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ROTFUCHS/143: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 189 - Oktober 2013


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

16. Jahrgang, Nr. 189, Oktober 2013




Inhalt

  • Warum hat unser Bestes nicht gereicht?
  • Zwei Verfassungen und ein Grundgesetz
  • Der "aufgeklärte Antikommunismus" des J. Gauck -
    Ein Großinquisitor rügt McCarthy
  • Herbert Mies: Zum Treffen dreier Parteien
  • War Stalin der Namensgeber der CDU?
  • F. J. Strauß: Die Mauer war ein Glück
  • Post- und Fernmeldegeheimnis? Pustekuchen!
  • Neue Töne einer Kakophonie
  • Erinnern an Ehrhard Hähnlein
  • "RotFuchs"-Wegbereiter (5): Prof. Dr. Werner Roß
  • Trauert nicht, organisiert Euch! Zum Tode von Erik Neutsch
  • Ein Bremer Widerstandsheld: Willy Meyer-Buer
  • Was wurde aus Vippachedelhausen?
  • Mario schüttet sein Herz aus
  • Heil Porsche!
  • Staatsdoping ohne Ende
  • Wie Profitjäger künstlich Bedürfnisse schaffen
  • Gab es im DDR-Geschichtsbild nur "Gute" und "Böse"?
  • RF-Extra - Ein schwerer Fall von Amnesie
  • RF-Extra - Friedrich Dickel zum Hundertsten
  • Als Nassers Ägypten den Bach runterging
  • Kairoer Militärs an Washingtons Leine
  • Freiheit für Puerto Ricos Oscar López Rivera!
  • Kubas Nr. 2 besuchte China, Vietnam und Laos
  • Türkei: Erdogan läßt Kommunisten jagen
  • Friedensnobelpreis für Edward Snowden!
  • Von Häschern zu Heuchlern: "Sorge" um Mandela
  • Der Mord an Trayvon Martin
  • KP Japans legte bei Wahlen kräftig zu
  • Rote Mehrheit in Lettlands Metropole
  • Vom Ethos einer Muslimin - Tahas Mutter
  • Philatelistische Visitenkarte der DDR (5)
  • Nazi-Bannstrahl gegen "entartete Kunst"
  • Peter Michel nimmt Vandalen ins Visier
  • "Blutsbrüder" - Hochaktuelles aus den 30ern
  • Museen als Hüter der DDR-Sportgeschichte
  • Griff in die literarische Schatztruhe (12)
  • Wie Archie der Armut begegnete
  • Leserbriefe

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Der springende Punkt

Als ich am 9. Mai 1974 auf Lissabons Flughafen Portela aus der Maschine stieg, um als Berichterstatter des ND über das aktuelle Geschehen in Portugal zu informieren, ahnte ich nicht, daß mir die fünf wichtigsten und bewegendsten Jahre meines Lebens bevorstehen sollten. Ich hatte das große Glück, Weggefährte eines der wenigen den Spuren der Pariser Commune folgenden antikapitalistischen Vorstöße in Westeuropa zu sein: der Nelkenrevolution. Sie begann mit dem Sturz der 48 Jahre währenden faschistischen Diktatur Salazars und Caetanos am 25. April 1974 und erreichte im Sommer 1975 ihren Kulminationspunkt. Unter maßgeblicher Mitwirkung der Portugiesischen Kommunistischen Partei des unvergeßlichen Álvaro Cunhal wurden 245 inländische Industrieunternehmen, Banken und Versicherungskonzerne nationalisiert, während das Agrarproletariat des Südens schlagartig 1,2 Millionen Hektar Latifundistenland in Besitz nahm. Daraus gingen 550 ausbeutungsfreie Kollektivgüter hervor, von denen viele auf Jahre bestanden.

Der revolutionäre Prozeß konnte bis an die Grenzen des Hinüberwachsens der bürgerlich-demokratischen in eine sozialistische Revolution vorangetrieben werden. Wenn dennoch der gegenläufige konterrevolutionäre Prozeß - bei massiver Einmischung der NATO-Mächte, vor allem der USA und der BRD - am Ende die Oberhand gewann, dann hatte das einen entscheidenden Grund: Die unter Führung einer marxistisch-leninistischen Partei Großes erreichenden Volkskräfte vermochten die Frage der politischen Macht nicht zu ihren Gunsten zu entscheiden. Mit Franco-Spanien - geographisch betrachtet - "im Rücken", der 6. US-Flotte vor den Küsten und einem Landesnorden, dessen Bevölkerungsmehrheit auch weiterhin faschistisch indoktriniert blieb, reichte die Kraft für den Sieg nicht aus.

Damit der Funke wirklich zündet und die soziale Transformation von Erfolg gekrönt ist, bedarf es eben nicht nur einer revolutionären Situation, sondern auch der Potenz, sie zu nutzen. Versuche ultralinker Revoluzzer, den "Knoten" auf voluntaristische Art zu durchschlagen, sind da zur Niederlage verurteilt.

Eine revolutionäre Situation besteht aus Sicht unserer Klassiker immer dann, wenn die Herrschenden nicht mehr auf alte Art regieren können, während die Beherrschten ihr Los nicht länger ertragen wollen. Die höchste Steigerungsform einer solchen Situation - sollte es den Machthabern nicht gelingen, sie entlastende Ventile zu ziehen und etwas Dampf aus dem Kessel abzulassen -, bezeichnet man als revolutionäre Krise.

Doch selbst diese führt keineswegs automatisch zur Revolution. Um aus der Möglichkeit Wirklichkeit werden zu lassen, bedürfen die kampfbereiten Massen der Führung durch eine zielklare revolutionäre Avantgarde, die sich in entwickelten Ländern aus dem Proletariat und ihnen nahestehenden sozialen Kräften rekrutiert.

Der springende Punkt ist also: Ohne Machteroberung gibt es keine wirkliche Revolution - ohne Führung durch eine von der Wissenschaft des Marxismus-Leninismus ausgehende Partei keine Machteroberung! Da sind die Floskeln gewisser "linker" Theoretisierer von einer "Transformation im Rahmen des bestehenden Systems" nichts als Schall und Rauch.

Zu bemerken wäre in diesem Zusammenhang, daß ähnliches - allerdings unter diametral entgegengesetzten Vorzeichen - auch auf konterrevolutionäre Prozesse zutrifft: Sie zielen nicht minder auf politische Machteroberung und bedürfen ebenfalls einer entsprechenden Führung, die allerdings im Auftrag historisch bereits überwunden gewesener Klassenkräfte operiert.

Den Spuren Hitlers, der die von den Faschisten vollzogene Machtsicherung für das Kapital als "nationale Revolution" ausgab, folgen jene, welche sich erdreisten, die konterrevolutionäre Liquidierung ausbeutungsfreier Gesellschaften als Revolutionen zu bezeichnen. Zur Irreführung der Öffentlichkeit wie auch nicht weniger an diesem fatalen Spiel selbst Beteiligter versahen sie klassische Konterrevolutionen mit dem Etikett "friedlicher Revolutionen". Da ist von einer "samtenen Revolution" die Rede, wenn die Zerschlagung des Sozialismus in der CSSR gemeint ist. Oder man spricht von der "orangenen Revolution" Julia Timoschenkos - der reichsten Frau der Ukraine, die ihre maßlose Gier sogar in den Knast von Leuten ähnlicher Couleur gebracht hat.

Andererseits bewirken von den Massen getragene revolutionäre Situationen trotz ihres oftmals grandiosen Erscheinungsbildes noch keine tiefgreifenden sozialen und politischen Umwandlungen. Die Medien der Bourgeoisie inflationieren den Begriff der Revolution ganz bewußt, um ihm Schärfe und Kontur zu nehmen.

Erinnert sei hier an die "tunesische Revolution", die den Auftakt zu einer als "Arabischer Frühling" bezeichneten Protestwelle gab, und an die beiden "ägyptischen Revolutionen", die ein imponierendes Bild von der Kühnheit und Widerstandskraft bedeutender Sektoren zweier arabischer Völker vermittelten. Auch der eindrucksvolle Massenprotest in der Türkei gehört in diesen Zusammenhang.

Die erwähnten revolutionären Situationen konnten aus den anfangs genannten Gründen - vorerst - nicht in Revolutionen hinüberwachsen. In Tunesien kamen zu kosmetischen Operationen bereite und zu Zugeständnissen gezwungene, aber am Systemerhalt interessierte gemäßigt islamistische Kräfte ans Ruder. In Ägypten trug das seit Jahrzehnten aus Kassen des Pentagons mit Milliardensummen "subventionierte" Militär dem Verlangen von Millionen Landesbürgern nach Absetzung Mursis und seiner das geistige Mittelalter verkörpernden Moslembrüder Rechnung, installierte dann jedoch eine Regierung nach dem Geschmack der USA und der NATO. Da dessen Schreckensregiment die Welt schockierte und Kairo international in die Isolierung trieb, könnte sich Washington bei der Finanzierung der ägyptischen Armee interimistisch durch Saudi-Arabien vertreten lassen.

An die wirklich großen Umwälzungen in der Menschheitsgeschichte wie die Französische Revolution, die Oktoberrevolution in Rußland und die Chinesische Revolution sind natürlich völlig andere Maßstäbe anzulegen.

Als Lenin im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zeitweilig die Redaktion der damals bolschewistischen "Iskra" leitete, an deren Beispiel sich auch der "RotFuchs" orientiert, wagte wohl keiner seiner Mitstreiter die kühne Prognose, daß nur ein gutes Jahrzehnt später aus diesem winzigen Funken die Flamme des Roten Oktober schlagen würde. Der aber hat - trotz des späteren Untergangs der UdSSR und der sozialistischen Staaten Europas - die Welt dauerhaft verändert und bleibt einer der Maßstäbe für die Bestimmung der Kriterien zur Umwandlung einer revolutionären Situation in eine siegreiche Revolution.

Klaus Steiniger

*

Warum hat unser Bestes nicht gereicht?

Immer wieder suchen Leser und Autoren des "RotFuchs" nach den Ursachen für den Untergang der DDR. Oft stehen dabei zwei Thesen oder Fragen im Raum. Die erste: Wir haben doch immer unser Bestes gegeben, warum hat es nicht gereicht? Zweitens schwingt unterschwellig mit: Da muß doch noch etwas gewesen sein, das wir nicht kennen, weshalb es so schwer ist, unser Versagen richtig zu erfassen und zu bewerten.

Es existiert indes nichts Ominöses, wobei niemand bestreitet, daß die Kommunisten der DDR und deren Funktionäre auf dem steinigen Weg zum Sozialismus auch ernste Fehler begangen haben. Doch oft wird ausgeblendet, daß es sich erst um den Weg zum Ziel und noch nicht um einen ausgereiften Sozialismus gehandelt hat, den sich viele in revolutionärer Ungeduld und mit aufgerundeten Erfolgsmeldungen viel schneller erhofften. Was in 40 Jahren DDR erreicht worden ist, war das eigentliche Wunder. Das muß man sachlich feststellen. 40 Jahre sind in der Geschichte sehr wenig, wenn man die Entwicklung mit Menschen gestalten und vorantreiben muß, die überwiegend im Kapitalismus, ja sogar im Faschismus erzogen worden sind. Wer rückblickend diese Defizite betrachtet und aus heutiger Sicht nur die Schabowskis, Gorbatschows und ihresgleichen verantwortlich macht, überhöht den Stellenwert solcher traurigen Gestalten und vernachlässigt Ort, Zeit und Bedingungen des Geschehens. Überdies muß man sehr deutlich zwischen der Theorie des Sozialismus und dessen Gestaltern unterscheiden, die man keinesfalls miteinander gleichsetzen darf. Die Theorie ist nicht ad absurdum geführt worden, sondern bleibt weiterhin Richtschnur für das Handeln von Kommunisten, Sozialisten und anderen wahren Humanisten. Es wäre auch illusionär anzunehmen, daß Menschen auf diesem Weg in Zukunft keine Fehler mehr begehen werden.

Nicht wenige Deutsche haben nach der Niederlage des Hitlerfaschismus öffentlich zugegeben, sich fürchterlich geirrt zu haben. Unter den sogenannten Bürgerrechtlern gab es etliche, die das während und nach der Konterrevolution von 1989/90 eingestanden. Wir Kommunisten der DDR müssen das nach vierzig erfolgreichen Aufbaujahren nicht von uns sagen.

Manche Autoren und Leser des RF gehen davon aus, daß es derzeit hierzulande keine revolutionäre Situation gibt, weshalb wir von der Berechtigung einer solchen Annahme noch unendlich weit entfernt wären. Sie lassen dabei indes die Tatsache außer Betracht, daß eine revolutionäre Situation durch objektive wie subjektive Faktoren charakterisiert wird. Die objektiven Bedingungen entwickeln sich längst mit hoher Dynamik, während der subjektive Faktor - das die Revolution führende Potential - derzeit viel zu zerstritten und zu schwach ist, um solche Situationen nutzen zu können.

Die Geschichte hat indes tausendfach bewiesen: Wenn die Quantität der Entwicklung eine neue Qualität erfordert, findet der Protest auch seine Führer. Das geschieht im positiven wie im negativem Sinne.

Viele Leser empören sich in ihren Briefen an die Redaktion darüber, wie schamlos die DDR madig gemacht und verunglimpft wird. Doch was haben sie denn nach dem Sieg der Konterrevolution, der Installierung eines notorischen Kommunistenhassers an der Staatsspitze und der Überflutung unseres Landes mit ganzen Armeen von "Knabes" eigentlich erwartet? Mich macht dieser Haß geschworener Reaktionäre eher stolz, zeigt er mir doch einerseits die Angst der Herrschenden vor allen, die sich mit den derzeitigen Zuständen nicht abfinden wollen, während er andererseits beweist, daß wir in der DDR - bescheiden ausgedrückt - nicht alles falsch gemacht haben dürften.

Der weltweite Kampf gegen das unmenschliche System des Kapitalismus wird nicht nur von dessen gesetzmäßigen Nachfolgern - der revolutionären Arbeiterbewegung - geführt, sondern findet auch auf unzähligen Nebenschauplätzen statt.

Bei aller notwendigen Nüchternheit sollten wir uns den historischen Optimismus keinesfalls nehmen lassen. Und vergessen sollten wir auch nie, daß manche Dinge anders erscheinen, interpretiert und wahrgenommen werden oder werden sollen, als sie tatsächlich sind.

In diesem Zusammenhang möchte ich an eine von dem Schweriner Schaufenster-Zeitungsmacher Rainer Stankiewitz ausgelöste Diskussion erinnern. Der "Seelenstorm"-Herausgeber stellte die Frage, was eigentlich werden solle, wenn sich - biologisch bedingt - immer mehr Autoren und Leser des RF von uns verabschieden. Diese Frage steht natürlich weiter im Raum, denn oft erreichen wir Älteren heute nicht einmal unsere eigenen Kinder und Enkel, die ihr Dasein unter völlig anderen Bedingungen gestalten müssen. Sie spüren im täglichen Überlebenskampf, daß das herrschende System alles für sich vereinnahmt, bisweilen sogar den Protest. Und wir reden in "RotFuchs"-Veranstaltungen mit der größten Selbstverständlichkeit über allerlei Dinge, die sie gar nicht mehr kennen können, überdies auch noch zu einer Tageszeit, in der sie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen.

Die marxistischen Klassiker haben uns wissenschaftlich begründete Theorien hinterlassen, jedoch keine Dogmen und genügend Freiraum, diese glänzenden Konzepte angesichts der sich mit großer Dynamik vollziehenden Veränderungen weiterzuentwickeln. Dabei bedarf es nicht nur der Theoretiker, sondern auch der Praktiker und natürlich des Erfolgs. Nicht nur jene, welche in der Vergangenheit immer zur Stelle waren, werden auch heute noch gebraucht, sondern alle, die genügend Kraft und Wissen sowie die Überzeugung haben, daß es sich auch in Zeiten der Niederlage lohnt, sein Bestes zu geben: Junge wie Alte, Frauen und Männer - auf die richtige Mischung kommt es an. Auch Idealisten sind von Wert, die selbst vor dem scheinbar Unmöglichen nicht zurückschrecken.

Klaus Liebrenz, Rostock

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Über DDR-Errungenschaften, die in der BRD unerfüllte Träume blieben

Zwei Verfassungen und ein Grundgesetz

Am 3. Oktober 1990 wurde den Bürgern der DDR das Grundgesetz der BRD übergestülpt - mit allen bekannten Folgen. Um eine in diesem vorgesehene Volksabstimmung über eine gemeinsame neue Verfassung aller Deutschen nach Artikel 23 GG zu umgehen, wurde mit vielen juristischen Tricks ein "Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland" nach Artikel 146 GG fingiert. Allen Deutschen wurde damit diese Pseudo-Verfassung verordnet.

Erinnern wir uns: Schon bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eröffneten die westlichen Siegermächte mit Churchills berüchtigter Fulton-Rede den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion. Zwischen Februar und Juni 1948 fand in London eine Sechsmächtekonferenz unter Ausschluß der UdSSR statt. Dort ging es um die Zukunft der drei Westzonen Deutschlands. In den "Frankfurter Dokumenten" wurden die Ministerpräsidenten der Länder aufgefordert, bis zum 1. September 1948 eine Verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Sie trafen sich im Juli 1948 in Koblenz und gaben dort ein Lippenbekenntnis zur deutschen Einheit ab. Bei einer Konferenz auf Schloß Niederwald legten sie fest, daß ein Parlamentarischer Rat ein Grundgesetz ausarbeiten solle, dessen Ratifizierung man lediglich den Landtagen überlassen wollte. Eine Volksabstimmung war nicht vorgesehen.

Vom 10. bis zum 23. August tagte auf Herrenchiemsee der "Verfassungskonvent" aus hohen Beamten. Der von ihnen ausgearbeitete Entwurf wurde dem Parlamentarischen Rat vorgelegt - einer Versammlung aus 65 Abgesandten der westlichen Bundesländer und fünf nicht stimmberechtigten Vertretern Westberlins. Am 8. Mai 1949 wurde das Grundgesetz dann mit 53 Jastimmen angenommen. Die 12 Gegenstimmen kamen von der KPD, der Deutschen Partei, der Zentrumspartei und - was heute schamhaft verschwiegen wird - der CSU. Das bayerische Landesparlament lehnte das Grundgesetz rundweg ab.

In der sowjetischen Besatzungszone ging man andere Wege. Als Reaktion auf die Londoner Konferenz trat der von der Bevölkerung gewählte 3. Deutsche Volkskongreß zusammen. Er bestimmte aus seiner Mitte den 400köpfigen Deutschen Volksrat. Dieser berief einen Verfassungsausschuß unter Leitung Otto Grotewohls, der den Entwurf für die Konstitution einer Deutschen Demokratischen Republik erarbeiten sollte. Angedacht war dabei ein einheitliches, friedliebendes und antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Der Entwurf wurde nach seiner Bekanntgabe in Betrieben, Verwaltungen, Schulen und Universitäten, Parteien und Massenorganisationen von Millionen Menschen diskutiert. Mehr als 9000 öffentliche Versammlungen fanden statt, über 15.000 Zuschriften und Änderungsvorschläge gingen beim Deutschen Volksrat ein. 503 davon wurden dort erörtert, was zur Folge hatte, daß 52 der 144 Artikel des Verfassungsentwurfs Änderungen erfuhren.

Am 30. Mai 1949 bestätigte das Gremium das Dokument. Am 7. Oktober 1949 wurde es als "Gesetz über die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik" auf der konstituierenden Tagung des nun zur Provisorischen Volkskammer umgewandelten Volksrates beschlossen.

Die erste Verfassung der DDR kam also unter absolut demokratischen Bedingungen zustande, von denen die verfassungsrechtliche Wirklichkeit der BRD bis heute Lichtjahre entfernt ist. In ihr waren Rechte und Grundsätze verankert, die man im Grundgesetz vergeblich sucht. So kannte man bereits ein Asylrecht. Im Artikel 15 war das Recht auf Arbeit festgeschrieben, im Artikel 16 das Recht auf Erholung und Gesundheit. Im Artikel 18 wurde der Staat zur Schaffung eines einheitlichen Arbeitsrechts verpflichtet.

Die Bodenschätze wurden in Volkseigentum überführt. Artikel 32 gewährleistete den Mutterschutz, Artikel 33 die Gleichberechtigung außerehelich geborener Kinder. Artikel 35 sicherte das Recht auf Bildung für alle Bürger. Diesbezügliche Privilegien wurden abgeschafft. Die Artikel 41 bis 48 regelten die Religionsfreiheit, aber auch die bis heute in der BRD nicht erreichte Trennung von Staat und Kirche.

Ich hätte nie gedacht, daß es Spaß machen könnte, eine Verfassung von A bis Z zu lesen. Bei der Lektüre der DDR-Verfassung wurde ich indes anderen Sinnes. Alle Artikel entsprachen der Lebenswirklichkeit. Die sozialen und politischen Errungenschaften der DDR blieben für BRD-Bürger unerfüllte Träume. Warum weigert sich der Staat des deutschen Kapitals z. B. bis heute, ein Arbeitsgesetzbuch einzuführen?

Das Grundgesetz wurde seit 1949 offiziell 59mal geändert und dadurch total verwässert. Anfangs aus 146 Artikeln bestehend, vermehrte sich deren Zahl bis 2010 auf 191.

1968 wurde der Bevölkerung der DDR ein neuer Verfassungsentwurf unterbreitet. Im Vorfeld ihrer Annahme wurden abermals Tausende Vorschläge von Bürgern und Kollektiven eingereicht und viele von ihnen gründlich erörtert. Wiederum flossen etliche davon in den Text ein. Nach monatelanger Debatte entschieden sich über 90 Prozent der DDR-Bürger in geheimer Abstimmung für die sozialistische Verfassung.

In einem Internet-Lexikon erfährt man abwertend, das sei der einzige Volksentscheid in der Geschichte der DDR gewesen. Doch man müßte hinzufügen, daß diese Form direkter Demokratie in der BRD völlig unbekannt ist. Das Grundgesetz sieht Volksentscheide und Volksbegehren auf Bundesebene erst gar nicht vor, während die erste DDR-Verfassung sie schon 1949 im Artikel 3 verankerte!

Eine Verfassung ist immer auch eine Aufforderung an die Gesellschaft, den konstitutionellen Anspruch in die Wirklichkeit umzusetzen. Eingelöst werden kann dieser jedoch nur unter sozialistischen Bedingungen. Sie haben zur Voraussetzung, daß die arbeitenden Klassen die politische Macht ausüben und die Produktionsmittel Gemeinbesitz sind. Ein noch so wohlformuliertes Grundgesetz, dessen Verteidigung gegen den Ansturm faschistoider Kräfte unerläßlich ist, bleibt immer Herrschaftsinstrument der Bourgeoisie. Demgegenüber waren die DDR-Verfassungen von 1949 und 1968 weit mehr als beschriebenes Papier, da Wort und Tat zusammenfielen.

Ulrich Guhl

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Der "aufgeklärte Antikommunismus" des Joachim Gauck

Ein Großinquisitor rügt McCarthy

Immer neue Konflikte erschüttern die EU, was von der BRD als ihrer selbsternannten Führungsmacht entschlossenes politisches Handeln verlangt. Frau Merkel sichert mit ihrem Krisenmanagement nicht nur die Interessen der Finanzwirtschaft, sondern durch das Spardiktat auch den schrittweisen Abbau wesentlicher Souveränitätsrechte anderer Mitgliedsstaaten.

Und für CDU-Fraktionschef Kauder wird endlich "in Europa wieder deutsch gesprochen". Der BRD-Präsident, der bereits als Großinquisitor in der nach ihm benannten Behörde sein ideologisches Profil zeigte, hatte sich mit einer Reihe von der Totalitarismus-Doktrin geprägter Initiativen bestens für das bundesdeutsche Repräsentationsamt Nr. 1 empfohlen.

1998 verlangte Herr Gauck im "Schwarzbuch des Kommunismus", man müsse diesen "als ebenso totalitär einstufen wie den Nationalsozialismus". 2008 sorgte er gemeinsam mit dem damaligen tschechischen Präsidenten Václav Havel für die sogenannte Prager Erklärung, die einen "Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer des Stalinismus und Nationalsozialismus" verlangte. Das EU-Parlament faßte ein Jahr später einen entsprechenden Beschluß.

Am 17. Juni hielt Herr Gauck in einer Gedenkstunde des Bundestages eine Geschichtslektion, deren Schwerpunkt - welch Wunder! - die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus war. Er "philosophierte" in der ihn charakterisierenden selbstgefällig-salbungsvollen Art, in den 50er Jahren habe er wie andere auch mit einem Thomas Mann zugeschriebenen Diktum den Antikommunismus für die Grundtorheit der Epoche gehalten. Er versuchte den Eindruck zu erwecken, diese historischen Worte seien auf die Zeit des Kalten Krieges kurz nach 1945 gemünzt gewesen. "Antikommunismus konnte einem Vorurteil entspringen, einem Verschwörungsdenken", so Gauck weiter. "Wem der Antikommunismus als McCarthyismus begegnete ..., für den hieß ein Gebot der Aufklärung: "So nicht." Er kenne jedoch "zwei Arten von Antikommunismus". Es gebe einen Antikommunismus, "der entstanden ist aus Leid, der Erfahrung von Willkür und Unrecht, aus millionenfachem Tod".

Tatsächlich hat Thomas Mann sein Urteil über Antikommunismus nicht in den 50er Jahren des Kalten Krieges und der Hexenjagden Senator McCarthys gefällt. Er nahm vielmehr ab 1940 die ihm in der Emigration gebotene Möglichkeit wahr, sich über den Äther an deutsche Hörer zu wenden. Vier Jahre später, 1944, als die faschistischen Okkupanten bei ihrem Rückzug riesige Territorien der Sowjetunion in tote, verbrannte Erde verwandelt hatten, sprach Thomas Mann in einem seiner Kommentare von der "Grundtorheit der Epoche".

Anders unser "Aufklärer" im Präsidentenamt: Der nahm den 17. Juni 1953 zum Anlaß, nicht nur die DDR, sondern auch alle sozialistischen Staaten "in Mittel- und Osteuropa" zu verteufeln. Gauck plädiert für einen "aufgeklärten Antikommunismus". Dieser sei "nicht nur ein Erfordernis zur Verteidigung unserer politischen Kultur, sondern auch ­... ein Gebot des Humanismus".

Demnach gehört die Grundtorheit - nun als "aufgeklärter Antikommunismus" ausgegeben - in der BRD zur "politischen Kultur", ist gleichsam Leitmotiv. Ein antikommunistisches Feindbild wird sogar zum "Gebot des Humanismus" verklärt.

Das vor fast einem Jahrhundert von den Faschisten geschaffene antikommunistische Feindbild sprach vom "jüdischen Bolschewismus", den es mit "Stumpf und Stiel auszurotten" gelte. Die "Grundtorheit der Epoche" blieb im deutschen Westen all die Jahre gewahrt. Die BRD erklärte den Antikommunismus zur offiziellen Staatsdoktrin.

So blieb es auch nach der Annexion der DDR durch den Bonner Staat. Bemerkenswert ist, daß der Sohn zweier früher NSDAP-Mitglieder nicht ein Wort über die unendliche Zahl der Opfer verlor, welche die Völker der Sowjetunion im Kampf um die Befreiung Europas vom Faschismus gebracht haben. Sein händchenhaltender Auftritt im französischen Oradour ist vor diesem Hintergrund als reine Show zu betrachten. Daß er die heutigen Weltordnungskriege des Imperialismus nicht zu ächten bereit ist, gehört zu diesem Bild.

In seiner Rede zum diesjährigen Bundeswehrgelöbnis in Berlin verstieg sich Gauck zu der Auffassung: "Gerade unsere Geschichte sagt uns doch: Wir dürfen uns nicht aus der Verantwortung stehlen." Das bedeute, "dem Frieden der Welt dienen, und nach Abwägung, wo nötig auch mit militärischer Gewalt".

In der von ihm mitgeschaffenen politischen Atmosphäre erweist sich Herr Gauck als äußerst erfinderisch. Er entwickelt aus seinem "aufgeklärten Antikommunismus" eine von deutschem Chauvinismus durchdrungene Russophobie. "Der Präsident forderte die Russen zu Scham, Trauer und Reue auf, wenn sie sich mit der Vergangenheit der kommunistischen Diktatur beschäftigen. Rußland, so die Botschaft des einstigen Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, solle sich in Sachen Vergangenheitsbewältigung ein Beispiel an Deutschland nehmen", las man im "Spiegel". Da ist es nicht verwunderlich, daß in Moskau angesichts sich häufender deutscher Belehrungen der Eindruck vorherrscht, der Kalte Krieg gegen "die Russen" werde unvermindert fortgesetzt.

Gauck geht es vor allem darum, die Idee des Sozialismus und dessen reale Umsetzung auch weiterhin zu dämonisieren, um von den Gebrechen und Untaten des Imperialismus abzulenken.

Sein "aufgeklärter Antikommunismus" soll gewissermaßen als Gegenstück zur "Grundtorheit" eines Thomas Mann verstanden werden. Wer dem nicht folge, habe das 20. Jahrhundert nicht verstanden. Der 8. Mai hat danach als "Tag der Befreiung" im Kalender dieses Landes nichts zu suchen, während der 17. Juni als "Schlüsseldatum europäischer Geschichte wahrgenommen werden" sollte. Es geht der BRD-Führung darum, die Ideologie der Gleichsetzung von Sozialismus und Faschismus in die Hirne von Menschen nachwachsender Generationen zu pflanzen.

1941 warnte Thomas Mann, der Nationalsozialismus habe "lange Wurzeln im deutschen Leben". Er sei "die virulente Entartungsform von Ideen, die den Keim mörderischer Verderbnis immer in sich trugen, aber schon dem alten, guten Deutschland der Kultur und Bildung keineswegs fremd waren". Es handle sich um eine "schlimme Geschichte", die weit zurückreiche und immer "gemeiner und gräßlicher" werde.

Angesichts dessen sollte uns ein Wort Immanuel Kants hilfreich sein: "Hab Mut, dich deines Verstandes zu bedienen."

Prof. Dr. Georg Grasnick

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Vor 30 Jahren trafen sich die Kommunisten dreier deutscher Parteien

Es blieb bei der Premiere

Die Spaltung Deutschlands und Berlins hatte die Gründung der Bundesrepublik Deutschland (BRD), der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und die Herausbildung der besonderen, selbständigen politischen Einheit Westberlin zur Folge. Dort entstanden die SED und die KPD, später die DKP sowie die SEW als voneinander unabhängige kommunistische Parteien.

Am 26. September 1983 wandten sich SED, DKP und SEW mit einem gemeinsamen Appell an die Parteien der Arbeiterbewegung, die Gewerkschaften und Jugendverbände, an alle Menschen in Europa, die in Frieden leben wollen. "Wir, die kommunistischen Parteien auf deutschem Boden ... erheben unsere Stimme in einer Zeit, da Entscheidungen größter Tragweite bevorstehen, die das Schicksal der Völker Europas, ja der gesamten Menschheit betreffen. Die deutschen Kommunisten haben am Ende des zweiten Weltkrieges, nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus, gemeinsam mit den Sozialdemokraten, mit Christen und Nichtchristen den Schwur geleistet, alles dafür zu tun, damit niemals mehr von deutschem Boden ein Krieg ausgehen kann. In diese Verpflichtung ist das Vermächtnis von 50 Millionen Toten, der Kämpfer gegen die Hitlerbarbarei, der im Faschismus Ermordeten und der Opfer auf den Schlachtfeldern und in den Bombenkellern eingegangen."

Dafür hätten die deutschen Kommunisten über drei Jahrzehnte gearbeitet und gekämpft: In der Deutschen Demokratischen Republik beim Aufbau der Arbeiter-und-Bauern-Macht, des ersten sozialistischen deutschen Friedensstaates; in der Bundesrepublik Deutschland im Widerstand gegen die Remilitarisierung, für Entspannung und sozialen Fortschritt; in Westberlin gegen die Frontstadtpolitik und für Beziehungen des Friedens und der Zusammenarbeit mit der DDR.

In dem Appell hieß es weiter: "Heute erklären wir: Mit der geplanten Stationierung der US-Mittelstreckenraketen wiederholt sich die Gefahr eines neuen Krieges von deutschem Boden, vom Territorium der Bundesrepublik Deutschland aus. Europa darf nicht Euroshima werden! Noch ist es Zeit ..."

Der gemeinsame Appell der drei Parteien löste in der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung ein lebhaftes Echo aus. Er demonstriere "hohes Verantwortungsbewußtsein" und widerspiegele den Geist der antifaschistischen Tradition der deutschen Kommunisten, erklärte damals James Jackson von der Führung der KP der USA. Die Warnung, daß Europa bei Stationierung der US-Raketen ein Euroshima werden könne, erinnere an die Worte Ernst Thälmanns, ein Machtantritt Hitlers bedeute Krieg.

Der antifaschistische Widerstandskämpfer Max Seydewitz, nach 1945 Ministerpräsident des Landes Sachsen, stellte zu dem Dokument fest: "In über 90 Jahren mußte ich zwei furchtbare Weltkriege erleben. Nunmehr haben die Kommunisten auf deutschem Boden den gemeinsamen Appell an die Menschheit gerichtet, in dieser schicksalsschweren Zeit alles zu tun, um das vor rund vier Jahrzehnten abgegebene Gelöbnis von Millionen Deutschen wahr zu machen. Ich wünschte, daß er tief in den Verstand und in die Herzen der Menschen dringt; daß ein jeder begreift, daß wir in dieser Stunde der Gefahr die verbrecherische Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden verhindern müssen."

Zum ersten Mal hatten sich die drei Parteien angesichts der enormen Verschärfung der Kriegsgefahr zu einem gemeinsamen Schritt entschlossen. Eine solche Initiative hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Weder zur Einbeziehung Westberlins in das westdeutsche Währungssystem noch dann, als Westberlin de facto zu einem Land der Bundesrepublik erklärt wurde. Auch nicht zur Errichtung des Antifaschistischen Schutzwalls am 13. August 1961. Damals war die SEW noch keine eigenständige Partei. Erst nach der Unterzeichnung des Vierseitigen Abkommens über Westberlin am 3. September 1971 erlangten die Kommunisten Westberlins ihre volle organisatorische Selbständigkeit. Sie arbeiteten und kämpften fortan als SEW mit Gerhard Danelius als Vorsitzendem. Der gemeinsame Appell war demnach ein historisches Dokument in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung der Nachkriegsjahre. Ihm gebührt ein angemessener Platz in deren Chronik.

Niemand von uns konnte indes ahnen, daß diese erste gemeinsame Aktion der drei Parteien auch deren letzte sein würde. Nach der Annexion der DDR gab es keine drei sich zum Marxismus-Leninismus bekennenden Parteien hierzulande mehr. Als einzige überdauerte die DKP.

Im Gefolge der Konterrevolution lösten sich die beiden anderen Parteien auf. Die SEW verwandelte sich zunächst in eine "Sozialistische Initiative", um am 30. Juni 1991 ihre Tätigkeit gänzlich einzustellen. Ein Teil der Mitglieder schloß sich der im Osten entstandenen Partei des Demokratischen Sozialismus - der PDS - an.

Bei seinem ersten Besuch in der Bundesrepublik hatte der damalige Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breshnew, davon gesprochen, daß es schwer sei, "am Rhein Kommunist zu sein". Ich bemerkte daraufhin, die Lage der Kommunisten in Westberlin wäre aus meiner Sicht noch sehr viel schwerer. Immerhin hatte es die SEW mit vier Besatzungsmächten und zwei deutschen Staaten zu tun. Sie lebte und kämpfte unter Bedingungen scharfer Interessenkonflikte auf dem Boden eines Territoriums, das als politisches Pulverfaß und "Speerspitze des Antikommunismus" galt. Sie mußte ihre politische Tätigkeit in einer antisozialistischen Frontstadt entwickeln. Die SEW bestand nicht lange. In der kurzen Zeit ihres Wirkens aber erwarb sie sich in den zugespitzten Auseinandersetzungen um Krieg und Frieden bleibende Verdienste.

Mit dem nahezu gleichzeitigen Untergang der SED und dem Beitritt eines weitaus geringeren Teils ihrer Mitglieder zur PDS fand das zeitweilige Nebeneinanderbestehen dreier kommunistischer Parteien auf deutschem Boden - ein einmaliger Vorgang - sein Ende. Als Parteien, die sich zum Marxismus-Leninismus und zur kommunistischen Sache bekennen, gibt es nur noch die DKP und die KPD. Dieser Umstand und das Entstehen einer völlig veränderten politischen Landschaft für Kommunisten in Deutschland, die auch weiterhin gravierenden Wandlungen unterliegen dürfte, bedarf einer gründlichen Analyse und Bewertung.

Herbert Mies, Mannheim

Unser Autor war von 1973 bis 1990 Vorsitzender der DKP.

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War Stalin der Namensgeber der CDU in Ost und West?

Ein verleugneter Taufpate

Bis zum Dezember 1989 gab es zwei deutsche Parteien gleichen Namens: Eine Christlich-Demokratische Union (CDU) der DDR, die sich laut ihrer Satzung als "Partei des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus" verstand und mit der damals einsetzenden konterrevolutionären Entwicklung ihre Existenz verlor, und eine CDU der BRD als Partei der Spaltung Deutschlands, des Imperialismus und seiner "freiheitlich-demokratischen Grundordnung". Sie nahm 1990 verräterische Überläufer aus der DDR-CDU gern in ihre Reihen auf, mimte mit ihnen auf der politischen Showbühne die "Vereinigung" und vereinnahmte die Partei im Osten samt Demokratischer Bauernpartei (DBD), an deren Spitze sich ebenfalls Anbiederer fanden. Die Frage liegt nahe, wie es eigentlich zu diesen beiden namensgleichen CDU-Parteien gekommen ist.

Mit dem Befehl Nr. 2 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 10. Juni 1945 wurden auf dem Gebiet der SBZ vier Parteien zugelassen. Der Gründerkreis einer Christlich-Demokratischen Union verständigte sich am 22. Juni auf diesen Parteinamen und einen Aufruf, den er vier Tage später veröffentlichte. Schon am 10. Juli nahm die CDU in der SBZ ihre Tätigkeit auf. Seitdem gab es in Berlin eine Reichsgeschäftsstelle der CDU. Am 22. Juli fand dort eine Gründungskundgebung dieser Partei statt.

In den westlichen Besatzungszonen lief das völlig anders ab. Hier bildeten sich unabhängig voneinander christlich-demokratische Gruppierungen mit ähnlichen Ausgangszielen zunächst auf Länderebene. Sie wurden dort zu Parteien, welche sich erst 1950 mit Ausnahme der CSU Bayerns, die ihre regionale Selbständigkeit bewahrte, bundesweit zusammenschlossen.

Sehr Wesentliches berichtet Gerald Götting, der sich und seiner Vergangenheit treu gebliebene langjährige Vorsitzende der DDR-CDU, Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR und zeitweiliger Präsident der Volkskammer, in dem von Egon Krenz herausgegebenen Erinnerungsband "Walter Ulbricht". Dort lesen wir, daß die Gründung der CDU auf eine Weisung Josef Stalins an jene zurückgehe, welche sich in der UdSSR bereits mit Vorbereitungen für Nachkriegsdeutschland befaßt hatten. Der sowjetische Führer befürchtete wohl nicht ohne Grund, liest man bei Götting, daß das deutsche Volk durch die intensive faschistische Propaganda und Hetze mehrheitlich so irregeführt und verbildet sei, daß es der KPD allein nicht gelingen könnte, die Masse der Deutschen zu erreichen. Deshalb habe er verfügt, daß unmittelbar nach der Kapitulation der Faschisten auf ostdeutschem Boden vier Parteien entstehen sollten: die KPD, die SPD, eine zur Zusammenarbeit bereite Partei für das Bürgertum und eine für Christen, letztere in der Nachfolge etwa der katholischen Zentrumspartei.

Aus Kreisen christlicher Antifaschisten kam der Hinweis, daß in der künftigen SBZ wesentlich mehr Protestanten als Katholiken lebten. Der Vorschlag, die neue Partei deshalb Christlich-Demokratische Union zu nennen, wurde laut Götting durch Stalin angenommen. Das Papier mit der schriftlichen Bestätigung liege in Moskauer Archiven. Ob Stalin das Wort "Union" vielleicht deshalb besonders zugesagt hat, weil es ja auch zum Staatsnamen der UdSSR gehörte?

Götting berichtet überdies, an der Formulierung des CDU-Gründungsaufrufs habe auch der renommierte SMAD-Kulturoffizier Oberst Sergei Tulpanow, später Rektor der Universität Leningrad, persönlich mitgewirkt. Damit dürfte klar sein, daß die Wiege des Parteinamens CDU im Kreml gestanden hat.

Götting verweist auch auf die als "Reichstreffen" bezeichnete Zusammenkunft der westdeutschen Parteisprößlinge, die noch im Dezember 1945 in Bad Godesberg stattgefunden habe. Dazu zitiert er die Konrad-Adenauer-Stiftung: "Von diesem Zeitpunkt an wurde der Name 'Union', wie er in der SBZ und in Berlin geprägt worden war, im Westen übernommen." Ob es dabei vielleicht auch die Überlegung gegeben hat, die ostdeutsche CDU leichter unter die Bonner Fuchtel bringen zu können, wenn man sie mit einem raffiniert versteckten Gedanken an die deutsche Einheit lockte? Doch der Schuß ging nach hinten los, hatte doch der Westen eindeutig beim Osten abgeschrieben.

Sicher ist eine christliche Partei keine Religionsgemeinschaft. Aber ihre Mitglieder kennen sich in kirchlichen Ritualen aus, so auch in denen der Taufe. Sie wissen zugleich, daß es in unserer säkularen Umwelt üblich geworden ist, manchen kirchlichen Brauch zum Vorbild feierlicher Akte auch außerhalb von Gotteshäusern zu wählen. Deshalb sei in diesem Zusammenhang ein Vergleich gestattet, für den die CDU gewiß Verständnis haben dürfte: Bei der Taufhandlung wird der Name des Täuflings benannt. Ohne diesen gibt es keine Taufe! Die kirchliche Taufordnung sieht Taufzeugen als "Paten" der Täuflinge vor. Sie sollen diese im Glauben fördern. Und es ist üblich, daß sie dem Täufling ein dem Anlaß gerecht werdendes Patengeschenk überreichen.

Im Säkularen hat es sich eingebürgert, Namensgebungen ebenfalls als "Taufe" zu bezeichnen und mit weltlichen, an das kirchliche Pendant erinnernden Elementen wie Paten auszustatten. Hier also von einer "Taufe" der CDU zu reden, ist sicher auch für deren Mitglieder akzeptabel. Wenn Stalin also - wie Gerald Götting glaubwürdig zu vermitteln weiß - den Namen der Partei abgesegnet hat, dann ist er somit der Taufpate der CDU beider deutscher Staaten.

Die CDU im Westen begegnet ihrem "Patenonkel", den sie mit der DDR-CDU aus freien Stücken geteilt hat, allerdings voller Haß. Dabei ist das Ganze doch eine sonnenklare Angelegenheit, auch wenn die Partei Adenauers, Kohls und Merkels den Realitäten zu entfliehen sucht.

Wolfgang Mäder

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Pentagon wollte A-Bombe auf DDR-Gebiet abwerfen

F. J. Strauß: Die Mauer war ein Glück

Am 13. August begingen die bundesdeutschen Medien einmal mehr den Jahrestag des Mauerbaus.

Sie berichteten über den Grund zu dieser Maßnahme so, wie man es uns in der Alt-BRD stets eingetrichtert hatte. Die Menschen wären der DDR weggelaufen, so daß nur die Errichtung der Mauer ihr weiteres Ausbluten habe verhindern können.

Andere Motive wurden nie genannt. Dabei gibt es doch einen erstklassigen Zeitzeugen, der schilderte, was mit dem Mauerbau sonst noch verhindert worden ist.

Franz Josef Strauß war von Oktober 1956 bis Dezember 1962 Bundesverteidigungsminister und in dieser Eigenschaft bei allen wichtigen NATO-Beratungen zugegen.

Gibt es eine bessere Quelle als ihn, um die Vorgeschichte des Mauerbaus in Erfahrung zu bringen? Aus seinem Buch "Franz Josef Strauß - Erinnerungen" erfährt man, was sich in den Jahren vor dem 13. August 1961 auf seiten der NATO abgespielt hat.

Strauß macht kein Hehl daraus, daß die westlichen Alliierten der BRD einen detaillierten Angriffsplan gegen die Sowjetunion entwickelt hatten. Er selbst wurde in diesen eingebunden. Das Pentagon hatte vor, auf DDR-Territorium eine Atombombe abzuwerfen. Strauß wurde ersucht, ein dafür in Betracht kommendes Gebiet auszuwählen. Er nannte den Amerikanern ein Objekt in der DDR und unternahm nichts, um die U.S. Air Force von ihrem Plan abzuhalten.

Später gestand der BRD-Verteidigungsminister ein: "Der amerikanische Gedanke eines Atombombenabwurfs auf einen sowjetischen Truppenübungsplatz hätte, wäre er verwirklicht worden, den Tod Tausender sowjetischer Soldaten bedeutet. Das wäre der Dritte Weltkrieg gewesen. Die Amerikaner wagten einen solchen Gedanken, weil sie sehr genau wußten, daß die Sowjets damals noch nicht über präzise treffende und zuverlässig funktionsfähige Interkontinentalraketen verfügten, auch nicht über einsatzgenaue Mittelstreckenraketen, die in Stellung zu bringen gewesen wären. Der Krieg hätte also weitgehend in Europa stattgefunden, und zwar als konventioneller Krieg, dem die USA eine nukleare Komponente hinzufügen konnten. Solche Überlegungen sind am Sonntag, dem 13. August 1961, zum Glück Makulatur geworden."

23 Jahre nach der "Wiedervereinigung" wäre es an der Zeit, endlich einmal die tatsächlichen Hintergründe des Mauerbaus genauer zu erforschen. Das wäre eine spannende Aufgabe für unvoreingenommene Historiker, dürfte aber leider ein frommer Wunsch bleiben.

Im folgenden möchte ich die RF-Leser mit einigen Aussagen des Strauß-Buches vertraut machen, die im Kapitel "Berlinkrise und Mauerbau" zusammengefaßt sind.

Strauß hat das Wort: "Zurück in Europa, wo ich zunächst Konrad Adenauer in seinem oberitalienischen Urlaubsort Cadenabbia aufsuchte, um ihm Bericht über meine Amerikareise zu erstatten, kam das 'contingency planning' für den von uns angenommenen schlimmsten Fall, eine völlige Blockade Berlins, auf den Tisch: Die Russen geben am Tage X bekannt, daß ab soundsoviel Uhr der Zugang nach Berlin zu Wasser, zu Lande und in der Luft gesperrt ist - was unternimmt der Westen? Sämtliche contingency-Pläne wurden durchgespielt ..."

Weiter O-Ton Strauß: "Die Gespräche im NATO-Hauptquartier in Paris sind in kurzen Abständen wiederholt und fortgesetzt worden. Eines Tages kam Foertsch zu mir ..., um aufgeregt das Neueste zu berichten ­... Für den Fall, daß der von den Amerikanern geplante Vorstoß zu Lande nach Berlin von der Sowjetunion aufgrund ihrer Überlegenheit aufgehalten werde, hätten die USA die Absicht, so Foertsch, bevor es zum großen Schlag gegen die Sowjetunion komme, eine Atombombe zu werfen und zwar im Gebiet der DDR. Ich fragte nach: 'Im Gebiet der Sowjetunion?' 'Nein', so die Antwort, 'im Gebiet der DDR'."

Der einstige Chef der Hardthöhe fährt in seinem Buch fort: "Die Amerikaner brachten diesen Gedanken ernsthaft ins Gespräch, was schon daraus hervorgeht, daß sie uns nicht nur allgemein gefragt haben, sondern daß sie von uns wissen wollten, welches Ziel wir empfehlen. Das war die kritischste Frage, die mir je gestellt wurde. Ich sagte, diese Verantwortung könne niemand übernehmen. Ein Ziel wie Hiroshima oder Nagasaki komme, so meine eiserne Position, nicht in Betracht, damit würden wir uns trotz eines eventuellen Erfolges, nämlich Erzwingung der Zugänge zu Berlin, eine solche politische Last auferlegen, daß der Preis in keinem Verhältnis zum Ergebnis stünde. Es war dann von einem russischen Truppenübungsplatz die Rede ... Wenn diese Atombombe präzise geworfen und wenn sie einen begrenzten Wirkungsradius haben würde, dann wären die Opfer unter der zivilen Bevölkerung weitgehend auf die Menschen beschränkt, die auf diesem Truppenübungsplatz arbeiteten. Einen Truppenübungsplatz, den ich kannte, habe ich namentlich genannt - ich war dort im Jahre 1942 eine Zeitlang bei der Aufstellung einer neuen deutschen Panzerflakeinheit. Dies erschien mir, wenn es schon dazu kommen mußte und wir den Amerikanern nicht in den Arm fallen konnten, unter den gegebenen Übeln das geringste zu sein, obwohl es noch immer schlimm genug war." Strauß weiter: "Bei der Berlinkrise von 1961, die sich im Grunde drei Jahre lang aufgebaut hatte, merkte man plötzlich im Frühjahr, daß sich hier etwas zusammenbraute, was außerhalb des üblichen Ost-West-Geplänkels lag und eine weit über Deutschland hinausreichende, eine weltpolitische Dimension hatte. Man spürte, dies kann der Ernstfall werden, wenn nicht militärisch, dann jedenfalls politisch."

Das Fazit des CSU-Politikers lautet: "Mit dem Mauerbau war die Krise, wenn auch in einer für die Deutschen unerfreulichen Weise, nicht nur aufgehoben, sondern eigentlich auch abgeschlossen." Sein Buch wurde bereits 1989 verlegt und kann im Internet heruntergeladen oder für ein paar Groschen beim Trödler erworben werden.

Mich - einen ehemaligen Wähler der Partei von Franz Josef Strauß - führte die Lektüre des hier zitierten Kapitels zu zwei neuen Erkenntnissen: Erstens hätte die NATO keine Skrupel gehabt, eine Atombombe auf DDR-Gebiet abzuwerfen. Zweitens hat es den der Sowjetunion unterstellten "Drang gen Westen", der uns Alt-BRD-lern täglich suggeriert wurde, nie gegeben.

Johann Weber, Ruhstorf (Niederbayern)

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Gilt in der BRD das Post- und Fernmeldegeheimnis?

Pustekuchen!

Artikel 10 des Grundgesetzes sieht den ausnahmslosen Schutz des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vor. Aber - Pustekuchen! Wer die ZDF-Sendung "Frontal 21", die schon am 20. November 2012 unter dem Titel "Beschlagnahmt und vernichtet - Westen kontrolliert Ost-Post" ausgestrahlt wurde, seinerzeit gesehen hat, weiß, was Sache ist. Die "Brüder und Schwestern" in der DDR wurden jahrzehntelang beäugt, belauscht und ausspioniert. Die Westalliierten und deren Geheimdienste pochten dabei auf gewisse Vorbehalts- und Sonderrechte der Sieger - mit Wissen und Wollen der BRD-Machthaber. Als "Die Zeit" 1963 dem Bundesamt für Verfassungsschutz vorwarf, das im Grundgesetz verbürgte Brief- und Fernmeldegeheimnis ohne Unterlaß verletzt zu haben, erwiderte Bundesinnenminister Hermann Höcherl kaltschnäuzig: "Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen."

"Zeit"-Redakteur Theo Sommer konterte: "Unter diesen Verfassungsschützern sind aber Leute, die den ganzen Tag zwar nicht mit dem Grundgesetz, wohl aber mit der SS-Blutgruppentätowierung unterm Arm herumlaufen." Denn mit der Post- und Fernmeldeschnüffelei waren ausgerechnet ehemalige SS- und Gestapo-Leute beauftragt.

Der Historiker Prof. Josef Foschepoth von der Universität Freiburg ermittelte, daß allein zwischen 1955 und 1972 über 119 Millionen Postsendungen aus der DDR herausgezogen, geöffnet, kontrolliert, ohne Rechtsgrund beschlagnahmt und größtenteils vernichtet worden sind, darunter massenhaft Privatbriefe. 2012 erschien Foschepoths aufsehenerregendes Buch "Überwachtes Deutschland - Post- und Telefonüberwachung in der alten BRD".

Im Internet stieß ich auf die Ankündigung eines Kolloquiums mit dem Wissenschaftler. Es fand in der Berliner Gauck-Birthler-Jahn-Behörde statt. In Begleitung eines sachkundigen "RotFuchs"-Freundes und ISOR-Experten begab ich mich am 10. April in die "Höhle des Löwen". Prof. Foschepoth wies sehr detailliert nach, wie aktiv Post- und Zollbeamte, Staatsanwälte und Richter an den massenhaften Gesetzesverletzungen beteiligt waren. Das änderte sich auch nicht, als 1968 im Zuge der Notstandsgesetzgebung die Schnüffelei mit dem Gesetz zur Einschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (G10) formell gestattet wurde. An die Stelle alliierter Vorbehaltsrechte traten nun streng geheime Vereinbarungen zwischen der BRD und den drei Westmächten. Die Bundesrepublik verpflichtete sich, sämtliche Informationen, die aus Gründen der "nationalen Sicherheit" anfielen - also Briefe, Fernschreiben und Tonbandmitschnitte - an die Geheimdienste der USA, Großbritanniens und Frankreichs durchzureichen. Das G-10-Gesetz habe es westdeutschen und alliierten Diensten ermöglicht, ihre spezifischen Mittel nach eigenem Gutdünken einzusetzen, ließ Prof. Foschepoth wissen.

Mit der als Wiedervereinigung deklarierten Annexion der DDR sollte die BRD angeblich ihre volle Souveränität erlangen. Doch unklar ist, ob die alten Geheimabkommen zwischen ihr und den drei Westmächten noch immer gelten. Für Prof. Foschepoth steht dies außer Frage. "Frontal 21" erkundigte sich bei mehreren Behörden, erhielt aber nur vom Bundesinnenministerium eine Antwort:

"Aufgrund der Komplexität der Sach- und Rechtslage ist derzeit keine abschließende Bewertung möglich", hieß es ausweichend. In Anbetracht jüngster Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden erlangen die Feststellungen des Freiburger Forschers besondere Relevanz, hat er doch nachgewiesen, daß die BRD-Regierung aufgrund mit den Westmächten geschlossener Verträge bis heute zu engster geheimdienstlicher Zusammenarbeit verpflichtet ist. Das Überwachungssystem der USA sei zwar reorganisiert worden, doch die NSA behalte seither die wichtigsten Objekte per Satellit aus dem All im Blickfeld. Außer einer Anpassung an die technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts habe sich bis heute wohl kaum etwas geändert. Es versteht sich von selbst, daß weder die deutschen Geheimdienste noch Frau Merkel oder der prinzipiell ahnungslose Innenminister Friedrich von all dem etwas wissen.

Prof. Foschepoth ließ sich übrigens in der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde auch durch Teilnehmer, die behaupteten, die Post- und Telefonüberwachung der DDR sei deshalb völlig anders zu bewerten, weil sie allein der Ausspionierung ihrer Bürger gedient habe, während die BRD feindliche kommunistische Ideologien habe abwehren müssen, nicht aus der Ruhe bringen. Er konterte mit dem Hinweis auf Rechtsstaatlichkeit. In seinem Buch liest man dazu: "Es war nicht alles so glatt, so rechtsstaatlich, so demokratisch, so glücklich und so erfolgreich, wie manche Darstellung zur Geschichte der Bundesrepublik suggeriert."

Volker Link, Frankfurt (Oder)

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Zum Paradigmen-Wechsel in der MfS-"Forschung"

Neue Töne einer Kakophonie

Im Juni-RF hat Karl-Wilhelm Wolf auf den Paradigmenwechsel in der MfS-"Forschung" aufmerksam gemacht. Offenbar setzen nicht alle mit dieser Materie Befaßten weiterhin auf "Schaum vorm Maul". So hat der 1967 geborene Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, seit mehreren Jahren "Projektleiter in der Forschungsabteilung" der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde, seine zahlreichen Mitschnüffler, die inzwischen weit über 5000 Monographien, 2000 andere Veröffentlichungen sowie Millionen Aktenblätter zum Thema fabriziert haben, in seinem neuen Buch "Stasi konkret" dazu aufgefordert, ihre diesbezügliche Sicht zu modifizieren.

Kowalczuk schreibt: "Ich könnte an mir selbst aufzeigen, wie ich seit 1990 im politischen Engagement, bei der Aufarbeitung und in der wissenschaftlichen Publikationstätigkeit Wandlungen vollzog, sich meine Wahrnehmungen veränderten, wie ich empirisches Material nach 5, 10 oder 20 Jahren in anderen Fragekontexten neu bewertete, wie ich meine eigenen Thesen hinterfragte und zuweilen verwarf."

Offensichtlich hat der MfS-"Forscher" erkannt, daß die pauschale Verteufelung der DDR-Sicherheitsorgane so nicht länger aufrechtzuerhalten ist. Da er aber darauf angesetzt wurde, mit seiner "wissenschaftlichen Arbeit" einen Beitrag zur Delegitimierung der DDR zu leisten und auch, weil er seinen gutbezahlten Job nicht aufs Spiel setzen will, sucht Kowalczuk nach einem "dritten Weg".

So sieht er die "Schuld am Terror in der DDR" nicht mehr nur bei den hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern des MfS, sondern vor allem bei der Zwei-Millionen-Partei SED. Schließlich werde die DDR - von den professionellen Antikommunisten, versteht sich - nicht als "Stasi"-, sondern als "SED-Diktatur" bezeichnet. Unser "Forscher" schreibt dazu: "Das MfS ist nur im gesamten Gefüge des Macht- und Herrschaftsapparates zu verstehen und zu analysieren." Es sei lediglich "ein Teil des SED-Parteiapparats" gewesen.

Publikationen ehemaliger Mitarbeiter des MfS haben selbst bei Kowalczuk Wirkung gezeigt: "In gewisser Hinsicht bin ich auch jenen verbunden, die die SED-Diktatur, ihre Geheimpolizei und allgemein die DDR öffentlich verklären und immer noch verteidigen. Das versteht zwar kaum jemand, aber mir helfen ihre Argumente und Einwürfe, um meine eigenen Argumentationen und wissenschaftlichen Konstruktionen zu konturieren. Denn im Detail ist natürlich nicht alles falsch, was sie ins Feld führen."

Kowalczuk hütet sich natürlich, auch nur einen einzigen Autor aus dem MfS namentlich zu erwähnen. Sicher ist das für die "Forscher des Hauses Gauck-Birthler-Jahn" tabu. Doch schon ein oberflächliches Durchblättern dieser umfangreichen Literatur hätte ihm sagen müssen, daß sich die "SED-Diktatur" ausschließlich gegen Kriegstreiber, Kriegsgewinnler, Großkapitalisten und Junker richtete, wobei sich dieser ausbeutungsfreie deutsche Staat permanent politischer, ideologischer, ökonomischer und rein krimineller Angriffe seitens der BRD zu erwehren hatte.

Da ist es kaum zu fassen, daß der MfS-"Forscher" den Kalten Krieg bewußt ausblendet, obwohl ihm doch die Zusammenhänge, wechselseitigen Abhängigkeiten und Einflüsse, die über Grenzen hinweg wirkten, nicht unbekannt sind.

Immerhin weist Kowalczuk seine "Forscher-Kollegen" darauf hin, daß das einseitige Studium der MfS-Akten viele Zusammenhänge gar nicht erkennen lasse. Wenn man sich darauf beschränke, gerate man "schnell in die Gefahr, Perspektiven und Einschätzungen der Geheimpolizei in die historische Analyse zu übertragen".

Wie berechtigt solche Hinweise sind, offenbart sein eigenes Buch. Das Aktenstudium mit Scheuklappen hat den Autor zu erschreckendem Unwissen über die tatsächliche Entwicklung von SBZ und DDR geführt. Ob allerdings die "Forscher-Gilde" aus dem Stall des Großinquisitoren-Trios seinen Ratschlägen folgt und gegen die Vorgaben allmächtiger Medien im Dienste des Kapitals bestehen kann, dürfte mehr als fraglich sein.

Indes: Die Aufforderung Kowalczuks, Verteidiger der DDR immerhin anzuhören und deren Ausarbeitungen wissenschaftlich zu überprüfen, ist in seinem Milieu nicht wenig.

Werner Feigel, Chemnitz

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Kommunist in schwerer Zeit: Ehrhard Hähnlein

In Perioden der Orientierungslosigkeit braucht man Stützpfeiler und Wegweiser. Auch ich hatte 1989/90 meine politische Heimat und die damit verbundene Orientierung zunächst verloren. Hinzu kam, daß ich durch einen Unfall arbeitslos wurde und überdies meine Wohnung einbüßte. Viele frühere Freundschaften zerbrachen. Die DDR wurde im Zuge der Konterrevolution von den Machthabern und ihren Medien in eine Verliererrolle gedrängt. Es gelang ihnen, in etliche Köpfe Minderwertigkeitskomplexe einzupflanzen, wobei ich den DDR-Bürgern mehr Stolz und Klugheit zugetraut hatte.

In dieser mißlichen Situation suchte ich nach Freunden mit einem festen Klassenstandpunkt, nach Menschen, die sich durch die Niederlage nicht hatten beirren lassen. In Ehrhard Hähnlein fand ich einen solchen Freund und Genossen. Der erfahrene Kommunist machte mir anhand von Beispielen aus der Geschichte der Arbeiterbewegung und des Wirkens der Thälmannschen KPD neuen Mut, mit meinen Möglichkeiten der Hetze gegen den ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden zu begegnen.

Ehrhard blendete die täglichen Sorgen der Menschen niemals aus. Direkt und geradlinig reagierte er, wenn ihm ein Kontrahent begegnete, der in der DDR alle Vorteile genossen hatte und sich nun als Wendehals zu erkennen gab. Klassenneutrale Interpretationen waren ihm ein Graus.

Bei all dem verhielt sich Ehrhard niemals sektiererisch. Er erkannte die Unverzichtbarkeit parlamentarischer Präsenz systemkritischer linker Kräfte. In diesem Zusammenhang wandte er sich gegen die Verabsolutierung und Anbetung des Parlamentarismus. Ihm gefiel das mutige Auftreten so mancher PDS-Bundestagsabgeordneter, ohne daß er dabei deren Minderheitssituation in der eigenen Fraktion verkannte. Für ihn blieb die außerparlamentarische Aktion die wichtigste Kampfform. Meinem Freund Ehrhard Hähnlein, der mich aus zeitweiliger Resignation herausführte, war es stets eine Herzensangelegenheit, sich für das einheitliche Handeln aller wirklich linken Kräfte einzusetzen. Zugleich war seine Erwartungshaltung im Hinblick auf das bürgerliche Parteienspektrum gleich Null. Er vertrat den Standpunkt, daß eine linke Partei, die sich in Parlamentsdebatten, Talk-Shows und internen Streitereien erschöpfe, stets Gefahr laufe, in das Fahrwasser all der anderen abzudriften.

Später hatte Ehrhard ernste gesundheitliche Probleme, die seine Möglichkeiten einschränkten. Dennoch setzte er seine politische Arbeit in KPD und DKP auch unter diesen Bedingungen fort. 2001 ist er im Alter von 71 Jahren gestorben.

Rolf Krauß, Erfurt

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"RotFuchs"-Wegbereiter (5): Prof. Dr. Werner Roß

Der auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Jurist Prof. Dr. Werner Roß zählt zu den RF-Aktivisten der ersten Stunde im sächsischen Raum. Schon unmittelbar nach der Konterrevolution wurde er zum Propagandisten des Gedankens, Kommunisten und Sozialisten mit und ohne Parteibuch sowie andere Menschen unverfälscht humanistischer Gesinnung auf marxistischer Basis zusammenzuführen. So war es kein Zufall, daß der angesehene Wissenschaftler seit Gründung der RF-Regionalgruppe Chemnitz-Zwickau-Plauen - sie erfolgte am 21. Februar 2004 - zu ihrem Vorsitzenden gewählt wurde. Diese Funktion übte er bis Februar 2008 mit großem Engagement aus.

Auch in den darauffolgenden Jahren stand Werner Roß in seiner Heimatstadt Zwickau dem dortigen Leserkreis des RF und anderen Gremien als sachkundiger Referent und Diskussionspartner zur Verfügung. Das ist bis heute der Fall.

Einige Schlaglichter aus Werners Biographie: Bis Jahresbeginn 1990 war er als Professor an der Ingenieurhochschule Zwickau tätig. Zugleich leitete er die Hochschulsportgemeinschaft. Noch heute absolviert der 81jährige sein tägliches Laufpensum.

Vom Herbst 1989 bis zum Jahresbeginn 1990 war Genosse Werner Roß ehrenamtlicher SED-Parteisekretär seiner Hochschule. Aktiv beteiligte er sich am Aufbau der PDS in Zwickau und an der Ausarbeitung des Programms dieser Partei. Das Marxistische Forum veröffentlichte viele Beiträge aus seiner Feder. Auch bei den Zwickauer Ostermärschen, linken Demonstrationen oder Aktivitäten der örtlichen Friedensgruppe - überall brachte er seine Lebenserfahrungen und sein reiches politisches Wissen ein.

In den vier Jahren seiner leitenden Tätigkeit in der RF-Regionalgruppe war die Zahl dortiger Bezieher unserer Zeitschrift von 62 auf über 300 gestiegen. Inzwischen liegt sie weit darüber.

Unser Werner setzt sich energisch für die Zusammenarbeit mit anderen kooperationsbereiten linken Kräften ein. Davon zeugt auch sein stabiler und fruchtbarer Kontakt zu Mitgliedern der Linkspartei und der Zwickauer DKP-Gruppe.

Wir danken dem verdienstvollen Mitstreiter für seinen Rat und seine ständige Hilfsbereitschaft. RF

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Trauert nicht, organisiert Euch!

Zum Tode von Erik Neutsch

Der Lebensweg des die "Spur der Steine" literarisch nachvollziehenden großartigen DDR-Schriftstellers Erik Neutsch hat sich am 20. August vollendet. Der 82jährige ist in seinem Haus in Halle gestorben. Seit 2002 war Erik Abonnent unserer Zeitschrift und ein engagiertes Mitglied des "RotFuchs"-Fördervereins. Nur zwei Monate vor seinem Tod hatte er den RF-Chefredakteur einmal mehr angerufen, um sich in einer ihm wichtigen Angelegenheit Auskunft geben zu lassen.

Der Arbeitersohn und klassenkämpferische Journalist der Hallenser SED-Bezirkszeitung "Freiheit", der später das oftmals steinige Feld der DDR-Literatur ideenreich, mutig und kritisch-kreativ beackerte, war ein Mensch zum Anfassen. Mit Werken wie "Auf der Suche nach Gatt" und dem Zyklus "Der Friede im Osten" hat Erik Neutsch Pflöcke des unverfälschten sozialistischen Realismus eingeschlagen. Die geschworenen Gegner der DDR aber kaprizierten sich auf sein bekanntestes Werk - den mit Manfred Krug und unserem unvergeßlichen RF-Freund Eberhard Esche verfilmten Roman "Spur der Steine". Sie taten das nicht etwa, um das vielschichtig-facettenreiche Buch, das eindeutig für den sozialistischen Weg der DDR Partei ergreift, zu würdigen, sondern in der Absicht seiner Fehlinterpretation. Mit der den klaren Blick verstellenden bourgeoisen Brille versuchten sie, Neutschs Werk in ihrem Sinne auszulegen. Der Roman hätte indes weder die bürgerliche Literaturkritik noch die gleichgeschalteten Medien in Wallung versetzt, wäre da nicht ein peinlicher Eklat nach der Potsdamer Uraufführung des Streifens gewesen, der sich gegen SED und DDR ausschlachten ließ.

Erik Neutsch hat den seinerzeitigen Ärger hinuntergeschluckt und ist der kommunistisch-sozialistischen Sache treu geblieben.

Der "RotFuchs" gedenkt eines wahren Menschen, großen Künstlers und sprachgewaltigen Kämpfers mit den auf einen Kassiber geschriebenen letzten Worten des 1915 in Utah erschossenen proletarischen Helden Joe Hill: "Trauert nicht, organisiert Euch!"

Klaus Steiniger

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Willy Meyer-Buer, ein Bremer Widerstandsheld

Vor kurzem ist im Essener Neue-Impulse-Verlag die Autobiographie des 1997 verstorbenen Bremer Antifaschisten Willi Meyer-Buer erschienen. Darin hat der namhafte Widerstandskämpfer, Mitbegründer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und kommunistische Parlamentarier seine reichen Lebens- und Kampferfahrungen niedergeschrieben.

Am 20. Mai 1963, nur 18 Jahre nach der Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus, verurteilte das Landgericht Bremen Willi Meyer-Buer zu acht Monaten Gefängnis mit fünfjähriger "Bewährung". Sein "Vergehen": Er hatte trotz des KPD-Verbots als Einzelbewerber bei der Bundestagswahl 1961 kandidiert. Die Schilderung dieses erneuten Prozesses gegen ihn steht am Anfang seiner Lebenserinnerungen. Der Staatsanwalt beim Landgericht Bremen hielt dem erprobten Antifaschisten vor, "ein unbelehrbarer, fanatischer Anhänger der KPD" zu sein. Fast drei Jahrzehnte zuvor hatte der Staatsanwalt des Nazi-Gerichts in Hamm dem von den Folterknechten der Gestapo geschundenen Häftling in ähnlichen Worten vorgeworfen, ein "unverbesserlicher Kommunist" zu sein, vor dem "die Volksgemeinschaft geschützt" werden müsse.

Am 30. April 1911 in Gelsenkirchen geboren, wurde Willi Meyer-Buer als 20jähriger Mitglied des KJVD und der KPD. Schon bald darauf brachte das deutsche Großkapital Hitler an die Macht. Der junge Bremer Kommunist ging in die Illegalität. Von den Faschisten verhaftet, wurde er sieben Jahre in Zuchthäusern und Konzentrationslagern gequält. Die Solidarität seiner kommunistischen Mithäftlinge und sozialdemokratischer Leidensgenossen half ihm, diese schwere Zeit zu überstehen. Zugleich trug sein furchtloser Einsatz für andere zum Überleben kranker und gefährdeter Kameraden bei.

Nach der Befreiung vom Faschismus engagierte sich Willi Meyer-Buer sofort beim Aufbau der KPD und in der VVN. Er wirkte an der Erarbeitung der Bremischen Landesverfassung und in einer Arbeitsgruppe für das Grundgesetz aktiv mit. Von 1946 bis 1959 gehörte er dem bremischen Parlament an, zehn Jahre der Landesbürgerschaft und nach dem 1956 verhängten KPD-Verbot noch drei Jahre der Stadtbürgerschaft, in die er als "unabhängiger Sozialist" einzog. Selbst bürgerliche Beobachter kommen nicht umhin, dem Bremer KPD-Fraktionsvorsitzenden zu bescheinigen, er habe "sicher in der Diktion, routiniert und geschliffen, ja mitunter als brillanter Redner" seine Aufgabe erfüllt.

Willi Meyer-Buer kämpfte von der Parlamentstribüne wie auf der Straße gegen die Remilitarisierung und die Spaltung Deutschlands durch das Adenauer-Regime. Unermüdlich klärte er andere über die Verbrechen des Faschismus auf und trat zugleich neofaschistischen Umtrieben entgegen. Ebenso unentwegt wirkte er für die sozialen Anliegen der Werft- und Hafenarbeiter, der Kriegsopfer, Parzellenbewohner und kleinen Grundstückseigentümer. Als es 1968 möglich wurde, wieder eine legale kommunistische Partei zu konstituieren, gehörte Willi Meyer-Buer zu jenen, welche in Bremen die Initiative zum Aufbau der DKP ergriffen. Viele Jahre brachte er seine reichen Erfahrungen in die Arbeit des Bezirksvorstandes der Partei ein.

Mit den Erinnerungen Willi Meyer-Buers liegt ein spannendes und lehrreiches Buch über das Leben eines mutigen antifaschistischen Kämpfers und herausragenden kommunistischen Parlamentariers vor. Ihm ist eine möglichst große Verbreitung gerade in einer Zeit zu wünschen, in der die NPD und neonazistische Kameradschaften ihr Unwesen treiben und der Skandal um die Mörderbande NSU deutlich macht, in welchem Grade die Staatsorgane der BRD auf dem rechten Auge blind sind. Vorangestellt ist ein Vorwort des Verlages sowie ein Geleitwort seines Anwalts und Freundes Heinrich Hannover. Ein Anhang mit Presseberichten über das 1963 gegen ihn inszenierte erneute Gerichtsverfahren und die Wiedergabe einer Broschüre, in der die KPD-Fraktion der Bremischen Bürgerschaft öffentlich Rechenschaft über ihre Arbeit ablegt, runden die Publikation ab.

Willi Gerns, Bremen


Willi Meyer-Buer: Der verlorene Kampf - aber er war nicht vergebens. Neue-Impulse-Verlag, Essen 2013, ca. 300 Seiten, 19,80 Euro

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Was aus der einstigen Vorbild-LPG Vippachedelhausen geworden ist

Stieg hier ein Phönix aus der Asche?

Am 11. Juli 2013 erblickte ich nach langer Abwesenheit zum ersten Mal wieder das Ortsschild von Vippachedelhausen im Kreis Weimarer Land. Links der Straße befindet sich die Gartenanlage mit dem feudalen Titel "Am Rittersborn", rechts der flache Hang, auf dem einst der große Schweinestall der Familie des Genossenschaftsbauern Heinrich Janz stand. Als ich 1961 dort eintraf, betreuten die Eheleute etliche Tiere. Heute sieht man nur noch Gestrüpp und ein paar Obstbäume. Hinter dem "Rittersborn" befindet sich der hohe Erddamm des damals mit so viel Mühe angelegten Vippacher Stausees. In ihn floß das Wasser des Wolfsbaches. Ab 1973 konnten so etwa 1600 Hektar unserer Ackerfläche beregnet werden.

Am 29. November 1961 hatte mich der 2. Kreissekretär der Partei an einem neblig-kalten Tag in Vippachedelhausen eingeführt, wo ich dann viele Jahre meines Lebens bei schöpferischer Arbeit verbrachte.

An diesem heißen Julitag - Jahrzehnte nach der Auflösung unserer so erfolgreichen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft - sehe ich mich im Ort um.

Viele Häuser sind ansprechend renoviert und farbenfroh gestrichen. Ich parke mein Auto am nicht mit dem Berliner Alex zu verwechselnden Alexanderplatz - dem Dorfzentrum mit Grünanlage und hochgewachsenen Bäumen. Direkt gegenüber befindet sich ein ramponiertes und leerstehendes Gebäude. In ihm befand sich früher die Gaststätte "Zum Adler". Nun ist das Haus dem Verfall preisgegeben. Der seinerzeitige Eigentümer mit dem Spitznamen "Nuggel" lebt nicht mehr. Damals hatten wir manchen Streit mit ihm, betrieb er doch das einzige Lokal im Ort, welches über Saal und Vereinszimmer verfügte. Diesen Trumpf spielte "Nuggel" natürlich gegen uns aus. Die Tatsache, daß wir mit ihm nicht zurechtkamen, beschleunigte die Entscheidung der LPG, sich einen eigenen Saal mit Ausschank zuzulegen. Das war ein sogenannter Schwarzbau, über dessen Varianten der "RotFuchs" ja bereits seine Leser informiert hat.

Ich setze meine "Recherche" im Unterdorf fort. Dort befand sich bis 1945 ein Rittergut, das bei der Bodenreform unter die Enteignungskriterien fiel. Die alte Anlage war ein Vierseithof. An der Straße lag das repräsentative Gutshaus, die übrigen drei Seiten waren Viehställen und der Scheune vorbehalten. Unsere LPG, wie die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der DDR kurz genannt wurden, übernahm das gesamte Areal und baute es Schritt für Schritt aus. Später gaben wir die Viehställe auf und nutzten die Räumlichkeiten für Zwecke der Verwaltung des rund 5000 Hektar bearbeitenden sozialistischen Betriebes, der als spezialisierte LPG Pflanzenproduktion Vippachedelhausen landesweit bekannt war. Auf dem großen Hof herrschte damals eine mustergültige Ordnung. Dafür sorgte schon der LPG-Vorsitzende Helmut Steinbrück, der zu den Abgeordneten der DDR-Volkskammer gehörte.

Bei meiner Ankunft fand ich die große Toreinfahrt neben dem einstigen Gutshaus fest verschlossen. Rechts an der Giebelwand sprang mir eine knallbunte, geradezu exotisch anmutende Reklametafel ins Auge. Dazu die Worte: "tirica - ein tiernahes Erlebnis - Erlebniszoo - Bowling - FEWO". Offen gesagt schockierte mich das ein wenig.

Auf dem einst großen Hofgrundstück herrschte ein heilloses Chaos. Alte, teils defekte landwirtschaftliche Geräte, große runde Strohballen und aller nur denkbare Kram waren über die Fläche verstreut. Das Tohuwabohu betraf auch das alte Gutshaus, das seinerzeit durch die LPG aufwendig renoviert worden war. Es ist jetzt unbewohnt und dem Verfall preisgegeben. Unser mit so viel Kraftaufwand geschaffener Saalanbau ist außer Betrieb.

Der nunmehrige Eigentümer - es handelt sich um den Betreiber von "tirica" - hält mich nicht gerade freundlich an. Er möchte wissen, was ich hier zu suchen hätte. Meine Erklärung, ich wäre seit 1961 in Vippachedelhausen tätig gewesen, nimmt er nur widerwillig zur Kenntnis. Die Tatsache, daß ich all den Unrat bei ihm gesehen habe, scheint dem Mann absolut nicht in den Kram zu passen. Recht bekümmert verlasse ich diesen Ort, an dem ich in der Zeit des Sozialismus so viele schöne Dinge erlebt habe.

Mein Eindruck ist zunächst: In der Region gibt es offenbar überhaupt keine Landwirtschaft mehr. Wo ist nur die einst so florierende und Maßstäbe setzende Vippacher "Pflanze" geblieben? Sie verschwand nach der vielgepriesenen "Wende" offenbar ebenso spurlos wie viele andere Errungenschaften jener Tage. Ohne Zweifel gab es ja genügend Leute im Westen, die unsere Genossenschaften für immer und ewig getilgt sehen wollten. Nach dem "Landwirtschaftsanpassungsgesetz" der BRD von 1992 wurden die spezialisierten LPG und Volkseigenen Güter (VEG) - solchen Wünschen entsprechend - samt und sonders liquidiert. Schließlich waren sie ja zu ernsthaften Konkurrenten für die westdeutschen Güter und die großen Familienbetriebe geworden. Also weg mit ihnen!

Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Unsere Vippacher Genossenschaftsmitglieder erwiesen sich gegenüber ihren auf der Lauer liegenden Totengräbern als die Klügeren. Kurzerhand nutzten sie die Gesetzgebung der Bundesrepublik und gründeten nach bürgerlichem Recht eine neue Genossenschaft.

Wie Phönix aus der Asche stieg die mit Tier- und Pflanzenproduktion befaßte Erzeuger-Genossenschaft Neumark eG empor. Damit hatten die Vippacher, die keine "Neueinrichter" werden wollten, ihren modernen Großbetrieb samt vieler Arbeitsplätze erhalten.

Darüber, auf welche Weise das geschah und wie dieses Unternehmen heute über die Runden kommt, werde ich den RF-Lesern in der nächsten Ausgabe berichten.

Eberhard Herr

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Wie ein wegen Republikflucht Verurteilter zum "RotFuchs" fand

Mario schüttet sein Herz aus

Eure Zeitung habe ich bei meinem Freund Dietmar entdeckt. Der sagte eines Tages zu mir: "Lies doch mal diesen Artikel!" Darin ging es um Religionen. Ich bin seiner Aufforderung gefolgt, habe mir dann den RF genauer angesehen und ihn von vorne bis hinten gelesen. Ich war beeindruckt. Die Zeitschrift spricht mir sehr aus dem Herzen, wobei ich einige kritische Anmerkungen zu machen hätte.

Was mir bei manchen Artikeln oder auch in Leserbriefen auffällt, ist die einseitige Hervorhebung der guten Taten in der DDR, die auch ich nicht in Abrede stellen will. Doch viele vergessen, daß die äußerst niedrigen Preise für Grundnahrungsmittel, Wohnungsmieten und vieles andere die DDR teuer zu stehen kamen. Mir fällt da natürlich auch die Schrippe beim Ostbäcker für 5 Pfennige ein, die ebenfalls subventioniert werden mußte. Das Wichtigste war sehr billig zu haben, allerdings bei niedrigeren Löhnen als im Westen. Andere Produkte waren weit teurer.

Ich bin am 17. September 1963 in Ostberlin geboren. Meine Kindheit war kein Zuckerschlecken: der Vater Alkoholiker, die Mutter lust- und lieblos. Mein Vater hatte die Mutter beim Opa kennengelernt, der in Blankenburg bei Berlin ein Grundstück besaß. Als dann im August 1961 die Mauer gebaut wurde, mußte mein Vater einen westdeutschen Paß besitzen, um mit dem Motorrad ständig hin- und herpendeln zu können. 1965 wurde er in Westberlin festgenommen. In der Zeitung mit den vier großen Buchstaben stand dann etwas von einem "SSD-Agenten".

Ich verbrachte mein Leben so weit so gut in der DDR. Der Schulalltag und die Jugendjahre verliefen ziemlich normal, sieht man davon ab, daß ich beim Lernen Schwierigkeiten hatte. Während Sport und Zeichnen meine Lieblingsfächer waren, stand ich in anderen Disziplinen nicht so gut. Zu Dreien und Vieren kamen bisweilen auch Fünfen.

Nach dem Verlassen der Schule erhielt ich sofort eine Lehrstelle. Die Ausbildung erfolgte bei WtB, wie der volkseigene Handelsbetrieb Waren täglicher Bedarf abgekürzt hieß. Die Arbeit war körperlich schwer, die Ausbildung dauerte zweieinhalb Jahre. Auch mein Facharbeiter-Alltag war durchaus kein Zuckerschlecken. Wir mußten per Hand Kiste für Kiste aus Waggons entladen oder Container vollstapeln. Ich erzähle das nur, weil ich einige Jahre für monatlich 475 Mark hart ran mußte.

Meine Kollegen waren Leute, die meist gerne einen über den Durst tranken. So wurde Ware im Suff mit einem Stapler zerstört, und wir frischgebackenen Facharbeiter mußten dann die Trümmer wegräumen.

Ich wurde in die Heizung versetzt, nachdem ich mich im Betrieb darüber beschwert hatte, daß Betrunkene Schaden anrichten könnten, ohne daß etwas geschehe. In meiner Kaderakte stand: "Herr Dittrich schwärmt fürs kapitalistische System."

Ehrlich gesagt: Manches, was ich damals erlebte, empfand ich als haarsträubend. So reifte 1983 in mir der Gedanke, nach Westberlin abzuhauen, wobei ich sogar das Risiko, als Grenzverletzer bei der Flucht erschossen zu werden, in Kauf nahm. Ich war in jener Zeit schon länger ohne Beschäftigung und stromerte sinnlos umher. Da versuchte ich, die Mauer in der Gegend Oderberger Straße zu überwinden. Ich wurde festgenommen und in das Gefängnis Rummelsburg gebracht, wo ich einen Monat in U-Haft saß. Das Urteil lautete auf anderthalb Jahre Freiheitsentzug mit Bewährung. Ich werde der DDR nie vergessen, daß sie mich auch jetzt nicht fallengelassen hat. Ich bekam Arbeit und ein Zuhause.

Mit den Jahren verschärften sich meine gesundheitlichen Probleme. Die von Geburt an deformierte Wirbelsäule war nicht belastbar. So arbeitete ich mal hier mal dort und erfreute mich an meinem Hobby - der Ölmalerei im Stil der Gründerzeit. Damals lernte ich meine Lebenspartnerin Ute kennen, was meine Stimmung merklich hob. Im Mai 1988 wurde ich zur NVA einberufen. Wegen meines Rückenleidens leistete ich Innendienst. Während meiner Grundausbildung fertigte ich allerhand Bilder und Zeichnungen an. Zu den von mir gewählten Motiven gehörten auch Landschaften. Ein Offizier, der sie sah, kommandierte mich kurzerhand ab. Das restliche Jahr verbrachte ich mit Malarbeiten in Speisesälen und anderen Objekten. Dann rückte die Entlassung heran, auf die ich mich sehr freute, zumal ich Vater werden sollte.

Am 27. Oktober 1989 wurde ich aus der NVA entlassen, kurze Zeit später fiel die Mauer. Wie nicht wenige andere war auch ich geradezu aus dem Häuschen. Die peinlichen Vorkommnisse an jenen Tagen möchte ich gar nicht erst erzählen. Ich hatte im wahrsten Sinne des Wortes eine rosarote Brille auf. Doch allmählich setzte die Ernüchterung ein.

Als mein Sohn etwa drei Jahre alt war, hatten wir ernste Probleme finanzieller Art. Mal war ich arbeitslos, mal hatte ich einen Putzjob. Eines Tages stellte meine Ute fest, daß sie vom Amt zuwenig Geld erhielt, da die Summe offenbar falsch berechnet worden war. Wutentbrannt rief ich bei einer Zeitung an und erzählte den Redakteuren den Fall. Sie schickten gleich zwei Reporter, die uns mit allen möglichen Fragen bestürmten. Irgendwann fiel von mir der Satz, Millionäre sollten sich doch lieber um arme Kinder kümmern. Die Reporter sind dann gegangen. An einem Februartag 1993 sahen wir unseren Sohn dann ganz groß auf der Titelseite des Blattes: "Eltern wollen dieses Kind verschenken", lautete die Schlagzeile. Damit wurde eine Lawine losgetreten. Studios wie "Premiere" und "Schreinemakers Live" griffen die Sache begierig auf. Was damals in der Zeitung gelogen wurde, ging auf keine Kuhhaut. So sollte ich z. B. bei Schreinemakers jemandem Prügel angedroht haben. Kein Wort davon stimmte. Wir aber waren demgegenüber wehrlos. Das ist meine Erfahrung mit den Medien der BRD.

Seit fünf Jahren sind Ute und ich auseinander, unser Sohn ist jetzt bereits 23. Ich lebe von einer Erwerbsunfähigkeitsrente. Wenn ich die Kosten für Miete, Strom, Telefon und Versicherung abziehe, bleibt mir nur ein Hartz-IV-Satz übrig. Ich besitze weder Handy noch Computer, bin also von der modernen Gesellschaft ausgeschlossen. Ich hatte bereits zwei Herzinfarkte und eine Bypass-Operation. In diesem System als kranker Rentner leben zu müssen, ist alles andere als lustig. Dennoch werde ich mir nichts antun.

Ja, ein menschenfreundlicher Sozialismus - das wäre etwas! Seid bitte so lieb und schickt mir jeden Monat den "RotFuchs". Vielen Dank!

Mario Dittrich, Berlin

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Heil Porsche!
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Staatsdoping ohne Ende

Die Aufdeckung des umfassenden Staatsdopings in der BRD führt zu der Erkenntnis, daß es in dieser Angelegenheit zwischen beiden deutschen Staaten zumindest 1:1 steht. Somit kommen jene Tatsachen, welche ganz maßgeblich zu den hervorragenden Leistungen der DDR-Sportler beigetragen hatten, noch stärker als bisher zum Tragen. Dies waren der Schulsport, die Förderung des Breitensports, die frühe Talentsuche bei den Jugendspartakiaden sowie an den Kinder- und Jugendsportschulen, aber auch die Sportwissenschaft und der hohe Stellenwert des Sports im Sozialismus.

Ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, daß all jene, welche an den einzigartigen Sporterfolgen der DDR beteiligt waren, wieder mehr Selbstbewußtsein an den Tag legen sollten. Schließlich waren es ihre Erfolge. Sie dürfen sich diese von den professionellen Hetzern gegen den DDR-Sport in keiner Weise streitig machen lassen. Aus meiner Sicht wäre es schön, wenn im "RotFuchs" mehr über den Sport in der DDR berichtet würde, gibt es doch keinen Grund, herausragende Leistungen nicht eindeutig zu benennen.

Als jemand, der in Bayern lebt und vieles erst später erfahren hat, frage ich mich: Was ist von der alle Dimensionen sprengenden "Dopinghetze" gegen die DDR übriggeblieben?

DOSB-Sprecher Christian Klaue erklärte in einem Interview mit der Deutschen Welle unter Anspielung auf die DDR-Staatssicherheit: "Es ist natürlich so gewesen, daß in Ostdeutschland ganz andere Aktenbelege vorlagen. ... Das gibt es im Westen nicht." Der Interviewer hätte ganz einfach nachfragen können, warum es denn solche Belege nicht gegeben hat. Die Antwort wäre sicher sehr interessant gewesen.

Noch kurz eine Illustration dessen, was ich mit außergewöhnlichen Sporterfolgen gemeint habe. Bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul errangen die 138 aktiv beteiligten Sportler der DDR insgesamt 102 Medaillen. Welches andere Land kann einen solchen Erfolg vorweisen?

Noch eine ganz persönliche Bemerkung: Bei allen künftigen Gesprächen mit meinen Freunden und Bekannten werde ich die hier dargelegte Meinung mit Nachdruck vertreten, wenn es um die Erfolge der DDR-Sportler geht. Das Eingeständnis des BRD-Staatsdopings können sie nicht vom Tisch wischen.

Johann Weber, Ruhstorf (Niederbayern)

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Wie die Profitjäger des Kapitals künstlich Bedürfnisse schaffen

Zur "fordistischen" Konsumgesellschaft

Für die ideologischen Väter der kapitalistischen "freien Marktwirtschaft" David Ricardo (1772-1823) und Adam Smith (1723-1790) galt das "eherne Lohngesetz", das lediglich die Reproduktionskosten einer Arbeiterfamilie als "rentable und notwendige Versorgung" anerkennt. Heute ist dieses - in Abhängigkeit von der Lage auf dem Arbeitsmarkt - nicht einmal gewährleistet. So waren 2009 mehr als eine Milliarde Menschen chronisch unterernährt, täglich starben 25.000 von ihnen. Ursache dafür ist nicht ein objektiv bestehender Mangel an Gütern, sondern allein deren ungleiche Verteilung. Selbst in ausgesprochenen Hungerländern, in denen die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt, fehlt es im Angebot weder an Rolex-Uhren noch an Kaviar.

Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist für den erzeugten Reichtum zu eng geworden und sucht ständig nach Möglichkeiten innovativer Technologien wie globaler Vermarktung. Marx und Engels warfen bereits im Kommunistischen Manifest die Frage auf: "Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften, andererseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, daß sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert."

Getrieben vom Zwang zu immer mehr Wachstum und Konkurrenz haben die Kapitalisten Mittel und Wege gesucht, durch das Wecken künstlicher Bedürfnisse die im Ergebnis des Ringens sozialer Bewegungen gestiegene Kaufkraft der arbeitenden Massen systematisch abzuschöpfen. Der nach dem US-Autokönig Henry Ford benannte "Fordismus" verfügt heute über ein hochdifferenziertes Instrumentarium markt- und klassenspezifischer Konsumgüterangebote, deren Erwerb "Wohlstand und Glück" verheißt.

Die weltweit erfolgreiche Verbreitung dieser Konsumideologie wurde zum scharfen Schwert im Kampf gegen den real existierenden Sozialismus und stabilisierte zugleich in reichen Ländern das kapitalistische System. Eingeleitet wurde sie mit dem Warenkreditprogramm des Marshallplans (1948), das zugleich den Kalten Krieg an der Wirtschaftsfront eröffnete. Es folgte Ludwig Erhards "soziale Marktwirtschaft". Diese Ideologie führt zur Entsolidarisierung, indem sie den werktätigen Massen ein "freies Konsumparadies" vorgaukelt, von dem Selbstwertgefühl und Status der Menschen abhängen.

Doch seit dem Wegfall sozialistischer Gegenmodelle in Europa geraten immer mehr Konsumenten in eine Situation, die ihnen den Erwerb solcher Erzeugnisse verwehrt. Kürzere Produktlebenszyklen zwingen zu immer neuen Angeboten, die durch geschickte wirtschaftspsychologische Werbung vermarktet werden müssen. Der Wettlauf um die Senkung der Produktionskosten und die Möglichkeit sofortiger globaler Beschaffung vernichten große Anteile der knapper werdenden endlichen Ressourcen. Sie zerstören die Lebensgrundlagen künftiger Generationen in aller Welt. Ob hohe oder niedrigere Preise - der Konkurrenzdruck zwingt ständig zum Betrug. Schäbige Billigprodukte werden mit Etiketten wie "Spitzenqualität" oder "Hauch von Luxus" versehen, um den Massen eine Teilhabe am dekadenten Wohlleben der Reichen vorzugaukeln. Wer davon ausgeschlossen bleibt, wird als "Versager" abgestempelt. Statt sich gegen das System aufzulehnen, besorgen sich Jugendliche - wie 2011 in London - die heißersehnten Statussymbole durch Plünderungen bei Armutsrevolten.

Diese Konsumgesellschaft ist fern von der "Abwesenheit jeglichen Mangels" und "gesellschaftlichem Überschuß" - den hehren Verheißungen einer sozialistischen Wirtschaftsordnung. Als Etappenziel auf dem Weg zur Zukunftssicherung der Menschheit bleibt das Ringen um eine sozial gerechte Sicherung der Grundbedürfnisse an Nahrung, Kleidung, Wohnraum, gesundheitlicher Betreuung und Bildung. Die insgesamt erzeugten Lebensmittel und die vorhandenen Ressourcen reichen dazu heute noch aus, wie die Welternährungsorganisation FAO ermittelt hat. Diese Situation aufrechtzuerhalten, setzt eine fundamentale Veränderung der Verteilungsverhältnisse und den Verzicht auf haltlose "fordistische" Verschwendung voraus.

Wer heute die Einschränkung der Produktion privater Kraftfahrzeuge und - stattdessen - den Ausbau eines bezahlbaren öffentlichen Nahverkehrsnetzes, den Einsatz von Haushaltsmitteln für den sozialen Wohnungsbau und ein Gesundheitswesen in öffentlicher Hand fordert, sollte stets daran erinnert werden, daß es all das in der DDR bereits gegeben hat. Sie war in diesem Sinne einer der wohlhabendsten Staaten der Welt. Durch Wirtschaftsboykott und einen ihr aufgezwungenen Rüstungswettlauf, aber auch durch Fehler bei RGW-Planungsmaßnahmen konnte die potentielle Leistungsfähigkeit der sozialistischen Gemeinwirtschaftsmodelle nicht voll ausgeschöpft werden. Dennoch kehrt manches, was es im sozialistischen Staat bereits als Selbstverständlichkeit gab, heute stillschweigend in ökologische und soziale Forderungskataloge zurück, die an die "westliche Wohlstandsgesellschaft" adressiert sind.

Wer wirklich neue Wege sucht, kommt an der Vergesellschaftung der Ressourcen, Produktionsmittel und Verkehrskapazitäten, aber auch zentraler Bereiche des Handels mit Konsumgütern nicht vorbei. Überfluß steht dann für kulturelle und bildungspolitische Entfaltung wirklich freier Menschen zur Verfügung, deren Glück und Selbstwertgefühl nicht mehr vom Genuß einer Banane abhängen wird.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Gab es im DDR-Geschichtsbild nur "Gute" und "Böse"?

Seit der Konterrevolution 1989/90 gehört die Geschichtsfälschung großen Stils zur politischen Strategie der zeitweiligen Sieger. Lügen, Halbwahrheiten und die persönliche Verleumdung von Führern der Arbeiterbewegung wie des sozialistischen deutschen Staates werden am Fließband produziert. Dazu gehören auch ein verstärkter "linker" Geschichtsrevisionismus sowie die Leugnung unumstößlicher gesellschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse. Teil dieser Strategie ist die systematische Diskreditierung von Lehre und Forschung in der Geschichtswissenschaft der DDR sowie die Kriminalisierung sämtlicher Gremien, die sich mit dem Widerstandskampf gegen den Faschismus und der Chronik der örtlichen Arbeiterbewegung zu DDR-Zeiten befaßt haben.

Wir leiteten unsere Traditionen aus dem historischen Erbe ab. Unser diesbezügliches Bild umfaßte die Gesamtheit der Ereignisse und Prozesse, der Siege und Niederlagen in der wechselvollen Geschichte des deutschen Volkes. Dabei stellten wir als Marxisten jene sozialen Kräfte wie deren Repräsentanten besonders heraus, die durch ihren revolutionären Kampf die Durchsetzung höher entwickelter Gesellschaftsordnungen erzwangen oder auf den Gebieten von Technik, Wissenschaft und Kultur das Leben der Menschen bereicherten.

Da wir uns stets der gesamten Geschichte in ihrer Vielseitigkeit, Kompliziertheit und Widersprüchlichkeit, also dem Progressiven wie dem Reaktionären gleichermaßen, stellten, waren wir bemüht, sowohl die fortschrittliche als auch die reaktionäre Klassenlinie in der Chronik der Deutschen von Beginn an zu berücksichtigen. Daß wir uns damit nicht in Übereinstimmung mit dem Geschichtsbild der alten BRD befanden, versteht sich von selbst.

Auf diese Unterschiede wurde ich erneut nachdrücklich aufmerksam, als ich den Artikel Rolf Bertholds in der RF-Juli-Ausgabe zum Verhalten beider deutscher Staaten gegenüber Vietnam las.

Ihre wichtigsten historischen Überlieferungen schöpfte die sozialistische Gesellschaft aus den Kämpfen der werktätigen Massen, deren fortgeschrittenste Kräfte stets für die Schaffung einer ausbeutungsfreien, menschenwürdigen Gesellschaftsordnung eintraten. Doch dieses sozialistische Traditionsbild wäre unzulässigerweise eingeengt, hätten wir dabei das konträre Wirken jener Klassen außer acht gelassen, die in großen revolutionären Umbruchepochen an der Spitze des Kampfes für die Ablösung überlebter sozialer Systeme standen, auch wenn sie nach ihrem Sieg selbst zu Ausbeutern wurden.

Entscheidend für den sozialistischen Traditionsbegriff ist und bleibt das Fortschrittskriterium. In der DDR pflegten wir die Erinnerung an das Wirken all jener Menschen, welche auf die eine oder andere Weise zum Voranschreiten der Menschheit und zur Entwicklung der Weltkultur beitrugen - unabhängig von ihrer sozialen Position. Unser Traditionsbild war demnach vielgestaltig und sehr differenziert.

An erster Stelle standen für uns die dem Sozialismus eigenen Traditionen, die sich beim Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung herausgebildet hatten. In den 40 Jahren ihrer Existenz verfolgte die DDR einen unverwechselbaren Weg. Die Taten der antifaschistischen Helden, der Aktivisten der ersten Stunde, der Bahnbrecher der Bodenreform, der Neuerer in Industrie und Handel, der Pioniere der sozialistischen Umgestaltung in der Landwirtschaft und die engagierten Verfechter internationalistischer Solidarität prägten ihre Geschichte. Zweitens gewannen die Erbauer des Sozialismus ihre Kraft aus den Kämpfen der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung - vom Marxschen Bund der Kommunisten bis zur KPD Liebknechts, Luxemburgs und Thälmanns. Zum kostbarsten Erbe zählten sie das Kommunistische Manifest von 1848, die Pariser Kommune 1871, den Roten Oktober 1917, die wagemutige, wenn auch fehlgeschlagene deutsche Novemberrevolution 1918/19, das Programm des Gründungsparteitages der KPD, deren Aufruf vom 11. Juni 1945 sowie den Händedruck von Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl im April 1946.

Profunder Antifaschismus prägte das Handeln der DDR von der ersten Stunde ihrer Existenz. So war es kein Zufall, daß vor 1989/90 unzählige Straßen und Plätze, Betriebe und Einheiten der bewaffneten Kräfte, Arbeitskollektive und Schulen die Namen deutscher und ausländischer Helden des Widerstandes gegen die Nazidiktatur trugen.

Da sich die sozialistische Gesellschaft auch als Hüterin des Vermächtnisses der Kämpfe und Bestrebungen aller nicht-proletarischen werktätigen Klassen und Schichten in der feudalen wie der bürgerlichen Gesellschaft verstand, umschloß das Traditionsverständnis der DDR auch die Bauernerhebungen und Kämpfe des städtischen Bürgertums im Mittelalter. Dazu gehören die Reformation und der große deutsche Bauernkrieg von 1517 bis 1526, die Mainzer Republik (1793) und die bürgerliche Revolution von 1848.

Natürlich befaßten wir uns als Historiker auch mit den Aktivitäten der Ausbeuterklassen und ihrer Repräsentanten, soweit sie traditionswürdigen Charakter besaßen. Wir ließen uns also nicht davon abhalten, schöpferische Leistungen der Feudalklasse wie der Bourgeoisie bei der Errichtung und Ausgestaltung ihrer anfangs fortschrittlichen Gesellschaftsformationen anzuerkennen. Als jeweils führende Klassen erfüllten sie eine ihnen objektiv zufallende geschichtliche Rolle. Ich denke dabei an Martin Luther, die preußischen Reformer zwischen 1807 und 1813, aber auch an das Wirken mittelalterlicher Könige und Kaiser wie Heinrich I., Otto I. oder Heinrich IV. bei Aufbau und Konsolidierung der Feudalgesellschaft. Die auf ihren Befehl hin errichteten Burgen und Schlösser, die unter ihrer Herrschaft gegründeten Städte und Dörfer trieben den Landesausbau voran, indem wichtige ökonomische, politische und kulturelle Zentren entstanden, die den Fortschritt der Produktivkräfte und die Entwicklung des gesellschaftlich-kulturellen Lebens beförderten.

Dr. Wolfgang Reuter, Magdeburg


Unser Autor war Vorsitzender der Zentralen Fachkommission Geschichte beim Ministerium für Volksbildung der DDR, welche die Institute für Lehrerbildung (IfL) betreute. 24 Jahre leitete er die Kreisgeschichtskommission (KGK) der SED in Staßfurt.

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Zum Gedächtnisschwund bei den "politischen Eliten" der BRD

Ein schwerer Fall von Amnesie

Nachdem sich die Bundesrepublik Deutschland 1949 als selbständiger Staat konstituiert hatte, wurde am 7. Oktober desselben Jahres die Deutsche Demokratische Republik aus der Taufe gehoben. Damals bereits nahm eine Reihe volksdemokratischer und sozialistischer Staaten diplomatische Beziehungen zu ihr auf. Dazu zählten zwei Großmächte: die UdSSR und China.

1966 beantragte die DDR ihre Aufnahme in die Vereinten Nationen - zunächst allerdings ohne Erfolg. Doch 1973 wurden beide deutsche Staaten als UNO-Vollmitglieder akzeptiert. Die DDR-Anerkennungswelle erhielt danach starken Auftrieb. 1987 hatte sie 133 Staaten erfaßt.

Im Oktober 1975 fand in Helsinki die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) statt, an der beide deutsche Staaten gleichberechtigt teilnahmen. DDR-Staatsratsvorsitzender Erich Honecker und Bundeskanzler Helmut Schmidt saßen nebeneinander am Konferenztisch. Gemeinsam mit weiteren 32 Staats- und Regierungschefs unterzeichneten sie die Schlußakte von Helsinki.

Schon bei ihrer Gründung hatte die BRD einen anmaßenden Alleinvertretungsanspruch erhoben. Ihr Außenminister Hallstein sprach der DDR das Recht auf Gleichberechtigung in internationalen Angelegenheiten ab. Zugleich forcierte die BRD die gezielte Abwerbung von Fachkräften und betrieb einen skrupellosen Menschenhandel großen Stils, um die DDR personell auszubluten. Dieser Entwicklung mußte ein Ende gesetzt werden. In Übereinstimmung mit der UdSSR und den anderen Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrages schloß sie am 13. August 1961 ihre Grenzen zu Westberlin. Die Maßnahmen wurden durch die Sowjetarmee und die Streitkräfte der DDR abgesichert. Die Westmächte erhoben keinen Einspruch, in Bonn schnaubte man vor ohnmächtiger Wut.

Die BRD geriet in eine schwierige Lage, war sie doch gezwungen, mit der DDR weiterhin zu verhandeln, da Westberlin auf deren Territorium lag.

Während die Hetze unvermindert anhielt, fanden zugleich Gespräche statt. Die BRD war auf die Verkehrswege zur "Frontstadt Westberlin", die sie als ihre "Exklave" betrachtete, angewiesen. Zugleich mußten Regelungen für den Verkehr zwischen der Hauptstadt der DDR und Westberlin gefunden werden, bei denen es u. a. um die Lieferung von Elektroenergie und die Müllentsorgung ging. Nachdem sich die BRD-Führung mit der geschützten DDR-Grenze wohl oder übel abgefunden hatte, war sie dazu bereit, zwischenstaatliche Regelungen für eine sich normalisierende Zusammenarbeit mit dem sozialistischen deutschen Staat zu suchen. So kam es 1973 zum Abschluß des Grundlagenvertrages, in dem beide Seiten entsprechende Prinzipien vereinbarten. Er betraf Grenzfragen, Handelsbeziehungen, Verkehrswege und den wirtschaftlich-wissenschaftlichen Austausch. Auch Probleme in bezug auf Westberlin gehörten dazu.

Während man die diplomatische Anerkennung der DDR weiterhin verweigerte, wurde eine "Ersatzlösung" gefunden: In Berlin und Bonn nahmen Ständige Vertretungen ihre Tätigkeit auf. Sie hatten auch Aufgaben diplomatischen Charakters zu erfüllen.

Bis zur Annexion der DDR durch die BRD im Oktober 1990 nahmen die Spitzen der Bonner Regierung die zwar unerwünschten, aber bestehenden Realitäten zähneknirschend hin. Sie verhandelten mit ihren DDR-Partnern, schlossen Verträge mit ihnen ab, arrangierten Staatsbesuche und knüpften Kontakte zu deren Repräsentanten.

Tatsächlich kam es zu einer Reihe sinnvoller Maßnahmen: In Berlin wurden zeitlich begrenzte Passierscheinabkommen vereinbart, DDR-Rentner durften ohne wesentliche Einschränkungen in die BRD reisen, Verwandtenbesuche im Westen wurden erleichtert, neue Handelskontakte geknüpft, die Verkehrswege durchlässiger gemacht. Nicht ohne Hintergedanken räumten BRD-Banken der DDR Milliarden-Kredite zu moderaten Bedingungen ein.

Trotz aller Störversuche von westdeutscher Seite hatte sich die DDR zu einem Staat mit solider sozialer Absicherung, fehlender Arbeitslosigkeit, einem vorbildlichen Bildungssystem, umfassender Kinderbetreuung, hohem Kulturniveau und erfolgreichem Sportbetrieb entwickelt. Die Kriminalität lag weit unter der im Westen.

Wie andere entwickelte Industriestaaten verfügte auch die DDR über einen Geheimdienst - die Organe des Ministeriums für Staatssicherheit. Sie schuf sich in Gestalt der Nationalen Volksarmee eigene Streitkräfte, nachdem sich in der BRD die Bundeswehr unter Führung schwer belasteter Nazigeneräle längst etabliert hatte. Im krassen Gegensatz dazu kamen die ersten Kommandeure der NVA überwiegend aus den Reihen bewährter Antifaschisten.

Der erfolgreiche und kontinuierliche Aufstieg der DDR wurde durch die BRD-Führung geleugnet. Sozialistische Produktionsverhältnisse entsprachen nicht dem Geschmack des deutschen Kapitals, zumal die BRD auf sozial entscheidenden Gebieten ins Hintertreffen geriet.

Besonders schmerzte die Bonner Politiker auch die üppige "Medaillenausbeute" von DDR-Sportlern, die stets deutlich über den Ergebnissen ihrer Konkurrenten aus der BRD lag. Deshalb verbreiteten die Medien im Westen die Mär, die DDR-Sportler seien samt und sonders gedopt worden.

Natürlich gab es in der DDR wie überall auf der Welt auch Defizitäres, Kritikwürdiges und Mißlungenes. So entsprach z. B. ihr Wahlmodus nicht allen Kriterien sozialistischer Demokratie. Bedauerlicherweise gelang es nur unzureichend, ein stabiles Eigentümerbewußtsein im Verhältnis zum Volkseigentum zu entwickeln. Private Reisen ins kapitalistische Ausland waren vor allem wegen Valuta-Mangels stark eingeschränkt.

Doch kehren wir zur "großen Politik" zurück. Parteiführer aller Richtungen und ganze Armeen von Wirtschaftsbossen besuchten die DDR schon sehr bald, ohne von der fehlenden diplomatischen Anerkennung durch die BRD Notiz zu nehmen. Zu den Staatsgästen gehörten die ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt, die Ministerpräsidenten der Länder Lothar Späth, Oskar Lafontaine, Franz-Joseph Strauß, Johannes Rau und Henning Voscherau. Weitere Besucher waren Hans-Dietrich Genscher, Hans-Joachim Vogel, Klaus von Dohnany und Wolfgang Mischnik. Fast alle trafen mit führenden Repräsentanten der DDR zusammen.

Auch hochrangige Politiker und Wirtschaftsleiter der DDR reisten in großer Zahl zu Partnern im Westen. Höhepunkt solcher Visiten war der offizielle Besuch des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in der BRD. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte bereits wiederholt Einladungen ausgesprochen, die jedoch nicht angenommen wurden, weil die sowjetischen Verbündeten von Erich Honecker erwarteten, daß er diese ausschlagen werde. So konnte der offizielle Staatsbesuch erst im September 1987 stattfinden. Der hohe Gast aus der DDR wurde mit allen diplomatischen und militärischen Ehren empfangen. Die Fahne mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz stieg am Mast empor, während die Nationalhymne der DDR intoniert wurde. Dieser Empfang kam einer Anerkennung der DDR gleich, was indes nur für die Dauer des Aufenthalts der Delegation in der BRD galt. Danach suchte die westliche Seite ihre offenkundige Demütigung schnell wieder vergessen zu machen.

Übrigens hatte Bundespräsident Richard von Weizsäcker zu Ehren Honeckers einen Empfang gegeben. In der Kruppschen Villa Hügel in Essen traf dieser mit Spitzenvertretern der am "Ostgeschäft" interessierten BRD-Wirtschaftskreise zusammen.

In der Folgezeit vollzogen sich dramatische Entwicklungen mit innen- wie außenpolitischem Hintergrund. Wachsende Teile der DDR-Bevölkerung gerieten - nicht zuletzt unter massivem Einfluß der Medien der BRD - in Konflikt mit der Politik der SED und des Staates. Während nicht wenige in den Westen ausreisen wollten, forderte ein signifikanter Teil der Unzufriedenen eine "bessere DDR". In dieser Situation blieben zu spät eingeleitete Maßnahmen der SED und der Regierung ohne die erhoffte Wirkung.

Sicher spielte auch die faktische Führungslosigkeit im brisanten Sommer 1989 bei all dem eine Rolle. Die verhängnisvolle Entwicklung im sozialistischen deutschen Staat hing auf das engste mit Veränderungen zusammen, die sich in der Sowjetunion vollzogen. Sie betrafen alle Staaten des Warschauer Vertrages und des RGW.

Ohne sich mit den Verbündeten zu konsultieren, erklärte Gorbatschow verblüffenderweise, jedes bisherige Bruderland solle fortan Politik auf eigene Faust betreiben. Bald darauf wandte er sich den NATO-Staaten - vor allem der BRD - zu und verhökerte die DDR eiskalt an Bonn.

Die DDR-Führung wurde der Entwicklung im eigenen Lande nicht mehr Herr. Zu den Problemen, die ihr über den Kopf wuchsen, zählten eine rasch ansteigende Ausreisewelle und die plötzliche Zunahme vom Westen angestachelter oppositioneller Gruppierungen.

Als im Oktober 1989 ein Kurswechsel eingeleitet werden sollte, um die DDR zu retten, war es bereits zu spät. In einer vorgezogenen letzten Volkskammerwahl am 18. März 1990 unterlag die aus der SED hervorgegangene PDS und damit auch die von ihr geleitete Modrow-Regierung. Das für sie negative Resultat war durch Parteien, Personen und Medien der BRD unter persönlicher Beteiligung Kohls systematisch vorbereitet worden. Die ans Ruder gelangte Regierung Lothar de Maizières (CDU) konnte keinen selbstbestimmten Kurs mehr verfolgen. Im Juni 1990 erhielten die Bürger der "Noch-DDR" dann die D-Mark, womit die Stimmung endgültig umschlug und jede Hoffnung auf Bewahrung eines eigenständigen ostdeutschen Staates dahinschmolz. Als bald darauf die Eingliederung der DDR in die BRD erfolgte, fielen die letzten Schranken. Jede Moral war wie weggeblasen. Die DDR wurde von den Siegern zum Unrechtsstaat erklärt. Erich Honecker und andere Repräsentanten von Partei und Staat, die Mitarbeiter des MfS, Angehörige der Grenztruppen und Volkspolizisten wurden von der BRD-Rachejustiz kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt.

Der DDR-Bevölkerung gaukelte man ein Paradies vor. Überall werde es "blühende Landschaften" geben, wurde behauptet, als ob im Osten zuvor nur Öde und Wildnis geherrscht hätten. Die DDR-Betriebe, hieß es, würden modernisiert und in die BRD-Wirtschaft eingegliedert. Wenig später verhökerte sie die Treuhand für einen Appel und ein Ei. Ganze Belegschaften verloren über Nacht ihre Arbeitsplätze und wurden in das Millionenheer der Erwerbslosen der BRD hinabgestoßen. Jeder könne nun reisen, wohin er wolle, die ganze Welt stünde ihm offen, gab Kohl von sich. Auch mit Arbeitslosengeld?

Bald brach die Lügenflut alle Dämme. So behauptete Niedersachsens früherer Justizminister Pfeiffer, die nun auch im Osten eskalierende Kriminalität sei auf Zwangsmethoden in der DDR-Vorschulerziehung zurückzuführen. So sei auch das gemeinsame Topf-Sitzen in den Kinderkrippen schuld gewesen. Und jene, welche dann im Eiltempo die Zweiklassenmedizin einführten, attackierten das staatlich organisierte System der Gesundheitsfürsorge als "niveaulos". Den Kolporteuren solcher Wahrheitsentstellung geht die Verteufelung der DDR buchstäblich über alles.

Leider beteiligen sich an diesem schmutzigen Spiel auch manche ihrer ehemaligen Bürger, die sich durch Anbiederung interessant machen wollen. Ein Beispiel dafür liefert die einstige "Bürgerrechtlerin" Freya Klier, die in der DDR ihr Abitur abgelegt und anschließend ein Hochschuldiplom erworben hatte. Die wegen zur Schau gestellter Staatsfeindlichkeit nach Westberlin ausgebürgerte Regisseurin dichtete der DDR in einem Zeitungsartikel "Nationalismus, Militarismus, Ausländerfeindlichkeit und Judenhaß" an.

Übler geht's nimmer, war doch die gesamte Politik des sozialistischen deutschen Staates durch Antifaschismus, internationale Solidarität und Kampf gegen jede Form von Rassismus geprägt. Erinnert sei nur an Vietnamesen und Moçambiquaner, die in der DDR eine solide Ausbildung erfuhren und gute Arbeit leisteten, sowie an die herzliche Aufnahme von Griechen und Chilenen, die aus ihren Heimatländern wegen drakonischer Verfolgung hatten fliehen müssen und in der DDR Asylrecht erhielten.

Besondere Höhepunkte der Hetze und Verleumdung sind stets gewisse "Gedenktage", so der zum Arbeiteraufstand hochstilisierte Protest gegen die Erhöhung von Normen am 17. Juni, der 13. August, an dem die "Mauer" errichtet wurde, und der 9. November als Datum der "glücklichen Wiedervereinigung". Aus solchen Anlässen finden alljährlich dubiose Veranstaltungen statt. Entsprechende "Gedenkstätten" sind bereits Legion. Dabei scheut man nicht einmal davor zurück, Schüler in einstige Haftanstalten zu führen, um sie dort über angebliche Greueltaten ihrer Vorfahren "aufzuklären"!

Unter den Verleumdern fehlt es nicht an Schreibtischtätern in Parlamenten, "Opferverbänden", angeblichen Bildungseinrichtungen und willigen Medien.

Den teuflischen Verteuflern muß Paroli geboten werden!

Prof. Dr. sc. Erich Dreyer, Dresden


Unser Autor - er war u. a. Direktor für Arbeit, Löhne und Soziales im Kombinat Robotron und seit 1986 Professor für Arbeitswissenschaften an der TU Dresden - beging schon am 6. Juli seinen 85. Geburtstag. Wenn auch nachträglich, so ist unser Glückwunsch nicht weniger herzlich.

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Friedrich Dickel zu Gorbatschows Innenminister Bagatin:

"So beseitigen Sie den Sozialismus!"

Am 9. Dezember vor 100 Jahren wurde der Arbeitersohn Friedrich Dickel in Wuppertal geboren. In der deutschen Geschichte gab es keinen Minister seines Ressorts, der so lange im Amt gewesen wäre wie er. Der Minister des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei der DDR stand vom 14. November 1963 bis zum 7. November 1989 auf seinem Posten. Welcher Erfahrungen, Charaktereigenschaften und Fähigkeiten bedarf es, über einen solchen Zeitraum eine derart umfangreiche und politisch brisante Aufgabe wahrzunehmen? Eine Antwort erfährt man durch einen Blick auf Friedrich Dickels bewegte Biographie. Auch persönliche Eindrücke und Erinnerungen sind da von Wert.

Im Frühjahr 1963 begegnete ich dem Minister zum ersten Mal persönlich. Er hatte die Leiter sämtlicher Strafvollzugsanstalten, deren Stellvertreter für politische Arbeit und die Parteisekretäre dieser Einrichtungen zu einer Dienstberatung nach Berlin geladen. Da unser Parteisekretär verhindert war, konnte ich als sein Stellvertreter in der SED-Grundorganisation des Jugendhauses Dessau daran teilnehmen. Die Leitung der Sitzung lag in den Händen von Oberst K. Er stand damals an der Spitze der Verwaltung Strafvollzug. K. gab zu Beginn eine Einschätzung der politischen Lage und der Situation in unserem Bereich. Die war nicht rosig. Es hagelte Kritik wegen etlicher Fälle des Entweichens Inhaftierter, einer hohen Rückfallquote und ungenügender Ergebnisse bei der Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten für Strafgefangene. An allem waren die jeweiligen Leiter schuld. Sie wurden persönlich benannt und mußten nach militärischer Ordnung vor versammelter Mannschaft aufstehen. Auch die Stellvertreter für politische Arbeit bekamen ihr Fett weg, und wir Parteisekretäre wurden wegen unkritischer Atmosphäre in den Grundorganisationen gerügt.

Plötzlich ging die Tür auf und ein General betrat den Raum. Oberst K. unterbrach seinen Bericht mit "Achtung Genossen Offiziere!" und erstattete Meldung. Erst jetzt war mir klar, daß es sich bei dem Generalleutnant um den Minister handelte. Dickel ließ die Beratung fortsetzen, begab sich auf den für ihn reservierten Stuhl im Präsidium und hörte zu. Auf einmal stand er auf, ging ans Rednerpult und deutete dem verdutzten Oberst K. an, er solle Platz nehmen. Friedrich Dickel begann, die Lage aus seiner Sicht darzustellen. Die Einschätzung war noch kritischer, doch die Schuld gab der Minister nicht den Leitern der Dienststellen und uns Parteifunktionären, sondern dem Ministerium des Innern und vor allem der Verwaltung Strafvollzug. Sie hätten versäumt, rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Oberst K. wurde so oft vom Minister namentlich genannt, daß er sich nicht hinzusetzen wagte. Er blieb die ganze Zeit stehen. Als junger Unterleutnant dachte ich bei mir: In diesem Ministerium und unter einem so strengen Chef möchtest du nie im Leben arbeiten.

13 Jahre später war Genosse Dickel - nun bereits Generaloberst - mein unmittelbarer Vorgesetzter. Gerade einmal 38 Jahre alt, leitete ich das Sekretariat des Ministers, hinter dem damals schon 63 Lebensjahre lagen.

Jetzt bot sich Gelegenheit, den Menschen Friedrich Dickel näher kennenzulernen. Wenn Aufgaben nicht erfüllt wurden oder sich die verantwortlichen Vorgesetzten herausreden wollten, konnte er recht kritisch werden. Als Choleriker wurde er dann sehr laut und direkt, hatte sich aber immer in der Gewalt. Mir gegenüber verhielt er sich als ein geduldiger Lehrer, merkte er doch schon zu Beginn, daß er mir mit der Dienststellung eine schwere Bürde auferlegt hatte.

Über seine persönlichen Erfahrungen im Kampf gegen den Faschismus, ob als Spanienkämpfer oder sowjetischer Kundschafter, sprach er kaum. Er verwies niemals auf seine antifaschistische Vergangenheit, um sich persönlich in den Vordergrund zu spielen. Seine Erfahrungen aufzuschreiben, lehnte er ab. Selbst als sich eine vertrauenswürdige junge Journalistin diesem Thema zuwenden wollte, blieb es bei einem einzigen Kontaktgespräch. Wir bedauerten das, besitzt doch niemand ein in sich geschlossenes Bild des Kommunisten F. D. Bisherigen Veröffentlichungen von Generälen des MdI entnimmt man nur Mosaiksteine. Angaben im Internet widersprechen sich zum Teil. Auch ich kann nur einige Erkenntnisse beisteuern, die zu einem exakteren Eindruck führen können.

Seine Vergangenheit erwähnte der Minister bisweilen mit seinen Amtskollegen aus sozialistischen Ländern oder auch mit Spanienkämpfern. Über Volkspolizisten, die früher in den Internationalen Brigaden gegen die Franco-Faschisten und deren deutsche Helfershelfer gekämpft hatten, hielt Dickel immer seine kameradschaftlich-schützende Hand. Jährlich gab er für sie im MdI einen Empfang.

Später, als ich einer seiner Stellvertreter war, schilderte er mir die Haftbedingungen in der Weimarer Republik und im kaiserlich-faschistischen Nippon. Er mußte Folter und Erniedrigung in japanischen Gefängnissen erdulden. Da war es kein Wunder, sondern eher logische Konsequenz seines Lebens und seiner klassenmäßigen Prägung, daß er als auch für den Strafvollzug in der DDR verantwortlicher Innenminister auf strikte Einhaltung der Gesetzlichkeit und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Gefangenen drang. Unter ihm war unsere Flanke nie das fünfte Rad am Wagen. Immer, wenn sich im Ringen um zusätzliche Planstellen, Investitionen oder Finanzmittel die Mühlen des Ministeriums festgefahren hatten und die Gefahr bestand, daß der Strafvollzug zugunsten der Volkspolizei hintangestellt werden könnte, sprach Genosse Dickel ein Machtwort. Durch seine Einflußnahme kam in den 70er Jahren ein Programm zum Neubau moderner Haftanstalten für weibliche Insassen und junge Strafgefangene zustande, das in Wriezen, Halle/Saale, Hohenleuben und Berlin-Grünau in die Tat umgesetzt wurde.

Kenntnisse in Menschenführung, militärisches Wissen und Erfahrungen erwarb Friedrich Dickel als Kompanieführer bei den Interbrigaden, als sowjetischer Kundschafter in Europa und Asien, als Stellvertretender Minister für Nationale Verteidigung und beim Studium an der Akademie des sowjetischen Generalstabs. Nach Ernennung zum Innenminister der DDR machte er aus dem MdI und der Deutschen Volkspolizei straff geführte Organe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Die einzelnen Dienstzweige der DVP entwickelten sich zu effektiv arbeitenden polizeilichen Fachbereichen.

Genosse Dickel gehörte nicht zum innersten Führungskern der SED, dem Politbüro. Anders als seine Amtskollegen aus NVA und MfS konnte er seine Vorstellungen dem Generalsekretär nicht direkt vortragen. Sein Gesprächspartner war Egon Krenz, zu dem er ein offenes Verhältnis hatte. Die Gefahr für den Sozialismus erkannte er zeitiger als die Parteiführung, was ich bei Telefonaten mit Erich Mielke und dem neuen sowjetischen Innenminister um die Jahresmitte 1989 wahrnahm.

Gorbatschows Kabinettsmitglied Bagatin kam mit seiner Frau zu einem Urlaubsaufenthalt in die DDR. Das Programm dafür war mit dem Innenministerium der UdSSR abgestimmt. Ich erhielt von Minister Dickel den Auftrag, mich um seinen Gast zu kümmern. Der Besuch sollte auf Wunsch der sowjetischen Seite der Erholung dienen. Öffentlichkeitswirksame Maßnahmen waren nicht vorgesehen.

Beim ersten Gespräch zum Verlauf seines Aufenthalts erklärte uns Bagatin, daß unter den bestehenden Umständen ein Minister einfach keinen Urlaub machen könne. Er bat um die Möglichkeit, Dienststellen der Volkspolizei und des Strafvollzugs zu besichtigen sowie um einen Erfahrungsaustausch mit Minister Dickel. All das ließ sich unschwer in die Wege leiten.

Wie bei Besuchen von Innenministern protokollarisch vorgesehen, holte ich Bagatin im Gästehaus ab und begleitete ihn zum Arbeitsgespräch mit Dickel ins MdI. Uns lotste ein Funkstreifenwagen mit Blaulicht. Mitten auf dem Adlergestell ließ Bagatin anhalten, was die zu seiner Sicherheit eingesetzten Personenschützer in Alarm versetzte. Er stieg aus, ging zum Funkstreifenwagen und schickte die Besatzung nach Hause. Die Genossen dachten, sie hätten sich verhört und rührten sich nicht vom Fleck. Dann klärte mich der Minister auf, daß eine derartige Begleitung "in Zeiten der Perestroika nicht mehr angebracht" sei. Da der Gast König ist, entsprach ich seinem Wunsch.

Nach einem einwöchigen Aufenthalt in der DDR-Hauptstadt verbrachte das Ehepaar Bagatin noch zehn Tage in einem Gästehaus im Harz. Als es wieder in Berlin war, besuchte Minister Dickel eines Abends mit Bagatin das Café auf dem Fernsehturm am Alexanderplatz. Aus dieser Perspektive waren der Grenzverlauf und die Mauer sehr deutlich zu erkennen.

Bagatin äußerte sein Unverständnis über die Mauer und meinte, man könne doch eine historisch gewachsene Stadt nicht dauerhaft auf solche Weise trennen. Minister Dickel widersprach mit allen verfügbaren Argumenten. Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Bisher hatten uns sowjetische Politiker gerade wegen der Mauer stets als Vorposten des sozialistischen Weltsystems in Europa Anerkennung gezollt. Das konnte wohl kaum Bagatins persönliche Meinung sein, zählte er doch zu den neuen Köpfen in Moskau, die Gorbatschow selbst ausgesucht hatte. Wollte er uns etwa den Eindruck vermitteln, daß man die DDR aufzugeben bereit sei? Ich verwarf den Gedanken blitzschnell und dachte an den Blutzoll der Roten Armee und der Sowjetbürger bei der Befreiung Deutschlands. Niemals werde die UdSSR unser Land dem alleinigen Einfluß des Westens überlassen, dachte ich. Bei mehreren Arbeitsgesprächen beider Minister wurden Gedanken und Erfahrungen zur Erhöhung der Wirksamkeit polizeilicher Arbeit ausgetauscht. Natürlich machte man in einem solchen Zusammenhang um die aktuelle Lage in beiden Ländern keinen Bogen. Als die Frage der eingeschränkten Reisefreiheit berührt wurde, erklärte Dickel seinem Gast, daß dies vor allem mit mangelnden Devisen zur Ausstattung der DDR-Bürger und der Nichtanerkennung unserer Staatsbürgerschaft durch die Bundesrepublik zusammenhänge. Dickel nannte konkret die fehlende Summe von einer Milliarde Valuta-Mark. Selbst wenn dieser Betrag aufgebracht würde, stelle sich die Frage, wie bei Angehörigen der Volkspolizei zu verfahren sei. Schließlich wollten auch sie von Reisemöglichkeiten Gebrauch machen.

Nun unterbreitete Bagatin unserem Minister einen verblüffenden Vorschlag. Er befürwortete einen verstärkten Urlauberaustausch zwischen beiden Ministerien und den Bau von Feriensiedlungen für Volkspolizisten in der Sowjetunion. Ich erinnerte mich des Mauer-Gesprächs auf dem Fernsehturm und fühlte mich darin bestärkt, daß die DDR im Kampf um das europäische Haus - die Lieblingsidee Gorbatschows - nicht geopfert werde.

Im Rahmen dieser Arbeitsgespräche gab es dann einen heftigen Meinungsstreit über die Perestroika. Je mehr Bagatin diese verherrlichte, um so konsequenter wurden die Gegenargumente Dickels. Es war streckenweise geradezu peinlich mitzuerleben, wie unser Minister dem jüngeren Amtskollegen aus Moskau elementare Begriffe des Marxismus erklären mußte. Als Bagatin dann den Standpunkt vertrat, die Parteiarbeit der KPdSU müsse fortan mehr in die Wohngebiete verlagert werden, nicht aber dort stattfinden, wo die Menschen arbeiteten, konnte sich der Kommunist Friedrich Dickel kaum noch beherrschen. Als Bagatin ins Schwärmen darüber geriet, unter den Bedingungen der Perestroika könne jeder schreiben und propagieren, was er wolle, fiel Dickels Satz: "So beseitigen Sie den Sozialismus, Genosse Minister!"

Wir, die wir dem Gespräch beiwohnten, waren regelrecht schockiert. So hatte Dickel noch nie mit einem sowjetischen Innenminister gesprochen. Doch der erfahrene Klassenkämpfer sollte mit seiner Voraussage, daß Gorbatschows Kurs den Sozialismus zerstören werde, recht behalten.

Nach dem Rücktritt der Regierung Willi Stophs konnte Genosse Dickel das Ministerium erhobenen Hauptes verlassen. Seinem Nachfolger Ahrend redete er nicht ins Geschäft. Den Anfeindungen gegen die Ordnungseinsätze der Berliner Volkspolizei am 7. Oktober 1989 bot er die Stirn.

Auffallend war, daß sich die konterrevolutionären Sieger gegenüber Friedrich Dickel zurückhielten. Mit Gesten zu seinen Gunsten seitens der bereits desertierten Moskauer Führung, die jeden Gedanken an den Sozialismus längst über Bord geworfen hatte, konnte er gewiß nicht rechnen. Der Solidarität von Interbrigadisten sowie der ehemaligen Kundschafter der UdSSR und ihrer Führungsoffiziere war er indes gewiß.

Armeegeneral Friedrich Dickel starb am 23. Oktober 1993 in Berlin-Grünau.

Generalmajor a. D. Dieter Winderlich, letzter Chef der Deutschen Volkspolizei

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Als Nassers Ägypten den Bach runterging

Am 6. Oktober 1973 eröffneten die Streitkräfte Ägyptens und Syriens Operationen gegen israelische Stellungen auf seit 1967 okkupierten Territorien beider Staaten. Die ägyptischen Truppen in Stärke von 80 000 Mann überwanden den Suez-Kanal und die Bar-Lev-Linie, die an dessen Ostufer auf Sinai mit einem Aufwand von mehr als 280 Millionen Dollar errichtet und durch Tel Aviv wie Washington für uneinnehmbar gehalten worden war. Die syrischen Einheiten rückten auf den Golanhöhen vor, durchbrachen die israelischen Stellungen und eroberten die Befestigungsanlagen der Okkupanten auf dem strategisch bedeutsamen Berg Hermon sowie das Verwaltungszentrum Kuneitra. Der Krieg im Oktober 1973 war der vierte seit Gründung des Staates Israel. Er hätte der Auftakt zur Lösung des damals bereits 25 Jahre andauernden Nahostkonflikts sein können, führte aber nur zu einem separaten Friedensschluß Israels mit Ägypten sowie zu Abmachungen zwischen Israel und Jordanien.

Rückblickend ist zu konstatieren, daß sich Ägyptens Präsident Sadat mit diesem "begrenzten Krieg" vor allem innenpolitisch freie Hand für seinen prowestlichen Kurs geschaffen hat. Mit der vollständigen Tilgung der wichtigsten sozialen und politischen Ergebnisse der unter Präsident Gamal Abdel Nasser eingeleiteten nationaldemokratischen Revolution verwandelten Sadat und dessen Nachfolger Mubarak Ägypten aus der führenden Kraft des Antiimperialismus im Nahen Osten zum wichtigsten arabischen Verbündeten der USA, der zugleich Israels kolonialistisches Besatzungsregime garantierte.

Der Krieg verlief in zwei Phasen: Zuerst demonstrierte er die gewachsene Kampfkraft der ägyptischen und syrischen Streitkräfte, durch die in erster Linie die Israelis, aber auch andere völlig überrascht wurden. Der Mythos von der absoluten militärischen Überlegenheit Israels war zunächst zerstört. Nach einer Phase perfekter Überrumpelung konnten die israelischen Truppen die militärische Initiative vollständig zurückzugewinnen. Die Armeen Ägyptens und Syriens, die den Krieg begonnen hatten, gerieten in Gefahr, zerschlagen zu werden.

Diese Entwicklung war vor allem ein Ergebnis des verräterischen Doppelspiels, das Sadat im Bunde mit Henry Kissinger betrieb. Jordaniens König Hussein stellte 1975 fest: "Sadat hat alle Vorteile, welche die arabische Seite errungen hatte, vollständig verspielt. Anstelle einer Paketlösung der Nahostprobleme, wie sie durch die neue Situation im Oktober 1973 möglich geworden wäre, opferte er alles separat den Amerikanern."

Sadats bereits damals offensichtlicher Verrat an der angeblich von ihm verfochtenen "gerechten arabischen Sache" steht außer Frage.

Doch trotz seines antisowjetischen Kurses leistete die UdSSR auf Kairoer Ersuchen massive militärische Unterstützung, ohne welche die arabischen Armeen nicht hätten bestehen können. Die Absicherung der Bevölkerung ägyptischer und syrischer Großstädte gegen israelische Luftangriffe wäre ohne diese Hilfe undenkbar gewesen. Dennoch verfolgte Sadat auch weiterhin seine mit Kissinger abgestimmten moskaufeindlichen Ambitionen unvermindert weiter.

Die durch die militärischen Erfolge der arabischen Streitkräfte in der ersten Kriegsphase entstandenen Möglichkeiten und Ansätze für eine gerechte Friedenslösung im Nahen Osten wurden durch diese Manöver torpediert. Syrien wurde gezwungen, sich einer Waffenruhe zu unterwerfen. Sadat negierte die Bereitschaft zu "arabischer Solidarität" seitens Jordaniens und Iraks. Die rechtmäßigen Interessen des palästinensischen Volkes wurden mit Füßen getreten.

Sadat und Mubarak sowie die von ihnen repräsentierten Teile der ägyptischen Bourgeoisie und der Beamtenbürokratie suchten den Oktoberkrieg in der Folgezeit zu einem "historischen nationalen Erfolg" hochzustilisieren. Das lag vorrangig im Interesse des Militärs, aus dem beide Präsidenten hervorgegangen waren und auf dessen Machtpositionen sie sich stützten. Diese blieben auch unangetastet, als das Aufbegehren der Volksmassen und erbitterte Auseinandersetzungen mit beträchtlichem Blutvergießen Ägypten seit 2011 erschütterten. Das Militär beherrscht weiterhin uneingeschränkt das Land am Nil. Es verfügt nicht nur über die zentrale Regierungsgewalt - auch die meisten Gouverneure sind Militärs. Die Armee kontrolliert in beträchtlichem Umfang die Wirtschaft, das Finanz- und das Bildungswesen. Alle kommandierenden Offiziere sind auf die USA ausgerichtet und wurden mehrheitlich auf dortigen Kriegsschulen ausgebildet. Die Streitkräfte sind abhängig von Geld und Waffen aus den Vereinigten Staaten.

Die imposante Erhebung der ägyptischen Massen "für Würde, Freiheit und soziale Gerechtigkeit" konnte angesichts fehlender Programmatik und infolge von Uneinigkeit unter den Beteiligten immer wieder kanalisiert werden. Die beherrschende Stellung des Militärs wurde nicht angetastet. Diese Dominanz bleibt der Garant für die Sicherung der strategischen Positionen der USA im Nahen Osten.

Die ägyptische Volksbewegung hat indes ihre gewachsene Kraft gespürt. Doch nur, wenn sich die derzeit breitgefächerte, aber auch äußerst zersplitterte linke und nationaldemokratische Opposition über Religionsschranken hinweg auf eine gemeinsame Plattform verständigen könnte, welche die politischen und sozialen Forderungen von Millionen werktätiger und nationalbewußter Ägypter zusammenfaßt, wäre das seit 2011 sichtbar gewordene machtvolle Potential dazu imstande, die Zustände wirklich zu verändern. Ohne eine eindeutig antiimperialistische Ausrichtung wird es den USA, anderen NATO-Staaten und Israel auch weiterhin gelingen, die ägyptischen Bewegungen in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Oberst a. D. Bernd Fischer

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Kairoer Militärs an Washingtons Leine

Aufschlußreich sind die engen Kontakte des ägyptischen Generals al Sisi und weiterer Vertreter der Armeeführung zu ihren Partnern in Übersee. Zwischen al Sisi und Pentagon-Chef Hagel bestand in den kritischen Kairoer Tagen ein intensiver Telefonkontakt. Jeder Schritt Ägyptens wurde mit den USA abgestimmt. Am 30. Juni, als die gewaltigen Demonstrationen gegen Mursi stattfanden, und am 2. Juli, als der ägyptische General sein erpresserisches Ultimatum an den noch amtierenden Präsidenten richtete, rissen die Telefongespräche zwischen den Verschwörern hier und dort nicht ab. US-General Martin Dempsey, Chef des Vereinigten Generalstabs, und sein ägyptischer "Counterpart" General Sedki Sobhi standen sogar stündlich miteinander in Verbindung.

Wie ein Pentagon-Sprecher der Presse mitteilte, habe Hagel dem Ägypter al Sisi mitgeteilt, die Vereinigten Staaten unterstützten den "demokratischen Prozeß" in seinem Land "auf jede Weise". Kairo solle jedoch versuchen, die Probleme möglichst ohne Gewalt in den Griff zu bekommen.

Hagel und Dempsey empfahlen ihren "ägyptischen Freunden" weiter, unbedingt darauf zu achten, daß der Eindruck vermieden werde, die USA manipulierten hinter den Kulissen das Geschehen.

Nicht zufällig sprach General Anthony Zinni, der frühere Kommandeur des U.S. Central Command (CENTCOM), davon, daß Ägypten während seiner Amtszeit deshalb das wichtigste Land der Region gewesen sei, weil es den Vereinigten Staaten den Zugang zum gesamten nahöstlichen Raum ermöglicht habe.

RF, gestützt auf "Global Research", Kanada

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Freiheit für Puerto Ricos Oscar López Rivera!

Der Oktober ist auf der Karibikinsel Puerto Rico seit vielen Jahren ein Monat besonderer Aktivitäten für die politischen Gefangenen aus der Unabhängigkeitsbewegung. Einer von ihnen ist der heute 70jährige Oscar López Rivera, der seit über 32 Jahren in US-Hochsicherheitsgefängnissen gequält wird. 1981 unter dem Vorwurf der "Verschwörung zum Sturz der US-Regierung in Puerto Rico" verhaftet, wurde er in einem Schauprozeß zu 70 Jahren Zuchthaus verurteilt. Zum "Hochverräter" macht ihn in Washingtons Augen allein die Tatsache, daß er seit frühester Jugend für das Selbstbestimmungsrecht seiner Landsleute streitet. Puerto Rico sowie die Fischerinseln Vieques und Culebra sind nämlich seit 1898 eine Kolonie der USA. Diese wollen den Archipel zu ihrem 51. Bundesstaat machen.

Das aber möchten die Independentistas verhindern, die sich seit mehr als fünf Jahrzehnten der Solidarität des revolutionären Kuba gewiß sein können. Havanna setzt sich in der UNO konsequent für die Unabhängigkeit seiner Nachbarinsel Borinquens ein. So hieß Puerto Rico, bevor es durch die spanische Krone 1493 in Besitz genommen wurde. Die Erhebung des kubanischen Volkes gegen den von der US-Regierung gestützten Diktator Fulgencio Batista ist für die freiheitsliebenden Puertorriqueños ein leuchtendes Beispiel.

Im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Sturms auf die Moncada in Santiago de Cuba am 27. Juli kam mir ein Gespräch in den Sinn, an dem ich im Oktober 1991 in Puerto Rico teilgenommen hatte. Aus New York kommend befanden wir uns - eine Delegation von Unterstützern der Unabhängigkeitsbewegung - auf einer Rundreise, um verschiedene ihrer Strömungen kennenzulernen. Zu unseren Gesprächspartnern gehörten Aktivisten aus Armenvierteln, Vertreterinnen der Frauenbewegung und Menschenrechtsanwälte. Auch Anhänger der christlichen Befreiungstheologie machten uns mit ihrem Standpunkt vertraut. - Sehr beeindruckten mich Gespräche mit verdienten Kämpfern der Unabhängigkeitsbewegung wie Juan Marí Bras (1925-2010), dem Gründer der Sozialistischen Partei Puerto Ricos (PSP).

Wir trafen ihn in seinem bescheidenen Haus in der Hafenstadt Mayaguez. Juan begrüßte uns wie alte Freunde, zeigte sich bestens über unsere Arbeit in Europa informiert und stieg gleich in das Thema seines Lebens ein. Er gab uns Worte von Pedro Albizu Campos (1891-1965), des Nationalhelden der Insel, mit auf den Weg. Gefragt, ob das Interesse an der von ihm verfochtenen Unabhängigkeit nicht auf lange Sicht verblassen werde, habe dieser geantwortet: "Ich hege keinen Zweifel, daß Puerto Rico frei sein wird, souverän und unabhängig. Wann das sein wird, weiß ich nicht. Vielleicht dauert es sieben Jahre oder sieben Jahrhunderte. Aber wie man es auch nimmt - es wird alles in der Unabhängigkeit gipfeln, und wir sind bereit, dafür zu kämpfen, Generation für Generation."

"Ein Unabhängigkeitskämpfer zu sein", sagte uns Juan mit optimistisch geballter Faust auf sein Herz pochend, "bedeutet, die Unabhängigkeit in unserem Innersten zu spüren. Deshalb leben wir schon in der Unabhängigkeit, bevor wir sie in ihrer ganzen Dimension gegenüber der Kolonialmacht und gesellschaftlich verwirklichen. Indem wir kämpfen, sind wir also bereits auf dem Wege, freie Menschen zu sein!"

Fast 22 Jahre später sprach Rafael Cancel Miranda, der sich bis 1979 selbst 25 Jahre in US-Haft befand, am 24. Mai 2013 via Internet auf der Veranstaltung "Freiheit für Oscar López Rivera!" zu Studenten der Madrider Universität. Oscar repräsentiere die Würde des puertoricanischen Volkes und das Streben Lateinamerikas nach Unabhängigkeit, erklärte er ihnen, die im eigenen Land selbst um ihre elementaren Lebensgrundlagen kämpfen müssen. Oscar sei nicht vergessen und man dürfte nicht zulassen, daß er im Gefängnis sterbe. Der Kampf um seine Freiheit müsse deshalb internationalisiert werden. "Jede Minute, die wir für Oscar kämpfen, ist eine Minute im Kampf zur Verwirklichung unserer eigenen Menschenwürde."

Jürgen Heiser, Michendorf

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Kubas Nr. 2 besuchte China, Vietnam und Laos

Miguel Díaz-Canel, Erster Vizepräsident des Staats- und des Ministerrates Kubas, stattete drei mit der sozialistischen Inselrepublik seit langem freundschaftlich verbundenen asiatischen Staaten nacheinander Besuche ab. In China, Vietnam und Laos wurde der 1. Stellvertreter und vermutlich auch künftige Amtsnachfolger Raúl Castros mit allen Ehren begrüßt. In Beijing bekräftigte Kubas zur mittleren Generation zählender Spitzenpolitiker das Bekenntnis Havannas zur Ein-China-Politik. Er dankte der chinesischen Führung für deren feste Haltung gegenüber der nun schon ein halbes Jahrhundert währenden Blockade- und Boykott-Politik der USA und anderer imperialistischer Mächte. Während seines Aufenthalts in der chinesischen Hauptstadt wurden drei wichtige Abkommen unterzeichnet. Im ersten geht es um eine Spende der Volksrepublik, das zweite betrifft die Gewährung eines zinslosen Kredits, das dritte ist ein Kreditvertrag, der Kuba den Kauf von Maschinen und Anlagen für seine Landwirtschaft ermöglichen soll.

In Hanoi wurde Díaz-Canel vom Generalsekretär der KP Vietnams Nguyen Phu Trong und der staatlichen Führung des Landes herzlich willkommen geheißen. Der kubanische Politiker betonte bei einem Empfang im Präsidentenpalast, er gehöre einer Generation an, die mit ständigen Gedanken an das vom US-Imperialismus überfallene vietnamesische Volk und dessen heldenhaften Kampf aufgewachsen sei. Mit seiner Visite in dem südostasiatischen Land erfülle er sich einen langgehegten Wunsch.

Im Regierungspalast der Demokratischen Republik Laos zu Vientiane wurde der prominente Gast aus Kuba durch den Staatspräsidenten und Generalsekretär der Volkspartei Choummaly Sayasone brüderlich empfangen. An der Bronzestatue des Gründers der Partei und der Volksarmee, des in Laos als Nationalheld verehrten ersten Präsidenten Kaysone Phomvihane, legte der kubanische Staatsmann, der auch eine tausendjährige Stätte buddhistischer kultureller Identität besuchte, einen Kranz nieder.

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna

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Erdogan läßt türkische Kommunisten jagen

Im Rahmen seiner brutalen Abrechnung mit Aktivisten und Teilnehmern der jüngsten Massenproteste auf dem Istanbuler Taksim-Platz, in Ankara und weiteren Städten der Türkei konzentriert sich die Geheimpolizei des islamistischen Faschisierers Erdogan einmal mehr auf brutalen Terror gegen die kampferprobte TKP 1920. Vielerorts wurden Führer und Mitglieder der Partei des Nationaldichters Nazim Hikmet (unser Bild) willkürlich festgenommen. Unter den in die Gefängnisse der Diktatur Verschleppten befinden sich das Mitglied des Zentralen Exekutivkomitees Erkan Bas und der Istanbuler TKP-Provinzvorsitzende Kamil Tekerek. Auch andere prominente Persönlichkeiten der gegen die brutale Gewaltherrschaft Erdogans aufbegehrenden Bewegung, darunter das Mitglied der Taksim-Solidaritätsplattform Mücella Yapici und der Generalsekretär der Istanbuler Ärztekammer Ali Çerkezoglu sowie Funktionäre des Verbandes der im öffentlichen Sektor Beschäftigten und der Vereinigung Fortschrittlicher Gewerkschaften, befinden sich unter den in Erdogans Kerkern Gepeinigten. Die sich auf Roten-Jagd konzentrierenden Machthaber der Türkei begründen ihre jüngsten Gewaltakte gegen Kommunisten damit, deren Partei sei der Drahtzieher hinter den als Zusammenrottung verunglimpften Demonstrationen auf dem Taksim-Platz gewesen. Der Diktatur dienstbare Fernsehkommentatoren streuten sogar die Behauptung aus, "kommunistische Aufrührer" hätten einen ursprünglich friedlichen Protest "in gewalttätige Attacken zur Zerstörung der sozialen Ordnung" münden lassen.

In der ägyptischen Zeitung "Al-Ahram Weekly" verstieg sich der türkische TV-Kommentator Aylin Kocaman zu der Behauptung, die Istanbuler Demonstranten hätten nur deshalb solchen Zulauf von jungen Leuten erhalten, weil deren "Indoktrination gegen die kommunistische Gefahr" unzureichend gewesen sei.

RF, gestützt auf "People's World", New York

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Friedensnobelpreis für Edward Snowden!

Mit enormem Sendungsbewußtsein und scheinbar von dem Gedanken beseelt, die ganze Welt umzukrempeln, damit Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden überall Einzug halten können, trat der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika - ein schwarzer Mann im Weißen Haus - sein Amt an. Dem in diese Pose Verliebten sprang prompt das illustre Osloer Komitee zur Seite und überreichte ihm als Vorschußlorbeer den Friedensnobelpreis. Das geschah allein seiner gelackten Aussagen wegen, denn Obamas tatsächlicher Beitrag zur Friedenssicherung war schon damals gleich Null. Überhaupt kann man diesem elitären Komitee für die letzten Jahrzehnte wohl vor allem die politisch-intrigante Verzauberung einiger dubioser Gestalten bescheinigen, die uns als Sinnstifter vorgeführt werden sollten. Dabei befanden sich einstmals solche lauteren Persönlichkeiten wie Bertha von Suttner, Carl von Ossietzky und Martin Luther King unter den Laureaten.

Heute wissen wir, daß Barack Obama die Steilvorlagen seines ob eines außergewöhnlich niedrigen Intelligenzquotienten belächelten Vorgängers George W. Bush dazu genutzt hat, den USA-Geheimdiensten einen Freifahrtschein zu weltweiter Datensammlung auszustellen. Nicht erst seit den Offenbarungen Edward Snowdens ist bekannt, daß es dieser Präsident darauf anlegt, den internationalen Datenverkehr totaler US-Kontrolle zu unterwerfen. Wie immer wird auch Obamas Vorgehen mit "Sicherheitsinteressen" der USA begründet. Doch gerade hier sollte nachgehakt werden: Zu welchen Ergebnissen hat diese "Interessenwahrnehmung" denn geführt? Behauptet wird, man habe "mehr als fünfzig Terroranschläge in etwa 20 Staaten" vereiteln können.

Waren es nun dreiundfünfzig oder vierundfünfzig geplante Attentate, falls es solche überhaupt gegeben hat? Und wer ist in dieses "Terroristen"-Raster gefallen? Nebulöse Andeutungen pauschaler Art sind nichts anderes als bloße Schutzbehauptungen. Sie sollen die Tatsache rechtfertigen, daß die USA und andere imperialistische Mächte weltweit die Persönlichkeitsrechte aushebeln.

Um deutlicher zu werden: Was ist eigentlich daran strafbar, wenn ein Soldat transparent macht, daß in von seinem Land angezettelten Kriegen abscheuliche Verbrechen begangen wurden und werden?

Gehört Bradley Manning in ein Gefängnis, oder ist es vielmehr Teil elementaren Demokratieverständnisses, daß solche unerhörten Geschehnisse an die Öffentlichkeit gebracht werden? Muß Edward Snowden massiv bedroht werden, weil er den immensen Umfang der Überwachung durch Obamas Supergeheimdienst NSA bloßgelegt hat? Hier hätte der USA-Präsident zugunsten Snowdens einschreiten müssen, denn nicht die Enthüllung von Straftaten ist kriminell, sondern die Verbrechen selbst müssen geahndet werden. Dazu aber schweigt der Friedensnobelpreisträger. In diesen Zusammenhang gehört auch, daß der Australier Julian Assange nicht einmal in die Systeme der US-Geheimdienste eingebunden war. Dennoch wird er von höchster Stelle mit dem Tode bedroht.

US-Vizepräsident Joe Biden beteiligte sich indirekt an den Appellen zur Exekution des WikiLeaks-Gründers, indem er erklärte, Assange solle als "Hi-Tech-Terrorist" behandelt werden. Die von der kompletten Obama-Administration seinerzeit am Bildschirm verfolgte Hinrichtung Osama bin Ladens im "souveränen" Pakistan illustriert die Tatsache, daß solche Drohungen durchaus ernst gemeint sind.

Der Syrien mit tödlichen Schlägen bedrohende Laureat von Oslo sollte die ihm zugeschanzte Dekoration an Edward Snowden abtreten.

Torsten Scharmann, Berlin

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Von Häschern zu Heuchlern: "Sorge" um Mandela

In jüngster Zeit vergossen ausgerechnet jene ganze Ströme von Krokodilstränen, deren Vorgänger einst mit dafür gesorgt hatten, daß Südafrikas schwarzer Nationalheld Nelson Mandela 27 Jahre seines Lebens in Gefängnissen des Apartheid-Regimes - 18 davon auf Robben Island - verbringen mußte.

Spitzenpolitiker der USA, deren Geheimdienste CIA und NSA seinerzeit an der Jagd auf den ANC-Führer maßgeblich beteiligt waren, "sorgen sich" jetzt plötzlich um den äußerst fragilen Gesundheitszustand des 95jährigen. Zu den Beunruhigten zählt auch Präsident Barack Obama, dessen Amtsvorgänger einst umfassend mit den "Freunden in Pretoria" und deren Unterdrückungsapparat kooperiert hatte. Das war so bis kurz vor dem Fall des weißen Rassistenregimes, das unter den Schlägen der von Tausenden kubanischen Freiwilligen unterstützten angolanischen MPLA und dem Druck einer weltweiten Boykottbewegung zusammenbrach. Nelson Mandela und sein Afrikanischer Nationalkongreß (ANC) wurden von Washington noch auf der "Beobachtungsliste für Terroristen" geführt, als bereits alle Messen gesungen waren.

Zahlreichen ANC-Aktivisten verweigerten die USA Jahre nach dem Sieg über das Apartheidregime die Einreise. Sie wurden einer diskriminierenden Sonderbehandlung unterworfen. Hauptgrund dafür war die Tatsache, daß der ANC, Südafrikas Gewerkschaftszentrale COSATU und die Kommunistische Partei Südafrikas (SACP) bis heute in einer losen Dreier-Allianz vereint sind.

Erst 1986, als sich Nelson Mandelas baldige Haftentlassung abzeichnete und die Tage der weißen Rassistenherrschaft in Pretoria gezählt waren, schloß sich auch das US-Repräsentantenhaus der weltweiten Forderung nach Freiheit für die Ikone des schwarzen Südafrika an. Später spielte sich Washington sogar als angeblicher Bahnbrecher im Ringen um Nelson Mandelas Freilassung auf.

Am 25. Juni 1990 traf dieser im Weißen Haus mit US-Präsident George W. Bush zusammen, der wenigstens für Augenblicke in den Glanz des Champions der antirassistischen Befreiungsbewegung einzutauchen suchte. Die Medien der Vereinigten Staaten wetteiferten in Sachen Gedächtnisschwund. Niemand in den US-Führungsetagen vermochte sich mehr daran zu erinnern, mit welcher Inbrunst das südafrikanische Apartheidregime in Washington als "Schutzwall gegen den Kommunismus" gefeiert worden war. Bushs Pressesprecher Marlin Fitzwater antwortete auf die Frage eines Reporters, ob sich sein Präsident für die Rolle der US-Geheimdienste bei der Verfolgung und Einkerkerung Mandelas zu entschuldigen gedenke, entrüstet: "Ich mag es nicht, wenn Leute unsere Motive gegenüber Schwarzen wegen eines Zwischenfalls in Zweifel ziehen, der um mehr als 20 Jahre zurückliegt."

Vor Mandelas 95. Geburtstag stellten die USA und deren oberster Repräsentant "große Sorge" um dessen Gesundheit zur Schau. Die geheuchelte Geste vermochte nicht davon abzulenken, daß ferngesteuerte Killerdrohnen des in Stuttgart angesiedelten US-Kommandos Africom den schwarzen Kontinent Tag und Nacht bedrohen.

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney, und "Global Research", Kanada

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Der Mord an Trayvon Martin

In den USA hat der Freispruch des Weißen George Zimmerman, der in Florida den 17jährigen Afroamerikaner Trayvon Martin erschoß, einen Sturm der Entrüstung entfesselt. Nicht allein Schwarze und Angehörige anderer ethnischer Minderheiten, sondern das gesamte Spektrum humanistisch gesinnter US-Bürger protestiert gegen dieses Schandurteil. "Der Rassismus hat in unserem Land viele Facetten und wurzelt im System", bemerkte die kommunistische "People's World". Der Fall habe das Land geradezu in zwei Lager gespalten: "Während die einen behaupten, es handele sich um ein isoliertes Ereignis ohne rassistischen Hintergrund, meinen die anderen, hier sei blanker Rassenhaß im Spiel gewesen. Der selbsternannte bewaffnete "Zivilhüter" ging den von einem Einkauf nach Hause zurückkehrenden Teenager an, den er grundlos für ein "gefährliches Subjekt" hielt. Er zog die Waffe und streckte Trayvon kaltblütig nieder. Die Kriminalisierung schwarzer Amerikaner sei heute wieder Legion, bemerkte "People's World". Sie habe im Aufstieg der Ultrarechten und Rassisten unter dem 1980 zum US-Präsidenten gewählten Ronald Reagan ihren Anfang genommen. Derzeit befänden sich rund zwei Millionen überwiegend männliche Schwarze und Latinos, meist junge Männer aus dem Arbeitermilieu, die oftmals Bagatelldelikte begangen hätten, in den privat betriebenen und profitorientierten Gefängnissen der Vereinigten Staaten.

"Nur in Amerika ziehen schwerbewaffnete Privatleute als angebliche Nachbarschaftshüter durch die Wohnviertel. Nur in Amerika kann ein erwachsener weißer Mann einen schwarzen Halbwüchsigen auf dem Weg vom Einkauf anhalten, zur Rede stellen, ihn bedrohen und dann einfach erschießen, um anschließend vor Gericht mit Erfolg zu behaupten, er habe in Selbstverteidigung gehandelt", schrieb Rob Gowland im australischen KP-Organ "The Guardian". Es frage sich, wie die den Mörder bedenkenlos freisprechende US-Justiz wohl entschieden hätte, wenn ein unbewaffneter weißer Mitbürger grundlos durch einen bewaffneten 17jährigen Schwarzen niedergestreckt worden wäre.

RF, gestützt auf "People's World", New York, und "The Guardian", Sydney

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KP Japans legte bei Wahlen kräftig zu

Bei den Oberhauswahlen am 21. Juli konnte sich die Liberal-Demokratische Partei des rechtsgerichteten, auf einen totalen Bruch mit der von militärischer Zurückhaltung und Neutralität geprägten Nachkriegspolitik Nippons hinarbeitenden Ministerpräsidenten Abe Shinzu deutlich durchsetzen. Doch während weltweit das Bild eines massiven Tokioter Rechtsrucks vermittelt wurde, ging ein wichtiges Detail in der Berichterstattung der Medien meist unter: das hervorragende Abschneiden der äußerst disziplinierten und schlagkräftigen KP Japans.

Die einst durch den an der Moskauer Kremlmauer bestatteten bedeutenden Marxisten und Lenin-Anhänger Sen Katajama begründete Partei konnte die Zahl ihrer Oberhausmandate von sechs auf elf nahezu verdoppeln. Erstmals seit über einem Jahrzehnt setzten sich ihre für diese Kammer aufgestellten Bewerber in Tokio, Osaka und Kyoto wieder durch. Schon bei den Tokioter Kommunalwahlen im Juni hatte die KPJ beachtlich zugelegt und 17 Mandate in der Stadtverordnetenversammlung erobert.

Der kommunistische Erfolg beruht nicht zuletzt darauf, daß die KPJ als einzige Kraft des Landes einen Kurs konsequenter Entlarvung der von ihr als Abenomics bezeichneten Wirtschaftspolitik des Regierungschefs verfolgt. Abe will Japan zum "businessfreundlichsten Land der Welt" machen. Die KPJ zerriß den Lügenschleier der LDP, die hinter einem Rauchvorhang pseudopatriotischer Phrasen alles darauf anlegt, den Arbeitern jegliche Garantie ihrer Bezüge zu verwehren, während die Steuern der Konzerne herab- und die Abgaben der Allgemeinheit hinaufgesetzt werden sollen.

Mit Recht verwies das KPJ-Organ "Akahata" darauf, daß die Popularitätsrate Abes, dessen Kurs derzeit noch bei 55 % der Japaner Rückhalt genießt, schon bald drastisch absinken dürfte.

Entschieden wenden sich Japans Kommunisten auch gegen den vom Regierungschef verkündeten und bereits eingeleiteten dramatischen Schwenk in der Außen- und Verteidigungspolitik. In einem Interview mit "Akahata" erklärte der Verfassungsrechtler Watanabe Osamu: "Das wahre Ziel Abes ist eine Revision des dem Krieg entsagenden Artikels 9 der Verfassung." Der Kurs des chauvinistischen Abe-Kabinetts, sich der "Fesseln des Pazifismus" zu entledigen, stößt in Japan auf immer stärkeren Widerstand.

Die gewachsene Anziehungskraft der KPJ besonders unter jungen Wählern ergibt sich vor allem daraus, daß Nippons Kommunisten als die entschiedenste Friedenskraft im Lande gelten und dem nach Vorgaben des Kapitals geschneiderten Programm Abes eine echte Agenda für das Volk entgegensetzen.

RF, gestützt auf "People's World, New York

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Rote Mehrheit in Lettlands Metropole Riga

Gemeinhin besteht hierzulande die Vorstellung, überall in den einstmals zur UdSSR gehörenden baltischen Republiken Lettland, Estland und Litauen herrsche uneingeschränkt die finsterste Reaktion. Alarmierende Bilder von Aufmärschen der Traditionsverbände ehemaliger SS-Angehöriger trugen zu einer solchen Vorstellung bei. Sie widerspiegelt indes nur einen Teil der Realität im Baltikum, wo sich NATO und EU eingenistet haben. In Lettland, das von einer rechtsgerichteten Koalition aus Nationalisten und Liberalen regiert wird, ticken die Uhren anders als bei den Nachbarn. Eine wachsende Zahl der 1,9 Millionen Landesbürger - 56 % von ihnen sind Letten, 44 % ethnische Russen - läßt sich von linken Wertvorstellungen leiten. Seit der letzten Wahl wird die Landeshauptstadt Riga durch eine in diese Richtung tendierende Koalition - das "Zentrum der Harmonie" - regiert. Zu ihr gehört auch die Sozialistische Partei Lettlands (SPL), in der sich nach dem Verbot ihres traditionellen Namens die Kommunisten zusammengeschlossen haben.

Der SPL-Vorsitzende Alfred Rubiks - einst Führungsmitglied der KPdSU - war von 1984 bis 1990 Rigas Oberbürgermeister. Von 1991 bis 1997 befand er sich in politischer Haft, da er sich geweigert hatte, seiner marxistisch-leninistischen Weltanschauung abzuschwören und vor den Dienern des Kapitals einzuknicken. Heute ist Genosse Rubiks Abgeordneter des Europaparlaments. In Riga vermochte das "Zentrum der Harmonie" 39 der 60 Sitze in der Kommunalvertretung zu erobern. Seit vier Jahren sind so auch die Kommunisten der SPL in die Stadtverwaltung fest eingebunden. Bei den jüngsten Wahlen gelang es dem Zentrum, seinen Stimmenanteil in Riga von 34,6 % auf 58,5 % zu steigern, obwohl derzeit 345.000 erwachsene Bürger Lettlands - es handelt sich überwiegend um Russischsprachige - aufgrund diskriminierender Maßnahmen der Regierung an der Ausübung ihres Wahlrechts gehindert werden.

Der Rigaer SPL-Stadtrat Iwanow verwies gegenüber der belgischen PTB-Wochenzeitung "Solidaire" auf einige vorrangige Anliegen der Rigaer Stadtväter. Das Budget werde weitgehend für soziale Zwecke eingesetzt, ließ er wissen. So seien im laufenden Jahr bereits 700 weitere Wohnungen für Einkommensschwache geschaffen worden. Ein großer Teil der Rigaer könne die hohen Mieten selbst nicht aufbringen. Das gelte besonders für Erwerbslose und Rentner. Es handle sich dabei um Haushalte, deren monatliche Bezüge unter 128 Euro lägen. Sie erhielten von der Stadt einen Mietzuschuß. Jedes Jahr entstünden etwa 1000 neue Sozialwohnungen.

Privatisierungen und andere Maßnahmen der Regierung hätten zur Schließung von Krippen, Kindergärten und Schulen geführt. 2012 sei daher als erster Schritt von der linken Stadtexekutive ein neues Zentrum für 120 Kinder eingeweiht worden, ließ Iwanow wissen. Ein zweites mit einer Kapazität von 200 Plätzen befinde sich im Bau.

"Im Vorjahr haben wir in sämtlichen Schulen Fenster und Türen erneuert. Zahlreiche Wohnungen, in denen bisher Holz und Kohle verfeuert wurden, konnten an die Zentralheizung angeschlossen werden. Wir haben die Lehrergehälter um 71 Euro erhöht. Seit September 2012 können Rigas Studenten, Arbeitslose und Rentner sämtliche städtischen Verkehrsmittel kostenlos nutzen", bilanzierte der SPL-Stadtrat.

Übrigens hat das "Zentrum der Harmonie" auch in anderen lettischen Städten beachtliche Wahlergebnisse einfahren können. In Daugavpils erzielte seine Liste 23 %, in Jelgava 20 % und in Liepaja 16 %. Im Nationalparlament stellt es 31 der 100 Mandatsträger. Es bildet die stärkste Fraktion, ohne der reaktionären Zentralregierung damit das Wasser abgraben zu können.

Aber auch diese hat auf ihre Weise gepunktet: Die Bezüge der im öffentlichen Dienst Tätigen wurden um 40 % gekürzt, das Mindesteinkommen um 15 % und die Renten sogar bis zu 70 % herabgesetzt. Heute lebt die Hälfte der Letten in Armut, während die Zahl arbeitsloser Jugendlicher dramatisch emporgeschnellt ist.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Vom Ethos einer irakischen Muslimin

Tahas Mutter

Der Schock hätte nicht größer sein können. Bagdad, die fremde Stadt, war für das aus dem Süden Iraks stammende Mädchen ein großer, Angst einflößender Moloch, der sie mit seinen vielen Menschen, hupenden Autos, ungewohnt hohen Häusern und nie abschwellendem Lärm zu verschlingen drohte. Ausgerechnet hier, just am Tag ihrer Ankunft, sollte sich ihr weiteres Schicksal entscheiden. Sie kam, um nach dem Willen der Eltern und des Oberhauptes einer fernen Verwandtschaft mit einem Mann verheiratet zu werden, den sie nie zuvor gesehen hatte. Ein Zurück gab es nicht.

Die Scheu vor der Stadt blieb, die Sehnsucht nach dem Duft der heimatlichen Erde auch, doch sie begriff, daß sie, die Analphabetin, lernen mußte, auf die eigene Kraft zu bauen. Neun Kinder hat Bahia Ali Rahak geboren. Das erste starb jung. Dann kam Taha auf die Welt. Ihm folgten noch sechs Jungen und zwei Mädchen.

Taha sitzt neben mir. Das Instrument, das er liebevoll berührt, scheint geradezu mit ihm verwachsen zu sein - eine arabische Kurzhalslaute, die er damals, zu Beginn der 80er Jahre, aus seiner Heimat mitbrachte. Er kam in die DDR und blieb. Nicht, daß es unbedingt sein Wunsch gewesen wäre, ins Exil zu gehen. Doch dafür gab es politische Gründe. Taha war wie alle seine Geschwister Mitglied der Irakischen Kommunistischen Partei. Vorbild war ihnen der Vater, der mit dem Ende der Monarchie 1958 so große Hoffnungen auf ein friedliches Miteinander der Menschen in einer freien Republik verband. Dafür setzte sich die KP, die zu dieser Zeit die stärkste marxistische Partei im Nahen Osten war, ein.

Immer öfter wurde das kleine betriebseigene Häuschen, das der Vater als Mitarbeiter eines Chemieunternehmens mit der Familie bewohnen durfte, zu einem Ort der Parteiarbeit. Dessen Türen standen auch der Nachbarschaft - Schiiten, Sunniten, Kurden - offen. Es war eine Zeit neuer mutmachender Erfahrungen, in der die Mutter lernte, zu ihrer Meinung zu stehen und diese auch gegenüber ihrem Mann zu vertreten. Daß sie an ihrem bäuerlichen Dialekt und der traditionellen Kleidung festhielt, hinderte sie nicht am Engagement im Frauenverband. Den Aktivistinnen dieser Organisation war es zu verdanken, daß Bestimmungen für die Durchsetzung von Frauenrechten in der Verfassung verankert wurden.

Doch die von Abdel Kerim Kassem geführte Revolution mündete in einen sich über Jahrzehnte hinziehenden widerspruchsvollen und von vielschichtigen Interessen geprägten Prozeß. Als 1963 das Militär putschte, begann eine mehr als drei Jahrzehnte währende Herrschaft der Baath-Partei, in der einerseits Bedeutendes für den Fortschritt und die Unabhängigkeit des Landes erreicht, andererseits Kriege wie der gegen Iran angezettelt wurden. Vor allem ist diese Periode von der Verfolgung der Kommunisten geprägt, die einen beispiellos hohen Blutzoll entrichten mußten. Der Vater gehörte zu den ersten, die man ins Gefängnis warf. In dieser schweren Zeit waren es die Kinder, die der Mutter Halt gaben. Als die Familie ihr Heim verlor, halfen Verwandte, Unterschlupf in einer beengten Lehmhütte zu finden. Es fehlte an allem, so auch an Geld für die Behandlung der Lungenentzündung der vierjährigen Schwester, die sie aus eigener Kraft nicht besiegen konnte.

Trotz solcher Schicksalsschläge haben Tahas Eltern und seine Geschwister nie aufgehört, den Kampf der Partei zu unterstützen. Auch ihr neues "Zuhause", die Lehmhütte, diente den Genossen als geheimer Treff. Hier waren sie relativ sicher, denn die Mutter schirmte sie ab, teilte mit ihnen das karge Essen, warnte, wenn Gefahr drohte.

1978 hat man Taha wegen seiner Kontakte zur KP verhaftet. Als er nach einem Jahr das Gefängnis verlassen konnte, war er sich sicher, daß sie wiederkommen würden. Einen seiner Brüder hatten sie schon geholt und ermordet.

Die DDR wurde für Taha zur zweiten Heimat. Heute lebt er, der Musikwissenschaftler, -pädagoge und Komponist, von Hartz IV. Aber immer noch gehört sein Herz der Musik, ohne die ein Leben für ihn nicht vorstellbar ist. Er bestritt Konzerte in mehreren europäischen Ländern und Städten des Nahen Ostens. Er schuf musikalische Arrangements für Theaterstücke, vertonte Werke von Dichtern seiner Heimat und komponierte Lieder für arabische Sänger.

1982, Taha war schon längst außer Landes, holten sie die gesamte Familie - Vater, Mutter, Kinder, Verwandte. Vier Jahre für die Mutter, lautete das Urteil. Ihren Peinigern hatte sie nichts als ihre Würde entgegenzusetzen, die sie auch unter der Folter nicht preiszugeben bereit war.

1990 verhängten die USA ein gnadenloses Wirtschaftsembargo über das Land, das dem Volk unsägliches Leid brachte. Mehr als eine Million Iraker, darunter 500.000 Kleinkinder, starben. Für Tahas Familie ging es ums nackte Überleben. Wieder war es die Mutter, welche die Kraft aufbrachte, Tag um Tag das Nötigste - und wenn es nur Knochen waren, die sie irgendwo ergatterte -, zu beschaffen. Für ihren Mann gab es keine Hilfe mehr. Er erlag 1996 den Folgen der Haft.

Mit dem Sturz Saddam Husseins und der Besetzung des Landes durch die USA begann 2003 ein Krieg, dem über eine Million Menschen zum Opfer gefallen sind und der die politischen und sozialen Strukturen Iraks fast vollständig zerstörte.

Doch der nationale Widerstand organisiert sich mehr und mehr. Um diesen zu schwächen, schüren die USA ununterbrochen ethnische und konfessionelle Konflikte, die täglich Menschenleben fordern. Auch zwei Brüder Tahas, die 2006 zwischen die Fronten gerieten, wurden getötet - von einer Bombe.

Wenn Taha von seiner Mutter erzählt, spiegelt sich unendliche Liebe und Ehrerbietung in seinen Augen. In seiner Stimme schwingt tiefe Bewunderung für eine Frau, die trotz des großen persönlichen Leids niemals aufgegeben hat. Als gläubige Muslimin - heute ist sie 77 Jahre alt - hält sie zugleich an ihrer Überzeugtheit von der gerechten Sache der Kommunisten fest.

Die KP verlieh Bahia Ali symbolisch den Titel einer Generalin. Von der damit verbundene Rente spendet sie Monat für Monat zehn Prozent der Partei, damit der Kampf weitergeht und ihre Enkel eines Tages in einem Land leben können, das frei ist von Okkupanten, von Ausbeutung und Unterdrückung, von Angst vor Terror und Krieg.

Bruni Steiniger

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Briefmarken offenbaren den Charakter eines Staates

Philatelistische Visitenkarte der DDR (5)

Glaubt man den Karikaturen von der DDR, die gleichgeschaltete Medien und bundesdeutsche Großinquisitoren weltweit verbreiten, dann war in ihren Grenzen alles Patriotische verfemt und untersagt. Tatsächlich aber verfolgte der sozialistische deutsche Staat - der beste, den es in der Geschichte unseres Volkes jemals gegeben hat - einen völlig anderen Kurs.

Er stand fest auf den Positionen des proletarischen Internationalismus und der revolutionären Solidarität mit allen um ihre Befreiung kämpfenden oder ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern und Bewegungen. Zugleich aber - und beides bildete eine untrennbare Einheit - gab er dem Patriotismus breiten Raum und einen neuen Inhalt. Frei von den chauvinistischen Aufwallungen jener Kräfte der Bourgeoisie, die weiterhin der Linie "Deutschland, Deutschland über alles" folgen, wurzelte dieser im berechtigten Stolz auf kostbare Kapitel der eigenen Geschichte. Und er stellte jene Deutschen in den Mittelpunkt, die ihrem eigenen Volk und der Welt tatsächlich etwas gegeben haben.

Der sozialistische Patriotismus der DDR setzte damit einen Kontrapunkt zur deutschtümelnden Großmannssucht und Anmaßung Ewiggestriger.

Das widerspiegelte sich auf eindrucksvolle Weise auch in den Briefmarken-Editionen ihres Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen. Während der deutsche Friedensstaat einerseits internationalistische Klassenpositionen auch in dieser Hinsicht konsequent verteidigte, widmete er nicht wenige seiner Briefmarken Denkwürdigem und Verehrenswertem aus der Chronik des eigenen Volkes. Die Taten seiner Protagonisten wurden ganz überwiegend lange vor dem Entstehen einer organisierten Arbeiterbewegung auf deutschem Boden vollbracht.

Thomas Müntzer, Freiherr vom Stein, Lützows Freikorps, Ferdinand von Schill, Blücher, Scharnhorst, Gneisenau und andere deutsche Patrioten, die für die nationale Einheit kämpfenden Studenten der Wartburg, Ernst Moritz Arndt, die Bannerträger der bürgerlichen Revolution von 1848, wurden von der DDR nicht etwa vereinnahmt, wie Besserwisser im Westen anmerkten, sondern waren genau aus jenem Holz, das sich durchaus mit dem Gebäude des Sozialismus vertrug, ja sogar gut zu ihm paßte.

Nach Serien und Einzelausgaben, die dem proletarischen Internationalismus gewidmet waren, folgen in unserem lockeren philatelistischen Report diesmal Editionen, die den sozialistischen Patriotismus der DDR eindringlich unter Beweis stellen.

Rainer Albert, Zwickau


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Serie "Deutsche Patrioten" aus dem Jahr 1953
- Serie "Nationaler Befreiungskampf" aus dem Jahr 1963

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Als die Hitlerfaschisten Jagd auf "entartete Kunst" machten

Am 1. September 1938 begann in Berlin ein Verkauf von Werken bildender Kunst, den es so zuvor nie gegeben hatte. Die faschistische Regierung erließ ein Gesetz gegen Kunstwerke, die sie für "entartet" erklärte, als "Verfallskunst" klassifizierte und aus Museen wie Galerien entfernen ließ. Zur vermeintlichen Abschreckung zeigte sie in München und anderen Städten Werke von 112 schon damals sehr berühmten Künstlern wie Nolde, Marc, Corinth und Feininger. Die anderen wurden in einem Berliner Speicher zwischengelagert.

Hitler, Göring und Goebbels wollten einige dieser Kunstgegenstände gegen Devisen ins Ausland verscherbeln oder gegen andere Kunstwerke, an deren Erwerb Hitler persönlich interessiert war, eintauschen.

Alfred Rosenberg - durch sein Machwerk "Der Mythos des 20. Jahrhunderts" zum Chefideologen der Nazipartei aufgestiegen - wollte, daß die Werke der "entarteten Kunst" ebenso öffentlich verbrannt würden wie 1933 Bücher unerwünschter Autoren. Aber da die Kriegsvorbereitungen der Faschisten bereits begonnen hatten, besaß die Devisenbeschaffung Vorrang.

Außerdem sympathisierte Goebbels insgeheim mit Teilen der verfemten Kunstrichtung, was er aber nicht zugeben durfte. Als Hitler sich über Gemälde von Nolde und Skulpturen von Barlach in dessen Amtsräumen empörte, plazierte sie Goebbels kurzerhand in seiner Villa auf der Berliner Insel Schwanenwerder. Die Naziführung beauftragte ihn mit dem Verkauf der ausgesonderten Kunstgegenstände. Sein Stab listete diese auf, sonderte einige Werke aus und legte Verkaufspreise für sie fest. Mit dem Absatz betraute er den evangelischen Kunstdienst.

Wie aber kam er ausgerechnet darauf? Es handelte sich um einen Verein für künstlerische Gestaltung unter dem Dach der evangelischen Kirche. Nicht direkt von dieser abhängig, erhielt er aber ihre finanzielle Unterstützung.

Im Frühjahr 1933 - nur Monate nach Errichtung der faschistischen Diktatur - wurde Deutschland eingeladen, sich mit religiöser Kunst an der einjährigen Weltausstellung in Chicago zu beteiligen. Goebbels reichte diese Aufgabe an den evangelischen Kunstdienst weiter. Die Schau verschaffte der Naziregierung Anerkennung: Skulpturen von Barlach und Bilder von Nolde zählten zu den prominentesten Ausstellungsstücken.

Seitdem räumten die faschistischen Spitzen dem evangelischen Kunstdienst etliche Privilegien ein. So überließen sie ihm das Berliner Schloß Niederschönhausen für seine Zwecke. Besonderes Einvernehmen herrschte zwischen Goebbels und dem Leiter des Kunstdienstes Reinhold Schneider.

Da verwundert es nicht, daß die Verkaufsschau "entarteter Kunst" 1938 im Schloß Niederschönhausen stattfand. Über die Preise verhandelten Leute aus dem Umfeld von Goebbels, während die Aufgabe des Kunstdienstes in der Lagerung und Präsentation der Werke sowie dem Empfang der Kunsthändler und sonstiger Interessenten bestand, die mit besonderer Einladung Zutritt erhielten.

Zur Betreuung der Ausstellung stellte Reinhold Schneider die junge Gertrud Werneburg ein. Etwa ein halbes Jahrhundert danach sagte die inzwischen 90jährige dem Kirchengeschichtler Hans Prolingheuer im Interview: "Ich habe mit 175 Ölbildern angefangen, aus denen allmählich 6000, ja sogar 7000 wurden." Ununterbrochen seien Möbelwagen vorgefahren und hätten neue Bilder gebracht. Auf Aquarelle folgten die Arbeiten der Künstlergruppe "Die Brücke" - von Franz Marc bis Christian Rohlfs, von Ernst Ludwig Kirchner bis Otto Dix. Die Kunsthändler hätten sich die Klinke in die Hand gegeben. Einer von ihnen, der Schweizer Theodor Fischer, habe sich 125 Werke aussuchen dürfen, darunter auch das berühmte Selbstporträt van Goghs, "Zwei Harlekine" von Picasso, überdies Bilder von Chagall, Macke, Marc, Gauguin, Feininger und Nolde sowie Plastiken von Barlach.

Zu Jahresbeginn 1939 lagerten noch etwa 12 000 Arbeiten im Depot. In einem Brief an Goebbels bezeichnete sie ein Mitarbeiter als "Abschaum entarteter Kunst", der ohne Bedenken verbrannt werden könne. Der NS-Propagandachef ließ indes abermals Bilder zur Valutabeschaffung aussondern. Damit setzte im Schloß Niederschönhausen eine regelrechte Verramschung ein. Gertrud Werneburg erinnert sich, die Werke seien geradezu verschenkt worden, weil die Nazis unbedingt Dollars haben wollten. Da hätten sich die Kunsthändler in einem unvorstellbaren Maße bereichert. Und nicht nur sie, sondern auch große und kleine Nazis, Mitarbeiter des Kunstdienstes und deren Freunde.

Bis in die 80er Jahre folgten Historiker der damals gültigen Version, die Bilder und Skulpturen seien tatsächlich ausnahmslos vernichtet worden. Nach heutiger Auffassung ist es aber wahrscheinlicher, daß lediglich Verpackungsmaterial verbrannt worden ist, um Rosenberg und dessen Leute zufriedenzustellen.

Ein Kunsthändler, der in Niederschönhausen ein- und ausging, muß hier noch erwähnt werden: Bernhard A. Böhmer. Ursprünglich selbst Bildhauer, war er in Güstrow Ernst Barlachs Nachbar. Später wurde er zum engsten Freund und Mitarbeiter des Meisters. Böhmer konnte aufgrund seiner Querverbindungen erreichen, daß Barlach bis zu seinem Tode im Jahre 1938 relativ unbehelligt blieb.

Böhmer erwarb Werke von etwa 170 Künstlern und lagerte viele davon in Güstrow ein. Im Juni 1941 kaufte er für 24.000 Schweizer Franken einen Teil der noch in Niederschönhausen befindlichen Arbeiten. Die übrigen wurden im Keller des Reichspropagandaministeriums deponiert, von wo aus Böhmer sie Ende 1943 ebenfalls nach Güstrow bringen ließ. Goebbels wollte dort ein Nazi-Gegenstück zur Künstlerkolonie Worpswede schaffen. Die Bauarbeiten hatten bereits begonnen, und sein eigenes Wohnhaus war fertig. Er bezog es jedoch nicht, sondern stellte es dem evangelischen Kunstdienst zur Verfügung, der dort um die Jahreswende 1943/44 mit seinen Beständen Einzug hielt.

Als die Rote Armee Güstrow am 3. Mai 1945 erreichte, begingen Böhmer und dessen Frau Selbstmord. Der zwölfjährige Sohn kam mit knapper Not davon. Barlachs Partnerin übergab das nahezu leblose Kind einem Sowjetsoldaten, der es das eingeflößte Gift ausbrechen ließ, so daß der Junge die Schrecken überstand.

Böhmer ist es - wie auch immer - zu verdanken, daß wir heute eine große Anzahl der Werke Barlachs kennen, so auch den Engel mit den Gesichtszügen von Käthe Kollwitz im Güstrower Dom und in Köln. Der Künstler gab ihm den Namen "Der Schwebende" und schrieb: "Für mich hat während des Krieges die Zeit stillgestanden. Sie war in nichts anderes Irdisches einfügbar. Sie schwebte. Von diesem Gefühl wollte ich in dieser leeren schwebenden Schicksalsgestalt etwas wiedergeben."

Horsta Krum, Berlin

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Peter Michel nimmt Vandalen ins Visier

Wir wollen das reiche kulturelle Erbe unseres Landes bewahren, das durch die Vielfalt seiner Länder und Regionen geprägt ist", schrieb die CDU 2007 in ihr Grundsatzprogramm. Mir kamen dabei fast die Tränen! Möchte man wirklich der jahrzehntelangen Politik des wissenschaftlich-kulturellen Boykotts und der Diskriminierung ein Ende setzen?, ging es mir damals durch den Kopf. Aber ich will nicht ungerecht sein und nur auf eine Partei zeigen, die dem Erbe des "Beitrittsgebiets" ablehnend gegenübersteht. Auch andere haben augenscheinlich davor Angst. Selbst die seinerzeitige PDS hat ja Willi Sittes berühmtes Monumentalgemälde "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden lassen.

Peter Michel stellt solchen wohlklingenden Phrasen, wie sie die CDU von sich gab, seinerseits die Frage "Kulturnation Deutschland?" entgegen, ja, er zieht diese sogar in Zweifel. Seine Streitschrift wider die modernen Vandalen ist keine nostalgische DDR-Vergoldung, sondern ein wütender Aufschrei gegen jede Form kultureller Barbarei.

Sachlich konstatiert der Autor, daß eine geschichtliche Zäsur stets mit der "Neubewertung von Kultur, Ethik, Moral und Kunst" einhergeht. Das war zu allen Zeiten so. Michel verweist auch auf sektiererische Entscheidungen in der DDR, die zur Vernichtung von Teilen des kulturellen Erbes führten. Doch das Sündenregister der 1990 in ganz Deutschland wieder zum Zuge Gelangten ist schier unendlich. "Die immense Zahl der Beispiele von Gemeinheit, niedrigster Gesinnung, Opportunismus, bösartigem Kalkül und vorauseilendem Gehorsam bei Abriß, Zerstörung, Vernichtung und Diffamierung macht es fast unmöglich, bei der Lektüre ruhig zu bleiben", bemerkte Arnold Schölzel in der jungen Welt.

Eine "Spur der Schande" wird in dem Buch offenbar. Sie reicht von den aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit genommenen und vernichteten Schätzen bildender und angewandter Kunst über das Schleifen des Palastes der Republik bis zum Straßen und Plätze betreffenden Umbenennungswahn. Nahezu fassungslos steht der Leser Michels Auflistung der zerstörten Werke des Metallgestalters Fritz Kühn (1910 bis 1967), den der Pariser Louvre 1969 posthum mit einer Personalausstellung ehrte, und der seines Sohnes Achim Kühn gegenüber. Nicht nur ein Lebenswerk wurde hier ausgelöscht, sondern auch nationales Kulturerbe!

Neben der Beseitigung öffentlich gezeigter Kunst ereignete sich im Annexionsgebiet der BRD ein kultureller Kahlschlag ohnegleichen: Etwa 30 Millionen Bücher aus DDR-Verlagen sind in Tagebaue gekippt oder auf Mülldeponien "entsorgt" worden.

"Die Leiter von 152 Theatern der DDR, von 135 Solistengruppen, 42 Theaterchören, 41 Theaterballetten, von 1053 Klubhäusern, 636 Museen und 102 Zoologischen und Heimattiergärten wurden zu einem großen Teil gemeinsam mit ihren Einrichtungen 'abgewickelt'." Von den zahlreichen kleinen Kulturbund-Galerien blieb fast keine übrig. Gezielt wurden Gedenktafeln für antifaschistische Widerstandskämpfer oder Denkmäler, die an Opfer des Faschismus erinnern, beseitigt.

Doch Michel kann auch positive Beispiele anführen: Walter Womackas Bildfries am Berliner Haus des Lehrers wurde restauriert, die Stadt Thale brachte ein in Suhl abgetragenes Wandbild Willi Neuberts in ihren Mauern an. Die kleine Fassung von Jürgen Raues Greizer Denkmal "Befreiung" gelangte aus Auschwitz über das Beeskower Depot nach Potsdam, was ganz wesentlich Peter Michel zu verdanken ist. Nicht zuletzt werden auch Denkmalpflegeämter, Gemeinden, Bürgerinitiativen und Privatleute gewürdigt, die eingreifen, um bedrohte Kunstwerke zu retten. Sind diese Beispiele aber mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein?

Ex-Bundespräsident Horst Köhler dürfte in seiner Rede am 3. Oktober 2008 wohl nicht gerade an Rosa Luxemburg gedacht haben, als er warnte: "Kulturlosigkeit öffnet die Tür zur Barbarei." Doch seine Worte entsprachen dem Stand der Dinge.

In den Auslagen des "gut sortierten Buchhandels" ist Peter Michels schmales Bändchen übrigens nicht zu finden. Richtiger müßte man wohl vom selektierenden Buchhandel sprechen - einer spezifischen Form der Kulturbarbarei ideologischer Natur.

Immerhin gehörte dieser Autor ja zu den profiliertesten Kunstkennern der DDR. Dreizehn Jahre war er Chefredakteur der renommierten Zeitschrift "Bildende Kunst", viele Jahre trug er später die Verantwortung für die von der Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) herausgegebene Zeitschrift "ICARUS". Seine ständige publizistische Auseinandersetzung mit dem bundesdeutschen Kulturbetrieb übersehen zu wollen, wäre eine grobe Unterschlagung.

Daß der Verlag Wiljo Heinen bei seinen stets Farbe bekennenden Editionen auf dem ungeschriebenen Index der Herrschenden steht, dürfte niemanden überraschen. Für kritische Geister ist das ein Grund mehr, dessen Angebot näher ins Auge zu fassen.

Bernd Gutte


Peter Michel: Kulturnation Deutschland? Streitschrift wider die modernen Vandalen. Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund, 2012; 122 S. 7,50 €

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"Blutsbrüder" - Hochaktuelles aus den 30ern

Wenn man sich ein bißchen durch Statistiken gräbt, um den mittlerweile gravierenden Unterschied zwischen Arm und Reich zu analysieren, bekommt man zwangsläufig mit, daß die Kinder am meisten zu leiden haben. In Familien, die vom Kapitalismus stark gebeutelt werden, wachsen die unschuldigen kleinen Dinger ohne rechte Freude auf. Abgetragene Anziehsachen gibt es beim DRK, die Nahrung in Suppenküchen, und das Spielzeug ist nicht selten von der anwachsenden Müllkippe "beschafft" worden. Die Arbeitslosenunterstützung wird auf Teufel komm raus gekürzt.

Mancherorts schlafen Minderjährige unter freiem Himmel, besorgen sich Geld durch kriminelle Handlungen oder gehen sogar auf den Kinderstrich.

Sehr detailgetreu hat Ernst Haffner in den 30er Jahren das aufgeschrieben, was auch heute oftmals kaum anders ist. Schnörkellos und ohne verbale Umschweife, verdammt ehrlich und erschütternd berichtet er in seinem Buch "Blutsbrüder" von einer Gruppe Berliner Jugendlicher, welche von der Gesellschaft abgeschrieben sind, ohne Wohnung und Familie dahinvegetieren und in der Weimarer Republik, die selbst in den letzten Zügen liegt, zu überleben versuchen.

Wer einmal mit dem Lesen des Textes beginnt, kann nicht mehr aufhören. Man fiebert regelrecht mit, erlebt das bittere Geschehen und ist erleichtert, wenn die verstoßenen Jugendlichen wenigstens etwas Nahrung auftreiben können und ihren Schlafplatz in irgendeiner heruntergekommenen Wohnstätte ergattern.

Die meisten der viel zu schnell erwachsen gewordenen Kinder sind aus Heimen entwichen, in denen es sich nicht leben läßt. Ihre "Erzieher" sind brutal, allein auf "Zucht und Ordnung" bedacht. Sie vergreifen sich auch sexuell an ihren Schutzbefohlenen. Diese Beschreibungen erinnern nur allzusehr an die publik gewordenen Übergriffe in katholischen Einrichtungen dieser Art.

Der als Journalist und Sozialarbeiter tätig gewesene Haffner verschafft seinen Lesern ein exaktes Bild von den damaligen Zuständen: "Der ganze Raum ist in die Lieblingsfarben der Wohlfahrtsinstitutionen gekleidet: graugrüne Kalkfarbe, dunkelgrüne Ölfarbe. Zerschlissen, zerwetzt, abgeschabt und beschmutzt von Tausenden anlehnenden Menschenrücken." In so beschriebenen Quartieren, billigen Kneipen und verlassenen Lagerhallen hält sich die um Johnny gruppierte "Blutsbrüder"-Clique auf. Einer steht für den anderen, gemeinsam sind sie ständig auf der Suche nach etwas Eßbarem, wobei sie auch nicht vor kriminellen Handlungen zurückschrecken. Die beiden Hauptgestalten des Romans - Willi und Ludwig - versuchen ganz ohne Papiere, trotz Polizeigewalt, wiederholter Einweisung in Fürsorgeanstalten und Drohungen ihrer mittlerweile zur organisierten Kriminalität abgerutschten "Blutsbrüder" ehrlich zu bleiben.

Von 1925 bis 1933 lebte, arbeitete und schrieb Haffner in Berlin. Den nun vorliegenden Titel rechneten die Nazis 1938 zu den "schädlichen und unerwünschten Büchern". Sie setzten das Werk auf den Index und verbrannten es.

Mit dem Machtantritt Hitlers verliert sich Ernst Haffners Spur. Bekannt ist lediglich noch, daß er mit seinem Lektor zur faschistischen Reichsschrifttumskammer, die im "Dritten Reich" über Erscheinen oder Nichterscheinen jeglicher Literatur befand, vorgeladen wurde, um das Buch noch einmal "durchzusprechen". Danach tauchte der Name des Autors dieses packenden und noch heute aktuellen Buches nicht mehr auf.

Thomas Behlert


Ernst Haffner: Blutsbrüder. Ein Berliner Cliquenroman. Metrolit-Verlag, Berlin 2013, 240 S., 19,99 €

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Museen als Hüter der Sportgeschichte

Der Freundeskreis der Sport-Senioren und die Arbeitsgruppe Sport der Gesellschaft für Rechtliche und Humanitäre Unterstützung (GRH) haben die inhaltliche Zusammenarbeit mit den Sportmuseen in den "neuen Bundesländern" zu einem festen Bestandteil ihres Wirkens gemacht. In erster Linie geht es um die Bewahrung der Sportgeschichte der DDR. Mit ihren Exponaten belegen sie Tatsachen und vermitteln Wahres. Durch thematische Ausstellungen werden Ergebnisse im Kinder- und Jugendsport - besonders der Spartakiadebewegung -, des Freizeit- und Erholungssports sowie des Leistungssports anschaulich gemacht. Entstanden sind Bibliotheken für Sportliteratur. Im Berliner Sportmuseum Marzahn-Hellersdorf gibt es einen besonderen Schatz: Sämtliche Ausgaben des "Deutschen Sportechos" - vom ersten bis zum letzten Erscheinungstag - sind dort vorhanden.

Unser Freundeskreis der Sport-Senioren und die Arbeitsgruppe Sport der GRH legen in ihrer Tätigkeit Wert darauf, die Museen immer stärker zu Begegnungsstätten werden zu lassen. Durch Veranstaltungen mit Gustav-Adolf Schur, Klaus Köste, Heinz Florian Oertel, Christine Errath, Hannelore Graff-Hennecke, Helmut Recknagel, Betty Heidler, Sven Feiski und Klaus Feldmann wurden immer neue Besuchergruppen angesprochen.

Berücksichtigung findet auch die Spezifik der einzelnen Museen. Das Strausberger Museum widmet sich zum Beispiel dem Schulsport, das Oberhofer Museum dem Thüringer Wintersport, das Museum in Kleinmühlingen der Geschichte der Friedensfahrt, des populärsten Amateur-Etappenrennens aller Zeiten, das Millionen Menschen in der DDR, Polen und der CSSR begeisterte. Auf Initiative Täve Schurs und Horst Schäfers werden inzwischen alljährlich Hunderte Kinder und Jugendliche für die Kleine Friedensfahrt gewonnen. Das Museum in Frankfurt (Oder) sieht seinen Schwerpunkt in der Darstellung der Ergebnisse des Armeesportklubs ASK Vorwärts und des FC Vorwärts, die bis 1990 ein Kapitel Sportgeschichte der Region geschrieben haben. Das Sportmuseum Marzahn-Hellersdorf konzentriert sich auf die sportliche Entwicklung in den beiden neuen Berliner Stadtbezirken. Die Entwicklung des Breitensports sowie die olympische Bewegung besitzen hier einen besonderen Stellenwert.

Sämtliche genannten Einrichtungen werden immer mehr für Zusammenkünfte von Sportvereinen, Organisationen und anderen Zusammenschlüssen genutzt. Bewährt hat sich der jährlich stattfindende Erfahrungsaustausch von Leitern der Sportmuseen. In diesem Jahr nahmen erstmals auch die Freunde vom DDR-Kabinett in der Ruhrgebietsstadt Bochum teil. Nach der kameradschaftlichen Diskussion und dem Austausch von Exponaten wurde beschlossen, die nächste Begegnung dieser Art 2014 dort durchzuführen.

Erhard Richter

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Griff in die literarische Schatztruhe (12)

Einst erfolgreiche DDR-Autoren dem Vergessen entreißen

Rainer Kerndl wurde am 27. November 1928 in Bad Frankenhausen geboren. Als Journalist verfaßte er ab 1954 Theaterkritiken für die "Junge Welt", später für "Neues Deutschland". Kerndl schrieb auch Stücke, wobei er eng mit dem Berliner Maxim-Gorki-Theater zusammenarbeitete. Nach seiner Erzählung "Ein Wiedersehen" (1956) entstand das Stück "Schatten eines Mädchens" (1961). Es folgten "Seine Kinder" (1963) und "Plädoyer für die Suchenden" (1966).

Eine moderne Simpliziade stellte Kerndl in "Die seltsame Reise des Alois Fingerlein" (1967) vor. "Der verratene Rebell" (1968) und "Zwei in einer kleinen Stadt" (1969) zeugten vom Bekennermut des Autors. Kerndls Stücke waren von Auseinandersetzungen um richtiges oder falsches Handeln geprägt. Erwähnt seien hier "Ich bin einem Mädchen begegnet" (1969), "Wann kommt Ehrlicher?" (1971), "Romanze für einen Wochentag" (1972), "Macht mit Kompromissen" (1976) und "Der vierzehnte Sommer" (1977). Sie wurden vor allem auch deshalb zu Publikumserfolgen, weil seine Figuren um ihre Selbstbehauptung ringen mußten. In "Der Georgsberg" (1984) nahm er die mit den Intershops Einzug haltende Doppelmoral aufs Korn, was die Absetzung des Stückes zur Folge hatte. Doch Kerndl machte auch weiterhin keinen Bogen um heiße Eisen. Etliche seiner Stücke lieferten Stoff für lebhafte Diskussionen.

Als Prosa-Schriftsteller führte sich Rainer Kerndl mit dem Jugendbuch "... und keiner bleibt zurück" (1953) ein, in dem er seine Erlebnisse beim Bau der Wasserleitung für die Maxhütte Unterwellenborn schilderte. 1956 legte er die Erzählung "Die Eroberung der Burg Walldorf" und den Band "Ein Wiedersehen" vor.

Der Moralist der Bühne und geschätzte Theaterkritiker wandte sich schließlich auch dem Abenteuerroman zu, wie "Eine undurchsichtige Affäre" (1981) und "Ein ausgebranntes Leben" (1983) bewiesen. In seinem für Schüler unterer Klassen bestimmten Buch "Die Kinder der Schahnas" erzählt Kerndl die Geschehnisse um ein taubstummes Mädchen in einem Flüchtlingslager bei Damaskus.

Aus der Feder des vielseitigen Autors stammt auch ein halbes Dutzend Fernsehspiele - so "Der verratene Rebell" (1967), "Zwei in einer kleinen Stadt" (1969), "Jenny" und "Die Urlauber" (beide 1978), in denen es u. a. um Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit in den Partnerbeziehungen geht. In "Bimbo Hubert. Eine Filmgeschichte" (1993) verliert ein Bauarbeiter seinen Job und erlebt, wie Menschen anderer Hautfarbe von chauvinistisch gesinnten Landsleuten ausgegrenzt werden.

Kerndls Schaffen wurde mit dem Nationalpreis der DDR sowie dem Lessing- und dem Goethe-Preis der Stadt Berlin gewürdigt.

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Der 1908 in Bernburg geborene Werner Reinowski entdeckte seine Liebe zu Texten schon vor 1933 als Arbeiterkorrespondent. Recht spät begann er, Werke der Literatur zu schaffen. Sein besonderes Interesse galt seit den 50er Jahren der künstlerischen Begleitung von Wandlungsprozessen auf dem Lande. Die Bodenreform und der Weg vom Ich zum Wir waren dabei Inhalte, welche das Denken und Handeln seiner Gestalten bewegten. Reinowskis "Diese Welt muß unser sein" (1953) galt als erster deutscher Roman über die Gründung Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG) in der DDR.

Zu seinen Büchern zählt auch eine Bodenreform-Trilogie "Der kleine Kopf" (1952), "Vom Weizenfeld die Spreu" (1952) und "Der Ungeduldige" (1969). Mit dem zuletzt genannten Titel legte der Schriftsteller ein originelles, reiche Kenntnisse vermittelndes Buch vor. Eindringlich schilderte er die Auseinandersetzungen auf dem Lande und machte zugleich transparent, wie sich diese in und zwischen einzelnen Menschen abspielten. Diesem Thema blieb Reinowski auch später treu, wie "Der heitere Heinrich" (1956), "Unbequeme Freundin" (1973 und "Die Guldenwiese" (1975) verrieten.

Er besaß einen scharfen Blick für echte Konflikte und Menschenschicksale, die er in episch gelungener Form vorzustellen vermochte. Mit diesen Werken setzte Werner Reinowski die Traditionen des Dorfromans fort, die bereits in den 20er Jahren von Autoren wie Adam Scharrer begründet worden waren. Zu verweisen ist hier auf die Titel "Zwei Brüder" (1959, Neufassung 1972) und "Zivilcourage" (1969). 1986 legte Reinowski seine Autobiographie "Unkraut vergeht nicht" vor, in der er vor allem die harten Zeiten zwischen 1908 und 1931 ins Visier nahm. Dabei hob er ihn prägende Ereignisse hervor: seine Lehrzeit als Tischler in Braunschweig, sein Wirken in der Sozialistischen Arbeiterjugend und in der SPD sowie sein Schuften in einer Gießerei, über das er seinen allerersten Artikel verfaßt hatte. Die Selbstdarstellung des 1987 Verstorbenen zeichnet sich durch Glaubwürdigkeit, Schlichtheit und Lebensnähe aus.

Dieter Fechner

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Wie Archie der Armut begegnete

Weil wir arm sind, können wir uns dieses oder jenes nicht leisten, kaufen oder leihen. Solche Sätze mußte Archie in der Kindheit von seiner Mutter ständig hören. Der Vater antwortete erst gar nicht, wenn es sich um Kinokarten, Zirkusbilletts oder ein kleines Modellauto handelte. ... Bei Anschaffungen größerer Art wie Schuhen oder einer warmen Winterjacke wurde es geradezu dramatisch. Selten hat Archie etwas Neues erhalten, meist waren es getragene Klamotten.

Ständige extreme Armut bleibt nicht ohne psychische Auswirkungen. Das trifft bekanntlich auch auf heutige Hartz-IV-Empfänger zu. Das Selbstbewußtsein von Kindern wird durch ständiges Verzichtenmüssen und bedrückenden Mangel auf Dauer beschädigt. Die Kleinen passen sich extrem an, neigen zu Minderwertigkeitskomplexen oder geraten auf die schiefe Bahn. Viele flüchten sich auch in eine Scheinwelt.

In Archies Breslauer Kinderzeit waren die Kinos immer voll. Auf dem Programm standen vorwiegend UFA-Lustspiele oder Kriegsfilme. Heute haben das Fernsehen und der Computer diese Funktion übernommen.

Was das "tägliche Brot" betrifft, so herrschte damals das Prinzip: Es muß viel sein und satt machen. Dennoch waren die Männer im Proletarierviertel meist hager und etliche von ihnen geradezu dürr. Sie schufteten auf dem Bau oder in Fabriken. Die Frauen hatten meist keinen Beruf. Küche, Kinder und Kochen waren die ihnen zugewiesene Welt, wobei nicht wenige dick wurden. Zum Einkauf gingen sie in den Kolonialwarenladen, wie solche Geschäfte damals hießen. Dort gab es das Billigste, und man konnte vor allem anschreiben lassen.

Die Menschen in diesen Arme-Leute-Vierteln starben meist eher als Betuchte. Weil du arm bist, mußt du früher sterben - diese Norm traf auch auf Archies Verwandtschaft zu. Handwerksgehilfen oder ungelernte Arbeiter wurden selten älter als 60 oder ein bißchen mehr. Dann forderte der Krieg seinen schrecklichen Tribut. Nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus verschlechterten sich die Lebensbedingungen aufgrund der Zerstörungen und des allgemeinen Mangels zunächst dramatisch. Die Menschen - darunter auch die durch den Hitler-Krieg zur Flucht Gezwungenen - stopften alles in sich hinein, um wenigstens satt zu werden. Gekochte Kartoffelschalen und Zuckerrübenschnitzel waren da willkommen. Von ausgewogener Ernährung konnte in den armen Bevölkerungsschichten ohnehin niemals die Rede sein.

Nach einer kriegsbedingten Odyssee durch verschiedene deutsche Provinzen schnupperte der kleine Flüchtling dann in der Lausitz notgedrungen etwas Landluft. Er ging Kartoffeln stoppeln, Ähren lesen, Rüben verziehen und Viehställe reinigen. So bekam er zumindest eine Vorstellung von frischen Produkten, welche von Höfen stammten, die man heute als Bio-Lieferanten bezeichnen würde.

Später begriff Archie, daß viele Probleme im "Agrarsektor" erst durch massierten Einsatz von Chemie und die Massentierhaltung entstanden. Diese rote Linie zieht sich bis in die umstrittene "moderne" Produktionsweise des Kapitalismus, für den die Verpackung weit wichtiger ist als der Inhalt.

Auf dem Dorf litten die Mägde und Knechte ebenso unter miserablen Lebensumständen wie unter den Unbilden der Witterung, während die Gutsbesitzer auf ihren Plüschsofas in den Herrenhäusern von all dem verschont blieben.

Diese Ära galt als "die gute alte Zeit" vor der Bodenreform, die uns die inzwischen zurückgekehrten Halsabschneider als paradiesisch weismachen wollen. Heute soll ja alles besser sein als vor der "Wende", wird behauptet. Denkste!

Ohne Zweifel hat sich die durchschnittliche Lebensdauer der Menschen durch eine Reihe von Umständen merklich verlängert, obwohl die alte Trennung zwischen den Klassen auch in dieser Hinsicht fortbesteht. "Arm stirbt früher" war ein Artikel in der Mai-Nummer des Magazins "Focus" überschrieben. Eine Studie des Robert-Koch-Instituts belegt, was dann der Ärztetag bestätigte: Wer wenig Geld hat, wird eher krank. Frauen mit schmalem Budget und geringer Qualifikation neigen viermal eher zu Fettleibigkeit als gutverdienende und hochqualifizierte Vertreterinnen ihres Geschlechts. Die Möglichkeit, sich durch Sport fit zu halten, ist in "bildungsfernen Schichten" fünfmal geringer als im "gehobenen Milieu", besagt die Studie. Diese Kluft habe sich in den letzten Jahren weiter vertieft.

Die Lebenserwartung in der BRD ist durch die Klassenzugehörigkeit - schamhaft als "Schichtenabhängigkeit" umschrieben - nach wie vor weitgehend bedingt. Das hänge damit zusammen, daß in ärmeren Kreisen zu viel geraucht und getrunken werde, wobei man den Sport vernachlässige, behaupten bürgerliche Soziologen. Archie hingegen meint, jeder sollte sich zu dem im Kapitalismus wurzelnden Prinzip "Weil du arm bist ..." seine Meinung bilden, dabei aber die gesamte Gesellschaftsstruktur auf den Prüfstand stellen. Da liest man zum Beispiel, daß nach Angaben des Deutschen Kinderschutzbundes drei Millionen in der BRD lebende Mädchen und Jungen nicht die Ferien genießen könnten. Für sie sei ein Verreisen tabu. In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Zahl der kleinen BRD-Bewohner, die wegen der finanziellen Klammheit ihrer Eltern daheim bleiben müßten, um 50 % erhöht. Andererseits sollten sich jene, welche 40 Jahre und länger gearbeitet haben, aus Kostengründen doch Alten- und Pflegeheime im Ausland suchen, wird empfohlen.

Hier ist daran zu erinnern, daß die Ferienlager in der DDR wie auch Krippen und Kindergärten eine Errungenschaft waren, von der niemand ausgeschlossen wurde. Geldfragen spielten da keine Rolle. Archies eigene Kinder schwärmen noch heute davon, doch bei Enkeln und Urenkeln heißt es dann schon wieder: Wer hat das bestellt? Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld?

Manfred Hocke

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Leserbriefe an RotFuchs

Bei Dieter Fechner möchte ich mich dafür bedanken, daß er mich in seine "Literarische Schatztruhe" mit aufgenommen hat.
Seinerzeit habe ich das Drehbuch für den Film "RotFuchs" geschrieben und Euch später sehr gerne den Titel überlassen - nun mit einem großen F.
Die Überschrift der Serie "Einst erfolgreiche DDR-Autoren dem Vergessen entreißen" trifft ins Schwarze, wird man doch heute als Schriftsteller mit DDR-Hintergrund oftmals total übersehen.

Peter Abraham, Potsdam


Unbekannte hatten am 22. August 2012 einen nächtlichen Gewaltanschlag auf das Wohnhaus meiner Familie in Berlin-Adlershof verübt, die Fenster des Wohnzimmers mit Pflastersteinen eingeworfen und den Briefkasten gesprengt. Die Polizei hielt einen rechten Hintergrund für sehr wahrscheinlich und wollte Zusammenhänge mit ähnlichen Anschlägen im Bezirk prüfen. Der Ermittlungsdruck auf die rechte Szene sollte erhöht werden, forderten Parteien. Es war von einer Null-Toleranz-Strategie die Rede. Innensenator Henkel hatte erklärt, der Staatsschutz ermittle mit Hochdruck.
Ein Jahr später ist die Luft raus, von Druck wenig zu spüren. Es soll einen Tatverdächtigen geben, aber gefaßt oder verurteilt wurde bisher niemand. Der oder die Gewalttäter laufen also immer noch frei herum, und an ständig neuen rechtsextremen Vorkommnissen in Schöneweide und Johannisthal ist zu erkennen, daß sie weiterhin ungebremst sind.
Aber auch ich werde wie bisher aktiv sein, denn gegenüber Intoleranten kann es keine Toleranz geben. Ich erneuere daher meine vehemente Kritik an der Sicherheitsstruktur dieses Staates. Mag sein, daß einige zuständige Stellen etwas wissen und auch unternehmen. Aber es folgen kaum oder keine Konsequenzen. Das Versagen der Sicherheitsbehörden im allgemeinen bei der Mordserie des NSU setzt sich im kleinen bei der fehlenden Aufklärung solcher Straftaten wie in meinem Fall fort.

Dr. Hans Erxleben, Berlin


Der RF-Leitartikel "Drohnen und Dröhnen" ist sehr aufschlußreich. Das hat noch keine andere Zeitung so entlarvend gebracht. Dort gibt man nur das zu, was sich gar nicht mehr verschweigen läßt.
Ich möchte hinzufügen, daß auch bei uns in der BRD seit über zwei Jahren die US-Streitkräfte mit ihren Drohnen Übungsflüge unternehmen. Fast täglich sind sie - angeblich nicht aufmunitioniert - vom größten bundesdeutschen Truppenübungsplatz Grafenwöhr zum Truppenübungsplatz Hohenfels unterwegs. Beide Objekte befinden sich im bayrischen Regierungsbezirk Oberpfalz. Die nur etwa 50 km voneinander entfernten Truppenübungsplätze nordöstlich Nürnbergs dienen der U.S. Army seit langem als Ausbildungsstätten. Grafenwöhr gilt als größte Militärbasis des Pentagons außerhalb der Vereinigten Staaten, während in Hohenfels US-Kontingente für Afghanistan ausgebildet werden.
Doch darüber wird kaum geschrieben, die dort lebenden Menschen hält man weitgehend im dunkeln. Ich selbst wohne keine 100 km von diesen Kriegsvorbereitungsplätzen entfernt.

Erich Schreier, Röthenbach/Pegnitz


Dank für den Leitartikel der August-Ausgabe. RF-Chefredakteur Klaus Steiniger erhebt in ihm seine Stimme gegen den "Falken" Thomas de Maizière - den Raubvogel im Merkel-Kabinett. Dieser extreme Scharfmacher will mit militärischen Mitteln jene Konflikte lösen, welche vom kapitalistischen System selbst herbeigeführt worden sind.
Hier ruft ein Marxist, erfahren als Jurist, Mitarbeiter des Außenministeriums und Journalist der DDR, zum Kampf gegen Krieg und Kriegsgefahr auf. Er nennt die Friedensfeinde beim Namen - auch Barack Obama, den Friedensheuchler, der Killer-Drohnen als "treffsicherste und verlustärmste Waffe aller Zeiten" betrachtet. Dagegen sollten sich die Menschen guten Willens vereinen, geht es doch um ihrer aller Existenz!

Joachim Weise, Hohenstein-Ernstthal


Thomas de Maizière, bislang "Verteidigungsminister" bei Merkel, äußerte sich in einem ganzseitigen Beitrag der "Märkischen Allgemeinen" (MAZ) zu dem ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der die Karten der NSA aufgedeckt hat, folgendermaßen: Der Mann habe "unehrenhaft gehandelt", zumal "die Amerikaner" ja "unsere Freunde" seien. Außerdem mache es für Geheimdienste sehr wohl einen Unterschied, ob jemand eine Postkarte, einen Brief oder eine E-Mail verschicke. Damit wollte er wohl suggerieren, daß private Briefe angeblich nicht mitgelesen würden. In den 90er Jahren saß ich in der Landesregierung Brandenburg einem Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) gegenüber, der ohne Umschweife eingestand, vor 1989 hätten außer dem MfS der DDR "natürlich" auch alle Geheimdienste der BRD und der westlichen Alliierten Briefe und Päckchen von Ost nach West und umgekehrt gelesen oder durchsucht.

Brigitte Queck, Potsdam


Am 1. August - dem 40. Todestag Walter Ulbrichts - legten wir in der Gedenkstätte der Sozialisten am Grab dieses bedeutenden DDR-Politikers rote Nelken nieder. Egon Krenz erinnerte an Leben und Wirken Ulbrichts. Auf Friedhöfen Verstorbener zu gedenken, ist eigentlich ein ganz normaler Vorgang. Doch in diesem Falle lagen die Dinge anders. Das Springerblatt BZ forderte tags darauf: "Macht das Grab von Ulbricht platt!" Die Gazette hatte hierzu einen äußerst kompetenten Geschichtsklitterer zur Hand: den Leiter des Gruselkabinetts Hohenschönhausen Hubertus Knabe. Der forderte das Land Berlin auf, "die Ereignisse zum Anlaß zu nehmen und Ulbrichts Grabstätte aufzulösen". Dabei stellte Knabe einen üblen Vergleich an. "Der Spuk erinnert an die Huldigungen, die es am Grab von Rudolf Heß gab, bis dieses 2011 endlich eingeebnet wurde." Diese Äußerung erfüllt einen Straftatbestand.
In der BRD gibt es wahrlich genug "Baustellen" zur Aufarbeitung der Geschichte. Erinnert sei an die glühende Hitlerverehrerin Agnes Miegel. "Laß in Deine Hand, Führer, uns vor aller Welt bekennen: Du und wir nie mehr zu trennen, stehen ein für unser Land", gab sie einst von sich. Die niedersächsische Kurstadt Bad Nenndorf aber gedenkt der Lieblings-"Poetin" Hitlers - sie war bis zu ihrem Tode 1964 dort Ehrenbürgerin - mit einem Agnes-Miegel-Platz, einem Denkmal und einem Agnes-Miegel-Haus.
Für echte Historiker böte sich hier ein weites Betätigungsfeld.

Wilfried Steinfath, Berlin


"Die zwei Klassenlinien in der Weimarer Reichsverfassung und die marxistische Verfassungstheorie" war das Thema eines Vortrags von Prof. Dr. Ekkehard Lieberam vor der Leipziger RF-Regionalgruppe. Die Weimarer Verfassung, die am 14. August 1919 in Kraft trat, ihr Zustandekommen und ihre Geschichte verschaffen Marxisten Klarheit über den politischen und juristischen Stellenwert der Konstitution eines bürgerlichen Staates. Jeglicher Mythologisierung ist entgegenzuwirken. Weder darf es zu einer Verklärung der Verfassung als Wert an sich kommen, noch dazu, sich der offiziellen Interpretation zu unterwerfen.
Die Linkskräfte erfuhren die Zeit des Entstehens der Weimarer Republik als Blutorgie, in der ein Gustav Noske wütete, die Freikorps und die Polizei viele Genossen in Gefängnisse warfen und umbrachten. Die Verfassung selbst - so Prof. Lieberam - sei recht ordentlich gewesen, die gesellschaftlichen Begleitumstände aber waren verheerend. Als ausschlaggebend für die Machtausübung in der Weimarer Republik erwies sich die Beibehaltung des administrativen, militärischen und richterlichen Apparats des monarchistischen Obrigkeitsstaates. Deshalb ist die Zerschlagung des alten Staatsapparates als vordringliche Aufgabe jeder Revolution zu betrachten.
1948/49 haben die Marxisten im Osten Deutschlands die richtigen Schlußfolgerungen aus den "Fehlern von Weimar" gezogen, indem sie zunächst die machtpolitischen und gesellschaftlichen Verhältnisse von Grund auf änderten.

Herbert Münchow, Leipzig


Eigentlich hätte es für mich keiner Datenaffäre bedurft, um festzustellen, daß das Netz längst von den Mächtigen für deren Interessen unterwandert wird. Den vielen halbherzigen Beschwichtigungen der Regierung zum Trotz erlebe ich bei meiner täglichen Kommunikation "Einschränkungen", die nicht mehr von dieser Welt sind. So werden bei meinen E-Mail-Adressen ständig ohne mein Zutun die Zugriffspaßwörter geändert. Big Brother befindet sich immer auf der Höhe der Zeit, gibt mir zu verstehen: Gegen uns hast Du keine Chance. Mein Rechner wird von "Trojanern" lahmgelegt, die kein noch so gutes Virenprogramm erkennt. Systematisch schalten "sie" mich aus, wollen verhindern, daß ich als Gegenpol öffentlich auftrete. "Sie" sind immer da und für mich sichtbar. Ihre Strategie besteht darin, mich einzuschüchtern. Es geht also längst nicht mehr nur um Überwachung. Die Ausspähung soll dazu dienen, Andersdenkende auszuschalten. Wie lange es noch dauern wird, bis die Drohnen über unseren Köpfen kreisen, bleibt abzuwarten. Gesetze scheinen für diese Art des Mordens nicht zu gelten.

Jan Bischoff, E-Mail


Neulich hatte ich einen Traum: Barack Obama besuchte Rußland, nicht aber Putin, sondern den Geheimdienstenthüller Snowden. Der US-Präsident überreichte dem jungen Mann seinen vor Jahren in Oslo erhaltenen Friedensnobelpreis. Was für ein guter Mensch ist doch der Chef des Weißen Hauses!, dachte ich. Dann bin ich aufgewacht.

Günther Röska, Leipzig


Großen Dank an Werner Hunger für die Zusammenfassung der Schüttschen Ausfälle gegen Lenin. So muß ich mir das Machwerk nicht selbst antun. Für mich ist es ein Phänomen, wie sich Menschen derart entwürdigen können. Geld allein kann es ja wohl nicht sein.

Horst Neumann, Bad Kleinen


Eine Bemerkung zum Beitrag "Schütt contra Lenin" im August-RF. Es ist gut, daß Werner Hunger die bösartigen Behauptungen in dem Film notiert hat, den ich mir nicht zugemutet habe. Es wundert mich übrigens nicht, daß Gunnar Decker den Film der beiden Lenin-Schmäher wärmstens empfohlen hat. Seit Schütt nicht mehr Redakteur beim ND ist, wird man von dort mit seinen Beiträgen geradezu zugeschüttet.
Es ist nicht zu bestreiten, daß er über gute Kenntnisse der Literatur und des Theaters verfügt. Dabei sollte er es aber auch belassen. Der Leser muß nicht immer wieder etwas über die jeweilige Befindlichkeit des Herrn Schütt und seinen Haß auf die DDR und den Kommunismus erfahren.
Auch Michael Bries "Bruch mit dem Leninismus als System" wird es nicht gelingen, Lenin und Luxemburg den Todesstoß zu versetzen. Was Lorenz von Stein betrifft, den Götz Dieckmann in seinem Artikel erwähnt, so ist dieser zu Recht vergessen.

Dr. Kurt Laser, Berlin


Prof. Dr. Herbert Meißners Beitrag über Jürgen Kuczynski hat mich besonders gefreut. Ich war J. K. fast 20 Jahre durch persönliche Kontakte verbunden. Wenn man ihm gegenübersaß, mußte man von ihm einfach begeistert sein. Als ich 1986 eine erste biographische Skizze über Friedrich Karl Kaul für den Bereich Geschichte der DDR der Sektion Marxismus-Leninismus der Humboldt-Universität schrieb, gab ich sie Kuczynski, da es mir auf seine Meinung ankam. Erst als der mir schrieb, daß er mit dem Manuskript sehr zufrieden sei, war ich es auch. Angesichts der Ereignisse nach 1989 bewahrte Kuczynski seine Überzeugung, daß sich die Menschheit letztlich nicht für den Weg in die Barbarei, sondern für den Sozialismus entscheiden wird.

Rechtsanwalt Ralph Dobrawa, Gotha


Ergänzend zu dem im RF 187 erschienenen Beitrag "Ruth Werners Facetten", den ich mit großem Interesse gelesen habe, möchte ich darauf verweisen, daß es den anläßlich ihres 10. Todestages gegründeten "Ruth-Werner-Verein e. V." gibt, der sich um Leben, Werk und Ansehen der mutigen Kommunistin, Internationalistin und erfolgreichen Schriftstellerin verdient macht.
Im September 2011 fuhr ich mit meiner Frau in die Feldberger Seenlandschaft, wo wir uns mit dem Vorsitzenden dieses Vereins Tobias Hecht in Carwitz trafen. Er führte uns durch die damals noch im Aufbau begriffene Ruth-Werner-Ausstellung und nahm die kleinen Erinnerungen an die von uns verehrte Kundschafterin und ihren einstigen Kampfgefährten Dr. Richard Sorge entgegen. Wir zeigten ihm auch das Buch Jürgen Kuczynskis "Dialog mit meinem Urenkel", das er uns im Mai 1985 signiert hatte. Gut, daß der "RotFuchs", für dessen engagiertes Wirken wir uns bedanken möchten, an beide Kommunisten erinnert hat.

Werner Sachs, Berlin


Im Spätsommer 2011 kam es zu ersten Kontakten zwischen Lesern des RF und Genossen der KPD-Regionalorganisation Barnim/Märkisch-Oderland.
Im Januar 2012 hatten sich die dortigen "RotFüchse" konstituiert und luden zu ihrer ersten Leserversammlung ein. In der Folge nahmen KPD-Genossen an RF-Veranstaltungen teil, während andererseits auch "Füchse" bei Zusammenkünften der KPD zugegen waren. Seit Januar 2012 haben etwa zehn interessante RF-Veranstaltungen stattgefunden.
Mein persönlicher Wunsch wäre, daß sich diese Zusammenarbeit weiter vertiefen möge.
"Die eigentliche Aufgabe bei der Aufarbeitung der Geschichte besteht aber gar nicht darin, die Frage zu beantworten, ob das, was wir hatten, Sozialismus war oder nicht, und auch nicht darin, nach allem zu suchen, was eine Entstellung des Sozialismus gewesen ist", hatte einst der linke Theologe Prof. Dr. Hanfried Müller geschrieben: "Sie besteht vielmehr in dem weit dialektischeren Unterfangen zu prüfen, was in der sozialistischen Gesellschaft schon und was noch nicht kommunistisch war." Ich grüße die RF-Leser im Namen der KPD-Regionalorganisation Barnim/Märkisch-Oderland.

Klaus Weber, Schwedt (Oder)


Immer wieder wird man durch Sprüche hochrangiger SPD-Funktionäre - oft haßerfüllt gegenüber Linken - unangenehm überrascht. Ralf Stegner, Mitglied des SPD-Präsidiums, äußerte sich in der "Frankfurter Rundschau" im August folgendermaßen: "Das einzige, was uns an der Linkspartei interessiert, sind deren bisherige Wähler und Mitglieder." Stegner kommt damit 23 Jahre zu spät. Ich erinnere an die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der SPD, nach denen keine früheren SED-Mitglieder aufgenommen werden sollten. Es gab sogar eine Gerichtsentscheidung zu einem ehemaligen SED-Funktionär, der in die SPD aufgenommen werden wollte.
Wir Linken sollten nicht vergessen, daß Kundschafter des Friedens nach 1990 in SPD-regierten Ländern länger ihre Strafen verbüßen mußten als im schwarzen Bayern. Obwohl nicht wenige SPD-Mitglieder inzwischen zu neuen Erkenntnissen gelangt sind, sitzt der langjährig gepflegte Haß bei vielen tief. 2004 bezeichnete der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Ludwig Stiegler die PDS wiederholt als "verlogene Bande". Ich verlangte daraufhin von Klaus Wowereit, Mitglied des SPD-Bundesvorstandes, eine Entschuldigung. Er ließ mir antworten, daß er trotz guter Zusammenarbeit in Berlin keine Veranlassung sehe, sich dafür einzusetzen. SPD-Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel schrieb am 20. Juni 2009 im "Tagesspiegel": "Wir können mit diesem wilden Haufen aus DDR-Nostalgikern, Sektierern und Parteifrikassierern im Westen und aus Leuten, die ihre Motivation daraus ziehen, der SPD zu schaden und sie anzugreifen, nicht zusammenarbeiten."

Dr. Erhard Reddig, Berlin


Am 13. März 1932 rief der SPD-Parteivorstand - seiner Politik des "kleineren Übels" folgend - dazu auf, bei der anstehenden Reichspräsidentenwahl für Hindenburg zu stimmen. War er - gemessen an dem KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann, der ebenfalls kandidierte - etwa das "kleinere Übel"?
Es handelte sich hier um einen typischen Fall von Verrat an der Arbeiterklasse, der Hitler wenig später in den Sattel verhalf.
78 Jahre danach war es wieder der SPD-Vorstand, der zur Wahl eines Mannes aufrief, welcher sich in seiner konservativ-militaristischen Haltung hinter Hindenburg nicht verstecken muß: Joachim Gauck. 2010 hatte die "Zwischenlösung" mit Christian Wulff diesen Aufstieg noch verhindert. Aber schon damals betrieb die SPD eine kostspielige mediale Werbung für diesen Mann.
Am 18. Juni 2010 erhielt ich eine E-Mail von der "Initiative Joachim Gauck als Bundespräsident". Absender waren diesmal die Grünen. Man riet mir, "aktiv zu werden".
"Sie wollen mithelfen bei der Gauck-Unterstützer-Kampagne? Dann melden Sie sich beim Unterstützerteam. Dort werden die Aktivitäten rund um die Unterstützung des Kandidaten koordiniert", hieß es in sprachlicher Einfalt. Natürlich habe ich den Absendern die Frage gestellt, warum sie sich denn ausgerechnet meine Adresse verschafft hätten.

Konstantin Brandt, Berlin


Unlängst hat der Berliner Gemini-Verlag ein "Handbuch der bewaffneten Organe der DDR" herausgebracht. Autoren sind 14 Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Instituts Potsdam, wo einst DDR-Forscher dieser Disziplin tätig waren. Die Einrichtung steht heute der Bundeswehr zur Verfügung. Einige Autoren sind Wessis. Im "Werk" werden außer der VP, dem MfS und der NVA auch die GST, die Zivilverteidigung und die sowjetischen Streitkräfte bedient, welche zweifellos nicht zu den bewaffneten Organen der DDR zählten. Im Mittelpunkt stehen der 17. Juni 1953 und der 13. August 1961 aus entsprechender Sicht.
Verschiedene Details werden falsch geschildert, so auch der Ablauf der Ereignisse des 17. Juni in Halle. Der 4. Zug der Nachrichtenoffiziersschule, dem ich angehörte, wurde damals zur Sicherung der als "Roter Ochse" bekannten Hallenser Strafvollzugsanstalt ohne Bewaffnung eingesetzt. Wir erfüllten diese Aufgabe, bis ein P 54 die randalierende Menge auseinandertrieb. Der Kommandeur des sowjetischen Panzers übergab uns die frühere KZ-Aufseherin Dorn, die zuvor auf dem Hallmarkt hetzerische Reden gehalten hatte, nachdem die wegen krimineller Delikte Verurteilte aus dem Gefängnis "befreit" worden war.
Mich wundert, daß frühere Professoren von Universitäten und Hochschulen der DDR bei diesem "Handbuch" mitgemacht haben. Warum verbreiten einstige SED-Mitglieder jetzt offensichtliche Unwahrheiten? Und wie können angebliche Experten aus dem Westen, die nie in der DDR gelebt haben, über deren bewaffnete Organe solche Weisheiten verkünden? An einer Tatsache sind die Autoren des Elaborats allerdings nicht vorbeigekommen: daß die NVA - im krassen Gegensatz zur Bundeswehr - niemals Angriffskriege geführt hat.
Schade um die Zeit, die ich als 89jähriger mit der Lektüre dieser 718 Seiten verschwendet habe!

Winfried Freundt, Jena


Den 17. Juni 1953 erlebte ich als Student der Leipziger Arbeiter-und-Bauern-Fakultät. Auf der Straße rieten mir Arbeiter, mein SED-Parteiabzeichen lieber abzumachen. Ich schlug ihren Rat aus, weil ich gewisse "Informationen" aus dem RIAS nicht kannte. Doch auch die SED-Bezirksleitung empfahl uns, lieber ohne Abzeichen durch Leipzig zu laufen. Inzwischen war nämlich die Bahnpolizeiwache auf dem Hauptbahnhof gestürmt worden, wobei die Angreifer Waffen erbeutet hatten. Anschließend nahmen sie dann Angehörigen der NVA und der VP deren Ausrüstung ab. Wir ABFler erhielten den Auftrag, uns unter die Provokateure zu mischen und von uns Festgenommene zur Fakultät zu bringen. Zu heftigen Zwischenfällen kam es auch vor der FDJ-Bezirksleitung. Einer der gegnerischen Rädelsführer behauptete, ich sei "Aufseher im Oelsnitzer DDR-KZ" gewesen. Wie ich später erfuhr, gab es dort nur eine Haftanstalt der Justiz. Einen Tag später - am 18. Juni - marschierten wir in den Reihen von Demonstranten der Gesellschaft für Sport und Technik mit Liedern und Fahnen durch die Stadt Etliche Leipziger grüßten uns aus den Fenstern.

Dr. Werner Ettelt, Berlin


Im Programm der Partei Die Linke wird die Errichtung eines demokratischen Sozialismus festgeschrieben, wozu auch die Verstaatlichung großer Banken gehört. Es geht darum, die Schere zwischen Arm und Reich allmählich zu schließen. Es handelt sich um Parteibeschlüsse, die von den Führern der SPD keinesfalls mitgetragen würden, weil sie eine solche Entwicklungsrichtung aus ihrer kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Grundhaltung heraus ja gerade vermeiden wollen.
Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß es in der PDL seit längerem - bis hin zu Führungskräften - Bestrebungen gibt, einer ganzen Reihe ureigenster politischer Anliegen auszuweichen oder diese zu umgehen. Seit Dietmar Bartsch 2012 seinen Hut in den Ring geworfen hat, wird seitens der sogenannten Reformer unumwunden vom Zurückstecken eigener Ziele gesprochen, um eine Annäherung an die SPD nicht zu gefährden. Würden sich diese Kräfte - ich bezeichne sie als opportunistische Gruppierung in der PDL - durchsetzen, wären die Tage der Partei wohl gezählt, weil es einer geklonten Partei nicht bedarf.

Klaus Glaser, Schwarzenberg


Im RF Nr. 187 wird auf zwei Artikel zum Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen" verwiesen. Da ich erst seit kurzer Zeit Abonnent bin, sind mir diese Beiträge nicht bekannt.
Bei uns in der Schweiz wird gelegentlich eine Volksabstimmung über das bedingungslose Grundeinkommen stattfinden, weil eine Initiative, die dessen Einführung fordert, sie beantragt hat. Auch viele Menschen, die sich als Linke betrachten, sind geneigt, dieses Postulat für fortschrittlich zu halten und es zu unterstützen. Weil ich in dieser Frage entschieden anderer Meinung bin, bitte ich Sie, mir die "RotFuchs"-Ausgaben vom Oktober 2011 und Januar 2012 zukommen zu lassen.

Rechtsanwalt Stefan Hofer, Basel


Ein repressionsfreies Grundeinkommen würde zunächst einmal zur Folge haben, daß viele Menschen mit miesen Jobs, Pendler und zu Wechselschichttanz Gezwungene die reale Chance auf eine freie Wahl des Ausstiegs aus solchen Verhältnissen hätten. Der früher meist zynisch-reaktionär gemeinte Spruch "Wenn es Ihnen nicht paßt, dann können Sie ja gehen!" besäße dann eine reale Grundlage, weil alle tatsächlich gehen könnten, die das wollen.
Gegen ein solches Grundeinkommen können eigentlich nur Leute sein, die von der bundesdeutschen Arbeitswelt wenig wissen oder die selbst von gehobenen Verhältnissen ausgehen können. Außerdem erscheint mir der Verweis auf die Notwendigkeit, den Kapitalismus zu stürzen, in einem Land etwas deplaziert, in dem - zumindest während der letzten Jahrzehnte - kaum eine wirksame Opposition bemerkbar gewesen ist: Nullrunden und Verschlechterungen in der Arbeitswelt wurden ohne die Spur einer Revolte hingenommen.

Bernd Kevesligeti, Köln


Die für die Presse vorgefertigte Laudatio zum Ableben Professor Prokops hat das wissenschaftliche und gesellschaftliche Wirken dieses österreichischen Gelehrten, der zu DDR-Zeiten an der Berliner Charité tätig war, nur unzureichend gewürdigt. Der kleinkarierte und stereotype Verweis auf dessen "Nichtvereinnahmung durch das kommunistische Regime" oder die durch ihn vorgenommene "Sektion von Mauertoten" erfassen nicht das Wesen dieser Persönlichkeit. Prof. Prokop war Mentor und akademisches Vorbild einer ganzen Generation von Gerichtsmedizinern, Serologen und Transfusionsmedizinern der DDR. Letzteres wissen nur noch wenige. So gingen einige der ersten ärztlichen Direktoren der DDR-Blutspende-Institute durch seine Schule.
Ich lernte Prof. Prokop Ende der 60er Jahre im Rat für Planung und Koordinierung der Medizinischen Wissenschaften der DDR kennen und bin ihm noch heute für Denkanstöße und tatkräftige Hilfe bei Veröffentlichungen in Fachzeitschriften verbunden.
Gezeter löste seine Bemerkung aus, nach 1990 seien mehr Professoren der Berliner Humboldt-Universität gefeuert worden als 1938 nach der faschistischen Annexion Österreichs von der Wiener Universität. Trotz gewisser "Lücken" in der Darstellung seiner Biographie fand dieser unbestechliche Naturwissenschaftler, scharfe Analytiker und kreative Forscher weithin verdiente Ehrung.

Dr. med. Gerd Machalett, Siedenbollentin


Beim Lesen ihrer Zeitschrift stelle ich immer wieder fest, daß der "RotFuchs" an Marx, Lenin und der DDR festhält.
Die kapitalistische Welt ist aber nicht mehr der Kapitalismus von Marx (Abschöpfung des Mehrwerts), sondern die Zerstörung der Mehrwert-Produktion. Die heutigen Despoten sind Banker und keine Unternehmer mit gewinnorientierter Produktion. Die Hauptakteure dieser Diktatur - in den USA und England - stützen sich allein auf ihre militärische Überlegenheit, um die ganze Welt zu erpressen, deren Mehrwertproduktion, notfalls auch durch Kriege, zu vernichten und sich so unendlich zu bereichern. Die These, daß der heutige Kapitalismus die Produktivität und den Fortschritt fördert, erweist sich somit als Humbug.
"Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen mißfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen vermag. Wer sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären versucht, ihr Opfer", konstatierte einst der Soziologe Gustave le Bon. Er hat schon vor langer Zeit das Problem erkannt, daß sich nur mit Aufklärung und Bildung allein wenig Umgestaltung erreichen läßt. Viele, die sich als Linke betrachten, wählen in Deutschland sogar Steigbügelhalter der Faschisten, ohne das zu erkennen.
Deshalb sollte der RF die Zeit besser damit verbringen, seinen Lesern die Strategien des gegenwärtigen Kapitalismus klarzumachen und zu zeigen, wie unsere Gegenwehr aussehen muß.

Franz Klima, Leipzig


Mich schmerzt ein bißchen, daß man mir bisweilen entgegenhält, ich hätte inzwischen zu lange im Westen gelebt und sähe dadurch manches eher durch die Brille der SPD als aus der Sicht eines früheren DDR-Bürgers. Eine solche Bewertung widerspricht meiner ganzen Biographie. Ich stehe nach wie vor dazu, daß wir den Sozialismus, der noch in weiter Ferne liegt, zur Realität werden lassen, bin jedoch der Meinung, daß zuvor die Einheit aller Linkskräfte hergestellt werden muß. Unsere Sicht auf die Geschichte geht davon aus, daß jede neue Gesellschaftsordnung im Schoß der alten heranreift. Also müssen wir alles Positive übernehmen und das andere besser machen, als wir das bisher vermocht haben.
Schon Lenin stellte fest, daß der Marxismus kein Dogma, sondern eine Anleitung zum Handeln ist. Deshalb gilt es, der jetzigen Situation entsprechend zu handeln. Ein Aufruf zu sofortiger Revolution, zum Sturm auf die Rathäuser, Fernmeldeämter und Polizeistationen würde ihr nicht gerecht.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen bin ich dafür, im Zusammenwirken aller Linkskräfte systematisch die Auswüchse des Kapitalismus zu bekämpfen, wobei es gilt, die Mehrheit der Menschen mitzunehmen.

Siegfried Mikut, Georgsmarienhütte


Das nenne ich perfektes Timing: Die kniffligen Fragen an Herrn Bach zeitlich punktgenau mit dem Eingeständnis von Dopingsünden in den "alten" Bundesländern zu veröffentlichen. Das hat was! Es zeugt entweder von intimen Querverbindungen oder ist einfach genial. Seid Ihr etwa Bezieher eines NSA-Bulletins? Wäre ja auch nicht schlecht. Natürlich ist Doping da drüben etwas ganz anderes gewesen als bei uns - nur ein wenig leistungsfördernd, aber durchaus nicht schädlich oder gar unfair. Und wenn überhaupt, dann absolut freiwillig. Beispielsweise bei der Mundpflege. Die Sache mit der Zahnpasta fand ich immer besonders lustig. Oder auch Radprofis wie Jan Ullrich, die ständig genehmigte Asthma-Medikamente zu sich nahmen. Wenn dann der gebeutelte Asthmatiker das Hochgebirge überwand, ohne aus dem Sattel gehen zu müssen, staunten selbst erfahrene Pulmologen.

Rudolf Krause, Berlin


Jahrelang wurde dem DDR-Sport wegen seiner überragenden Erfolge seitens der BRD planmäßiges Doping angehängt. Jetzt bekennt man auf einmal, daß in der BRD eine in den Jahren 1970 bis 1980 entstandene, über 800 Seiten umfassende Analyse zu Nachforschungen über das Thema Doping existiert. Und Prof. Keul legt dar, daß dort nicht von Doping, sondern lediglich von "Beeinflussung" gesprochen wurde. Der Unterschied besteht vermutlich darin, daß den DDR-Sportlern deren Leistung streitig gemacht wird, während die BRD-Sportler als Ausgleich für ihren leistungsabhängigen Lohn eben hohe sportliche Ergebnisse bringen mußten. Themawechsel: Den DDR-Bürgern wird noch heute das Handeln von "Horch und Guck" vorgehalten. Man maßregelte nach 1989 die Angehörigen des MfS - von der Reinemachefrau bis zum General -, doch ehemals hohe Chargen des BND, die sich als willige Handlanger der USA bei NSA-Überwachungen in aller Welt hervortaten, gelten als Leute ohne Fehl und Tadel.

Hermann Thomas, Wilsdruff


In den 70er Jahren hatte ich das Glück, mein Hobby zum Beruf machen zu können. Krankheitsbedingt konnte ich den aktiven Leistungssport nicht mehr fortsetzen. So arbeitete ich als Erzieher an der Kinder- und Jugendsportschule "Werner Selenbinder" und später im Internat der KJS in Berlin-Grünau. Damals gab es etliche Gespräche darüber, was Dopingmittel seien und was nicht. Dabei spielten auch Anabolika eine Rolle - ein Thema, welches besonders die Schwimmerinnen interessierte. Nicht wenige glaubten, alles "Gute" käme aus dem Westen. Zunächst war uns nicht klar, was wir zu den Dopingmitteln rechnen sollten. Ich halte die Versorgung mit synergetischen Präperaten aus Naturstoffen (Vitamine, Mineralien, Spurenelemente) für sinnvoll und notwendig. Heute ist geklärt, daß Anabolika zu den Dopingmitteln gehören.
Die jüngste Studie der Berliner Humboldt-Universität belegt, daß im Westen die Dopingforschung bereits Anfang der 60er Jahre staatlich finanziert wurde. Damit ist die Behauptung widerlegt, Doping sei in der DDR erfunden worden. Die Erfolge unserer Sportler beruhten in erster Linie auf der Organisation von Breitensport über Trainingszentren bis hin zu den A-Kadern. Die DHFK Leipzig war in Forschung, Lehre und Methodik ähnlichen Institutionen sehr weit voraus.

Wilfried Meißner, Blankenburg/H.


Nach 1990 wie Millionen andere DDR-Bürger grundgesetzwidrig zum Strafrentner degradiert, mußte ich ab meinem 80. Lebensjahr auch das profitorientierte BRD-Gesundheitswesen bis zur Neige auskosten. 2004 verkündeten die Ärzte mein unmittelbar bevorstehendes Lebensende, zwei Jahre später auch das meiner Frau. Wenn wir dem bis heute getrotzt haben, dann beruhte das darauf, daß wir uns selbst zu helfen wußten. Da über einen solchen Kampf nur wenige Menschen berichten können, habe ich unsere Erfahrungen im langen Marsch durch die Kliniken, Arztpraxen, Reha- und Pflegedienste, Verwaltungen und Kassen der heutigen Zwei-Klassen-Medizin zu Papier gebracht. Nach dem Scheitern anderer Bemühungen druckte ein ISOR-Freund problemlos meine Schrift.
Wir möchten, daß unsere Erfahrungen besonders älteren Menschen Nutzen bringen, damit sie auch als Kranke in einem menschenfeindlichen System bestehen können.
Mein Buch "Wehe, du weißt dir nicht zu helfen" ist im Verlag RaDe von Detlef Mauch in Ribnitz-Damgarten erschienen und kann bei ihm telefonisch (03821/706452) oder per Mail unter rade.verlag@tonline.de bzw. bei mir (Tel. 0371/27589354) bestellt werden.

Werner Feigel, Chemnitz


Es drängt mich, ein Erlebnis niederzuschreiben, das ich am 20. April in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Leipzig hatte, wo ich durch Vermittlung der Döbelner Linken an einer Veranstaltung zum 150. Jahrestag des ADAV von Lassalle teilnahm. Ich hatte mir eine gesellschaftskritische Würdigung dieses bemerkenswerten Gründervaters aus heutiger Sicht erhofft.
Doch damit lag ich falsch. Bei der Leipziger Veranstaltung erfuhr ich, daß die Große Sozialistische Oktoberrevolution ein "verhängnisvolles Unternehmen verantwortungsloser Menschen" gewesen sei, was der Zerfall des sozialistischen Weltsystems in den 90er Jahren "ja bewiesen" habe. Die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung sei 1918/19 durch die Gründung der KPD erfolgt, hieß es dort, was für den späteren Machtantritt der Faschisten in Deutschland ursächlich gewesen sei. Die Lösung hieße nicht mehr Revolution, sondern Transformation des Kapitalismus.
In einer Konferenzpause teilte ich einem schon etwas älteren Teilnehmer mein Unverständnis über das soeben Gehörte ungefragt mit. Wort- und grußlos verließ mich der Angesprochene, um anschließend das Schlußwort zu halten, ohne auf meine Bemerkung auch nur mit einer Silbe einzugehen. Es handelte sich um einen Professor der RLS.

Peter Pöschmann, Döbeln


In letzter Zeit wurde ich des öfteren gefragt, wie ich mich denn als ein vom Staat Überwachter fühlen würde. Die Fragesteller bezogen sich auf einen SZ-Artikel unter der Überschrift "Linksextreme begehen sechs Straftaten". In der Vorab-Fassung des sächsischen Verfassungsschutzberichts für 2012, der dort zitiert wurde, stand der fabelhafte Satz: "Zudem veranstaltet der linksextremistische 'RotFuchs'-Förderverein aus Bautzen Vortragsveranstaltungen in Görlitz." Eine solche Aufmerksamkeit des BfV und seiner Landesämter stellt offenbar den Versuch dar, kritisch denkende Leute einzuschüchtern. Der Beitrag wurde möglicherweise von einem unterbezahlten Lokalredakteur verfaßt, aber zielgenau in die SZ-Lokalausgaben von Görlitz, Löbau, Weißwasser und Zittau lanciert, wobei Bautzen rätselhafterweise "vergessen" worden ist. Auch wenn angesichts der Enthüllungen Edward Snowdens eigentlich klar sein dürfte, daß die großen Ohren für jedermann - also auch für uns "RotFüchse" - weit offen stehen, lag bei manchem, der mich fragte, schon etwas Unsicherheit in der Stimme.
Ziel erreicht? Vielleicht bei einigen. Doch unsere allgemeine Reaktion ist: Bange machen gilt nicht!

Bernd Gutte, Görlitz


"Wenn die Unfähigen die Ämter antreten - je unwürdiger sie sind, um so nachlässiger benehmen sie sich, und um so mehr strotzen sie vor Dummheit und Draufgängertum", formulierte der Grieche Demokrit, der von 460 bis 380 v. u. Z. lebte. Mir scheint, daß sich dieser Ausspruch eines Großen der Antike für die heutige Zeit trefflich eignet.

Uwe Moldenhauer, Altena

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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2013