann.

Dr. Kurt Laser, Berlin


Wenn die DDR die größte Errungenschaft der Arbeiterbewegung war, kann ich bis heute nicht verstehen, daß von der letzten SED-Kreisleitung Zeulenroda mit 50 Mitgliedern, ich als einziger bei der SED/PDS, PDS und PDL aktiv geblieben bin und die 49 anderen sich in Luft aufgelöst haben.
In Zeulenroda gab es fünf Kombinate. Ich war nach der "Wende" als Diplomagraringenieur im Möbelkombinat am Fließband beschäftigt. Als die Betriebe abgewickelt wurden, kam es nicht zu Arbeitskämpfen, um die Arbeitsplätze zu erhalten. Aufforderungen dazu wurden als dummes kommunistisches Gerede abgetan. Die Arbeiter meinten, daß sie nach 40 Jahren SED jetzt in der Demokratie endlich auch Westgeld verdienen wollten. Das Möbelkombinat produziert heute keine Möbel mehr.
Später sagten mir Kollegen, daß ich recht gehabt hätte - aber wir hatten nicht gelernt, für unsere Rechte zu kämpfen. Wenn ich danach frage, wer ihnen denn beigebracht habe, die Kommunisten wegzujagen, ist das Gespräch meist beendet.
Ich bin bei ver.di und kenne einige DGB-Funktionäre in Thüringen, die echt frustriert sind. Die Belegschaften in vielen kleineren und mittleren Unternehmen sind auch heute kaum bereit, für ihre gesetzlichen Rechte zu kämpfen. Es besteht kaum Bereitschaft, sich zu engagieren. Dazu muß man wissen, daß mehr als 60 % der rund 26,5 Millionen Beschäftigten in kleinen und mittleren Unternehmen arbeiten.
Wir haben nur zwei Möglichkeiten, unsere Ideen durchzusetzen: auf parlamentarischem Weg oder außerparlamentarisch - und das geht nur gemeinsam.

Stanislav Sedlacik, Weimar


Auf die Frage, die Arnold Schölzel in seiner Besprechung des Buches von Reinhard Lauterbach stellt: "Gorbatschow - Totengräber oder Scharlatan?" möchte ich so antworten: Gorbatschow war zwar führender Kopf (in der Führung der KPdSU), aber es gab an sich eine allgemeinere intellektuelle Orientierung dieses Landes, die in Richtung dieser Perestroika ging; sie war Basis dieser Wende. Sie wäre es auch gewesen/geworden ohne Gorbatschow. Was also war das eigentliche Problem der Sowjetunion?
Diese Frage bleibt im Buch von Lauterbach und in der Rezension offen: Die Gewährleistung der Sicherheitslage der UdSSR, der man nur noch unter der Bedingung äußerster sozialökonomischer Schwächung gerecht werden konnte. Die sowjetische Ökonomie starb in ihrer Fähigkeit, gesellschaftsbildender Faktor zu sein. Sie verlor ihre sozialismusgebärende Möglichkeit, d. h., die Sowjetunion steuerte auf ein Ende zu. Ist sie aber "zusammengebrochen"? Ist der Sozialismus "zusammengebrochen"? Mitnichten. Die aus äußeren Bedingungen an die Sowjetunion gerichteten Anforderungen konnte die Sowjetunion nicht wieder und wieder aufs neue erfüllen. Es mußte eine Lösung angesteuert werden, die dem Land erst Ruhe versprach, dann Stärkung. Im Rahmen der Perestroika ist schließlich auch Putin zu erklären. Nicht Gorbatschow etc. waren die Akteure, umgekehrt: Gorbatschow war ein Getriebener, die politische Führung des Landes war eine Getriebene.

Hermann Jacobs, Berlin


Ein Aufschrei geht durch Deutschland ob des Versagens der sächsischen Justiz im Falle des mutmaßlichen IS-Terroristen Al-Bakr. Den vorläufigen Höhepunkt einer beschämenden Selbstbeweihräucherung bildeten die Pressekonferenz des Justizministers und die völlig unkritische Stellungnahme des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich. Fazit: Alles paletti?
Dabei hat sich Sachsen über Jahre hinweg Skandale aller Couleur geleistet. Erinnert sei u. a. an die Paunsdorf-Affäre von Ministerpräsident Biedenkopf, den Rotlichtsumpf von Leipzig, das NSU-Domizil in Chemnitz/Zwickau, die staatliche Subventionierung der Biedenkopf-Tagebücher, rechte Aufmärsche in Dresden, die seit zwei Jahren andauernden Ausschreitungen von Pegida mit Galgensymbolik und Haßgeschrei, die massenhaften Ausschreitungen und Brandschatzungen gegen Flüchtlinge und Einrichtungen im ganzen Land und nun ein Totalversagen in der Terrorbekämpfung.
Nicht einmal aus diesem Desaster werden in der Landesregierung Konsequenzen gezogen. Niemand hat Fehler gemacht, und uns bleiben völlig überforderte Regierungsmitglieder und ein ewig lächelnder Ministerpräsident erhalten - zum Schaden für Sachsen und seine Menschen.

Raimon Brete, Chemnitz


Schade, daß die Rezension von Arnold Schölzel in der Beilage zum Oktober-RF so kurz ausgefallen ist. Gerade seinem Beitrag zu Kurt Pätzolds "Der Überfall" hätte ich mehr Platz gewünscht. Dieses Buch ist für einen Marxisten unverzichtbar. Pätzold erläutert ausführlich, warum die Anfangsphase des Krieges später als "Zeit der Katastrophe" galt und lange in der sowjetischen Geschichtsschreibung tabuisiert wurde. Das ist für Sozialisten und Kommunisten, ja für jeden der Wahrheit und dem Humanismus verpflichteten Menschen ein sehr schmerzliches Kapitel. Kurt Pätzold reagiert entsprechend sarkastisch: "1965 erschien - als späte Frucht des XX. Parteitages der KPdSU und kurz nach dem Ende der sogenannten Chruschtschow-Ära - ein Geschichtsbuch, das eine hochkontroverse Diskussion über die Vorgeschichte und den Beginn des Krieges 1941 auslöste (Autor war Alexander Nekritsch - H. M.). Am Ende siegten jene, die sich weiter gegen die schmerzenden Wahrheiten sperrten. Die Fragen verschwanden wieder in den tiefen Falten der Siegestoga, gewoben aus den Schlachten vor Moskau, in Stalingrad, am Ende um Berlin, und den Befreiungstaten von Majdanek, Ausschwitz und Ravensbrück, als hätten die wiedergutmachen können, was zuvor angerichtet worden war. Solcher Vorgang - die Verdrängung, die Tabuerklärung geschichtlicher Tatsachen und Entwicklungen - besitzt stets Interessenten."

Herbert Münchow, Leipzig


Der Leserzuschrift von Oberst a.D. Hans Linke, Suhl, und der Beilage "Wem die Lüge vom Präventivkrieg nützt und wer sie verbreitet" stimme ich vollinhaltlich zu. Schwipper ist in der DDR aufgewachsen, hat in der NVA Karriere gemacht und an den wichtigsten Militärakademien der Sowjetarmee studieren können. So hat er doch wohl mitbekommen, daß Hitler Krieg von Anfang an auf seine Fahnen geschrieben hatte und mit Unterstützung der Großindustrie und der Banken auch führte, um den von ihm propagierten "Lebensraum im Osten" zu schaffen, mit dem Überfall auf die Sowjetunion den "Bolschewismus zu vernichten" und den "Kommunismus mit Stumpf und Stiel auszurotten". Trotz anfänglich falscher Einschätzung der deutschen Pläne und Überschätzung der eigenen militärischen Kräfte nach dem 22. Juni 1941 erhielt Hitlerdeutschland die bekannte Quittung durch die Sowjetunion und ihre Armee. Mit seinem Machwerk "Deutschland im Visier Stalins" reiht sich Schwipper ein in die Reihe der Rußlandfeinde.

Dr. Heinz Heikenroth, Berlin


Im Sommer dieses Jahres besuchte mich ein ehemaliger Angehöriger der Volksmarine der DDR und brachte mir die Juni-Ausgabe des "RotFuchs" mit. Ich finde die Beiträge sehr interessant und habe mir die Zeitschrift bestellt. Das erste Exemplar (Oktober) habe ich bereits bekommen und danke dafür.
Der Beitrag von Prof. Dr. Horst Schneider in der Juni-Nummer regte mich zu der Frage an, was Bodo Ramelow veranlaßte, ausgerechnet den 17. Juni als staatlichen Gedenktag einführen zu wollen. Ihm dürfte doch nicht entgangen sein, daß kein anderes Ereignis in der DDR von den westlichen Politikern und Medien so verdreht und ausgeschlachtet wurde wie die Geschehnisse am 17. Juni 1953. Um die DDR vor aller Welt zu verunglimpfen, wurde dieser Tag in der BRD von 1954 bis 1990 als Gedenktag eingeführt. Heult Bodo Ramelow hier mit den Wölfen?

Johann Helbig, E-Mail


Kaum wurden wir "vereinigt", trat Deutschland in den Krieg ein und beteiligte sich an der Seite der NATO an der Zerstörung Jugoslawiens. Heute ist offensichtlicher denn je, daß NATO immer Krieg bedeutet. Jetzt stehen deutsche Soldaten in Afghanistan, dem Kosovo, Litauen, Lettland, Estland, Polen und in weiteren Ländern Afrikas. Und der Ministerpräsident Thüringens Bodo Ramelow schwafelt davon, "an der NATO-Frage die Koalitionsmöglichkeiten für die Regierungsbeteiligung der Linken nicht unmöglich zu machen". Sieht man denn nicht, daß, wenn Die Linke in einer Landesregierung mitregierte, wie z. B. in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, stets erhebliche Stimmenverluste für diese Partei die Folge bei den nächsten Wahlen waren? Der permanenten Kriegsgefahr kann nur mit einer starken Opposition begegnet werden, denn solange ein Staat der NATO angehört, hat er nach der nordamerikanischen Pfeife zu tanzen.

Werner Gericke, Berlin


In den letzten Monaten macht eine wie Phönix aus der Asche entstandene neue Partei mit neuen Feindbildern und alten rechtsradikalen und teilweise faschistischen Ansichten - die "Alternative für Deutschland" - Schlagzeilen. Die Frage lautet: Wer hat sie aufgebaut, wessen Interessen vertritt sie, wer ist ihr Geldgeber, warum ist sie entstanden, und wer braucht sie?
Wie war das eigentlich mit der bayrische Schwesterpartei der CDU? CSU-Chef Seehofer und andere posaunten: "Wer betrügt, der fliegt." Wer erinnert sich daran, wie man mit den Griechen umging, oder an das Machwerk von Sarrazin, der vorher leitende Funktionen in der Bundesbank hatte bzw. Finanzsenator in Berlin war und der trotz seiner rassistischen und faschistischen Ansichten noch immer Mitglied der SPD ist. Das alles hat man geduldet, weil man es gewollt hat.
Die AfD, die jetzt in Stellung gebracht wird, ist letztendlich die politische Reserve für das Kapital, wenn man mit demokratischen Methoden nicht mehr regieren kann, sie ist systemimmanent. Kein Politiker kann gegen die Banken und die Großindustrie regieren.

Lutz Heuer, Berlin


Am 19.8.2016 erschien auf der Internetseite der "Zeit" der Artikel "Doping bei Olympia: Der schwarze Medaillenspiegel - Der Medaillenspiegel der Schande: 74 Gold, Silber und Bronze wurden schon wegen nachgewiesenem Doping aberkannt."
Sportlern aus 30 Nationen wurden insgesamt 74 Medaillen wegen Dopings bei Olympischen Spielen aberkannt. Darunter 2 Goldmedaillengewinner aus der BRD. Spitzenreiter dieses "schwarzen Medaillenspiegels" waren die USA mit 7 Gold-, 1 Silber- und 3 Bronzemedaillen.
Während des 40jährigen Bestehens der DDR wurde keinem einzigen Sportler aus der DDR eine Medaille wegen Dopings bei Olympischen Spielen aberkannt. Die Verfasser des Artikels hatten auch schnell eine Erklärung für die sauberen DDR-Medaillengewinner. "Die DDR dopte indessen so clever, ihre Medaillen sind alle noch gültig."
Ich mußte diesen Satz zweimal lesen. Die DDR dopte clever! Moment mal. Zum "clever dopen" gehören doch mehrere Personen, die es fertigbringen "clever zu dopen". Gibt es da nicht eine sogenannte DDR-Dopingopferexpertin Ines Geipel? Die errang doch einmal eine olympische Goldmedaille, als sie für die DDR an den Start ging. Frau Geipel war damals schon eine erwachsene Frau. Die Dopingprobe bei Geipel war negativ. Ich stelle mir die Frage, wie lief dieses "Clever" ab, als feststand, daß sie zur Dopingprobe gehen mußte?
Wenn ich betrachte, wie vielen Dopingkontrollen die erfolgreichen DDR-Sportler bei internationalen Wettbewerben ausgesetzt waren, dann müßte es "massenhafte" Berichte in den Medien (Ost wie West) über gedopte DDR-Sportler geben. Die DDR-Sportler errangen bei Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften und Europameisterschaften 5207 Medaillen. Berücksichtigt man noch, daß viele Medaillen bei Mannschaftswettbewerben errungen wurden, dann sind mindestens 6000 DDR-Sportler Dopingkontrollen unterzogen worden. Die BRD-Sportler waren nur zu einem Bruchteil so erfolgreich wie die DDR-Sportler und deshalb auch weniger internationalen Dopingkontrollen ausgesetzt. Warum also wurden nur BRD-Sportler des Dopings bei internationalen Großveranstaltungen überführt? Warum nicht auch DDR-Sportler? Ach ja, es lag wohl an der Cleverneß der DDR!

Johann Weber, Ruhstorf (Niederbayern)


Als 1941 in Berlin geborener und bis Anfang der 60er Jahre dort lebender Bürger hat mich der Artikel von Lutz Heuer über den ersten Oberbürgermeister von Berlin nach dem zweiten Weltkrieg, Dr. Arthur Werner, in der Oktober-Ausgabe des "RotFuchs" besonders interessiert. Es ist schon bezeichnend, wie der Berliner Senat mit Geschichte umgeht.
Den von Lutz Heuer dargelegten Fakten möchte ich nur noch einen Satz hinzufügen: Ausgerechnet die Bundeskanzlerin Angela Merkel, die die Bildungsmöglichkeiten in der DDR voll ausgeschöpft hat, posiert heute zu gern an ihrem Arbeitsplatz unter dem Bildnis Konrad Adenauers, der seinerzeit die Spaltung Deutschlands vorangetrieben hatte.

Kurt Ende, Dierhagen


"So wahr mir Gott helfe", endet die aktuelle deutsche Eidesformel. Vom Bundespräsidenten bis zum Staatsbeamten, von Soldaten und Polizisten wird verlangt, diesen Eid abzulegen. Damit dürfte klar sein, daß Deutschland ein Kirchenstaat ist, dessen Repräsentanten und Diener ihre Tätigkeit im Namen Gottes ausführen. Das hat es schon einmal gegeben, als auf dem Koppelschloß der Soldaten eingestanzt war: "Gott mit uns". Millionen von ihnen starben unter diesem Gebot, nachdem sie Millionen andere umgebracht hatten.
Heute geht man sogar so weit, daß die Vereidigung junger Polizeischüler mangels Platz im Ausbildungsobjekt - so wird es begründet - in einer Kirche stattfindet.

Gerhard Bochnig, Giersieben


Beim Aufräumen fiel mir ein längst gelesenes Buch in die Hände. Es handelt sich um den Roman von Robert Merle "Der Tod ist mein Beruf". Die deutsche Erstausgabe erschien im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1957.
Merle, der das Buch jenen widmete, die durch solche faschistischen Verbrecher wie den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß ermordet wurden, schrieb: "Nicht Bosheit oder angeborene Brutalität brachten ihn dazu, täglich unschuldige Menschen zu Tausenden zu vernichten, sondern ein ungeheuerliches Bewußtsein von Ehre, Gründlichkeit und Gehorsam gegenüber einem Staat und seinen Führern." Das Buch wurde 1977 unter dem Titel "Aus einem deutschen Leben" verfilmt.
Ich habe den Roman wieder gelesen und möchte ihn in Erinnerung bringen, denn er hat nichts von seiner starken Wirkung auf den Leser verloren. Er regt an, wachsam zu bleiben, denn Menschen wie Rudolf Höß sind heute wieder da.

Brigitte Marx, Zörbig


Am 20. November feierte der emeritierte Direktor des Staatlichen Museums Schwerin, Dr. Hans Strutz, seinen 90. Geburtstag. Unter seiner Leitung gewann das Museum hohes nationales und internationales Ansehen. Ihm ist es maßgeblich zu verdanken, daß die Sammlungen verschiedener Genres bedeutend erweitert werden konnten, der Austausch fachbezogener Publikationen mit anderen Einrichtungen im In- und Ausland einen hohen Stellenwert hatte und auch internationale Ausstellungen wie in Mexiko und Japan stattfinden konnten.
Verdienste erwarb sich der Jubilar ebenso in der ehrenamtlichen Arbeit. Seine Leidenschaft galt vornehmlich dem Kulturbund der DDR. Die Ernennung zum Museumsrat 1984 und zum Obermuseumsrat 1987 sowie andere hohe Auszeichnungen sind Ausdruck seiner gesellschaftlichen Wertschätzung und Würdigung.
Mit nachträglichen und herzlichen Glückwünschen zu Deinem Jubiläum, lieber Hans, sagen wir Dank und freuen uns, daß Du wie eh und je mit wachem Auge die aktuellen politischen Vorgänge kritisch begleitest und an unserer Seite stehst.

Arno Reinhold, Schwerin


Liebe Freunde, ich habe eben erst den "RotFuchs" entdeckt, auch gleich etwas Wahres gelesen und möchte diese angenehme und vor allem aufschlußreiche Lektüre bestellen ... und auch zur "Aufklärung" meiner Töchter und Enkel nutzen. Herzliche Grüße aus dem Mansfelder Land.

Heike Greiner, Eisleben


Die Worte von Wilhelm Rudolph im "RotFuchs" vom Oktober über Dresden haben mich tief bewegt. Ich habe sie übersetzt und im Internet weitergegeben. Ich habe einen Artikel auf Englisch über den Künstler mit mehreren seiner Zeichnungen Dresdens gefunden und diese dazugetan. Diese Zeichnungen sprechen mächtig für den Frieden und gegen den Krieg. Danke, "RotFuchs", für alles!

Pat Turnbull, Glasgow

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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2017

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