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ROTFUCHS/129: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 175 - August 2012


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

15. Jahrgang, Nr. 175, August 2012



Inhalt

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Den Rechten Paroli bieten!

Unmittelbar nach den Göttinger Beratungen der Partei Die Linke (PDL), bei denen sich die schlimmen Befürchtungen vieler Tag für Tag an der Basis redlich rackernder Genossen glücklicherweise nicht bestätigten, geschah folgendes: Der "Seeheimer Kreis", in dem sich die Rechtesten unter den Rechten der SPD ein Stelldichein geben, lud Dietmar Bartsch kurz entschlossen zum Mitmachen bei sich ein. Schließlich gehöre er ja ohnehin in die SPD. Der so Angesprochene, in dem nicht nur Gabriels Umfeld heute bereits einen künftigen Führer der SPD vermutet, wies die "verlockende Offerte" zurück. Sie war ihm einfach zu früh ins Haus geflattert und widersprach deshalb auch der taktischen Konzeption des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, seine sozialdemokratische Politik vorerst innerhalb der Linkspartei fortsetzen zu wollen.

Da die SPD-Nahen mit PDL-Parteibuch in Göttingen unterlagen, weil sich die Mehrheit der Delegierten ihren wachen politischen Instinkt zu bewahren vermocht hatte, sahen sie sich zu einer "Verschnaufpause" gezwungen. Dabei verloren sie ihr Ziel - die Umwandlung der demokratisch-sozialistischen in eine klassisch-reformistische Partei - keinen Moment aus den Augen. Sie können sich dabei auf den von ihnen weithin kontrollierten hauptamtlichen Apparat, das finanzielle Hinterland der Rosa-Luxemburg-Stiftung und die ihnen dienstbare innenpolitische ND-Redaktion verlassen.

In Göttingen setzte sich die strategische Klugheit derer durch, die sich ihrer Verantwortung für das Weiterbestehen der PDL als einer parlamentarisch wie außerparlamentarisch über Masseneinfluß verfügenden Partei des Friedens, des Antifaschismus, der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit bewußt waren. Obwohl heftig angefeindet, verteidigten sie deren auf dem Wirken engagierter linker Kräfte aus Ost und West beruhende Einheit, wobei sie den Vorstoß geheuchelte Sorge um den Zusammenhalt vortäuschender Möchtegern-Liquidatoren der Partei abwehrten. Gregor Gysi, der die "Vorzüge" einer Trennung beider Parteiflügel anklingen ließ, ging offenbar von der Überlegung aus, mit seiner Rede eine Delegiertenmehrheit für den später unterlegenen Dietmar Bartsch aus dem Feuer zu reißen. Daher bezeichnete ihn die "Süddeutsche Zeitung" als "Hauptverlierer des Parteitags".

Wenn es auch zutrifft, daß sich unter dem Dach der PDL "mindestens zwei Parteien" versammelt haben, zielten die in Göttingen erteilten "Scheidungsempfehlungen" vor allem auf eine Abkopplung von der westdeutschen Anhängerschaft Oskar Lafontaines. Dafür machten sich besonders die Protagonisten des rechtslastigen "Forums Demokratischer Sozialismus" (fds) aus diversen ostdeutschen Landesvorständen stark. Bei den innerparteilichen Divergenzen handelt es sich weder um bloße Personalquerelen, obwohl diese im Gerangel konkurrierender Postenjäger natürlich stets eine Rolle spielen, noch um einen Ost-West-Konflikt innerhalb der aus zwei Quellparteien gespeisten PDL, sondern um den Zusammenprall völlig konträrer Konzeptionen.

Auf der einen Seite befinden sich jene Sozialisten und ehrlichen linken Sozialdemokraten, die nicht davor zurückschrecken, die Macht- und Eigentumsfrage aufzuwerfen, ohne damit bereits eine revolutionäre Überwindung des Systems mehrheitlich auf ihre Fahnen geschrieben zu haben. Auf der anderen Seite operieren und taktieren Pseudosozialisten, welche im bundesdeutschen Kapitalismus angekommen sind. Ihr "politischer Gestaltungswille" beschränkt sich auf "Schönheitsoperationen" an dessen häßlicher Visage. Wer die Tiefe der Kluft zwischen den zwar unter einem Dach koexistierenden, aber diametral entgegengesetzte Ziele verfolgenden Tendenzen auf wechselseitigen "Haß" zu reduzieren sucht, blendet den Inhalt der Kontroverse bewußt aus.

Zur positiven Bilanz von Göttingen gehört neben der Abwehr des Frontalangriffs des rechten Flügels und der damit erkämpften Bewahrung der Aktionsfähigkeit der Partei auch die gut überlegte Personalentscheidung der Mehrheit, eine der beiden Spitzenpositionen mit einem erfahrenen Gewerkschafter zu besetzen.

Obwohl bestimmte Favoriten des "Seeheimer Kreises" der gewolltermaßen heterogenen PDL-Führung weiterhin angehören, ist die Rechnung derer nicht aufgegangen, die sich ein völlig anderes Bild der Partei "nach Göttingen" ausgemalt oder sogar behauptet hatten, diese sei "nicht mehr zu retten". Ihre auf einer Verkennung des innerparteilichen Kräfteverhältnisses und des strategisch-taktischen Formats maßgeblicher Politiker der Parteilinken beruhende Fehleinschätzung ließ manche Blütenträume platzen.

Nicht nur für die PDL, sondern auch für alle in Deutschland, welche die bürgerliche Demokratie gegen den Ansturm rechtskonservativer und faschistoider Kräfte verteidigen, dürfte 2013 ein Schicksalsjahr werden. Der abermalige Einzug einer PDL-Fraktion in den Bundestag - an die Traumzahl von derzeit 76 Mandaten wagt wohl niemand zu denken - liegt im Interesse aller Antifaschisten. Man vermag sich auszumalen, was geschehen würde, wenn die großdeutschen Peitschenschwinger in der EU, von denen manche sogar nach Weltherrschaftssternen greifen möchten, wieder ganz unter sich wären.

Um dieser Gefahr zu begegnen, wird die Aktionseinheit aller linken und demokratischen Kräfte - mit Sozialisten und Kommunisten im Zentrum - zu einem Gebot der Stunde.

Klaus Steiniger

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Haben Marx und Lenin ihren "Biß" für Heutige verloren?
Unsere Weltanschauung ist keine Wegwerfware

Der Dichter Peter Hacks prägte vor über einem Jahrzehnt in einem Brief an die "RotFuchs"-Redaktion den richtungweisenden Satz: "Wessen sollten wir uns rühmen, wenn nicht der DDR?" Einst befragt, warum er aus Westdeutschland in die Deutsche Demokratische Republik gekommen sei, hatte er erwidert, er wundere sich sehr über Leute, die nicht von Westdeutschland in die Deutsche Demokratische Republik kämen.

Mir geht es da ähnlich: Als "RotFuchs"-Leser staune ich stets darüber, daß es Linke gibt, die unsere Zeitschrift weder kennen noch kennenlernen wollen. Andere überraschen mich mit Fragen, wie dieser: Hast du denn nicht den Leserbrief von Uwe Liebscher und die Reaktionen darauf gelesen?

Es gab Zeiten, da haben manche der Unseren das kritische, eigenständige Wort wie der Teufel das Weihwasser gefürchtet und es sogar unterdrückt. Als Dialektiker sollten wir dieses Aber des Widerspruchs, das unser Denken im Fluß hält, jedoch zu schätzen wissen. Allerdings wurde aus dem konstruktiven "Aber könnten wir es nicht noch besser machen" nur allzuoft das von unseren Gegnern aufgegriffene "Aber es geht ja doch nicht", wobei das Gegenteil des Gewollten herauskam. Die sich keineswegs nur in Lob erschöpfenden Zuschriften des leider verstorbenen Waldemar Arndt sowie von Sebastian Zachow-Vierrath und Dr. Manfred Graichen hatten ein noch lebendigeres "Füchslein" im Auge. Das imponierte mir. Doch Uwe Liebschers als Rundumschlag daherkommende Pauschalkritik wurde mir von einem Bekannten als die "einzig lesenswerte Botschaft der letzten RF-Ausgaben" empfohlen. Mit Marx und Lenin könne man die heutige Welt nicht mehr erklären. Sie seien von der Entwicklung überholt worden, lautete seine Kernaussage. Ähnliches klang ja auch bei Liebscher an.

Der hier erwähnte Bekannte war übrigens einst SED-Mitglied und Parteifunktionär auf unterer Ebene. Er hatte - wie andere auch - den Marxismus-Leninismus "studiert", sogar das eine oder andere übernommen, aber nicht begriffen und schon gar nicht verinnerlicht. Auch von früher strammen und stromlinienförmigen "Marxisten" hört man heutzutage Bekundungen der Resignation und des Verzichts auf einmal Erkanntes. Die moderne Welt in ihrer Komplexität sei mit Marx'schen "Schemata" nicht zu erfassen, behaupten sie. Da stellt sich unwillkürlich die Frage, ob sich unsere Klassiker zu ihrer Zeit etwa weniger komplizierten Bedingungen gegenübergesehen haben. Lassen sich die Antike, das Mittelalter, der Frühkapitalismus und die Ära des Monopolkapitals oder gar der Sozialismus überhaupt miteinander vergleichen?

Bei jenen, welche Marx als "antiquiert" betrachten, handelt es sich wohl eher um Leute, die entweder ihre Antennen nach dem Wind gedreht haben oder sich auf die billige Phrase vom Kapitalismus als dem Ende der Geschichte einlassen.

Während abgesprungene Weggefährten von gestern die blauen Marx-Engels-Bände oder die braunen Folianten mit Lenins Schriften eiligst aus ihren Bücherschränken genommen haben, suchen andererseits immer mehr nachdenkliche Menschen - selbst solche aus bürgerlichen Kreisen - bei ihnen Rat.

Wer das Feuilleton seriöser Zeitungen der deutschen Bourgeoisie verfolgt, nimmt bisweilen eine gewisse Versachlichung im Umgang mit dieser Materie zur Kenntnis. Auch folgender Vorgang spricht für sich: Am Staatsschauspiel der Elbmetropole findet seit geraumer Zeit mit den "Dresdner Reden" eine Veranstaltungsreihe statt, die eigentlich nicht "wider den Stachel löcken" möchte. Der Schriftsteller Ingo Schulze kam dort gleichfalls auf die vermeintlich um vieles "komplizierter gewordene Welt" zu sprechen: Je mehr man ihm die Undurchschaubarkeit und das Unkalkulierbare der Abläufe in Ökonomie und Finanzwesen einrede, um so mehr begreife er, was da tatsächlich vor sich gehe. Er nahm - im übertragenen Sinne - gleichsam sein Staatsbürgerkundeheft aus der 9. Klasse der Polytechnischen Oberschule zur Hand und zitierte vor erlauchtem Publikum Grundthesen von Karl Marx. Dort erfahre man nämlich, worum es in der kapitalistischen Produktion gehe. Vom Wolfsgesetz des Kapitalismus sprach der Mann am Pult, der wahrscheinlich noch nie einen "RotFuchs" in der Hand gehalten hat. Ja, Ingo Schulze brachte sogar das Thomas-Dunning-Zitat aus Marxens "Kapital", das vielen von uns im Gedächtnis haftet: "Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn % sicher, und man kann es überall anwenden; 20 %, es wird lebhaft; 50 %, positiv waghalsig; für 100 % stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 %, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens." Erstaunt habe er, sagte der illustre Redner, beim erneuten Lesen erkannt, daß er hier auf einen Klartext, auf eine Wahrheit gestoßen sei, die ihn selbst betroffen habe. Heute mehr als zu jener Zeit, in der seine Exzerpte entstanden seien. Die aber hat er als Jugendlicher in der DDR angefertigt!

Und da bin ich wieder bei Dr. Manfred Graichen: Ist die Jugend für kompliziertere wissenschaftliche Darlegungen wirklich nicht aufnahmefähig? Ist sie tatsächlich nur durch Worte, die sofort zur Sache kommen, zu gewinnen? Ich weiß es nicht, vertraue aber dem wachen und kritischen Geist junger Menschen, der durchaus nach tiefer lotender Erklärung der Zusammenhänge in Natur und Gesellschaft verlangt. Jahr für Jahr begegne ich bei den Rosa-Luxemburg-Konferenzen der "jungen Welt" neben Grauköpfen auch sehr vielen Nachwachsenden, die mit Begeisterung und Engagement "unseren" Theorien lauschen und die lebhaft darüber debattieren. Ihre Zahl nimmt - trotz allem - ständig zu.

Ist Marx überholt, wie Uwe Liebscher und manche anderen meinen? Für jene, welche zum "Abhaken" neigen, gewiß, aber auch für ernsthaft Nachdenkende?

Doch ich will Dr. Graichen nicht mit Gewalt mißverstehen. Er hat natürlich recht, daß Theorie schlüssig, kraftvoll, überzeugend und spannend sein muß - ganz ohne phrasenhaftes Wortgeprassel. Versuchen wir's!

Bernd Gutte

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Gauck vor der Führungsakademie der Bundeswehr:
"Glückssüchtige" sind unser Unglück!

Am 12. Juni hielt unser aller "Bundespräsident der Herzen" eine Rede vor der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. In ihr schwor er die Bundesbürger darauf ein, für die Kriege der BRD, wenn es sein müsse, ihr Leben zu opfern. Mit seinen Lieblingsfloskeln "Freiheit" und "Verantwortung" um sich werfend, forderte Gauck die Bundesdeutschen dazu auf, sich an Zinksärge, immer neue Kriegsschauplätze und eine militarisierte Gesellschaft zu gewöhnen. In pastoraler Pose verkündete er, "daß eine funktionierende Demokratie auch Einsatz erfordert, Aufmerksamkeit, Mut und manchmal auch das Äußerste, was ein Mensch geben kann: das Leben, das eigene Leben". Das ist - sieht man von rhetorischem Beiwerk ab - die Glorifizierung des "Heldentods". Eine solche Tonart dürfte älteren Deutschen verdammt bekannt vorkommen. Hatte sich Gauck bisher nur in antikommunistischem Schaum gebadet, so ging er jetzt darüber hinaus: "Daß es wieder deutsche Gefallene gibt, ist in unserer glückssüchtigen Gesellschaft schwer zu ertragen", trieb er das Übel auf die Spitze.

Ich muß stets an meinen Geschichtslehrer Krause denken, der noch - wie auch mein Vater - als Soldat in Hitlers Krieg ziehen mußte. Der meinte immer, daß jene, welche von ihrem Volk den Opfertod fordern, für sich selbst bombensichere Bunker beanspruchen dürfen. Schlagartig wurde mir damals die verlogene Heuchelei solcher "Heldentod"-Prediger bewußt. Hindenburg hätte übrigens nicht anders als Gauck gesprochen.

Vieles an dessen Hamburger Auftritt springt ins Auge. Der Expfarrer erwähnt das 5. Gebot "Du sollst nicht töten" mit keiner Silbe. Er spricht nicht von den toten Zivilisten in Afghanistan oder Jugoslawien, die den Kriegen mit BRD-Beteiligung bereits zum Opfer gefallen sind. Er verschweigt den eklatanten Verfassungs- und Völkerrechtsbruch der BRD-Regierungen Schröder und Merkel. Er blendet die von NATO-Militärs in Afghanistan geschändeten Leichen aus. Er unterschlägt die Tatsache, daß Soldaten im Kriegseinsatz generell das Töten befohlen wird. Und: Das Massaker von Kundus hat es nie gegeben. Es geht darum, das Trugbild vom makellosen Bürger in Uniform zu wahren.

Gaucks Rede ist ein Hohn auf die Wahrheit. Die dicksten Lügen werden aufgetischt, wenn es um die DDR geht. Da ist der einstige Rostocker Pfarrer Spezialist. Er scheut nicht davor zurück, sich zu der Behauptung zu versteigen, die SED habe die Soldaten der NVA gegen das eigene Volk eingesetzt. Diese Behauptung kann jedes Kind aus DDR-Tagen widerlegen. Der einzige Einsatz einer Armee im Innern, an den ich mich aus der jüngeren deutschen Geschichte entsinne, fand 2007 in Heiligendamm statt. Akteur war die Bundeswehr. Falls Gauck aber das "DDR-Grenzregime" gemeint haben sollte, so ist es nicht einmal seiner einstigen Inquisitionsbehörde gelungen, einen Schießbefehl zu fälschen.

Die Schußwaffengebrauchsordnung der DDR unterschied sich in keiner Weise von entsprechenden Richtlinien des Verteidigungsministeriums der BRD, an deren Grenzen in den 50er Jahren nicht wenige Menschen zu Tode kamen - von den heutigen Massentötungen der Frontex-Verbände an den EU-Außengrenzen ganz zu schweigen! Gaucks Hirngespinst erinnert an die Erfindung seines Vor-Vorgängers Horst Köhler, der "Leichensäcke und Panzer in Leipzig" ausgemacht haben wollte. Es ist schon infam, daß Gauck ausgerechnet jene Armee zu kriminalisieren trachtet, welche als einzige in der deutschen Geschichte keine Kriege geführt hat. Sie brachte einen Oberst Georg Klein nicht hervor.

Gauck, der die "Glückssüchtigen" schmäht, weiß ganz genau, daß viele junge Menschen, welche in der Bundeswehr und besonders in Afghanistan ihren Dienst tun, nur dem Unglück zu entrinnen trachten. Sie stammen mehrheitlich aus sozial schwachen Familien und kommen überwiegend aus dem Osten. Gerade sie sollen nun "das Leben, das eigene Leben" für den deutschen Kapitalismus opfern. Menschliches Leid, das auf allen Seiten mit jedem Krieg verbunden ist, erwähnt unser Prediger im Präsidentensessel nicht einmal beiläufig. Das ist zynisch und inhuman. Gaucks Hamburger Rede ist der Diskurs eines Heuchlers. Er verschweigt, daß es in den Kriegen von NATO und BRD niemals und nirgends um Demokratie, Freiheit oder Menschenrechte gegangen ist. In ihnen tobt sich die grenzenlose Gier einer Klasse aus, zu der 99 Prozent der Bevölkerung nicht gehören. Gauck lobt das "Demokratiewunder BRD" und "vergißt", daß Nazis zu den Taufpaten und frühen Wegbegleitern dieses Staates gehört haben.

Seine Ansprache läßt - trotz offenkundiger Unterschiede - die Erinnerung an jene berüchtigte "Hunnenrede" anklingen, die einst ein deutscher Kaiser gehalten hat. Sie steht am Beginn einer neuen Stufe im Prozeß der weiteren Untergrabung der bürgerlichen Demokratie, den viele als Faschisierung bezeichnen. Zum ersten Mal seit 1945 fordert ein deutsches Staatsoberhaupt den "Heldentod fürs Vaterland". Das ist eine Zäsur. Schlaglichtartig erhellt sie historische Hintergründe und ruft Vergleiche ins Gedächtnis. Wer nicht bereit ist, sein Leben für die Interessen des deutschen Imperialismus zu opfern, wird als "glückssüchtig" verhöhnt.

Der mutige, sich selbst opfernde Christ Dietrich Bonhoeffer forderte einst seine Mitmenschen zum Widerstand gegen Hitler auf, den er mit einem wahnsinnigen Geisterfahrer verglich. Notfalls gelte es, "nicht nur das Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad in die Speichen zu fallen". Gaucks Weltbild kontrastiert scharf zu dieser Sicht. Es wird vom Haß auf alle Andersdenkenden, Andersartigen und Andershandelnden geprägt. Dieser Mann kennt kein 5. Gebot und keine "Ehrfurcht vor dem Leben", wie es der große christliche Humanist Albert Schweitzer so eindringlich formuliert hat. Gaucks Rede ist ein Alarmsignal. Es muß zum Weckruf für alle Linken und Antifaschisten in der BRD werden. Den Geisterfahrern unserer Tage in die Speichen zu greifen, ist ein Gebot der Stunde.

Ulrich Guhl

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Akteur statt Zuschauer
Ein 90jähriger, der niemals einen Logenplatz hatte

Als Gärtnergehilfe zog ich am 1. Juli 1940 für Hitler in den Krieg. Im Februar 1945 - kurz vor Toresschluß - sollte ich mit dem Marineschützenbataillon 316 bei den Seelower Höhen, wo inzwischen die "deutsche Ostfront" verlief, den Vormarsch der Roten Armee verhindern helfen. Auf dem Transport von Ostfriesland dorthin wurden mir bei einem amerikanischen Tieffliegerangriff beide Beine zerschossen.

Im Kreiskrankenhaus Angermünde notdürftig versorgt, ging es wegen des Vormarsches der "Russen" mit einem Lazarettzug eiligst in Richtung Westen. Der Zufall wollte es, daß dieser ausgerechnet im sächsischen Rochlitz, meiner heimatlichen Kreisstadt, anhielt. Unterstützt von zwei Leidensgefährten und mit Hilfe von Eisenbahnern konnte ich mich zu unserem Wohnort Lunzenau durchschlagen. Da mich der dortige Amtsarzt nicht längerfristig behandeln durfte, mußte ich das Reservelazarett Burgstädt aufsuchen. Dort sollte ich vom 10. März bis zum 20. April bleiben. Als von Sirenengeheul "Feindalarm" ausgelöst wurde, setzte ich mich in Richtung Lunzenau ab.

Meine Frau erschrak, als ich plötzlich in Uniform vor der Wohnungstür stand. Auf einen Stock gestützt, half ich ihr während der folgenden Tage im Konsum beim Lebensmittelverkauf.

Damals waren bereits Soldaten der U.S. Army in Lunzenau eingerückt. Am 20. April hatten sich alle Männer des Ortes, ob verwundet oder nicht, auf dem Marktplatz einzufinden. Wir wurden auf einen großen LKW verfrachtet und bis auf die Rheinwiesen unweit von Bad Kreuznach gebracht. Unter freiem Himmel mußten wir die Zeit bis zum 23. Juni verbringen. Jeder, der dazu in der Lage war, hob sich eine möglichst mit Pappe "gepolsterte" Grube aus, um Wind und Wetter bei Tag und Nacht trotzen zu können.

Noch heute ist in den Medien der BRD ausschließlich von den harten Bedingungen in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern die Rede. Doch es gab ja nicht nur diese: Das, was wir auf den Rheinwiesen durchmachen mußten, war wahrlich kein Zuckerlecken.

Nach einiger Zeit wurden Freiwillige für den Bergbau in Belgien oder Frankreich gesucht. Ein mitgefangener Schulkamerad meinte: "Wir haben uns schon einmal freiwillig gemeldet, das genügt!" So behielten wir unser Soldbuch, das jenen, welche dem Appell folgten, sofort abgenommen wurde.

Inzwischen hißte man an den verschiedensten Ecken des Geländes die Flaggen Polens, Ungarns, der Tschechoslowakei und weiterer Staaten. Dort versammelten sich alle, die angaben, aus diesen Ländern zu stammen. Am Ende waren wir Sachsen fast die einzigen Deutschen, die übrigblieben.

Eines Tages hieß es, wer sein Soldbuch noch besitze, werde entlassen - allerdings nur in die amerikanische Zone. Glücklicherweise gehörte zu unserer Gruppe einer, der wegen seiner guten Englischkenntnisse zum Lagerdolmetscher aufgestiegen war. Er ließ uns wissen, daß die Amis in Borna bei Leipzig stünden. So kam es, daß wir überwiegend dorthin in Marsch gesetzt wurden. Am 23. Juni karrte man uns auf offenen Lastwagen von den Rheinwiesen nach Altenburg. Dort sollte jeder sehen, wie er zu Fuß nach Hause käme.

Die Freude der Eltern war riesig, als ich schließlich vor ihnen stand. Doch mit den Worten: "Deine Frau ist bei den Russen", jagte mir der Vater gleich einen gehörigen Schrecken ein. Tatsächlich bildete die Zwickauer Mulde zu dieser Zeit die provisorische Grenze zwischen dem amerikanisch und dem sowjetisch besetzten Gebiet. Unsere Wohnung befand sich am Ostufer des Flusses. Da die Telefonverbindung zur dortigen Konsumverkaufsstelle noch intakt war, konnte ich meiner Frau die Ankunft auf der anderen Flußseite melden.

Nach der durch die Alliierten beschlossenen Neueinteilung der Besatzungsgebiete zogen sich die US-Truppen bald aus Lunzenau in westlicher Richtung zurück, während die Rote Armee an ihre Stelle trat. So war auch die Familie Loge wieder vereint. In der nun anbrechenden neuen Zeit haben wir aktiv am Wiederaufbau unserer Heimat mitgewirkt. Zunächst gehörte ich zu den Gründen der FDJ in Lunzenau, später war ich Sekretär ihrer Rochlitzer Kreisleitung. Nachdem ich bereits im September Mitglied der KPD geworden war, engagierte ich mich zu Jahresbeginn 1946 in meinem Heimatort für den Zusammenschluß von SPD und KPD zur SED. Dem Aufruf des FDJ-Zentralrats folgend trat ich am 3. Januar 1951 - dem 75. Geburtstag Wilhelm Piecks - in die Seepolizei der DDR ein, von welcher ich den Aufbau zur Volkspolizei-See über die Seestreitkräfte der DDR bis zur Volksmarine mitgestalten konnte. Ich habe das Studium an der Dresdner Militärakademie "Friedrich Engels" mit dem Erwerb des Titels eines Diplom-Gesellschaftswissenschaftlers abschließen können. Bis zu meiner Versetzung in die Reserve am 1. Dezember 1984 nahm ich in den verschiedensten Dienststellungen am sicheren Schutz der Seegrenze der DDR teil. Viele Jahre war ich Leiter der Politabteilung der 6. Grenzbrigade Küste, die den Namen des von den Faschisten ermordeten Hamburger Widerstandshelden Fiete Schulze trug.

Inzwischen habe ich das 90. Lebensjahr vollendet. Übrigens wurde das Jubiläum zünftig begangen - mit einer dreiwöchigen Reise nach Ekuador. Auch heute bin ich politisch nicht untätig: Mitglied der Partei Die Linke, engagiere ich mich überdies im Arbeitskreis des "Darmstädter Signals". Wer einmal mit der Friedensarbeit angefangen hat, kann es einfach nicht lassen. Glücklicherweise bin ich noch bei bester Gesundheit, wozu sicher auch die regelmäßige Lektüre des "RotFuchs" beigetragen hat.

Kapitän zur See a. D. Kurt Loge, Rostock


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Angehörige der Volksmarinedivision marschieren in der deutschen Novemberrevolution am Brandenburger Tor auf. Die DDR-Volksmarine stand in dieser Tradition.

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Über diese und jene "Zeitzeugen"

Vor vielen Jahren, noch zu guten Zeiten, verfaßte Hanna Wolf - ihres Zeichens Rektor der Parteihochschule beim ZK der SED - einen längeren Artikel für das damalige Zentralorgan "Neues Deutschland". Darin nahm sie eine grundlegende Einschätzung von Archivmaterialien vor. Es ging ihr darum, den Wert des Kalibers vergilbter Akten etwas zu relativieren, indem sie diesen dem Gewicht der Aussagen von Zeitzeugen gegenüberstellte. Ich hatte damals gewisse Zweifel. Da Hanna Wolf aber nicht nur Rektor der PHS, sondern eine "Institution" mit einem direkten "Draht" zu Walter Ulbricht war, mußte jegliche Art von Einwänden wohldurchdacht sein.

Meine Überlegungen führten zu dem Ergebnis, daß unter den heutigen technischen Bedingungen die Übergänge von Zeitzeugenbekundungen zu Archivmaterial gewissermaßen fließend sind. Anders ausgedrückt: Eine gesprochene "Erinnerung" wird - bei laufendem Diktiergerät oder eingeschalteter Kamera - unvermeidlicherweise bereits im selben Augenblick zum "Archivmaterial". Es gab noch weitere Bedenken. So schrieb ich mit dem nötigen Respekt einen Brief an das ND ... und erhielt schon bald darauf die Auskunft, mein Brief sei an Genossin Hanna Wolf "weitergeleitet" worden. Eine Antwort von der eigentlichen Adressatin blieb indes aus.

Heute neigt man zu der Erkenntnis, daß das Spannungsfeld zwischen Archiv und Zeitzeugen den "Systemwechsel" überdauert hat. Es bleibt schwierig, dem Dabeigewesenen - gegenüber vergilbten Akten - tatsächlich die Priorität einzuräumen. Hanna Wolf hatte seinerzeit angeregt, Geschichte durch das Anhören von Augenzeugen "neu" zu dokumentieren. Daraus ergibt sich sofort eine ganze Kette weiterer Fragen. Was wird, wenn zwei Akteure über ein und dieselbe Begebenheit völlig verschieden Zeugnis ablegen? Mehr noch: Wenn ein und derselbe Zeuge nach fünf oder zehn Jahren plötzlich zu ganz anderen "Erinnerungen" gelangt? Die vielgepriesene "Wahrheitsfindung" gestaltet sich, wie man sieht, recht kompliziert.

Für uns gibt es zu solchen Überlegungen ein ganzes Füllhorn konkreter Anlässe, denn auch heute wird laufend - über Erlebtes und Nichterlebtes, über Gelesenes und Gesprochenes "Zeugnis abgelegt": über Cäsar, Napoleon, Hindenburg oder Stresemann, natürlich auch über Marx. Ja, Lenin und dessen Jünger bleiben nicht verschont. "Zu früh" hätten sie die Oktoberrevolution eingeleitet, wird da behauptet. Nun sind uns aus dieser Vergangenheit keine Zeitzeugen mehr beschieden - wie soll man unter diesen Umständen der Wahrheit ein Stück näherkommen? Es gäbe viel - nicht nur über den realen Sozialismus - zu besprechen ... Zum Glück haben wir mit dem RF ja eine "Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland" ...

Man könnte sich einen Runden Tisch vorstellen, aber wen - außer den wenigen noch lebenden Beteiligten - sollte man dazu einladen, zumal man ja keine "Talkshow" im Auge hat? Eine überhastete Vorauswahl, gar eine Selektion, schwebt mir nicht vor. Dennoch steht die Frage im Raum: Sollten wir über den erlebten und einen möglichen künftigen Sozialismus überhaupt mit Leuten reden, die ihn niemals angestrebt, ja im Gegenteil sogar immer vehement bekämpft haben? Etwas weitergefaßt, mit Menschen, die nie in der DDR gewesen sind und auch keiner "emanzipatorischen Bewegung" angehört haben, uns heute aber erzählen wollen, wie wir einst gelebt haben. Sollen sie sich in ihren "Schwarzbüchern" und supergelehrten Schriften nur dazu äußern - es bleibt nichts, worüber wir miteinander reden oder wozu wir eine "gemeinsame Sprache" finden könnten.

Mir scheint, daß es einfach Zeitvergeudung ist, wenngleich sich keine "freiheitliche" Seele deshalb entmündigt fühlen sollte. Auch in Zukunft möge jedermann nach Herzenslust über unsere Kampfgruppen räsonieren, ohne sagen zu müssen, ob er schon mal in voller Montur über einen Exerzierplatz gerobbt ist - wenn ja, würde sich seine Sachkompetenz ohne Zweifel erhöhen.

Mein Standpunkt beruht allein auf der Redlichkeit intellektueller Auseinandersetzung, bei der nicht nur wir richtig "einsortiert" werden wollen, sondern auch nach eigenem Ermessen eine Auswahl unserer Gesprächspartner treffen möchten. Wer über Hochseefischerei parliert, sollte schon mal den Gestank eines Fischereihafens inhaliert haben. Für alle Berufe und Disziplinen, besonders im Sport, gibt es Eignungsprüfungen. Es wäre nicht diskriminierend, das auch für potentielle Zeitzeugen gelten zu lassen. Jedermann weiß, daß diese für eine Talkshow stets sorgfältig ausgewählt, um nicht zu sagen, gesiebt werden. Es gab in unserem untergegangenen Staat zweifellos nicht wenige Bürger, die sich gerne von der "sozialistischen Strömung" tragen ließen und die dennoch nach Kräften daran mitgewirkt haben, das Medium, dessen sie sich eben noch bedient hatten, sang- und klanglos abzulassen.

Nach dem Abfluß des "Schweren Wassers DDR" haben sie sich rücklings auf dem Gulli der Geschichte liegend wiedergefunden und sofort begonnen, sich "neu zu orientieren". Schlimmer noch: "neue Sichten" auch für uns zu erarbeiten, die anderen bei deren "Neuorientierung" zu "unterstützen", wobei sie im Grunde genommen, selbst hilflos nach der eigenen Anpassung Tastende waren.


Diesen fragmentarischen Text hinterließ unser am 10. November 2011 im Alter von 96 Jahren verstorbener unvergessener Autor Walter Ruge der Redaktion des RF zu treuen Händen. Das Manuskript ist nur geringfügig redigiert worden.

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Kein großer Wurf

Axel Springer AG
BILD-Zeitung, Abt. Vertrieb
Axel-Springer-Str. 65, 10888 Berlin

Das am 23.6.2012 in meinen Briefkasten eingeworfene Gratisexemplar Ihrer Zeitung sende ich Ihnen hiermit ungelesen zurück. - Nach der Vereinnahmung der DDR durch die BRD habe ich mir erst- und einmalig Ihr Blatt gekauft. Ich wollte wissen, ob die Einschätzung der DDR zum Charakter einer solchen Zeitung korrekt war. Ich fand das in vollem Umfang bestätigt! Ihre Zeitung ist ein Konglomerat von Wahrheiten, Halb- und Unwahrheiten sowie die Sensationsgier der Leser befriedigenden Nachrichten. Manche Beiträge bewegen sich in ihrer Primitivität unterhalb der Gürtellinie. Ihre Zeitung dient nicht der sachlichen Information, sondern der Manipulierung der Leser in einer den Interessen dieses Staates dienenden Richtung. Die Einfuhr solcher und anderer westlicher Journale in die DDR nicht zu gestatten, halte ich nach wie vor für richtig.

Der Vertrieb Ihrer Zeitung in der DDR wäre eine Beleidigung des Intellekts der DDR-Bürger gewesen.

Gottfried Fleischhammer, Leipzig

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Leichen im Keller

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Diplomatische Depesche

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Ein Revolutionär im Priesterrock
Was Pfarrer Rackwitz an die Seite der Arbeiterbewegung führte

Vor mehr als 60 Jahren wurde ich als junger Mensch mit einer Broschüre "Der Marxismus im Lichte des Evangeliums" konfrontiert. Der Titel fasziniert mich bis heute. Verfasser war Arthur Rackwitz, ein evangelischer Pfarrer der Philipp-Melanchton-Kirche in Berlin-Neukölln. Er bezeichnete sich selbst als christlichen Sozialisten und verteidigte die Bergpredigt, die Jesus an seine Jünger richtete. In ihr erblickte er die Ethik der Nächstenliebe und fand, daß die von Jesus für ein Reich Gottes auf Erden gegebenen Gebote in enger Verbindung zu dem stehen, was Marx und Engels wissenschaftlich begründeten. Die Kirche hätte nicht das Recht, den Marxismus zu verteufeln, sondern vielmehr allen Grund, seinen Gehalt verstehen zu lernen und gemeinsam mit Marxisten für das Wohl der Menschheit zu wirken. Rackwitz durchforschte in seiner Broschüre das "Kommunistische Manifest" und zog den Schluß, "daß in ihm keine Spur einer offenen oder direkten Polemik gegen die Religion zu finden" sei. Er ging so weit festzustellen, daß der christliche Glaube im Marxismus seine theoretische Erklärung finde. "Was können Christen aus dem Manifest lernen?", fragte er und faßte seine Antwort in sechs Punkten zusammen.

Erstens: "Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme fallen nicht vom Himmel, werden nicht von Gott geschaffen, sondern haben weltliche Ursachen." Zweitens: "Den letztlich bestimmenden Einfluß auf den Willen des Menschen, der der Wirtschaft ihre Gesetze vorschreibt, übt nicht ein Bewußtseinsinhalt, sondern das materielle Sein ... aus." Drittens: "In allen bisherigen Entwicklungsstadien wurde die jeweilige Ordnung des wirtschaftlichen Lebens der großen Mehrheit der arbeitenden Menschen von einer zahlenmäßig kleineren Herrenschicht aufgezwungen, die alle politischen und wirtschaftlichen Machtmittel besitzt." Viertens: "Das gemeinsame Merkmal der uns bekannten Gesellschaftsformen liegt in der Ausbeutung der besitzlosen Massen durch die Besitzer der Produktionsmittel." Fünftens: "Die einzige Instanz, welche die Möglichkeit und Kraft in sich trägt, die Entwicklung über die bestehende Ungerechtigkeit hinaus im positiven Sinne vorwärtszutreiben, ist das sich bewußt werdende Proletariat." Sechstens: "Die proletarische Revolution wird die letzte sein. Im Unterschied zu allen früheren Kämpfen und Umwälzungen beschränkt sie sich nicht darauf, die Herrschaft von einer Klasse an eine andere zu übertragen, sondern macht ein für allemal den Klassenunterschieden und dem Klassenkampf ein Ende. In der von ihr herbeigeführten klassenlosen Gesellschaft ordnet sie das Wirtschaftsleben nicht zum Wohle einiger weniger, sondern nach den Bedürfnissen der Gesamtheit. Sie kennt weder Arbeitslosigkeit noch Absatzkrisen und führt ... die ganze Menschheit aus Kampf und Streit zum Frieden, aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit, aus der Vorgeschichte in die eigentliche Geschichte."

Ich meine, von einem Diener der Kirche, der seinem Glauben an Gott "als Allmächtiger der ganzen Schöpfung, alles Sichtbaren und Unsichtbaren" keineswegs abschwor, ist das eine kühne Aussage. Und doch ging Rackwitz noch einen Schritt weiter: "Gottvertrauen" dürfe "nicht zum billigen Ersatzmittel für fehlende menschliche Aktivität" werden, postulierte er. Es sei zwecklos, "die Arbeiter auf Gebet und Gottvertrauen hinzuweisen, solange wir zulassen, daß sie unaufhörlich von einer sich höher dünkenden Klasse mit einem Schein des Rechts ausgebeutet werden. Gott legt die Entscheidung über die Gestaltung des Wirtschaftslebens in die Hände des Menschen und stellt uns frei, ob wir durch Gehorsam gegenüber seinen Geboten eine Welt schaffen, wie er sie haben will, oder durch Übertretung dieser Gesetze den Streit verewigen, der schon so viel Unheil angerichtet hat".

Rackwitz läßt Lenin, den konsequenten Fortsetzer der Lehre von Marx und Engels, unerwähnt. Doch wer kannte 1948 in Deutschland schon den Russen Uljanow, geschweige denn dessen Arbeiten? Dabei war gerade er es, der eine klare Stellung zur Religion bezog. Nicht diskriminierend, sondern aus historischer Sicht schrieb er in seiner 1905 verfaßten Arbeit "Sozialismus und Religion": "Die Ohnmacht der ausgebeuteten Klasse im Kampf gegen die Ausbeuter erzeugt unvermeidlich den Glauben an ein besseres Leben im Jenseits, wie die Ohnmacht des Wilden im Kampf mit der Natur, den Glauben an Götter, Teufel, Wunder usw. erzeugt. Denjenigen, der sein Leben lang arbeitet und Not leidet, lehrt die Religion Demut und Langmut hienieden und vertröstet ihn" auf die Hilfe durch den Herrgott im Himmel. "Die Religion ist das Opium des Volkes, sie ist eine Art geistigen Fusels, in dem die ausgebeuteten Menschen ihre Ansprüche auf ein halbwegs menschenwürdiges Leben ersäufen." (LW, Bd. 10, S. 70/71)

Doch Lenin war Realist genug, um sich zugleich vehement gegen jede Beleidigung religiös gebundener Menschen zu verwehren. "Im Kampf gegen religiöse Vorurteile", schrieb er, "muß man außerordentlich vorsichtig vorgehen". Großen Schaden richte dabei an, wer im Ringen um Einflußnahme unter den Massen "das religiöse Gefühl verletzt". Dieses "muß auf dem Wege der Propaganda, der Aufklärung geführt werden. Wenn wir den Kampf mit scharfen Methoden führen, können wir die Massen gegen uns aufbringen". (LW, Bd. 28, S. 178).

Wenn der Sozialismus in der DDR und anderen Ländern letztlich noch keinen Bestand hatte, gab es dafür weltliche Ursachen und keine überirdischen. Bischof Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, erklärte nach der Tsunami-Katastrophe vor Jahren, bei der Tausende Menschen zu Tode kamen: "Das hätte Gott nicht gewollt." Der Tsunami, der vor allem Indonesien und Thailand verwüstete, war kein Gotteswerk, sondern ein Ereignis mit natürlichen Ursachen. Wenn im Krieg Soldaten vor dem Kampf beten, um am Leben zu bleiben, dann aber doch fallen, hat das nichts mit einer Fügung Gottes zu tun, sondern weil Krieg ist, der von Menschen gemacht wurde und politische wie ökonomische Gründe hat.

Das Resümee: Pfarrer Rackwitz hat recht, wenn er sagt: Glauben an einen Schöpfer, an Gott, dürfe aus der Sicht religiöser Menschen nicht bedeuten, so einfältig zu sein, daß der Herr es schon richten werde. Eine solche Haltung führt in die Irre. Wer gläubig ist, sollte in Gott den Förderer sehen, zur Aktion schreiten und nach den Geboten der Bibel handeln. Christen und Marxisten müssen an einem Strang ziehen, so unterschiedlich ihre Auffassungen über Himmel und Erde auch sein mögen.

Rackwitz hat unterdessen nicht wenige gefunden, die es ihm nachtun. Zu erwähnen sind hier nur die Befreiungstheologen Lateinamerikas. So glaubt Ernesto Cardenal aus Nicaragua, "daß der Sozialismus uns erst zum Reich Gottes auf Erden bringen" werde. Der Kommunismus habe christliche Ursprünge. "Die ersten Christen waren Kommunisten", erklärte er. Bei Lukas heiße es auch, "daß jedem nach seinen Bedürfnissen" gegeben werde. "Ebenso hat es später Marx formuliert." Das gemeinschaftliche Eigentum sei heiliger als das Privateigentum. Gott habe "den Reichtum für alle geschaffen und nicht nur für einige wenige".

Dr. Rudolf Dix

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Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die Pyramide der Europäischen Union
Titelseite der Wochenzeitung "Solidaire", Brüssel,
21. Juni 2012

Nach einer in der US-Gewerkschaftszeitung "Industrial Worker" (1911) veröffentlichten Grafik

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Zum "Lifestyle" der "Spaßgesellschaft"
Nebulöse Wortverbindungen und geklitterte Begriffe lähmen das Denken

Jedes Imperium hat seine "Leitkultur", deren Begrifflichkeiten in die Muttersprachen seiner Vasallenländer eingehen. Ursprüngliche Neuerungen werden in der Regel als Fremdworte, gesellschaftliche Begriffe als Lehnworte und Ideologien als "politisch korrekte" Terminologie eingefügt. Heute ist der aus den USA stammende Begriff "Political Correctness" von seinen Urhebern weltweit durchgesetzt worden. Ohne auf dessen Entstehen hier näher eingehen zu wollen, soll die Wirkungsweise nebulöser Wortkombinationen im folgenden kurz beleuchtet werden, zumal sie in fast allen gesellschaftlichen Bereichen mehr oder weniger schleichend Verbreitung gefunden haben. Es handelt sich dabei in aller Regel um die beschönigende Darstellung unangenehmen Geschehens. Mißstände sollen verdeckt oder ideologisch drapiert werden. Dies wird nicht selten in politischen Kampagnen gezielt angestrebt und durch die Medien flächendeckend verbreitet. "Political Correctness" ist ein Langzeitnarkotikum, das über den ganz normalen Sprachgebrauch systematisch in die Köpfe eindringt.

Die kapitalistische Wirtschaft bedient sich dieses Instrumentariums ohne Unterlaß zu Werbe- und Verkaufszwecken. Warenfetischismus suggeriert z. B. "große Freiheit" durch eine Automarke, Jugendlichkeit durch Coca-Cola oder erhöhtes Selbstwertgefühl für sonst an den gesellschaftlichen Rand gedrängte Käufer durch angeblich Auftrieb verleihende Textil-Schlager. Aber auch die gesteigerte Ausbeutung durch höhere Tarife bei Gas und Strom wird mit dem euphorischen Begriff "Preisanpassung" verschleiert, dessen sich sogar SPD-Politiker bedienen. - In der Frage der Geschlechtergleichstellung setzt man auf verbale Schein-Emanzipation. Während die in Wahrheit weiterhin massiv unterdrückten weiblichen Arbeitskräfte für die Konzerne schuften dürfen oder - wie fünfzehntausend Schlecker-Beschäftigte - knallhart auf die Straße fliegen, gibt man die Parole aus "Mehr Frauen in die Aufsichtsräte!" Das früher übliche "Gnädige Frau" und der Handkuß des wilhelminischen Patriarchats sind unterdessen durch eine die Sprache verhunzende "feminisierende" Wortwahl wie "Amtmännin" ersetzt worden. Diese Terminologie ändert kein Jota am Wesen der Diskriminierung, die nach wie vor auch Minderheiten und Behinderte betrifft.

Noch gefährlicher ist die Begriffsklitterung in der Politik. Für Afghanistan wählen die Besatzer gezielt Begriffe wie "Aufbau der Zivilgesellschaft", "Terrorismusbekämpfung" oder "Beseitigung des Totalitarismus". Sie dienen gleichermaßen als Synonyme für neokoloniale Protektoratskriege und die Zerschlagung nichtkapitalistischer Gesellschaftsordnungen. Bald könnten die Kriegsminister, die sich heute als harmlose Verteidigungsminister ausgeben, in Freiheitsschutzminister umbenannt werden, um der Heuchelei die Krone aufzusetzen. "Rechtsstaatliche Ordnung", "Unrechtsstaat" oder "SED-Diktatur" sind politische Kampfbegriffe, die in der Jurisprudenz überhaupt nicht vorkommen. Um Verwirrung zu stiften, werden volksdemokratische Rätemodelle und nichtkapitalistische Wirtschaftsformen mit faschistischen Regimes und Militärdiktaturen gleichgesetzt, während man die Terrorherrschaft lateinamerikanischer Formen des Halbfaschismus, beispielsweise in Kolumbien, ohne Erröten als "Demokratien" bezeichnet.

Ganz übel sieht es im Sozialbereich aus. Sein Versprechen, "viele in Arbeit zu bringen", hat Ex-Regierungschef Gerhard Schröder, heute ein mächtiger Konzernboß, nur insofern eingehalten, als die Arbeitslosenstatistiken inzwischen durch allerhand "Eingliederungsmaßnahmen" und "Qualifizierungslehrgänge" so frisiert worden sind, daß eine enorme Zahl tatsächlicher Erwerbsloser unter den Teppich gekehrt werden kann. Die Arbeitslosenverwaltung heißt mittlerweile "JobCenter" und die dort Schlangestehenden werden als "Kunden" geführt.

Während Migranten auf grausamste Art von der "Europäischen Grenzschutzagentur" an den "Außengrenzen" des Kontinents ums Leben gebracht oder zu einem Dasein als Sklaven von Mafiosi gezwungen werden, täuscht man EU-"Integrationsinitiativen" vor, die angeblich ein harmonisches Miteinander fördern sollen. Das gilt indes nicht für bösartige "Gegenwelten", "Parallelgesellschaften", "Integrationsunwillige" oder gefährliche "Islamisten".

Dennoch gibt es Erfreuliches zu vermelden: Für jene, die noch mehr eingeseift werden wollen, wird eine "schöne neue Welt" geschaffen: In "Tapetenstudios", "Mediamärkten" oder "nachhaltig ökologischen Boutiquen" können sie den "Lifestyle" der kapitalistischen "Spaßgesellschaft" so lange genießen, wie das ihr Geldbeutel erlaubt.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Ungeschliffener Umgang mit einem "Topas"

Rainer Rupp ("Topas") verbüßte einen großen Teil der Strafe, zu der er verurteilt wurde, weil er die NATO-Pläne gegen den Warschauer Pakt und die zu ihm gehörende DDR kaltblütig und mit Erfolg aufgeklärt hatte. Nach jahrelanger Haft durfte er - den Vollzugsvorschriften entsprechend - Freigang erhalten. Diese Vergünstigung wurde aber nur dann gewährt, wenn sich der Verurteilte erstens gut geführt hatte und zweitens ein festes Arbeitsverhältnis nachweisen konnte. Der damalige PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch schien den Begriff "Solidarität" noch zu kennen. Jedenfalls veranlaßte er, daß für Rainer Rupp unweit der Strafvollzugsanstalt Saarbrücken ein Büro angemietet wurde und der Freigänger einen Arbeitsvertrag erhielt. Nach Rainer Rupps vorzeitiger Haftentlassung auf Bewährung kündigte die von Dietmar Bartsch im Geschäftsverkehr vertretene PDS abrupt Büro und Arbeitsvereinbarung. Ihm wurde kaltschnäuzig erklärt, er könne ja nun für sich und seine Familie - darunter zwei in Ausbildung befindliche Kinder - selbst sorgen.

Doch die Geschichte geht weiter. Im Jahr 2000 wurde Rainer Rupp, damals Mitglied der PDS, von seinen saarländischen Genossen als ordentlicher Delegierter zum 7. Parteitag gewählt. Als Dietmar Bartsch davon erfuhr, forderte er "Topas" auf, er solle nicht zur 1. Tagung des Parteitages am 14. und 15. Oktober in Cottbus erscheinen, da er dort nur stören würde. Genosse Rupp nahm sein Mandat dennoch wahr. Als die Frage aufgeworfen wurde, ob man die Delegierten des Parteitags über den Umgang des wieder zum Bundesgeschäftsführer kandidierenden Dietmar Bartsch mit ihm unterrichten solle, baten Rainer und dessen Frau dringend darum, den Vorgang nicht an die große Glocke zu hängen.

Später bewarb sich Rainer Rupp - von vielen Genossen als Kandidat vorgeschlagen - auf einem PDS-Landesparteitag in Mecklenburg-Vorpommern um den dortigen Spitzenplatz zu den anstehenden Bundestagswahlen. Das geschah ohne Vorankündigung und Konkurrenz zu Dietmar Bartsch, der dieselbe Position anstrebte. "Topas" erhielt in der Kampfabstimmung mehr als 25 % der Delegiertenstimmen. Was Dietmar Bartsch seinem unterlegenen Mitbewerber danach unter vier Augen sagte, ist nur wenigen guten Freunden Rainers bekannt.

M. Hg.

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Über Hartgesteine und Weichgespülte
Wie ein volkseigenes Kombinat Granit gewann und selbst auf ihn biß

Nach dem 8. Mai 1945 war es auch im Osten Deutschlands, wie es im ersten Buch Mose heißt: wüst und leer. Der schrecklichste Krieg aller Zeiten hatte sein Ende gefunden. Harte Jahre des Wiederaufbaus folgten und danach eine Periode, in der versucht wurde, auf allen Gebieten eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten. Das geschah von Beginn an gegen den erbitterten Widerstand der kapitalistischen Bundesrepublik. Nach 40 Jahren zerbrach unsere DDR. Der "RotFuchs" verteidigt sie zu Recht. Allerdings veröffentlicht er mitunter auch - aus meiner Sicht - "geschönte" Beiträge ohne vielschichtige Darstellung der komplexen Situation. Man kann durchaus den Stolz der Autoren auf die sozialen Leistungen bei Robotron und die Bilanz der Chemieindustrie der Republik verstehen. Doch gerade der heranwachsenden Generation muß auch begreiflich gemacht werden, woran die DDR zugrunde gegangen ist. Das stärkt ihre Widerstandskraft gegenüber gewissen "Aufarbeitern der Geschichte".

Gründe für das Debakel von 1989/90 - innere und äußere, selbst- und fremdverschuldete, beeinflußbare und solche, die außerhalb unserer Reichweite lagen - gibt es viele. Ich werde versuchen, die Dinge an einem einfachen Beispiel aus der Volkswirtschaft darzustellen. Dabei geht es um die Nutzung von Gesteinen und mineralischen Rohstoffen, hier auf Granit und Granodiorit, zwei Hartgesteine, eingegrenzt. Im ehemaligen Volkseigenen Kombinat Natursteine und Zuschlagstoffe waren das vor allem die Betriebe Roter Meißener Granit des VEB Elbe Naturstein und der VEB Lausitzer Granit mit seinem Zentrum Demitz-Thumitz. Die Verwendung beider Hartgesteine war vielfältig. Sie dienten u. a. als Schleusen-, Treppen-, Monumental-, Bord-, Schmuck- und Dekor-Stein bis hin zum Pflastermaterial.

Die Steine mußten in den Brüchen als Rohblöcke mit verschiedenen Technologien (Bohren, Sprengen, Spalten, Schlitzen ...) gewonnen werden. Das ist sehr schwere körperliche Arbeit. Es folgten verschiedene Arten des Transports bis zur Verarbeitung.

Der entscheidende Anteil von Rohblöcken zur Veredelung war gemessen an der Produktionsmenge von geringveredelten Natursteinbauelementen sehr klein. Mit einer Produktionssteigerung war kaum zu rechnen, und wenn, dann nur für kurze Zeit. Es fehlte vor allem an Arbeitskräften und entsprechender Technik. Damit wurde es natürlich spannend.

So ein Rohblock hatte eine Größe ab 0,1 m3;, gewünscht aber wurde er bis zu 1 m3. Der aber wog 2,7 Tonnen, um eine ungefähre Vorstellung zu vermitteln. Nach dem Ausbringen aus dem Bruch konnten noch 7 bis maximal 30 % nach der Verarbeitung als Produkt genutzt werden. Der Sägefortschritt betrug 10-20 cm in der Stunde. Im Ergebnis waren das dann zum Beispiel durch das "Pflasterschlagen" aus sogenannten Britschen: 5 m² Großpflaster je nach Sorte oder 9-10 m² Kleinpflaster oder 16-20 m² Mosaik - alles nach einer relativ langen Herstellungszeit.

Übrigens wurde das begehrte Pflaster an die BRD zu Entwicklungsländer-"Preisen" regelrecht verschleudert. Unsere IWP-Planabrechnung sah vor, den eingenommenen DM-Betrag mit vier zu multiplizieren. Das entsprach in etwa dem Kurs der Wechselstuben in Westberlin bis zum August 1961. Damit wurde auch das ursprüngliche Gesetz zur Kombinatsbildung de facto außer Kraft gesetzt, da selbst der Generaldirektor nicht mehr über die eingenommenen DM-Erlöse verfügen konnte. Wenn er z. B. einen Polierautomaten von Meyer aus Bayern kaufen wollte, mußte er erst einen Antrag in siebenfacher Ausfertigung an den Minister stellen. Bei all dem spielte Günter Mittag, der sich mit der Partei mindestens gleichsetzte, die führende Rolle.

Doch zurück zum Pflaster, das sehr gefragt war. Die Produktionsmenge, ausgehend von Rohblöcken, reichte wie so manches aber nie aus. Und daraus ergab sich eines der Probleme unserer Volkswirtschaft. Ähnlich verhielt es sich auch mit fast allen anderen Erzeugnissen aus der Palette des Kombinats: Splitte, Sande, Schotter, Kiese, Bildhauerleistungen, Dach- und Wandschiefer, Putze, Mineralstoffe, Werksteine, Drahtsiebe - um nur wenige zu nennen. Man übersehe nicht ihre Abhängigkeit von vielen Zulieferleistungen und vom Arbeitsvermögen.

Innerhalb eines Berges von Kennziffern war unser Rohblock Bestandteil der jährlichen "Überlegungen" der Staatlichen Plankommission (SPK), zuerst in der staatlichen Aufgabe, dann nach der Plandiskussion in der Staatsauflage. Der Rohblock unseres Kombinats stellte im Pflasterexport die Nummer eins dar, mußte aber auch für Objekte der Landesverteidigung, den Bevölkerungsbedarf, die Produktion von Konsumgütern, das Wohnungsbauprogramm und das Berlin-Vorhaben "herhalten".

Nach der Planverteidigung wurde es "heiß"! Die Beteiligung allzu vieler am Entstehen des Planes und seiner Umsetzung erfuhr noch eine weitere Steigerung. Abgesehen vom Leiter der SPK Gerhard Schürer, damals Mitglied des Politbüros der Partei und nach 1989 zu jenen gehörend, welche die DDR gleich mehrfach und nicht nur im Fernsehen verrieten, hatte eine ganze Pyramide Bestimmender mit unserem Kombinat zu tun. Ganz oben befanden sich die Abteilung Bau des ZK, das Ministerium und die Kombinatsleitung. Hinzu kamen die Parteistrukturen im Bezirk, der Stadt und dem Stadtbezirk sowie der Parteiorganisator des ZK. Es gäbe noch viele andere Beteiligte zu nennen, wofür hier allerdings der Platz fehlt.

Besonders haarig ging es zu, wenn es ein Staatsplanthema Wissenschaft und Technik gab, z. B. "Industrieroboter-Spaltautomat" für die Verarbeitung von Rohblockmaterial. Dann wurde das Ministerium für Wissenschaft und Technik richtig mobil und operierte zusätzlich mit Formblättern sowie der Abrechnung sogenannter Pflichtenheftstufen!

Natürlich gingen auch der Generaldirektor, der Parteiorganisator des ZK und die unteren Gliederungen der Partei an Günter Mittag adressierte eigene "Verpflichtungen" ein, um gegenüber "oben" gut dazustehen.

All das trug mit dazu bei, daß sich rund um das Rohblockgeschehen, das eigentlich unauffällig und überschaubar war, dicke Luft ansammelte. Die Atmosphäre wurde durch laufendes Hineinregieren von Leuten ohne spezifische Kenntnisse sowie durch das oftmalige Fehlen von Vernunft und Sachlichkeit auf höherer Ebene belastet.

Diese Mängel zu kritisieren bedeutet nicht, den weltweiten und anerkannten Einsatz unserer Republik für Frieden, Abrüstung und internationale Solidarität in Abrede zu stellen.

Klaus Horn, Großdobritz

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Sollte der "RotFuchs" bei "Facebook" sein Gesicht zeigen?

Mehrfach schon wurde im RF die Erwartung geäußert, daß sich der "RotFuchs" in "sozialen Netzwerken" präsentieren solle, um Jugendliche besser zu erreichen. Wie verhält es sich hiermit? Wir alle müßten hellhörig werden, wenn uns die TV-Sender der Bourgeoisie und deren Moderatoren freundlich und scheinbar so nebenbei dazu auffordern, doch mal hier und dort "reinzuklicken".

"Schüler-VZ" oder "Twitter" sind damit gemeint, am bekanntesten aber ist "Facebook". Diese Interneteinrichtung wurde 2004 von dem jungen Mark Zuckerberg gegründet, der heute zu den reichsten Männern der Welt zählt. Seit dem 18. Mai 2012 ist "Facebook" - im Jargon des Kapitals - ein börsennotiertes Unternehmen mit einem Marktwert von über 100 Milliarden und Umsätzen von 150 Milliarden Dollar! Die Strategen der Technologie- und Werbebranche frohlocken, bei "Facebook" müsse man darüber "nachdenken", was mit den persönlichen Daten der rund 900 Millionen registrierten Benutzer noch so alles gemacht werden könne!

"Facebook" ist ein weltweiter Verbund von "Brüdern und Schwestern", die alle "Freunde" und "Freundinnen" suchen und das auch selbst sein wollen. Auf ihren "Oh-Potts" und "Ei-Potts" und "Smartdingsdas" kommunizieren sie per Funk, tauschen Sprüche und Meinungen aus, z. B. über die neueste "Alkopop"-Sorte.

Wer sich bei "Facebook" registriert, gibt alles über sich preis und liefert ein "persönliches Profil". Freunde suchen! Statistisch, so sagen die Medien hierzulande, hätte jeder dort etwa 150 Freunde! Bei der morgendlichen Straßenbahnfahrt vom Prenzlauer Berg zum Berliner Alex begegne ich Fahrgästen, welche von ihrer Umwelt überhaupt nichts mehr mitbekommen. Sie sitzen, über ihre Handys gebeugt, und verfassen auf der winzigen Tastatur rasche Antworttexte für das "Facebook"-Freundschaftsangebot.

Inzwischen kennt man Süchtige der verschiedensten Art: Zum Drogenreichtum in der BRD gehört neben Ecstasy und Heroin, Alkohol und Zigarettenqualm nun auch "Facebook"! Tendenz: Manch jungem Nutzer ist der Wunsch, möglichst viele Freunde vorweisen zu können, längst zum Alptraum geworden. Fast alle Fernsehanstalten berichteten unlängst von dem Kleinstadt-Mädchen Thessa, das seine Freunde zum 16. Geburtstag eingeladen hatte - nicht etwa per Telefon oder gar in Briefform. Das wäre altmodisch gewesen. Nein, sie hatte es per "Facebook"-Formular getan und dort vergessen, zwei kleine Häkchen zu entfernen. So war ihre geplante Feier nun der "ganzen Welt" zugänglich. Als sich dann schließlich 16.000 "Freunde" bei ihr angemeldet hatten, wurde es der armen Thessa doch etwas mulmig, und sie flüchtete an einen einsamen Ort. Tatsächlich sollen sich dann immerhin noch 6000 "Freunde" vor ihrem Haus versammelt haben.

Wir wissen jetzt, was am "sozialen Netzwerk" so sozial ist: Einsame und Ängstliche finden Freundschaften, nach denen sie lange vergeblich gesucht hatten. Handelt es sich um echte Freunde? Wenigstens lassen sich das die meisten von den Meinungsmachern einreden!

Auch ich wurde per E-Mail schon zu "Facebook"-Foren eingeladen. Ich habe nie darauf geantwortet und die E-Mails sofort wieder gelöscht, weil ihnen ja ein von "Facebook" herausgegebener "Trojaner" angehängt worden sein könnte, um meinem Rechner oder meinem Konto zu schaden.

Man muß die "Philosophie" solcher Netzwerke wie "Facebook" ernsthaft hinterfragen. Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß immer mehr Menschen physisch und psychisch fertiggemacht werden, weil sie durch eine Unmenge oft sogar unbezahlter Überstunden dem alltäglichen Arbeitsdruck nicht mehr standhalten können. Für sie hat man das neudeutsche Wort "Burnout" - ausgebrannt - erfunden. Das klingt sympathischer als ausgelaugt oder ausgesaugt. Überdies schafft man so "amerikanische Verhältnisse".

Immerhin hat in den USA jeder Dritte "seinen" Anwalt und "seinen" Psychiater! Auch dem eifrigsten Konzerndiener wird irgendwann klar, daß er wie eine Zitrone ausgequetscht wird und bei Unterbezahlung nur deshalb noch arbeiten geht, weil er sich und seine Familie ernähren muß. Und dann sind da jene Hartz-IV-Empfänger, welche nicht mehr aufbegehren und jede Hoffnung verloren haben, sich noch einmal als mit anderen Gleichberechtigte etablieren zu können. Den Meinungsdompteuren der Bourgeoisie ist längst klargeworden, daß gerade auch Menschen ohne viel Geld nach Spaß und Ablenkung suchen. "Have Fun!", empfehlen sie: "Habt Spaß!" Westernstädtchen, Ritterturniere und Preisausschreiben, die Bundesliga mit ihren millionenschweren Fußballprofis - sie alle sorgen dafür. Idole sind nach kapitalistischen Denkmustern Multimilliardäre wie Bill Gates oder Mark Zuckerberg.

Und dann gibt es noch die "Rundum-Sorglos-Pakete". Typisch ist deren Geschlechtsspezifik: Männer bekommen es, wenn sie ein neues Auto kaufen, Frauen bei der Anmeldung zum "Wellness". Jede Frau sei eine "Diva", sagt die Werbung. Jungen Leuten eröffnet sich in dieser "Spaßgesellschaft" ein weites Feld: Mädchen könnten fürs TV zu singen versuchen, Jungs machen Musik, reiche Eltern vorausgesetzt. Arme Jungs können bei "Facebook" immerhin kundtun: "Ich habe arme Eltern. Deshalb konnte ich zwar keine Musik machen, mir im Radio aber einen Musikwunsch erfüllen! Gut, daß ich das den Freunden mitteilen kann! Aber krieg' ich dadurch auch neue Freunde? Arm ist so uncool!"

Noch einmal: Sollte sich auch der "RotFuchs" bei "Facebook" registrieren?

Ich rate dringend davon ab! Allein aus Solidarität mit jenen ungezählten jungen Leuten, die bewußt oder unbewußt in den Medien dieses Landes vorgeführt und mißbraucht werden. Ihnen steht niemand - trotz Tausender und Abertausender vermeintlicher Freunde - wirklich bei, wenn es um Grundfragen ihrer Existenzsicherung in der realen Welt des BRD-Kapitalismus geht.

Sylvia Feldbinder, Berlin

Unsere Autorin ist für die Internet-Präsentation des RF verantwortlich.

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Geheimdienste schöpfen ab

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Die Geisterstadt in der Letzlinger Heide
Wie die Bundeswehr den Häuserkampf im City-Dschungel übt

Schnöggersburg ist ein nichtssagender Altmark-Ort in der Colbitz-Letzlinger Heide im Osten Deutschlands. Das alte Dorf wurde 1934 im Rahmen der zielgerichteten Vorbereitung Nazideutschlands auf den Zweiten Weltkrieg abgerissen. Dort entstand einer der größten Truppenübungsplätze der faschistischen Wehrmacht - der vor allem zur Erprobung neuester, durch die deutsche Rüstungsindustrie im Auftrag des Reichskriegsministeriums hergestellter Waffentypen diente. Damals übernahm der Rüstungskonzern Rheinmetall - wie bereits im Vorfeld des Ersten Weltkrieges - die Vorreiterrolle bei der Entwicklung und Erprobung neuer Systeme. Mit Sitz in Düsseldorf, hat das Unternehmen seine Schlüsselrolle auf diesem Gebiet weiter gefestigt und sich zu einem weltweit operierenden, enorme Profite einfahrenden BRD-Waffenlieferanten entwickelt. Der Konzern beabsichtigt, seinen Automobilbereich abzustoßen, um sich voll und ganz auf die Herstellung und den Handel mit Kriegsgerät zu konzentrieren. Derzeit baut Rheinmetall in Algerien eine Panzerfabrik. Seine Rüstungsexporte in Spannungsgebiete sind allgemein bekannt. Echte oder auch nur geheuchelte Proteste machen auf die Konzernbosse keinen Eindruck. Was zählt, ist allein der Profit.

Der eingangs genannte Truppenübungsplatz soll nach Angaben der Bundeswehr jährlich bis zu 25.000 Soldaten auf Kriegseinsätze jenseits der BRD-Grenzen vorbereiten und "zum größten Zentrum in Europa" ausgeweitet werden. Erbauer und Betreiber des riesigen Areals ist - wen wundert's - einmal mehr Rheinmetall.

Nach Medienberichten will das Bundesverteidigungsministerium bis zu 100 Millionen Euro investieren und in Schnöggersburg eine komplette Übungsstadt mit mehr als 500 Gebäuden errichten. Hier soll der Krieg im "urbanen Gelände" geplant, vorbereitet und geprobt werden, wobei bereits ein ähnlicher Komplex für Übungen dieser Art existiert. Er trägt die Bezeichnung Stullenstadt. Berichten zufolge befindet sich dort das Gefechtsübungszentrum Heer der Bundeswehr. Hier will man die Soldaten speziell auf "asymmetrische Kriegsführung im städtischen Milieu" sowie auf das Reagieren bei plötzlichen Angriffen oder Rebellionen vorbereiten. Die an den Manövern teilnehmenden Einheiten werden mit speziellen Systemen für ihre Waffen ausgestattet. Überdies sind in der gesamten Anlage Kameras stationiert. Mobile Teams filmen die wichtigsten "Kampfhandlungen" und machen so eine umfassende Auswertung sämtlicher Aktivitäten möglich. Die Anlage gilt als weltweit modernste und größte Europas. Vergleichbare Konstellationen verwendet nur die U.S. Army zur Vorbereitung ihrer Kriegseinsätze. Aus vorliegenden Informationen ist ersichtlich, daß die Aufstandsbekämpfung im urbanen Milieu den Schwerpunkt der Ausbildung darstellt.

Ein Rheinmetall-Sprecher erklärte in diesem Zusammenhang: "Hier üben die Soldaten in Verbänden bis zur Bataillonsstärke. Es handelt sich um eine Mischung aus realem Manöver und IT-gestützter Live-Simulation, die Panzerabwehr, den Häuserkampf und das Verhalten gegenüber aufgebrachten Menschenmengen umfaßt."

Besonders die zuletzt genannte Situation spricht Bände, zieht man in Betracht, daß etliche Großstädte in verschiedenen Ländern zum Schauplatz von Aufständen gegen soziale Mißstände und Verelendung geworden sind. Hierzu kann man durchaus auch die "Occupy"-Bewegung zählen, auch wenn deren Zielstellungen begrenzt sind. Doch was wäre die Rüstungsindustrie ohne Politiker, die entsprechende Zielvorgaben liefern und so die "Profiterwirtschaftung" der Konzerne absichern!

Bereits 2004 begann die größte Umstrukturierung in der Geschichte der Bundeswehr: Weg von der Landesverteidigung, hin zu einer weltweit einsetzbaren Interventionstruppe. Nicht von ungefähr heißt es in dem 2008 durch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorgelegten Papier "Sicherheitsstrategie für Deutschland": "Die Herstellung von Energiesicherheit und Rohstoffversorgung kann auch den Einsatz militärischer Mittel notwendig machen, z. B. zur Sicherung von anfälligen Seehandelswegen oder von Infrastruktur wie Häfen, Pipelines, Förderanlagen etc."

In diesem Zusammenhang ist auch die forcierte Osterweiterung von EU und NATO zu betrachten. Die Ukraine, Belarus und andere frühere Sowjetrepubliken werden gedrängt, sich der westlichen "Wertegemeinschaft" anzuschließen, wobei man alle Register zieht. Nicht zufällig verwies erst kürzlich der Vertreter eines führenden Rüstungsunternehmens der BRD auf ein hier "schlummerndes Potential" für Waffenexporte aller Art.

Wie pervers müssen Menschen denken, die zwar als unabhängige Politiker oder Parlamentarier gelten wollen, aber ohne Zögern bereit sind, sich den Vorgaben der Rüstungslieferanten unterzuordnen. Sie sind offensichtlich sehr stolz darauf, daß sich die Bundesrepublik nach zwei "verpaßten Gelegenheiten" - des kaiserlichen und des faschistischen Deutschland - wieder zu einer veritablen imperialistischen Großmacht entwickelt hat, die mit wirtschaftlichen wie mit militärischen Mitteln Kriege zu führen in der Lage ist, ohne dabei auf völkerrechtliches "Dekor" Rücksicht nehmen zu müssen.

Dietmar Hänel, Flöha

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Seine Waffe war die Feder
Ein Name gibt Kraft in Zeiten der Niederlage: John Sieg

John (eigentlich Johann) Siegs Großeltern und Eltern waren der Not in der deutschen Hungerprovinz Westpreußen entflohen und Ende des 19. Jahrhunderts nach Nordamerika ausgewandert. In Detroit hatten sie Arbeit gefunden, der Vater als Mechaniker, die Mutter als Pflegerin. Hier kam John am 3. Februar 1903 zur Welt. Neun Jahre später, nach dem Tod des Vaters, beschloß sein Großvater, den Enkel die einstige Heimat kennenlernen zu lassen. Im westpreußischen Schlochau besuchte der Junge die Volksschule. Der Erste Weltkrieg verhinderte dann eine Rückkehr in die USA.

Bei Kriegsende aus der Volksschule entlassen, nahm John ein Studium an der Lehrerbildungsanstalt auf. Als sein Großvater 1923 starb, mußte er die Ausbildung abbrechen und nach Detroit zurückkehren. Ihn begleitete nun eine junge Frau, Sophie Wloszczynski, die ihm nicht nur den Zugang zur Literatur und klassischen Musik öffnete, sondern ihn auch mit sozialistischem Gedankengut vertraut machte. Am 30. Mai 1928 heirateten sie.

Seinen Lebensunterhalt verdiente John Sieg in Detroit als Bauarbeiter auf Wolkenkratzern sowie an den Fließbändern der großen Autofabriken des Mittelwestens. Meist arbeitete er in Nachtschichten, um tagsüber am College sein Wissen in Philosophie, Philologie und Pädagogik zu erweitern. Zugleich studierte er aufmerksam die sozialen Bedingungen seiner amerikanischen Kollegen und riet ihnen, sich gegen Arbeitshetze und Ausbeutung zur Wehr zu setzen. Das brachte ihm bei Ford die fristlose Kündigung ein. 1928 kehrten die Siegs nach Deutschland zurück und ließen sich in Berlin nieder.

Hatte John bereits in den USA damit begonnen, seine Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Arbeitswelt niederzuschreiben, so nahm er nun eine journalistisch-schriftstellerische Tätigkeit auf. Erste Arbeiten und die Erzählung "Südliche Wanderung" erschienen in verschiedenen Blättern, hauptsächlich jedoch in der durch Adam Kuckhoff geleiteten Zeitschrift "Die Tat".

Dadurch fiel er Hermann Grosse, einem verantwortlichen Redakteur der "Roten Fahne", auf. Dieser bot ihm an, fortan für das Zentralorgan der KPD zu schreiben, zunächst als freier Mitarbeiter, dann als Feuilletonredakteur. Inzwischen Mitglied der Partei und der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) geworden, veröffentlichte er seine zahlreichen Reportagen und Erzählungen unter dem Pseudonym "Siegfried Nebel". John Sieg trat dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands bei und engagierte sich besonders für die Literaturpropaganda. Bei der sofort nach der Machtauslieferung an die Hitlerfaschisten einsetzenden Jagd auf Kommunisten wurde John Sieg im März 1933 festgenommen. In mehreren Gefängnissen, zuletzt in Plötzensee, erfuhr er die ganze Brutalität der braunen Banditen am eigenen Leib. Ein Angebot, für deren Zeitungen zu schreiben, lehnte er strikt ab.

Unmittelbar nach seiner Freilassung baute er trotz scharfer Überwachung in Berlin-Neukölln eine illegale Parteizelle auf, die in der Wohnung des Ehepaars Sieg regelmäßig tagte. Im Laufe der Zeit stellten er und seine Genossen Verbindungen zu Antifaschisten in Betrieben wie der AEG, der Bewag-AG, der Asbestzement "Eternit"-AG, der Lederfabrik Blankenfelde, der Alkett-GmbH sowie bei Hasse & Wrede her. Es entwickelten sich mit der Zeit Kontakte auch zu anderen kommunistischen Widerstandsgruppen um Robert Uhrig, Anton Saefkow, Wilhelm Guddorf und Herbert Baum. Zugleich hielt John Sieg weiter Verbindung mit Adam Kuckhoff und Arvid Harnack.

Nach langer Arbeitslosigkeit verschafften ihm Freunde eine Stelle bei der Reichsbahn. Im März 1937 begann er als Güterbodenarbeiter auf dem Stettiner Bahnhof, qualifizierte sich zum Fahrkartenverkäufer, dann zum Reichsbahnassistenten, schließlich zum Weichenmeister, Aufsichtsbeamten und Fahrdienstleiter auf dem Bahnhof Tempelhof. Auch dort tat er alles, um den Nazis Schaden zuzufügen. Er dirigierte Transporte, besonders der Wehrmacht, auf falsche Gleise oder ließ sie stundenlang auf verstopften Strecken warten. Bei Dienstreisen traf er sich mit Gleichgesinnten, so in Hamburg und Frankfurt/Main. Mit Ausbruch des Krieges intensivierte die Gruppe ihren Widerstand gegen die Faschisten. In zahlreichen Flugblättern - überwiegend von John Sieg verfaßt - wandte sie sich nicht nur an deutsche Klassengenossen, sondern auch an ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Mehrere Texte erschienen in französischer, polnischer, italienischer und russischer Sprache. Die Empfänger wurden aufgefordert, "... alles zu tun, um die Kriegsproduktion zu behindern und den Gang der Hitlerschen Kriegsmaschine zu lähmen".

Mitte Mai 1941 begannen John Sieg und Wilhelm Guddorf im Zusammenwirken mit Herbert Grasse, Otto Dietrich sowie Max und Otto Grabowski eine Zeitschrift herzustellen, die sie "Die innere Front" nannten. Sie erarbeiteten und druckten das Heft, von dem bis zu Siegs Verhaftung 16 Ausgaben erschienen. Darüber hinaus schrieb der rote Eisenbahner weitere Texte, so die "Offenen Briefe an die Ostfront", in denen er die Untaten der faschistischen Wehrmacht, der SS und der Polizei in den überfallenen Ländern entlarvte. Dieses Material wurde als unfrankierte Feldpost an Soldaten und Offiziere versandt. Von besonderer Bedeutung war eine 22 Seiten umfassende Schrift, in der John Sieg kurz nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion das Kräfteverhältnis zwischen der UdSSR und Nazideutschland sowie die politische und militärische Situation exakt analysierte. Vorausschauend schrieb er: "Schließt die Reihen enger, Genossen! Der Sieg wird unser sein!" Einige Monate später betonte er in der "Inneren Front": "... der Heroismus der Roten Armee, der Widerstand der Werktätigen der Sowjetunion haben der Armee Hitlers das Rückgrat gebrochen, die unvermeidliche Niederlage vorbereitet".

1941 erweiterte John Sieg seine Partnerschaft mit Adam Kuckhoff und Arvid Harnack. Beide gehörten mit Oberleutnant Harro Schulze-Boysen vom Reichsluftfahrtministerium zur Führung einer Widerstands- und Kundschafterorganisation, die nicht nur weit verzweigt war, sondern auch eine Vielzahl von Frauen und Männern aus den verschiedensten Gesellschaftskreisen vereinte. Kommunisten wie Hans Coppi, Wilhelm Guddorf, Walter Husemann und von da an auch John Sieg waren Teil dieser Organisation, die von den Nazis als "Rote Kapelle" bezeichnet wurde. Auch für sie schrieb der proletarische Journalist mehrere Beiträge, während Schulze-Boysen, Kuckhoff und Harnack ihrerseits Texte für "Die innere Front" verfaßten.

Am 11. Oktober 1942 verhafteten Gestapoleute John Sieg auf dem Bahnhof Tempelhof. Fünf Tage lang folterten sie ihn in der Prinz-Albrecht-Straße, wo sich ihr Hauptquartier befand. Am 15. Oktober ging er in den Freitod, nicht zuletzt, um seinen ebenfalls verhafteten Genossen das Leben zu retten.

Günter Freyer

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Wie der Großvater wirklich war
Ein Enkel deckt furchtlos die Wahrheit auf

Unlängst brachte der Donat-Verlag ein in seiner Art vielleicht einzigartiges Buch heraus: "Mein Großvater im Krieg 1939-1945" von Moritz Pfeiffer.

Ein Enkel liebt seinen Opa, blickt zu ihm auf, läßt sich aus seinem Leben berichten und möchte eigentlich nur Gutes über ihn erzählen. Hierzu schreibt ein junger Historiker sogar seine Magisterarbeit. Was aber, wenn er dabei auf Vorgänge und Verhaltensweisen stößt, die so gar nicht in sein Bild vom Großvater passen?

Der Älteste unserer Enkel wurde 1982 geboren - im Geburtsjahr des Autors. Sein Opa - ich - war 1939, als "Großdeutschland" den Krieg vom Zaun brach, gerade fünf und als die Sowjetsoldaten die rote Fahne auf der Kuppel des Reichstags hißten noch nicht einmal elf. Mein Vater war im Kampf gegen Hitlers, Mussolinis und Francos Faschisten in Spanien gefallen, mein Großvater wurde 1933 von SA-Banditen in Berlin zusammengeschlagen. So geriet ich nie in die Situation, recherchieren zu müssen, wie sie sich damals wohl verhalten haben. Da ich aber Menschen kenne, die viel dafür geben würden, ihre Vorfahren uneingeschränkt als Vorbilder betrachten zu können, verstehe ich Moritz Pfeiffer, der bei Prüfung des tatsächlich Geschehenen erkennen mußte, daß sein Großvater an Nazi-Verbrechen aktiv beteiligt war. Was seine Analyse für uns bedeutsam macht, ist die Frage, wie es den braunen Banditen gelang, Millionen Deutsche, die von Natur aus keineswegs Sadisten waren, zu willigen Akteuren in ihren Mörderbanden zu machen.

Pfeiffer vergleicht die Aussagen seines Großvaters mit den geschichtlichen Tatsachen, die er aus Archiven und zeitgeschichtlichen Quellen erfahren hat und nennt ihn dann ein "mit ausführendes Organ eines Vernichtungskrieges und Genozids unvorstellbaren Ausmaßes". Er analysiert die Mechanismen von "Erinnern, Vergessen und Verdrängen". Schätzungen gehen davon aus, daß 20 bis 25 Millionen Deutsche vom "Holocaust" wußten und mindestens 200.000 zu den mittel- oder unmittelbaren Tätern zählten.

Aus einem Möbelhändler, dem Schwiegersohn eines Chemie-Großisten, der von Kind an nur Obrigkeitsdenken und strengen Gehorsam kannte und gegen jede "Systemkritik" immunisiert war, wurde ein Profiteur "arisierten" jüdischen Eigentums, Nutznießer der Ressourcen von der Hitler-Wehrmacht besetzter Länder und der Ausbeutung von Zwangsarbeitern.

Eine wichtige Erkenntnis seines Historiker-Enkels: Die Nazi-Herrschaft war kein "Betriebsunfall" der Geschichte, sondern vorgeprägt durch deutsches Weltmachtstreben, Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus.

In der Hitlerjugend war der Großvater Fähnleinführer (und die Oma Ranghöchste unter den BDM-Mädchen am Ort); er hatte den Wunsch, sich zum Offizier hochzudienen. Schon in der Schule verprügelten sie einen jüdischen Klassenkameraden, weil der ein rotes Halstuch trug, also "Kommunist" war. Schilder mit der Aufschrift "Für Hunde und Juden verboten" gehörten zur Normalität. "Die Zeit war eben so ..." Daß die SS gegen Andersdenkende "rücksichtslos vorging", habe man zwar vermutet, aber nicht gewußt.

Nach 1945 hatte der Großvater vieles "verdrängt", manches haftete in seiner Erinnerung, war aber "nicht erzählbar", so die Ermordung von fast 34.000 Juden im ukrainischen Babi Jar oder der Kindermord von Bjelaja Zerkow ... Vom deutschen Soldaten war "Verständnis" für "die harte, aber gerechte Sühne am jüdischen Untermenschentum" verlangt worden. Briefe von der Front bezeugen das Festhalten des Großvaters an Hitlers Kriegszielen. Das war keine "erzwungene Zustimmung", er war vielmehr zutiefst "in den Repressionen der Diktatur gefangen", wie Pfeiffer es ausdrückt. "Wer nicht dafür war, das war ein Gegner, der kam dann irgendwohin ..."

Zwar erfuhr er mit der Stalingrader Schlacht einen traumatischen Schock, ohne auch nur zu einem Schimmer von Schuldbewußtsein zu gelangen. Schließlich wurde Hitler vorgeworfen, den Krieg verloren, nicht aber, ihn begonnen zu haben! Nun betrachteten sich die Großeltern nicht als Täter, sondern als Opfer. Sie empörten sich über die "alliierte Kriegsführung", ganz im Gegensatz zum "korrekten" Verhalten der deutschen Wehrmacht! Und da gibt es noch einen Onkel, Opas Bruder. Der meldete sich freiwillig zur Waffen-SS und hatte in Polen "Aufgaben zu erfüllen, die über rein soldatische Pflichten hinausgingen" - auch in Auschwitz. Im Unterschied zu Bundespräsident Gauck, der wohl von seiner nazitreuen Verwandschaft stark geprägt wurde, ist aus Moritz Pfeiffer kein wütender Kommunistenhasser geworden. Offensichtlich bemüht, den Wurzeln der Manipulation großer Teile des deutschen Volkes durch faschistische Ideologie nachzugehen, stößt er indes nicht bis zur Beantwortung der Frage vor, in wessen Interesse diese erfolgt ist. Er provoziert zwar die Frage: Wie würdest du dich an Stelle des Großvaters verhalten haben, verweist jedoch nicht auf die Alternative - den dokumentierten Widerstand ungezählter bekannter und unbekannter antifaschistischer Helden.

Seine Aktualität erlangt das Buch angesichts der Bestrebungen rühriger Geschichtsrevisionisten, die deutsche Schuld am II. Weltkrieg zu leugnen, die Enttarnung seiner Verursacher und Nutznießer zu verhindern. Denen ist in der BRD niemals das Handwerk gelegt worden, und ihre Nachfolger bereiten sich kriegslüstern wie eh und je mit alten Inhalten auf neue Kriege vor.

Um die Gegenwart zu durchleuchten und die Menschheit vor künftigen Schrecken zu bewahren, ist ein sachliches Ergründen vergangenen Geschehens von höchster Aktualität. Moritz Pfeiffer hat dazu beigetragen.

Dr. Ernst Heinz


Moritz Pfeiffer: Mein Großvater im Krieg 1939-1945. Erinnerungen und Fakten im Vergleich. Band 18 der Schriftenreihe Geschichte und Frieden. Donat-Verlag, Bremen 2012. 216 Seiten, 46 Abbildungen, 14,80 Euro. ISBN 978-3-943425-02-4


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Ukraine 1942 - Dieses Foto wollte ein Wehrmachtssoldat nach Hause schicken ...

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In tausend Sätteln und an vielen Fronten: Widerstandsheld Ditmar Danelius

Obwohl es Zehntausende kommunistische und sozialdemokratische Widerstandskämpfer gegen den Faschismus gab, wurde diese Tatsache durch die in der BRD tonangebenden Politiker und Medien entweder bewußt verschwiegen oder nur äußerst zögerlich eingeräumt. Für sie existierten nur die Offiziere um den zweifellos mutigen Grafen Stauffenberg, die Hitler zwar beseitigen wollten, aber dem Naziregime und seiner Kriegsführung zuvor aktiv gedient hatten. Ihr Ziel war es, in Absprache mit den westlichen Alliierten und vor einem Einmarsch der Roten Armee den Krieg zu beenden, nicht aber die Verhältnisse zu überwinden, die den Faschismus hervorgebracht hatten. Das schrieben sich andere auf ihre Fahnen. Zu ihnen gehörte Ditmar Danelius.

Ditti, wie ihn seine Freunde nannten, war ein überzeugter Kommunist und Internationalist, der mehr als zehn Jahre in Frankreich und Algerien gegen den Faschismus und die französischen Kolonialisten gekämpft hat.

Als Sohn jüdischer Arbeiter lernte er schon als Kind soziale Not kennen. Gemeinsam mit seinem Bruder Gerhard, der viele Jahre später Vorsitzender der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW) wurde, mußte er die Familie ernähren.

1928 wurde Ditmar Mitglied des Bundes der Freunde der Sowjetunion. Im selben Jahr trat er dem Rotfrontkämpferbund (RFB) bei, der ihn mit Schutzaufgaben betraute - so auch bei jener legendären Veranstaltung im Saalbau Friedrichshain, als Walter Ulbricht dem Faschisten Goebbels Paroli bot.

1931 trat Ditti der KPD bei. Nach dem Machtantritt der Faschisten mußte er erleben, wie ein weitläufiger Verwandter, ein 17jähriger Jungkommunist, grausam zu Tode gefoltert wurde und die Nazis den Zinksarg der Familie mit den Worten übergaben: "Hier habt ihr euer Kommunistenschwein." Damals wurden Ditmar und Gerhard zum ersten Mal verhaftet, konnten aber ihren Peinigern entkommen.

Über Holland begaben sie sich nach Paris, wo sie sich mit Straßenmusik durchschlugen. Während Gerhard auf Beschluß der Partei nach Berlin zurückkehrte und sich dort der Anton-Saefkow-Gruppe anschloß, blieb Ditti in Paris zurück. 1936 ging er im Auftrag der FKP nach Algerien, um in deren Sektion Oran politisch zu arbeiten. Als FKP-Generalsekretär Maurice Thorez drei Jahre später nach Oran kam, um dort zur Algerienpolitik der Partei zu sprechen, organisierte Ditti diese Veranstaltung.

Einen Tag vor Frankreichs und Englands Kriegserklärung an Hitlerdeutschland wurde er erneut festgenommen. Diesmal als Deutscher. Er verbrachte einige Monate im Zivilgefängnis von Oran und wurde dann zur Schwerstarbeit in das Internierungslager Boghar überführt. Im Juni 1940 entkam er knapp der drohenden Abschiebung nach Nazi-Deutschland. Vier Monate später gelang ihm die Flucht nach Algier, wo er Org.-Sekretär der illegalen KP Algeriens wurde. Im Juni 1941 erfolgte Dittis dritte Verhaftung. Auf dem Polizeipräsidium wurde er tagelang schlimmster Folterung unterworfen. Schließlich überführte man ihn in das Militärgefängnis von Algier. Dort hielt man ihn bis zu seinem Prozeß Ende März 1942 in Einzelhaft. Unter den 61 vor Gericht Gestellten war er der einzige Deutsche. Die Anklage lautete auf Hochverrat, Verletzung der Sicherheit des französischen Territoriums und Agententätigkeit für Moskau. Sechs Genossen, darunter Ditti, verurteilte man zum Tode. Nach etwa vier Monaten wurde die Strafe im Berufungsverfahren in lebenslängliche Haft umgewandelt.

Nach der Landung der Alliierten im November 1942 hofften die politischen Gefangenen auf ihre baldige Befreiung. Doch erst im Juli wurden Ditti und seine Genossen aus der Haft entlassen. Die KP Algeriens beauftragte ihn mit der Leitung des Büros ihres Sekretariats. Während der Vorbereitung des Nationalkongresses der Partei lernte Ditti im August 1943 seine spätere Frau Lucetta kennen. Im Juli 1945 heirateten beide.

Als am 8. Mai 1945 der Sieg über den Faschismus gefeiert wurde, richtete die französische Kolonialarmee in Algerien ein furchtbares Blutbad an (siehe auch RF 174, S. 20). - Erst 1947 erfuhr Ditti, daß niemand aus seiner 30köpfigen Verwandtschaft - außer Gerhard, der in Nazideutschland illegal tätig gewesen war - den Faschismus überlebt hatte. Sie waren ausnahmslos vergast worden.

Ditti entschloß sich dennoch, nach Deutschland zurückzukehren. Mit Unterstützung der FKP fuhr er im Februar 1948 als Matrose auf einem Passagierschiff nach Marseille. Von dort aus begab er sich nach Paris, um drei Wochen später unter falschem Namen und mit gefälschten Papieren - als französischer Offizier getarnt - über die westlichen Besatzungszonen nach Berlin zu reisen.

Nur zwei Tage nach seiner Ankunft meldete sich Ditti beim Parteivorstand der SED. Er wurde sofort wieder politisch aktiv. Zunächst war er in der Berliner Bezirksleitung für Parteiinformation verantwortlich.

Später wurde er Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in der Stadt. 1953 wählte man Ditti zum Parteisekretär des Berliner Magistrats. Nach dem Besuch der Parteischule wurde er Sekretär des Bezirksvorstandes der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Das blieb er bis 1990.

Ich hatte das Glück, mit Ditti in einer Parteiorganisation zu sein. Er war ein bescheidener, zutiefst überzeugter und sehr menschlich handelnder Genosse, der nie über seine bewegte Biographie große Worte machte. Ich betrachtete ihn als Vorbild.

Im letzten Lebensjahr entschloß sich Ditti, einiges über sich und Lucetta aufzuschreiben. Doch das Buch wurde leider nicht mehr fertig. Kurz vor seinem Tode übergab er mir ein Manuskript, das diesem Beitrag zugrunde liegt. Er schrieb dazu nur neun Worte: "Lieber Günther! So war mein Leben ... Dein Genosse Ditti."

Günther Bartsch, Berlin


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Zum 75. Geburtstag von Ditmar Danelius, neben ihm seine Frau Lucetta, gratulierten ihm u. a. Prof. Günter Feudel, Vorsitzender des Bezirksvorstandes der DSF Berlin (r.), und der Autor (l.).

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Ein Kenner gibt Auskunft
Warum das DDR-Justizsystem vorbildlich war

Wer hierzulande 30 Jahre alt ist, hat nur das Justizsystem der BRD bewußt kennengelernt und geht in der Regel davon aus, daß alles "rechtens" sei. Daß es auf deutschem Boden bis zum Ende der 80er Jahre auch eine völlig andere Justiz gegeben hat, besitzt für Menschen dieser Generation keine Relevanz. Sie leben hier und heute, entweder im Anschlußgebiet - der früheren DDR - oder in den alten Bundesländern, deren Rechtsordnung im Zuge der Annexion auf den Osten übertragen wurde.

In seinem neuen Buch, das dieser Problematik gewidmet ist, entwickelt Erich Buchholz die These, das Justizsystem der DDR sei nicht nur verglichen mit dem der BRD das bessere, sondern auch das beste gewesen, das es je in Deutschland gegeben habe.

Diese Behauptung eines ausgewiesenen Kenners sowohl des Rechts der DDR als auch der Normen der alten wie der erweiterten BRD weckt Neugier auf dessen Beweisführung.

Aber die Antwort auf die Frage nach dem "Gut" oder "Besser" dürfte nicht jedermanns Sache sein.

Ist in den Augen der meisten Menschen nicht Justiz gleich Justiz? Hier wie dort gab und gibt es Staatsanwälte, Richter und Vollzugsbeamte. Was soll denn da besser oder schlechter sein?

Erich Buchholz untersucht alle Bereiche der Justizsysteme beider deutscher Staaten - von der ordentlichen Gerichtsbarkeit über die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln bis zur Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen. Dabei wird seine Arbeit besonders in ihrem ersten Teil zu einem wahrhaftigen Lehrbuch über die Justiz der BRD. Es dient somit als Wegweiser durch den Dschungel der Instanzen mit den verschiedenen, manchmal schwer abzugrenzenden Zuständigkeiten der Verwaltungs-, der Sozial-, der Arbeits- und der Finanzgerichte.

Im ersten Teil seines Werkes gibt der namhafte Berliner Strafrechtler umfassend Auskunft. Er behandelt auch die Rolle der Rechtsanwälte. Sie sind in der BRD die notwendigen "Transmitter" für den Rechtsuchenden. Nur mit ihrer Hilfe vermag er bei den verschiedenen Institutionen der Justiz anzudocken. Und auch dann muß er weiter auf sie vertrauen, denn vor Gericht hat er als Rechtsunkundiger keine Chance. In vielen Fällen besteht sogar Anwaltszwang.

Es zeigt sich, daß das Verhältnis der Menschen zum jeweiligen Justizsystem und die Möglichkeiten der Handhabung des Rechts entscheidende Gradmesser für die Beurteilung seiner Qualität sind. Das erfuhren die früheren DDR-Bürger schon unmittelbar nach dem 3. Oktober 1990. Wollten sie, "nachdem ihnen eine Klage, ein Mahn- oder Vollstreckungsbescheid oder ähnliches ins Haus geflattert war, entsprechende Rechtsauskunft einholen, wurde ihnen die Tür gewiesen: Rechtsauskünfte gibt es hier nicht mehr! Suchen Sie sich einen Anwalt!"

Die unentgeltliche Rechtsauskunft bei den Kreisgerichten - in der DDR eine Selbstverständlichkeit - war buchstäblich über Nacht weggefallen. Was nun über die daran Gewöhnten hereinbrach, war die unübersichtliche, für den einzelnen schwer zu überblickende Justizstruktur. Sie trat anstelle des Kreisgerichts mit seiner einfachen, leicht zu erfassenden Zuständigkeit.

Doch auch in einem Strafverfahren erleben die Betroffenen im Landesosten, daß das "neue" Justizsystem für sie viele Nachteile birgt, also das schlechtere ist. Besonders übel wirken sich für sie die endlos langen Bearbeitungsfristen aus. In der DDR wurden diese gesetzlich festgelegt, was in bundesdeutschen Prozeßordnungen nicht vorgesehen ist.

Erich Buchholz zeigt anhand vieler Beispiele, wie das Justizwesen der DDR aufs engste mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit verknüpft war. So wurden z. B. die Strafverfolgungsbehörden gesetzlich verpflichtet, die Wahrheit zu ergründen und festzustellen. "Sich erklärtermaßen mit Wahrscheinlichkeit zu begnügen, war in der DDR völlig ausgeschlossen."

Vorschriften über eine sogenannte Verständigung im Strafverfahren, wie sie die Strafprozeßordnung der BRD vorsieht, gab es in der DDR nicht. Die Feststellung der Wahrheit war nicht Verhandlungsgegenstand zwischen den Prozeßparteien.

In der DDR bezog sich die Verpflichtung zu deren Ermittlung indes auch auf die Aufklärung der Ursachen und Bedingungen einer Straftat. Eine solche Feststellung wäre in einer bundesdeutschen Prozeßordnung völlig illusorisch.

Die Darlegung solcher Beispiele durch Erich Buchholz und seine Ausführungen zu grundsätzlichen Charakteristika der Rechtspflege in der DDR, zu spezifischen Prozeßprinzipien und Beweisfragen bei der Wahrheitsfeststellung, zur Jugendgerichtsbarkeit und vielen weiteren Aspekten der Struktur und Wirkungsweise des Justizsystems der DDR machen auf heutige Leser den Eindruck, als entstammten sie einem Kapitel aus dem Buch "Utopia". Diese Welt der Zukunft existierte bereits, doch ist sie inzwischen leider Vergangenheit. Sie wurde zerstört und ist seit der Niederlage des Sozialismus in Europa konsequent delegitimiert worden.

Jüngere Menschen werden diesen Teil der Arbeit von Erich Buchholz mit Neugier zur Kenntnis nehmen und erstaunt feststellen, was es in Deutschland schon einmal auf dem Gebiet der Justiz und angrenzender gesellschaftlicher Bereiche gegeben hat.

Der Autor beweist, daß das Justizgefüge eines Staates nicht ein neutrales, aus sich selbst heraus zu erklärendes System ist, sondern daß es seinem Wesen nach und in all seinen Facetten vom Charakter des Staates und der Gesellschaftsordnung bestimmt wird.

So ist es nicht verwunderlich, daß das Justizsystem der alten und der durch Annexion erweiterten BRD dem des Kaiserreiches und zum Teil auch dem der Nazizeit weitaus ähnlicher ist als dem der DDR. Das liegt auf der Hand, befindet sich doch im imperialistischen deutschen Staat die eigentliche Entscheidungsgewalt in den Händen der Banken und des Großkapitals. Dem Auftrag, dessen Verwertungsbedingungen maximal abzusichern, ist alle staatliche Tätigkeit - auch die der Justiz - untergeordnet.

Dort aber, wo die Macht dieser Minorität gebrochen war, galten andere soziale Maßstäbe. Es ging vor allem um den Erhalt und die Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums im Interesse der Allgemeinheit. Das widerspiegelte sich auch im Justizwesen des Staates DDR.

So wie ihre Gesellschaftsordnung die beste war, die es jemals in Deutschland gegeben hat, so war auch die Rechtspflege dieses Staates im historischen Sinne die überlegene.

Dr. jur. Günter Herzog, Potsdam


Erich Buchholz: Das DDR-Justizsystem, das beste je in Deutschland? Verlag Wiljo Heinen, Berlin 2012, 398 Seiten, 18,- €, ISBN 978-3-93982-94-5

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RF-Extra
Verpaßte Chance?
Vor 60 Jahren wies der Westen das spektakuläre Angebot der "Stalin-Note" zurück

Es fällt schon auf, wenn sich die systemkonformen Medien hierzulande die Gelegenheit entgehen lassen, ein Datum von historischer Relevanz als willkommenen Anlaß für antikommunistische Exzesse zu nehmen. In diesem Jahr verfielen sie in eine sonst unübliche Schweigsamkeit. Selbst ideologische Leitblätter der deutschen Bourgeoisie wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und die "Süddeutsche Zeitung" widmeten in ihren voluminösen Ausgaben vom zweiten Märzwochenende einem Dokument keine einzige Zeile, das vor sechs Jahrzehnten für erhebliches Aufsehen gesorgt hatte: der sogenannten Stalin-Note vom 10. März 1952.

Mit dieser diplomatischen Initiative wandte sich Moskau an die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs und plädierte für den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland, wobei die UdSSR-Führung konkrete Vorschläge für dessen Ausgestaltung unterbreitete. Als Kernbestandteile betrachtete sie das Weiterbestehen Deutschlands als einheitlicher Staat, gesamtdeutsche Wahlen nach den Regeln des bürgerlichen Parlamentarismus, den Abzug aller Besatzungsmächte von deutschem Boden und die Festlegung des demokratisch verfaßten deutschen Staates auf einen ihn vertraglich verpflichtenden Neutralitätsstatus.

Diese Offerte, von sowjetischer Seite keine sieben Jahre nach Kriegsende unterbreitet, bekräftigte den bereits 1942 durch Stalin bekundeten politischen Realismus, daß "die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk, der deutsche Staat aber bleiben". Wohlgemerkt: Diese Aussage traf damals der Führer eines Landes, das unter Bruch des zwischen Moskau und Berlin abgeschlossenen Nichtangriffsvertrages durch Hitlerdeutschland überfallen worden war und einen Verteidigungskrieg auf Tod und Leben führen mußte. Hätte da nicht eher der Gedanke nahegelegen, das deutsche Volk für die von den Nazis in seinem Namen und mit Massenunterstützung begangenen Greuel ohne Ende nach der Faustregel "Auge um Auge - Zahn um Zahn" die Rechnung begleichen zu lassen?

"Rachegelüste" solcher Art führten bekanntlich bei westlichen Partnern der Antihitlerkoalition zu "Zukunftsentwürfen" für Nachkriegsdeutschland, wie sie sich am extremsten in Gestalt des im August 1944 vorgelegten Morgenthauplanes manifestierten. US-Präsident Roosevelts Finanzminister Henry Morgenthau schlug die "Zerlegung" Deutschlands in vier deindustrialisierte, auf agrarisches Niveau beschränkte und entmilitarisierte Kleinstaaten vor.

So gegensätzlich und miteinander unvereinbar diese Nachkriegsentwürfe beider Seiten auch waren, stimmten sie doch in der Absicht überein, Garantien dafür zu schaffen, daß von Deutschland "nie wieder Krieg ausgehen" könne.

Darin bestand ohne Zweifel auch das Hauptanliegen der "Stalin-Note". Dieses von politischer Nüchternheit geprägte Dokument stieß sofort auf heftige Ablehnung der westlichen Alliierten und ihrer bundesdeutschen Parteigänger. Deren Standardargumente gegen einen Friedensvertrag, gesamtdeutsche Wahlen, Abzug aller Besatzungstruppen und - vor allem - den Neutralitätsstatus erschöpften sich in der Behauptung, Stalin gehe es ja um nichts anderes als die "Ausdehnung des sowjetischen Einflusses" in Richtung Westeuropa.

Das Beschwören einer imaginären "roten Gefahr" richtete sich gegen den Abzug ihrer Besatzungstruppen von deutschem Boden. Schließlich liege Moskau vom Rhein weniger weit entfernt als Washington, so daß "die Russen" jederzeit wieder zurückkehren könnten. Das Fazit solcher Gedankenspiele war die Behauptung, Stalins Initiative sei "reine Propaganda".

Die Konsequenzen, welche die politischen und sozialen Kräfte in Ost und West aus den Erfahrungen des gerade überstandenen Krieges zogen, waren nicht nur unterschiedlich, sondern geradezu konträr. Ihre Handlungsmotive gingen von "Sachzwängen" aus, die der jeweiligen Interessenlage entsprachen.

Daß die "Stalin-Note" bei den imperialistischen Mächten und deren politischen Ziehkindern im deutschen Westen sofort scharfe Zurückweisung erfuhr, konnte nicht überraschen, weil der britische Premier Winston Churchill mit seiner berüchtigten Fulton-Rede vom März 1946 den "Eisernen Vorhang" heruntergelassen und das Signal zum Kalten Krieg gegeben hatte, in dem sich die einstigen Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition fortan als feindliche Konkurrenten gegenüberstehen würden.

In Washington, London und Paris begannen die politischen Machthaber einen antisowjetischen Feldzug, den sie - wenn auch verdeckt - eigentlich bereits während des gemeinsamen Kampfes gegen Nazideutschland geführt hatten: Mit dem bewußten Hinauszögern der Moskau zugesagten zweiten Front in Westeuropa hatten sie es dem sowjetischen Bündnispartner solange wie möglich überlassen, den opferreichen Kampf gegen die Aggressoren allein zu führen. Sie folgten dabei dem Gedanken, daß die UdSSR möglichst geschwächt in eine Nachkriegsordnung gehen sollte. Dann würden die Westalliierten nicht nur den Ton angeben, sondern auch ihre als Rollback bezeichnete Strategie des "Zurückrollens des Sozialismus" zur letztlichen Beseitigung der "bolschewistischen" Weltmacht durchsetzen können.

Unter Verzicht auf die "feine englische Art" verkündete Churchill 1952 in einer Rede vor dem Unterhaus ganz unverblümt: "Wir haben das falsche Schwein geschlachtet." Damit signalisierte der damals einflußreichste britische Politiker einen strategischen Frontwechsel. Der pathologische Antikommunist "Ihrer Majestät" hielt Ausschau nach Möglichkeiten einer Korrektur dessen, was der Westen - nach eigenem Bekunden - mit dem Zweiten Weltkrieg "angerichtet" hatte. Hauptziel war jetzt, die sozialistische Großmacht Sowjetunion zu Fall zu bringen. Dazu bedurfte es der Mitwirkung der deutschen Bourgeoisie. Die flugs installierte und mit imperialistischer Hilfe wieder zu einer dominierenden Kraft gemachte BRD schloß sich mit fliegenden Fahnen dem westlichen Militärpakt an und übernahm darin die Rolle des Juniorpartners der USA.

Ihr Ziel war es, ökonomische und politische Stärke zu erlangen, um Schritt für Schritt zu einer europäischen Mittelmacht aufzusteigen und eines Tages "auf friedlichem Wege" jene Ziele doch noch zu erreichen, die von den Hitlerfaschisten mit militärischer Gewalt erfolglos angestrebt worden waren. Für diese "Perspektive" wurde die Aussicht auf ein einheitliches, demokratisches und paktfreies Nachkriegsdeutschland bewußt geopfert und statt dessen die Zweistaatlichkeit auf unbestimmte Dauer bevorzugt. Mit der Zurückweisung des von Stalin unterbreiteten Angebots, auf dem Weg freier Wahlen und eines Friedensvertrages die deutsche Einheit wiederherzustellen, beging die deutsche Bourgeoisie nationalen Verrat. Adenauers Credo "Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb" ließ keinen Zweifel daran, daß für das westdeutsche Monopolkapital klassenegoistische Interessen absoluten Vorrang besaßen.

Die Stalin-Note eröffnete Deutschland ungeachtet seiner schweren Kriegsschuld eine Perspektive im Rahmen einer europäischen Friedensordnung. Das Hauptanliegen Moskaus bestand darin, dem Vielvölkerstaat Sowjetunion eine möglichst lange Friedensperiode zu sichern, um die gravierenden Kriegsschäden überwinden, sich von den enormen Menschenverlusten allmählich erholen und schrittweise die Vorzüge einer sozialistischen Gesellschaftsordnung zur Geltung bringen zu können. Mit einer Art "Cordon sanitaire" an ihrer Westgrenze wollte sich die UdSSR ihrer Interessenlage entsprechende Bedingungen sichern. Die in Frage kommenden Nachbarländer boten dafür recht unterschiedliche Voraussetzungen: Nahezu problemlos entwickelte sich das Verhältnis zu jenen Staaten, die ihre Befreiung vom hitlerfaschistischen Joch der Roten Armee verdankten und bei deren Bevölkerung die Sympathie für ihre Befreier überwog. Dort vollzog sich eine Veränderung der Gesellschaftsordnung mit Kurs auf den Sozialismus.

Daß auch "schwierigere" Nachbarn zumindest neutralisiert werden konnten, wurde am Beispiel Österreichs deutlich, das seine staatliche Wiedergeburt dem sowjetischen Sieg verdankte und sich mit der Akzeptanz des Status "immerwährender Neutralität" politischen Spielraum verschaffte. Die Vermutung dürfte nicht abwegig sein, daß die "Stalin-Note" durchaus darauf abzielte, das "Modell Austria" auch auf Deutschland anzuwenden. Dort aber bestanden 1952 bereits zwei Staaten mit gegensätzlicher sozialer und politischer Ordnung. Welcher davon zuerst gegründet und mittels Währungs"reform" und anderer Maßnahmen als tatsächlicher Spalterstaat installiert worden war, bedarf hier keiner Erläuterung.

Als Reaktion auf das Entstehen der BRD hatte Stalin den führenden Politikern der damaligen sowjetischen Besatzungszone geraten, sich ihren eigenen Staat zu schaffen. So entstand die DDR, deren Gründung er in einer Grußbotschaft als "Wendepunkt in der Geschichte Europas" bezeichnete. Sie war zunächst - an ihrer ersten Verfassung deutlich ablesbar - von den gesellschaftlichen Grundlagen her ein bürgerlich-demokratischer, aber ebenso unzweideutig antifaschistischer Staat. Im Juli 1952 beschloß die 2. Parteikonferenz der SED, mit "der planmäßigen Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR" zu beginnen.

Daß dieser Beschluß, der durchaus den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung entsprach, mit Stalins über die DDR weit hinausgehenden strategischen Erwägungen völlig im Einklang gestanden hat, kann im nachhinein durchaus bezweifelt werden. Man mag (und muß) dem damals starken Mann im Kreml im Hinblick auf seine Methoden des Machterhalts manches zum Vorwurf machen, doch bei der Bewertung der Realitäten und sich daraus ergebender Schlußfolgerungen für die Interessen des Sowjetstaates ging er mit Sicherheit nicht fehl. Ohne das im einzelnen belegen zu können, sollte man ohne Scheu darüber nachdenken, ob die "Stalin-Note" von 1952 nicht einem einheitlichen, bürgerlich-parlamentarischen, zugleich aber auch neutralen deutschen Staat gegenüber dem Weiterbestehen der noch nicht einmal zweieinhalbjährigen DDR den Vorzug eingeräumt hat.

So schmerzhaft es ist, diesem Gedanken weiter folgen zu müssen, kann man ihm nicht ausweichen. Die Frage, ob die Länder der Volksdemokratie - darunter auch die DDR - damals bereits jene historische Entwicklungsstufe erreicht hatten, in der sie für die sozialistische Revolution tatsächlich reif waren, muß nach dem konterrevolutionären Rückschlag der Jahre 1989 bis 1991 ebenso auf den Prüfstand.

Obwohl Stalin mit seinem auf den Frieden in Europa und der Welt zielenden, zugleich aber auch strategische Großmachtinteressen der UdSSR unterstreichenden Deutschland-Projekt die DDR de facto zur Disposition stellte, läßt sich das nicht mit jenem infamen Verrat gleichsetzen, den Jahrzehnte später der zum Renegaten gewordene Scharlatan Gorbatschow und dessen Clique an ihren Verbündeten begingen. Handelte es sich dabei um die definitive Liquidierung des Sozialismus in der UdSSR und deren europäischen Bruderländern, so besaß die Stärkung des Sowjetstaates - um welchen Preis auch immer - für Stalin absolute Priorität. Die Tatsache, daß sich so integre Partei- und Staatsführer der DDR wie Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht für die Annahme der "Stalin-Note" aussprachen, weil sie bei allen Bedenken, die sie gewiß gehabt haben, vom Primat der Friedenssicherung ausgingen, ist aufschlußreich genug.

Die historische Chance, wie sie sich 1952 eröffnete, wurde von der westlichen Aggressionsallianz verworfen, wobei sich die bundesdeutsche Bourgeoisie besonders hervortat. Dabei war ihr Ziel Nr. 1 - die Liquidierung der DDR - damals durchaus in greifbare Nähe gerückt, allerdings um den Preis des Verzichts auf bundesdeutsche Mittäterschaft in der NATO. Dennoch ließen das Kapital und seine Adenauer-Regierung ihre Chance ungenutzt verstreichen. Es klingt wie ein Treppenwitz der Geschichte: Dank ihres mangelnden politischen Weitblicks sorgten die Möchtegern-Liquidatoren der DDR dafür, daß ihr verhaßter sozialistischer Nachbarstaat nicht bereits nach knapp drei Jahren das Zeitliche segnete, sondern daß ein Drittel Deutschlands dem Kapital 40 Jahre lang als Ausbeutungsobjekt entzogen blieb.

Dieser Sachverhalt erklärt wohl am besten die außergewöhnliche Schweigsamkeit unserer Gegner im Hinblick auf das nunmehr 60jährige Dokument. Denn eigene Dummheit läßt sich nur schlecht feiern, Selbsttore werden nicht bejubelt. Um so heftiger und anhaltender bleiben jedoch die Haßausbrüche der Antikommunisten auf alles, was die Völker an den zwar untergegangenen, aber im historischen Gedächtnis weiterbestehenden deutschen Friedensstaat erinnert

Wolfgang Clausner


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Stalin, Roosevelt und Churchill auf der Konferenz von Jalta (4. bis 11. Februar 1945)
- Mai 1945: Die Fahne mit Hammer und Sichel auf dem Reichstag
- Der Beschluß der II. Parteikonferenz der SED wurde begeistert aufgenommen.

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Erfahrungen aus Blocksystemen
Zum Miteinander mehrerer Parteien beim Aufbau des Sozialismus

Bürgerliche Politiker und Medien (aber auch einige "Linke") denunzieren ehemals sozialistische Länder sowie Staaten, die heute noch einer sozialistischen Orientierung folgen, mit besonderer Vorliebe als "Ein-Parteien-Diktaturen". Selbst die DDR, in der fünf Parteien auf allen Ebenen im Demokratischen Block und später im Rahmen der Nationalen Front zusammenwirkten und in Fraktionsstärke an der Arbeit der Volkskammer teilnahmen, gilt nach bundesdeutscher Sprachregelung als "SED-Staat".

Die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei war von allen am Aufbau des Sozialismus Beteiligten anerkannt worden. Die vier anderen Blockparteien, über deren verdienstvolles Wirken wir in diesem Beitrag nicht detailliert berichten wollen, waren die Christlich-Demokratische Union (CDU), die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD), die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) und die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NDPD). In der Endphase des Bestehens der DDR vereinigten sie zusammengenommen fast 500.000 Mitglieder.

Wie ein Blick in die Geschichte zeigt, waren indes nahezu alle Staaten, die nach 1917 den sozialistischen Entwicklungsweg beschritten, zumindest in der jeweiligen Anfangsphase von einem Mehrparteiensystem ausgegangen.

Beginnen wir mit Rußland. Hier sprach sich die Kommunistische Partei nach der Oktoberrevolution für die Bildung einer Koalitionsregierung auf der Grundlage der Sowjetmacht und ihrer ersten Dekrete ("Über den Frieden" und "Über den Boden") aus. Doch die rechtssozialdemokratischen Parteien (Menschewiki und rechte Sozialrevolutionäre) verweigerten sich Lenins Angebot zur Mitarbeit ebenso wie die anderen kleinbürgerlichen Parteien, die sich dem Boykott anschlossen. Dem gegenüber trat die Partei der Linken Sozialrevolutionäre, die Einfluß auf Teile der Bauernschaft hatte, noch im Dezember 1917 in die Sowjetregierung - den Rat der Volkskommissare - ein. An der Spitze mehrerer als Volkskommissariate bezeichneter Ministerien (Justiz, Post- und Telegrafenwesen, Landwirtschaft, Staatliches Eigentum, Städtische und Örtliche Selbstverwaltung) standen bis März 1918 Vertreter dieser Partei.

Im Gesamtrussischen Exekutivkomitee - der obersten Volksvertretung - und in den Sowjets aller Ebenen waren bis Anfang der 20er Jahre gewählte Vertreter anderer Parteien präsent, darunter auch Menschewiki.

Zum Bruch der ersten - und einzigen - sowjetischen Koalitionsregierung kam es, weil maßgebliche Linke Sozialrevolutionäre in der Folgezeit auf die Seite der Konterrevolution übergingen und den Rat der Volkskommissare verließen. Doch im Sommer 1918 bildeten sich aus dieser fahnenflüchtig gewordenen Partei zwei neue Gruppierungen - die Volkstümler-Kommunisten und die revolutionären Kommunisten -, während sich von den Menschewiki die Partei der Sozialdemokraten (Internationalisten) abspaltete.

Diese sowie andere linke und kleinbürgerliche Parteien zerfielen jedoch bis 1921/22. Zuvor hatten sie eigene Presseorgane besessen und waren in vielen örtlichen Sowjets vertreten gewesen. Die meisten von ihnen beschlossen nach dem Schwinden ihrer Anhängerschaft die Selbstauflösung oder vereinigten sich mit der von Lenin geführten Kommunistischen Partei (Bolschewiki), der 1922 rund 22.000 frühere Mitglieder anderer Parteien angehörten. Dabei handelte es sich um in das Lager der KPR übergegangene Sozialdemokraten (Internationalisten), Soziale Revolutionäre (Maximalisten), Revolutionäre Kommunisten, linke Borotbisten und Angehörige des jüdischen Bundes.

Die Bedeutung von Mehrparteiensystemen wurde im Verlauf des antifaschistischen Befreiungskampfes und des Sieges volksdemokratischer Revolutionen zwischen Ostsee und Adria erneut auf die politische Tagesordnung gesetzt. Die sich in diesem Prozeß herausbildenden Parteiensysteme in Ländern, die durch die Rote Armee oder unter ihrer maßgeblichen Mitwirkung vom Faschismus befreit worden waren, entwickelten sich auf Grund konkreter historischer Gegebenheiten und Prozesse sehr vielgestaltig.

In der Tschechoslowakischen Republik wirkten alle Parteien in einer Nationalen Front zusammen und waren auch in der Regierung und anderen Staatsorganen vertreten. Dabei handelte es sich um die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (mit der KP der Slowakei), die Sozialdemokratische Partei, die Volkssozialistische Partei, die christlich orientierte Volkspartei, die Demokratische Partei der Slowakei und die Slowakische Freiheitspartei.

Weitaus komplizierter gestaltete sich die Lage in Polen. Doch auch hier wirkten die Polnische Arbeiterpartei (Kommunisten), die Polnische Sozialistische Partei, die Volkspartei (Bauern) und die Demokratische Partei im Demokratischen Block zusammen. Gegen diesen wandte sich allerdings ein oppositioneller Parteienblock, welcher der Londoner Exilregierung nahestand.

In Bulgarien, das wie Rumänien zunächst noch Monarchie war, vereinten sich mehrere Parteien in einer Vaterländischen Front. Es handelte sich dabei um die Bulgarische Arbeiterpartei (Kommunisten), die Sozialdemokratische Partei (linker Flügel), den Bauernbund, die Partei "Sweno" und die Radikale Partei. Auch die Vaterländische Front sah sich einem gegnerischen Block aus den rechten Flügeln von Bauern und Sozialdemokraten gegenüber.

Nicht wesentlich anders gestaltete sich das innenpolitische Kräfteverhältnis in Ungarn und Rumänien.

Im Zeitraum von 1947 bis zum Beginn der 50er Jahre klärten sich in den europäischen Ländern, die den Weg tiefgreifender Umgestaltungen beschritten und nach einer Übergangsperiode mit dem Aufbau der Grundlagen des Sozialismus begonnen hatten, die ökonomischen und politischen Machtverhältnisse. Zunächst vereinigten sich hier die deutlich stärkeren kommunistischen Parteien mit den zahlenmäßig schwachen Sozialdemokraten. Reaktionäre politische Kräfte wurden durch Parlaments- oder Regierungsbeschlüsse ausgeschaltet. Mit den Kommunisten verbündete Parteien lösten sich in der Regel selbst auf, schlossen sich anderen Parteien an oder gingen unmittelbar in den Strukturen Nationaler Fronten auf.

In Bulgarien handelte es sich dabei um die Radikale Partei und die Partei "Sweno", in Ungarn um die Bürgerlich-Demokratische Partei, die Demokratische Volkspartei und die Partei Christliches Frauenlager, in Rumänien um die Nationale Volkspartei, die Demokratische Bauernpartei und die beiden gleichnamigen National-Liberalen Parteien. Bis 1954 stellten auch in Ungarn die Partei der Kleinen Landwirte, die Nationale Bauernpartei, die Radikale Partei und die Unabhängige Demokratische Partei ihre Aktivitäten ein, während in Rumänien die Pflügerfront und MADOS als selbständige Formationen ausschieden. All das erfolgte natürlich nicht ohne erbitterte Flügelkämpfe und Klassenauseinandersetzungen.

Während eine Vielzahl sehr kleiner nichtkommunistischer Parteien verschwand, nahmen etliche ihrer führenden Politiker noch viele Jahre hohe und höchste Positionen der Volksrepubliken ein. So war z. B. in Rumänien der frühere Vorsitzende der Pflügerfront Petru Groza bis 1952 Ministerpräsident und danach bis zu seinem Tode im Jahr 1958 Staatsoberhaupt. In Ungarn wirkte der 1968 verstorbene ehemalige Vorsitzende der Partei der Kleinen Landwirte Istvan Dobi bis 1952 als Regierungschef und danach noch bis 1967 als Staatspräsident.

Die nichtkommunistischen Parteien sozialistischer Länder pflegten eine enge und ergiebige internationale Zusammenarbeit. So unterhielten die CDU der DDR mit der Tschechoslowakischen Volkspartei, die DBD mit den Bauernparteien in Polen und Bulgarien und die LDPD mit der Sozialistischen Partei der Tschechoslowakei, der Demokratischen Partei in Polen, der Demokratischen Partei Vietnams sowie seit Anfang der 80er Jahre mit der Sozial-Demokratischen Partei in der KVDR freundschaftliche Beziehungen. Die NDPD nahm in den 80er Jahren Kontakt zu einer der beiden kleinen slowakischen Parteien auf.

Zu Beginn der 80er Jahre wurden nach Angaben der LDPD-Zeitung "Der Morgen" für die Sozial-Demokratische Partei Koreas insgesamt 25.500 Mitglieder sowie eine Parlamentsfraktion von 25 (unter 680) Abgeordneten angegeben. Ähnliche Zahlen nennt Wikipedia auch für die Gegenwart. In bezug auf eine religiöse Partei in Nordkorea werden etwa 13.000 Mitglieder genannt.

In der Sozialistischen Republik Vietnam haben sich hingegen die Sozialistische Partei und die Demokratische Partei 1988 selbst aufgelöst.

In der Republik Kuba waren zunächst drei Parteien an der Machtausübung beteiligt. Sie vereinigten sich 1965 zur KP Kubas. Während in Jugoslawien nach Ausrufung der Volksrepublik zunächst noch ein Mehrparteiensystem bestand, ist ähnliches aus der Mongolei und Albanien nicht bekannt.

Besondere Aufmerksamkeit verdient das seit langem funktionierende System der Mehrparteienzusammenarbeit und der politischen Konsultation unter Führung der KP in der Volksrepublik China. Es unterscheidet sich grundsätzlich von Mehrparteiensystemen kapitalistischer Länder als auch vom Einparteiensystem einiger ehemals sozialistischer Länder. Außer der KP Chinas bestehen acht weitere Parteien. Diese entstanden im Prozeß der Neudemokratischen Revolution gegen die feudalen und halbkolonialen gesellschaftlichen Verhältnisse (1912-1949), die unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei vollzogen wurde. Seit ihrer Gründung arbeiten sie mit der KPCh eng zusammen. Es handelt sich um:

1. Das Revolutionäre Komitee der chinesischen Guomindang, gegründet im Januar 1948 in Hongkong. Die Mitglieder kommen hauptsächlich aus der einstigen Guomindang oder sind Persönlichkeiten, die früher mit ihr in Verbindung standen. Die Partei pflegt das Erbe von Sun Yat-sen.

2. Die Chinesische Demokratische Liga, gegründet im Oktober 1941 in Chongqing. Ihr gehören überwiegend Intellektuelle aus der Mittel- und der Oberschicht an.

3. Die Chinesische Gesellschaft für den Demokratischen Nationalen Aufbau entstand im Dezember 1945. Mitglieder waren zur Zeit der Gründung vor allem Angehörige der Bourgeoisie und Intellektuelle mit Kontakten zur Wirtschaft.

4. Die Chinesische Gesellschaft für die Förderung der Demokratie, gegründet im Dezember 1945 in Shanghai. Ihre Mitglieder sind mehrheitlich Intellektuelle aus den Bereichen Erziehung, Kultur und Wissenschaft sowie dem Verlagswesen.

5. Die Chinesische Demokratische Partei der Bauern und Arbeiter, gegründet im August 1930 in Shanghai. Ihre Mitgliedschaft besteht meist aus Intellektuellen der Bereiche Gesundheitswesen, Wissenschaft und Technik, Kultur und Bildung.

6. Die Zhi-Gong-Partei Chinas, gegründet im Oktober 1925. Zu ihr zählen mehrheitlich in das Heimatland zurückgekehrte Auslandschinesen, Familienangehörige im Ausland lebender chinesische Bürger sowie mit Auslandschinesen in Verbindung stehende Personen.

7. Die Gesellschaft des 3. September, gegründet im September 1944. Ihr gehören vor allem Intellektuelle aus der früheren Ober- und Mittelschicht an, die in Wissenschaft und Technik, Kultur und Erziehung sowie im Gesundheitswesen tätig sind.

8. Die Demokratische Selbstbestimmungsliga Taiwan. Diese Partei formierte sich im November 1947 in Hongkong. Ihre Mitglieder und Sympathisanten stammen vorwiegend aus Taiwan und leben jetzt auf dem Festland.

Die insgesamt etwa 700.000 Mitglieder umfassenden Parteien sind durch Abgeordnete im Nationalen Volkskongreß (Parlament) und der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes - einem Beratungsorgan, das mit dem Parlament eng zusammenarbeitet - vertreten. Viele bekleiden leitende Positionen in parlamentarischen Gremien, der Regierung, wirtschaftlichen, kulturellen, bildungspolitischen, wissenschaftlichen und technischen Einrichtungen.

Leider sind die Mehrparteiensysteme, die früher in einigen sozialistischen Ländern Europas bestanden, im Laufe der Jahre erstarrt, so daß sie ihre Potenzen nicht wirklich voll entfalten konnten. Das sollte Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Auch in der DDR verlief diese Entwicklung rückläufig, so daß die anfangs äußerst produktive und konstruktive inhaltliche Zusammenarbeit der Parteien des Demokratischen Blocks im Laufe der Zeit mehr und mehr zur Routine wurde. Dafür gibt es vor allem subjektive Gründe.

So gilt es aus meiner Sicht, die Stärken und Schwächen der Mehrparteiensysteme in diesen Ländern gründlich zu analysieren - nicht zuletzt auch mit Blick auf Lateinamerika, wo sich derzeit breitgefächerte linke Bündnisse entwickeln, die für künftige Wege in nichtkapitalistische, sozialistische Gesellschaften nutzbar gemacht werden können.

Siegfried R. Krebs, Weimar


Unser Autor war von 1973 bis 1986 Mitglied und Funktionär der LDPD, zuletzt als Kreissekretär in Gera.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Der historische Händedruck von Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl besiegelte im April 1946 die Gründung der SED.
- Symbol der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD)
- Das täglich erscheinende Zentralorgan der NDPD
- Sondermarke der DDR zu Ehren des langjährigen Volkskammerpräsidenten Dr. Johannes Dieckmann (LDPD)

Ende RF-Extra

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Venezuela vor den Präsidentschaftswahlen
Chávez-Herausforderer Capriles ist der Kandidat der Yankees

Am 7. Oktober finden in Venezuela, das unter Hugo Chávez seit 1999 in der Innen- und Außenpolitik einen antiimperialistischen Weg beschritten hat, Präsidentschaftswahlen statt. Dabei sieht sich der Amtsinhaber dem von Washington, den transnationalen Konzernen und der alten Oligarchie Venezuelas massiv unterstützten Kandidaten Enrique Capriles gegenüber. Obwohl der Wahlkampf offiziell erst im August beginnen sollte, betreibt die Opposition bereits seit Monaten eine alle Dimensionen sprengende Destabilisierungskampagne, in der die vom Capriles-Clan beherrschte Medienkette den Ton angibt. Angesichts der Tatsache, daß die Wiederwahl von Präsident Chávez aus der Sicht politischer Beobachter in Caracas als nahezu gesichert gilt, spielt die vereinigte Reaktion immer offener mit dem Gedanken an einen Staatsstreich.

Der venezolanische Journalist Toby Valderrama stellte unlängst vier ineinandergreifende Komponenten der Oppositionsstrategie zur Ausschaltung des Chávez-Lagers vor, die in vielem auch in Syrien erprobten Praktiken ähneln. Es beginne mit Aktionen zur Diffamierung des linksgerichteten Staatschefs, der als Tyrann und Werkzeug internationaler Drogenkartelle dargestellt werde. Zweitens suche die gegnerische Propaganda das von kubanischen Ärzten erfolgreich behandelte Krebsleiden des Präsidenten gezielt aufzubauschen, um für den Fall seiner Wiederwahl ein "Machtvakuum" suggerieren zu können, da der "todkranke Mann" sein Amt gar nicht mehr auszuüben vermöge. Dazu würden permanent gewisse Ärzte und Reporter bemüht, die trotz des jüngsten Fernsehauftritts eines wieder dynamisch wirkenden Präsidenten diverse, zumeist düstere Prognosen stellten. Drittens streue man neuerdings das Gerücht aus, angesichts des vermeintlichen "Vakuums" könne sich eine Gruppe Chávez nahestehender Generäle im Interesse eigenen Machterhalts in einen Putschversuch flüchten. Und viertens nehme die Opposition das Oberkommando der Streitkräfte massiv und bestimmte Militärs gezielt unter Medienbeschuß, um im Offizierskorps Zweifel zu säen, eine Spaltung zu provozieren und Abtrünnige auf ihre Seite zu ziehen.

Kenner der venezolanischen Szene äußern jedoch die Vermutung, daß sich der Hauptschlag der Opposition gegen die verstaatlichte Erdölindustrie - die Einnahmequelle Nr. 1 des Landes - richten werde.

Die kubanische Monatszeitung "Granma Internacional" schrieb über Enrique Capriles Radonski, kurz ECR genannt, dieser besitze "den einwandfreien Stammbaum eines in die goldene Wiege hineingeborenen Oligarchen", werde aber von der Reaktion als eine Art draufgängerischer Robin Hood verkauft. Die Familie Capriles sei Eigentümer eines landesweit operierenden Medien-, Industrie- und Immobilien-Konzerns. Von ihr würden einflußreiche Zeitungen, Rundfunkstationen und Fernsehsender kontrolliert. Mit Hilfe des eigenen Clans sei ECR in ein Bürgermeister- und ein Gouverneursamt im Anti-Chávez-Osten von Caracas katapultiert worden. Im Wahlkampf habe er sich "volksnah" gegeben und sogar Schwarze umarmt, die sonst von seiner Klasse nur verachtet würden. Dieses Täuschungsmanöver setze er auch als Präsidentschaftskandidat fort. Unter Nutzung der Popularität des früheren brasilianischen Präsidenten bezeichne er sich beispielsweise als "Lula der Venezolaner", verspreche, das nationale Erdölunternehmen PDVSA nicht anzutasten, die von Chávez ins Leben gerufenen sozialen Missionen fortzuführen und dessen Anhänger nicht zu verfolgen.

Zur pseudopatriotischen Maskerade von Capriles gehöre auch dessen angebliche Verehrung für Simon Bolívar. Hin und wieder trage er sogar ein rotes Hemd oder mache augenzwinkernd anerkennende Bemerkungen zum Wirken kubanischer Ärzte und Lehrer in entlegenen Regionen Venezuelas.

Lange bevor er sich als Oppositionskandidat outete, wurde der Wolf im Schafspelz durch Wikileaks als Mitarbeiter der US-Botschaft in Caracas enttarnt. Von dort erhielt er offensichtlich die Weisung, seine Nähe zu transnationalen Konzernen zu verschleiern und über die Mitgliedschaft in der elitär-rechtsgerichteten Sekte "Tradition, Familie und Eigentum" sowie seine einstige Zugehörigkeit zur Leitung der faschistischen Partei Primero Justicia Gras wachsen zu lassen.

Was Hugo Chávez betrifft, dürften dessen Trümpfe durch Capriles wohl kaum zu stechen sein. Seine Bilanz ist imponierend: Das von der UNO proklamierte Jahrtausendziel, die Armut auf der Welt drastisch zu reduzieren, wurde in Venezuela "vorfristig" erreicht: Sie ist in zwei Jahrzehnten nahezu halbiert worden. 20 Millionen Landesbürger werden vom Nationalen Gesundheitsdienst regelmäßig betreut, was nach Schätzungen ausländischer Experten etwa 292.000 kranke Menschen vor einem zu frühen Tode bewahrt hat. Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg zwischen 2000 und 2011 von 72,4 auf 73,9 Jahre. Im etwa gleichen Zeitraum sank die Säuglingssterblichkeit von 21,4 auf 13,7 pro 1000 Lebendgeburten.

Die Bolivarische Republik ist jetzt dazu in der Lage, allen Heranwachsenden eine gebührenfreie Hoch- und Fachschulbildung anzubieten. Während 93 % aller Kinder die Grundschule besuchen, machen 83 von 100 Oberschulabgängern heute vom Recht auf eine weiterführende Bildung Gebrauch.

Auch Venezuelas Bauwesen verdient hier Erwähnung. 2011 wurden rund 140.000 neue Häuser errichtet - ein Zuwachs von 10 %.

Obwohl das südamerikanische Land noch immer mit einem Arbeitslosenanteil von 6,2 % rechnen muß, wurde das als die niedrigste Ziffer in seiner Geschichte bezeichnet. Am 1. Mai zogen Hunderttausende Demonstranten durch die Straßen von Caracas, um die Ankündigung eines "ersten Gesetzes auf dem Wege zum Sozialismus" durch Präsident Chávez zu feiern. Es soll innerhalb von zwölf Monaten wirksam werden. Dabei handelt es sich um weitreichende Regelungen auf arbeitsrechtlichem Gebiet. Sie beschränken die wöchentliche Arbeitszeit auf 40 Stunden. Der Schwangerschaftsurlaub für berufstätige Mütter wird von bisher 12 auf 25 Wochen ausgedehnt. Schon früher hatte Chávez mitgeteilt, daß die Regierung eine in zwei Etappen erfolgende Anhebung der Mindestlöhne um 32,5 % vorgesehen habe.

"Wir bekräftigen unsere Entschlossenheit, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse, welche die Arbeiter zur Ausbeutung verurteilen, durch sozialistische Beziehungen in der Produktion zu ersetzen", brachte der Generalsekretär der Venezolanischen KP, Pedro Eusse, seine Zuversicht in den revolutionären Prozeß zum Ausdruck.

RF, gestützt auf Prensa Latina, Havanna, "People's World", New York, und "The Socialist Correspondent", Glasgow

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Der "Preis der Freiheit"
Ein Jahr nach der NATO-Aggression wüten in Libyen über 300 Milizen

Am 8. Mai versuchten etwa 200 vor Jahresfrist von ihren imperialistischen NATO-Schirmherren zunächst als Angehörige einer "Befreiungsarmee" aufgewertete und am Ende mehr oder weniger leer ausgegangene "Rebellen" Libyens interimistischen Ministerpräsidenten Abdel Rahim al-Kib zu ermorden. Ihr Ärger richtete sich gegen eine in Tripolis getroffene Entscheidung, den aus diversen Bürgerkriegsmilizen bestehenden "Bodentruppen" des Übergangsregimes ihre monatlichen Bezüge zu sperren. Ein großzügiges 1,4-Milliarden-Dollar-Programm zur "Entschädigung" der an Gaddafis Sturz und Ermordung beteiligten "Freiheitshelden" führte in einem solchen Ausmaß zu Veruntreuungen und Betrügereien, daß es im April kurzerhand eingestellt werden mußte. Auf den Auszahlungslisten waren nämlich auch unzählige Tote des Bürgerkrieges und der Bombardierungen als quicklebendige "Milizionäre" sowie Personen, die sich überhaupt nicht an Anti-Gaddafi-Aktivitäten beteiligt hatten, vermerkt worden. Das Geld hatten deren Erfinder eingesteckt.

Der NATO-Krieg gegen Libyen war mit einem Waffenembargo und Sanktionen gegen Tripolis eingeleitet worden, denen eine Blockade von Häfen und Küsten sowie die Beschlagnahme sämtlicher libyscher Auslandskonten folgten. Die Aggression gipfelte schließlich in über 10.000 NATO-Luftschlägen, bei denen 30.000 Bomben über dem Territorium des nordafrikanischen Landes abgeworfen wurden. Ein Teil der Infrastruktur Libyens wurde zerstört.

Ende August 2011 - als endlich das Widerstandspotential des 6,5-Millionen-Volkes niedergerungen worden war - installierten die imperialistischen Drahtzieher in Tripolis einen Nationalen Übergangsrat (NTC), der sich vor allem in Veruntreuung staatlicher Gelder übte. Nach der Ermordung Gaddafis am 20. Oktober verschwanden Valutamittel in Milliardenhöhe spurlos in dunklen Kanälen NTC-naher Kreise. Am 11. Mai kündigte Finanzminister Hassan Ziglam, an dem man die allenthalben grassierende Korruption festmachen wollte, seinen baldigen Rücktritt an. Unterdessen ist die Sicherheitslage in Tripolis und anderen libyschen Städten völlig außer Kontrolle geraten.

Allein in der Hauptstadt kämpfen mehr als 50 rivalisierende und marodierende Banden sogenannter Milizionäre, die sich zu keiner nationalen Armee vereinigen lassen, um die Kontrolle über einzelne Viertel. Mittlerweile wurden Untreuevorwürfe auch gegen die libysche Investitionsbehörde laut. Es geht dabei um "zufällig" nicht verbuchte Öleinnahmen. Was aus den während des NATO-Krieges eingefrorenen Bankkonten Libyens geworden ist, steht in den Sternen.

Als Vorwand für den imperialistischen Überfall auf Tripolis diente - wie jetzt im Rahmen der skrupellos vorbereiteten NATO-Aggression gegen Syriens nationalbewußte Assad-Regierung - die Behauptung, das "Gaddafi-Regime" mißachte die Menschenrechte. Die bedauerlicherweise nicht durch ein Veto verhinderten Resolutionen Nr. 1970 und Nr. 1973 des Sicherheitsrates, die als Initialzündung zur angeblichen Luftüberwachung Libyens dienten, bezogen sich ohne konkrete Beweise gerade auf solche angeblichen Verstöße. Binnen weniger Tage wurde daraus ein großer Krieg gegen ein kleines Volk.

Auf den NATO-Sieg über Libyens rechtmäßige Regierung folgten Massaker, Massenverhaftungen und andere Repressalien ohne Ende. Etwa 35.000 Anhänger Gaddafis wurden festgenommen. Derzeit sollen sich nach UNO-Angaben noch mindestens 8.500 "Staatsfeinde" in den Verschleppungslagern der Anhänger des NTC befinden. Ian Martin, Leiter der UN-Mission in Tripolis, berichtete von der Mißhandlung und Folterung Inhaftierter. Auch die Zahl der Flüchtlinge im eigenen Land ist Legion. Sie wird derzeit auf 172.000 Personen beziffert - von ins Ausland Geflohenen ganz abgesehen.

Der NTC verabschiedete ein "Gesetz", mit dem die Milizen zur Festnahme aller Unterstützer des 42 Jahre lang das Land regierenden "Gaddafi-Clans", gegen die Anklage erhoben werden soll, aufgefordert wurden. Den in Libyen Arretierten wurde das aktive und passive Wahlrecht entzogen. Unter den Gefangenen befindet sich Gaddafis Sohn Saif al-Islam. Er wird unbekannten Ortes in Sintan festgehalten. Ein Vertreter des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC), der Zugang zu ihm hatte, stellte unlängst fest, daß dem prominenten Häftling zwei Finger und ein Schneidezahn fehlten. Obwohl der ICC gegen Saif al-Islam selbst einen Haftbefehl erlassen hat, erklärte dessen Staatsanwalt, daß Den Haag mit der weiteren Inhaftierung des Beschuldigten in Libyen einverstanden sei. Unter den geschilderten Umständen erweisen sich die vom NTC angesetzten "freien und fairen Wahlen" zu einer Verfassunggebenden Versammlung als glatte Farce.

Unterdessen zerfällt Libyen als einheitlicher Staat immer mehr. Vom sogenannten Barqa-Rat im einst besonders königstreuen Osten des Landes, wo die Rebellion gegen Gaddafi im März 2011 ihren Anfang genommen hatte, war schon lange vor dem Wahlspektakel zu dessen Boykott aufgerufen worden.

Eine andere separatistische Führerschaft, die sich selbst als "Rat der Cyrenaica" bezeichnet, strebt inzwischen den Autonomie-Status innerhalb Libyens an. Im Süden des Landes finden weiterhin heftige Kämpfe zwischen der Toubou-Bevölkerung und arabischen Stammeskriegern statt. Am 14. Mai wurde dort einer der Kandidaten für die "konstituierende Versammlung" kurz nach seiner Registrierung kaltblütig umgelegt.

Hatte der CNT schon im September 2011 die Zahl der Opfer des Gemetzels mit 30.000 Toten und 50.000 Verwundeten angegeben, so ist inzwischen von noch größeren Verlusten die Rede. Sieht man von materiellen Schäden ab, die auf rund 35 Milliarden Dollar geschätzt werden, dann gab es die meisten Opfer an Menschenleben infolge der NATO-Bombardements.

Seit dem Amtsantritt des CNT ist die Sicherheitslage in Libyen völlig außer Kontrolle geraten. Nach seriösen Schätzungen stehen landesweit etwa 120.000 Mann, die 300 verschiedenen Milizen angehören, unter Waffen. Sie ziehen nach wie vor mordend und brandschatzend durch ein Land, dessen Martyrium von der imperialistischen Propaganda als "Preis der Freiheit" ausgegeben wird.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel, "The New Worker", London, und "Prawda", Moskau


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die "Rebellen" erwiesen sich als Banditen.

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Was steckt hinter der Spaltung Sudans?

Im Juli 2011 proklamierte Südsudan - mit offizieller Einwilligung des Nordens und unter dem Beifall der imperialistischen Mächte, darunter der BRD - seine Unabhängigkeit. Der neue Staat kontrolliert die entscheidenden Ressourcen des nun gespaltenen Landes. 72 % des sudanesischen Erdöls werden im Süden gefördert. Ein Jahr nach der separatistischen Jubelfeier in der südsudanesischen Hauptstadt Juba ist ein erbitterter Krieg um das schwarze Gold entbrannt.

Da der neue Staat keinen Meereszugang besitzt, muß er Pipelines nutzen, die durch Sudan verlaufen, wie der Norden weiterhin heißt. Die Regierung in Khartum zog daraus bisher erheblichen Gewinn. Unterdessen verweigert der Süden jedoch die Bezahlung der geforderten Transitsumme. Ende vergangenen Jahres konfiszierte Khartum daraufhin Erdölmengen im Gesamtwert von 800 Millionen Dollar, was den Süden zu einem Vergeltungsakt bewog: Er sperrte kurzerhand strategisch bedeutsame Rohrleitungen.

Unterdessen hat Südsudan Verträge mit Äthiopien und Kenia abgeschlossen. Das erste Abkommen betrifft den Bau einer Pipeline nach Djibouti am Roten Meer, das zweite die Verlegung eines weiteren Stranges zum keniatischen Hafen Lamu. Dadurch entgehen Khartum auf Dauer enorme Summen.

Während sich die politischen Differenzen zwischen beiden sudanesischen Staaten weiter zuspitzen, droht auch ein offener militärischer Zusammenprall, wobei Süd wie Nord schon jetzt gut organisierte und schwer bewaffnete "Rebellen" auf dem Territorium der jeweils anderen Seite offen unterstützen. Vor einigen Monaten besetzten südsudanesische Armee-Einheiten die Erdöllagerstätten von Heglig, aus denen der Norden bisher etwa die Hälfte seines Petrolbedarfs gedeckt hat. Diese Vorkommen werden übrigens von einem Konsortium verwaltet, in dem vor allem China, aber auch Malaysia und Indien vertreten sind. Vor dem Angriff und der teilweisen Zerstörung der Anlagen von Heglig erhob der südsudanesische Präsident Salva Kiir Anspruch auf die dortigen Bodenschätze. Als Antwort darauf ließ Khartum mehrere südsudanesische Dörfer bombardieren. Sudans Präsident Omar El Bahir bezeichnete Südsudan als "ein Insekt, das ausgetilgt werden" müsse.

Inzwischen hat der Zusammenprall beider sudanesischer Staaten die Grenzen eines regionalen Konflikts überschritten. Hinter ihren Auseinandersetzungen stehen kaum verhohlene Großmachtinteressen. Während China, das 7 % seines Erdölbedarfs aus Südsudan deckt, seine Politik strikter Neutralität fortsetzt und gegen jede Eskalation von Gewalt auftritt, verfolgen die imperialistischen Mächte des Westens ganz anders geartete Ziele. Unter dem Deckmantel der Verteidigung von Menschenrechten, Freiheit und Demokratie unternehmen die USA alles, um die beiden sudanesischen Staaten aufeinanderzuhetzen.

Washington gibt sich ganz offen als glühender Verteidiger der Unabhängigkeit Südsudans aus. Schon unmittelbar nach der Staatsgründung übernahm der US-Waffenlieferant Lockheed die Ausrüstung der Armee. Im Januar 2012 schickte Präsident Obama eine Gruppe von Offizieren in das Spannungsgebiet, "um den Südsudanesen zu helfen, sich auf eigene Füße zu stellen".

Hatte Washington zunächst versichert, Khartum mit Wohlwollen behandeln zu wollen, wenn es die Unabhängigkeit Südsudans anerkenne, so wurde dieses Versprechen schon bald gebrochen. Während die USA nicht nur den bereits 1977 verhängten ökonomischen Boykott des Nordens fortsetzen, sondern sogar noch verschärfen, üben sie im Bunde mit der EU massiven wirtschaftlichen und politischen Druck auf den älteren der beiden sudanesischen Staaten aus. Ohne Zweifel trägt das Regime in Khartum reaktionäre und diktatorische Züge. Doch während die USA den Norden unablässig verurteilen, werden offenkundige Verbrechen der südsudanesischen Armee - so massive Plünderungen und der Angriff auf ein Lager chinesischer Erdölspezialisten - durch Washington überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Die Strategie der imperialistischen Mächte verfolgt ein einziges Ziel: ihre feste militärische und wirtschaftliche Verankerung in einer der ölreichsten Regionen der Welt.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Argentinien übernahm YPF

Mit der am 16. April durch das argentinische Parlament beschlossenen Nationalisierung von 51 % der Vermögenswerte des Unternehmens Yacimientos Petrolíferes Fiscales (YPF) hat die Regierung der linksperonistischen Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner einen wichtigen Schritt getan, um die Energieversorgung des Landes zu sichern. Im Gesetz, das YPF zu einem "Gegenstand öffentlichen Interesses" erklärte, wurde die partielle Enteignung der Tochtergesellschaft des spanischen Superkonzerns Repsol verfügt. Ein Gutachter-Tribunal soll festlegen, wieviel der argentinische Staat für die YPF-Aktien an Repsol, das bisher 57,4 % der Anteile besaß, von denen ihm nur noch 6 % verbleiben, als Kompensation zu zahlen hat. Manuel Soria, Industrieminister der rechtsgerichteten Madrider Regierung, erklärte empört, die von Argentinien ergriffenen Maßnahmen beträfen nicht nur Repsol, sondern "Spanien und alle Spanier". Auch EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso - ebenfalls eine Marionette der Monopole - kündigte an, Brüssel werde "Spanien politische Unterstützung erweisen und alle Optionen in Betracht ziehen". Repsol-YPF hatte die Produktion von Gas und Erdöl im Laufe der Jahre systematisch zurückgefahren, wodurch sich Buenos Aires 2011 gezwungen sah, 2011 erstmals seit 17 Jahren Treibstoff einzuführen. 1922 gegründet, gehörte YPF lange Zeit zur "Vorhut" argentinischer Unternehmen mit Staatsbeteiligung, bis es unter dem rechtsperonistischen Präsidenten Carlos Saúl Menem hundertprozentig privatisiert wurde.

Mit seiner Entscheidung gesellt sich Argentinien wie Brasilien (Petrobras) und Venezuela (PDVSA) zu jenen Ländern Lateinamerikas, in denen die Nutzung von Erdöl und Erdgas durch staatliche Beteiligung oder umfassende Verstaatlichung den nationalen Interessen dienstbar gemacht werden kann.

Im Urteil von Patricio Echegaray hat die Kirchner-Regierung einen bedeutsamen Schritt vorwärts getan, der die Souveränität des Landes stärkt. "Wir begrüßen diese Entscheidung", betonte der Generalsekretär der KP Argentiniens.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel, und "Granma Internacional", Havanna


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Argentiniens Nationalflagge weht jetzt neben dem Firmenbanner vor der Konzernzentrale

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"Wir sind nicht Eure Milchkühe!"
Landesweite Kampagne der belgischen PTB gegen die Abzocker

Seit Monaten stößt in Belgien eine landesweite Kampagne der Partei der Arbeit (PTB) gegen die Taschenräuber aus Monopolen und Banken sowie deren Komplizen in Parteien und Behörden bei Hunderttausenden auf außergewöhnliche Resonanz. Unzählige Plakate im ganzen Land zeigen das Symbol einer wütenden Kuh. Der Text darunter lautet: "Ungehorsam! Ich bin keine Milchkuh! Wendet Euch lieber an die Spekulanten, Großbankiers und Millionäre!" Neben dem Symbol der belgischen Kommunisten - dem roten Stern - sieht man am unteren Rand der großformatigen Poster und besonders zum Anbringen an Wohnungsfenstern gedachter Aufkleber die alte Losung der PTB: "Zuerst die Menschen, nicht der Profit!"

Eingeleitet wurde die sofort auf Massensympathie stoßende Kampagne mit einer spektakulären Aktion, die am 19. April vor dem Brüsseler Hauptbahnhof stattfand. Dort hatten sich Genossen mit einer aufblasbaren Riesenkuh postiert, die allgemeines Aufsehen erregte, so daß sich an den Ständen der Partei sofort eine lebhafte Diskussion über das Anliegen der Organisatoren des "Events" entspann. Sämtliche auf dem Gare Central ankommenden Reisenden mußten beim Verlassen der Station das trotzige Tier passieren.

Raoul Hedebouw, der offizielle Sprecher der PTB, gab Interessierten bereitwillig Auskunft, was es damit auf sich habe. "Es ist Zeit, dafür zu sorgen, daß die bei uns in Belgien, aber auch in Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und Italien für die Krise Verantwortlichen die Zeche zahlen. Das ist unsere Botschaft, die wir mit einer Million 'Milchkuh'-Flugblättern landesweit unter die Leute bringen", sagte Hedebouw. "Immer mehr Menschen suchen inzwischen Kontakt zur PTB. Wir sind auf dem besten Wege, uns als echte Kraft der linken Opposition, als eine kreative Partei in Belgiens politischer Landschaft zu positionieren."

Es ist übrigens nicht das erste Mal, daß sich die PTB als Motor und Seele einer überaus originellen, vor allem auch junge Leute ansprechenden nationalen Kampagne erweist. Die Belgier sind bereits daran gewöhnt, von ihren Kommunisten nichts Ausgelutschtes oder Abgestandenes serviert zu bekommen. Agitation darf nicht auf die Nerven gehen, sondern muß Spaß machen. - Das erklärt auch die Tatsache, daß der Einfluß des vor zehn Jahren gegründeten PTB-Jugendverbandes COMAC - er zählt derzeit über 2500 Mitglieder, die an Universitäten, Oberschulen und in vielen Wohnvierteln aktiv sind - rasch zunimmt. Zu den Höhepunkten seiner immer mehr junge Belgier ansprechenden Aktivitäten gehört die jährliche Karl-Marx-Schule. An drei aufeinanderfolgenden Tagen debattieren Hunderte Mitglieder und Sympathisanten über aktuelle Themen und machen sich mit Grundfragen der marxistischen Theorie vertraut. Im Februar dieses Jahres bot die "Ecole Karl Marx" nicht weniger als 18 verschiedene Seminare, eine abschließende Konferenz mit sämtlichen Teilnehmern und ein sprühendes Fest an.

"Den Marxismus zu studieren, ist für die Mädchen und Jungen des COMAC sehr spannend und keineswegs Schnee von gestern", berichtete das PTB-Wochenblatt "Solidaire", das dem Jugendverband einmal mehr zwei Sonderseiten einräumte.

Zum diesjährigen Lehrplan der Karl-Marx-Schule gehörten Themen wie "Der Krieg in Spanien 1936 bis 1939", "Die Freiheitsbewegungen der indigenen Völker", "Die Lage in Griechenland" und "Kommunismus für Anfänger".

Doch auch die jüngsten Revolutionäre verliert die PTB nicht aus ihrem Blickfeld. Vom 4. bis 11. August findet abermals das schon traditionelle Sommer-Camp der Pioniere - diesmal auf einem Landgut bei Charneux - statt. Die PTB-Kinderorganisation lädt zu Erholung, Spaß, Spiel und spielerischem Lernen ein.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Vertreibung aus dem Paradies
Warum London die Bewohner des Chagos-Archipels deportieren ließ

Unlängst starb Lisette Talate. Ich erinnere mich an die drahtige, hochintelligente Frau, die ihr Leid mit Entschlossenheit überwand. Sie verkörperte den Widerstandswillen eines Volkes im Ringen um Demokratie. Ich sah ihr Gesicht zum ersten Mal in den 50er Jahren. Das britische Kolonialministerium hatte einen Film über die Einwohner der Chagos-Inseln, einer kleinen Kreolen-Nation, die auf halbem Wege zwischen Afrika und Asien im Indischen Ozean lebt, gedreht. Die Kamera schweifte zwischen blühenden Dörfern, einer Kirche, einer Schule, einem Hospiz - inmitten einer friedlichen Natur von unbeschreiblicher Schönheit - hin und her. Lisette erinnert sich, wie der Filmemacher sie und ihre Schulfreundinnen ermunterte: "Lächelt mal, Mädchen."

Viele Jahre später saß Lisette in ihrer Küche auf der Insel Mauritius und erzählte: "Man mußte mich nicht zum Lachen ermuntern. Ich war ein tief in meiner Inselwelt, meinem Paradies, verwurzeltes Kind. Schon meine Urgroßmutter hatte dort gelebt. Ich gebar in meiner Heimat sechs Kinder. Daher konnten sie uns nicht einfach aus unseren Häusern verjagen - sie mußten uns erschrecken, um uns zu zwingen, sie zu verlassen. Zuerst versuchten sie uns auszuhungern. Die Versorgungsschiffe kamen nicht mehr; dann verbreiteten sie das Gerücht, man würde uns ausbomben; schließlich vergasten die ersten US-Soldaten unsere Hunde."

Die Chagos-Inseln wurden im 16. Jahrhundert von portugiesischen Seefahrern entdeckt, gelangten dann in Frankreichs Besitz und gingen nach dem Napoleonischen Krieg an die Briten. 1965 erhielt der Archipel die Bezeichnung "British-Indian Ocean Territory".

Harold Wilsons britische Labour-Regierung willigte 1970 ein, als Washington verlangte, den Chagos-Archipel von seinen 2500 Bewohnern zu säubern, damit auf Diego Garcia eine riesige Militärbasis errichtet werden konnte. Lisette, ihre Familie und Hunderte andere wurden auf ein rostiges Dampfschiff verfrachtet und zu der 1600 Kilometer entfernten Insel Mauritius gebracht. Sie schliefen auf einer Ladung aus Düngemitteln. Zwei Frauen hatten während der Überfahrt Fehlgeburten.

In Port Louis an Land gebracht, starben Lisettes jüngste Kinder Jollice und Regis innerhalb von zwei Wochen. Sie hatten um ihre Hunde getrauert und wußten, daß sie nun kein Zuhause mehr besaßen. Lisettes Mann erlag einem Schlaganfall.

Der Akt der Massenverschleppung wurde streng geheimgehalten, denn nach Art. 7 des Rom-Statuts, an das sich der Internationale Strafgerichtshof zu halten hat, gilt die "Deportierung oder zwangsweise Überführung einer Bevölkerung" als Verbrechen gegen die Menschenrechte. Großbritannien hat dieses Delikt begangen - für 14 Millionen US-Dollar zum Kauf eines "Polaris"-U-Bootes aus den USA.

Nachdem der Stützpunkt fertiggestellt war, flog das britische Verteidigungsministerium eine Gruppe von Journalisten auf die Chagos-Inseln. "In unseren Berichten steht nichts über Einwohner oder Evakuierung", hieß es.

Der sowjetische Journalist V. Shitomirski stellte schon 1975 die Frage nach dem Schicksal der Einheimischen im Zuge der "Umwandlung" des Chagos-Archipels in eine westliche Militärbasis.

Diego Garcia spielte eine Schlüsselrolle in der NATO-Aggression gegen Irak. Auch heute starten Kampfmaschinen von seinen meilenlangen Pisten - nicht zuletzt nach Afghanistan. Lisettes einstige Gartenterrassen beherbergen inzwischen die bunkerbrechenden Bomben, die von B-23 der U.S. Air Force nach Afrika und Asien befördert werden. Um den Status krimineller Macht zu vervollständigen, hat die CIA hier auch noch ein Gefängnis im Guantánamo-Stil eingerichtet. Zur Verhöhnung der Insassen, die keinerlei Gerichtsbarkeit kennenlernen, heißt es "Camp Justice" - Lager Gerechtigkeit. Der Krieg gegen die Demokratie sei in Kreisen der westlichen Elite kein Gesprächsthema. "Es ist nie passiert ­...", schrieb Harold Pinter sarkastisch.

Die Menschen aus Diego Garcia geben nicht auf. Im Jahr 2000 erklärte Großbritanniens Oberster Gerichtshof ihre Ausweisung für "illegal", doch Anthony Blairs Labour-Regierung verhinderte ihre Rückkehr unter Hinweis auf einen "Vertrag" mit Washington. 2003 wurde ihnen eine Entschädigung verweigert, im Juni 2004 annullierte man überdies die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes.

Mehr als 2000 US-Soldaten sind auf Diego Garcia stationiert. 30 Kriegsschiffe liegen dort vor Anker, eine Satelliten-Spionagestation wurde errichtet, und die Inseln wurden obendrein auch noch zur Lagerung von Atommüll mißbraucht.

Im Juli 2011 veröffentlichte der US-Historiker William Blum eine bedrückende Bilanz der Außenpolitik Washingtons seit dem Ende des 2. Weltkrieges. Da gab es Bestrebungen, mehr als 50 Regierungen zu stürzen, von denen die meisten demokratisch gewählt worden waren; die Unterdrückung von Volksaufständen oder nationalen Bewegungen in 20 Ländern; unverschämte Eingriffe in demokratische Wahlen in mindestens 30 Staaten; die Bombardierung von Zivilisten in mehr als 30 Ländern; Mordversuche an mindestens 50 Politikern in aller Welt.

Der Feind wechselt nur den Namen: Statt "Kommunismus" heißt er jetzt "Islamismus", doch es handelt sich stets darum, Wege zur Demokratie zu blockieren, wenn sie unabhängig von der Macht des Westens beschritten werden, oder wenn es sich um Völkerschaften handelt, die einen strategisch und wirtschaftlich wichtigen Landstrich bewohnen und überdies auch noch auf ihre Rechte pochen.

Das Ausmaß des Leidens, dem die Opfer der Terrorpolitik des Westens ausgeliefert sind, ist in der sogenannten zivilisierten Welt trotz modernster Kommunikationstechnologie, des (nominell) freiesten Journalismus und der hochehrbaren Akademiker-Kaste kaum bekannt.

Heute ist es ein Tabu zu sagen, daß die meisten Opfer des westlichen Terrors Muslime sind. Auch die Tatsache, daß eine halbe Million irakischer Kinder in den 90er Jahren infolge des britisch-amerikanischen Embargos sterben mußte, interessiert niemanden. Washingtons Ex-Außenministerin Madeleine Albright bezeichnete diesen Massenmord zynisch als "notwendigen Preis" für den Sieg über Saddam Hussein.

Dr. Vera Butler, Melbourne, gestützt auf einen Artikel von John Pilger in "The New Statesman", London

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Benedikt in Kuba: Ein Papstbesuch der etwas anderen Art

Granma Internacional" - die Auslandsausgabe des Organs der KP Kubas - brachte im Mai eine Doppelseite vom mehrtägigen Aufenthalt Papst Benedikt XVI. auf der Insel der Freiheit. Neben einem Bildbericht von den beiden Messen, die der Pontifex im Beisein führender Repräsentanten des Staates in Santiago de Cuba und Havanna las, brachte das Blatt auch mehrere Aufnahmen vom Gespräch des hohen Gastes mit Fidel Castro. Nach Auskunft eines Vatikansprechers verlief die Begegnung "sehr herzlich" sowie "in guter Stimmung und bei Heiterkeit beider".

Der historische Führer der kubanischen Revolution war einer Einladung in die Apostolische Nuntiatur gefolgt. Fidel Castro ließ das Oberhaupt der katholischen Christenheit bei dieser Gelegenheit wissen, daß er alle Etappen seiner Reise aufmerksam am Bildschirm verfolgt habe. Der Papst bedankte sich für die Beweise der Zuneigung, die er in Kuba erfahren habe.

Der päpstliche Besuch verlief für jene im "Westen" frustrierend, welche zuvor verkündet hatten, die Kuba-Visite Benedikt XVI. werde den sozialistischen Karibikstaat "teuer zu stehen kommen und zu ernsten politischen Verwerfungen führen". Hoffnungen, das seit mehr als einem halben Jahrhundert der Yankee-Blockade erfolgreich trotzende und selbst die Folgen der verheerenden Isolierung nach dem Wegfall der Staaten der sozialistischen Gemeinschaft bewältigende Kuba könne durch die Visite eines hohen geistlichen Würdenträgers einer "inneren Zerreißprobe ausgesetzt" werden, waren auf Sand gebaut. Dank der Klugheit und Toleranz der kubanischen Führung sowie der politisch-moralischen Reife des Volkes - einschließlich des überwiegenden Teils der kubanischen Katholiken - und der Lebensweisheit des die Lage sachlich bewertenden hohen Gastes aus Rom war der Papstbesuch nicht nur ein bedeutsames konfessionelles Ereignis, sondern trug auch zu Frieden und Verständigung im regionalen wie im internationalen Maßstab bei.

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna

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Pilotprojekt Wilcannia
Alphabetisierung australischer Aborigines mit Hilfe Havannas

Als Aborigines bezeichnete australische Ureinwohner aus Wilcannia im Staat New South Wales (NSW) empfingen am 8. Mai hohen Besuch. Sie konnten Kubas Botschafter Pedro Monzón in ihrer Mitte willkommen heißen. Der Diplomat war zur feierlichen Aushändigung der Diplome für elementare Schreib- und Lesekundigkeit an die ersten zehn Teilnehmer eines auf kubanischen Erfahrungen fußenden Projekts zur Überwindung des Analphabetentums in die entlegene Ortschaft eingeladen worden. Ihnen hatte man während eines Zeitraums von 13 Wochen an jeweils drei Tagen zwei Stunden Unterricht erteilt, Die Dosierung erwies sich als zweckmäßig, um die Kursanten nicht zu überfordern. Das Pilotprojekt folgt dem 1959/60 in Kuba erprobten Prinzip "Yo Si Puedo!" - "Ja, ich kann!"

"Ich glaube, daß man einem Menschen kein größeres Geschenk machen kann, als ihn vom Analphabetentum zu befreien", sagte der für das Projekt verantwortliche Instrukteur Jack Beetson, der bereits in Osttimor an einer entsprechenden Kampagne teilgenommen hatte. Botschafter Monzón war einst als blutjunger Schüler selbst an der großen Alphabetisierungskampagne in seiner Heimat beteiligt gewesen, bei der etwa 40 % der Kubaner Grundkenntnisse erwarben. "Wir haben damals mit den Bauern zusammengelebt und tagsüber auf den Feldern gearbeitet, um ihnen am Abend Lesen und Schreiben beizubringen", berichtete der Diplomat. Die dabei erprobte Methode des engen Zusammenrückens mit der Bevölkerung sei auch bei der Operation "Ja, ich kann!" in Wilcannia mit Erfolg angewandt worden, fügte der kubanische Projektberater José Chala hinzu.

Die meisten der etwa 500 Einwohner des im äußersten Nordwesten von NSW gelegenen Ortes sind Aborigines. Australiens Urbevölkerung besteht zu 40 bis 50 % aus funktionellen Analphabeten, die zwar äußerst mangelhaft schreiben können, aber außerstande sind, eine Zeitung oder ein Buch zu lesen.

Das von Kubanern unterstützte und auf deren Erfahrungen fußende Wilcannia-Projekt wird nach vorausgegangenen Debatten über das Für und Wider jetzt auch vom australischen Erziehungsministerium offiziell gefördert.

Übrigens reagierte die örtliche Bevölkerung auf die Alphabetisierungskampagne sehr positiv. Zum Auftakt hatten sich 300 Aborigines im Park versammelt, um das Ereignis gebührend zu feiern. Botschafter Monzón, den die Anwesenden stürmisch begrüßt hatten, wies darauf hin, daß sich das Projekt "Ja, ich kann!" bisher in 30 Ländern bewährt habe.

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Kubas Botschafter Monzón mit indigenen Kursteilnehmern

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DDR-Label Eterna erfährt Renaissance
Delikatessen klassischer Musik sind Genießern wieder zugänglich

Mittlerweile wird die DDR ja an vielen Fronten verteufelt und alles in diesem kleinen Staat jemals Geschaffene ignoriert oder verlacht. Jeder, der keine Repressalien nachweisen kann, war bei der Staatssicherheit, die Kinder zwang man im Kindergarten aufs Töpfchen und neben den Puhdys und Karat lief nichts im gleichgeschalteten Radio ­...

Unvergessen sind die klassischen Aufnahmen vom rührigen Label Eterna, die leider gleich nach der "Wende" an die Schallplattenfirma Edel verramscht wurden.

Was kaufte die Westverwandtschaft während ihres Besuchs im Osten? Preiswerte Fachbücher und Schallplatten mit klassischer Musik.

Zwar versucht man nun mit dem Waschzettel zu suggerieren, daß viele Künstler aufgrund von Reisebeschränkungen in den alten Bundesländern noch nicht bekannt seien, aber Kurt Masur, Ludwig Güttler, die Staatskapelle Berlin, Peter Schreier, Gisela May und viele mehr, die es jetzt wieder zu entdecken gilt, könnten anderes berichten. Sie zeigten der Welt, daß die Musikausbildung in der DDR großartig war und man immer mit phänomenalen Künstlern rechnen konnte. Wo DDR drauf stand, da waren Leidenschaft, Perfektionismus, Liebe zur Musik und unerreichte Klassik-Interpretationen drin.

Da lagen herrliche Aufnahmen mit unschlagbaren Dresdner und Leipziger Klangkörpern, einmaligen Chören, wunderbar spielenden Solisten und ebenso agierenden Dirigenten in den Archiven der Hamburger Firma und fanden nur als Billigprodukte den Weg in die Supermärkte.

Mitte der 90er Jahre gab es den ersten Versuch, die originalen Aufnahmen mit den dazugehörigen Covern unters Volk zu bringen. Werbung wurde leider kaum betrieben, und auch die Presseberichte fielen kläglich oder nichtssagend aus, da mittlerweile abgehalfterte westdeutsche Journalisten die Chefsessel der regionalen Zeitungen im Osten besetzten und als Klassik nur den gerade mit Strauß-Melodien für Furore sorgenden André Rieu erkannten.

Nun also versucht man es noch einmal. Wir freuen uns, daß es die schönen und interessanten Aufnahmen von Eterna wieder gibt.

Neben den bekannten Tonschöpfungen von Adolf Bruckner (Sinfonie Nr. 4), Franz Schubert ("Unvollendete"), Joseph Haydn (Sinfonie Nr. 93, Nr. 94) und Beethoven (Sinfonie Nr. 9) ist da die unerhörte und einzigartige Aufnahme von Smetanas "Mein Vaterland". Hier spielte das Gewandhausorchester Leipzig unter der Leitung von Václav Neumann mit Leichtigkeit und Freude. Man will den Fluß hören und spüren, die Tränen laufen heiß, es wird wieder ein wunderbarer Tag. Dies ist eine LP, die bis heute in vielen ostdeutschen Haushalten auf den Plattenteller kommt und immer noch eine erotische Ausstrahlung hat. Auch Carl Orffs "Carmina Burana", interpretiert vom Rundfunkchor, dem Rundfunkkinderchor Leipzig und dem Sinfonieorchester Leipzig, ist unerreicht und voller Schönheit und Intelligenz. Endlich gibt es wieder rein und unverfälscht die Orchesterwerke von Paul Dessau und die "Deutsche Sinfonie" von Hanns Eisler. Das Herz schlägt links, im kräftigen Takt.

Man vernimmt immer noch den Kampf von Eisler um Anerkennung, gerade bei dieser Sinfonie. Der Satz "Kämpfer in den Konzentrationslagern" wurde vom Rundfunk-Orchester Berlin sehr hart und intensiv eingespielt. Während die "Arbeiterkantate", das Kernstück der Sinfonie, aus den Lautsprechern dringt, denkt der Hörer sofort an die jahrhundertelange Unterdrückung und Ausbeutung, spürt im letzten Teil den Kampf um Selbstbestimmung und möchte schließlich im stürmischen Schlußsatz (Allegro für Orchester) mitjubeln und zur erneuten Befreiung aufrufen. So atemberaubend und realitätsnah kam Eisler nie wieder auf ein Album. Weiterhin gibt es die Sinfonie "Das Lied von der Erde" (Gustav Mahler), eingespielt vom Berliner Sinfonieorchester und gesungen von Peter Schreier und Birgit Finnilä. Das Trinkerlied "Jammer der Erde" sticht heraus und ist dabei ganz hervorragend gelungen. Die großen Flöten weinen, die Klarinette, die Hörner, Trompeten und Posaunen lassen uns das ganze Elend spüren. Alles ist durchdringend und vom Dirigenten Kurt Sanderling mit mystischen Mitteln zum Ende gebracht.

Auch die weltbekannten Interpreten wurden in dieser Reihe nicht vergessen. So gibt es die Zusammenstellung von Peter Schreier: "Die schöne Müllerin". Der Tenor, der besonders durch die Evangelistenpartien von Johann Sebastian Bach die Welt berauschte, präsentiert dabei ein weitgefächertes Repertoire. Von Oper, Operette (Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt"!) bis hin zum klassischen Lied sang der Dresdner Künstler, der 2005 seine Karriere beendete, alles perfekt und aufregend.

Unbedingt wieder zur Hand nehmen sollte jeder das Album mit der Sopranistin Hanne-Lore Kuhse, die nahezu alle Partien im dramatischen Fach singen konnte und besonders als Marie in der Oper "Wozzeck" von Alan Berg brillierte. Opernfreunde in Budapest, Bukarest, London, Nizza, Prag und Sofia schwärmen noch heute von ihren Konzerten.

Sogar die Einspielung "Bilder einer Ausstellung" vom Pianisten Peter Rösel ist wieder zu haben, der übrigens am Tschaikowski-Konservatorium Moskau studiert hat. Der heutige Professor für Klavier an der Hochschule für Musik "Carl Maria von Weber" Dresden strich mit leichten Gesten über die Tasten, spielte höchst erfrischend und stilistisch perfekt. Die Klarheit seines perlenden Spiels überrascht noch heute.

Neben vielen weiteren aufregenden Einspielungen, hier sollte man unbedingt die "Psalmen Davids" (Heinrich Schütz) vom Dresdner Kreuzchor und die "Opernszenen" mit Theo Adam hören, begeistert vor allem Gisela May. Bis heute ist sie als die Brecht-Interpretin bekannt. Mit dem Berliner Ensemble gab sie lange die "Mutter Courage" und sang 1972 das vorliegende Album "Brecht-Songs" ein. Ihre Stimme ist erregend und erzeugt reichlich Gänsehaut.

Diese Edition, die 30 CDs umfaßt, zeigt ein hohes Maß an Musikalität und klanglicher Qualität. Es ist ein faszinierender Überblick zu drei Jahrzehnten (musikalischer) Kunst in der DDR. Solche tollen Einspielungen kann und soll man nicht verschweigen.

Thomas Behlert


Beziehen kann man die "KulturSpiegel"-Edition u.a. über www.zweitausendeins.de (dort für 8,99 € je CD)

Andere Einspielungen der Eterna-Collection (derzeit insgesamt 58) gibt es etwa bei www.buecher.de (dort für 7,99 €)

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Falscher Ruhm für "Preußens Gloria"
Zur Inflation von Fridericus-Rex-Filmen vorgestern, gestern und heute

Einen solchen Rummel um Friedrich II. wie anläßlich seines 300. Geburtstages hat es bisher noch nicht gegeben. Die Medien überschlugen sich förmlich, neue Bücher erschienen, Ausstellungen, Theateraufführungen, sogar ein Musical und natürlich Filme wie "Friedrich - ein deutscher König" mit Katharina und Anna Thalbach in den Hauptrollen gehörten zum großen Zeremoniell. Doch ein so bissiges Stück wie das Hacks-Werk "Der Müller von Sanssouci" aus dem Jahre 1958, das sich satirisch mit der Fridericus-Rex-Legende auseinandersetzte, war nicht dabei.

Vor mehr als 70 Jahren, am 3. März 1942, fand im Ufa-Palast am Zoo die Premiere des Films "Der große König" statt. Regie führte Veit Harlan. Das war der Mann, der den üblen antisemitischen Hetzfilm "Jud Süß" gedreht hatte, in der Bundesrepublik Deutschland aber weiter in der Branche tätig sein durfte. "Der große König" war ein pompöser Schmachtfetzen, noch schlechter gemacht als frühere Fridericus-Rex-Filme. Die Nazipresse berichtete dennoch voller Begeisterung, von der Zensur erhielt das Machwerk die besten Noten als "Film der Nation" bis zur besonderen Empfehlung für die Jugend. Thema war ein Kapitel aus dem Siebenjährigen Krieg, das den preußischen Truppen keinen Ruhm einbrachte. In der Schlacht bei Kunersdorf (heute Kunowice in Polen) erlitt die 49 000 Mann starke preußische Armee 1759 eine vernichtende Niederlage. Sie verlor 1900 Mann an Toten und Verwundeten und fast ihre gesamte Artillerie. Das Nazi-Propagandaministerium forderte daher die Presse auf, keinesfalls Vergleiche zwischen Friedrich II. und dem "Führer" anzustellen, da die "schwierige militärische Situation" am Beginn des Films zu falschen Schlußfolgerungen verleiten könnte.

Im Dezember 1941 waren die deutschen Faschisten von der Roten Armee vor Moskau gestoppt worden - das Finale des "Blitzkrieges". Friedrich II. erschien natürlich im Film als ein von der "Vorsehung" gesandter Genius, der sein Volk "zum großen Sieg führen wird", wie Veit Harlan erklärte.

Die filmische Darstellung Friedrichs II. ist so alt wie die Filmgeschichte selbst. Der häufig erwähnte Streifen "Friedrich der Große" von Max Skladanowsky, einem der Pioniere des deutschen Films, wurde nie gedreht. Doch Oskar Messter nahm bereits 1897 in seinem Kunstlichtatelier in der Friedrichstraße die ersten Kostümfilme auf, darunter "Friedrich der Große beim Flötenspiel".

Die meisten Fridericus-Verfilmungen gab es erstaunlicherweise nicht in der Nazizeit, sondern in der Weimarer Republik. 13 Produktionen aus dieser Zeit standen vier aus der Zeit vor 1918 und sechs in der Periode nach 1933 gegenüber. 1922, knapp vier Jahre nach dem Ende des Weltkrieges und dem Sturz der Monarchie, kam ein großangelegter vierteiliger Film in die deutschen Kinos: "Fridericus Rex - ein Königsschicksal", den die Berliner Cserépy Film Co GmbH im Auftrag der Ufa gedreht hatte. Die Uraufführung der ersten beiden Teile "Sturm und Drang" sowie "Vater und Sohn" erfolgte am 31. Januar 1922 "Sanssouci" und "Schicksalswende", der 3. und 4. Teil, hatten dann am 22. März 1923 Premiere. Der Film pries die "preußischen Tugenden" und suggerierte, daß die Monarchie die beste Staatsform sei.

Der Filmpublizist Siegfried Kracauer kommentierte, daß Anlage und Durchführung des Films unmittelbar darauf abzielten, dem Publikum die Überzeugung beizubringen, "daß ein zweiter zeitgenössischer Fridericus nicht nur die Krankheitserreger des Sozialismus vernichten, sondern auch Deutschlands nationalen Machtansprüchen wieder zu ihrem Recht verhelfen" könne.

"Fridericus Rex" stand am Anfang einer Reihe. Mit einer Ausnahme spielte in allen weiteren Filmen Otto Gebühr die Hauptrolle. 1927 kam "Der Alte Fritz" auf die Leinwand. Er stellte den angeblich demokratischen Volkskönig in den Vordergrund, der das Friedensgeschäft genausogut verstand wie das Kriegshandwerk.

Der frühe Tonfilm gab dem Preußenfilm eine neue nationalistische und chauvinistische Dimension. Mit dem "Flötenkonzert von Sanssouci" in der Regie Gustav von Ucickys setzte die Ufa hierfür ein Zeichen.

Der Krieg wurde Preußen von Maria Theresia, der Pompadour und der Kaiserin Elisabeth von Rußland selbstverständlich aufgezwungen. Während Friedrich ruhig und gelassen im Musiksaal von Sanssouci Flöte spielte, schob man ihm ein dechiffriertes Geheimdokument auf sein Notenpult. In den kurzen Pausen gab der König Generälen und Ministern Anweisungen. Ein "Präventivschlag" wurde in Szene gesetzt. Nur mit knapper Mehrheit von der Filmoberprüfstelle freigegeben, hatte der Film trotz heftiger Proteste und Demonstrationen am 19. Dezember 1930 Premiere.

Diesem Streifen ließ die Ufa 1932 "Barberina, die Tänzerin von Sanssouci", "Trenck" und den "Choral von Leuthen" folgen.

"Trenck" war ein Film, der vom Schema abwich, und nicht nur, weil diesmal nicht Otto Gebühr, sondern Theodor Loos einen despotischen König spielte, der der historischen Wirklichkeit mit Sicherheit näher kam als die üblichen Darstellungen. Friedrich II. war tyrannisch, rachsüchtig, ungerecht und unmenschlich, als es der Baron von Trenck wagte, Amalie, die Schwester des Königs, zu lieben. Von der vielbehaupteten Toleranz war absolut nichts zu spüren. Der verfolgte und gedemütigte Trenck überreichte dennoch nach 30jähriger Trennung von der Angebeteten das Buch seines Lebens mit der völlig unverständlichen Widmung "An den Geist Friedrichs des Einzigen".

Im gleichen Jahr entstand "Der Choral von Leuthen". Nach der für Preußen siegreichen Schlacht von Leuthen (heute Lutynia in Polen) am 5. Dezember 1759 soll ein Chor von überlebenden Soldaten "Nun danket alle Gott" gesungen haben. Dieser von Carl Frölich 1932 inszenierte Film konnte seine Uraufführung nach Hitlers Antritt als Reichskanzler in unveränderter Form erleben. "Es ist, obwohl die Ereignisse mehr als 175 Jahre zurückliegen, im Geiste doch ein aktueller Stoff: ein einziger Kopf, der für alle sorgt, der sich keine Ruhe gönnt, die Wankelmütigen anspornt, die Mutigen vorwärtstreibt - das aktuellste Thema in unserer heutigen führergläubigen Zeit", schrieb 1935 der Nazifilmhistoriker Kalbus.

Es folgten die Streifen "Der alte und der neue König" (1935), und "Fridericus" (1936).

Die Filme über Friedrich II. arbeiteten mit vorgefertigten Geschichtsklitterungen und Legenden. Doch sie erzielten in den 20er, 30er und 40er Jahren einen großen Publikumserfolg. Angesichts der ruhm- und sieglosen Aggressionskriege, an denen Deutschland seit einiger Zeit wieder beteiligt ist, sowie vor dem Hintergrund unlösbarer wirtschaftlicher und sozialer Probleme hält man es in BRD-Führungskreisen für angebracht, an "Preußens Größe" zu erinnern, für die in besonderem Maße Friedrich II. steht.

Dr. Kurt Laser, Berlin

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Begegnung zweier in der Wolle Gefärbter
Wie der Erfinder des "Herrn Fuchs" den "RotFuchs" entdeckte

Es ist erfreulich, daß Gerhard Vontra durch den "RotFuchs" noch einmal in Erinnerung gebracht worden ist. Der Beitrag enthält aber einen kleinen Fehler: Das Foto mit den Bäuerinnen zeigt nicht - wie im Text angegeben - mich, sondern den Reporter Manfred Schröder, der in unserer Redaktion den Bereich Agrarpolitik leitete.

Neben der Puppenreihe "Im Märchenwald" habe ich 1957 - wie im "RotFuchs" bereits berichtet wurde - auch die Kurzfilmserie "Bauer Knolle" gestaltet. Durch die etwa 40 gesendeten Folgen kam ich von der Kinderredaktion zur Redaktion Landwirtschaft des DFF. Von 1963 bis 1975 war ich dann Regisseur des Adlershofer Bildungsprogramms. Außer meiner Regiearbeit hatte ich die dankbare Aufgabe der Ausbildung von Regie-Volontären bis zum Diplom an den Filmhochschulen.

Ich habe von 1946 bis 1950 an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg Grafik und Bühnenbild studiert. Von 1950 bis 1952 setzte ich mein Studium an der Hochschule für Angewandte Kunst in Berlin-Weißensee fort, wo ich mich auf Design spezialisierte. Meine Lehrer - Oskar Nerlinger und Theo Balden - waren hier wie dort Kommunisten. Von 1953 bis 1990 konnte ich in der "sogenannten DDR" die verschiedensten künstlerischen Berufe ausüben. Bei der DEFA, beim Deutschen Fernsehfunk und beim Theater arbeitete ich als Filmarchitekt, Szenenbildner, Grafiker, Puppengestalter und -spieler, Autor und Regisseur.

Als ich 63 war, wurde ich Bundesdeutscher. Ohne umziehen zu müssen, lebte ich in einem neuen Land und verlor dadurch meinen Beruf. Dank verschiedener Zufälle des Lebens konnte ich als angeschlossener Ostrentner noch bis zu meinem 80. Geburtstag einige sinnvolle Arbeiten ausführen. Was Herrn Fuchs und Frau Elster betrifft, so wurden auch sie 1990 "abgewickelt". Jetzt werden nur noch Beiträge der 70er und 80er Jahre - bei Wahrung meiner Urheberrechte - aus dem Archiv gesendet.

Übrigens habe ich als parteiloser DDR-Bürger den Untergang des besseren deutschen Staates mit weniger Schuldgefühlen erlebt als etliche Mitglieder der so uneinheitlichen Einheitspartei. Auch heute noch fehlt es - aus meiner Sicht - oftmals an dem notwendigen kritisch-analytischen Denkvermögen. 2005 hat Fidel Castro diesen Mangel der Gesellschaftswissenschaften in Moskau und auch in der DDR als eine der Ursachen des Versagens bezeichnet.

Den "RotFuchs" habe ich übrigens erst 2011 bei einem Seniorentreffen ehemaliger Mitarbeiter des Fernsehens durch Ina Alverman kennengelernt. Auch wenn manche Bewertungen der Zeitschrift zu Irrtümern und Fehlern vergangener Tage aus meiner Sicht nicht genügend in die Tiefe gehen, bleibt die Hoffnung auf eine junge Generation, zu deren Information der "RotFuchs" wichtig ist.

Hans Schroeder, Berlin

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Sprachliche Brillanz und Vielschichtigkeit
Die Facetten des Schaffens der Waldtraut Lewin

Die am 8. Januar 1937 in Wernigerode (Harz) geborene Waldtraut Lewin begann als Musikdramaturgin und Regisseurin an den Opernhäusern in Halle/Saale und Rostock. Seit 1971 erschienen ihre Publikationen vor allem im Verlag Neues Leben. In über vier Jahrzehnten machte sie sich mit Bühnenfassungen und Übersetzungen vieler Werke des Musiktheaters einen Namen. Sie schrieb die Texte zu etwa 25 Hörspielen, von denen einige preisgekrönt wurden. Aufsehen erregten ihre mehr als 40 Bücher, darunter ihre Romantrilogie aus der römischen Geschichte "Herr Lucius und sein Schwarzer Schwan" (1973), "Die Ärztin von Lakros" (1977) und "Die stillen Römer" (1979). Der Prosaband "Kuckucksrufe und Ohrfeigen" (1983) enthielt auch die Debüterzählung "Wie Karel mit dem blauen Motorrad zu Rosa Laub flog", nach der die erste DDR-Rockoper "Rosa Laub" entstand.

In dem Erfolgsroman "Federico" (1984) rückte die Schriftstellerin den Stauferkönig Friedrich II., den Enkel des sagenumwobenen Barbarossa, in den Mittelpunkt der Handlung. Der glanzvoll aufgebaute Roman zeichnete sich durch sprachliche Brillanz, Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit der Handlungsebenen aus. In ihrem Roman "Gaius Julius Caesar" (1980) gestaltete sie den Aufstieg und Fall des römischen Feldherrn, Politikers, Literaten und Tyrannen.

Nachdem sie mehrere Händel-Opern übersetzt hatte, schrieb Waldtraut Lewin mit ihrer Tochter Miriam Margraf "Georg Friedrich Händel" (1985). Sie legte 1981 Bände mit Kunstmärchen vor. Verwiesen sei auf ihre Kinderbücher "Vom Eulchen in der Dunkelheit" (1982) und "Addio, Bradamante" (1986). In der Titelgeschichte erweckte sie hier eine alte sizilianische Marionette zum Leben in unserer Zeit. Mit scharfer Beobachtungsgabe, geschultem historischem und ausgeprägtem sozialem Nerv wußte die Autorin in ihren Reisebüchern Wesenszüge und Mentalität anderer Völker aufzuspüren. Erkennbar wird dieses in "Katakomben und Erdbeeren - Notizen einer italienischen Reise" (1977), "Garten fremder Herren - Zehn Tage Sizilien" (1982), "Waterloo liegt in Belgien" (1985) und "Villa im Regen" (1986).

1989 legte Waldtraut Lewin ihren Roman "Ein Kerl, LOMPIN genannt" über die Lebensstationen und das Werk des Daniel Speer vor. Der weitgereiste Mann trieb sich während des Dreißigjährigen Krieges als Heerespauker, Trompeter und Gaukler auf Europas Kriegsschauplätzen herum.

Waldtraut Lewins Schaffen wurde in der DDR mit dem Händel-Preis (1970), dem Lion-Feuchtwanger-Preis (1978) und dem Nationalpreis (1988) gewürdigt.

In den Jahren 2000 und 2008 erhielt sie die Jugendbuchpreise von Bad Harzburg und Rheinland-Pfalz. Die Autorin hatte es nach 1990 nicht leicht, sich "in der großen und oft flachen Literaturlandschaft" zu behaupten. Sie gab dennoch nicht auf, blieb produktiv und legte mehrere Krimis vor, darunter "Dicke Frau auf Balkon" (1994) und "Alter Hund auf drei Beinen" (1995).

Zu Beginn des neuen Jahrtausends gestand die Schriftstellerin, daß sie wenig Schlaf brauche und darum des nachts lese. Sie zwinge sich, im Tagesverlauf vier Stunden am PC zu schreiben und starte am frühen Abend noch einmal durch. Einen Roman für junge Erwachsene legte die Lewin mit "Die aus der Steppe kommen" (2002) vor. Es war eine Geschichte aus jener Zeit, in welcher die Mongolen Europa zu erobern trachteten.

Zum 65. Geburtstag schenkte sich die Autorin vier neue Kinderbücher: "Wolfsbande", "Der Mönch", "Das Mädchen" und "Der Bote", die sie gemeinsam mit ihrer Tochter Miriam Margraf verfaßte. Ferner legte sie 2002 das Bändchen "Zaubermenagerie" mit Lyrik und Prosa vor. Von dem Autorenduo Lewin/Margraf erschien ferner der amüsante Krimi "Weiberwirtschaft" (2004) mit Mysteriösem aus Magdeburg.

Waldtraut Lewin führt in "Marek und Maria" (2004) ein detailreiches Zeitbild von den schweren Luftangriffen auf Dresden vor. In zwei weiteren Büchern widmete sie sich Frauen, die an der Seite von Welteroberern lebten und selbst Geschichte schrieben. Es sind "Wenn die Nacht am tiefsten. Caesar und Kleopatra" und "Die letzte Rose des Sommers. Napoleon und Josephine", die beide 2005 herauskamen. In Lewins Jugendromanen "Mond über Marakesch" (2003) und "Wiedersehen in Berlin" (2006) wuchs im Authentischen auch eine spannende Fiktion.

Die Schriftstellerin rückte überdies jüdische Themen in den Vordergrund ihres Schaffens. Im Mittelpunkt ihres 2007 erschienenen ersten Bandes einer geplanten Trilogie "Drei Zeichen sind ein Wort" steht die sechzehnjährige Jüdin Leonie Lasker. Die Autorin breitet die schicksalsreiche Familiengeschichte aus und weiß sie mit hoher Erzählkunst zu vermitteln.

Sicher gibt es nur wenige Literaten, welche die Leser über Jahrzehnte hinweg immer wieder mit etwas Neuem überrascht haben. Waldtraut Lewin zählt zu diesen. Ihre Geschichten erhellen unterhaltsam historische Hintergründe. Ihr Schaffen ist kenntnisreich, kompetent, spannend und voller Farben.

Dieter Fechner

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Cornelias kleine große DDR (9 und Schluß)
Vom ganz gewöhnlichen Aufwachsen und Leben im Sozialismus

Mit der "Wende", die Leute mit Durchblick schon bald als Konterrevolution ausmachten, weil sie bereits überwundene bürgerlich-kapitalistische Macht- und Eigentumsverhältnisse wiederherstellte, traten verschiedene "Neuerungen" bei uns in Kraft. Wir bekamen meist abgehalfterte Berater aus dem Westen, die uns beibringen sollten, wie richtig gearbeitet wird. Unser Volkseigener Betrieb wurde eine GmbH, die Kaufhallen taufte man in Supermärkte um, wir erwarben eiligst bei uns abgeladenen Schrott und ließen uns von Wendigen, die gerade noch 250prozentige "Genossen" gewesen waren, dazu beglückwünschen, nun auch zum "Westen" zu gehören.

Meine Kandidatenkarte der SED/PDS gab ich nicht ohne Emotionen zurück, als ich erfuhr, daß sich die KPD im Januar 1990 in Berlin-Weißensee neu konstituiert hatte. Bei dem Entschluß, ihr beizutreten, dachte ich an meine Großeltern und meinen Vater, die alle Kommunisten gewesen waren. Bis heute glaube ich, daß die Partei, deren ZK ich inzwischen angehöre, mich genauso braucht wie ich sie.

Ein "Erlebnis" besonderer Art will ich hier nicht unterschlagen. Vor der Bundestagswahl beehrte uns in Frankfurt/Oder Helmut Kohl. Da wir wußten, daß einige unserer Heißsporne sich aus diesem Anlaß mit Eiern und Tomaten bewaffnen wollten, galt es, sie im Zaume zu halten. "Kämpft mit Worten!", sagten wir diesen Genossen. Solche Wurfgeschosse mit Gebrauchswert waren uns einfach zu schade. Abgeschirmt von der Menge, umgeben von Hörigen, versuchte der Mann aus Bonn zu Wort zu kommen. Er wurde mit einem Pfeifkonzert empfangen. Auch ließ es sich nicht vermeiden, daß trotz unserer Vorkehrungen doch ein paar aus der Reihe tanzten.

Die Sache hatte ein Nachspiel. Zwei Tage später wurde ich zu unserem neuen Chef gerufen. Ihm sei zu Ohren gekommen, daß ich inmitten jener Randalierer gesehen worden sei, die den Herrn Bundeskanzler so unflätig empfangen hätten, ließ er mich wissen. Ja, es heiße sogar, daß der Staatsschutz inzwischen gegen mich ermittle. Er müsse mich deshalb als Abteilungsleiterin der Wohnraumvermarktung, zu der ich erst im September 1990 ernannt worden war, "aus der Schußlinie nehmen". Innerhalb von 14 Tagen solle ich ihm kundtun, in welchem Bereich ich fortan arbeiten wolle. Dieser Vorgesetzte gehörte nicht zu den Mutigsten. Unser Gespräch habe natürlich niemals stattgefunden, beugte er vor. Ich fühlte mich beschmutzt, wußte ich doch wie alle im Haus, daß dieser Mann einmal in einer Berliner SED-Kreisleitung "ziemlich weit oben" tätig gewesen war. Jetzt erfand er sich im Westen gewissermaßen neu. Ich machte ihn unmißverständlich darauf aufmerksam, daß ich nicht bereit sei, mit ihm über politische Themen zu reden. Meine Genossen gingen noch einen Schritt weiter und empfahlen mir, unverzüglich die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Dort kam man aus dem Staunen nicht heraus. Ein Anruf beim Staatsschutz, den ich mithörte, ergab, daß weder gegen mich noch gegen die Partei irgendwelche Ermittlungen eingeleitet worden waren.

Nun lastete nicht nur der Arbeitsdruck auf mir, sondern auch die Tatsache, daß der Wendehals auf dem Chefsessel offensichtlich darauf aus war, mir um jeden Preis Beine zu stellen. Von morgens 6 bis abends 21 Uhr - sogar an den Wochenenden - mußte ich rackern, um alles zu schaffen.

Mein Mann glaubte - anders als ich - an die versprochenen "blühenden Landschaften" im Osten und machte eine Gaststätte auf. Die Kinder sahen mich in dieser unruhigen Zeit nur hin und wieder. Bei Nicolas, unserem Jüngsten, hatte man Legasthenie festgestellt. Glücklicherweise gab es damals noch die Sprachheilschule mit vortrefflichen Sonderpädagogen, die wahre Wunder bewirkten. Markus, der Älteste, lernte nach Westmaßstäben, wie Maurer am Feierabend ihre Wände wieder einzureißen haben, nachdem er zuvor schon das Wertgefühl konstruktiver Arbeit an den Lehrlingsbauten der DDR kennengelernt hatte. Stefan, der Mittlere, trat als Schulsprecher dagegen auf, daß auf einmal alles falsch gewesen sein sollte, was er zuvor gelernt hatte.

Eines Tages meldete sich der ehemalige Eigentümer des durch uns sanierten Reihenhauses, in dem wir nach ordnungsgemäßer Zuweisung als Mieter eingezogen waren.

Doch nicht nur wir hatten an den Folgen der als "Wiedervereinigung" bezeichneten Annexion der DDR zu knabbern. Allenthalben wurden Kollegen entlassen. Die Lebenshaltungskosten stiegen rasant, und unsere Miete machte, was sie wollte, obwohl sich am Wohnkomfort überhaupt nichts geändert hatte. Mich - eine gestandene Wohnungswirtschaftlerin - drängte man dazu, nach Feierabend noch den Abschluß als Kauffrau in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft zu machen, wollte ich meinen Arbeitsplatz behalten. Anderen ging es genauso. So legte ich eine zweite Facharbeiterprüfung ab, obwohl ich für das Wohnungswesen bereits die bestmögliche Ausbildung besaß.

Ich will es dabei bewenden lassen. Jede "ehrliche Haut" wird mir aufgrund eigenen Erlebens bestätigen, daß sich die "Wende" so oder ähnlich abgespielt hat.

Als mein Schwiegervater 1996 plötzlich verstarb, bot ich einen Umzug zur Schwiegermutter nach Beeskow an, obwohl ich nun täglich nach Frankfurt zur Arbeit fahren mußte. Mein Mann war gezwungen, seine Kneipe zu schließen. Er erlebte zwei Insolvenzen von Firmen, in denen er Bauleiter gewesen war und meldete am Ende selbst Insolvenz an. Nur die rechtzeitige Gütertrennung bewahrte uns vor einer Pfändung. Seit dieser Zeit hat mein Mann keine richtige Arbeit mehr gefunden. Ich selbst erlitt 1997 einen schweren Unfall, dessen nicht behebbare Folgen mich zwei Jahre später zur Beantragung der Erwerbsunfähigkeitsrente zwangen. Schließlich fand ich trotz anhaltender körperlicher Beschwerden neue Wege zu sinnvoller, mich befriedigender Betätigung.

Neben ehrenamtlichen Aufgaben verschiedener Art und meinem Hobby - der Malerei - ist es in erster Linie das politische Engagement, das mich ausfüllt. Allerdings weiß ich schon längst kaum noch, wogegen ich mich eigentlich nicht auflehnen sollte. So ist es sicher verständlich, daß ich nicht nur selbst an meiner schönen Kindheit und Jugend in der DDR hänge, sondern das Erfahrene auch in den Nachwachsenden wachzuhalten bemüht bin.

Ich danke allen, die meinen sehr persönlich gehaltenen Bericht mit Interesse aufgenommen haben. Leser aus dem Osten konnten sicher manche Parallelen zu von ihnen selbst Erlebtem entdecken, den Freunden im Westen der BRD und im Ausland wollte ich ein kleines Zipfelchen sozialistischer Wirklichkeit vermitteln. Die Erinnerung an eine Zeit, die unwiederbringlich zur Vergangenheit gehört, aber in unseren Herzen fortlebt und - weit über die Niederlage des Augenblicks hinaus - in eine Zukunft weist, die wir in der DDR anderen schon ein bißchen vorweggenommen hatten.

Cornelia Noack, Beeskow

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Als Archie arg genervt wurde

Archie, der Dramaturg und Verlagslektor war, wurde bis Mitte der 80er Jahre und auch noch später des öfteren von linken Sozialdemokraten aus dem Westen besucht, die für Theateraufführungen und Filme echtes oder auch nur vorgetäuschtes Interesse bekundeten.

Auch angeheiratete weibliche Westverwandte waren unter seinen Gästen, meist reaktionär, aber lieb. Vor dem Zubettgehen beteten sie nach der Rückkehr in den Westen für die Brüder und Schwestern von "drüben" zu Gott, der damals wohl eher die Züge Konrad Adenauers trug. So jedenfalls schien es Archie.

Die Verwandten brachten allerhand Spezereien und hochprozentigen französischen Cointreau mit, nach dessen Genuß Archie Ohrensausen hatte. Das bekam er übrigens auch von den obligatorischen Schimpfkanonaden, mit denen sie über die DDR herzogen. Einerseits wollte er die lieben Westverwandten nicht verprellen, andererseits aber führte der Cointreau bei ihm zu einer gewissen Enthemmung, so daß Archie ganz gegen seine Gewohnheit recht "prinzipiell" und auch schon mal "dogmatisch" werden konnte.

Die Hauptvorwürfe ähnelten sich stets: "Ihr laßt euch noch immer von den Russen ausbeuten, habt sämtliche Reparationen an sie bezahlt. Sogar die Wismut, die euch reich gemacht hätte, haben sie euch abgeknöpft." Und weiter: "Bei euch ist alles zu teuer, Kühlschränke, Fernseher, Autos, Benzin. Eure Löhne sind geradezu lächerlich ." Dabei hauten sie Archie dessen Gehalt um die Ohren, das wirklich nicht hoch war. Unverdrossen wurde er weiter beharkt: "Ihr könnt West-Reisen erst im Rentenalter unternehmen." So ging es tagelang, fast ohne Unterlaß. Nein, eine reine Freude waren diese Westbesuche nicht. Zweifel wurden gesät. Was ist die "unverbrüchliche Freundschaft" mit den "Russen" wert? Hängt die DDR nicht tatsächlich am Tropf der UdSSR? Und ist sie nicht für Moskau reine "Verhandlungsmasse"? Warum wird die Westmark allmählich im Osten zur zweiten Währung?

Nur Tante Barbara, die Lehrerin, eine kleine zierliche Person, die allein drei Kinder großgezogen hatte, eigentlich aus Bayern stammte, dann aber in Dresden wohnte, um später wieder nach Bayern zurückzukehren, beteiligte sich nicht an solchen Tiraden. Ihr Mann, als Offizier und promovierter Studienrat natürlich Nazi, war während des Krieges in Frankreich gefallen. Sie sagte in den 70er Jahren zu Archie: "Laß dich nicht beirren! Ich kenne beide Seiten. Ihr habt bei euch im Osten alle wichtigen Dinge, die man zum Leben braucht, dazu soziale Sicherheit und eine gute medizinische Versorgung. Reisen könnt ihr auch in östlicher Richtung, da gibt es ebenso schöne Landschaften und Städte. Außerdem, Gnade uns Gott, wenn der Sozialismus zusammenbräche, würden sie mit uns im Westen machen, was sie wollen." Die Tante hat das Wesen des Kapitalismus erkannt, dachte Archie damals. Doch leben wollte sie lieber im Westen.

An Tante Barbara, die längst das Zeitliche gesegnet hat, muß Archie manchmal denken, wenn er heutzutage im TV Beiträge sieht, die mit "Arm trotz Arbeit" getitelt werden könnten. Geringverdiener müssen trotz oftmals härtester Arbeit zusätzlich Hartz IV beantragen. Die Gehälter im Niedriglohnsektor sind in den letzten zehn Jahren um ein Fünftel oder gar mehr gesunken. Mit anderen Worten: Von der sahneschweren Wirtschaftstorte fallen für die am schlechtesten Bezahlten nicht einmal Krümel ab. Friseure und Taxifahrer, Gebäudereiniger und Postzusteller konnten früher von ihrer Arbeit ordentlich leben, jetzt sind sie trotz Überstunden nicht selten auf staatliche Hilfe angewiesen, wollen sie Monat für Monat über die Runden kommen.

So ist es ohne das Korrektiv Sozialismus auf der Welt, denkt Archie. In der EU zählt man bereits 25 Millionen Arbeitslose, liest er in bürgerlichen Gazetten. Das Abendfernsehen konfrontiert ihn mit einem anderen erschreckenden Thema. Es heißt: "Neue Heimat Campingplatz". Zunehmend gestatten Gemeinden, an sie herantretenden Antragstellern dort ihren ersten Wohnsitz anzumelden. Nur so entrinnen sie drohender Obdachlosigkeit.

Auf dem Erlengrund bei Gifhorn macht die monatliche Platzmiete ohne Nebenkosten nur 65 Euro aus, erfährt Archie. Etwas weniger hat er für seine Zweieinhalbzimmer-Neubauwohnung in Berlin-Baumschulenweg zu DDR-Zeiten bezahlt. Jetzt explodieren die Mieten in den Städten und sind für viele Arme in der reichen BRD nicht mehr erschwinglich.

Das reinste Vergnügen ist Dauer-Campen als Wohnungsersatz bestimmt nicht, weder für Rentner noch für Arbeitslose oder Niedriglohnempfänger. Der TV-Beitrag schönt das Bild zwar einigermaßen, kann aber über die Einschränkungen im Alltag nicht hinwegtäuschen.

Archies anfangs erwähnte und inzwischen gealterte Westbesucher aus der linken SPD-Szene der 70er Jahre wollen über solche Themen heute nicht einmal mehr telefonisch mit ihm reden. Sie werden sofort schroff und zynisch, wenn er sie an ihre vollmundigen BRD-Wohlstandsparolen von früher erinnert. Ihre Lieblingsdevise lautete einst: "Die bürgerliche Demokratie ist zwar die schlechteste, die es gibt, aber wir haben keine bessere."

Archie glaubt, daß man damit alles Unrecht des Kapitalismus deckeln oder rechtfertigen kann, und er hat das Gefühl, daß der Kalte Krieg wie ein Torf-Brand ist. Er frißt sich unterirdisch immer weiter.

Übrigens sind den reich gewordenen Kindern von Tante Barbara, die inzwischen kurz vor dem Pensionsalter stehen, die blutsverwandten Brüder und Schwestern im Osten heutzutage nur noch lästig. Jetzt, da man nicht mehr in den Wunden des wirtschaftlich schwächeren, von seinen Gegnern unablässig bedrängten Staates DDR herumstochern kann, ist ihr Interesse am einst angeblich so geschätzten "politischen Dialog" erloschen.

Manfred Hocke

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Leserbriefe an RotFuchs

Seit vielen Jahren ist mein Vater Walter Kleen eifriger "RotFuchs"-Leser. Er konnte am 24. Juni sein 96. Lebensjahr vollenden. Für die im RF 173 erschienenen Glückwünsche zu seinem Geburtstag möchte er sich von ganzem Herzen bedanken. Er hat sich sehr darüber gefreut.

Werner Kleen, Jena


Debatten in den Basisorganisationen veranlaßten mich dazu, am 22. Juni 2006 in einem offenen Brief an den Parteivorstand zu schreiben: "Viele Mitglieder sind empört, daß der Vorstand eine Neuorientierung der Betrachtung unserer Geschichte ablehnt. ... Noch immer wird zugelassen, daß man den Menschen suggeriert, in einem Teil Deutschlands lebten die unbescholtenen Demokraten und im anderen Teil die Missetäter und Schuldbeladenen. Warum wird von der Linkspartei nicht stärker popularisiert, welche existenzbedrohenden Verbrechen die herrschenden Kräfte der BRD gegen die DDR verübt haben?

Die deutsche Geschichte darf nicht von einer Minderheit haßerfüllter Gegner der DDR geschrieben werden. Die einstigen Bürger der DDR haben ein unbestreitbares Mitspracherecht. Dies darf ihnen eine Linkspartei nicht verweigern."

In seiner Antwort bedankte sich der Leiter der Bundesgeschäftsstelle, Georg Fehst, für meinen Brief. Meine Fragen beantwortete er nicht, sondern verwies auf den Beschluß vom 12. Juni 2006, in dem der Parteivorstand offensichtlich eine Neuorientierung im grundsätzlichen Herangehen an ein differenziertes Geschichtsbild nicht für erforderlich hielt.

Meine Basisgruppe war über diese formale Antwort empört, was ich Genossen Fehst wissen ließ. Am 18. Oktober 2006 schrieb mir Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch: "Natürlich müssen und werden auch wir in der Auseinandersetzung mit der Geschichte weiter hinzulernen. Ich sehe aber gegenwärtig keine Veranlassung zu einer grundsätzlichen Neubewertung ..."

Als am 2. März 2007 der Landesvorstand Sachsen einem Beschluß entsprechend die Basis aufforderte, Erlebnisberichte, biographische Erzählungen und persönliche Erfahrungen der Landesgeschäftsstelle zuzuleiten, hofften wir auf eine Überwindung der Stagnation in der Geschichtsdiskussion der Partei. Viele Genossen beteiligten sich, schrieben ihre Erfahrungen aus dem Kalten Krieg gegen die DDR nieder und schickten sie nach Dresden.

Als ich nach längerer Zeit den damaligen Geschäftsführer Rico Gebhardt zum Stand der Auswertung des Materials befragte, sagte er, dieses liege im Panzerschrank und werde aufgearbeitet, "wenn es die Zeit zuläßt".

Der jahrelange Boykott geschichtlicher Auseinandersetzung durch eine kleine Gruppe von Verantwortungsträgern der Partei hat bewußt oder unbewußt, gewollt oder ungewollt dazu geführt, daß es weiterhin unterschiedliche Teile der Partei gibt, die sich bis heute nicht vereinigt, nicht zusammengefunden haben. Die einen aus Ost und West betrachten die DDR nach wie vor trotz ihrer Mängel und Fehler als bisher größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterklasse, während die anderen gegensätzliche politische Ansätze und eine andere politische Kultur vertreten.

Werner Feigel, Chemnitz


In Göttingen hat sich Gregor Gysi wieder einmal auf die Seite der sogenannten Reformer gestellt. Er beschwor die Delegierten, daß es in der Partei zwei unterschiedliche Entwicklungen gibt. Einerseits eine sogenannte Volkspartei im Osten, andererseits eine sogenannte Interessenpartei im Westen. Bei genauer Betrachtung trägt eine solche Teilung zur Spaltung der Partei bei. Vielleicht ist das sogar gewollt. Es hatte schon seinen Grund, wenn Gysi ausgerechnet die Leistungen von Brie, Bartsch, Holter, Pau, Liebich, Lederer u. a. besonders würdigte.

Gysis Rede brachte mir manche Erkenntnisse, war aber niemals zukunftsweisend für die Partei. Anders die Rede Lafontaines, der ausdrücklich betonte, daß niemand ein Recht habe, "Die Linke" zu verspielen.

Ich bin der Meinung, daß der Göttinger Parteitag ein neuer Anfang sein kann, wenn die Rechthaberei, die Selbstherrlichkeit und die Machtgeilheit einiger Spitzenfunktionäre beendet werden. Seit Göttingen ist die Katze zwar aus dem Sack, aber die Kuh noch lange nicht vom Eis.

Günter Bartsch, Berlin


Wir haben uns in Erfurt ein Programm gegeben, hinter dem wir stehen. Doch große Teile unserer Vorstandsmitglieder auf Landes- und Bundesebene befaßten sich statt dessen mit Scharmützeln, welche die Partei für viele Menschen als überflüssig und unattraktiv erscheinen lassen. Besonders ärgerlich für die Genossen unserer BO ist, daß sich einige unserer führenden Funktionäre - z. B. Genosse Bockhahn - zur Begründung ihrer persönlichen Meinungen und Ziele in bürgerlichen Medien auf den angeblichen Willen der Basis berufen.

Die Genossen unserer BO stehen für eine prinzipienfeste Politik auf der Grundlage unseres Programms. Alle Kraft sollte darauf gerichtet werden, die Partei für die Bevölkerung, die Jugend und die eigenen Genossen wieder attraktiv zu machen. Obwohl uns praktische Wahlkampfarbeit altersbedingt schon schwerfällt, wollen wir sie gerne weiterhin leisten, allerdings nicht für die Machtambitionen einiger führender Genossen. Es geht darum, die Partei als konsequente linke Kraft zu erhalten und zu stärken, sie aber nicht weiter zu zerstören.

Für die Basisorganisation der Partei Die Linke,

Joachim Möller, Sanitz


Daß die Partei Die Linke eine fast panische Angst davor hat, das Wort Kommunismus auszusprechen, halte ich für ihr Dilemma. Gesine Lötzsch hatte den Mut dazu und wurde deshalb nicht nur von Gegnern, sondern auch in der eigenen Partei angegriffen. Wenn die Partei nicht zu den marxistischen Wurzeln des Sozialismus zurückkehrt, hat sie auf Dauer keinen Bestand.

Dr. Eva Ruppert, Bad Homburg


Der Riß durch "Die Linke" trennt nicht, wie in den bürgerlichen Medien und leider auch durch einflußreiche Politiker der Partei wie Gregor Gysi verkündet, ihre Ost- und Westverbände, sondern den rechten "Reformer"-Flügel der "Bartschisten" vom linken Flügel, dessen Vertreter in West wie Ost zu finden sind. Zu den "Reformern" zähle ich die Mehrzahl der Landesvorstände Ost, während der überwiegende Teil der Mitgliedschaft in den Basisorganisationen wohl eher zum linken Flügel tendiert. Eine Spaltung der Partei in West und Ost gibt es nicht. Wir brauchen eine gesamtdeutsche Linke, aber ohne die "Reformer", die sich vor allem im Forum Demokratischer Sozialismus (fds) organisiert haben.

Nach Göttingen wird der innerparteiliche Streit weitergehen. Bartsch und Genossen werden vermutlich auch den neuen Parteivorstand zu demontieren versuchen. Die Linke wird dadurch weiter an Zustimmung verlieren und letztlich aus dem Parteienspektrum verschwinden, wenn sie nicht einen Neuanfang ohne Bartsch und dessen Anhang wagt.

Michael Brix, Potsdam


Am 14. Juni tagte im Rathaus von Frankfurt (Oder) die Stadtverordnetenversammlung. Ihr lag ein Antrag auf Umbenennung des Gymnasiums "Karl Liebknecht" vor. Begründung: Der Name passe nicht mehr in die Zeit. Ergebnis: 22 Stadtverordnete stimmten gegen den Antrag, nur 20 dafür.

Eine solche Debatte hatte Frankfurt - im Urteil einiger Abgeordneter - noch nicht erlebt. Die Linkskräfte in ihrer ganzen Breite boten in Verteidigung des Andenkens an Karl Liebknecht alles nur Denkbare auf. Dieses Bündnis war sehr beeindruckend. Unter Nutzung des Internets, der regionalen Presse, sogar des Fernsehens kämpften Einwohner, einstige und heutige Schüler, Vereine und Parteien Seite an Seite. Auch eine CDU-Abgeordnete entschied sich für Karl Liebknecht, während sich ein FDP-Vertreter der Stimme enthielt.

Diese Schlacht wurde gewonnen, aber viele andere stehen uns noch bevor, wenn man den Umbenennungswahn in manchen Städten betrachtet. Den Schülern des Karl-Liebknecht-Gymnasiums möchte ich versichern, daß wir weiter an ihrer Seite stehen werden und jederzeit dazu bereit sind, ihnen die wahre Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung zu vermitteln.

Cornelia Noack, Beeskow


In diesem Jahr beging das Gymnasium Hildburghausen sein 200. Gründungsjubiläum. 1877 hatte man es nach dem Gründer und Förderer Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen benannt. Der Name wechselte später. Doch seit 1992 trägt diese Bildungsanstalt wieder Georgs Namen. Zu DDR-Zeiten erinnerte der Schulname an die christlichen Antifaschisten Sophie und Hans Scholl. Leider sonderte der gegenwärtige Rektor zur Begründung der Umbenennung die ihm offenbar "von oben" suggerierte Meinung ab, die DDR hätte die Geschwister Scholl "mißbraucht". Dabei muß ich an die Worte einer Dramengestalt Shakespeares denken: "Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode."

Dr. med. Gerd Machalett, Siedenbollentin


Ich bin 17 Jahre alt und Schüler. Seit längerem verfolge ich Ihre Zeitschrift "RotFuchs" und bin sehr von den Artikeln angetan. Im Impressum habe ich gelesen, daß der RF immer an neuen Autoren interessiert ist. Ich habe vor einiger Zeit in meinem Blog einen Artikel über das deutsche Staatssystem geschrieben. Er handelt davon, was in der aktuellen Politik falsch läuft.

Der Glaube, auch ohne Gewalt, ohne Kontrolle und ohne Vorschriften für jeden Menschen und für jede Bevölkerungsgruppe das Beste finden zu können, ist nicht nur durch wachsende Konsumgier und egozentrisches Handeln verlorengegangen - auch immer mehr Staaten verschließen sich gegenüber ursprünglichen Werten. In Verlust geraten ist, das zu tun, zu denken und planen zu können, was für den einzelnen und die Gesellschaft am besten erscheint. ...

Die derzeitige Staatsform hat sich im Laufe der Jahre immer mehr von ihren Werten der Demokratie entfernt. Kaum jemand weiß, was in der Welt tagtäglich passiert. Der Durchblick ist verlorengegangen, dem Bürger bleibt nichts anderes übrig, als einfach zu folgen. Das kapitalistische System nimmt zwar einen Ausbau an Prinzipien und Regeln vor, verharrt aber auf dem alten.

Der Freigeist ist im Grundgesetz verankert, wird jedoch nicht umgesetzt. Auf einfache Sozialleistungen muß Jahre gewartet werden, während Banken Zuschüsse in Milliardenhöhe innerhalb weniger Monate bekommen. Es ist Zeit für Veränderungen. Es muß gehandelt werden ...

Oliver Geffers, Witterschlick (bei Bonn)


Mit Bedauern habe ich vom Tod des Genossen Frank Bochow im RF gelesen. Ich lernte ihn vor fünf Jahren kennen. 2007 war ich zusammen mit anderen Schülern unseres Bernauer Gymnasiums für unseren Projekttag "Schule mit Courage - Schule ohne Rassismus" verantwortlich. Ich hatte Lust, das Thema einmal weiterzufassen. Also dachten wir über etwas im Zusammenhang mit Kommunismus nach. Da meine Mutti schon damals regelmäßig den RF bezog und auch ich ab und zu interessante Artikel darin las, kam mir die Idee, die "RotFuchs"-Genossen um Unterstützung zu bitten. Das klappte auch prompt, und Genosse Frank Bochow hielt an jenem Tag in unserer Schule einen Vortrag. Alle Schüler waren sehr interessiert und von seinem professionellen, engagierten und warmherzigen Auftreten begeistert. Als ich meiner Oma später von unserer Veranstaltung berichtete, erzählte sie mir, sie habe nach dem Krieg im Dresdner KPD-Büro mit einer Genossin Hanna Bochow zusammengearbeitet. Deren Mann hätten die Faschisten ermordet. Hanna Bochow hatte einen kleinen Sohn - vermutlich Frank. Dieser bestätigte mir dann, daß seine Mutter mit meiner Oma tatsächlich in gemeinsamer Arbeit verbunden gewesen sei. Was für ein Zufall!

Ich werde Genossen Bochow immer in besonderer Erinnerung behalten. Mein Beileid gilt seiner Familie.

Grit Fischer, Trier


Kürzlich habe ich an Herrn Gauck geschrieben. Freunde rieten mir, die Leser des RF, den ich von ihnen bisweilen erhalten habe, mit dem Inhalt meines Briefes vertraut zu machen.

Hier ein Auszug: "Werter Herr Bundespräsident! Unlängst berichtete das Fernsehen über Ihre Rede anläßlich des 10. Jahrestages der Senioren. Darin brachten Sie sinngemäß zum Ausdruck, daß die Senioren zum ersten Mal in Deutschland als wohlhabende und gesunde Menschen leben, man sollte einmal über Dank nachdenken.

Ich kam zu folgendem Ergebnis: Ich bin 87, Witwe, habe drei Kinder zur Welt gebracht und gehöre z. Z. keiner Partei an. Meine Kinder- und Jugendjahre wurden durch den Krieg beeinflußt. Dann erfolgte die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik. Ich habe 40 Jahre ohne Unterbrechung gearbeitet und mir ein gutes Einkommen und meinen Unterhalt nach dem Eintritt ins Rentenalter gesichert. Alle anderen DDR-Bürger arbeiteten ebenfalls - auch die Frauen, sofern sie wollten. Der Staat sorgte für Krippen, Kindergärten und außerschulische Betreuung. Jede Familie hatte eine Wohnung. Jeder Jugendliche konnte eine Lehre absolvieren oder ohne Existenzsorgen studieren. ... Zum Thema Gesundheit. Es ist sehr erfreulich, daß immer mehr Menschen bei verhältnismäßiger Gesundheit ein höheres Lebensalter erreichen. Das aber ist keinesfalls von selbst geschehen. Die gesundheitliche Betreuung durch Ärzte, Vor- und Reihenuntersuchungen, Kuren, Krankenhauaufenthalte, Heil- und Hilfsmittel - alles ohne Zuzahlungen - wirkten sich sehr positiv aus. Wenn jetzt ein Arzt aufzusuchen ist, muß jedes Vierteljahr ein Betrag von 10 Euro eingezahlt werden. Hörgeräte und Zahnersatz erhält man nur bei Zuzahlungen bis zu vier Stellen vor dem Komma.

Zum Wohlbefinden trugen wesentlich die sozialen Bedingungen in der DDR bei. Keine Existenzsorgen, keine Sorgen um die Kinder, keine Mutter mußte ihren Sohn irgendwohin in den Krieg schicken. Sicher hätte manches anders sein können.

Ich bin dankbar, daß ich 40 Jahre in einem Staat leben durfte, wo man beim Regieren den Frieden und das Wohlbefinden der Menschen im Auge hatte.

Sie haben recht, Herr Präsident, man sollte über 'Dank' nachdenken. Da ist es hilfreich zu klären, wer den Dank verdient."

Charlotte Olias, Strausberg


Als Erzieher befasse ich mich seit kurzem mit der kulturhistorischen Schule, also der sowjetischen Psychologie und marxistischer Pädagogik. Zur Zeit lese ich das Buch "Sozialpsychologie des Kapitalismus" von Peter Brückner. Das Thema ist angesichts der fundamentalen Schwächen des BRD-Bildungssystems (Kindergarten und Schule) von besonderer Bedeutung. Es geht mir auch um die Zukunft meiner jetzt fünfjährigen Tochter.

Die Beschäftigung mit Robert Owen und den utopischen Kommunisten ist ebenfalls sehr spannend. Ich muß leider zugeben, daß ich bei Marx, Engels und Lenin erst am Anfang stehe, mich aber auch damit nach und nach befasse.

Euch wünsche ich viel Erfolg mit dem "RotFuchs", dessen Titel mir ebenso gefällt wie die Zeitschrift insgesamt.

Arnim Johanning, Plön


Mit Fußball erreicht man weltweit höchste Auflagenzahlen und Einschaltquoten, zumal bei einer EM. Das wissen natürlich auch die Redakteure und Reporter der bundesdeutschen Medien. Offensichtlich haben sie aber mit den Namen der Austragungsorte fast alle ein Problem. So spielte die BRD-Mannschaft nicht im ukrainischen Lwiw, sondern in Lemberg. Man könnte meinen, die Habsburger hätten hier - wie von 1772 bis 1918 - noch das Sagen. Oder, was noch unerträglicher wäre - der Nazi-Kreishauptmann für den Distrikt Galizien.

Mit den Austragungsorten in Polen wird ebenso verfahren. So finden die Spiele nicht in Gdánsk, Poznán, Chorzow und Wroclaw statt. Nein, es wird in Danzig, Polen, Königshütte und Breslau gespielt. Es dürfte allgemein bekannt sein, warum diese Städte nicht mehr zu Deutschland gehören. Hier wäre wohl ein gelegentlicher Hinweis auf die Geschichte und auf die Verbrechen Nazideutschlands hilfreicher als diese Deutschtümelei.

Wilfried Steinfath, Berlin


Ein großer Wunsch des Doppelweltmeisters und zweimaligen Friedensfahrtsiegers Täve Schur ging am 24. November 2007 in Erfüllung. An diesem Tag fand die offizielle Eröffnung des neuerbauten Friedensfahrtmuseums in Kleinmühlingen (Sachsen-Anhalt) statt. Seit dieser Zeit fahren wir Lichtensteiner Jahr für Jahr zum großen Treff mit Täve ins Friedensfahrtmuseum. Unsere diesjährige fünfte Exkursion war dem 60. Jahrestag der Friedensfahrt auf dem Boden der DDR gewidmet. Damals stieg Täve mit 21 Jahren in die Mannschaft ein. Auf Anhieb wurde er Zehnter.

Unser Reisebus von Aue im Erzgebirge hatte 50 Sitzplätze, die diesmal nicht ausreichten. Aus Lichtenstein waren 19 aktive Mitstreiter, aus dem Freiberger Raum 17 "RotFüchse" und von Chemnitz 17 Mitglieder der AG Cuba Sí unsere Fahrgäste. Im Bus gab es eine lebhafte Diskussion über die "Stiftung Deutsche Sporthilfe". Seit Gründung der "Hall of Fame" im Jahre 2008 hat sie bis jetzt 71 Sportlerinnen und Sportler in diese Ruhmeshalle aufgenommen - 61 aus den alten Bundesländern und nur ganze 10 aus der DDR. Täve wurde bekanntlich im vergangenen Jahr nicht ausgewählt. 2012 stand er nicht einmal mehr auf der Kandidatenliste, dafür befinden sich unter den Laureaten nicht wenige frühere Mitglieder der Nazipartei.

Gerhard Pfefferkorn, Lichtenstein


Der Bundesgerichtshof verwarf im Mai die Revision der BRD im Rechtsstreit gegen Ingo Steuer. Bekanntlich war ihm untersagt worden, bundesdeutsche Sportsoldaten zu trainieren. So auch Robin Szolkowy, der ja mit seiner Partnerin Aljona Savchenko viermal den Titel eines Weltmeisters im Eiskunstpaarlaufen errungen hat. Sein einstiges Mittun als IM des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR wurde Ingo zur Last gelegt. In der bestätigenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes heißt es u. a.: "Der Kläger (gemeint ist Ingo Steuer - E. R.) wurde in das System der Stasi in jungen Jahren verstrickt. Daß er nennenswerten Schaden angerichtet hätte, ist nicht vorgetragen. Nach der Wiedervereinigung ist er für treue Dienste und überdurchschnittliche Leistungen mehrfach ausgezeichnet worden. Unter diesen Umständen ist die Beklagte (die BRD - E. R.) nicht befugt, ihren Sportsoldaten ein Training bei dem Kläger zu verbieten."

Ein Erfolg für Ingo Steuer im jahrelangen Rechtsstaat. Fraglich ist, ob das Urteil des Chemnitzer Verwaltungsgerichts vom April 2012 da noch Bestand haben kann.

Erhard Richter, Berlin


Mein Freund und Gefährte mancher Auseinandersetzungen mit der "anderen Seite", Helmut Horatschke, ist offensichtlich einer Fehlinformation unterlegen. Er schrieb im Juni-RF zu Olympia: "Für 1984 waren die Spiele an Los Angeles vergeben. Sollte man den Boykott von 1980 mit gleicher Münze heimzahlen? Sowohl die Bewahrung des olympischen Gedankens als auch das zu erwartende hohe Leistungsniveau einer DDR-Olympiamannschaft sprachen eindeutig für eine Teilnahme. Doch Erich Honecker entschied, ohne dazu eine Stellungnahme des Sports einzuholen, 'in unverbrüchlicher Freundschaft mit der großen sozialistischen Sowjetunion' nicht an den Spielen teilzunehmen. Am Ende war von den Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft nur Rumänien in Los Angeles dabei."

Tatsache war, daß Moskau den Verbündeten "empfahl", Los Angeles zu boykottieren, nachdem das dortige Organisationskomitee behauptet hatte, der durch die UdSSR nominierte Attaché - der Chef des Vorauskommandos - sei ein KGB-Agent. Die DDR übte - zugegebenermaßen nicht leichten Herzens - Solidarität mit Moskau. Rumänien aber scherte aus und ließ sich die Teilnahme von den USA entsprechend honorieren.

Übrigens teilte Erich Honecker nach den Spielen dem IOC-Präsidenten Samaranch mit, die DDR werde nie wieder Olympische Spiele boykottieren, was diesen dazu bewog, ihm den höchsten olympischen Orden zu verleihen und sich demonstrativ zu politischen Projekten der DDR zu bekennen.

Klaus Huhn, Berlin


Seit einem Vierteljahr gehöre ich zum Kreis der "RotFuchs"-Leser. Wie viele andere freue ich mich auf jedes Heft. Die Autoren Klaus Steiniger und Klaus Huhn sind mir als früherem Leser der UZ aus vielen kenntnisreichen Beiträgen, die in den 90er Jahren in der Wochenzeitung der DKP erschienen, bereits bekannt gewesen.

Das Interview des RF-Chefredakteurs mit der "jungen Welt", das ja auch als Beilage erschienen ist, habe ich mit besonderem Interesse gelesen. Mit drei oder vier Menschen Ihres "Kalibers" an meiner Seite hätte ich vor 20 Jahren nicht den Rückzug in die politische Resignation angetreten.

Unterdessen habe ich etliche Reisen in die "weite Welt" unternommen, so nach China, Vietnam, Kuba und Südafrika. Ende August beabsichtige ich, nach Pjöngjang zu fliegen. Deshalb war der RF-Beitrag "Damals in Panmunjom" für mich besonders hilfreich.

Gerhard A. Moses, St. Ingbert


Dr. Hermann Wollner berichtet im RF 173 über die Forderung Gerlinde Schermers, die in einem deutschen Parlament verlangte, den Berliner Bürgern die Verfügungsgewalt über das Wasser zurückzugeben. Als Förster wünsche ich mir, daß auch der nach 1990 im Osten verhökerte Wald an die Bürger zurückgegeben wird. Wasser, Wald und Luft gehören zur menschlichen Daseinsvorsorge. Es gibt keinen Grund, 70 % historisch gewachsenen Bürgerwaldes zu privatisieren. Der Besitzer stellt meist noch Schilder "Privat" auf, ganz Arrogante zäunen den Wald sogar ein. Doch er ist Allmende, von allen genutzter Gemeindebesitz.

Den Bürgern ist ihr Eigentum zu übergeben, aus Steuergeldern sind Förster zu bezahlen, die den Wald beaufsichtigen, pflegen und bewirtschaften.

Heinz Lenkat, Rothemühl


Unter den Leserzuschriften im Juni-RF gefielen mir besonders die "Grüße von Fritzi" Zweiniger nebst Frauchen. Sehr gern würde ich zu beiden einen persönlichen Kontakt herstellen. Die originelle Art, ihr Lob für den RF zu "verpacken", hat mich neugierig gemacht. Es ist schön, wenn jemand bei allem, was uns Traurigkeit und Sorge bereitet, seinen Humor bewahrt.

Ob Fritzi Frauchen überzeugen kann, sich bei mir zu melden? Ich fang ihm auch eine Maus.

Meine Marzahner Anschrift kann bei der Redaktion erfragt werden.

Eveline Sperling, Berlin


Seit einigen Jahren übernehmen immer mehr junge Menschen, die keine Bildungsstätten der DDR absolviert haben, wichtige Funktionen in Organisationen und Parteien. Deren Möglichkeiten, in linken Zusammenschlüssen eine Qualifizierung auf marxistischem Gebiet zu erhalten, sind sehr begrenzt und werden von den Betreffenden auch nur verhalten in Anspruch genommen, zumal es der Arbeitsdruck nicht zuläßt. Deshalb kommt der vom RF mit einiger Regelmäßigkeit praktizierten Darlegung wichtiger Grundbegriffe unserer Weltanschauung besondere Bedeutung zu. In den Heften 172 und 173 hat es nach unserer Auffassung in dieser Hinsicht eine Weiterentwicklung gegeben. Das betrifft die Darlegung von Grundbegriffen des Marxismus-Leninismus im Originaltext, zugleich aber auch in einer Sprache, die jungen Menschen entgegenkommt und für ihre Aufnahmebereitschaft entscheidend ist. Das spürt man besonders im Juni-Heft. Man sollte diese Säule im "RotFuchs" weiter ausbauen und die Darstellung inhaltlich vertiefen.

Dr. Dieter Krause, Greifswald


Diese Zeilen schreibe ich als Rentner des Jahres 1990. Damals bat die Abgeordnetenmehrheit der letzten "DDR"-Volkskammer flehentlich um den Anschluß an die BRD. Der ostdeutsche CDU-Mann Krause unterzeichnete den vom westdeutschen CDU-Mann Schäuble diktierten "Einigungsvertrag". Nach dessen Artikel 30 waren alle für das sogenannte Beitrittsgebiet geltenden Ausnahmen gegenüber dem Recht der alten BRD bis zum 31. 12. 1995 befristet. Die vollständige Angleichung des niedrigeren Rentenwertes Ost hätte also spätestens 1996 erfolgt sein müssen. Dieser sogenannte Einigungsvertrag wurde vom Rechtsstaat BRD seither permanent gebrochen.

Im Grundgesetz heißt es über das Gleichheitsgebot nach Artikel 3 (3): "Niemand darf wegen seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." Seit fast 22 Jahren warten drei Millionen Ostrentner vergeblich auf die Verwirklichung dieses Grundgesetztextes. Entweder gab es Nullrunden - in Wahrheit waren es Minusrunden, weil die Renten bereits um den Faktor der Inflationsrate gekürzt waren - oder Rentenerhöhungen, die sich als verlorenes Wettrennen mit den höheren Inflationsraten de facto als Kaufkraftverluste erwiesen.

ver.di hatte vor fünf Jahren die Forderung erhoben, eine Angleichung des Rentenwertes Ost an den Rentenwert West in zehn Jahresschritten ab 1. Juli 2007 vorzunehmen. Daraus ist leider nichts geworden. Nun lese ich abermals von einem "Bündnis für die Angleichung der Renten in den neuen Bundesländern". Es hat erneut einen Zehn-Jahres-Stufenplan zur Angleichung der Rente Ost an die Rente West vorgestellt. Für viele Ostrentner bedeutet das - wie schon für Hunderttausende zuvor -, daß man sie zynisch bis ans Grab vertröstet.

Erhard Lonscher, Berlin


Für die RF-Gratulation zu meinem 80. Geburtstag dankend möchte ich Klaus Steiniger sowie allen Genossinnen und Genossen, die auf Inhalt, Gestaltung und Vertrieb unserer Zeitschrift Einfluß haben, meine Anerkennung zum Ausdruck bringen. Mit Freude und Spannung sehe ich jedem Monatsbeginn, dem Erscheinungsdatum des RF, entgegen. Ich lese sämtliche Artikel und Leserzuschriften, sowohl um Informationen zu erhalten, die in der bürgerlichen Presse und im ND oft nicht mehr zu finden sind, als auch, um immer wieder Kraft für die Beibehaltung meiner aufrechten Haltung in dieser uns übergestülpten Gesellschaft zu gewinnen.

Ich komme aus einer sächsischen Arbeiterfamilie, erlernte den Beruf eines Zimmermannes, meldete mich 1949 freiwillig zur Volkspolizei und wurde 1956 in die NVA übernommen. Eine akademische Ausbildung erhielt ich u. a. an der Leipziger Karl-Marx-Universität. Am 30. September 1990 wurde ich - wie unzählige andere - aus dem aktiven Wehrdienst wegen angeblicher Personalverringerung aus Abrüstungsgründen entlassen. Meine letzte Dienststellung war Stellvertreter des Chefs Kader der NVA-Landstreitkräfte. Mein letzter Dienstgrad: Oberst. Für einige Jahre wurde auch mir eine Strafrente "zugesprochen".

Joachim Spinler, Potsdam


Im Text "Für einen fairen Disput" wird eine grundlegende Position marxistischer Philosophie falsch dargestellt. Es geht um den Satz: "Der geniale Dialektiker Friedrich Engels hat diese Freiheit als 'Einsicht in die Notwendigkeit' wunderbar formuliert." Tatsache ist, daß Engels weder "diese" noch irgendeine andere Freiheit so formuliert hat. ... Logischerweise drängt sich die Frage auf, von wem nun die "wunderbare Formulierung" stammt, bei der es sich eindeutig um eine idealistische Position handelt. Die Antwort lautet: von Hegel, der die Philosophie insbesondere durch seine Erkenntnisse zur Dialektik sehr bereichert hat. Im "Anti-Dühring" von Friedrich Engels kann man lesen: "Hegel war der erste, der das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit richtig darstellte. Für ihn ist die Freiheit die Einsicht in die Notwendigkeit. 'Blind ist die Notwendigkeit nur, insofern dieselbe nicht begriffen wird.'"

In diesem Zitat wird nicht nur die Urheberschaft des Gedankens von der Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit benannt, sondern durch Engels mit dem planmäßigen (also menschlichen) und zweckbestimmten Handeln verbunden.

Dieter Hornung, Berlin


Eigentlich sind die Monate viel zu lang, um immer wieder auf die neue Ausgabe warten zu müssen. Allerdings steigert das auch die Neugier auf den noch unbekannten Inhalt. Die Zeitung gefällt mir, sie ist sehr interessant gestaltet.

Klaus Glaser, Schwarzenberg


Ich möchte den RF-Lesern das Buch Werner Seppmanns "Die verleugnete Klasse. Zur Arbeiterklasse heute" sehr empfehlen. Der Autor, der sich mit der Verneinung des Begriffs Arbeiterklasse durch die Reformisten in der BRD auseinandersetzt, macht darauf aufmerksam, daß dieser nur im Gegensatz zur Bourgeoisie definiert werden kann. Auf die Rolle ihres Totengräbers im "Kommunistischen Manifest" verweisend, wirft Seppmann die Frage auf, ob die Arbeiterklasse heute noch als Negationsprinzip der bürgerlichen Gesellschaft begriffen werden kann. Mit der Widerlegung der Klassentheorie glauben die Ideologen der Bourgeoisie, die Marxschen Vorstellungen über die Gesellschaftsentwicklung ad absurdum führen zu können.

Werner Seppmann erbringt hingegen den Nachweis, daß die Arbeiterklasse - auch bei veränderter Struktur - die entscheidende Kraft im Kampf gegen das Kapital und für den Sozialismus bleibt.

Dr. Ehrenfried Pößneck, Dresden


Die von Hans Schneider aufgeworfene Frage nach Titeln und Rängen ist einfach zu beantworten: Nein - Leserbriefe müssen nicht mit dem einstigen militärischen Dienstgrad unterzeichnet werden. Das gilt genauso für Diplome oder akademische Grade. Die Signierung liegt allein im Ermessen der Verfasser.

Für mich ist die Verwendung meines ehemaligen Dienstgrades ein Bekenntnis zur DDR und zur treuen Pflichterfüllung als Offizier. Darüber hinaus möchte ich Verzagten Mut machen und deren Selbstbewußtsein stärken. Es gibt keinen Grund, die eigene Lebensleistung zu verleugnen.

Wendehälse und Opportunisten hat es stets und überall gegeben. Sie sind für mich kein Maßstab.

Oberstleutnant a. D. Roland Potstawa, Königs Wusterhausen


In der kommunistischen Presse wird die Behandlung des Themas Religion gerne ausgeblendet. Der "RotFuchs" ist für mich in diesem Spektrum eine Zeitschrift, die in Religionsfragen durch relativ differenzierte, alte Klischees nicht wiederkäuende Meinungen herausragt. Leider wurde der Artikel des Genossen Dölzer "Für fairen Disput" diesem Maßstab nicht gerecht.

Martin Luther hat nicht Inhalte der Bibel nach Gutdünken, sondern lediglich die Reihenfolge verändert. Die Frage, warum Gott nicht handelt - Kann er oder will er nicht? - ist so veraltet wie verengend und verzerrt. Diese Frage als den Todesstoß gegen Gott zu präsentieren, erscheint mir argumentativ schwach. Die Idee, daß sich Menschen ihre Götter selbst schaffen, ist in der Tat ein interessanter Ansatz, aber genauso rational beweiskräftig wie das Postulieren eines Gottes - nämlich gar nicht.

Übrigens habe ich mich sehr gefreut, daß ein Buch zum Genossen Pfarrer Eckert erschienen ist. Ich bin noch nicht dazu gekommen, es zu lesen, es steht aber fest auf meiner Literaturliste.

Michael Käser, Nürnberg


Wenn dich deine Feinde loben, hast du bestimmt etwas falsch gemacht. Dieses bekannte Wort - wendet man es auf die DDR an - führt zu der logischen Konsequenz, daß unser sozialistischer deutscher Staat doch nicht so schief gelegen haben dürfte. Es vergeht ja buchstäblich kein Tag, an dem er oder zumindest seine Sicherheitsorgane nicht in den Schmutz gezogen werden. Meine Meinung ist: Wenn mir etwas nichts bedeutet, ignoriere ich es einfach.

Ich bin auf alle Fälle froh, daß meine drei Töchter ihre Ausbildung, einschließlich des Studiums, und meine acht Enkel den überwiegenden Teil ihrer Schulzeit in der DDR absolviert haben. Trotz kollektiven Töpfchen-Sitzens beim Krippen- und Kindergartenbesuch haben sie keine Schäden davongetragen und sind anständige Menschen geworden, die heute voll im Leben stehen. Wie aber sieht die Zukunft meiner neun bisher zur Welt gekommenen Urenkel aus?

Marianne Wuschko, Hoyerswerda


Allenthalben beleidigen die schwarz-rot-gelben Stoffetzen meine Augen. Von Fahrzeugen und aus Fenstern gehängt, drücken sie einen verordneten Nationalismus aus. Die politische Dienerschaft des deutschen Finanzkapitals fand im Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft wieder willige "Hiwis" zuhauf. "Brot und Spiele" - dieser Spruch aus Sklavenhaltertagen ist leider noch immer aktuell.

Walter Drechsler, Berlin


Daß die Schreiberlinge der Bourgeoisie nach Erfolgen ihres konterrevolutionären Wirkens die Verketzerung und Verleumdung unserer marxistisch-leninistischen Weltanschauung, und besonders ihrer Begründer, noch verstärkt haben, ist deren Sache. Wenn in diesen Chor aber erneut ein Hans-Dieter Schütt einstimmt, der einmal Chefredakteur der "Jungen Welt" war, ruft das zumindest einen üblen Geschmack hervor. So bezeichnete Schütt den Führer der Oktoberrevolution W. I. Lenin als "Mann, der 1917 mit putschistischem Genie zur Macht griff". In der Wochenendausgabe vom 2./3.6. des sich merkwürdigerweise immer noch als "Sozialistische Tageszeitung" bezeichnenden ND schlug sich der tägliche Allesschreiber auf die Seite jener, die sich seit langem gegen den weiteren Verbleib der sterblichen Hülle Lenins im Moskauer Mausoleum wenden. Die geistige Nähe Schütts zu Leuten vom Schlage Schabowskis ist unverkennbar.

Heinz Behrendt, Plauen/Vogtland


"Wir sind wieder bei Marx", jubelte Rosa Luxemburg bei der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands. SED/PDS und PDL haben sich leider dieses "Ballasts" entledigt, so daß das Schiff "Die Linke" ohne Kompaß im Morast des ideologischen Pluralismus zu versinken droht - schon leckgeschlagen durch Piraten aller Couleur, unterstützt von Trojanern in den eigenen Kajüten.

Ganz anders unser Erfolgsprojekt RF mit klarem Kurs und Ziel sowie steigenden Mitglieder- und Leserzahlen, aber noch zu wenig Welpen in Bau und Auslauf. Mein Vorschlag ist deshalb: Der Vorstand des RF-Vereins möge eine Beratung mit Interessenten aus allen 32 Regionalgruppen organisieren, um zu erörtern, wie der Marx'schen Wahrheit neue Einflußund Einflugschneisen, besonders in die Reihen der Jugend, geöffnet werden können.

Indem wir geistige, aber leicht verdauliche und noch abwechslungsreichere Kost anbieten, können sicher viele Welpen den Weg zu uns finden und das Fortleben roter Füchse auch in Zukunft sichern, wenn wir alten Füchse nicht mehr sein werden.

Horst Gröger, Bautzen

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Ralph Dobrawa
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RotFuchs Nr. 175, 15. Jahrgang, August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2012