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ROTFUCHS/175: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 221 - Juni 2016


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

19. Jahrgang, Nr. 221, Juni 2016



Inhalt
  • Moskauer Rundfunk 1945: Die Vernichtung des Nazismus ist die Hauptaufgabe
  • Zum Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion
  • Faschismus-Diagnosen
  • Die BRD muß die Verantwortung für den Völkermord an Sinti und Roma übernehmen!
  • Kapitalismus und Kriminalität: Unsicherheit als Geschäftsmodell
  • Fluchthelfer gestern und heute
  • Thüringen und die PDL
  • Zum Justizmord an Sacco und Vanzetti
  • Free Mumia - Freiheit für Mumia Abu-Jamal!
  • Rußland exportiert mehr als Erdöl und Erdgas
  • Lettland hofiert Waffen-SS-Verehrer
  • Was geschieht in der Türkei?
  • Brasilien: Domino-Praxis in Lateinamerika
  • Klare Kante gegen TTIP!
  • Erinnern an Mia Förster-Schönfeld
  • Konstantin Wecker ruft zum Widerstand
  • Vom Heroismus des Rudi Arndt
  • Die utopischen Ideen Robert Owens
  • RF-Extra - US-Weltherrschaftsprogramm bedeutet Barbarei
  • RF-Extra - Warum in der Alt-BRD der 17. Juni gefeiert wurde
  • John Heartfield - Fotografie plus Dynamit
  • Hier irrte Heinrich Heine!
  • Rudi Kurz: Hamlet im Mai (Teil 2)
  • Lutz Jahoda: Schreck in der Abendstunde
  • Dietrich Kittner: Lest deutsche Krimis!
  • Der kleine Fuchs und die "Smombies"
  • DEFA-Filmkritiken als DDR-Alltagsgeschichte
  • Über Kriegs- und Friedenslieder
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • "RotFuchs"-Veranstaltungen im Monat Juni
  • Leserbriefe

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Anleihen bei Goethe

Je vordergründiger die Gedanken- und Gefühlswelt der jüngeren und heranwachsenden Generationen unter dem Einfluß ständiger Medienmassage wird, um so mehr versperrt sich ihnen auch im Osten der Zugang zu den großen Schätzen der eigenen wie der Weltkultur. Schon heute können unzählige unserer deutschen Mitbürger mit den Namen - geschweige denn den Werken - von Goethe, Schiller, Lessing, Heine, Herder oder Freiligrath kaum noch etwas anfangen.

Man denke dabei nur an jene unselige Meinungsumfrage des ZDF aus dem Jahre 2003, als Konrad Adenauer mit 778.984 Stimmen auf den ersten Platz unter den beliebtesten und berühmtesten Deutschen gelangte, während auf Goethe nur 185.426 Stimmen und der siebte Platz entfielen. Karl Marx schaffte es dank eines massiven Votums politisch gebildeter ehemaliger DDR-Bürger immerhin auf Platz drei, was Schiller nicht gelang, der gar nicht mehr erfaßt wurde.

Die Erkenntnis, daß jeder vernunftbegabte Mensch ihn prägende nationale Wurzeln besitzt und sich zugleich auch die bedeutendsten Kulturschätze anderer Völker erschließen sollte, gehörte in der DDR mit ihrem weltoffenen Schulwesen zum humanistischen Erbe. Die in der alten BRD verbreitete und Tag für Tag den Menschen eingeimpfte Vorstellung, DDR-Bürger seien in ihrem Denkhorizont auf die zweifellos wegweisenden Werke der Klassiker des Marxismus-Leninismus und andere kommunistische Autoren eingeengt worden, vermittelt ein demagogisches Zerrbild der facettenreichen Wirklichkeit dieses kleinen und zugleich großen Staates im Herzen Europas.

Gerade in den letzten Jahren und Monaten, in denen Tausende und aber Tausende von der EU und den USA schmählich im Stich gelassene Kriegs- und Elendsflüchtlinge aus langfristig zerstörten Ländern vor allem des Nahen und Mittleren Ostens, aber auch Afrikas im Mittelmeer elend ertrunken sind, kamen mir immer wieder die ins Schwarze treffenden Worte aus Goethes "Faust" ins Gedächtnis: "Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit, in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen."

Schaltet der Durchschnittsbürger bei genüßlichem Abendessen oder einem sorgfältig kaltgestellten vorzüglichen Trunk eine beliebige Nachrichtensendung ein, wird er - ohne sich dadurch in seiner Ruhe allzusehr stören zu lassen - sofort mit den Schreckensszenarien "weit in der Türkei" oder auf syrischem, irakischem, libyschem und griechischem Territorium konfrontiert. Ohne das Gehörte oder das Gesehene aufgrund meist irreführender Kommentierung richtig einordnen zu können, bezieht er - weltanschaulich und wissensmäßig oftmals unvorbereitet - eine den Realitäten fremde Position, die ihm in hohem Maße von den immer einflußreicheren rechten und faschistoiden Kräften oktroyiert wird.

Um auf Gesehenes, Gehörtes oder Gelesenes entsprechend reagieren zu können, bedarf es eines Mindestmaßes politischer und allgemeiner Bildung. Hier aber klafft die Schere zwischen dem Osten und dem Westen der BRD gewaltig auseinander. Einstige DDR-Bürger, die 40 Jahre Sozialismus nicht gänzlich verschlafen haben, sind der Mehrheit ihrer Landsleute jenseits von Elbe und Werra dadurch um Längen voraus, daß sie in ihrer zehn- bis zwölfjährigen Schulzeit mit klassenorientiertem Denken und Einordnen gründlich vertraut gemacht wurden. Das erleichtert ohne Zweifel die Suche nach den Hintergründen und Zusammenhängen konkreter Ereignisse. Auch wenn schon viel in jener Zeit erworbenes Wissen von den noch Lebenden inzwischen abgestreift oder verdrängt worden sein mag, verfügen noch immer große Teile der Bevölkerung im Osten über diesen soliden Kompaß. Gleichgesinnte im Westen hatten es schwerer. Nur eine Minderheit vermochte sich dort durch solides, in die Tiefe gehendes eigenes Studium der Werke von Marx, Engels und Lenin sowie anderer bedeutender Theoretiker diese Orientierung zu verschaffen. Aber ohne Theorie gibt es keine erleuchtete Praxis.

Dem Abstrakten will ich Selbsterlebtes als Beweis hinzufügen. Anfang der 50er Jahre wurde von der SED, der ich seit 1948 bis zum bitteren Ende angehörte, das erste Parteilehrjahr eingeführt. Es bot drei oder vier verschiedene Kurse an. Da ich mich damals wie viele unserer Genossen besonders für den Weg der Sowjetunion interessierte, entschied ich mich, gerade 17jährig, für den Zyklus "Geschichte der KPdSU (B)". Unseren Kurs leitete der damals sehr bekannte Rundfunkredakteur Alfred Duchrow, der, wenn ich mich recht entsinne, auch als Interbrigadist für die deutschen Antifaschisten Ehre eingelegt hatte.

Er vermochte uns auf Anhieb zu begeistern, mußte aber schon nach der ersten Zusammenkunft aus gesundheitlichen Gründen leider aufgeben. Als seinen Nachfolger schlug er mich vor, der den Text zwar nahezu auswendig kannte, ohne ihn bereits mit hinreichender Tiefe zu erfassen. Dennoch gab ich mein Bestes und stieß dann zu meiner Überraschung im Abiturzeugnis auf den gewiß überhöhten Satz: "Er ist Lehrer im Parteilehrjahr der SED." Am meisten gelernt habe damals wohl ich. Zweierlei hat sich mir in all den Jahren am tiefsten eingeprägt: Um in schwer überschaubaren Zeiten die Orientierung nicht zu verlieren, muß jemand aus unserem Holz einen festen Klassenstandpunkt im Sinne der nicht an das Kapital Gebundenen beziehen und mit der Liebe zum eigenen Volk über die Bereitschaft verfügen, diese mit Solidarität gegenüber allen anderen Völkern der Welt zu verbinden.

Übrigens hat uns Goethe unter völlig anderen gesellschaftlichen Bedingungen auch hierfür das Credo seines Lebens hinterlassen, als er im "Westöstlichen Diwan" schrieb: "Denn ich bin ein Mensch gewesen, und das heißt ein Kämpfer sein."

Klaus Steiniger †

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Die Vernichtung des Nazismus ist die Hauptaufgabe

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Aus der Erklärung der KPD zum Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion

Am 22. Juni hat Hitler durch seinen heimtückischen und treubrüchigen Überfall auf die Sowjetunion das allerschwerste Verbrechen gegen das deutsche Volk begangen und das größte Unglück über Deutschland heraufbeschworen ...

Deutsche Arbeiter! Ist es denn keine Schande für euch, daß ihr Hitler nicht daran hindert, den Krieg gegen den einzigen sozialistischen Staat der Welt zu führen, daß ihr in den Betrieben die Waffen gegen das Land schmiedet, in dem die Arbeiter und Bauern die Herren sind? Begreift ihr nicht, daß ihr damit die Ketten einer noch ärgeren Knechtschaft für euch selbst schmiedet? ...

Den unerbittlich herannahenden Untergang fühlend und Deutschland in immer neue Abenteuer zerrend, versucht Hitler das deutsche Volk mit der lügnerischen Behauptung an sich zu ketten, daß seine, das heißt Hitlers Niederlage die Katastrophe für Deutschland wäre. Die Geschichte lehrt aber, daß Völker noch niemals durch den Sturz verbrecherischer Regierungen zugrunde gingen! Im Gegenteil! Der Sturz solcher Regierungen hatte stets die Erneuerung und einen materiellen und geistigen Aufschwung des Volkes zur Folge.

Die einzige Rettung für das deutsche Volk besteht darin, mit dem Kriege Schluß zu machen. Um aber mit dem Kriege Schluß zu machen, muß Hitler gestürzt werden. Der Krieg wird so lange dauern, wie Hitler und seine Bande Deutschland regieren. Und wehe unserem Volke, wenn es sein Schicksal bis zuletzt an Hitler bindet, wenn wir Deutschen nicht selbst Ordnung in Deutschland schaffen, sondern es anderen Völkern überlassen, Europa von der faschistischen Pest zu säubern.

Die Stunde hat geschlagen, da unser Volk die Geschicke Deutschlands in die eigenen Hände nehmen muß, den Krieg beenden und einen ehrenhaften Frieden erzwingen muß. Wir wenden uns an alle Deutschen, die nicht mehr die Unbilden des Krieges ertragen können, an die Soldaten an der Front, an ihre Familien, an die Arbeiter, Bauern und alle Bürger im Hinterland und rufen ihnen zu: Kämpft für die Beendigung des Krieges! Kämpft für die Rettung Deutschlands! Hitler - das ist Krieg ohne Ende. Der Weg Hitlers führt zur Vernichtung des Volkes, zum Untergang des Landes, zur Katastrophe. Dieser Weg ist nicht der Weg des deutschen Volkes.

Das deutsche Volk hat einen anderen, seinen Weg. Dieser Weg führt über die Befreiung des deutschen Volkes vom Unterdrückungsregime Hitlers über die Erkämpfung eines solchen Deutschlands, das endlich in Frieden leben kann und zur Verkörperung des wahren Volkswillens wird. Das wird ein Deutschland ohne Herrschaft der plutokratischen und faschistischen Räuber sein, ein Deutschland, in dem unser ehrliches, arbeitsames Volk herrschen wird. Das wird ein Deutschland sein, in dem es keine Arbeitslosigkeit gibt, in dem das Recht auf Arbeit garantiert ist, in dem der Bauer frei über die Produkte seiner Arbeit verfügen kann. Das wird ein Deutschland sein, wo mit der faschistischen Barbarei Schluß gemacht wurde. Ein Deutschland, in dem nicht der Reichtum und die Herkunft die gesellschaftliche Stellung der Menschen bestimmen. Das wird ein Deutschland sein, frei von dem schreienden Gegensatz zwischen dem Reichtum der einen und der schrecklichen Not der anderen. Das wird ein ganzes, unabhängiges und gleichberechtigtes Deutschland sein, das in Frieden mit allen Völkern lebt.

Arbeiter, Bauern und Bürger! Kämpft für ein solches Deutschland! Die Errichtung eines solchen Deutschlands wird der wahre und größte Sieg des deutschen Volkes in diesem Kriege sein ...

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Heinrich Mann: Der 22. Juni 1941

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Eine Streitschrift gegen die offiziöse Demagogie
Faschismus-Diagnosen

Wer in der Bundesrepublik Faschismus als Produkt der bürgerlichen Gesellschaft bezeichnet, wird vom Inlandsgeheimdienst, Verfassungsschutz genannt, beobachtet. Laut Bericht des entsprechenden Landesamtes Bayern ist das z. B. beim Historiker Kurt Pätzold, der kürzlich den Band "Faschismus-Diagnosen" vorlegte, der Fall.

Arbeiten wie diese müssen also wegen Extremismusverdachts registriert werden, Vorträge finden vermutlich unter Aufsicht statt. Die Behörde, die das betreibt, gibt ebenso wie die anderen 16 Verfassungsschutzämter auf Landes- und Bundesebene vor, nie etwas von der Mordserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds gewußt zu haben.

Fest steht allerdings, daß es allein im Nürnberger Gebiet von ihren Agenten mit ausgezeichneten Kontakten zu Thüringer Neonazis nur so wimmelte. Die wiederum wurden dutzendfach von Thüringer Amtskollegen gefördert, wie ein Untersuchungsausschuß des dortigen Landtages festgehalten hat.

Das Thema Faschismus wird 70 Jahre nach der militärischen Zerschlagung der verheerendsten Ausgeburt dieser politischen Bewegung, der deutschen, in Behörden, Schulen, an den Universitäten und in den Medien der Bundesrepublik mit grotesker Heuchelei behandelt.

Wer den Begriff an Stelle von Nationalsozialismus verwendet, macht sich verdächtig, dem bundesdeutschen offiziösen Fundamentalismus von "Rechte und Linke haben die Weimarer Republik zerstört", "Rot gleich Braun", "zwei deutsche Diktaturen", "Totalitarismus" oder "Extremismus" nicht anzuhängen. Der Begriff sei offenkundig "aus Deutschland-West erfolgreich importiert worden", so Pätzold. Er illustriert das mit einer Episode, die sich 2010 in der Humboldt-Universität zutrug: In einem Seminar wurde Geschichtsstudenten aufgetragen, Texte des Publizisten und Antifaschisten Carl von Ossietzky zu lesen. Als man sich erneut traf, habe sich die Seminarleiterin erkundigt, ob es Fragen oder Kommentare zum Gelesenen gebe. "Darauf fragte eine Teilnehmerin, ob dieser Ossietzky ein Kommunist gewesen sei, und erklärte auf die Gegenfrage, wie sie darauf gekommen sei, er schreibe doch 'Faschismus', also nicht 'Nationalsozialismus'."

Pätzold weist darauf hin, daß die Verwendung des demagogischen Etiketts "Nationalsozialismus" durch seine Erfinder und heutigen Verbreiter einhergeht mit dem Schweigen über die Gesellschaft, die Regime und Ideologie hervorbrachte. Er stellt nach seiner Einführung, in der er sich u. a. detailliert mit Einwänden gegen die Faschismusdefinition der Kommunistischen Internationale (KI) befaßt, 65 Auszüge aus Texten kommunistischer, sozialdemokratischer, linker Politiker und Publizisten vor, die sich als Zeitgenossen mit dem Faschismus befaßten. Die Zusammenstellung ist chronologisch geordnet und reicht von einer Rede des Begründers der Italienischen Kommunistischen Partei, Amadeo Bordiga, im November 1922 auf dem IV. Weltkongreß der KI über "Ursprünge und Anfänge der faschistischen Bewegung bis zu einem Text des ungarischen Philosophen und Literaturwissenschaftlers Georg Lukács von 1945 über "den weltgeschichtlichen Ort des (deutschen) faschistischen Regimes". Seine Absicht sei gewesen, so Pätzold, "den historischen Prozeß der Analyse der neuartigen Erscheinung zu verdeutlichen". Das sei mit Fehlern und Irrtümern verbunden gewesen. Pätzold weist z. B. auf die inflationäre Bezeichnung der Sozialdemokratie und bürgerlicher deutscher Regierungen vor 1933 als "faschistisch" von seiten kommunistischer Politiker hin. Texte dieser Art, die "einen eigenen Band füllen könnten", wurden hier aber nicht aufgenommen, ebensowenig Kontroversen über Strategie und Taktik des Widerstands.

Eine Auswahl dieser Art hat es in deutscher Sprache noch nicht gegeben; um so mehr ist zu hoffen, daß sie eine weite Verbreitung findet - auch als Mahnung: daß politische Irrtümer bei wesentlichen Themen "meist bitter bezahlt werden müssen", so Pätzold, und "daß ohne theoretische Arbeit praktische politische Erfolge nicht zu erzielen sind". Zusammen mit der Einführung - einem Mustertext für eine trotz der Kürze umfassende Analyse einer Problemgeschichte - weisen die Auszüge die Existenz einer vernachlässigten Traditionslinie vor allem marxistischer Theorie nach. Bücher dieser Art sind angesichts der aktuellen Situation zur Aufklärung der Demagogie im Umgang mit Faschismus und Faschisten erneut dringend nötig.

Arnold Schölzel


Kurt Pätzold: Faschismus-Diagnosen. Verlag am Park, Berlin 2015, 140 Seiten, 12,99 Euro

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Die BRD muß die Verantwortung für den Völkermord an Sinti und Roma übernehmen!

Am 17. Februar 2016 entschuldigte sich die Präsidentin des Bundesgerichtshofes Bettina Limperg in Karlsruhe im Rahmen eines Symposiums des Zentralrates der Sinti und Roma für ein im Jahre 1956 gefälltes Grundsatzurteil ihres Gerichtes. "Angesichts der völligen Verkennung der Werte des Grundgesetzes und des Zwecks der Entschädigung für unendliches Leid kann ich mich dafür nur schämen", sagte sie. In Vertretung von Bundesjustizminister Heiko Maas äußerte die Staatssekretärin Stefanie Hubig, die Veranstaltung sei nicht weniger als die symbolische Bitte der deutschen Justiz um Entschuldigung für eine Rechtsprechung, die Menschen wegen ihrer Abstammung pauschal diskriminiert hat. Angesichts des im höchsten Maße von Rassismus geprägten Urteils von 1956 war das entschieden zu wenig. Das Skandalurteil des Bundesgerichtshofes von 1956 legte den Beginn der Verfolgung von Sinti und Roma "aus Gründen der Rasse" willkürlich auf den 1. März 1943 fest, als die endgültige Massendeportation von Sinti und Roma nach Auschwitz begann, die Himmler im "Auschwitz-Erlaß" am 16. Dezember 1942 verfügt hatte.

Alle vorangegangenen Verfolgungen und Mordtaten rechtfertigten die Richter des Bundesgerichtshofs. Diese seien von den "Zigeunern" selbst verschuldet worden - durch ihre "Asozialität" und "Kriminalität", ihren "Wandertrieb", durch fehlende "sittliche Antriebe der Achtung von fremdem Eigentum" und durch ihre, wie die Erfahrung zeige, "ungehemmte Okkupationspolitik". Bei diesem Urteil muß man sehen, daß etwa 80 Prozent der damals in der Bundesrepublik Deutschland amtierenden Richter bereits in der Nazizeit im Dienst waren.

Genauso wie gegen Juden gibt es schon seit Jahrhunderten Vorurteile gegen Sinti und Roma. Sie galten als verantwortlich für Pest, Cholera und Rattenplage, als "Türkenspione", als "jüdisch versippt" und der Hexerei fähig.

Sinti und Roma sind ein Volk mit eigener Sprache, Geschichte und Kultur. Im deutschsprachigen Raum ist Roma meist als Sammelbegriff üblich, der auch die Sinti einbezieht. Häufig werden sie auch heute noch wie früher in diskriminierender Absicht als "Zigeuner" bezeichnet.

Mit der Errichtung der faschistischen Diktatur erreichte ihre Verfolgung ein bis dahin nicht gekanntes ungeheures Ausmaß. Gegenüber den Sinti und Roma konnten die deutschen Faschisten zum Teil an die Gesetzgebung und die Verwaltungspraxis des Kaiserreichs und der Weimarer Republik anknüpfen. Bereits in den ersten Jahren der faschistischen Herrschaft wurden die Gesetze gegen Sinti und Roma weiter verschärft. In den Nürnberger Gesetzen von 1935 wurden sie als "Artfremde" bezeichnet. "Artfremden Blutes sind in Europa regelmäßig nur Juden und Zigeuner", hieß es im offiziellen Kommentar zu den Rassegesetzen.

1936 erhielt die Polizei vom Reichsinnenminister die Empfehlung, in allen Landesteilen gezielt Razzien auf "Zigeuner" zu veranstalten. Seit 1936 begannen einige deutsche Städte Internierungslager für Sinti und Roma einzurichten, so Berlin, Düsseldorf oder Frankfurt am Main. Im gleichen Jahr trafen die ersten "Zigeunerhäftlinge" in Dachau ein. Ab 1938 wurde ein kriminalpolizeilicher Apparat aufgebaut, der eigens der "Zigeunerbekämpfung" diente. Er reichte von der "Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens" in Berlin bis hinunter zu den Ortspolizeibehörden.

Organisierte Vertreibungen von Sinti und Roma hatte es zuerst im Sommer 1938 gegeben, als einige hundert Sinti und Roma aus dem deutschen Südwesten - ohne Ziel - "nach Osten" gebracht wurden.

Am 8. Dezember 1938 begründete Heinrich Himmler in einem Runderlaß die weiteren Verfolgungsmaßnahmen gegen die in Deutschland lebenden Sinti und Roma. Himmler verlangte eine "Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus".

Mit dem "Festsetzungserlaß" vom 17. Oktober 1939 wurde den Sinti und Roma jede Bewegungsfreiheit genommen. Die Betroffenen wurden an den Orten, an denen sie sich an den Stichtagen aufhielten, festgesetzt. Familien wurden so auseinandergerissen. Ein Verwandtenbesuch außerhalb des Wohnsitzes mußte behördlich beantragt und genehmigt werden. Jede Übertretung der "Festsetzung" konnte sofort mit der Einweisung in ein Konzentrationslager bestraft werden.

Im Mai 1940 wurden etwa 2800 Sinti und Roma aus Norddeutschland, dem Rheinland und dem deutschen Südwesten nach Polen deportiert. Das war der Beginn der Deportation aller Sinti und Roma aus Deutschland und Österreich. Die Mehrheit der Betroffenen wurde im "Generalgouvernement" im besetzten Polen unter SS-Bewachung in Zwangsarbeiterkolonnen zusammengefaßt und zum Bau von Militäreinrichtungen oder Konzentrationslagern gezwungen. Die Deportationen wurden zunächst nach wenigen Wochen eingestellt. Aber die deutschen Behörden hatten bewiesen, daß sie in der Lage waren, innerhalb kürzester Zeit viele Menschen "geordnet" zu deportieren.

Gemäß dem Befehl Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1942 sollten schließlich die Sinti und Roma aus Deutschland und angrenzenden Staaten in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt werden. Mit einem "Schnellbrief" vom 29. Januar 1943 verfügte das Reichssicherheitshauptamt die Ausweisung. Seit Ende Februar, Anfang März 1943 wurden Sinti und Roma verhaftet, an Sammelstellen zusammengeführt und dann in Zügen der Reichsbahn nach Auschwitz gebracht. Doch nicht alle deutschen Sinti und Roma wurden nach Auschwitz deportiert. Für diejenigen, die mit sogenannten Deutschblütigen verheiratet waren, galten Ausnahmen. Sie wurden in der Regel - wie auch die meisten ihrer Kinder - zwischen 1943 und 1945 sterilisiert.

Im "Zigeunerfamilienlager" in Auschwitz-Birkenau wurden etwa 23.000 Menschen zusammengepfercht, 20.078 der dort registrierten Sinti und Roma ermordet. Allein in der Nacht vom 2. zum 3. August 1944 fielen den Mordorgien der SS rund 2900 Häftlinge zum Opfer. Von April bis Juli 1944 waren die noch arbeitsfähigen Sinti und Roma in die Konzentrationslager Buchenwald, Ravensbrück und Flossenbürg gebracht worden und mußten dort Sklavenarbeit verrichten. "Vernichtung durch Arbeit" hieß der zynische Nazi-Slogan.

Viele Sinti und Roma wurden in Südost- und Osteuropa, vor allem aber auch in den besetzten Gebieten der Sowjetunion, von Einsatztruppen der SS oder von Wehrmachtsangehörigen, zum Teil von Kollaborateuren in diesen Ländern, ermordet.

Insgesamt liegt die Opferzahl der Sinti und Roma bei etwa einer halben Million Menschen. Das waren rund 70 Prozent dieser Volksgruppe.

"Heute wird schon wieder gegen Minderheiten in diesem Land gehetzt, gegen unsere und gegen andere", sagte Petra Rosenberg, die Vorsitzende des Berliner Landesverbandes der Sinti und Roma, auf einer Gedenkveranstaltung im Dezember 2015. Petra Rosenberg ist die Tochter von Otto Rosenberg, der als einer von wenigen Auschwitz überlebt hatte, und später Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma wurde. Entschlossenes Handeln gegen menschenverachtendes Denken sei eine Aufgabe, die alle betrifft.

Deutschland muß die volle Verantwortung für den Völkermord an 500.000 Sinti und Roma übernehmen.

Dr. Kurt Laser, Berlin

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Angst und Verbrechen gehören zum Kapitalismus
Unsicherheit als Geschäftsmodell

Die in der bürgerlichen Verfassung garantierten Rechte gelten als schrankenlos, soweit sie nicht durch die gleichen Rechte anderer und die öffentliche Sicherheit beschränkt werden. Dies sollen Gesetze regeln. Durch diese sind "... alle jene Freiheiten so reguliert worden, daß die Bourgeoisie in deren Genuß an den gleichen Rechten der andern Klassen keinen Anstoß findet. Wo sie 'den andern' diese Freiheiten ganz untersagt oder ihren Genuß unter Bedingungen erlaubt, die ebenso viele Polizeifallstricke sind, geschah dies immer nur im Interesse der 'öffentlichen Sicherheit', d. h. der Sicherheit der Bourgeoisie, wie die Konstitution vorschreibt." So beschreibt Karl Marx im 18. Brumaire (MEW Bd. 8, S. 126/127) die uns wohlvertrauten Wege des Demokratieabbaus zur Sicherung der Kapitalherrschaft, besonders in Krisenzeiten. Ein dem Finanzkapital williger Staat, wie 1848 in Frankreich, so Marx, bewirkte "die schrankenlose, mit den bürgerlichen Gesetzen selbst jeden Augenblick kollidierende Geltendmachung der ungesunden und liederlichen Gelüste ..., worin der aus dem Spiele entspringende Reichtum naturgemäß seine Befriedigung sucht, wo der Genuß crapuleaux (ausschweifend) wird, wo Geld, Schmutz und Blut zusammenfließen." (MEW Bd. 7, S. 14/15) Dabei werden die Übergänge von legalem zu kriminellem straflosem Unrecht fließend.

Sind bürgerliche Gesetze Ausdruck des Klassenstaates, so sind Kriminalstatistik und Rechtswirklichkeit Ausdruck seines derzeitigen Zustands. Verbrechen und Angst gehören zum Kapitalismus wie das Ei zur Henne.

Als geborener Westdeutscher bin ich solche Verhältnisse gewohnt. Tägliche Meldungen von Kapitalverbrechen, Eigentumsdelikten, Betrug, Raub, Erpressung, Unterschlagung, Korruption und Sexualverbrechen gehörten zum Alltag. Objektive Bedingungen dafür sind - nach der "Wende" von der "sozialen Marktwirtschaft" zum neoliberalen Imperialismus - Sozialabbau, Kaufkraftschwund, Teuerung und gnadenlose Konkurrenz der Märkte.

Die Privatisierung schuf neue Felder der Bereicherung, z. B. im Gesundheitswesen, im öffentlichen Verkehr und bei der Daseinsvorsorge. Wo was zu holen ist, wird's schnell kriminell.

Eine "Sicherheitsindustrie" (Versicherungsgeschäfte, Sicherheitstechnik, Wachdienste, Antivirenprogramme etc.) blühte ebenso auf wie die Rüstungsbranche. Selbst im Gesundheitswesen wird es oft lebensgefährlich. Sogar die mildtätige Wohlfahrt fällt Spendenbetrügern zum Opfer. Behördenkriminalität und alle Arten von Wirtschaftsverbrechen nehmen zu. Unerbittliche Verteilungskämpfe und gnadenlose Egozentrik bestimmen das Image des flexiblen, durchsetzungsfähigen Leistungsträgers. "Sklavenhalter oder Sklave sein" nennt Lenin die Alternative zu einer Moral, welche kollektive Ängste und Druck erzeugt. Streßbedingte Neurosen, "Burnouts" und Aggressionen häufen sich. Dieses allgemeine Gefühl hilfloser Unsicherheit wird gelenkt und instrumentalisiert für imperialistische Kriege, polizeistaatliche Ordnungsmaßnahmen, Lohnraub und zunehmenden Sozialabbau. Dabei greift man bei der Schuldzuweisung und der Begründung unangenehmer obrigkeitsstaatlicher Maßnahmen auf das bewährte "Sündenbockmodell" zurück.

De Maizière und Schäuble sind da recht geschickt: Einerseits empören sie sich öffentlich gegen Rassismus, andererseits verfestigen sie die Schuldzuweisung an die Flüchtlinge, indem Sie "Flüchtlingsabgaben" oder Aufhebung von Lohnuntergrenzen und tariflichen Bestimmungen fordern. Gabriel brachte es am 18. Januar auf den Punkt: "Nur mit einer blühenden Wirtschaft können wir das Flüchtlingsproblem bewältigen!" - und forderte mehr Erleichterungen und Subventionen zugunsten der Unternehmer und zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung.

Angst, Unsicherheit und Rassismus sind in der globalen Krise ein famoses Geschäftsmodell! Vor prekarisierten Flüchtlingen aus durch "Regime Change" zerstörten Ländern habe ich keine Angst. Die sie schamlos mißbrauchenden Rechten bereiten mir dagegen schlaflose Nächte! Erfüllungsgehilfen und skrupellose Machtmenschen gibt es wie in der Weimarer Republik und im Nazireich im Staats-, Polizei- und Justiz-Apparat auch heute noch. Es werden verschärfte obrigkeitsstaatliche Gesetze eingeführt und Menschengruppen gegeneinander ausgespielt. Als der französische Präsident Hollande wegen der Anschläge von Paris die Ausweitung von Notstandsgesetzen anordnete und dabei sogleich Linke und Demonstranten gegen den Klimagipfel mitverfolgen ließ, schlug er den gleichen Weg bürgerlich-opportunistischer Taktik ein, der schon einmal in den Faschismus geführt hat. Der Wettstreit um immer mehr Vorschläge gegen Flüchtlingsströme und zur Verschärfung von "Sicherheitsmaßnahmen" hat die um die Wählergunst buhlenden Parteien längst erreicht. Für die PDL kann ich nur vor diesem Weg warnen! Es ist ein Weg in den Abgrund und keine Lösung der vom Kapitalismus verursachten Probleme.

Jobst-Heinrich Müller

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Kein Platz für Moral

Das neue Buch von Erich Buchholz trägt den Titel "Das Freiheitsgrundrecht und die Kriminalität". Schon der Titel macht stutzig. Der Autor beweist, daß es einen Zusammenhang zwischen beidem im Rechtsstaat BRD tatsächlich gibt. Dabei geht er vom Freiheitsgrundrecht des Artikels 2 des Grundgesetzes (GG) aus, dem ersten aller Grundrechte.

Er spannt den Bogen über den Artikel 14 des GG und stellt fest, daß nur der das Freiheitsgrundrecht nutzen kann, welcher auch das notwendige Startkapital dazu hat. Wenn er darüber verfügt, dann darf er alles tun, wozu er durch sein Kapital in der Lage ist. Dann kann er sich freiheitlich entfalten, seine subjektiven Rechte geltend machen, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt oder soweit eine solche Verletzung möglich ist, weil sie nicht durch den Staat verhindert und geahndet wird. In der justitiellen Wirklichkeit des Rechtsstaates BRD sei das Risiko gering, bei der Geltendmachung des Freiheitsgrundrechtes für die Verletzung der Rechte anderer einstehen zu müssen. So gesehen gibt es einen Zusammenhang zwischen Verwirklichung des allgemeinen Freiheitsgrundrechts und der Kriminalität.

Bei Wirtschaftsverbrechen seien die Motive des Handelns dieselben, die auch als Motor der Ökonomie fungieren. Im allgemeinen Freiheitsgrundrecht des Artikels 2 des GG lägen bereits Anreize für die Begehung von Straftaten. Diese Anreize ergeben sich nicht allein aus dem Wortlaut von Artikel 2 GG, sondern aus den wirtschaftlichen Verhältnissen der BRD, die gemäß Artikel 14 GG auf Privateigentum beruhen. Selbst der einzelne Unternehmer ist nur so frei, wie es auch die Marktwirtschaft ist. Der Privateigentümer steht in einem unerbittlichen Konkurrenzkampf, in einem Krieg aller gegen alle, ob er will oder nicht. In diesem Krieg ist der Artikel 2 eine mutmachende Regel.

Ein Sittengesetz, wie es der Artikel 2 postuliert, gibt es in der kapitalistischen Marktwirtschaft nicht, auch nicht wenn diese "frei" genannt wird. Moral und soziale Empfindsamkeit haben dort keinen Platz. So entlarvt der Autor mit seinem Buch die falschen Reden über Freiheit in diesem Lande.

Günter Herzog


Erich Buchholz: Das Freiheitsgrundrecht und die Kriminalität. GNN-Verlag, Schkeuditz 2016, 84 S., 7,50 €

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Fluchthelfer, Schleuser und kriminelle Schlepperbanden gestern und heute

Kürzlich las ich einen Bericht über den Prozeß gegen einen slowakischen Schleuser, der "Balkanflüchtlinge" nach Deutschland geführt hatte. Er wurde zu vier Jahren Haft verurteilt.

Das brachte mich auf den Gedanken zu prüfen, was in der BRD mit jenen "Helfern" geschehen ist, die DDR-Bürgern zur Flucht in die "Freiheit" verholfen haben.

Am 15. März fragte ich in der "Ordenskanzlei" des Bundespräsidenten an, ob und wie viele Bundesbürger dafür ausgezeichnet wurden, daß sie als Schleuser gewirkt hatten.

Susanne Bos-Eisolt beantwortete meine Frage so: "Von Bundespräsident Joachim Gauck ausgezeichnet wurden 14 Fluchthelfer und Tunnelbauer, die DDR-Bürgern uneigennützig bei der Flucht in die Freiheit in die Bundesrepublik geholfen haben, z. T. auch nach dem Mauerfall als Zeitzeugen in der Öffentlichkeit aktiv waren und damit zur Auseinandersetzung mit der Teilungsgeschichte beigetragen haben. Zur verständigen Unterscheidung von heutigen Schleusern und Fluchthelfern zu Zeiten der deutschen Teilung habe ich Ihnen einen Artikel aus der 'Welt' vom 29. Juli 2015 beigelegt. Herr Dr. Burkhart Veigel ist einer der oben genannten von Bundespräsident Joachim Gauck Ausgezeichneten."

Für den Bundespräsidenten und damaligen Pfarrer Gauck sind also die Fluchthelfer von damals uneigennützige Helden.

Prüfen wir zunächst die verwendeten Begriffe. Susanne Bos-Eisolt gebraucht Schleuser und Fluchthelfer als Synonyme. Auch das Wort Schlepper taucht in den Medien auf. Der Duden unterscheidet zwischen den drei Begriffen nicht. Anders Dr. Burkhart Veigel, der im besagten "Welt"-Artikel behauptet, Fluchthelfer wie er hätten etwas Edles getan, die Schleuser hingegen seien Kriminelle. Die FAZ konstatierte: "Es sind die Schlepper, die Menschen in Seenot bringen, nicht die Europäer." Und der französische Präsident Hollande verurteilte die Schleuserbanden als Terroristen. Bomben, denen die Flüchtlinge zu entkommen suchen, sind für ihn und seinesgleichen kein Terror.

Prüfen wir nun die Argumentation des Fluchthelfers Dr. Veigel, der "650 DDR-Bürgern die Freiheit ermöglichte" und ein Buch über seine "Heldentaten" geschrieben hat: "Gemeinsam haben die Fluchthelfer des kalten Krieges und die mafiaartigen Strukturen gar nichts ... Eine Gleichsetzung von Fluchthelfern durch die Berliner Mauer und Schleppern und Schleusern von heute verbietet sich."

Aber ein Vergleich kann lehrreich sein. Da wären zunächst die Flüchtlinge und Fluchtwilligen und ihre Motive und Ziele zu vergleichen. Warum haben DDR-Bürger ihren Staat verlassen? Flohen sie vor Krieg und Bomben, vor Hunger und Not, vor unerträglichem Terror? Sie hatten Frieden, alle Bildungschancen, garantierte Arbeitsplätze und soziale Sicherheit. Unabhängig von ihren Fluchtgründen waren sie ein politischer Faktor im kalten Krieg. Sie schwächten das Wirtschaftspotential der DDR und halfen, mit ihren Fähigkeiten und ihrer Bildung die BRD zu stärken.

Jede Republikflucht war ein politischer Sieg für die imperialistische Seite. Der Höhepunkt der politischen Instrumentalisierung derer, welche unseren Staat verließen, war jene Szene auf dem Balkon der BRD-Botschaft in Prag, die noch anläßlich von Genschers Tod vor wenigen Wochen in "Bild" zur Schlagzeile taugte. Wer wüßte zu sagen, wie diese Ereignisse in afrikanischen und arabischen Ländern auf die dort Ausreisewilligen gewirkt haben müssen?

Heute kommen die meisten Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Libyen. Sie fliehen vor allem vor Krieg und Zerstörung, vor Not und Tod. Aber wer ist dafür verantwortlich? Zu nennen ist auch Präsident Gauck, der "deutsche Verantwortung" darin sieht, die Bundeswehr weltweit einzusetzen. Die NATO, einschließlich die BRD, tragen den Krieg in andere Länder und "ernten" Flüchtlinge.

Guido Westerwelle hatte die Courage, kurz vor seinem Tod zu bekennen, daß Deutschland bei den Kriegseinsätzen nichts gewonnen habe. Das stimmt nicht ganz. Die deutschen Rüstungshaie machen Bombengeschäfte.

Der Vergleich der Motive und Ziele der Flüchtenden aus der DDR damals und den Flüchtlingen aus Kriegsgebieten heute zeigt, daß es keine Deckungsgleichheit gibt. Dennoch sind auch sie Spielball der Politik. Der bisherige Tiefpunkt ist der "Flüchtlingspakt" mit der Türkei. Die Bundesrepublik zahlt dafür, daß die Türkei die Flüchtlinge auffängt, die wiederum erpreßt sich den Eintritt nach "Europa". Können die selbsternannten Kämpfer für "Freiheit und Menschenrechte" noch tiefer sinken?

Dr. Burkhard Veigel sieht einen weiteren Unterschied zwischen DDR-Flüchtlingen und heute Flüchtenden in der Dimension dieser Bewegung und in der Tatsache, daß die Republikflüchtigen damals von der BRD begrüßt wurden, die heute Flüchtenden hingegen als illegal Einreisende betrachtet werden und von Abschiebung bedroht sind. Das beweist jedoch nur, daß selbst Menschenrechte durch Merkel und Co. - wie beim Schacher mit der Türkei - zur billigen Ware gemacht werden. Wenn die BRD-Regierung behauptet, Opferzahlen minimieren zu wollen, könnte sie das jederzeit tun. Es wäre für sie ein leichtes, ihren damaligen "Erfolg" von Prag zu wiederholen. Sie müßte lediglich die Botschaften in afrikanischen und arabischen Ländern anweisen, Asylsuchenden jene Hilfe zu gewähren, die 1989 DDR-Bürger erhielten. Das sollte mit einschließen, den Ländern Schadensersatz zu leisten, in denen die Bundeswehr Schaden angerichtet hat. Merkels und Gaucks Politik kommt den meisten Deutschen teuer zu stehen. Eine Wende zum Guten verlangt Widerstand gegen Dummheit und Verbrechen.

Prof. Dr. Horst Schneider

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Was ist ein getötetes Kind wert?

Ein Jahr ist es her, daß die Welt vom schlimmen Unglück der Gremanwings-Maschine in den französischen Alpen erfuhr. Entsetzen, Fassungslosigkeit, unermeßliches Leid für Angehörige und die Frage nach dem "Warum?" hielten die Menschen in Atem.

Heute hat man den Eindruck, daß die große Trauer einer gewissen Sachlichkeit Platz gemacht hat.

Das Feilschen um "Entschädigungszahlungen" hat begonnen. Da sich unter den Todesopfern auch amerikanische Staatsbürger befanden, haben deren Angehörige die Möglichkeit, ihre Ansprüche mittels Staranwälten an amerikanischen Gerichten durchzusetzen, wo es in solchen Fällen bekanntlich um Millionen geht. Man stelle sich vor: Das eigene Kind wird umgebracht und man wird Millionär! Das getötete Kind wird zur Ware, um dessen Wert man hemmungslos feilscht. Wieviel ist es wert? Eine, zwei Millionen ...?

Doch da sind auch zwei kleine Kinder, die ein Autounfall zu Waisen gemacht hat. Der Vater - abgelenkt von seinen, auf dem Rücksitz befindlichen Kindern - saß am Lenkrad. Das Auto prallte gegen die Leitpranke. Die Kinder überlebten, die Eltern nicht. Ein bestellter Vormund versucht nun verzweifelt, von der Versicherung wenigstens ein paar Euro zu bekommen, um die Kinder versorgen zu können.

Und schließlich sind da die Kinder von Kundus - getötet durch deutsche Befehlsgewalt am Hindukusch. Welche Mittel werden deren Eltern in die Waagschale werfen können, um "Entschädigung" zu verlangen? Diese Kinder sind von "geringerem Wert", sie haben keinen Staranwalt, der sich ein horrendes Honorar einsteckt, sie haben keine Lobby. Sie sind vergessen.

So sieht sie aus - die freiheitlich-demokratische Welt des Kapitals.

Peter Truppel, Berlin

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Thüringen und die PDL

In einer Erklärung von Bodo Ramelow auf der Geschichtsmesse der "Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur" am 30.1.2016 heißt es: "Wir wollen neue Impulse setzen für eine ideologiefreie gesellschaftliche Debatte zur SED-Diktatur, ihrer Überwindung und ihren Folgen. Die Aufarbeitung von DDR-Unrecht ist Kernbestandteil unserer Regierungsarbeit und ein unverzichtbarer Beitrag für die politische Kultur in Thüringen." Und im Februar wurde auf Initiative der PDL ein Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht unter dem Titel: "Zweites Gesetz zur Änderung des Thüringer Feiertagsgesetzes". Darin heißt es u. a.: "Der 17. Juni wird im Wege eines Gesetzes zur Einführung eines Gedenktages für die Opfer des DDR-Unrechts als Gedenktag in das Thüringer Feiertagsgesetz aufgenommen." In der Begründung wird erklärt, daß der 17. Juni beispielhaft für das Aufbegehren von Menschen gegen Unrecht in der durch den von der SED geführten Staat DDR steht und daß die DDR-Staatsmacht den Aufstand nur mit Hilfe sowjetischer Truppen blutig niederschlagen konnte.

Es ist zynisch, wenn Ministerpräsident Ramelow (mitverantwortlich für die Vernichtung von Arbeitsplätzen in Bischofferode) Lothar Späth, den Vernichter von Tausenden Arbeitsplätzen bei Carl-Zeiss Jena, nach dessen Ableben als einen kraftvoll zupackenden Aufbauhelfer und Pionier der "Wendezeit" würdigt und behauptet, dieser hätte vielen Thüringern eine Lebensperspektive gegeben. Eine wirklich deutliche Positionierung gegen Ramelows Kurs gibt es weder in der Linkspartei in Thüringen noch in Berlin. Höchste Zeit dafür wäre es!
Konstantin Brandt


Am 20. April fand im Thüringer Landtag die Abstimmung zum zweiten Gesetz zur Änderung des oben erwähnten Thüringer Feiertagsgesetzes statt. Das Parlament beschloß mit einer einzigen Gegenstimme, daß im Freistaat künftig des "Volksaufstands" in der DDR vom 17. Juni 1953 gedacht werden soll. Die PDL-Abgeordnete Johanna Scheringer-Wright äußerte sich in einer Erklärung zu ihrem Votum: "Ich habe gerade gegen dieses Gesetz gestimmt. Diese Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht. ... Im heute beschlossenen Gesetz wird der 17. Juni 1953 in eine Reihe mit dem 8. Mai 1945 gestellt. Das bedient Geschichtsklitterung. Der 8. Mai 1945 ist der Tag der Befreiung vom Faschismus, der Tag, an dem der grauenhafte Zweite Weltkrieg mit mehr als 50 Millionen Toten sein Ende in Europa fand, der Tag, an dem der Völkermord an sechs Millionen europäischer Juden beendet wurde. Dieser Tag ist etwas historisch Einmaliges. Und es ist illegitim, das Ende des Holocausts - der industriellen Massenvernichtung von Menschen - mit anderen historischen Ereignissen in eine Reihe zu stellen. Es wird immer üblicher, wie man an AfD und CDU sieht, von erster (nämlich Faschismus) und zweiter (nämlich DDR) Diktatur zu sprechen. Das hebt das faschistische Deutschland und die DDR auf eine Stufe, und das wiederum ist massive Geschichtsverfälschung.

Vor diesem Hintergrund befürchte ich gerade mit Blick auf den wachsenden Rechtspopulismus - auch in der Mitte der Gesellschaft - eine Verniedlichung der Diktatur der Nationalsozialisten." RF

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AfD, FPÖ, Front National & Co.

WIEN/BERLIN/PARIS. Die "Alternative für Deutschland" (AfD) bejubelt den Sieg des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer in der ersten Runde der Bundespräsidentenwahl in Österreich. Die FPÖ habe ein "deutliches Zeichen" gesetzt, lobt AfD-Bundesvorstandsmitglied André Poggenburg. Die AfD baut ihre Zusammenarbeit mit der österreichischen Rechtspartei seit kurzem systematisch aus und bereitet zudem eine Kooperation mit dem französischen Front National (FN) vor; der Beitritt des AfD-Europaabgeordneten Marcus Pretzell zur Fraktion "Europe of Nations and Freedom" (ENF), der FPÖ und FN angehören, gilt als möglich. Die AfD könnte damit ein Bündnis mit Parteien der äußersten Rechten anbahnen, die in ihren Ländern jeweils zu den erfolgreichsten politischen Formationen zählen. Die Mehrzahl von ihnen ist strukturell nach Deutschland orientiert; der Präsidentschaftskandidat der deutschnational grundierten FPÖ, Hofer, gehört neben seiner Partei einer Burschenschaft an, die sich zur "deutsche(n) Kulturgemeinschaft" bekennt und in einer Publikation die Auffassung verbreitet, "die geschichtswidrige Fiktion einer ,österreichischen Nation'" sei abzulehnen. FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky äußerte, ungeachtet der aktuellen Erfolge seiner Partei müsse "die tatsächliche politische Wende" auf dem Kontinent von Deutschland und der AfD ausgehen.

german-foreign-policy.com

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Ein Justizmord demaskiert "Hort der Menschenrechte und Demokratie"

Im Jahre 1927 wurden zwei aufrechte linke Gewerkschaftsführer der USA, Mitglieder der IWW ("Industrial Workers of the World"), durch die amerikanische Justiz zum Tode verurteilt und ermordet.

In einem Artikel der "Leipziger Volkszeitung" (LVZ) vom 23./24. Juli 1977 hieß es dazu: "Am 4. August 1927 demonstrierten 120.000 Berliner Arbeiter gegen den geplanten Justizmord an Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti. Beide wurden beschuldigt, 1919 Raubüberfälle und einen Mord begangen zu haben. Der Prozeß zog sich über sieben Jahre hin und war von einer wüsten antikommunistischen und nationalen Hetze begleitet. Bereits zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung zeigte sich, daß die amerikanische Justiz revolutionäre Arbeiter mundtot machen wollte. Beide wurden in dem Moment verhaftet, als sie sich dafür einsetzten, den Tod des italienischen Arbeiters Salsedo aufzuklären, der sich nach Verhören und Folterungen durch die Polizei aus dem 40. Stock eines Hochhauses gestürzt hatte."

Das Urteil der amerikanischen Justiz lautete: Tod durch den elektrischen Stuhl. Der Richterspruch wurde auch nicht aufgehoben, als der von der Polizei gefaßte Verbrecher Celestino Madeiros die Tat gestand. Die amerikanische Klassenjustiz vollstreckte das Todesurteil am 23. August 1927.

"In der ganzen Welt erhob sich ein Proteststurm, entfacht von der Arbeiterklasse, der sich auch Teile des Bürgertums anschlossen. Der ehemalige Vorsitzende der Fraktion Gewerkschaftlicher Linksblock im österreichischen Gewerkschaftsbund Anton Hofer bezeichnete den Mord als 'ein Verbrechen an der internationalen Arbeiterbewegung'. Die Fakten gröbster Verletzung der Menschenrechte in den USA sind bekannt. Die willkürliche Verurteilung der 'Wilmington 10', die allgemeine Bespitzelung fortschrittlicher Bürger, die hinterhältige Ermordung von Gewerkschafts- und Arbeiterführern sind nur einige ihrer begangenen Ungesetzlichkeiten", schrieb die LVZ weiter.

1977 - 50 Jahre später - kommentierte der Londoner "Morning Star": "Die amerikanischen Behörden waren unter dem Druck der Meinung der Weltöffentlichkeit gezwungen zuzugeben, daß die Beschuldigung gegen Sacco und Vanzetti unbegründet waren", nachdem der damalige Gouverneur von Massachusetts, Michael Dukakis, erklärt hatte, daß Sacco und Vanzetti zu Unrecht hingerichtet worden waren.

Das Anfang 1976 gegründete Internationale Komitee zur Rehabilitierung dieser zwei aufrechten Arbeiter hatte die demokratische Öffentlichkeit aufgerufen, den Kampf für die offizielle Aufhebung des Schandurteils zu unterstützen. Parallelen zum heutigen Geschehen in den USA und anderen Staaten sind unübersehbar.

Gert Thiede, Suhl

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Free Mumia - Freiheit für Mumia Abu-Jamal!

Am 9. Dezember 2015 war bereits der 34. Haftjahrestag des ehemaligen Black Panthers und kämpfenden Gefangenen Mumia Abu-Jamal. Im folgenden einige Meldungen über den gefangenen Journalisten aus der länderübergreifenden Solidaritätsbewegung:

Zwischen dem 18. und 23. Dezember 2015 fanden drei Anhörungen vor einem Gericht in Scranton (USA) statt. Dabei ging es um die verweigerte medizinische Hilfe für den an Hepatitis C erkrankten Mumia durch die Gefängnisbehörde Pennsylvanias. Insgesamt sind allein in diesem Bundesstaat mehr als 10.000 Gefangene an Hepatitis C erkrankt, ohne medizinische Hilfe zu erhalten. Der erste Tag lief aus Mumias Sicht hervorragend, da der vorsitzende Richter Mariani alle Versuche der Gefängnsbehörde abwies, das Verfahren wegen behaupteter Formfehler einzustellen. Er sagte klar und deutlich, daß der Inhalt dieser Verhandlung über die Form gehe. Am zweiten Tag kam es zu verschiedenen Experten-Anhörungen über Hepatitis C und den Verlauf von Mumias Erkrankung, die nach dem Wissen der Gefängnisbehörde bereits bis ins Jahr 2012 zurückreicht, was Mumia allerdings erst vor wenigen Monaten erfuhr. Am dritten Verhandlungstag räumte die Anwältin der Gefängnisbehörde ein, ein Gutachten des medizinischen Beauftragten Noel aus der gleichen Behörde manipuliert zu haben, um in der Vorinstanz keine weitere Behandlung des Klägers zulassen zu müssen. Dabei ist aufgrund aktueller Untersuchungsergebnisse unstrittig, daß Mumia durch die aktive Hepatitis und die fehlende Behandlung bereits Leberschäden erlitten hat.

Während der gesamten drei Verhandlungstage beobachteten Unterstützer von Mumia die Vorgänge im Gerichtssaal und organisierten mehrere Kundgebungen in Scranton. Eine Entscheidung des Gerichts wurde vertagt. Es wurden bereits diverse Verfassungsgrundsätze gebrochen, um ihn weiterhin in Haft zu halten. In einigen juristischen Fakultäten der USA wird daher bereits der Begriff der "Mumia-Exemption", der Mumia-Ausnahmeregelungen, verwandt. Dieses Verfahren ist wie alle vorangegangenen ein politisches Verfahren. Sollte Mumia gewinnen, können sich alle 10.000 ebenfalls an Hepatitis C erkrankten Gefangenen im Bundesstaat auf diesen Präzedenzfall berufen und eine Behandlung einfordern.

Gefangene in den USA mobilisieren derzeit für den 9. September 2016, den Jahrestag des Attica-Aufstandes, zu einem Streik- und Aktionstag für die Abschaffung der modernen Sklaverei in den USA. Die Masseninhaftierung stellt für Gefangene und weite Teile der Bevölkerung nichts anderes als die fortgeführte Sklaverei unter anderem Namen dar. An der Praxis von Polizei und Justiz wird deutlich, daß sie mehrheitlich gegen Farbige angewendet wird. Am 24. April, dem 62. Geburtstag Mumias, fand vor der US-Botschaft am Brandenburger Tor eine Protestkundgebung statt. Ein Redebeitrag des bundesweiten Free-Mumia-Netzwerkes beschrieb die tödliche Polizeigewalt in den USA, der allein 2015 über 700 Menschen zum Opfer fielen. Trotz der überwiegenden Straflosigkeit der beteiligten Cops entstand die weiter wachsende Black-Lives-Matter-Bewegung. Parallelen zur Entstehungsphase der Black Panther Party in den 60ern sind offensichtlich.

Die Rote Hilfe Berlin verlas eine Grußbotschaft und stellte Mumias Kampf um Freiheit und seine seit 34 Jahren ungebrochene Berichterstattung aus dem Inneren der Isolationstrakte heraus. Mumias Fall stehe auch dafür, was Menschen zu erwarten haben, die sich der kapitalistischen Ordnung widersetzen.

Zum Abschluß der Kundgebung beschrieben Unterstützer von Mumia Abu-Jamal, wie die Gefängnisbehörde von Pennsylvania sowohl ihn als auch viele andere Gefangenen gerade nur so weit am Leben erhalten, daß sie sich nicht des offenen Mordes schuldig machen. Aus Kostengründen wollen die Behörden keine Behandlung gegen Hepatits C an denjenigen durchführen, deren Freiheit und Leben sie zerstören. Über 1000 Gefangene klagen derzeit gegen die Gefängnisbehörde. Erstaunlicherweise war es bisher aber nur Mumias Klage, die überhaupt zugelassen und bereits durch zwei Instanzen verhandelt wurde.

RF / Free-Mumia-Bewegung

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Was man in deutschen Presseorganen kaum findet:
Rußland exportiert mehr als Erdöl und Erdgas

Trotz weiterhin niedriger Erdöl- und Erdgaspreise sowie fortgesetzter Sanktionen des Westens gegenüber Rußland geht es der Regierung der Russischen Föderation darum, begonnene Wirtschaftsprojekte fertigzustellen und die Verpflichtungen des Staates gegenüber der Bevölkerung einzuhalten. Dabei steht die Modernisierung der Wirtschaftsstruktur des Landes sowie die Sicherung der Reservefonds im Mittelpunkt. Mit den Staaten der Shanghaier Organisation sowie mit anderen willigen Staaten soll der Handel möglichst mittels nationaler Valuten abgewickelt werden.

Die nachfolgend zusammengestellten Daten basieren auf von der russischen Nachrichtenagentur TASS veröffentlichten Quellen. - 2014 exportierte Rußland Waren und Dienstleistungen im Umfang von ca. 500 Milliarden Dollar; wobei 51,5 % davon (286 Milliarden Dollar) keine Rohstoffe und Energieträger waren. Diese Zahl hat sich 2015 noch wesentlich erhöht und soll im Jahre 2018 bei 340 bis 400 Milliarden (75-80 %) liegen.

- Rußland begann 2000 einen Neustart bei der Entwicklung von neuartigen Passagierflugzeugen, dessen erstes Produkt der Superjet-100 - ein Kurzstreckenflugzeug - von Suchoi ist. Er wird in immer mehr Länder exportiert - nach Mexiko, Brasilien, Indonesien, China und weitere asiatische Länder.

- Eine Reihe von Mittelstreckenflugzeugen (für 150 bis 180 Passagiere und Maschinen für 200 bis 300 Passagiere werden z. T. in Kooperation mit China entwickelt. 2015 konnte die Konstruktion der dafür benötigten ökonomischen und leiseren Triebwerke abgeschlossen und mit der Serienproduktion begonnen werden.

- 2014 wurden metallurgische Produkte für über 30 Milliarden Dollar exportiert. Rußland ist Hauptlieferant von Titanteilen für Airbus und belegt bei Boeing den zweiten Platz. Der Anteil Rußlands an der Weltproduktion in diesem Segment beträgt 35 bis 45 %.

- Auch Edelmetalle und -steine wurden für 10 Milliarden Dollar in arabische Länder und nach Süd-Ost-Asien exportiert.

- Das Land exportiert Treibstoffe und Elektroenergie, deren Umsatz ca. 35 % des Nichtkohlenwasserstoffexports ausmacht und in den nächsten Jahren noch ansteigen wird.

- Kalidünger aus Rußland wird für 10 bis 15 Milliarden Dollar in die ganze Welt exportiert; der Anteil der Russischen Föderation beträgt dabei ca. 13,5 % des Weltmarktes (Uralkali). Hier wird in den nächsten Jahren eine Erhöhung um ca. 6 Milliarden Dollar erwartet.

- Der Export von Industrieanlagen (Uralmasch) für Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, für Energie und Transportprojekte in GUS-Länder, Ost-und Westeuropa, den Nahen Osten, Indien, Pakistan, Süd-Ost-Asien, Afrika, Nord- und Latein-Amerika betrug 2014 fast 30 Milliarden Dollar.

- Rußland exportiert Schiffbauerzeugnisse unterschiedlichster Art: Eisbrecher, Bohrplattformen, Spezialschiffe, Unterseeboote, Landungsschiffe für Vietnam, Indien, China und andere Länder.

- Für die Raumfahrt der USA liefert Rußland Raketentriebwerke, welche die USA versuchen nachzubauen. Ende 2015 konnte die langjährige Entwicklung eines neuartigen Ionentriebwerks für den Einsatz bei interplanetaren Flügen fertiggestellt werden.

- 2014 erreichte Rußland den ersten Platz in der Welt bei in der Bereitstellung von Dienstleistungen bei Raketenstarts.

- Beim Wissenschaftlichen Gerätebau und Technologieexport (Rostech) kommen noch jene Erzeugnisse hinzu, die durch neue Programme zur Entwicklung der Industrie (z. B. beim Flugzeug- und Hubschrauberbau) und bei der Importablösung im Entstehen begriffen sind.

- Erzeugnisse des Energiemaschinenbaus (Generatoren, Atom- und Wasserkraftwerke, Gasturbinenbetriebe) werden in 57 Länder der Erde exportiert, die des Schwermaschinenbaus, (Pressen, automatische Linien für Metallprokat) in 54 Länder.

- 2014 erwirtschaftete Rußland mit Dienstleistungen in anderen Ländern über 66 Milliarden Dollar. Bei Lufttransport- und anderen Transportleistungen ist Rußland einer der Haupttransporteure der Vereinten Nationen.

- Eine Vielzahl von Staaten und Konzernen bestellt und kauft in Rußland Programmsoftware und Telekommunikationsleistungen, darunter die USA, EU-Länder, Länder Lateinamerikas mit steigenden Absatzzahlen.

- Der Export von landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Getreide, Fisch, Meeresfrüchte, Öle, Samen und Futtermittel) steigt bei sich weiter entwickelnder Landwirtschaft stetig an. Bemerkenswert ist, daß Rußland über große nicht überdüngte Flächen verfügt und deshalb auf dem Weltmarkt die beste Getreidequalität anbieten kann, mit der Höchstpreise erzielt werden können.

Gerhard Giese, Strausberg


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Auf der Suche nach Spuren von Leben auf dem Mars haben die Europäische Raumfahrtagentur Esa und ihr russischer Partner Roskosmos gemeinsam eine Sonde zum Roten Planeten geschossen. Die Proton-M-Rakete hob am 14. März vom russischen Kosmodrom Baikonur in Kasachstan ab und erreichte nach etwa zehn Minuten planmäßig den Erdorbit. Der Start galt als eine erste schwierige Hürde auf dem siebenmonatigen Flug zum Mars. Damit gaben Esa und Roskosmos den Startschuss für ihr mehrere Milliarden Euro teures Projekt ExoMars.

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Bereits im März ist unsere engagierte Mitstreiterin
Dr. Vera Butler
aus Melbourne 88jährig verstorben.

Daran, daß sich der RF inzwischen zur
auflagenstärksten marxistischen Monatszeitschrift
in Deutschland entwickeln konnte, hat Vera mit ihren
fundierten und treffsicheren Beiträgen großen Anteil.

Wir sprechen ihrem Sohn Andre und den Angehörigen
unser tiefempfundenes Mitgefühl aus.

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Margot Honecker
starb am 6. Mai in ihrem Exil in Santiago.
Sie wurde 1927 in einer kommunistischen
Arbeiterfamilie in Halle an der Saale geboren,
arbeitete als kaufmännische Angestellte und
Telefonistin, wurde 1945 Mitglied der KPD,
dann der SED und der FDJ. Seit 1949
war sie Mitglied der Volkskammer,
leitete die Pionierorganisation "Ernst
Thälmann" und nahm nach einem Studium
in Moskau 1954 eine Tätigkeit im
DDR-Ministerium für Volksbildung auf.
1990 trat sie von ihren Ämtern zurück,
seit 1992 lebte sie in Chile.

In der Februar-Ausgabe des "RotFuchs"
veröffentlichten wir einen Leserbrief
von Margot Honecker, in dem sie ihrer
Hoffnung Ausdruck gab, der RF möge
auch weiterhin dazu beitragen, "daß die
Menschen lernen, 'hinter allen möglichen
moralischen, religiösen, politischen
und sozialen Phrasen, Erklärungen und
Versprechungen die Interessen dieser
oder jener Klasse zu suchen'. (Lenin) Es
bleibt noch viel zu tun!"

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Lettland sperrt Antifaschisten aus und hofiert Waffen-SS-Verehrer

Für den 16. März wurde in der lettischen Hauptstadt Riga wieder zu einer fahnengesäumten Kundgebung am Freiheitsdenkmal zu Ehren der lettischen Einheiten der Waffen-SS mobilisiert.

Sabine Lösing, friedens- und außenpolitische Sprecherin der Delegation Die Linke im Europaparlament, kritisierte in einer Pressemitteilung die Entscheidung der lettischen Einwanderungsbehörden, sechs deutschen Antifaschisten die Einreise zu verweigern: "Die lettischen Behörden stellen sich schützend vor die ewiggestrigen Anhänger der Waffen-SS. Unter den heute festgenommenen Antifaschistinnen und Antifaschisten befinden sich die Bundesvorsitzende und der Bundesgeschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Sie wollten sich morgen an einer Protestveranstaltung gegen den Waffen-SS-Marsch in Riga beteiligen. ...

Seit Jahren genießt der Marsch der Waffen-SS-Verehrer die Protektion der lettischen Regierung. Die wenigen Antifaschisten, die gegen den rechten Aufmarsch protestieren, werden von Politikern und Medien wie Staatsfeinde behandelt. Um internationale Aufmerksamkeit auf diese Glorifizierung der Waffen-SS zu lenken, hatte die Organisation 'Lettland ohne Nazismus' die VVN-BdA eingeladen. Die lettischen Behörden wollen aber offenbar dafür sorgen, daß der Nazi-Marsch ungestört bleibt.

Der VVN-BdA-Bundesvorsitzenden wurde heute früh in Hamburg das Boarding in eine Maschine von Air Baltic verweigert. Sie stehe auf einer 'schwarzen Liste' der lettischen Einwanderungsbehörde, wurde ihr mitgeteilt. Fünf weitere Antifaschisten befinden sich derzeit in einem Verhörraum am Flughafen in Riga. Sie stehen vor der Alternative, sofort zurückzufliegen oder für zwei Tage eingesperrt zu werden.

Die lettischen Behörden tun ihrem Land damit keinen Gefallen. Lettland erweist sich so als Staat, der Nazis hofiert. Wir haben die deutsche und die lettische Botschaft in Brüssel um Stellungnahme gebeten."

Nach den erfolgten Abschiebungen ließ das lettische Innenministerium mitteilen: "Den betroffenen Personen wurde die Einreise in Lettland aufgrund eines Beschlusses der verantwortlichen lettischen Sicherheitsbehörden und der Entscheidung des Innenministers der Republik Lettland verwehrt, berufend auf den 61. Paragraphen (1. Absatz) des Immigrationsgesetzes der Republik Lettland."

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Was geschieht in der Türkei?

Wer weiß schon, daß Erdogan 1998 wegen "Aufstachelung zur Feindschaft aufgrund von Klasse, Rasse, Religion, Sekte oder regionalen Unterschieden" zu zehn Monaten Gefängnis und lebenslangem Politikverbot verurteilt worden war, weil er in einer Rede geäußert hatte: "Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten." Erdogan gehörte der "Wohlfahrtspartei" an, die vom türkischen Verfassungsgericht verboten wurde, weil sie u. a. Sympathien für den Dschihad und die Einführung der Scharia hatte. Die Mitglieder, einschließlich Erdogan, wechselten zur "Tugendpartei".

Die Beweise häufen sich, daß die türkische Regierung terroristische Gruppierungen in Syrien unterstützt. Politische Beobachter charakterisieren die Türkei inzwischen als ein "florierendes und expandierendes Infrastruktur- und Logistik-Zentrum für den IS". Seine durchlässigen Grenzen ermöglichen unter Mithilfe einer korrupten Polizei unzähligen Dschihadisten die Rückreise von Syrien nach Europa. Die Türkei bietet sich als bequemer Umschlagplatz für jede Art von Schmuggelgut und Geldwäschegeschäften an.

Traditionell war und ist der größere Teil der türkischen Bevölkerung eher weltlich, was auch in der aktuellen (kemalistischen) Verfassung des Landes zum Ausdruck kommt. Erdogans Ziel ist es, die Türkei mehr und mehr in einen islamischen Staat zu verwandeln. Dazu will er die Verfassung ändern, um seine Stellung als Präsident unanfechtbar zu machen. Er verweist dabei auf historische Beispiele und nannte u. a. Hitlerdeutschland.

Erdogan strebt ein Präsidialsystem an, das dann zur vollen Diktatur führen soll. Bei der Neuwahl verschaffte er sich dazu mit 49,5 Prozent für seine AKP eine wichtige Grundlage, nachdem zwei Terroranschläge für Chaos gesorgt hatten. Am 10. Oktober sprengten sich zwei Selbstmordattentäter inmitten einer von sozialistischen Parteien, HDP und Gewerkschaften organisierten Friedenskundgebung in Ankara in die Luft. Bei diesem schwersten Anschlag der türkischen Geschichte starben über 100 Menschen. Die Attentäter gehörten ebenso wie die Bomber von Suruc - 35 junge Kurden verloren dabei ihr Leben - einer unter Geheimdienstaufsicht agierenden Zelle des IS aus der osttürkischen Provinz Adiyaman an. Sie waren der Regierung schon im Vorfeld namentlich bekannt.

Die jetzige AKP-Alleinregierung markiert den Übergang zu offen faschistischen Herrschaftsmethoden. Rollkommandos der sich aus dem Milieu der "Grauen Wölfe" rekrutierenden "Osmanen-Heime" dienen zur Einschüchterung von Oppositionellen, während in den kurdischen Städten neben Armee-Einheiten aus Dschihadisten gebildete Sondereinheiten unter dem Namen "Esedullah Tim" ("Gottes Löwen") wüten. Erdogan verkündet Pläne, die Anhänger der Arbeiterpartei Kurdistans PKK "unschädlich" zu machen und ihren Unterstützern die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Diese Ausbürgerungspläne zielen nicht nur auf Emigranten, sondern auch auf einen Großteil der Kurden in der Türkei. Neben dem Krieg gegen die kurdische Bevölkerung gehören zur Ausschaltung aller Gegner die Inhaftierung kritischer Journalisten, Politiker und Juristen sowie die Abschaltung von deren Medien.

Kurdische Bestrebungen nach mehr Autonomie oder gar einen kurdischen Staat auf jeden Fall zu verhindern, war das Bestreben aller türkischen Regierungen seit Gründung der Türkei 1923. Der Versuch, den kurdischen Teil Syriens zu einer Sicherheitszone, also zum Sperrgebiet für die syrische Armee, iranische Milizen und Hisbollah-Kämpfer zu machen, gehört genauso dazu wie die Präsenz türkischer Truppen im Norden Iraks.

Im Irak zielt Erdogan auf eine sunnitische Region, die zur Desintegration des Landes beitragen würde. Die geopolitischen Träume des türkischen Präsidenten scheinen in einer Wiederbelebung des Osmanischen Reiches zu bestehen, zu dem auch Syrien und Teile der Kaukasus-Region gehörten. So ganz zufällig scheint der wieder aufgeflammten Kaukasus-Konflikt um die armenische Enklave Berg-Karabach nicht zu sein. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu versicherte Aserbaidschan umgehend, es in dieser Auseinandersetzung zu unterstützen.

Dr. Peter Elz

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Domino-Praxis in Lateinamerika

Brasiliens Opposition entert das Machtzentrum des Staates. Bei der Abstimmung im April über die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsidentin Dilma Rousseff im Parlament gebärdete sich die Mehrheit der Abgeordneten wie im Tollhaus. Sie beriefen sich auf Gott, die Werte der Familie, verdammten die Korruption und priesen offen die Militärdiktatur, die von 1964 bis 1985 das Land beherrschte. "Es war die surrealste Sache, die ich als Journalist, der in verschiedenen Ländern tätig war, je gesehen habe", beschrieb der US-Reporter Glenn Greenwald gegenüber CNN eine politische Farce mit konstruierten Vorwürfen zu Haushaltszahlen. Die Nebelmaschine reicht weit: "Der brasilianischen Staatschefin wird Korruption zur Last gelegt", behauptet so fälschlich die Agentur AFP. Daß der Prozeß auch den Senat passiert, kann als sicher gelten. Rousseff wird dann zunächst suspendiert, und ihr Vize Michel Temer von der PMDB übernimmt das Ruder. Eine Absetzung der Staatschefin ohne Nachweis schweren Amtsmißbrauchs kann als parlamentarischer Putsch bezeichnet werden. Der Vorgang unterstreicht, daß nach fast zwei Jahrzehnten der Dominanz progressiver Regierungen in der Region die Rechte in Lateinamerika die Initiative zurückgewonnen hat. Das mächtigste Land Südamerikas mit der siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt ist ein entscheidender Stein in deren Spiel.

Es ist ein Staatsstreich ohne Panzer und Geschütze, dafür begleitet vom infernalischen Dauerfeuer der großen Konzernmedien auf die seit 2003 in Brasília regierende Arbeiterpartei. Die "vierte Gewalt", deren Macht besonders der Globo-Konzern verkörpert, spielt für die Rechtswende im Land eine entscheidende Rolle. Ebenso die Hilfestellung der Justiz. Dilma Rousseff und der zu ihrem neuen Kabinettschef erkorene Expräsident Lula da Silva wurden ungeahndet Opfer illegaler Abhöraktionen, höchste Richter sabotieren das Funktionieren der Regierung. Auf einen Stop des Umsturzes auf dem Rechtsweg richten sich nur schwache Hoffnungen.

Wie bei Lula versuchten rechte Richter auch Rousseffs neuen loyalen Minister für Justiz, Eugênio Arag’o, an seiner Amtsübernahme zu hindern. Das politische Chaos ist gewollt, und die Regierung starrte auf den sich anbahnenden Coup der Rechten zu lange wie das Kaninchen auf die Schlange. Lulas zu später Einstieg in den Ring als populärster Politiker des Landes war ein taktischer Fehler. Weder Lula noch Rousseff wagten Reformen, um die Macht der Konzernmedien zu begrenzen. Ihre Politik holte zwar Millionen aus der Armut, konnte aber den verbreiteten politischen Analphabetismus kaum zurückdrängen.

Dem Parlament sitzt ausgerechnet der PMDB-Politiker Eduardo Cunha vor, der auch die Impeachment-Sitzung leitete. Politische Überzeugungsarbeit wird in der von den Rechten beherrschten Deputiertenkammer mit 25 Parteien traditionell als Vetternwirtschaft mit Posten und Geld, viel Geld, betrieben. Zur Durchsetzung ihrer Agenda hatte sich einst auch die Arbeiterpartei auf solche Spielregeln eingelassen, was ihrem Prestige erheblich schadete. Korruptionsfälle in ihren Reihen wurden und werden sensationalistisch ausgeschlachtet. Derzeit 352 Abgeordnete sehen sich mit Ermittlungen und Anklagen wegen Korruption, Geldwäsche oder Menschenrechtsverletzungen konfrontiert. Rousseffs Projekt einer Politikreform stößt hier auf Granit. Cunha darf als Pate der korrupten Politikerkaste gelten. Anders als die Präsidentin steht er tatsächlich unter Anklage - die verschleppt wird - und hat Millionen aus dunklen Quellen auf Schweizer Bankkonten gebunkert. Hinter sich weiß die Rechte im Parlament und auf der Straße auch den mächtigen, ressourcenstarken Unternehmerverband FIESP mit Sitz in S’o Paulo.

Das Zweckbündnis der PMDB mit der Mitte-rechts-Partei PSDB ist fragil und Temer äußerst unpopulär. Doch der Vizepräsident sieht sich bereits als ersten Mann im Staat und formiert sein Team. Unter der Losung "Eine Brücke in die Zukunft" möchte Temer den Einfluß des Staates in der Wirtschaft zurückdrängen, soziale Programme sollen gekürzt werden. Das US-Kapital klopft an seine Tür und will Zugriff auf Brasiliens Ölkonzern Petrobras. Gefährdet sind die Brücken zu einer fortschrittlichen lateinamerikanischen Integration. Dilma Rousseff kämpft auch in beinahe aussichtsloser Lage weiter um ihr Amt. Die linken Parteien und sozialen Bewegungen unterstützen sie und beweisen, daß sie Millionen mobilisieren können. Ihnen stehen schwere Abwehrkämpfe bevor.

Peter Steiniger

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Klare Kante gegen TTIP

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Eine österreichische Antifaschistin, deren jüdische Eltern ermordet wurden
Erinnern an Mia Förster-Schönfeld

Geboren wurde Mia Förster am 27. August 1922 in Wien. Ihr Vater war ein polnisch-jüdischer Kaufmann aus der Westukraine, ihre Mutter eine tschechische Jüdin. Die "gutbürgerliche" Familie Förster wohnte im III. Wiener Gemeindebezirk und legte Wert auf eine gute Ausbildung ihrer einzigen Tochter.

Mia Förster besuchte die als "Stern-Schule" bekannte Lehr- und Erziehungsanstalt im I. Wiener Bezirk. Als 16jährige erlebte sie im März 1938 den Machtantritt der deutschen und österreichischen Faschisten. "Nur auf Arier" war nun auf den Sitzbänken des Wiener Stadtparkes zu lesen. Was dachte die junge Frau in diesem Frühling, der auch der beginnende Frühling ihres Lebens sein sollte?

Die Autorin Gitta Deutsch meint, wenigstens die Natur sei in diesem grauenhaften Wien anständig geblieben: "Der Flieder duftete wie eh und je." Aber das konnte nicht wirklich ein Trost sein, so wie ja das schöne Österreich auch kein Trost für die vielen, in der Gegenwart vergeblich auf Solidarität wartenden jungen Frauen aus den Kriegsgebieten der Welt in ihrer Angst, Bedrohung, Absonderung und Erniedrigung ist.

Die "Stern-Schule" wurde geschlossen, die Eltern ließen ihre Tochter eine Lehre als Hutmacherin und Modistin beginnen, um sie so irgendwie auf das Exil vorzubereiten. Im September 1940 gelang der Familie die Flucht aus Wien nach Jugoslawien, von dort konnte Mia Förster auf Wunsch der Eltern die Überfahrt nach den USA antreten. Die Eltern blieben in Jugoslawien, das 1941 von der hitlerfaschistischen Wehrmacht überfallen wurde. Am 2. März 1944 erhielt Mia in den USA einen letzten Brief von ihnen. Er kam aus einem Internierungslager auf der Insel Rab, wo deutsche "Herrenmenschen" die Juden zusammengetrieben hatten. Den Ort der Ermordung ihrer Eltern konnte Mia nach dem Krieg trotz vieler Bemühungen nicht feststellen.

In den USA hat sich die kurze Zeit als Modistin beschäftigte Mia Förster dafür zu interessieren begonnen, welche Kräfte hinter Faschismus und Krieg stehen. Sie entlehnte in einer New Yorker Bibliothek zur Verwunderung der dortigen Bibliothekare Werke von Marx, darunter den "18. Brumaire des Louis Bonaparte" und "Klassenkämpfe in Frankreich".

Die Freie Österreichische Jugend sprach Mia Förster an, und schon bald wurde sie wegen ihrer intellektuellen und organisatorischen Begabung Leiterin von drei österreichischen Jugendgruppen in New York. Sie lernte dabei den aus Wien vertriebenen Thomas Schönfeld (1923-2008) kennen.

Mia Förster und Thomas Schönfeld hätten aufgrund ihrer Arbeitsdisziplin und ihres Intellekts in den USA ein bequemes bürgerliches Leben mit den üblichen Belohnungen führen können. Statt dessen entschieden sich beide, am Aufbau eines neuen demokratischen und solidarischen Österreich mitzuwirken. Was für eine Hoffnung! Daß sie Kommunisten geworden waren, machte ihr Anliegen nicht einfacher. Vor ihrer Rückkehr nach Wien (1947) heirateten Mia und Thomas. Der schloß, da Mia darauf bestand, sein Chemie-Studium an der Wiener Universität ab, profilierte sich als herausragender Schüler des viele Jahre aus politischen Gründen von einer Universitätsprofessur ferngehaltenen Engelbert Broda und wurde die radiochemische Kapazität seiner Alma mater.

Mia Schönfeld war im Sommer 1947 einige Zeit in Paris beim Weltbund der Demokratischen Jugend tätig. In Wien wurde sie dann Organisationsleiterin der Bezirksorganisation Wieden der KPÖ. Bei internationalen Kongressen arbeitete sie als Dolmetscherin. An der Vorbereitung des ersten Wiener Ostermarsches 1963 waren sie und Thomas als Initiatoren beteiligt.

Immer wieder wurde Mia Schönfeld in Wien an das Schicksal ihrer Eltern in Jugoslawien erinnert. Das war besonders der Fall während der Affäre um den schwer belasteten Wehrmachtsoffizier Kurt Waldheim aus dem Stab des Kriegsverbrechers Alexander Löhr, der für die Bombardierung Belgrads verantwortlich war.

1972 - die KPÖ hatte ihren Zenit, ihre beste Zeit überschritten - gründete Mia Schönfeld den von der Wiener Partei mit Skepsis begleiteten Kommunistischen Kulturkreis (KKK), in dessen Rahmen viele Veranstaltungen mit Filmen, Lesungen und Diskussionsabenden stattfanden. Mit einer sachkundigen Freundin organisierte sie zum Beispiel einen Gesprächsabend über Städtebau. Die Tyrannis der kleinbürgerlichen Wiener Kulturgesellschaft war indes nicht zu durchbrechen, da sich diese wie eh und je opportunistisch orientierte.

Mia Schönfeld hat alle ihre Leistungen ohne jegliche Vergütung und ohne Applaus von anderen, auch nicht von der KPÖ, vollbracht. Sie war souverän und nicht zu korrumpieren. Das Scheitern des ersten Versuchs, in Teilen Europas eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, hat Mia Schönfeld als Marxistin ohne erkennbare Resignation zur Kenntnis genommen, ihre Ideale blieben unverändert. Das Engagement von Mia Schönfeld für die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse und für eine gerechtere und solidarische Welt sowie ihr Kampf für ein wirklich menschliches Zusammenleben, ja letztlich für kommunistische Lebensverhältnisse als Endziel war nicht spektakulär, bleibt aber wegweisend.

Die 2012 verstorbene Mia Schönfeld war eine österreichische Kommunistin, die aber nicht in der KPÖ in ihrer späteren Verfaßtheit sein wollte. Sie trug niemals ein revolutionäres Fähnchen vor sich her und war im Brechtschen Sinne eine pessimistische Optimistin.

Die Erinnerung an diese beherzte Frau und Mutter zweier Kinder möge in der im politisch-moralischen Sinne korrumpierten österreichischen Gesellschaft, in der von Konsumismus, Banalismus und Opportunismus begleiteten Kriegswelt der Gegenwart zum Nachdenken herausfordern und jene ermutigen, die auf eine bessere Zukunft menschlichen Lebens hoffen. Ihr Weg kann auch den vielen geflüchteten Frauen Kraft vermitteln, die sich innerlich bereits auf eine Rückkehr in die Heimat vorbereiten, um sich dann an deren Wiederaufbau zu beteiligen.

Prof. Dr. Gerhard Oberkofler, Innsbruck

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Konstantin Wecker ruft zum Widerstand

Gemeinsam mit den kommunistischen Parteien aus den Niederlanden, Belgien und Luxemburg beteiligte sich die DKP an einer 20wöchigen Dauermahnwache in Büchel (Rheinland-Pfalz) gegen die Lagerung und Modernisierung der US-Atomwaffen. Die Mahnwache wurde tageweise von verschiedenen Gruppen der Friedensbewegung, darunter Gruppen der DFG-VK, des IPPNW und örtlichen Friedensinitiativen abgesichert. Die DKP übernahm mit ihren Schwesterparteien den Zeitraum vom 25. bis 28. Mai. Für ein Konzert am 28. Mai hatten sie auch den Liedermacher Konstantin Wecker eingeladen. Er mußte leider absagen, schickte aber ein Grußwort, in dem es u. a. heißt:

"Dem 'Bulletin of the Atomic Scientists' zufolge verfügen die USA über mehr als 4700 aktive Atomsprengköpfe. Die U.S. Navy hat 14 atomgetriebene U-Boote mit Nuklearwaffen bestückt. Wenn auch nur eines von ihnen seine 24 Trident-Raketen abschießen würde, könnten damit alle Großstädte eines Landes dem Erdboden gleichgemacht werden. Millionen Menschen würden sterben, ein nuklearer Winter würde ausbrechen, der eine weltweite Hungerkatastrophe auslösen würde. Aber dieses ungeheure Potential reicht den USA offenbar immer noch nicht aus. Nach Plänen der Obama-Regierung sollen in den nächsten 30 Jahren für die 'Modernisierung' des Nuklearwaffenarsenals bis zu einer Billion Dollar ausgegeben werden. ('Le Monde diplomatique') Wie erklärt sich dieser Drang, immer neue Atomwaffensysteme zu finanzieren? Es ist die Gier der Atomwaffenindustrie, und es geht um exorbitante Gewinne." Gegen diesen uns alle bedrohenden Wahnsinn müsse Widerstand geleistet werden, von jedem "auf seine Weise, in seinem Bereich, mit seinen Möglichkeiten". RF

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Vom Heroismus des Rudi Arndt

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Vor 245 Jahren wurde der große englische Sozialist geboren
Die utopischen Ideen Robert Owens

Unter den utopischen Sozialisten des 18., 19. Jahrhunderts ragt besonders ein Mann heraus: der Engländer Robert Owen.

Als Sohn eines Sattlers und Eisenwarenhändlers in dem kleinen britischen Städtchen Newton am 14. Mai 1771 geboren, wurde ihm von Hause aus das kommerzielle Denken mit auf den Lebensweg gegeben. Über die Stationen einer Unterlehrertätigkeit und der Arbeit als Verkäufer in Stamford, London und Manchester avancierte er, eben zwanzigjährig, zum Direktor einer modernen Baumwollspinnerei in Manchester. Schon hier deutete sich seine sozialreformerische, humanistische Grundhaltung an, mit der er daranging, menschenunwürdige Verhältnisse in der Fabrik abzuschaffen. Er sorgte für Arbeitserleichterungen, untersagte die üblichen Rohheiten gegenüber Frauen und Kindern und sorgte sich um den Schutz der Gesundheit.

Durch seinen Schwiegervater, den Präsidenten der Königlich-Schottischen Bank in Glasgow, kam er später in den Besitz der völlig verwahrlosten Baumwollspinnerei New Lanark. Hier sah er eine Möglichkeit, seine sozialreformistischen Pläne zu verwirklichen.

Er ging von der Grundauffassung aus, daß bessere Umweltbedingungen den Menschen - wenn auch erst über Generationen hinweg - ethisch bessern müßten. So glaubte er - zunächst in New Lanark, später in Großbritannien und schließlich in der ganzen Welt - ihr Handeln zum Guten hin verändern zu können.

Owen reduzierte den Arbeitstag von 14 auf 11 Stunden, untersagte die Arbeit von Kindern unter 10 Jahren, richtete Kindergärten ein und entwickelte ein völlig neues Schulsystem, ließ für Arbeiterfamilien neue Häuser bauen, schuf eine demokratische Selbstverwaltung, entwickelte eine Art Konsum-Genossenschaft, verbesserte die maschinelle Ausrüstung der Fabrik, erhöhte die Löhne und richtete Fonds für den Unterhalt von Kranken und Alten ein. Er hatte sehr wohl erkannt, daß durch die Arbeiter der Profit der Unternehmer geschaffen wurde - und er empfand diese bestehende Ordnung als ungerecht.

"Die Leute waren meine Sklaven", stellte er fest und kam zu folgender Überlegung: "Und doch produzierte der arbeitende Teil dieser 2500 Menschen ebensoviel wirklichen Reichtum für die Gesellschaft, wie kaum ein halbes Jahrhundert vorher eine Bevölkerung von 600.000 erzeugen konnte. Ich frug mich: Was wird aus der Differenz zwischen dem von 2500 Personen verzehrten Reichtum und demjenigen, den die 600.000 hätten verzehren müssen?"

Friedrich Engels gibt in seiner Schrift "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" die Antwort auf diese Frage: "Er war verwandt worden, um den Besitzern des Etablissements 5 % Zinsen vom Anlagekapital und außerdem noch mehr als 300.000 Pfd. Sterling (6.000.000 M) Gewinn abzuwerfen. Und was von New Lanark, galt in noch höherem Maß von allen Fabriken Englands." (MEW, 19/198 f.)

Robert Owen versuchte mit seiner philantropischen Grundauffassung eine bessere Gesellschaft anzustreben. Doch in seiner idealistischen Konzeption lag schon der Keim des Zusammenbruchs seines Vorhabens, denn sie war nicht darauf gerichtet, auf revolutionäre Weise die kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse zu beseitigen. Er ging vielmehr davon aus, daß die "Sehenden", die "Befreier" des Proletariats die wirtschaftlich, politisch und geistig herrschenden Kreise sein müßten.

Diese falsche Auffassung ließ ihn sich auch nicht an die Arbeiter wenden und hier Verbündete suchen, sondern er appellierte an Könige, Fürsten, Minister und Fabrikanten und forderte von ihnen Hilfe für seine Weltverbesserungspläne. Doch dort stieß er verständlicherweise nur auf Ablehnung.

Robert Owen, durch seine fehlgeschlagenen utopischen Projekte schließlich verarmt, mußte scheitern, weil er nicht die Rolle der Arbeiterklasse erkannte und die Revolution als Mittel der gesellschaftlichen Veränderungen ablehnte. Dennoch sind seine Ideen in das marxistische Gedankengut eingegangen, zählt er zu jenen Köpfen, die Wesentliches dazu beigetragen haben, daß aus dem Sozialismus eine Wissenschaft werden konnte.

Steffen Kastner (Helmuth Hellge)

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RF-Extra
US-Weltherrschaftsprogramm bedeutet Barbarei

Nach dem Ende der Sowjetunion setzten Repräsentanten des US-Imperialismus wie US-Vizepräsident Cheney und Kriegsminister Rumsfeld im "Project for the New American Century" dessen globale Führung auf die Tagesordnung der Weltpolitik. Diese Führung sei "gut sowohl für die Vereinigten Staaten als auch für die ganze Welt". Diesen Führungsanspruch hatte, unter unterschiedlichen Herrschaftsformen, zweimal der deutsche Imperialismus erhoben - um die Ressourcen dieser Welt neu aufzuteilen.

US-Außenministerin Albright unterstrich, wie der US-Führungsanspruch verwirklicht werden sollte: "Wenn wir Gewalt anwenden müssen, dann deshalb, weil wir Amerikaner sind. Wir sind eine unentbehrliche Nation. Wir sind groß und sehen weiter in die Zukunft als alle anderen." US-Präsident Clinton leitete aus der in den 90er-Jahren grundlegend veränderten internationalen Kräftelage und dem Führungsanspruch der "unentbehrlichen Nation" die Aufgabe ab, auch das 21. Jahrhundert zu einem "amerikanischen Jahrhundert" zu machen. Er gab - wie Albright - damit zu verstehen, daß Frieden für US-Administrationen kein Wert an sich sei. Mit dem völkerrechtswidrigen NATO-Krieg zur Zerstörung Jugoslawiens und damit zur Beendigung der längsten Friedensperiode auf unserem Kontinent setzte er Maßstäbe, nach denen sich für den "Weltpolizisten" und "Weltordnungshüter" die internationalen Beziehungen künftig vollziehen sollten.

Jahrzehntelang hatte der US-Imperialismus während des kalten Krieges in der Systemauseinandersetzung um solche Bedingungen gekämpft. Mit den barbarischen Nuklearschlägen gegen Hiroshima und Nagasaki sollte gegenüber der Sowjetunion, die sich im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges wie die USA als Supermacht erwies, "ein Zeichen" gesetzt werden, wer künftig die Welt "neu ordnen" und führen solle. In den weiteren Jahrzehnten wurden vom US-Imperialismus mit neuen Kriegsverbrechen weitere derartige Zeichen gesetzt.

Der US-amerikanische Politologe John Tirman vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat nachgewiesen, daß im von den USA geführten Krieg in Korea drei Millionen Menschen starben. Im "schmutzigen Krieg" der USA gegen Vietnam verloren bis zu 3,8 Millionen Menschen ihr Leben, in Laos eine Million und in Kambodscha zwischen 600.000 und 800.000.

Das UN-Gewaltmonopol wurde vom US-Imperialismus immer mehr ausgehöhlt, das Völkerrecht wiederholt ausgehebelt. An die Stelle der in der UN-Charta festgeschriebenen Verpflichtung für alle Nationen und Staaten, "künftige Geschlechter von der Geißel des Krieges zu befreien", wurden mit neuen Kriegshandlungen bestehende Sicherheitsstrukturen zerstört.

Mit dem Ende der Sowjetunion setzte Clinton, besessen, auch das 21. Jahrhundert zu einem US-amerikanischen zu machen, mit dem völkerrechtswidrigen NATO-Krieg zur Zerstörung Jugoslawiens und damit zur Beendigung der längsten Friedensperiode in Europa Leitlinien, wie sich künftig nach Ansicht des Weltpolizisten die internationalen Beziehungen vollziehen sollten. Gorge W. Bush legte zur Durchsetzung der US-Weltführerschaft das neue Feindbild von der "terroristischen Bedrohung der Welt" auf. Es wurde zum Feigenblatt für die verkündete globale Strategie eines "weltweiten Krieges".

Zugleich wurde 2002 unter seiner Präsidentschaft mit dem "No rivals plan" die Entschlossenheit des US-Imperialismus verkündet, weltweit keinen Konkurrenten mehr zu dulden. Der US-Generalstab wurde beauftragt, in den folgenden fünf bis sieben Jahren im Irak, in Syrien, im Libanon, in Libyen, in Somalia, im Sudan und dann im Iran einen "Regime change" zu vollziehen. Die Auswahl der zu zerstörenden Staaten änderte sich. Rußland, das sich nicht zur "Regionalmacht" herunterspielen ließ, wie Obama glaubte, es einordnen zu können, erwies sich zunehmend als Großmacht auf der internationalen Bühne. Mit dem "Regime change" in der Ukraine und dem Vorrücken der NATO an die russische Grenze versucht der Westen, den östlichen Rivalen kleinzukriegen.

Fakt bleibt allerdings, daß die gegen den Irak, gegen Afghanistan und Pakistan, gegen Libyen und Syrien geführten Kriege bisher nahezu drei Millionen Menschenleben gefordert haben. Die sich in diesen Zahlen offenbarende imperialistische Barbarei, die sich bei ihren Verbrechen im Nahen Osten auf autoritäre Staaten wie die Türkei, Saudi-Arabien und Katar stützt, hinderte Obama nicht, daran zu erinnern: "Die USA werden militärische Gewalt einsetzen, wenn unsere zentralen Interessen es verlangen."

Wenn in der westlichen "Wertegemeinschaft" Politiker davon sprechen, daß mit Blick auf die mit den Neuordnungskriegen ausgelösten Flüchtlingsströme die Kriegsursachen beseitigt werden müßten, dann spielen dabei weder die Millionen und aber Millionen Todesopfer noch die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Überlebenden in den überfallenen Staaten eine Rolle. Dann geht es vielmehr um die Ausschaltung der Schieberbanden und um weitere militärische Abschottung. Mit dem Festhalten an dem neoliberalen Projekt der Weltherrschaft sollen die Völker den wachsenden, den Weltfrieden gefährdenden Spannungen unterworfen bleiben.

Und die EU? Sie befinde sich "in einem erbärmlichen Zustand", urteilen führende Politiker. Sie habe "ihr inneres Gleichgewicht verloren". Sie sei "aus der Bahn geraten". Die Flüchtlingsströme hätten "ihren erbärmlichen Zustand offengelegt". Innerhalb der Union beherrschen nationale Egoismen das Handeln der Regierungen. In Südeuropa soll mit Militär, Stacheldraht und Tränengas, mit Verweigerung humanitärer Hilfe der Zugang von Flüchtlingen zum Kontinent unmöglich gemacht werden. Humanitäre Katastrophen werden in Kauf genommen. Den Opfern der von den USA, der NATO und der EU geführten Weltordnungskriege wird Schutzbedürftigkeit, Hilfe, ja Wiedergutmachung verweigert. Der Imperialismus demonstriert mit seinen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch weiterhin sein unmenschliches Wesen.

Die EU-Mitgliedsstaaten, zumeist auch NATO-Mitgliedsstaaten, haben mit ihrer Teilnahme an den militärischen US-Interventionen Anteil daran, daß Millionen und aber Millionen Menschen in den Tod getrieben oder aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Deutschlands Dominanz in der EU greift nicht mehr wie beim Krisenmanagement. Mit Bestechungsgeldern für die Türkei und NATO-Einsätzen in der Ägäis soll der Zugang von Flüchtlingen nach Europa gestoppt werden. An die Stelle der Willkommenskultur sind Polizei, Zoll und das Militär getreten. Die deutsche Bundesregierung verschärft außerdem die Asylgesetzgebung. Sie entscheidet selbstherrlich, welches der vom Krieg betroffenen Länder künftig "sicheres Herkunftsland" sei. Sie konzentriert sich auf die Abschiebung von Asylbewerbern. Im Vorjahr wurden von deutschen Behörden über 100.000 Anträge von Asylbewerbern als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Die Bundesregierung führt mit unterschiedlichen Mitteln Krieg gegen Flüchtlinge.

In Afghanistan und im Irak geht der Krieg weiter. Neue Flüchtlingsströme sind zu erwarten, die neue Flüchtlingsrouten suchen und nutzen werden. Für über 25.000 Menschen ist das Mittelmeer bereits zum Massengrab geworden. Weitere Opfer sind zu erwarten.

Mit dieser verbrecherischen Politik wird dem Rechtspopulismus und Rechtsextremismus neuer Spielraum verschafft. In den EU-Ländern vollzieht sich ein Rechtsruck. In Deutschland erhält Fremdenfeindlichkeit, die hierzulande fürwahr keine neue Erscheinung darstellt, Auftrieb. Flüchtlingsheime gehen in Flammen auf. Rechtsradikale, Faschisten und Rassisten können ungehindert aufmarschieren - Gegendemonstranten werden behindert und verfolgt. Bei Wahlen fahren Rechtsradikale die Gewinne dieser Politik ein.

Und die USA? Das Imperium, das den Anspruch auf Führung der Welt und damit auf Führung von Weltordnungskriegen erhebt?

Die USA können in dieser Hinsicht auf eine glorreiche Tradition zurückblicken. In den vergangenen 240 Jahren, seit 1776, war dieses Amerika 239 Jahre im Krieg. In den vergangenen Jahrzehnten haben die USA mit ihren "Ordnungskriegen" ganze Regionen destabilisiert - um die Einkreisung Rußlands weiter voranzutreiben, um neue Stützpunkte mit Blick auf den späteren Hauptrivalen China zu errichten und um den Zugriff auf beträchtliche energetische Ressourcen zu bekommen und zu sichern. -

Weltweit tobten 2014 insgesamt 31 Kriege und sogenannte bewaffnete Konflikte - und das meist, um eine unilaterale Welt nach den Vorstellungen der US-Multis zu schaffen. Welche Schande: Jedes zehnte Kind in der Welt wächst heutzutage in einem Kriegsgebiet auf. In Syrien ist jedes zweite Kind ein Flüchtlingskind. Die US-Repräsentanten, die Befehlshaber für die Kriege und die Verantwortlichen für ihre Folgen betrachten die Flüchtlingsströme und die sich in Europa vollziehenden Flüchtlingsdramen aus der Zuschauerloge. Obama ist des Lobes voll für die deutsche Bundeskanzlerin. Sie habe eine "sehr mutige Haltung eingenommen". Es sei nämlich sehr wichtig, den Kriegsopfern "mit Mitgefühl zu begegnen", belehrt der US-Präsident die oberste Verteidigerin der westlichen Wertegemeinschaft in der alten Welt.

Was die Flüchtlingsfrage angehe, so habe für ihn "oberste Priorität die Sicherheit des amerikanischen Volkes". Immerhin sind die US-amerikanischen Behörden zur Aufnahme von - sage und schreibe - 10.000 Flüchtlingen aus Syrien bereit. Sicherheitshalber beschloß das US-Repräsentantenhaus mit großer Mehrheit schärfere Kontrollen für Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak. 27 Gouverneure wollen in ihren Bundesstaaten gar keine Flüchtlinge aufnehmen.

Die USA haben seit ihrer Gründung 219mal selbst Krieg geführt. Nach dem Untergang der Sowjetunion haben sie Kriege zum Alltag der Völker gemacht. 46 Prozent der UNO-Mitglieder waren an Kriegen und "bewaffneten Konflikten" beteiligt. Friedensnobelpreisträger Obama erklärt: "Führung meint eine klare Anwendung von Gewalt." Das Sterben und das Flüchten von Menschen sollen also weitergehen. "Es ist eine Art dritter Weltkrieg, der 'stückchenweise' geführt wird", warnt eindringlich Papst Franziskus. Die Barbarei marschiert.

Georg Grasnick


In einer Grundsatzrede zum Abschluß des "Waldai-Forums" 2014 in Sotschi rief Rußlands Präsident Wladimir Putin die USA und Europa dazu auf, "zur Vernunft zu kommen" und die Serie ihrer politischen Alleingänge zu beenden. Die Lösung des zunehmend chaotischen Charakters der internationalen Beziehungen sah Putin darin, ein neues System der internationalen Sicherheit auszuhandeln. Rußland sei jederzeit zu solchen Gesprächen bereit, allerdings müßten sie ernsthaft, sachlich und ohne doppelten Boden geführt werden. Rußland sei nicht an einer internationalen Sonderrolle interessiert und wolle kein Imperium wiedererrichten, distanzierte sich Putin ausdrücklich von Weltmachtbestrebungen. Allerdings beanspruche es, daß seine Argumente gehört und seine Interessen berücksichtigt würden. International müsse an die Stelle des "Spiels ohne Regeln", wie es eingerissen sei, wieder ein System verläßlicher politischer Regelwerke treten. Das sei nach 1945 mit dem Potsdamer Abkommen und ein zweites Mal im Rahmen der KSZE in den 70er-Jahren gelungen. Diese Aufgabe müsse jetzt ein drittes Mal gemeistert werden.

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Warum in der Alt-BRD der 17. Juni gefeiert wurde und warum Bodo Ramelow daran anknüpft

Wer die Geschichte erst 1989 oder kurz zuvor beginnen läßt, kann nicht anders, als gedanklich zu kurz zu springen."(1) Willy Brandts Bemerkung gilt auch für das offizielle Gedenken an den 17. Juni 1953 in der Alt-BRD. Der Fakt: Von 1954 bis 1990 wurde jenes Tages, der seine Spuren in der DDR hinterließ, mit Reden im Bundestag gedacht, die von ungezählten Medienreaktionen begleitet wurden. Der politisch interessierte DDR-Bürger hat die Medienschlacht über die Wertung des 17. Juni verfolgt, zumal, wenn er, wie ich, in die Auseinandersetzungen hineingeriet. Ich war damals Direktor der Grundschule II in Niesky und erlebte, wer die DDR weghaben wollte, und wer sie verteidigte. In Niesky wurde im nachfolgenden Prozeß nachgewiesen, daß an der Spitze der Plünderer und Provokateure alte Faschisten agiert hatten.

Seit 1953 wird kontrovers über das Geschichtsbild um den 17. Juni gestritten. Die Soldschreiber des Kapitals feierten den "Volks"- oder Arbeiteraufstand. Hauptziel war und ist es, die DDR-Politik zu verteufeln. Das geschah auch und richtungsweisend bei den staatlich verordneten Gedenkfeiern von 1954 bis 1990. Wenn nun Bodo Ramelow als "linker" Ministerpräsident den 17. Juni als staatlichen Gedenktag wieder einführen will, ergibt sich die Frage: Welche Tradition will der thüringische Ministerpräsident fortsetzen, und welche Ziele verfolgt er dabei? Ein Blick auf die Tradition der Gedenktage hilft uns bei der Antwort.

Der Leser merke auf! Das Ereignis, dessen bis 1990 in Bonn gedacht wurde, trug sich in einem anderen Staat zu, dessen Souveränität zu achten war - durch die BRD spätestens nach dem Grundlagenvertrag von 1972 und der gleichzeitigen Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO 1973. Es galt das Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten. Wie war das jahrzehntelang möglich? Warum organisierte die BRD "staatlich verordnete" Gedenkfeiern am 17. Juni?

Dietmar Schiller informierte uns über "das Verhältnis von öffentlicher Erinnerung und politischer Kultur"(2): "Die wichtigsten politischen Funktionen, die nationale Feier- und Gedenktage erfüllen sollen, sind Staatsintegration, Identifikation mit dem politischen System, Konsensstiftung, Erschaffung von Massenloyalität und Stabilitätssicherung. Die Frage ist also: Wie konnten die Feiern im Bundestag und das sie begleitende Medienecho die genannten 'Funktionen' erfüllen helfen?"

Versuchen wir, die Frage zu beantworten, wobei wir uns von Alexander Gallus helfen lassen.(3)

Das Gesetz, das den 17. Juni zum "Nationalfeiertag des deutschen Volkes" erhob, war vor allem ein Kind der SPD und Willy Brandts und trat bereits am 4. August 1953 in Kraft. Damit waren andere Vorschläge vom Tisch, z. B. den 23. Mai 1949 als Verfassungstag zu würdigen (Vorschlag Annemarie Renger) oder an den 18. März 1848 zu erinnern (Heinrich Albertz). Allerdings bestand die "Gefahr", daß der 17. Juni von vielen als zusätzlicher Feiertag genutzt würde.

Mit dem gegen den Protest der Kommunisten angeordneten Feiertag entstand ein Konflikt, der bis heute andauert. Die SPD betrachtete die "Wiedervereinigung" als höchste Priorität und verwendete ihre Interpretation des 17. Juni zunächst als politische Waffe gegen die Politik Adenauers. Die CDU deutete den 17. Juni als Bestätigung ihrer Politik der Westintegration. CDU und SPD stimmten überein: Die Westdeutschen sollten die Ereignisse als Widerstand der ostdeutschen "Schwestern und Brüder" gegen das "kommunistische Regime" und dessen "Totalitarismus" wahrnehmen. Die unterschiedlichen Interpretationen spiegelten sich auch in den Gedenkreden wider.

In den Jahren von 1954 bis 1967/68 waren die Reden am 17. Juni im Bundestag jeweils vor allem Ausdruck und Instrument des kalten Kriegs. Sie folgten der Roll-back-Konzeption, in der für die DDR keine Zukunft vorgesehen war.(4)

Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre waren vor allem Intellektuelle, darunter mehrere Historiker, Festredner: Franz Böhm (1954), der Erzkonservative Historiker Gerhard Ritter (1955), Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier (1956), der Philosoph Theodor Litt (1957), der Christsoziale Hanns Seidel (1958), der Historiker Werner Conze (1959), Ulrich Mann (1960), der Rechtsaußen Helmut Thielicke (1962), der Staatsrechtler Hans Peters (1963), der Historiker Theodor Schieder (1964) und sein Historikerkollege Karl Erdmann (1965).

Obgleich es in jeder Rede unterschiedliche Nuancen gab, darf wohl ein Satz Schieders als roter Faden der Reden der ersten zehn Jahre nach dem 17. Juni 1953 gelten: "Es muß dabei bleiben: Die deutsche Teilung hat keine Wahrheit in der deutschen Geschichte und in der Geschichte Europas, sie ist eine von außen aufgelegte Last. Sie darf sich daher auch keine Wahrheit durch Gewohnheit, Nachlässigkeit, durch Anpassung an äußeren Zwang oder durch Resignation erborgen."(5) Die Sache war für Schieder also einfach: Die Existenz der DDR widersprach der "historischen Wahrheit".

Als Theodor Schieder die Rede hielt, war die Losung Brandts und Bahrs vom "Wandel durch Annäherung" (1963) schon in die Welt gesetzt und beeinflußte in einem widerspruchsvollen Prozeß auch die Politik. Nach der großen Koalition entstand die Brandt-Regierung, die den Kurs auf Entspannung steuerte, auch gegenüber der DDR. Die friedliche Koexistenz zwischen beiden deutschen Staaten wurde auf die Tagesordnung der Geschichte gesetzt.

Mit der Ära Brandt begann eine neue Phase der Wahrnehmung des 17. Juni. Die Friedenssicherung hatte Vorrang vor der Forderung nach der Einheit. Am 17. Juni 1968, dem 15. Jahrestag des "Volksaufstands", fand kein Festakt statt. Natürlich wirkte sich die neue "Wahrheit" auch auf die Reden zum 17. Juni aus. Schon am 17. Juni 1969 trat Walter Scheel dafür ein, den "staatlichen" oder "quasistaatlichen Charakter" der DDR anzuerkennen.(6)

Das Ritual zum 17. Juni lockerte sich, z. B. fand 1973 abermals keine Gedenkveranstaltung statt, 1974 konnten sich Regierung und Opposition über die Gestaltung nicht einigen, und auch in den Folgejahren fielen die Reden aus unterschiedlichen Gründen wiederholt aus. Der Streit, ob und wie die Gedenkveranstaltungen weitergeführt werden sollten, spitzte sich zu. Das spiegelte sich auch in den gehaltenen Reden, so in denen von Wolfgang Mischnick (1975) und Helmut Schmidt (1977), wider. Schmidt resümierte, daß das Pathos der Reden der früheren Jahre bei Jüngeren eher zu Gleichgültigkeit geführt habe.(7)

In den achtziger Jahren kam es zu einer Art Renaissance der Feiern zum 17. Juni. Einer der Gründe dafür war, daß die Kohl-Regierung die Erinnerung an den 17. Juni als "staatlich verordnete" Rechtfertigung für ihre Politik brauchte, als man noch vorgab, die von Brandt vorgezeichnete Politik gegenüber der DDR fortzusetzen.

Der "Rechtsruck" der Erinnerungspolitik in Kohls Regierungszeit war unübersehbar. Redner in den achtziger Jahren waren u. a.: Johann Baptist Gradl, der sich 1989 als "Zeitzeuge" drapierte, der damalige Hamburger Bürgermeister Herbert Wichmann (1982), Ex-Bundespräsident Karl Carstens (1983), Gerhard Schröder (1984), Gerhard Leber (1985), Walter Scheel (ein zweites Mal; 1986), der aus Deutschland emigrierte USA-Historiker Fritz Stern (1987) und der Jurist Roman Herzog (1988). Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts erklärte u. a.: "Natürlich ist die DDR heute kein stalinistischer Staat mehr, natürlich gibt es heute dort die oft zitierte Identifikation mit dem Staat - wenn auch nicht mit dem System -, und das kann ja, wenn man vernünftig denkt, auch gar nicht anders sein.

Die Deutschen in der DDR betrachten diesen Staat, seinen bescheidenen Wohlstand und seine Rolle in der Welt als ihre eigene Leistung, auf die sie mit Recht stolz sein können, schon deshalb, weil ihr politisches System den Aufstieg anders als das unsere nicht gefördert, sondern ständig behindert hat. Sie hatten es also schwerer als wir, und entsprechend größer ist auch ihre Genugtuung über das, was sie geschaffen und geleistet haben."(8) Hat Roman Herzog als Bundespräsident je ähnliches gesagt? 1989 war Erhard Eppler Festredner. Eppler hielt die Rede zwei Tage nach einem Treffen zwischen Helmut Kohl und Michail Gorbatschow. Gorbatschow machte auf einer Pressekonferenz am 15. Juni in Bonn deutlich, daß eine Lösung der deutsch-deutschen Frage im Sinne einer Vereinigung nicht auf der Tagesordnung stehe. "Die Situation in Europa, die wir heute haben, ist eine Realität." Die Mauer könne nur verschwinden, "wenn jene Voraussetzungen entfallen, die sie ins Leben gerufen haben". Gorbatschow formulierte in diesem Zusammenhang lediglich die vage Hoffnung, "daß die Zeit selbst über das Weitere bestimmen wird".

Helmut Kohl mied das Thema "Wiedervereinigung". In dieser Situation sprach Eppler, der an der Erarbeitung des "Dialog-Papiers" führend beteiligt gewesen war, über den 17. Juni. Die Ereignisse vom 17. Juni 1953 berührte er nur. Schwerer wog seine Forderung nach einer vorwärtsgewandten und von überholten Begriffen geläuterten Politik. Eppler plädierte zum Beispiel dafür, die Frage des künftigen Verhältnisses beider deutscher Staaten vom Begriff der "Wiedervereinigung" zu trennen. Es gelte, deutlich zu machen, "daß wir nicht Vergangenes restaurieren, sondern Neues schaffen wollen, und zwar gemeinsam mit unseren Nachbarn". Erhard Eppler forderte vor dem Parlament, die Situation so anzuerkennen, wie sie ist und die Existenzberechtigung der DDR nicht infrage zu stellen.

Dennoch wies er all jene in die Schranken, die die Einheit des Landes schon abgeschrieben hätten. Er wandte sich aber auch gegen den Begriff vom "Verrat" in diesem Zusammenhang: "Weder hat Adenauer die deutsche Einheit noch Brandt die deutschen Ostgebiete verraten", stellte er fest und zog so scheinbar einen Schlußstrich unter den bis dahin prägenden Streit in der Bewertung der Deutschlandpolitik Adenauers und Brandts. Der Applaus aller Fraktionen des Bundestages war ihm sicher.

Die Rechtsaußen Alfred Dregger und Wolfgang Bötsch gratulierten Eppler persönlich. Die Rede Erhard Epplers am 17. Juni 1989 hätte in der DDR alle Alarmglocken schrillen lassen müssen. Eppler forderte dazu auf, darüber nachzudenken, "was in Deutschland geschehen soll, wenn der Eiserne Vorhang rascher als erwartet durchrostet".(9)

Den Schlußpunkt der Bundestagsreden zum 17. Juni setzte 1990 Manfred Stolpe. Er betrachtete sich selbst offenbar als die Personifizierung der "Opposition" in der DDR und sah den Herbst 1989 in der Kontinuität des 17. Juni und als seine siegreiche Krönung.(10)

Die Sichtweise Stolpes ist ein Grundzug der Wertungen des 17. Juni, weil sie in das Totalitarismus-Schema paßt: Die gute BRD hat gegen die böse DDR gekämpft und gesiegt.

Damit schließt sich der Kreis. Wir sind der Antwort auf die Frage näher gekommen: Warum wurde in der BRD der 17. Juni zum nationalen Gedenktag erklärt?

Er hat zur "Staatsintegration" der BRD-Bürger auf antikommunistischer Grundlage beigetragen, was dadurch erleichtert wurde, daß die vor 1945 herrschende Ideologie nicht überwunden wurde.

Er hat westlich der Elbe die "Identifikation mit dem politischen System" gefördert, indem den Bürgern die "Alternativen" Demokratie - Diktatur, Freiheit - Sozialismus suggeriert wurden.

Er hat zur "Konsensstiftung" in der politischen Klasse der BRD beigetragen und kritische Stimmen isoliert und eliminiert.

Er hat "Massenloyalität und Stabilitätssicherung" innerhalb der BRD befördert. Damit hat das Gedenken an den 17. Juni im Bundestag und in den Medien die Kriterien erfüllt, die Dietmar Schiller formuliert hatte.

Nun ist die DDR nicht mehr da, wohl aber ein Teil der Bürger, die den 17. Juni 1953 noch erlebt haben, z. T. als Akteure auf dieser oder jener Seite der "Barrikade". Um den 17. Juni wird wie schon 2003 (damals unter Eppelmanns Kommando) ein großes Gewese organisiert werden.

Warum? Damit besser "zusammenwächst, was zusammengehört"? Weil die "innere Einheit" befördert wird, wenn die Gehirnwäsche zum 17. Juni das eigene Gedächtnis und die eigene Erfahrung ersetzt? Die Organisatoren des Medienspektakels "17. Juni" sollten bedenken: Die "Opposition" von 1953 war eine Minderheit, nicht das "Volk". Das war auch im Herbst 1989 so, auch wenn mit Hilfe westdeutscher Medien die Minderheit - zeitweilig - zum Elefanten "Volk" aufgeblasen wurde. Es gibt einige bundesdeutsche Politiker und Publizisten, die sich trauen, darauf aufmerksam zu machen, daß die Erinnerung an den 17. Juni ein zweischneidiges Schwert ist. Am 17. Juni 2010 hielt Gesine Schwan die Gedenkrede(11) und fragte: "Steht uns im vereinigten Deutschland ein neuer 17. Juni bevor?

Sicher nicht. Doch daß es unter der Oberfläche gärt, kann keiner abstreiten." Gesine Schwan machte auf viele Symptome aufmerksam: "Ein Gefühl der Ohnmacht und der Ungerechtigkeit hat sich in unserer Demokratie ausgebreitet."

Ein Vergleich der Lage in der DDR vor dem 17. Juni 1953 mit der heutigen Situation könnte für Linke durchaus nützlich sein (die politische Klasse beobachtet sie genau.) Eine Frage würde lauten: Warum kommt es noch nicht zu Aktivitäten derjenigen, deren Lebenslage sich ständig verschlechtert? Es könnte Bumerangwirkung haben, wenn Streiks und Demonstrationen zu Heldentum verklärt werden, solange sie sich gegen die DDR richteten, nun aber des Teufels sind. In dieser Situation, in der die Linke den Protest artikulieren und organisieren müßte, besinnt sich Ramelow auf die bürgerliche Interpretation des 17. Juni und setzt sie fort. Er spaltet die Linke und reiht sich ein in die Division jener Ideologen, die die DDR verteufeln, um jeden Gedanken an den Sozialismus zu tilgen. Aber "Die deutsche Geschichte geht weiter". (Richard von Weizsäcker)


Prof. Dr. Horst Schneider


Quellen:

1. Willy Brandt: Dresdner Rede am 23. Februar 1992

2. Dietmar Schiller: Politische Gedenktage. Zum Verhältnis von öffentlicher Erinnerung und politischer Kultur. "Aus Politik und Zeitgeschichte", Nr. 25/1993, S. 32

3. Alexander Gallus: Der 17. Juni im deutschen Bundestag von 1954 bis 1990. a.a.O., S. 12 f.
Myriam Renaudot: Der siebzehnte Juni. In Martin Sabrow: Erinnerungsorte der DDR, München 2009, S. 332 f. Darstellungen, die der offiziellen Sicht auf den 17. Juni widersprechen und nachweisen, daß es sich damals um einen gescheiterten konterrevolutionären Putsch gegen die DDR gehandelt hat:
- Hans Bentzien: Was geschah am 17. Juni? Vorgeschichte. Verlauf. Hintergründe, Berlin 2003;
- Spurensicherung. Zeitzeugen zum 17. Juni 1953, Schkeuditz 1999

4. Texte der Reden in den Bundestagsprotokollen und in den Bulletins des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung

5. Rede Schieders in: Bulletin ... 96/1964, 20. Juni 1964, S. 896

6. Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, Bd. 70, S. 13284 B

7. Deutscher Bundestag, 8. Wahlperiode, Bd. 101, S. 2453 B

8. Bulletin ... 84/1988, S. 794

9. Alexander Gallus a. a. O., S. 21

10. Ebenda

11. Gesine Schwan: Rede zum 17. Juni 2010. "Das Parlament", Nr. 25/26, 2010, S. 15

Ende RF-Extra

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Fotografie plus Dynamit

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Hier irrte Heinrich Heine!

Seine lyrischen, satirischen und essayistischen Werke gehören zum Innigsten und Eindringlichsten der deutschsprachigen Dichtung. Die Verse von Heine wurden zum unverlierbaren Erbe der Weltliteratur. Das "Buch der Lieder" oder "Die Harzreise" machten den 1787 in einer Düsseldorfer jüdischen Kaufmannsfamilie geborenen Studenten der Jurisprudenz früh bekannt. Dennoch blieb die Existenzgrundlage des Dichters und Journalisten zeitlebens prekär. Hat Heinrich Heine doch stets allen nationalistischen, reaktionär-konservativen Obrigkeiten Widerpart geboten und erlitt dafür Exil und Ausgrenzung. Auch über seinen Tod hinaus gerät sein scharfer, streitbarer Geist allen Deutschtümlern, Antisemiten und Sozialistenfressern zum Ärgernis. Echte deutsche Patrioten mögen Heines Poem "Deutschland ein Wintermärchen" im geistigen Besitz bewahren. Vielleicht wissen auch viele von ihnen, daß der Dichter im Pariser Exil ein gerngesehener Gast und Freund der Familie Marx war. Natürlich hat sich der wache Zeitgenosse Heinrich Heine mit der Marx'schen Gesellschaftstheorie befaßt, der er quasi beim Entstehen zusah. Und Heine bejahte den Kommunismus von ganzem Herzen - so bekennt er 1855 in seinem vorletzten Lebensjahr. Doch der Dichter irrte sich, was die kulturschöpferische Kraft und Leistung der Kommunisten betrifft. "Christian Johann Heinrich Heine (...) war einer der bedeutendsten deutschen Dichter, Schriftsteller und Journalisten des 19. Jahrhunderts", belehrt uns ein Online-Lexikon. "Heine, Heinrich (...); größter dt. Lyriker des 19. Jh." steht auch in dem 1974 im VEB Bibliographisches Institut erschienenen "Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller". Jedes Schulkind kennt die sehnsüchtigen Klänge "Leise zieht durch mein Gemüt / liebliches Geläute", vertont von Felix Mendelssohn-Bartholdy, und kein Flußkreuzfahrt-Fahrgast kommt beim Loreley-Felsen um "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" herum, kein Harz-Tourist um "... du sollst deine Schmerzen vergessen, du sorgenkranker Gesell." Heinrich Heine hat das individuelle Lebensgefühl gegen Ende der romantischen Ära um 1830, die Einsamkeit der Menschenseele im Angesicht der scheinbar ewigen Natur, gespürt und verdichtet. Krankheit und Liebesschmerz, Kummer und Verlassenheit zu ertragen gehört ins menschliche Dasein, aber auch Glück und Freude. Heine gab diesem Empfinden Worte, und nicht nur das deutsche Volk, auch das russische und andere Völker lieben ihn dafür. Doch die Rezeption, das heißt die Art und Weise der Annahme und der Verbreitung des Heineschen Werkes zeigt sich überaus unterschiedlich, ja gegensätzlich. Die Trennungslinien verlaufen "klassenförmig" zwischen lyrikbeflissenem Bürgertum einerseits und fortschrittlich-revolutionären Literaturliebhabern andererseits. Nur letztere werden Heinrich Heine wirklich gerecht. Denn Heines Werk auf romantisierende Verklärung zu verkürzen, hieße den großen Dichter beleidigen. Er war auch und besonders ab den 1830er Jahren vor allem ein Aufbegehrender. Heines Geburtsstadt Düsseldorf brauchte bis 1981, um ihren "umstrittenen", das heißt revolutionär-rebellischen Sohn mit einem Denkmal zu ehren. In Berlin hingegen sitzt seit 1958 die lebensgroße Figur des Dichters (geschaffen von Waldemar Grzimek) im Volkspark Weinbergsweg mitten unter den Kietz-Bewohnern - und seit 2002 in einem Zweitabguß in Nachbarschaft der Humboldt-Universität.

Der bekennende deutsche Patriot mußte exilieren, um der preußischen Zensur und anderen Repressalien zu entgehen. Es blieb und bleibt sozialistischen, linksrevolutionären und kommunistischen Literaturfreunden vorbehalten, Heinrich Heine gebührend zu ehren, das heißt sein Werk als Ganzes zu pflegen. Unvergessen der monatelang gut besuchte bis ausverkaufte Abend um 1975 im Deutschen Theater Berlin mit Eberhard Esches Interpretation von "Deutschland ein Wintermärchen": "Wir wollen auf Erden glücklich sein, / Und wollen nicht mehr darben; / Verschlemmen soll nicht der faule Bauch / Was fleißige Hände erwarben." Den leidenden und rebellischen Heldinnen und Helden des schlesischen Weberaufstands 1844 hat Heine ein Denkmal gesetzt, das 120 Jahre später in DDR-Lesebüchern stand: "Im düstern Auge keine Träne, / sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne; / Deutschland, wir weben dein Leichentuch. / Wir weben hinein den dreifachen Fluch - / Wir weben, wir weben!" Karl Marx, damals Redakteur des "Vorwärts", veröffentlichte das Gedicht als Erster; Friedrich Engels übertrug es ins Englische und publizierte es international. Die 1848er-Bewegung und Gegenbewegung erlebte Heine mit ahnungsvoller Skepsis in Paris: "Verlor'ner Posten in dem Freiheitskriege, / Hielt ich seit dreißig Jahren treulich aus. / Ich kämpfte ohne Hoffnung, daß ich siege. / Ich wußte, nie komm' ich gesund nach Haus." Um 1855 verfaßte und veröffentlichte der bereits von tödlicher Krankheit Gezeichnete sein politisches Testament (zuerst in Französisch) im Vorwort zu "Lutetia": "Dieses Geständnis, daß den Kommunisten die Zukunft gehört, machte ich im Tone der größten Angst und Besorgnis, (denn ...) nur mit Grauen und Schrecken denke ich an die Zeit, wo (...) sie alsdann alle Marmorbilder meiner geliebten Kunstwelt zertrümmern (...) sie hacken mir meine Lorbeerwälder um und pflanzen darauf Kartoffeln (...) eine unsägliche Betrübnis ergreift mich, wenn ich an den Untergang denke, womit meine Gedichte und die ganze alte Weltordnung von dem Kommunismus bedroht ist - Und dennoch ich gestehe es freimütig, übt derselbe auf mein Gemüt einen Zauber, dessen ich mich nicht erwehren kann (...) und kann ich der (Stimme) nicht widersprechen: daß alle Menschen das Recht haben zu essen. (...) Die zweite (Stimme) ist (die) des Hasses, den ich jenem gemeinsamen Feinde widme, der den bestimmtesten Gegensatz zu dem Kommunismus bildet (...) - ich rede (...) von jenen falschen Patrioten, deren Vaterlandsliebe nur in einem blödsinnigen Widerwillen gegen das Ausland und die Nachbarvölker besteht." Nachgeborene mögen das Credo des großen Literaten mit Respekt und Nachsicht aufnehmen. Sie wissen, daß die Besorgnis, die aus der "ersten Stimme" spricht, gegenstandslos war. Denn die kulturell-künstlerischen Repräsentanten des revolutionären Proletariats haben in den vergangenen 150 Jahren Heines Lorbeerhain nicht nur gehegt und gepflegt, sondern ihn bereichert mit wirkmächtigen Werken der Dichtkunst, mit bleibenden Tonschöpfungen, Bildern und Bauten. Die zweite warnende Stimme sollte recht behalten: Sozialisten und Kommunisten sind zum Widerstand gegen Nationalismus, Völker-und Rassenhaß berufen - heute notwendiger denn je.

Marianne Walz

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Rudi Kurz: Hamlet im Mai (Teil 2)

Die Manns flüchteten wie viele andere in die Emigration, und Gründgens machte eine Riesenkarriere mit einem spektakulären Mephisto und seinem unerschöpflichen Talent für Theater und Kino, das er der neuen Welt eitel zur Verfügung stellte.

Die schwärzeste Zeit der deutschen Geschichte hatte begonnen. Es wurden Bücher verbrannt und Menschen gejagt, Waffen geschmiedet ohne Ende und Juden vergast, Länder überfallen, in Trümmer gelegt und deren Völker versklavt.

Auch mein Hamlet-Traum war gestorben. Die Rollen, die ich mir inzwischen im Schauspielstudium erarbeitete, waren Max Piccolomini, der Romeo, Franz Moor und andere. Ich konnte nicht ahnen, daß das Schicksal nach diesem furchtbaren Krieg noch einen Pfeil für mich im Köcher hatte.

Ich erinnere mich mit Entsetzen daran, daß mir der kleine Globus in der ersten Zeit des Krieges Orientierungshilfe war bei der Registrierung der eroberten fremden Länder, die uns nichts, aber auch gar nichts getan hatten. Alles, was hier geschah, zum Himmel schreiendes Unrecht und Verbrechen, kaum zählbare Millionen von Toten, wurde zur untilgbaren Schuld Deutschlands. Der ach so grüblerische und tiefsinnige Deutsche erfüllte hier seine vaterländische Pflicht als treuer Patriot und tapferer Soldat. Bis zum bitteren Ende. Wie auch ich. Zwölf Jahre Schande lasteten auf unserem Land und auf denen, die das Unrecht nicht nur geduldet, sondern gläubig mitgetragen und so auch mitzuverantworten hatten.

Dann kam der 9. Mai 1945, der erste Tag des Friedens. Wundervolle Morgenstille. Kein Schuß mehr, kein Kanonendonner, kein Kriegslärm. Nur das Schlurfen Vieltausender müder Stiefelsohlen. Ausgezogen, die Welt zu erobern, trotteten wir in Zehnerreihen in eine ungewisse Zukunft. Nach der monatelangen Einkesselung durch die Rote Armee ausgehungert, deprimiert und mutlos. Lähmende Ungewißheit. Tief in mir das Geburtstagsglück des Wiedergeborenseins, überdeckt von der Angst vor dem Kommenden.

Franz Fühmann, der später bekannte Dichter, sagte: "Sie schlagen uns tot. Was sollen sie anderes mit uns machen? Sie werden uns doch nicht füttern und dann laufen lassen. Wir haben doch nichts anderes verdient!"

Sie schlugen uns nicht tot. Sie haben ihr Brot und ihre Suppe mit uns geteilt. Sie ließen uns aber auch nicht laufen, sondern wir mußten erst einmal unseren Tribut zollen, wenigstens einen Teil der totalen Zerstörungen und Ausplünderungen wiedergutmachen.

Eingesetzt wurden wir überall, wo es am dringendsten war. Trümmer beseitigen und Wiederaufbau von Industrie, Bergbau und Landwirtschaft.

Ich war in der Anfangszeit beteiligt an der Wiederherstellung eines riesigen Zementwerks im Norden Lettlands. Trotz einer gewissen Einsicht in den gerechten Ablauf der Ereignisse stand im Zentrum unseres Bewußtseins immer noch die Angst um unser eigenes Schicksal. Alle Fragen nach unserer möglichen Heimkehr wurden mit einem beruhigenden "skoro" (bald) beantwortet. Daß es fünf oder gar mehr Jahre werden würden, lag in der Luft. Gegen die immer mehr um sich greifenden Depressionen wurde eine kleine Gruppe von Einsichtigen gebildet, die Vorträge, Lesungen und improvisierte kleine Programme gestaltete, an denen ich mich intensiv beteiligte.

Es fanden sich auch einige Schauspieler wie Rainer Blum vom Berliner Gärtnertheater, Erwin Laurenz, Komiker aus Köln, Wolfgang Luderer, junger Schauspieler aus einer bekannten Weimarer Theaterfamilie, Kurt Kisbye, Maler und Bühnenbildner aus Hamburg, Martin Ritzmann, der spätere legendäre Tenor der Staatsoper, Alwin Schock, Bariton und Bruder des weltbekannten Rudolf Schock, Gustl Zorn, Komiker und Theaterallrounder aus Sachsen. Dazu kam als Regisseur unser Mentor, der Drehbuchautor Herman Loeb, der in der Nazizeit unter einem Pseudonym Filme für die UFA schrieb. Zwei oder drei begabte Laien und einige Musiker mit ihren Instrumenten vervollständigten unsere sogenannte Kulturgruppe.

Wir bastelten nach der anstrengenden Tagesarbeit bis in die Nächte an der Qualität unserer Programme. Aber mehr oder weniger blieb es bei Estraden, bunten Abenden oder heiteren Schwänken ohne tiefere Inhalte. Es näherte sich der nächste 8. Mai, der erste Jahrestag der Kapitulation des Nazireichs, wie wir den Tag noch bezeichneten.

Walter Flagge, unser Antifa-Mann, überbrachte Wunsch und Vorschlag der sowjetischen Lagerleitung nach einer würdigen Kulturveranstaltung für die deutschen Kriegsgefangenen zum Tag des Sieges der Sowjetarmee. Wir waren ratlos. Wir hatten kein Material für solcher Art Programme.

Eine Nachfrage am sogenannten roten Brett brachte diese dürre Ausbeute: Teile von Faust II, der Cornet von Rilke und zwei Gedichtbände von Storm und Hölderlin. Der Rest war Naziliteratur. Ein Nachzügler brachte ein zerfleddertes schmutziges Reclam-Bändchen, von dem die erste Hälfte herausgerissen war und die letzten beiden Schlußseiten fehlten. Es sah aus, als ob es für hinterlistige Zwecke oder für das Rauchen von Machorka gebraucht worden sei. Die feste Seite mit dem Buchtitel war noch vorhanden. Es war eine deutsche Übersetzung von William Shakespeares "Hamlet". Klägliches Überbleibsel eines großen Dramas. Nichts als ein jämmerlicher Torso. Nach einer langen Nacht der Überlegungen, der Abwägung und des vehement vorgetragenen Für und Wider fiel die Entscheidung. Mit einer Gegenstimme. Die Zeit drängte, und schon in der nächsten Nacht wurde die Besetzung genauso heiß und widerspruchsvoll durchgepeitscht.

Wem traute man diese Paraderolle zu, die nur zu einem Drittel vorhanden war? Und dazu ohne Ophelia und den berühmten Schicksalsmonolog ...

Wer hatte die Ausstrahlung dieses jungen Prinzen, der, gerade aus Wittenberg vom Studium kommend, den Mord an seinem Vater rächen sollte und wollte? Der "... von Zweifel und des Gedankens Blässe angekränkelt" trotzdem seinen inneren Auftrag klug und wohlüberlegt durchzuführen imstande war. Der aber auch - sein Land retten wollend - sehenden Auges und brennenden Herzens, nur Unglück verbreitend, alles mit sich reißend, in seinen eigenen Untergang rast.

Und das alles in dem berühmtesten Theaterstück der Welt, von dem nur das letzte magere Drittel vorhanden ist.

Wir Komödianten waren inzwischen im Lager bekannt wie die sprichwörtlichen bunten Hunde. Wer sollte sich der Blamage und dem Spott der hartgesottenen Landser aussetzen, die sich unvermittelt und plötzlich einem Bruchstückchen Kunst ausgesetzt fühlten, mit dem sie nichts, aber auch gar nichts zu tun hatten? Die Besetzungskeule traf mich wie ein Donnerschlag. All mein Jammern und Wehren nutzte nichts. In der nächsten Nacht begannen die Proben.

Der Komiker Laurenz spielte die Königin, meine Mutter. Gustl, unser Clown, den Priester und den ersten Totengräber, Luderer meinen Widerpart Laertes und Martin Ritzmann den mörderischen Stiefvater. Rainer Blum, der einzige, der das Zeug zum Hamlet hätte, war über 50 Jahre und zu alt für den dänischen Studenten. Er spielte meinen Freund Horatio.

Die Proben fanden nachts auf der von Kisbye eingerichteten kleinen Bühne des riesigen Speisesaals statt. Kostüme, Perücken, Fecht-Rapiere und Handrequisiten lieh unser weiblicher Kulturoffizier irgendwo in der Nähe aus. Mit jedem Tag stieg unsere Erregung, unser Lampenfieber.

Die Generalprobe dauerte bis gegen 5 Uhr in der Früh, und ab 6 Uhr donnerten die scheppernden Lautsprecher mit Marschmusik, Siegeshymnen und Klassikerdarbietungen den ersten Jahrestag des Sieges ein, den 9. Mai des Jahres 1946. "Prasdnik" war für alle - Feiertag. Wir brauchten nicht zur Arbeit, und es gab doppelte Essenrationen.

Nachmittags sollte die offizielle Feier beginnen. Wir glaubten fest daran, daß sich das Programm sehen und hören lassen konnte.

Fortsetzung folgt

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Lutz attackiert das Computersystem der Welt
Schreck in der Abendstunde

Bin ich damit gemeint? Falls ja, wieso weiß ich nichts davon? Wer oder was lenkt mich, während ich zu schlafen vermeine? "Dös reißt mi, wie an olten Zauberer!"

Keine Ahnung, wo ich diesen wienerischen Satz her habe. Aus einem Raimund-Zaubermärchen oder einer Nestroy-Posse? Oder nur von dem alten Theatermimen, der mir erzählte, daß er ein knappes Jahr lang die Rolle eines Zauberers spielen mußte, dessen "Schwebende Jungfrau" in anderen Umständen war und eines Tages wirklich schwanger wurde - und er zum Vater?

Es riß mich also, wie es einen herumreißt, der seinen Vornamen im Radio hört und noch dazu in kriminellem Zusammenhang und sich kurz darauf doch wiederum ins Fäustchen lachen möchte, als der Sprecher sagte, daß die Website des amerikanischen Geheimdienstes CIA von Hackern angegriffen wurde und deshalb gegenwärtig nicht zu erreichen sei.

Die Geschichte passierte Mitte Juni 2011. "Tango down - cia.gov - for the lulz" lautete die kurze Meldung, die der "Mikroblogging"-Dienst "Twitter" gegen Mitternacht mitteleuropäischer Sommerzeit bekanntgab. Und tatsächlich war die CIA-Seite nicht mehr erreichbar, wie der US-Branchendienst CNET meldete. Was also nun - Lutz oder Lulz? In den deutschen Druckmedien war danach immer nur von "Lutz Security" zu lesen, übernommen wahrscheinlich von der englischsprachigen Meldung unter der Zeile "Lutz Security and lack of transparency". Die "Lutz-Sicherheit und der Mangel an Transparenz". Und weiter in der Übersetzung des englischen Texts: "Vor mehr als anderthalb Monaten begannen übermütige Spaßvögel von Lutz Security ihre Bemühungen, dem Computersystem der Welt verheerenden Schaden zuzufügen. Heute wurde diesem Anarchistenfeldzug ein abruptes Ende bereitet." Datum der Meldung: 30. Juni 2011.

Da wollte ich Genaueres wissen, zumal es mit dem "abrupten Ende" offensichtlich nicht funktioniert hat; denn schon am 28. Dezember 2011 - zum Jahresausklang gewissermaßen - meldete der Sprecher des Chaos-Computer-Clubs, Andreas Bogk, um 14 Uhr 07, daß die Firma Strategic Forecast, zuständig für Analysen zu Krisengebieten der Gegenwart und Zukunft rund um den Globus, kurz "Stratfor" genannt, über Weihnachten Opfer eines Angriffs der Anonymous-Bewegung geworden sei. Das "Handelsblatt" schreibt dazu, daß in den Medien das Unternehmen als "Sicherheitsfirma" bezeichnet wird. Allerdings sei auch von einer "Denkfabrik" die Rede. Die Bezeichnung "Think tank" fiel. Da mußte einem doch gleich Herr von und zu Guttenberg einfallen, der in den USA Kontakt zu einer Think-tank-Gruppierung hält, mit hochrangigen Mitgliedern wie Henry Kissinger zum Beispiel. Und auch hierbei war mit den Anonymen noch einmal Lutz Security angeführt. Eine Verwechslung offenbar mit Lulz, von der gesagt wird, daß sie eine zwar kleine, aber effektive Splittermannschaft der Anonymous Group sei, die auch das FBI attackiert habe.

Lulz wie Sulz. Sogar Langenscheidts Taschenwörterbuch kann mir nicht helfen. Nach einigen Suchbemühungen fand ich heraus, wofür das Motto "for the lulz" steht: "Für das Gelächter!" Die Großen und Mächtigen dem Gelächter der Welt preisgeben. Die Bewacher und Bewahrer der Hochfinanz, die kraft ihres Geldes ohnehin schon so gut wie alles kontrollieren und auch das weltweite Computernetz voll in den Griff bekommen möchten (soweit sie es nicht eh schon haben), nicht nur lächerlich zu machen, sondern auch noch finanziell schmerzhaft zu treffen.

Und damit rutschen die hochintelligenten jungen Burschen in die Maschen des Gesetzes. Als Robin-Hood-Streiter, von den finanziell Kleingehaltenen bejubelt, hatten die Lulz-Leute beim unzureichend geschützten "Stratfor"-Unternehmen über geschickte Netzmanipulationen Kreditkartendaten erbeuten und damit eine Million Dollar abbuchen und als Weihnachtsspende verteilen können.

Wer nach "Lutz Security" im Internet auf Suche geht, wird bei Lutz Donnerhacke landen, einer seriösen Firma für Sicherheit mit Sitz in Jena, und einiges über Philipp Zimmermann erfahren, den Erfinder von Pretty Good Privacy (PGP), sowie über das Programm, das der mit diesem Schutz versehenen elektronischen Post "eine Eigenschaft verleiht, die sie sonst nicht hätte: Vertraulichkeit". Schließlich sei es leider so, daß jede Nachricht auf dem Weg zum Empfänger mehrere Knotenpunkte durchlaufe und jeder dieser Knotenpunkte neugierigen Spezialisten die Möglichkeit biete, diese Texte mitzulesen. "Politiker, Vorstandsvorsitzende, Finanziers, Rechtsanwälte: alle, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen, brauchen ein PGP!" Der Werbeslogan gefällt mir! Grips und Humor gehörten schon immer zusammen.

So darf als sicher gelten, daß Journalisten, die ihre Informanten schützen wollen, ihre Texte PGP-verschlüsselt auf die Reise schicken; denn "Pretty Good Privacy" - die "recht gute Privatsphäre" - sei eines der derzeit sichersten Verschlüsselungsprogramme, das jahrelang der US-Administration die Stirn geboten hat.

"Ich unterstütze es", schreibt Phil Zimmermann, "wenn irgendwo die Notwendigkeit besteht, zu versuchen, die Balance der Macht zugunsten der Machtlosen zu ändern." Menschenrechtlern nütze das Verfahren schon lange. Auch "Amnesty International" bediene sich dieser Technik.

"Keine Bange, auch wir schlafen nicht!", sagen Vertreter der CIA und der NSA (National Security Agency). "Wir knacken inzwischen auch starke Verschlüsselungen!"

Phil Zimmermann bezweifelt das: "Der Rechenaufwand, um einen 128-Bit-Schlüssel zu enttarnen, ist immer noch astronomisch. Bei Schlüssellängen von 2000 Bit, wie gegenwärtig bei PGP empfohlen, ist jede Hardware chancenlos. Selbst wenn sie Rechner hätten, die eine Million Mal schneller wären als jene, die heute als machbar gelten, hätten sie immer noch nichts!"

Das klingt schon verdammt nach Cyberwar. Und ich mit meinem Vornamen unverschuldet mittendrin!

Lutz Jahoda

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Der Kabarettist als Aufklärer

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Der kleine Fuchs und die Smombies

Alle zwanzig Jahre, sagte mein Lehrer, verdoppelt sich das Wissen der Menschheit. Das wird wohl so sein.

Jeder hat die Möglichkeit, aus diesem Fundus zu schöpfen, sich weltweit über Gentechnik, Quantenphysik, Gravitationswellen zu informieren. Wenn ich verstehe, verinnerliche, mich mit anderen austausche, kann daraus ideeller Reichtum werden.

Über das Wachsen von Moral und Benehmen hat mein Lehrer in diesem Zusammenhang nichts erwähnt. Alle wollen mitreden über Moral und Ethik, Toleranz und Humanismus. Doch die Gefahren, die von missionierenden Moralaposteln ausgehen, wenn sie den Menschen ihre Weltsicht im wahrsten Sinne des Wortes um die Ohren schlagen, darf man nicht unterschätzen. Auch in diesen Fragen sind das eigene Denken, sind Austausch und Erfahrung gefragt.

Menschen drängen und schieben in die U-Bahn, zwischen meinen Füßen kauert der kleine Fuchs. Niemand sieht ihn, denn die Leute starren stehend oder sitzend unentwegt auf ihr Smartphone. Beim Halt springt ein junger Mann im letzten Moment von seinem Platz auf, rempelt eine schwangere Frau an, beschimpft sie, sie steht ihm im Weg. Hätte er ihr nicht seinen Platz anbieten können?

Ein Kind greint in seinem modischen Buggy. Die Mutter sieht unwillig vom Mobiltelefon auf, greift in die Handtasche, zieht ein zweites Handy heraus, schaltet ein und drückt es dem Kind in die Hand, Stille. Ich fühle mich fast so schlecht wie vor zehn Jahren, als ich sehe, wie eine Mutter ihr weinendes Kind mit Füßen stieß. Damals habe ich eingegriffen, heute traue ich mich nicht. Ich kann ihre Reaktion nicht einschätzen.

An der nächsten Station steigt sie aus, eine Hand bedient das Smartphone, mit der anderen schiebt sie eilig die Sportkarre zum Fahrstuhl. Gut daß es den jetzt gibt und daß er auch funktioniert. Mit Hilfe anderer könnte sie kaum rechnen, wenn sie den Wagen über die Treppe bugsieren müßte. Jeder Smombie(*) würde sie stehen lassen. Der meint das nicht so, er sieht sie nur nicht. Er starrt auf sein hochintelligentes Technikwunder.

"Ist das Smartphone ein böser Traum, der die Menschen gefangen hält?", fragt der kleine Fuchs.

"Mir scheint, eine böse Fee hat den Menschen eine Haut übergestreift und ihre Sinne gefangen, um sie aus der realen Welt wegzulocken," antworte ich, "sie reden nicht mehr miteinander."

"Was ist zu tun?"

"Ich weiß es nicht, Warnschilder und Verbote helfen nicht."

"Ich erfinde eine App, die auf Denkzwerge, Smombies und Tastenhengste einen hackenden Raben ansetzt", lacht der Fuchs.

"Mit einer solchen App ist das Problem nicht zu lösen, dazu muß ja schon wieder das Smartphone herhalten", reagiere ich.

Zu Hause fange ich an zu grübeln.

Ist die Skepsis gegenüber solchen Geräten nur eine Frage, welche die Älteren umtreibt? Könnte man die Dinger nicht einfach abschaffen? Die Menschen würden wieder Briefe schreiben, direkt miteinander sprechen, einander zuhören. Andererseits kann man mit einem Smartphone jeden anderen Nutzer auf der Welt erreichen und sich mit ihm in Verbindung setzen. Das kleine Wunder ist Computer, Bildschirm, Wiedergabegerät, Kamera und Mobiltelefon in einem.

Eine schwarz gekleidete Frau mit brennenden Augen hockt plötzlich auf meinem Bett und sagt böse: "Ich bin die Fee, von der du glaubst, daß sie die Menschen in eine Haut gesteckt hat, um ihren Abstand voneinander zu vergrößern. Bist Du wirklich so naiv, mir nicht mehr zuzutrauen? Meine Kraft ist märchenhaft gewachsen. Ich habe heute ganz andere Möglichkeiten. Ich muß mich nicht darauf beschränken, die Bewohner eines Schlosses in einen hundertjährigen Schlaf zu versenken. Wenn ich will, schicke ich eine Smartphonebolie über die Menschen und zwinge sie, mir wie eine Herde Schafe zu folgen, meinen Befehlen zu gehorchen."

Bestürzt starre ich sie an, und bevor ich reagieren kann, schnipst sie mit den Fingern: "Fuß, Fuß!" Plötzlich sehe ich, wie meine Finger schrumpfen, sich verdicken, verformen, behaaren, zu Fuchspfoten werden. Jetzt deutet sie noch mit Gemurmel auf mein Smartphone. Es schnellt vom Nachttisch, ich hinterher und wie ein Fuchs im Maussprung auf das Gerät. Packen kann ich es, aber mit den neuen Vorderfüßen läßt sich nicht einmal der Notruf bedienen.

Entsetzt fahre ich aus dem Schlaf. Meine Hände sind schweißnaß, Menschenhände - keine Pfoten - Erleichterung. Ich richte mich auf, taste nach dem Smartphone und halte mitten in der Bewegung inne.

Auf den technischen Fortschritt möchte ich nicht verzichten. Muß ich mich deshalb völlig auf den Bildschirm fixieren, statt die Kontakte zu echten Freunden zu pflegen?

Liegt es am Smartphone, wenn seine Nutzung zur Isolation des Menschen führt?

Es ist an der Zeit, nachzudenken.


* Wer nur noch auf sein Smartphone starrt und von seiner Umwelt nichts mehr mitbekommt, ist ein "Smombie". Die Wortschöpfung ist eine Kombination aus Smartphone und Zombie - ein "Jugendwort" des Jahres 2015.

Edda Winkel

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DDR-Alltagsgeschichte

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Über Kriegs- und Friedenslieder

Ende Dezember 1932 geboren, also noch vom allerletzten Aufgebot der Weimarer Republik, erlebte ich den Bombenterror in Berliner Luftschutzkellern. Ich erinnere mich des unablässigen Heulens der Sirenen und der schlotternden Angst, die ihr Klang auslöste, aber auch der auf die Roste vor den Fenstern des "Luftschutzkellers" unseres von Bomben getroffenen Hauses herunterstürzenden brennenden Trümmerteile. Damals sang der Nazinachwuchs aus der Hitlerjugend das vom Größenwahn geprägte Lied mit dem Refrain: "Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Trümmer fällt, denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt." Obwohl im Text eigentlich nur von "hört" die Rede war, brüllte man in den Marschkolonnen der HJ immer nur "gehört".

Als endlich Frieden einzog und bei uns im Osten mit dem Wiederaufbau begonnen werden konnte - allerdings ohne Marshallplan-Hilfe - war ich, der Sohn eines Berliner Kommunisten und einer aus dem Rheinland stammenden Mutter, die immer SPD gewählt und erst im März 1933 erstmals ihr Kreuz bei der KPD gemacht hatte, sofort dabei, als etwas Neues entstehen sollte. Am 7. Oktober 1949, in der Geburtsstunde der DDR, saß ich als wohl jüngster Zuschauer im Steinsaal des späteren Hauses der Ministerien und konnte beobachten, wie mein Vater als Mitglied der Kulturbundfraktion der Provisorischen Volkskammer gemeinsam mit Arnold Zweig und Viktor Klemperer dem ersten DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck per Handzeichen seine Stimme gab.

Damals eroberte das Lied von der kleinen weißen Friedenstaube die Herzen aller. Ein anderer Text begann mit den Worten: "Das neue Leben muß anders werden als dieses Leben, als diese Zeit ..." Und zum Neubeginn gehörte die von Johannes R. Becher und Hanns Eisler geschaffene Hymne der DDR. Mit Inbrunst sangen wir deren Worte: "Glück und Friede sei beschieden, Deutschland, unserm Vaterland". Und auch davon, daß dieses Deutschland allen Völkern die Hand reiche, war hier die Rede.

Solange es das Vaterland DDR für mich und viele Millionen andere Deutsche gab, blieb der Krieg eine in die Schranken gewiesene Drohung. Als es dann aber nach 40 Jahren des Bestehens und Widerstehens vom Deutschland des Kapitals verschlungen wurde, näherte sich auch in Europa die Ära des langen Friedens ihrem Ende.

Jene, die ihre Geschwader im Verband der Air Force aus Übersee erst gegen Jugoslawien und dann gegen Afghanistan aufsteigen ließen und inzwischen nicht nur dort beim blutigen Geschehen weiter mitmischen, hatten ganz andere Lieder im Sinn und auf den Lippen als wir - die vom Grauen des 2. Weltkrieges geprägten Überlebenden, welche dem Bombenhagel gerade noch einmal entronnen waren. Lieder widerspiegeln Hoffnungen und Sehnsüchte, Trauer und Schmerz. Sie sind Ausdruck der seelischen Verfaßtheit von Menschen. Sie werden von unter humanen wie inhumanen Bedingungen Lebenden gesungen und offenbaren das moralische Gepräge ihrer Zeit.

Zwischen Kriegs- und Friedensliedern liegen Welten, klaffen Abgründe. Da ist es doch kein Wunder, wenn ich bekenne, Jahrzehnte nach dem Untergang der DDR bei Becher und Eisler geblieben zu sein. Ja, Glück und Frieden sei beschieden, Deutschland, unserm Vaterland. Alle Welt sehnt sich nach Frieden, reicht den Völkern eure Hand!

Klaus Steiniger †

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Nun mußte er uns verlassen. Mitten in der Arbeit, die er selber leisten wollte, zu der er angeregt hat: Uns, seine Mitstreiter, seine Genossen und Kollegen, die mit ihm am "RotFuchs" arbeiten durften, den er sich ausgedacht hatte und dem seine Lust und Liebe galt.

Meine Zeit der Zusammenarbeit mit ihm kam spät, aber noch früh genug, um zu bewundern, was der jung gebliebene Kopf dem mahnenden Körper abverlangte.

Auch, wieviel neues Wissen er dem Schatz seiner Erfahrungen und Kenntnisse täglich zuführte, weil er für nötig hielt, sein Denken abzusichern. Er las täglich Zeitungen in mehreren Sprachen, weil er es konnte. Weil er es konnte und anderes fürchten gelernt hatte, zwang er sich, belehrbar zu bleiben, obwohl die Ereignisse in der Welt auch ihn manchmal zu eherner Ansicht zwingen wollten.

Rote Nelken sind angemessen. Eine weiße Rose soll meinen, daß die Gedanken, die auch seine waren, nicht zu Ende gelebt sind, die Arbeit nicht getan ist. Da wir sie aufgreifen und versuchen, sie weiterzuführen, werden wir ihm gerecht.

Klaus Steiniger ist der Anfeindung seines Körpers erlegen, während der Geist sich noch sowohl in der künftigen wie der anliegenden Arbeit befand - ohne die er nicht zu denken war. Immer im Vorgriff, immer im Nach-Denken, denn das schon Gesehene war selten das Bild, das sich ihm zur Zufriedenheit ergeben hat.

Nicht die Persönlichkeit hat aufgegeben, sondern das Vergängliche an ihr, dem auch die Ärzte nicht länger beikommen konnten. Er wußte das und wurde immer drängender und eiliger. Jede Zuarbeit hätte er am liebsten immer schon vorgestern gehabt und geprüft. Auf seine Genauigkeit konnte man sich verlassen.

Er war ein guter Zuhörer, wenn sich dafür einen Augenblick lang Zeit fand. Nun hätte ich ihm nicht gerade ein neues Gedicht angeboten - davon verstand er weniger -, aber einen ungenauen Gedanken, dem ich allein nicht aufhelfen konnte, den brachte ich schon zur Sprache und ließ mir von ihm helfen, ihn einzuordnen. Aber meist stand neben der Weltpolitik und ihren jüngsten Entäußerungen doch das Blatt zur Debatte. Was nicht zu ihm hinführte, stahl ihm nötige schmale Zeit, und er ließ sich das immer anmerken.

Für das Leben der Menschen in dieser zunehmend gefährlichen Welt hatte er seinen Traum: Es ist zu schaffen, sie werden zu bleibender Vernunft kommen, sie können doch nicht ... Gerade sie, die von den Nazis Verfolgten, und er wie sein Vater gehörten ja dazu, konnten von dieser Vision nicht lassen: Eine friedliche Erde und auf ihr eine vorstellbare Ewigkeit schaffen, die Frieden heißt: den Menschen allüberall, dem Meer und den Himmeln, wie für das Buch, das aufzeichnen und verkünden soll, wie es gewesen ist, und wie es zu schaffen war.

Es ergäbe ein zu Herzen gehendes Sachbuch über die Politik der Jahrtausende. Mit allen Fakten sowie gerechter Verteilung der Zensuren an alle, die dabei waren, ruhmreich oder schuldhaft. Und eins darüber hinaus über den einzelnen, der sich aus der Feigheit erhob, widerstand und überlebte und nun ins große Buch eingetragen wird, ohne Fesseln, ohne Festgewand.

Schwärmen war nicht seine Sache, aber wenn er von den Kindern, den Enkeln und Urenkeln, von seiner Familie sprach, den Reisen mit Bruni oder der Vorfreude auf das zu erwartende jüngste Enkelkind, dann war da Liebe und Stolz und immer auch das schlechte Gewissen über alles Versäumte. Wenn er früher den Koffer aufmachte, Geschenke verteilte, ihn dann schloß und für oft lange Zeit wieder unterwegs war. Er hat fast die ganze Welt gesehen und über sie berichtet. Fotos und Bücher weisen das aus. Er war stolz auf Freundschaften mit berühmten Leuten, politischen Gestalten, die jeder kennt, oft nicht so gut wie er.

Aber die tiefste Lebenswurzel war die Bewahrung von Liebe und Stolz auf seinen Vater. Peter Alfons Steiniger, man lese nach, wer er gewesen ist und warum ihm der höchste Orden der DDR verliehen wurde. Der allerhöchste ist aber die Liebe des Sohnes, der ihm bis zum letzten Atemzug zu danken wußte, daß Vater und Sohn flüchten konnten, sich verstecken und am Leben bleiben, was die Nazis nicht vorgesehen hatten. Der Vater, die Lichtgestalt.

Der Sohn hätte seinen Kindern gern noch jene Orte, jene Verstecke gezeigt, in denen ihnen Menschen geholfen haben, die Nazis zu überleben.

Aber nur Antifaschist zu sein, das hätte Steiniger nicht ausgereicht. Da war mehr zu leisten, als Vergangenes zu bewältigen. Sein Traum war die so schwierig zu schaffende Nähe aller im weitesten Sinne fortschrittlichen Menschen, über mögliche Grenzen unterschiedlicher Sicht auf Details hinaus. Ob die friedfertigen Menschen in die Kirche gingen, ob sie die Klassiker im Detail anders auslegten, Nahziele erstrebten, die ihm nicht so wichtig schienen, das war zu übersehen. Wann immer wir länger als für die anliegende Arbeit nötig miteinander sprachen, war dies sein dringendster Wunsch: die Arme weiter zu öffnen und in der Bemühung um den Frieden immer mehr Menschen für dieses Ziel zu sammeln. Keinen Druck auszuüben, bedingungslos zu sein für Gutwillige. Er bezog Kundige, Verbundene, Gleichgesinnte wie Suchende ins Werk hinein, in die Überfülle der Arbeit.

Aber nicht, ohne das Eigene wie das Zugearbeitete immer wieder streng zu prüfen: auf falsch Verstandenes, auf Idealismen, falsche Zitate, falsche Zuordnungen.

Dabei ging es nie darum, seine vorige, seine persönliche, auch immer wieder überprüfte Meinung zu verbreiten. Dafür rühme ich ihn: Wenn es nicht nachweisbar falsch war, konnte es anders sein, als er dachte. Er hätte das vielleicht so nicht gesagt, aber du durftest das so sagen. Manchmal habe ich genau deswegen etwas verändert, weil er es mir so großzügig zugestand und ich doch wußte, daß es noch nicht zu Ende gedacht war.

Der letzte ausgetauschte Gedanke ist nicht zu Ende gedacht, das letzte Gespräch abgebrochen, nicht beendet. Was können wir tun? Wir rücken näher zusammen und übernehmen trotz Überfüllung des eigenen Alltags jeder einen Teil. Ohne daß wir uns da täuschen: der kritische, aufmunternde und einwendende Blick von Klaus liegt noch auf uns.

Ich hätte ihm gern noch mein neues Buch gezeigt, ziemlich sicher, daß er darin blättern und kaum Zeit finden würde, es zu lesen. Ich wollte versuchen, sein Porträt zu schreiben und darin unterzubringen, daß er der jüngste Staatsanwalt der DDR war, und wie gut es ihm stand, wofür er rausgeschmissen wurde. Ich wollte gern noch einmal von ihm hören, daß ich auf keinen Fall aufhören soll, für den "RotFuchs" zu schreiben - und habe es gehört.

"Er wollte gern vorher so leben, daß er seinem Tod viel Arbeit macht."

Das hat er geschafft.

"Hat ein Mensch gelebt, bleibt uns seine Spur/denen, die ihn liebten, und nicht denen nur ..."

Das Beste, was seine Familie für ihn tun konnte: Sie haben ihn neben den Vater gelegt. Dort ist er gut aufgehoben.

Erinnern, und sei es nur, daran zu denken, wie mutig es war, nach Hiroshima zu reisen. Oder, was er empfunden hat, als er in Vietnam an einer Stelle stand, von der die Amerikaner behaupteten, sie seien eben dort von einem Kriegsschiff angegriffen worden.

Dieses Begreifen, daß es eine Lüge sein muß, daß sich dort kein Kriegsschiff aufgehalten haben kann, höchstens ein Fischerboot.


Ich kannte Klaus Steiniger nicht lange genug, um ihn zu kennen. Aber eine Art Vorbild war er mir schon. Das ist es, was ich ihm schuldig bin, und was er mir bleibt.

*

Leserbriefe an RotFuchs

In der "jungen Welt" las ich vom Ableben Klaus Steinigers. Ich möchte Euch in meinem und auch im Namen meiner Mitstreiter zu diesem schweren Verlust mein tiefempfundenes Beileid ausdrücken.
Ich habe mich Monat für Monat auf seine wegweisenden Leitartikel im "RotFuchs" gefreut und hoffe sehr, daß es Euch gelingen möge, diese große Lücke in der Redaktion des "RotFuchs" zu schließen und den Bestand dieses für viele aufrechte Kommunisten wichtigen Mediums auch weiterhin zu sichern.
Solidarische Grüße aus Tirol sendet Euch

Wilfried Bader, Angerberg


Liebe Bruni,
nun ist Dein Wunsch, die ungebrochene Moral von Klaus möge noch sehr lange erhalten bleiben, leider unerfüllt geblieben. Ich umarme Dich symbolisch und drücke Dir mein Beileid und das meiner Frau aus. Klaus wird uns fehlen: Seine Prinzipienfestigkeit, seine Standhaftigkeit, seine Treue zu unseren Idealen, seine Kommentare und Erinnerungen. Dir, liebe Bruni, wünsche ich: Kopf hoch! Das Leben für Dich geht weiter. Soweit ich Klaus gekannt habe, wäre es bestimmt sein Wille, daß Du nach vorn blickst und durch Deine Arbeit sein Vermächtnis miterfüllst.

Egon Krenz, Dierhagen


Liebe Bruni,
mit tiefer Betroffenheit haben wir erfahren, daß Klaus verstorben ist. Du hast Deinen Mann und Gefährten in Euren gemeinsamen, engagierten politischen Bestrebungen nicht mehr an Deiner Seite, und viele Weggefährten haben mit Klaus einen Freund und Genossen verloren.
Es wäre gewiß nicht im Sinn von Klaus, die Vielfalt der Probleme zu übersehen, die ihn in den vielen Jahren als Chefredakteur des "RotFuchs" stets beschäftigt haben. Lehren aus der Vergangenheit aufzunehmen, bedeutete für ihn, kritisch und konstruktiv zu sein, Auseinandersetzungen nicht auszuweichen, für Gemeinsamkeiten der Linken einzutreten und nicht auf Gegensätze zu pochen. Wir möchten Dir und der Familie unsere herzliche Anteilnahme übermitteln und versichern Dir, daß Klaus uns unvergessen bleibt.

Dr. Hans Modrow, Evelin Nowitzki, Berlin


Liebe Genossen!
Wir entbieten unser tiefempfundenes Mitgefühl zum Tod des Chefredakteurs der Zeitschrift "RotFuchs" Klaus Steiniger, des überzeugten Kommunisten, Freundes der Sowjetunion und Rußlands.
Dr. Klaus Steiniger blieb ungeachtet seiner langen schweren Krankheit - die Arbeit an der Zeitschrift nicht beiseite legend - bis zum letzten Tag auf seinem Kampfposten. Die Leitartikel jeder Ausgabe trugen seine Handschrift. In ihnen setzte er scharfsinnige kritische Akzente zur Politik der herrschenden Kreise der BRD, bezog Stellung zum Kampf der linken Kräfte für die Rechte der Werktätigen. Die Zeitschrift informierte umfassend über das Leben und das Wirken der linken Kräfte in Deutschland, der Arbeiter- und kommunistischen Parteien in der ganzen Welt.
Der Name Klaus Steiniger ist weithin - von Havanna über die Länder Südamerikas bis Südostasiens - bekannt. Er hat sie wiederholt besucht und ihnen eine Vielzahl seiner Publikationen gewidmet.
Wir werden für immer sein Andenken als eines Kämpfers für die Ideale des Kommunismus und Sozialismus bewahren.

Leonid Kalaschnikow, Mitglied des Präsidiums und Sekretär des ZK der KPRF für internationale Verbindungen, Moskau


Klaus Steiniger war über Jahrzehnte ein hervorragender Journalist und Auslandskorrespondent des "Neuen Deutschland". Seine Berichte und Reportagen zählten zu den besten News in dieser Zeitung. Seit mehr als 18 Jahren galt sein Schaffen dem "RotFuchs", dessen Chefredakteur er bis zuletzt war.
Dr. Klaus Steiniger war ein großer Marxist-Leninist und Internationalist. Seine journalistische und intellektuelle Arbeit stellt ihn in die vordersten Reihen deutscher Kommunisten und Humanisten.
Sein Stolz waren Freunde, die er nicht nur in Deutschland und Europa, sondern in der ganzen Welt hatte, so auch in Polen. Er war mehrmals in unserem Land, wir haben uns getroffen und viel über die polnisch-deutsche Geschichte, über die Notwendigkeit freundschaftlicher Nachbarschaft und die Überwindung beiderseitiger Vorurteile diskutiert. Wir brauchen Solidarität und Zusammenarbeit unserer beider Völker. Wir brauchen friedliche Verhältnisse in Europa und der Welt.
Klaus bleibt für immer in unserem Gedächtnis. Sein Werk werden neue Generationen fortsetzen.

Prof. Dr. sc. Zbigniew Wiktor, im Name der Redaktion der Monatszeitschrift "BRZASK" der Kommunistischen Partei Polens


Sehr geehrte, liebe Frau Steiniger,
mein eigenes Beileid wird Sie kaum trösten können, wohl aber doch der Gedanke, daß die Größe Ihres Verlustes der Größe jenes Menschen entspricht, um den sogar einige Christen aufrichtig trauern. Klaus Steiniger war für viele ein Rocher de bronze, dem selbst seine zahlreichen politischen Gegner mit Respekt begegnen mußten.
Ich bin außerordentlich froh darüber, über den Tod hinaus einen Aufrechten verehren zu dürfen, der mir mit seinem Wirken in diesen finsteren Zeiten immer wieder Mut gemacht hat.
Ich grüße Sie in solidarischer Trauer

Dieter Kraft, Berlin


Am 9.4.2016 erreichte uns aus dem "Rotfuchskessel" die schmerzliche Nachricht vom Tode unseres Genossen Klaus Steiniger.
Klaus war mit der GBM und unsere Gesellschaft mit ihm seit Jahren eng verbunden. Besonders deutlich wurde das, als Angela Davis im Januar 2005 an der Rosa-Luxemburg-Konferenz teilnahm und sie von der GBM mit dem Menschenrechtspreis der GBM ausgezeichnet wurde. Wir alle erinnerten uns an die Berichterstattung des ND-Korrespondenten Klaus Steiniger vom Prozeß gegen unsere Genossin Angela aus dem Gerichtssaal des kalifornischen San Jose und an seinen Anteil an der weltbewegenden Aktion der DDR-Jugend "Ein Million Rosen für Angela".
Das Herz des Internationalisten Klaus Steiniger hing bis zuletzt an der "Nelkenrevolution" in Portugal, mit deren Repräsentanten ihn eine feste, jahrelange Freundschaft verbunden hatte.
Gemeinsam mit dem Militärattaché der sowjetischen Botschaft stand Klaus in Tokio am Grab des sowjetischen Kundschafters Dr. Richard Sorge.
Bleibende Spuren marxistisch-dialektischen Denkens hinterläßt Klaus in der linken Bewegung als Gründer und Chefredakteur der Monatszeitschrift "RotFuchs", eines Forums für Sozialisten und Kommunisten mit und ohne Parteibuch, wie er das Grundmotto des "RotFuchs" definierte.
Der Tod von Klaus Steiniger reißt eine große Lücke in unsere Reihen; er bleibt unvergessen.

Vorstand der GBM, Berlin


Ich wollte Euch nun endlich ein paar Tage nach Erhalt des neuen Heftes einen Leserbrief mit herzlichen Grüßen an Klaus und meinem Dank dafür schicken, was er nach unseren zwei langen Telefonaten in den letzten Tagen alles für uns hier im bayerischen Nördlingen organisiert hat. Jetzt sehe ich mit Entsetzen, daß er verstorben ist. So bleibt mir nur noch der nachträgliche Dank und ein letzter Gruß an ihn.
Durch einen hiesigen Genossen wurde ich auf den "RotFuchs" aufmerksam, der ihn offenbar gar nicht so ganz bewußt wahrgenommen hatte. Es war das November-Heft 2015. Vom Inhalt des Heftes war ich im wahrsten Sinne des Wortes sofort "elektrisiert". Ich erkannte, welches geballte Fach- und Sachwissen die Autoren verkörpern - bei glasklarem Klassenstandpunkt doch in einer Sprache geschrieben, die auch "unstudierte" Menschen gut verstehen und nachvollziehen können. Das ist wahrhaftig eine Kunst, die nicht jeder beherrscht.
Damit waren für mich zwei Dinge klar: 1. Diese Zeitschrift muß ich unbedingt regelmäßig lesen, 2. Der "RotFuchs" ist für mich neben der Mitgliedschaft in der KPF eine neue politische Heimat - ich bitte deshalb um Aufnahme in den Förderverein.

Götz Bockmann, Journalist und Chefredakteur i. R., Nördlingen


Zurückgekehrt von einer weiten Reise habe ich mit Schrecken die traurige Information erhalten, daß Klaus Steiniger nicht mehr unter uns weilt. Für seine Familie und für uns alle ist das ein großer Verlust. In der Hoffnung, daß der "RotFuchs" auch weiterhin seine Linie beibehält, werde ich mich noch stärker als bisher um seine weitere Verbreitung bemühen.

Dr. Manfred Graichen, Berlin


Danke!
In den letzten Tagen haben uns Hunderte Beileidsbekundungen erreicht. Im Namen unserer großen Familie und in meinem eigenen Namen danke ich Euch allen für die warmen und tröstenden Worte.
Eure so berührende, aufrichtige Anteilnahme am Ableben von Klaus gibt uns Kraft für die schwere Arbeit, die nun vor uns liegt. Klaus war sich bewußt, daß das Werk, welches er begonnen hat, von uns allen fortgesetzt wird. Diese Überzeugung hat ihn in seinen letzten schweren Stunden begleitet.

Bruni Steiniger


Die gegenwärtig sich abzeichnenden Veränderungen im Verhältnis der USA zu Kuba, die zu einer Normalisierung der Beziehungen führen können, sind grundsätzlich zu begrüßen. Die damit einhergehende Euphorie bestimmter politischer Kreise und zahlreicher Medien, als seien damit schon alle Probleme gelöst, halte ich gegenwärtig aber für unangemessen. Oder ist das schon die Vorfreude auf die beabsichtigte Beseitigung des sozialistischen Gesellschaftsmodells in Kuba?
Die Geschichte lehrt uns, vorsichtig und wachsam zu sein, besonders dann, wenn die USA darin involviert sind. Die USA waren, sind und bleiben die führende imperialistische Großmacht, die die Welt nach ihrem Bilde formen will; und zwar mit allen Mitteln und Methoden. Gerade gegenüber Kuba haben sie das hinlänglich bewiesen. Nach der kubanischen Revolution von 1959 wurde 1961 der Versuch unternommen, mittels einer von den USA inszenierten militärischen Intervention in der Schweinebucht die alten Machtverhältnisse wieder herzustellen. Dem folgte ein umfassendes Embargo gegen den Inselstaat, das bis heute in Kraft ist. Dazu kamen mehrere zeitweilige Blockaden. Selbst vor unzähligen vom CIA organisierten oder unterstützen Attentatsversuchen gegen Fidel Castro wurde nicht zurückgeschreckt.
All diese Versuche waren umsonst. Der kleine sozialistische Inselstaat ließ sich nicht in die Knie zwingen. Selbst als die sozialistische Staatengemeinschaft in Europa zerbrach und Kuba vor fast unlösbaren Problemen stand, hielt man an dem eingeschlagenen Weg grundsätzlich fest.
Nun versuchen die USA, die gesellschaftlichen Verhältnisse durch Annäherung zu verändern. Die Republik Kuba soll in der Umarmung durch die USA erstickt werden. Ein für Kuba gefährlicher Kurs, mit dem wir als DDR unsere eigenen Erfahrungen haben. Drücken wir dem kubanischen Volk die Daumen, daß es auch dieser neuerlichen Herausforderung geschlossen und standhaft widerstehen kann.

Roland Potstawa, Oberstleutnant a. D., Königs Wusterhausen


Der Besuch von USA-Präsident Barack Obamas in Kuba ließ mich sofort an Klaus Steinigers scharfsinnige Argumentation im November-Heft zu den sich entwickelnden Beziehungen Kuba - USA denken. Man sollte die Worte Fidel Castros zur Kenntnis nehmen, der die honigsüßen Worte Obamas in der "Granma" so kommentierte: "Es ist anzunehmen, daß bei diesen Worten des Präsidenten der Vereinigten Staaten jeder von uns Gefahr lief, einen Herzinfarkt zu bekommen." Wie anders auch sollte es auf die Kubaner wirken, wenn Obama meinte: "Es ist an der Zeit, die Vergangenheit zu vergessen ..., mein Aufenthalt hier gibt mir mehr Hoffnung für das, was wir zusammen tun können - als Freunde, als Familien, als Nachbarn, zusammen." Es war Fidel Castro, der auf die fast 60 Jahre andauernde erbarmungslose Blockade, die Angriffe auf kubanische Schiffe und Häfen, das gesprengte Linienflugzeug voller Passagiere, Söldnerinvasionen und unzählige weitere Gewalttaten der USA verwies.
Bemerkenswert ist, was die Kubaner selbst zum Auftritt Obamas denken. Ich konnte mich kürzlich während einer Kuba-Reise davon überzeugen, daß sie mehrheitlich ihr Mißtrauen gegenüber der USA-Administration zum Ausdruck brachten.
Die meisten BRD-Medien hingegen bauen auf Unwissenheit in der deutschen Bevölkerung und bedienen sich bei ihrer Berichterstattung der Manipulation: Gestern Feind - heute Freund! Die Absicht ist erkennbar: Solidarität ist nicht mehr vonnöten, da sich ja alles in Wohlgefallen auflöst. Gut, daß es viele gibt, die dieses Manöver durchschauen.
Auf einer vor einiger Zeit durchgeführten Konferenz von Cuba Si betonte Hans Modrow als ausgewiesener Kuba-Kenner: "Auch die sich entwickelnden Beziehungen USA - Kuba sind Klassenkampf." Daß der venezolanische Präsident Maduro, dessen "Regime" angeblich die Sicherheit der USA gefährdet, noch am gleichen Tag wie Obama von Raul Castro empfangen wurde, spricht dafür.

Karl Scheffsky, Schwerin


Der Beitrag "Zur Neuauflage von 'Jud Süß'" in der April-Ausgabe des RF vergleicht zu Recht eine Schlüsselszene aus Veit Harlans faschistischem Hetzfilm mit heutigen Schreckensszenarien.
Es sollte aber nicht vergessen werden, daß die Nazis für ihr schändliches Machwerk den hervorragenden, 1925 erschienenen Roman von Lion Feuchtwanger mißbraucht haben. Der Roman war bereits 1935 in England verfilmt worden, unter Mitwirkung des bedeutenden deutschen Schauspielers Conrad Veidt, der in die Emigration getrieben wurde.
Veit Harlan, der auch den Durchhalteschinken "Kolberg" gedreht hatte, wurde nach dem Krieg von der bundesdeutschen Justiz freigesprochen, weil ihm "ein strafrechtlich relevanter Zusammenhang zwischen Film und Völkermord" nicht nachzuweisen sei. Dagegen gab es Proteste. In Göttingen ging die Polizei gegen die Demonstranten vor. Harlan durfte auch wieder Filme drehen.

Kurt Laser, Berlin


Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ), das Zentralorgan des deutschen Kapitals, kommentierte am 22. April: "Die ostdeutschen Löhne hinken nach Einschätzung des Ifo-Instituts in Dresden noch jahrzehntelang dem Durchschnittsniveau im Westen hinterher. Seit der Jahrtausendwende beträgt demnach der Abstand bei den Bruttolöhnen und Gehältern durchschnittlich 5,30 Euro pro Stunde. Jedes Jahr verringert sich der Abstand den Berechnungen zufolge nur um 1,7 Prozent. Bei diesem Tempo würde es noch fast bis zum Jahr 2070 dauern, bis der Lohnabstand auf unter zehn Prozent sinkt." Soviel zu den von Kohl versprochenen "blühenden Landschaften" in Ostdeutschland.

Dr. Matin Baraki, Marburg


Macht weiter so! Die Mischung zwischen Aktuellem und Historischem in Eurer Zeitschrift finde ich großartig, das Rot und die Klarheit werden mit zunehmenden RF-Alter nicht schwächer, sondern zunehmend stärker. Gracias!
Vielen Dank für Klaus Steinigers April-Leitartikel "Das Herz darf nicht fehlen". Ich selbst ging lange davon aus, daß ein Kommunist per se auch ein guter Mensch sei. Doch hierbei gibt es keinen Automatismus.
Erwähnenswert erscheint mir, daß auch in bürgerlichen Kreisen couragierte Menschen mit Herz zu finden sind. Das trifft u. a. auf einige Künstler und Kabarettisten zu, die auf ihre Weise die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse kritisieren.

Uwe Moldenhauer, Altena


Der Artikel "Erfahrungen mit dem 'Rechtsstaat' BRD" (von Prof. Herbert Kreibich, April-RF, S. 8) ist ein Paradebeispiel und Lehrstück zu den Themen Klassenjustiz, Zweiklassenmedizin und Berufsbehinderung.

MR Dr. med. Lothar Schirmer, Berlin


Die April-Beilage zum RF von Bruno Mahlow umreißt eigentlich alle Fragen, die mich seit langem umtreiben. Der Beitrag ist versiert, weil er den Finger auf alle Wunden legt, ohne etwas zu beschönigen. Noch unausgesprochen ist, warum diese Fehler weder allein im subjektiven Versagen einzelner noch im Versagen der Partei als Ganzes, auch nicht in heute erkennbaren Irrtümern sogar der Klassiker zu suchen sind. Zu prüfen sind sicher ebenso noch nicht voll erkannte Naturgesetze sowie bisher mißachtete fundamentale Aspekte der uns doch bekannten Dialektik und somit der Logik schlechthin.
Wir müssen uns also unserer Geschichte nicht schämen. Nur eines hätte uns nicht unterlaufen dürfen - lernunfähig und zu ignorant gegenüber den sich entwickelnden Realitäten und damit der "Wissenschaft von den Entwicklungsgesetzen der Natur und der Gesellschaft" zu sein.

Manfred Lowey, Kamen


Es ist begrüßenswert, wenn nach den erneuten drastischen Wahlniederlagen der Partei Die Linke endlich ein Nachdenken über deren Ursachen auch bei den gewählten Abgeordneten der Partei einsetzt. Eine kritische Auseinandersetzung mit den verheerenden Abstürzen mit zum Teil über einem Drittel in der Wählergunst blieb seit dem Scheitern in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Sachsen stets aus. Es gab keine ausgewogenen Analysen, keine inhaltlichen Auseinandersetzungen und keine personellen Konsequenzen. Einzig ein "Weiter so!" oder rot-rot-grüne Optionen wurden den Mitgliedern und Sympathisanten als politische Option angeboten. Selbst deren Alleinstellungsmerkmal - die uneingeschränkte Ablehnung von Kriegseinsätzen - stellt man jetzt zur Disposition, nur um mitregieren zu können.
Wacht auf, Ihr gewählten Vertreter der "Linken" in Gremien, denn wir wollen diesen Kurs der Anbiederungen nicht! Auf dem Fundament einer kapitalistischen Bundesrepublik eine nichtkapitalistische Gesellschaft errichten zu wollen, ist eine Illusion. Dieser Staat ist nicht friedlicher, sozialer und humanitärer geworden, dafür jedoch einträglicher für Amts- und Mandatsträger. Deren Blick ist nicht auf die menschenunwürdigen Lebensbedingungen von Millionen Bürgern, auf existentielle Ängste der Jungen, Altersarmut, Hartz IV und Minijobs, nicht auf Flüchtlinge und Militäreinsätze der Bundeswehr im Ausland gerichtet, sondern nur noch auf sich selbst.
Den Griff zu antikommunistischer Verleumdung sollten führende Kräfte der Linkspartei anderen überlassen. Und die Wahlniederlage mit der Sozialisierung in der DDR zu begründen, zeugt zumindest von unzureichenden Geschichtskenntnissen.

Raimon Brete, Vors. OV Die Linke Sonnenberg/Chemnitz


Vor kurzem war in der "Magdeburger Volksstimme" folgende Schlagzeile zu lesen: "NATO dreht an Bedrohungsspirale". Zunächst war ich verblüfft über die ungewohnte Offenheit dieser Worte. Ist doch sonst stets Putin der Kriegstreiber. Doch noch richtiger wäre gewesen: "Die USA drehen an Bedrohungsspirale", denn eines ihrer erklärten Ziele ist, wie sogenannte Think Tanks bereitwillig erklären, die Verhinderung der Annäherung Europas bzw. Deutschlands an Rußland. In diesem Zusammenhang sei an das tatkräftige Engagement der USA in der Ukraine erinnert, die seit mehr als 20 Jahren intensiv an einem dortigen Regimewechsel gearbeitet und dafür etwa fünf Milliarden Dollar bereitgestellt haben.
Die USA planen, 2017 eine komplette Panzerbrigade nach Osteuropa zu verlegen. Wie verlautet, auf besonderen Wunsch vor allem der baltischen Staaten, die sich angeblich durch Rußland bedroht fühlen. Doch von russischen Kriegsplänen kann keine Rede sein, sind es diese Staaten doch selber, die gemeinsam mit den US-Streitkräften bereits mehrere Manöver unmittelbar an der russischen Grenze durchgeführt haben. Und das bei offiziell verkündeten Zusagen des Westens, die NATO nicht weiter nach Osten ausdehnen zu wollen. Daß die USA die Schaffung eines Marinestützpunktes am Schwarzen Meer planen, sei nur am Rande erwähnt.
Diese kriegslüsternen "Abenteuer", entfacht unter einem US-"Friedensnobelpreisträger", sind kreuzgefährlich nicht nur für die Region, sondern für die ganze Welt. Doch es wäre nicht das erste Mal, daß der russische Präsident Wladimir Putin in solchen bedrohlichen Situation deeskalierend einzuwirken vermag.

Volker Büst, Vienau


Im Beitrag "Erfahrungen mit dem 'Rechtsstaat BRD' im April-Heft schließt der Autor mit den Worten: "... solche Erlebnisse bestärken meine stets vorhandenen Zweifel, in einem Rechtsstaat zu leben".
Man muß nicht unmittelbar Betroffener sein, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Man muß nur tagtäglich die Massenmedien verfolgen, um sich ein eigenes Bild von diesem System zu machen. Da bestätigt ein Gerichtsurteil, daß Rundfunk- und Fernsehgebühren nicht mehr nach real genutzten Geräten zu entrichten sind, sondern automatisch per gemieteter Wohnung. Das bedeutet, man muß auch dann zahlen, wenn man weder Rundfunk- noch Fernsehgerät nutzt. Unverschämter geht's wirklich nimmer!

Siegfried Wunderlich, Plauen


Der Beitrag im RF 219 von Torsten Preußing "Große Zeiten in der Nalepastraße" hat mich in besonderer Weise erfreut. Zu den ersten sozialistischen Rundfunkpionieren gehörten neben dem unvergessenen Gerhart Eisler auch Markus Wolf, Matthäus Klein und Friedrich Karl Kaul. Letztgenannter trat nach überstandener KZ-Haft und Rückkehr aus der Emigration Mitte 1946 im Alter von 40 Jahren eine erste feste Arbeitsstelle als Justitiar des Berliner Rundfunks an und wurde Leiter der Rechtsabteilung. Bis zu seinem Tode 1981 blieb er dem Staatlichen Komitee für Rundfunk als deren Chefjustitiar treu. Er verfaßte zahlreiche Hörspiele und Fernsehbeiträge, die die bürgerliche Klassenjustiz entlarvten, und unterhielt über 30 Jahre eine wöchentliche Rechtsratgebersendung.

RA Ralph Dobrawa, Gotha


Die Tagespresse vermeldet, Linkspartei und AfD hätten Kritik an den aufwendigen Sicherheitsmaßnahmen in Dresden zu der für die Mitte Juni geplanten Tagung der Bilderberger Konferenz geäußert. Ist die Beschwerde über zu hohe Kosten für Die Linke das Wichtigste, noch dazu, wenn sich unisono auch die AfD dazu äußert?
Wäre es nicht ratsamer, einmal zu vermitteln, welcher erlauchte und allmächtige Kreis sich da treffen wird und worüber diese Damen und Herren sich erlauben, Entscheidungen, die das Wohl und Wehe der gesamten Menschheit tangieren, zu treffen? Der Schleier des Geheimen und Verschwörerischen, das dem Gremium anhaftet, wäre schnell gehoben. Übrigens: Die Ausgaben für die Sicherheit dieses Kreises sind fast nicht der Rede wert, wenn man weiß, was sich G7-Zusammenschlüsse leisten.

Roland Winkler, Aue


Im Internet habe ich mir mal die Veranstaltungstermine der "RotFuchs"-Regionalgruppen für April angeschaut. Aktuelle, inhaltsreiche Veranstaltungen mit namhaften Rednern stehen auf dem Programm. So wird einmal mehr deutlich - der "RotFuchs" ist quicklebendig und obendrein unverzichtbar!
Ich finde es prima, daß Ihr die Bildungsveranstaltungen als geschlossenen Block auf einer Seite veröffentlicht. Das sollte so bleiben.
Auch klassikerbezogene theoretische Artikel im RF finde ich sinnvoll.

Friedhelm Schulz, Hoyerswerda


Im Zusammenhang mit dem informativen Beitrag von Marianne Walz über Gorkis "Sturmvogel" im April-RF fällt mir eine Begebenheit ein, die das Bildungsniveau in der BRD schlagartig erhellt.
Kürzlich zog ich in die Leipziger Gorkistraße, und es kam bezüglich der Anmeldung des neuen Telefonanschlusses zu einem Gespräch mit einem Vertreter des Telekom-Service. Als ich die neue Anschrift nannte, fragte er mich - höchstwahrscheinlich ein junger Mann - mehrmals nach dem Namen Gorki. Er wußte nicht, wie man das Wort schreibt. Ich erklärte: "Maxim Gorki war doch der bekannte russische Schriftsteller!" Darauf er: "Das sagt mir überhaupt nichts."
Ich mußte ihm den Namen buchstabieren und war perplex über das Niveau der Allgemeinbildung von Telekom-Mitarbeitern.

Günter Röska, Leipzig


Die Beilage "Rußland vor den Dumawahlen 2016 ..." von Bruno Mahlow im April-RF hat viele interessante Informationen zur gegenwärtigen dortigen Lage geliefert. Was ist nur aus der Sowjetunion geworden? Was aus der Kommunistischen Partei? Was aus jenem Land, das als erstes mit der Oktoberevolution die unmenschliche Ausbeutung abwarf? Der deutsche Faschismus hat mit seinem verbrecherischen 2. Weltkrieg zu verantworten, daß mehr als 27 Millionen Menschen der UdSSR ihr Leben verloren.
Wenn das heutige Rußland für die imperialistischen Strategen erneut zur Disposition steht, stelle ich mich an die Seite der gegenwärtigen russischen Regierung unter Führung Präsident Putins und des Außenministers Lawrow. Im Wahlkampf gilt meine Sympathie der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation.

Hans-Georg Vogl, Zwickau


Die Beilage zu Andrew Thorndike veranlaßte mich, nach dem Film "Das russische Wunder" zu suchen. Ich fand ihn. Danke, daß Sie mich damit an die - ich gebe es zu - lange verschütteten Wurzeln meiner Weltanschauung erinnert haben! Noch ein Gedanke zu Ihrer Öffentlichkeitsarbeit: Bei der Ankündigung von Bildungsveranstaltungen der Regionalgruppen im RF vermisse ich einen Hinweis darauf, daß nicht nur Mitglieder des Fördervereins, sondern auch weitere Interessierte willkommen sind.

Helge-Bernd Marquardt, Dresden


Angeregt durch den Artikel im April-RF "Gedanken beim Betrachten von DEFA-Wochenschauen" habe ich mir die 12 DVDs des "Augenzeugen" zugelegt.
Nach dem Anschauen dieser Dokumentationen verstehe ich, warum die in der BRD Herrschenden viele Milliarden Euro in die DDR-Aufarbeitungsindustrie steckten. Es mußte auf jeden Fall verhindert werden, daß dieses Bild über die SBZ und die DDR in die Köpfe der West-Bürger dringt. Auch mußte verhindert werden, daß die Wahrheit über das Leben in der DDR der jungen Generation vermittelt wird. An dieser "Gehirnwäsche" beteiligt sich die SPD wie inzwischen leider auch Die Linke.

Johann Weber, Ruhstorf (Niederbayern)


Ich bin Jahrgang 1951 und war, als meine Heimat abgebrannt wurde, gerade 37 Jahre alt. Ich fühlte mich als Kind dieses Landes und bin stolz darauf, ein Teil vom Ganzen gewesen zu sein. Als Berufssoldat diente ich in einer Arbeiter-und-Bauern-Armee, die aus dem Volke stammte. Zuletzt war ich Bataillonskommandeur einer Fla-Raketenabteilung auf Rügen. Meine Entpflichtung reichte ich im Dezember 1989 ein. Ich kann darüber Zeugnis ablegen, wie ihr Inneres funktionierte und wessen Geist in ihr steckte, als 1989 das Vaterland in Gefahr war. Und ich kann über meine eigene Haltung und Handlung berichten und darüber, was mit mir im Zuge der Vereinnahmung der DDR durch die BRD geschah. Ich habe Günter Wallraffs "Ganz unten" als Bürger Großdeutschlands am eigenem Leibe erfahren, mit mir auch meine Frau.
Durch einen ehemaligen Waffengenossen habe ich Euch kennengelernt. Dieser drückte sich so aus: "Meinen 'RotFuchs' möchte ich auf keinen Fall vermissen ..." Nun wollte ich wissen, was er meinte und kann nach dessen Lektüre für mich feststellen: Ich habe im 'RotFuchs' die mir bisher fehlende "... menschliche Dimension der Beziehungen untereinander ...", wie es Klaus Steiniger im März-RF formulierte, wiedergefunden. Seit 23 Jahren lebe ich nun in der BRD, und es ist uns nicht gelungen, die Isolation, in die wir schnell gerieten, zu durchbrechen und Gleichgesinnte zu finden. Die frühere Leichtigkeit des Lebens in der DDR, wie ich sie erfuhr, werde ich wohl bis an mein Lebensende vermissen. Denn ohne Bruder, ohne Genossen und gleichdenkende Mitmenschen vereinsamt man in dieser Welt des Glitzers, der Dummheit und der Verfälschung. Ich bedanke mich bei allen, die diese Tribüne herausbringen und freue mich, daß sie so viele Leser hat, die mir in Geist und Leben zugehörig sind.

Ullrich Uhle, Straelen

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In eigener Sache

Nach dem Tod des Gründers und bisherigen Chefredakteurs Dr. Klaus Steiniger hat sich seinem Wunsch entsprechend eine Redaktion konstituiert, um das vor 18 Jahren begonnene Werk fortzusetzen.

Ihr gehören an Wolfgang Metzger (V.i.S.d.P.), Dr. Arnold Schölzel und Bruni Steiniger.

Der "RotFuchs" wird mit derselben Zielstellung und den gleichen thematischen Schwerpunkten wie bisher weiter erscheinen.

Die Redaktionsanschrift bleibt bis auf weiteres unverändert:

Redaktion RotFuchs
Rheinsteinstraße 10
10318 Berlin

Tel. 030/561 34 04
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Zusätzliche Kontaktdaten sind:

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Mail: arnoldschoelzel@aol.com

Wolfgang Metzger
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Die Mitarbeit weiterer Autoren ist erwünscht. Die in namentlich gezeichneten Beiträgen zum Ausdruck gebrachten Auffassungen müssen nicht mit denen der Redaktion übereinstimmen.

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RF-Bezugsbedingungen

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Er ist folgendermaßen erreichbar.
Tel.: 030/654 56 34
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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2016

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