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ROTFUCHS/111: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 157 - Februar 2011


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

14. Jahrgang, Nr. 157, Februar 2011



Inhalt
Altbekanntes "neu entdeckt": Auswärtiges Amt war und blieb Nazi-Stall
Gibt es ein klassenneutrales "Überrecht"?
Parlamentarier, aber nicht Parlamentär: Bebels Kampfgefährte Paul Singer
So starben Leipzigs wahre Helden
Genschers "Wegwerfdiplomaten"
Ein Briefwechsel offenbart: Keine Fettlebe im niederbayerischen Sankt Englmar
Ackerräuber auf Renditejagd im Osten
Marxismus für Einsteiger: Chauvinismus
Hamburg: "Bildungsnahe" siegten über "Bildungsferne"
Sachsens Privatschulen: Beten statt denken
Überzeugungsarbeit ist keine Eintagsfliege
Die Devise heißt: Dranbleiben!
Wie Marx Kapital definierte: "Geldheckendes Geld"
Ende einer Muster-LPG: Totschlag in Kuchelmiß
Digitale oder proletarische Revolution? Halina Wawzyniaks "Neuanfang"
Der Rat des Generals
Zur Architektur eines Wolkenkuckucksheims
Ein Leckerli für unsere "Nordlichter": Felix Börger un sin oll Heimat
"Frau Warnow" bei "Frau Nebel" zu Besuch
Flotte Sprüche über einen Flottenbesuch
RF-Extra - Dialektik als Algebra der Revolution
Zum 84. Geburtstag von Hans Heinz Holz
RF-Extra - Als Heinrich Mann den Vorsitz übernahm: Der Lutetia-Kreis
Wie Irans Mossadegh auf die Liste der Meistgehaßten geriet
Zur Entwertung des Friedensnobelpreises
Zugespitzte Konfliktlage in Korea
China: Aufstieg zum Schwellenland?
Wie "Der Spiegel" Mumia diffamierte
Nigeria: Unvergessener Ken Saro-Wiwa
KP Irlands: EU treibt durchsichtiges Spiel
S-E-X-Feindlichkeit in Belgien
Oskar Schindlers falsche Aura
Ein Faschist im "Mantel der Geschichte"
Der Bekennermut des Erik Neutsch
Ein Violettbuch trifft ins Schwarze
Als der Bergmann Adolf Hennecke mit einem Asternstrauß nach Hause kam
Harry Popow: Rückzug in Schwedens Wälder
"Liberatio": eine Hommage an Alfred Hrdlicka
Mit Stift und Palette: Armin Müller
Archies Berliner Impressionen
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Deutschland braucht Kommunisten!

Bekanntlich sind unter jenen, welche die Macht- und Eigentumsverhältnisse des in höchster Potenz monopolisierten deutschen Kapitalismus überwinden wollen, auch Leute, denen "das Ganze" nicht schnell genug geht. Sie schwärmen von einem sofortigen Umsturz, erfinden Revolutionen, wo es überhaupt keine gibt, wittern den Sieg "hinter der nächsten Straßenecke" und wollen die Geschichte "antreiben".

Doch wir Marxisten gehören zu den letzten, die daran glauben, der gesellschaftliche Wandel vollziehe sich im Selbstlauf. Ebensowenig teilen wir die Vorstellung Eduard Bernsteins, die Bewegung sei alles, das Ziel aber nichts. Wir stimmen mit Oskar Lafontaine überein, wenn er in seinem Exklusivbeitrag für den Dezember-"RotFuchs" die Feststellung trifft: "Wir brauchen eine andere, eine neue Eigentumsordnung."

Ohne Zweifel kann diese nur in ausdauernden Klassenkämpfen gegen einen hochgerüsteten, politisch erfahrenen, auf sich wandelnde Situationen taktisch eingestellten und über eine Armada modernster Medien verfügenden Gegner errungen werden. Niemand von uns zieht dabei rasche qualitative Sprünge ohne einen längeren quantitativen Anhäufungsprozeß in Erwägung.

Pseudorevolutionäre Hast und Überstürzung können ebenso schädlich sein wie feiges Kapitulantentum. Beide führen in die Sackgasse, aber nicht zur Überwindung des Kapitalismus. Wer zu früh vorprellt, riskiert Kopf und Kragen, wer die Fahne schon vor der Schlacht einrollt, sollte lieber zu Hause bleiben.

Die Klassiker - vor allem Lenin, der die Theorie von Marx und Engels nicht nur weiterentwickelte, sondern erstmals auch praktisch erprobte -, hatten einen Horror vor ultralinker Phrasendrescherei. Sie verspotteten jene, welche das Wort Revolution mit drei R schrieben und unablässig zur Attacke bliesen, ohne zuvor die objektiven und subjektiven Bedingungen der jeweiligen Situation nüchtern, sachlich und leidenschaftslos analysiert zu haben. Natürlich wandten sie sich nicht gegen Angriffslust, wenn der Apfel tatsächlich reif war, gibt es doch für einen gestandenen Revolutionär keine größere Schmach als das "Verpassen" einer revolutionären Situation. Diese im Oktober 1917 erkannt zu haben, war Lenins welthistorisches Verdienst.

Entschieden wenden wir uns gegen "linke" Revoluzzer, deren Sektierertum keine geringere Abweichung vom Marxismus darstellt als die rechtsopportunistische Preisgabe von Prinzipien.

Angesichts einer vorerst besiegten Revolution und des zeitweiligen Triumphs der Konterrevolution kam es nach 1989/90 darauf an, die anfangs versprengten und oft genug entmutigten Kommunisten, Sozialisten und linken Demokraten wieder aufzurichten und zu sammeln. Ihnen mußte eine neue politische Heimat geschaffen werden. Zu jenen, die sich dieser Aufgabe widmen, zählt seit nunmehr 13 Jahren der "RotFuchs". Wir sind nicht nur Weggefährten und Dialogpartner aller, die für eine definitive Überwindung des Kapitalismus kämpfen, sondern beteiligen uns auch aktiv an der Entwicklung von Zukunftsstrategien. Dabei gehen wir davon aus, daß Sozialismus nur mit einer den Weg bahnenden und erhellenden Vorhut denkbar ist. Es gibt immer mehr Weitblickende, die sich zielklar und ohne revolutionaristische Ungeduld für das Wiederentstehen einer einflußreichen marxistisch-leninistischen Partei in Deutschland engagieren. Sie gehen von der Erkenntnis aus, daß es derzeit in der BRD keine in der Arbeiterklasse und den Massen hinreichend verankerte kommunistische Kraft gibt, wobei sie das verdienstvolle Wirken bestehender Formationen wie der DKP, der KPD und der Kommunistischen Plattform der PDL voll in Rechnung stellen.

Die erst vor kurzer Zeit entstandene Kommunistische Initiative (KI) hat Anfang Dezember 2010 in Gera über ein Grundsatzdokument beraten. Im Kommuniqué ihrer 2. Perspektivkonferenz distanzierte sie sich vom "politischen Sektierertum" unter dem gleichen Label auftretender Personen, das "dem Grundanliegen der KI schweren Schaden zugefügt" habe. Die Hauptverantwortung dafür trügen Führungskräfte der KPD (B) und der in Hannover erscheinenden Zeitschrift "offen-siv", die "auf eine schnelle Schaffung parteiähnlicher Strukturen" drängten und "der KI als Bewegung bereits eine Absage erteilt" hätten. Dieser gehe es um einen Beitrag zur Zusammenführung von organisierten und nichtorganisierten Kommunisten an der Basis.

Wir nehmen solche Willensbekundungen aufmerksam zur Kenntnis, wobei unsere eigenen Einheitsbemühungen nicht nur die Zusammenführung von Kommunisten und Sozialisten mit und ohne Parteibuch auf marxistischer Basis zum Ziel haben, sondern auch auf die Einbeziehung und Gewinnung weiterer Linker und Antifaschisten gerichtet sind. Es geht um den gemeinsamen Kampf aller, die mit ihrem Widerstand gegen die immer bedrohlichere Rechtsentwicklung in der BRD die Überzeugung verbinden, daß nur eine andere Eigentumsordnung und die Brechung der politischen Macht der Monopole echten Wandel herbeiführen können.

Klaus Steiniger

Raute

Schon 1965 entlarvte die DDR Adenauers Auswärtiges Amt als Nazi-Stall

Altbekanntes "neu entdeckt"

Im Oktober 2010 überreichten die Autoren Eckart Conze, Norbert Frei, Moshe Zimmermann und Peter Hayes dem Bundesaußenminister Guido Westerwelle medienwirksam ihr Buch "Das Amt und die Vergangenheit - Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik". Sofort wurden die "neuen Erkenntnisse", die das 879 Seiten umfassende Werk über die Verstrickung des faschistischen Außenministeriums in Verbrechen der Hitlerdiktatur präsentiert, als sensationell gefeiert. Die Tatsache, daß zahlreiche schwer belastete "Diplomaten" Ribbentrops in der Bundesrepublik dort ungeschoren weitermachen konnten, wo sie 1945 hatten aufhören müssen - nämlich im Staatsdienst -, wurde als Enthüllung ersten Ranges gepriesen. Die bürgerlichen "Betroffenheitsjournalisten" überschlugen sich geradezu im Taumel ihres verlogenen Erschreckens. Sie gaben sich ebenso überrascht wie entrüstet. Westerwelle zeigte sich sogar "beschämt" und verkündete, er wolle künftig nur noch Mitarbeiter seines Hauses ohne braune Vergangenheit gewürdigt wissen. In den Ahnengalerien bundesdeutscher Botschaften hängte man flugs die Bilder von Diplomaten ab, welche schon vor Gründung des Auswärtigen Amtes der BRD im Jahre 1951 dort tätig gewesen waren.

In der an Schmierenkomödien gewiß nicht armen Geschichte der Republik des deutschen Imperialismus dürfte dieses Kapitel ein ganz besonderes Glanzstück darstellen. Wenn man davon absieht, daß jemand unglaublich naiv oder einfach dumm sein muß, um ernsthaft anzunehmen, ein so exponiertes Ministerium wie die Wirkungsstätte des in Nürnberg zum Tode verurteilten Naziaußenministers Joachim von Ribbentrop wäre eine Insel der Unschuld oder gar des Widerstandes gewesen, dann sollte man doch zunächst einmal fragen, wo im Buch "Das Amt" eigentlich gravierende Neuigkeiten zu finden sind.

Ich weiß nicht, wie viele Euros die noch von Westerwelles Vorgänger Josef Fischer in Auftrag gegebene Studie der vier Autoren zur Geschichte des Auswärtigen Amtes gekostet hat, aber bestimmt hätte man das Ganze auch viel preisgünstiger bekommen können. Ein Gang ins nächste gute Antiquariat wäre da vermutlich hilfreich gewesen. Dort vermochte man nämlich schon vor Jahren mit etwas Glück das inzwischen legendäre "Braunbuch" zu ergattern.

Am 2. Juli 1965 hatte Prof. Albert Norden, der Enthüllungsspezialist des SED-Politbüros, auf einer internationalen Pressekonferenz die von ihm herausgegebene Dokumentation vorgestellt. Dort wurden 1800 schwerbelastete Naziaktivisten mit ihren einstigen SS- oder SA-Diensträngen und NS-Parteiämtern aufgelistet. Sie waren inzwischen in Wirtschaft, Verwaltung, Justiz, Polizei und Streitkräften der BRD in gehobener Position tätig. Das enorme Interesse im In- und Ausland führte dazu, daß noch im selben Jahr eine zweite Auflage herausgebracht wurde. Die Dokumentation erschien auch in Englisch, Französisch und Spanisch. 1968 kam die dritte und letzte Auflage zu DDR-Zeiten heraus. Später wurde von der Eulenspiegel-Verlagsgruppe ein Nachdruck editiert.

Im deutschen Westen wurde das "Braunbuch" sofort als "kommunistische Propaganda" abgetan. Auf der Frankfurter Buchmesse 1967 beschlagnahmte man es. Schließlich folgte ein Verbot. Der Mythos von der "sauberen" BRD durfte nicht angekratzt werden.

Auf den Seiten 233 bis 277 des "Thrillers" hätten Westerwelle und sein über den Angriff auf Jugoslawien selbst zum Kriegsverbrecher gewordener Vorgänger Fischer all das nachlesen können, was sie erst jetzt erfahren zu haben vorgeben.

Hans Schwarzmann war z. B. Legationssekretär bei Ribbentrop und dessen Verbindungsmann zum Pariser Botschafter Abetz. In dieser Funktion hatte er Anteil an Geiselerschießungen und Juden-Deportationen. Nach der BRD-Gründung leitete er die Außenstelle des Auswärtigen Amtes in Westberlin. Franz Nüßlein wütete als Staatsanwalt in der besetzten CSR. In Brno, dann in Prag "profilierte" er sich als Blutjurist durch Mittäterschaft bei der Ermordung von etwa 900 Tschechen und Slowaken. Bonn schickte ihn als Generalkonsul nach Barcelona. Dr. Hans-Herwarth von Bittenfeld stand bis 1941 auf dem Posten eines Gesandtschaftsrates in Moskau. In den besetzten Ostgebieten wirkte er am Aufbau der berüchtigten "Wlassow-Armee" mit. Ab 1949 war er nacheinander Botschafter in London, Staatssekretär im Bundespräsidialamt und BRD-Chefdiplomat in Rom.

Das "Braunbuch" präsentierte also schon 1965 die Namen von 520 schwerbelasteten Nazis im Bonner Auswärtigen Amt. Sie alle erhielten nach ihrem Ausscheiden üppige Pensionen, was einer gewissen Pikanterie nicht entbehrt, bedenkt man, daß die Diplomaten der DDR 1990 zu miserablen Konditionen ins berufliche Aus geschickt wurden.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, dem "Braunbuch" mangelnde Glaubwürdigkeit zu unterstellen. Doch auch eigene BRD-Nachforschungen ergaben, daß die Fehlerquote durch Namensverwechslungen oder sachliche Unkorrektheiten deutlich unter einem Prozent lag.

Fischer und Westerwelle spielen mit gezinkten Karten, wenn sie behaupten, man habe von all dem nichts gewußt. Die vier Autoren des Buches "Das Amt" hingegen wollten vielleicht wirklich Licht ins Dunkel bringen. Doch ihren Auftraggebern und den sie umschwärmenden journalistischen Hofschranzen liegt eher das Obskure. Sie setzen auf Irreführung und Verschleierung. Den BRD-Bürgern soll Ahnungslosigkeit vorgetäuscht und der Eindruck erweckt werden, man sei tatsächlich an der Wahrheit interessiert, auch wenn diese seit 45 Jahren bekannt ist. Die Bevölkerung soll annehmen, es habe sich lediglich um ein Versehen gehandelt. Tausende Nazis in höchsten Ämtern der BRD - nur ein Versehen?

Hans Globke - einst Kommentator der Nürnberger Rassegesetze Hitlers und dann die graue Eminenz des ersten BRD-Kanzlers Konrad Adenauer - sowie der frühere KZ-Baumeister der Nazis und spätere Bundespräsident Heinrich Lübke sind nur noch wenigen ein Begriff. Da kann man es sich leisten, im trüben zu fischen und den Kindern in heutigen Schulen einen Bären aufzubinden. Die Geschichtsforschung der DDR, die all das ans Licht brachte, aber wird totgeschwiegen oder durch den Dreck gezogen. Conze, Frei, Zuckermann und Hayes haben sich im günstigsten Falle mißbrauchen lassen. So etwas liegt im bundesrepublikanischen Trend.

Ulrich Guhl, Berlin

Raute

Zur Illusion vom klassenneutralen "Überrecht"

Das Gerede vom "Unrechtsstaat" hat weiterhin Hochkonjunktur. Aber wie reagieren wir als jene, welche die DDR bewußt erlebt und gestaltet haben? Nicht wenige von uns sind ja noch Zeugen dessen, wie dem Kapital in einem Drittel Deutschlands für vier Jahrzehnte die politische Macht und das ausbeuterische große Privateigentum an Produktionsmitteln entzogen wurden. Wenn wir die DDR als die bisher größte Errungenschaft der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung betrachten, dann meinen wir gerade das!

Doch angesichts der bösartigen Unterstellung, die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen, beziehen wir häufig eine defensive Position und begeben uns in Deckung. Mehr noch als das: Manche von uns fühlen sich beleidigt. Dabei kann der vorerst überlegene Gegner uns weder beleidigen noch die Ehre abschneiden. Warum lassen wir uns einen solchen Vergleich beider diametral entgegengesetzter Gesellschaftsordnungen, die sich wie Feuer und Wasser voneinander unterscheiden, überhaupt aufdrängen? Diese Diktion orientiert sich doch einzig und allein an den in Siegerpose vorgetragenen Maßstäben unserer Klassenfeinde. Wir weisen die von ihnen und ihren Medien gegen uns und unsere Geschichte ins Feld geführten Unterstellungen und Schmähungen zurück. Doch dabei fühlen wir uns diskriminiert und diskreditiert, versuchen, die Lügen zu widerlegen und uns zu rechtfertigen, wobei wir im Denkschema und Begriffsverständnis der Bourgeoisie verharren. Viele von uns verblüfft es, wie arrogant die BRD-Oberen über unsere Abwehrbemühungen hinweggehen. Ja, wir preisen sogar noch Politiker aus deren Lager, die in einer Aufwallung von Milde oder gar einem Anflug von Realismus dazu bereit sind, auch der DDR einen Hauch von Rechtsstaatlichkeit ihrer Lesart zuzubilligen, wofür sie sich im eigenen Lager Prügel einhandeln. Sicherlich kann uns jede Abweichung von der amtlichen Delegitimierungsorder ein genüßliches Schmunzeln entlocken, mehr aber auch nicht. Denn diese wird damit weder aufgeweicht noch aufgehoben. Und wer allzu starrsinnig auf eigenständigem Denken beharrt, verschwindet aus dem politischen Rampenlicht.

Haben wir denn partielles Wohlwollen dieser Art überhaupt nötig? Vergeben wir uns nicht etwas, wenn wir solche Leute in den Rang von "Beinahe-Brüdern" im Geiste erheben?

Ich vertrete den Standpunkt, daß wir die Deckung und die Defensive verlassen und - wo und wann immer möglich - selbst wieder zum Angriff übergehen sollten, wobei es gilt, möglichst viele Menschen mitzunehmen.

Einstige DDR-Bürger besitzen doch inzwischen hinreichende Erfahrungen und Vergleichsmaßstäbe aus zwei konträren Gesellschaftsordnungen. Sie können mitreden. Davon ist auszugehen. Allerdings wissen wir auch: Wer die politische Macht und die Medien hat, besitzt die "Lufthoheit" über die Köpfe. Wenn wir dieser unser eigenes Wort hörbar entgegensetzen wollen, müssen wir eine von den vorgestanzten Begriffen der Bourgeoisie unabhängige eigene Argumentationsebene finden und auch verbal zur Offensive übergehen. Über die theoretischen Voraussetzungen dazu verfügen viele von uns. Wenn andere vom Rechtsund vom Unrechtsstaat schwadronieren, dann wissen wir, daß das Recht ja zu jeder Zeit nur der zum Gesetz erhobene Wille der jeweils herrschenden Klasse war und ist. So haben es Marx und Engels schon im Manifest definiert.

Heute gilt bei uns wieder das Klassenrecht der kapitalistischen Ausbeuter, nachdem wir in der DDR vier Jahrzehnte lang das Recht der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten erlebt haben. Beide sozialen Formationen stehen sich unversöhnlich gegenüber. Das gilt auch für ihre Rechtssysteme. Ein neutrales oder klassenindifferentes "Überrecht" ist Illusion. An dieser objektiven Realität ändert sich auch dadurch nichts, daß nicht wenige identische Bestimmungen oder Formulierungen existieren, die in beiden Rechtssystemen anwendbar sind. Das trifft auf Richtersprüche und prozessuale Normen bei gleichen Sachverhalten nicht selten zu. Obwohl es unbestreitbar Regeln des menschlichen Zusammenlebens gibt, werden auch diese stets im jeweiligen Klasseninteresse interpretiert. Das gilt besonders für arbeits- und zivilrechtliche Normen. Man denke nur an das die Hausbesitzer ganz offen begünstigende Mietrecht.

Wenn also ein von der sozialen Basis unabhängiges "Überrecht" Schall und Rauch ist, kann es auch keinen unparteiischen "Überstaat" geben. Jeder Staat ist das Machtinstrument der politisch und ökonomisch herrschenden Klasse, der entsprechend geprägtes Recht anwendet. In der BRD gilt demnach das bürgerliche Klassenrecht eines kapitalistischen Rechtsstaates, während in der DDR ein das Recht der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten anwendender sozialistischer Rechtsstaat bestand. Beide lassen sich nicht in einen Topf werfen.

Der von den Antikommunisten ersonnene politische Kampfbegriff "Unrechtsstaat" besitzt keinerlei juristische Basis. Das mußte auch der Bundestag in Beantwortung einer Anfrage der PDL-Fraktion ausdrücklich einräumen.

Man sollte jenen, welche die DDR in verleumderischer Absicht als Unrechtsstaat bezeichnen, offensiv antworten. Es stimmt: Aus eurer Sicht waren wir natürlich ein Unrechtsstaat. Schließlich hatten wir eure Klasse für mehr als vier Jahrzehnte von Macht und Eigentum getrennt und damit massiv gegen euer Recht verstoßen. Wir haben das in euren Augen schlimmste Unrecht auf uns geladen: die Befreiung von 17 Millionen Deutschen der DDR aus den Ketten der Ausbeutung und sozialen Perspektivlosigkeit.

Dem sollten wir hinzufügen: Aus unserer Sicht seid gerade ihr die Vertreter eines Unrechtsstaates, habt ihr doch das für Deutschland rechtsverbindliche Potsdamer Abkommen von 1945 in einen wertlosen Fetzen Papier verwandelt und mit den massenhaften Kommunistenverfolgungen vor und nach dem KPD-Verbot vom August 1956 euren "Rechtsstaat" vor aller Welt ad absurdum geführt.

Die DDR repräsentierte von Beginn an schon deshalb einen höheren Grad der Legitimität als die BRD, weil ihr das Potsdamer Abkommen als Staats- und Rechtsgrundlage diente. Ihre Verfassung wurde vom Volk in freier und geheimer Abstimmung beschlossen, während das Provisorium Grundgesetz der BRD von den westlichen Besatzungsmächten abgesegnet werden mußte.

In einer Hinsicht kann man in bezug auf die Bundesrepublik allerdings tatsächlich von einem Rechts-Staat sprechen: Die Reise geht immer schneller und immer bedrohlicher nach rechts!

Wolfgang Mäder, Neubrandenburg

Raute

Paul Singer war ein marxistischer SPD-Führer an August Bebels Seite

Parlamentarier, aber nicht Parlamentär

Vor 100 Jahren, am 31. Januar 1911, verstarb Paul Singer, ein außergewöhnlicher Arbeiterführer, den man in eine Reihe mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht stellen kann. Von 1890 bis zu seinem Tode war er einer der beiden Vorsitzenden der SPD, bis 1892 mit Alwin Gerisch und dann mit August Bebel.

Mit absoluter Mehrheit eroberte Paul Singer sowohl 1883 im 12. Berliner Wahlbezirk ein Mandat in der Stadtverordnetenversammlung als auch 1884 im 4. Berliner Bezirk einen Reichstagssitz. Diese Wahlkreise befanden sich im heutigen Friedrichshain-Kreuzberg. Paul Singer leitete in beiden Parlamenten die sozialdemokratische Fraktion. In der Berliner Stadtverordnetenversammlung war er jahrelang in acht Ausschüssen tätig.

Paul Singer ging voll in seiner Tätigkeit als Abgeordneter und in der Arbeit für die SPD auf, wobei er Außerordentliches leistete. Er erwarb sich dadurch auch die Anerkennung politischer Gegner. Energisch trat Singer für die Ehrung der Opfer der Revolution von 1848 auf dem Friedhof der Märzgefallenen und die Errichtung des Märchenbrunnens im Friedrichshain ein, der aber erst zwei Jahre nach seinem Tod fertiggestellt wurde.

Das besondere Augenmerk des SPD-Politikers galt den Obdachlosen. Auf seine Initiative entstand ein städtisches Asyl, dessen Vorstandsmitglied und Kurator er wurde.

Paul Singer kam aus dem Bürgertum. Er wurde am 16. Januar 1844 in Berlin in einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren, was ihn häufig zur Zielscheibe antisemitischer Ausfälle machte. Nach einer entsprechenden Lehre in der Konfektionsbranche gründete er 1869 gemeinsam mit seinem älteren Bruder Heinrich die Damenmantelfabrik Gebr. Singer. Er wurde ein erfolgreicher Unternehmer, was es ihm ermöglichte, die Partei großzügig zu unterstützen. Diese Tätigkeit gab er Ende 1887 auf.

Über die bürgerlich-liberale Deutsche Fortschrittspartei, den Berliner Arbeiterverein und den Demokratischen Arbeiterverein war er 1869 zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands gekommen. Mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht, aber auch mit Karl Marx und Friedrich Engels verband ihn bald eine enge Freundschaft.

Während des Sozialistengesetzes initiierte Singer Solidaritätsaktionen, half er beim Aufbau der illegalen Parteiorganisation und der Gründung des im Untergrund vertriebenen Zentralorgans "Der Sozialdemokrat". 1886 mußte er, aus Berlin ausgewiesen, nach Dresden übersiedeln.

Der Tag seiner Abfahrt wurde für ihn und die Berliner Arbeiterbewegung zu einem Triumph. Zehntausende Berliner winkten dem am Zugfenster Stehenden von Brücken und Stationen der Ringbahn zu. Die Polizei, die den Bahnhof abgesperrt hatte, war dagegen machtlos. Paul Singer trat entschieden für den Völkerfrieden, gegen Militarismus und Krieg auf. Bereits 1870 hatte er die Bismarckschen Eroberungspläne im deutsch-französischen Krieg verurteilt. Im Reichstag lehnten Singer und Bebel die Bewilligung sämtlicher Mittel für deutsche Militärinterventionen im Ausland ab.

Die von Singer dem Mainzer SPD-Parteitag im September 1900 vorgelegte Resolution verurteilte die "abenteuerliche, gewaltsame Chinapolitik der Regierung". Damals konnte Wilhelm II. ganz unverblümt zum Mord an Chinesen aufrufen.

Beim Internationalen Sozialistenkongreß in Paris im September 1900 erklärte Paul Singer: "Der Weltpolitik des Militarismus, des Chauvinismus, des Kapitalismus setzen wir die Weltpolitik der Interessengemeinschaft des Proletariats aller Länder, die Weltpolitik des internationalen Friedens entgegen. Der Raub- und Eroberungspolitik der herrschenden Klassen stellen wir die internationale Solidarität, der Interessengemeinschaft der Ausbeuter die Interessengemeinschaft der Ausgebeuteten entgegen." Paul Singer war 1891, 1893, 1896 und 1907 Vorsitzender beziehungsweise Ko-Vorsitzender der Kongresse der Sozialistischen Internationale.

Von 1890 bis 1909 leitete er, mit einer Ausnahme, alle Parteitage der SPD. Versammlungen mit Paul Singer waren fast immer überfüllt, und er kam bei den Teilnehmern an, wie die Berichte beweisen. Er war ein "urwüchsiger Berliner mit trockenem herzhaftem Humor". Ein Musterbeispiel dafür war die Reichstagsrede vom 18. Mai 1897. "Meine Herren", sagte Singer, "aus der Vergangenheit will ich einige drastische Fälle mitteilen, die zur Auflösung von Versammlungen geführt haben. ... Schon vor dem Sozialistengesetz wurden hier in Berlin Versammlungen aufgelöst auf Grund des jetzt bestehenden Vereins- und Versammlungsrechts, z. B., weil Kellnerinnen im Saal waren - der Beamte meinte, Frauenspersonen dürfen an politischen Versammlungen nicht teilnehmen; ferner, weil ein Fernster im Saale geöffnet war - dadurch war die Versammlung zu einer Versammlung unter freiem Himmel geworden ... Aufgelöst wurde eine Versammlung, weil ein Hund durch den Saal lief und der überwachende Beamte geglaubt hat, der öffentliche Friede würde dadurch gestört werden, oder auch vielleicht, weil der Hund minderjährig war."

Das löste natürlich auf der linken Seite des Parlaments Heiterkeit aus wie auch die folgenden Bemerkungen Singers: "Aber, meine Herren, die Auffassung, welche manche Beamten von ihrer Aufgabe der Überwachung politischer Versammlungen haben, geht doch sehr drastisch aus den Worten hervor, die einmal ein Gendarm, der darauf aufmerksam gemacht wurde, daß er gegen das Gesetz verstoße, wenn er die Versammlung auflöse, aussprach. Der Mann, wahrscheinlich ein guter Berliner, sagte ganz gemütlich: 'Wat jeht mir det Gesetz an, ick richte mir nach meine Instruktion.'"

1905 galt Paul Singers uneingeschränkte Solidarität der ersten russischen Revolution. Als er am 5. Februar 1911 in Berlin zu Grabe getragen wurde, folgten Zehntausende seinem Sarg von der Lindenstraße zum Friedhof in Friedrichsfelde. Hunderttausende säumten die Straßen. Die Berliner liebten ihren "Paule", der wie Lenin in seinem Nachruf feststellte, "bis ans Ende seiner Tage ... der unversöhnlichen, revolutionären sozialdemokratischen Politik unerschütterlich treu (blieb)".

In der "Rabotscheskaja Gazeta" schrieb Lenin: "Niemals ist einem Mächtigen dieser Welt die Ehre einer solchen Bestattung zuteil geworden. Man kann Zehntausenden von Soldaten befehlen, den sterblichen Überresten irgendeines Königs oder eines durch die Niedermetzelung von äußeren und inneren Feinden berühmt gewordenen Generals in den Straßen Spalier zu bilden, aber man kann nicht die Bevölkerung einer Riesenstadt auf die Beine bringen, wenn nicht in den Herzen der ganzen Millionenmasse der Werktätigen die Verbundenheit mit der Sache des revolutionären Kampfes eben dieser Masse gegen das Joch der Regierung und der Bourgeoisie glüht."

Dr. Kurt Laser

Raute

So starben Leipzigs wahre Helden

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Als Herr Genscher die Friedensbotschafter der DDR zu "Wegwerfdiplomaten" erklärte

Abschiedsrede in einem Abrißgebäude

Der im folgenden leicht gekürzt wiedergegebene Text Werner Heidens wurde am 27. September 1990 auf der letzten Mitarbeiterversammlung des MfAA der DDR verlesen. Sie fand im schon nicht mehr bestuhlten Großen Saal des später abgerissenen MfAA-Neubaus am Berliner Marx-Engels-Platz statt. Da "DDR"-Ministerpräsident Lothar de Maizière, der zu dieser Zeit überdies das Amt des Außenministers innehatte, angekündigt war, richteten sich die Worte auch an ihn. Der Politiker erschien jedoch nicht.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!

Wichtigste Aufgabe jeder Außenpolitik ist es, Freunde für das eigene Land zu gewinnen und damit Feindschaften abzubauen. Jeder von uns hat neue Freunde für dieses Land gewonnen, in dem auch Deutsche wohnen. Sollen diese Freundschaften gekapert werden und nicht zum neuen Deutschland gehören?

Außenpolitik bedeutet auch immer Umgang mit Andersdenkenden. Das haben wir gelernt.

Will uns Herr Genscher gerade deswegen nicht und dieses bewährte Prinzip gerade uns gegenüber ad absurdum führen? Will man uns nicht, weil wir zu den denkenden Menschen dieses Landes gehören? (...)

Am 17. Juli legte ich in einem Brief an den DDR-Ministerpräsidenten meine Meinung dar, daß mir aus der jüngeren europäischen Geschichte kein Fall bekannt ist, bei dem sich der Regierungschef so deutlich gegen die Interessen der Bürger seines eigenen Landes ausspricht und so deutlich Fremdinteressen vertritt. Ausgangspunkt dafür war seine Feststellung von Ende Mai, daß es keine Nachbesserungen zum Staatsvertrag für DDR-Bürger geben dürfe.

Eine Reaktion aus seinem Amt habe ich bis heute nicht erhalten.

All seine Politik hat diese Einschätzung bestätigt. - Ich habe sechs Jahre Außenpolitik studiert. Auf Beschluß der Kultusministerkonferenz soll dieses Studium nicht anerkannt werden. Soll ich nun zu den Klippschülern der Nation gehören? Laut "Einigungsvertrag" werden aber Berufsabschlüsse anerkannt. Gilt das nicht für uns? Ist das Rechtsstaatlichkeit?

Herr Genscher lehnt es wohl ab, daß DDR-Diplomaten im zukünftigen auswärtigen Dienst Deutschlands arbeiten. Sind wir seine Wegwerfdiplomaten?

Was erwartet uns? Bewußte soziale Degradierung, gezielte menschliche Demütigung. Früher waren wir die Brüder und Schwestern, heute werden wir als die Wasserträger der Nation angesehen. Entscheiden nun die, die sich als die höherwertigen, besseren Deutschen fühlen, ob auch wir richtige Deutsche sein dürfen?

Wir gehen ohne einen Pfennig Abfindung in die von Bonn vorbereitete soziale Ausgrenzung.

Andere deutsche Diplomaten erhielten nach dem letzten großen Krieg Abfindungen, Pensionen und Posten im Auswärtigen Amt. Was sie Europa und der Welt brachten, ist bekannt. Wir haben erfolgreich daran gearbeitet, daß die Deutsche Demokratische Republik zu einem international anerkannten Friedensfaktor wurde. Wenn nun Abfindungen, Pensionen und Posten an Tradition und Kontinuität des alten Deutschland geknüpft sind, verbietet es mir mein Gewissen, mich auf diese Linie zu stellen.

Dennoch ist es nur gerecht, wenn wir heute - 45 Jahre nach Kriegsende - auf rechtsstaatlicher Grundlage Abfindungen erhalten, die uns nicht in das soziale Aus befördern.

Genauso muß es der Fürsorgepflicht der Regierung entsprechen, daß die von ihr veranlaßten Umschulungen auch von ihr finanziert werden.

Ich bitte sehr, diese offenen Fragen erneut an das Auswärtige Amt heranzutragen und sie auch nach dem 3. Oktober im Auge zu behalten.

Ich möchte nicht glauben, daß Sie eine neue Politik der Ausgrenzung Andersdenkender unterstützen, die das deutsche Gehorsamkeits- und Verfolgungskarussell in Gang hält mit all seinen unabsehbaren und unkontrollierbaren Folgen.

Das Prestige Deutschlands hat in den letzten Monaten viel gelitten. Wir alle sollten bemüht sein, daß es keinen weiteren Prestigeverlust gibt.


Werner Heiden arbeitete seit 1967 im MfAA, zuletzt in der Abteilung Journalistische Beziehungen, die in der DDR akkreditierte ausländische Korrespondenten betreute.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Die DDR war ein weltweit anerkannter Rechtsstaat. Papst Johannes Paul II. empfing ihren Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker am 24. April 1985 im Vatikan in Privataudienz.

Raute

Ein Briefwechsel offenbart: Keine Fettlebe im niederbayerischen Sankt Englmar

Lieber Bernd, in einer früheren Ausgabe des RF hast Du zur sozialen und wirtschaftlichen Situation in Niederbayern Stellung genommen. Mich hat der Artikel besonders berührt, weil ich ja im Grunde ein alter Zwangs- und gelegentlicher Wahl-Bayer bin. 1945 arbeitete ich in einem kleinen Dorf bei Weiden als dorthin evakuierter 14jähriger ein gutes Jahr beim Bauern. Nach der "Wende" waren wir mehrfach in Bayern, zweimal in dem kleinen Dorf von einst, zweimal in Oberstdorf und seit Beginn der 90er mindestens einmal jährlich in Sankt Englmar. Dabei habe ich den Eindruck gewonnen, daß Bayern nicht gerade zu den ärmsten Regionen der BRD gehört, wenn ich mal von der Oberpfalz und dem flachen Land dort absehe. Deshalb hat es mich überrascht, daß bei Dir in Niederbayern - wie Du schreibst - "Leute schon als Spitzenverdiener gelten, die 1500 Euro brutto im Monat bekommen". Deiner Schätzung nach bezieht "über die Hälfte der Vollzeitbeschäftigten in Ostbayern gerade mal so um die 1100 Euro netto".

Nach dem, was ich in all den Jahren gesehen habe, betrifft das möglicherweise bestimmte Gebiete und gewisse Berufsgruppen, z. B. die Gastronomie, zeitweise auch die Tourismusbranche. Aber daß Verdiener von 1500 Euro brutto schon zu den Reichen zählen und über die Hälfte der Vollzeitbeschäftigten etwa 1100 Euro netto erhält, kommt mir zweifelhaft vor. Deshalb frage ich, ob Du dafür konkrete Beweise hast. Ich könnte mir z. B. vorstellen, daß die Kassiererinnen beim jungen Bugl (Edeka) weitgehend in Teilzeit arbeiten. Und was die vereinzelten Vollzeitbeschäftigten verdienen, wird auch schwer zu ergründen sein. Darüber spricht man nicht. Aber nun stehen Zahlen im Raum, und ich frage mich, ob sie soweit bestätigt sind, daß sie in der Argumentation auch genutzt werden können.

Ich vermag hier nicht aus dem Hut zu sagen, was beispielsweise eine Kassiererin bei Lidl verdient, ob sie nun in Teilzeit arbeitet oder voll beschäftigt ist.

Insgesamt halte ich Deinen Artikel für zutreffend und eine richtige Beschreibung der gesellschaftlich-sozialen Realität nicht nur in Bayern. Für uns "Ossis" macht er deutlich, wieweit wir in dieser Hinsicht schon einmal gewesen sind. Und dieses tägliche Anti-DDR-Geplärre in den Medien können die Leute bei uns schon nicht mehr hören, zumal ja niemand daran glaubt, daß nur die eine Seite schwerwiegende Defizite hatte, während die andere völlig unbefleckt war. Keiner redet auch darüber, daß das vielgelobte Grundgesetz seinerzeit die Spaltung Deutschlands gebracht hat. Denn das Entstehen der BRD ging der Gründung der DDR nun einmal chronologisch voraus, wobei die jeweiligen Bündnisse in der gleichen Reihenfolge zustande kamen.

Herzliche Grüße in den Bayerischen Wald

Rudi Krause, Berlin


*


Auch den Antwortbrief wollen wir unseren Lesern nicht vorenthalten, gehören doch beide zusammen:

Lieber Rudi, mit den Löhnen verhält es sich wirklich genau so, wie ich es geschildert habe. Meine Frau war z. B. zehn Jahre beim Vier-Sterne-Hotel "Angerhof" im Wellness-Bereich angestellt. Sie ist auf diesem Gebiet Spezialistin mit entsprechender Ausbildung und dazugehörigen Diplomen. Beim "Angerhof" bekam sie monatlich 1500 Euro brutto. Weihnachts- und Urlaubsgeld erhalten die Beschäftigten dort nicht. Vor drei Jahren kürzte der Inhaber des Hotels alle Löhne um zehn Prozent. Wem es nicht paßte, der sollte eben gehen.

Zuletzt war meine Frau Leiterin der Wellness-Abteilung mit zehnstündiger Arbeitszeit an sechs Tagen in der Woche. Sie erhielt 1050 Euro netto. Überstunden wurden nicht vergütet. Zum Mai 2009 wurde ihr "aus betrieblichen Gründen" gekündigt. An ihrer Stelle arbeiten jetzt zwei Praktikantinnen, denen man überhaupt keinen Lohn "schuldet". Bei dem einzigen Konkurrenzhotel in dieser Gegend, dem "Reinerhof" in Grün, wurde meiner Frau ein Job auf 30-Stunden-Basis für 800 Euro netto angeboten. Sie hat dort eine Woche zur Probe gearbeitet. Die Konditionen: Zehnstundentag ohne Bezahlung von Überstunden.

Bei der Fa. Schmelmer, Installationen und Heizungsbau, sind 15 Personen, durchweg ausgebildete Fachleute, beschäftigt. Keiner bekommt dort mehr als 1100 Euro netto im Monat. Ich könnte Dir auf Anhieb Hunderte ähnlicher Beispiele nennen.

Besser dran sind zweifellos jene, welche bei BMW arbeiten. Der Konzern zahlt in Niederbayern die höchsten Löhne. In Dingolfing beschäftigt er 30.000 Leute. Die kommen aus jedem Dorf hier, auch aus Englmar. Aber seit zwei oder drei Jahren werden von BMW immer mehr Zeitarbeiter für die Hälfte des sonst üblichen Lohnes eingestellt. Sie besetzen ganz normale Arbeitsplätze. - Was Lidl, Netto, Norma und Penny betrifft, so gibt es dort nur noch 400-Euro-Jobber. Bei allen anderen Discountern ist das genauso, nur Aldi bildet eine Ausnahme. Dort erhält ein Filialleiter 1600 Euro brutto, die Kassiererin kommt auf 1250 Euro brutto. Auch im medizinischen Bereich gibt es Probleme. Arzthelferinnen werden in vielen Praxen ebenfalls nur noch auf 400-Euro-Basis eingestellt.

Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, kann sich glücklich schätzen. Allerdings lassen die Gemeinden jetzt immer mehr Aufgaben von 1-Euro-Jobbern erledigen.

Die schmalen Löhne in Niederbayern haben noch geringere Renten zur Folge. Viele Rentnerinnen beziehen weniger als 200 Euro im Monat. Grundsicherung haben etliche aus Scham nicht beantragt. Oder man gewährt sie ihnen nicht, weil sie noch das Haus besitzen, in dem sie wohnen und ein paar Wiesen drum herum, die kaum etwas wert sind. Das Amt verweigert in solchen Fällen oftmals die Zahlung. Anders als in der DDR haben Rentner hier sehr viele Ausfallzeiten, für die nichts angerechnet wird. Vor allem Frauen, die im häuslichen Betrieb meist ohne Vergütung mitgearbeitet haben, erhalten wenig und in zahlreichen Fällen überhaupt keine Rente.

Von einem generellen Wirtschaftsaufschwung kann also kaum die Rede sein. So etwas erzählen nur prahlerische Selbstdarsteller, die bei sich keine Schuld suchen. Da wird dann von "globalen Mächten" gefaselt und von Managern, die gierig und unfähig wären. Man erzählt Märchen, wenn man behauptet, an den noch immer hohen Arbeitslosenquoten sei nur die mangelnde Bildung der Leute schuld. Dabei gibt es unter den Erwerbslosen bald mehr Akademiker als Ungelernte. - Das eigentliche Problem besteht in der nach wie vor schwachen Kaufkraft vieler Menschen. Lohndrückerei, Hungerlöhne, Armutsrenten, 400-Euro-Jobs und Hartz IV bei ständiger Teuerung, hohen Strom-, Gas- und Ölpreisen, steigenden Steuern und Gebühren, immer mehr Zuzahlungen im Gesundheitswesen, Verweigerung von Mindestlöhnen - all das kennzeichnet die Situation. Und die Story, ein Unternehmen müsse heutzutage viel mehr Profit machen, weil man ja neue Arbeitsplätze schaffen wolle, stimmt nur insofern, als sich diese in China oder sonstwo befinden.

Das hier Geschilderte trifft natürlich nicht auf alle zu. Frau Wieczorek-Zeul, zuletzt Entwicklungshilfe-Ministerin in der Regierung der großen Koalition, bezieht nach acht Jahren Kabinettszugehörigkeit z. B. eine monatliche Pension von 9600 Euro. Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt erhält demgegenüber nur schlappe 8600 Euro. Da sieht man, wie es jenen geht, die ordentlich wirbeln ...

Mit herzlichen Grüßen

Bernd Irmler, Sankt Englmar

Raute

Ackerräuber auf Renditejagd im Osten

Das neue Spekulationsobjekt der Renditejäger heißt Ackerland. Wie ich in einer Plusminus-Sendung der ARD erfuhr, verkauft der Bund große Flächen an Meistbietende. Das Land wird Bauern, die es gepachtet haben, entzogen und steht somit für die menschliche Ernährung nicht mehr zur Verfügung. Die Lebensmittel müssen importiert werden. Zunehmend wächst die Existenzangst der Bauern. Viele ehemalige Landbesitzer und Bauern aus dem früheren DDR-Gebiet sind deshalb bis vor den Europäischen Gerichtshof gezogen, weil ihnen durch Bundesgesetze ihr Grund und Boden weggenommen wurde. Sie bekamen dort recht. Doch der Bund legte Berufung ein und schaffte es, das Urteil zu seinen Gunsten zu kippen.

Ich selbst bin wegen einer etwas anders gelagerten Enteignung vor Gericht gegangen. Auch mein Rückführungsantrag wurde abgelehnt. 2008/09 habe ich dem Richter in meiner Erwiderung erklärt, ihm seien wohl die Hände gebunden, ein gerechtes Urteil zu meinen Gunsten zu fällen. Kein Zweifel: Der Bund will die Flächen, die er sich widerrechtlich angeeignet hat, meistbietend an in- und ausländische Megahaie verkaufen. Es sind branchenfremde Aktionäre, die das Land erwerben. Dafür werden die Preise ins Uferlose hochgeschraubt, so daß Bauern, die es gepachtet haben und gerne kaufen würden, überhaupt keine Chance haben, da mitzuhalten.

Und es wird noch schlimmer: Die Megahaie kaufen ganze Agrargenossenschaften auf! So sind in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg neun von ihnen unter den Megatrendhammer der Regierung gekommen. Nun gehören sie beispielsweise dem Riesen der Möbelbranche Steinhoff (Sitz Niedersachsen). Und so wie dieser Konzern hat sich auch das Abfallentsorgungsunternehmen Rethmann in Agrargenossenschaften eingekauft. Es sind vor allem große zusammenhängende Flächen, die auf diesen Markt kommen.

Für solche Zwecke hat die Bundesregierung eine sogenannte Bodenverwertungsund Verwaltungs GmbH mit Sitz in Berlins Schönhauser Allee installiert. Diese betreibt ihr Un-Geschäft in großem Stil.

Nun wird auch klar, warum die Flurneuordnung in der ehemaligen DDR so vehement betrieben wird. Sie muß obendrein von den Landbesitzern bezahlt werden. Auch dafür wurde ich mit meiner elterlichen Landerbschaft zur Kasse gebeten. Es geht darum, große zusammenhängende Flächen zu schaffen, bei denen keine privaten Nörgler mehr dazwischenhängen. So wird das Bauernland monopolisiert und der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen.

Viele tausend Hektar gibt man überdies der Monokultur preis. Es wird z. B. Mais oder Raps für Biogas angebaut. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Macher und Regierungsleute brüsten sich mit der so geschaffenen erneuerbaren Energie, aber daß man dabei unsere Mutter Erde zerstört und ein in Generationen nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht, wird dem Volk verschwiegen. Der Energiepflanzenanbau führt unweigerlich zum Ruin der Böden. Menschen ziehen aus solchen Regionen weg, Existenzen werden zerstört.

Der Acker ist das Wichtigste, was der Mensch besitzt, um sich und die Nachkommen zu ernähren. Deshalb fordere ich von Frau Merkel: Machen Sie endlich Schluß mit der Bodenspekulation! Halten Sie den Wahnsinn der Ackerzerstörung auf! Wem nützt das, was Sie und Ihr Kabinett da vorantreiben? Unserem Volk, dem Sie dienen wollten - wie Sie es bei Ihrem Amtsantritt unter Bemühung von Gott geschworen haben? Ihm leisten Sie damit einen Bärendienst. Aber den Steinhoffs und Rethmanns füllen Sie die Taschen.

Klaus Hilmar Luckau, Aschersleben

Raute

Marxismus für Einsteiger - Chauvinismus

Chauvin soll angeblich ein dutzendfach verwundeter und verstümmelter Soldat der napoleonischen Armee gewesen sein. Ob es ihn tatsächlich gab, ist umstritten. Sicher ist jedoch: 1831 wurde ein Chauvin durch sein Lied "Die dreifarbige Kokarde" als Possenreißer bekannt. Das französische Bürgertum war von begründetem Nationalstolz erfüllt. Krankhaft übersteigerter Nationalismus war ihm jedoch noch Anlaß zur Satire und Belustigung breiterer Volksschichten. Dazu bot jener singende dümmliche Fanatiker reichlich Stoff. Einige Jahrzehnte später sah es dann ganz anders aus. Der Kampf um die Aufteilung der Welt war in vollem Gange. Die von fürchterlichen Greueltaten begleitete Ausplünderung der "Fremdvölker" bedurfte einer ideologischen Rechtfertigung. "Chauvinismus" wurde respektabel. Der Diplomat und Schriftsteller Graf de Gobineau veröffentlichte sein Werk "Über die Ungleichheit der Rassen" und erfand dabei die "arische Herrenrasse". Der Damm war gebrochen. Die kapitalistischen Länder wurden mit pseudowissenschaftlichen "sozialdarwinistischen" Pamphleten überschüttet. Unterwerfung "niederer" Menschenrassen durch die vermeintlich "höheren" fordere das Naturgesetz, hieß es. "Auserwählte Völker" - vornehmlich natürlich das eigene - wurden zu alleinigen "Trägern der Zivilisation" verklärt.

Im selben historischen Kontext vollzog sich ein Wandel des Antijudaismus. Er wurde zum Antisemitismus und damit unverblümt rassistisch. Die wechselseitige Durchdringung von Chauvinismus und Rassismus bereitete den Weg zum Genozid. Was als Posse begonnen hatte, mündete im industriellen Mord, in Treblinka, Majdanek und Auschwitz. Vom Chauvinismus angetrieben, ließ die Wehrmacht Millionen sowjetischer Kriegsgefangener verhungern. Die Planungen des "Generalplans Ost" gingen noch bedeutend weiter. Im Zuge der "Germanisierung" des Baltikums, "Ingermanlands" (um Leningrad), Weißrußlands, der Krim sowie Böhmens und Mährens sollten Dutzende Millionen "slawischer Untermenschen" nach Sibirien abgeschoben und ebenfalls gezielt dem Hungertod ausgeliefert werden. Paul Celan dichtete:

der Tod ist ein Meister aus Deutschland
sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel
er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus
dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns
er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet
der Tod ist ein Meister aus Deutschland

Nicht Pazifisten und nicht esoterische Schwärmer haben das chauvinistische Inferno beendet. Es waren die Kämpfer der Sowjetarmee mit ihren Verbündeten, ihre bewaffnete Gewalt.

Zum Chauvinismus ausufernder Nationalismus war und ist immer auch eine gefährliche ideologische Waffe des Imperialismus zur Zersetzung der Arbeiterbewegung. Man darf nicht vergessen: Der Zusammenbruch der II. Internationale 1914 wurde durch den verräterischen Übergang fast aller sozialdemokratischen Parteien zum opportunistischen "Sozialchauvinismus" verursacht. Darum hieß ihre Devise: Arbeiter aller Länder - verbrüdert euch künftig wieder in Friedenszeiten, aber schlachtet euch jetzt im Kriege ab!

Die Zerstörung der sozialistischen Staatengemeinschaft 75 Jahre danach war ohne Zweifel ebenfalls von nationalistischer Unterwanderung der großen Losung: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" begleitet.

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

"Bildungsnahe" siegten über "Bildungsferne"

Hamburg war das erste Land mit einer schwarz-grünen Regierung. Dafür mußten die Grünen viele Kröten schlucken: Sie haben der Elbvertiefung und der Errichtung des Kohlekraftwerks in Moorburg sowie dem Weiterbau der "Elbphilharmonie" zugestimmt - eines Prunk-Palastes für die oberen Zehntausend, der unterdessen dreimal soviel kosten soll, wie ursprünglich veranschlagt.

Um nicht vor ihren Wählern gänzlich nackt dazustehen, ließen die Grünen eine Bildungsreform in das Koalitionspapier aufnehmen: Die Grundschule, in der alle Kinder noch gemeinsam lernen, sollte von vier auf sechs Jahre verlängert werden. Nach diesen Plänen waren nur noch zwei statt der bisherigen vier Schulformen vorgesehen: das Gymnasium und die Stadtteilschule. Dafür erklärten sich die Grünen bereit, die einzige echte Reform abzuschaffen: die vor 40 Jahren in Hamburg eingeführte Gesamtschule mit gemeinsamem Lernen von Klasse fünf bis zehn und Abiturzugang für die Leistungsstärkeren (ähnlich der seinerzeit in der DDR bestehenden allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschulen).

Doch selbst das kleine Zugeständnis von sechs gemeinsamen Jahren war den Reichen und "Bildungsnahen" zuviel des Guten. So setzten sie einen Volksentscheid gegen das längere gemeinsame Lernen durch. Diese Initiative des Rechtsanwalts Scheuerl wurde lediglich von der NPD und der in der Bürgerschaft nicht vertretenen FDP unterstützt. In Gestalt der Springerpresse besaßen ihre Urheber allerdings einen machtvollen Verbündeten. So demonstrierten die Wohlhabenden, wie gut sie sich auch ohne Parteienunterstützung organisieren können. In den bürgerlichen Stadtteilen lag die Stimmbeteiligung doppelt so hoch wie in den ärmeren Vierteln. Dort betrug sie nur etwa 20 %. Das Ergebnis: Gymnasium und Stadtteilschule folgen nun auf vier Grundschuljahre, die Gesamtschulen sind abgeschafft.

Der gegenwärtige Stand der Hamburger Bildungspolitik dürfte indes nicht das letzte Wort sein: Der Ausgang des Volksentscheids hat keine der drängenden Fragen beantwortet, sondern die alten Probleme nur weiter verschärft.

Was sollte das Ziel der Bildungsreform sein? Nach vier Jahrzehnten hartnäckiger Verteidigung der Gesamtschulen, nach etwa acht Jahren, in denen "eine Schule für alle" gefordert wurde, nach der Wahlkampflosung der Grünen "Neun macht klug!" sollte es jetzt eine Reform sein, welche die Gesamtschulen abschaffte und die Auslese der Schüler um zwei Jahre hinausschob. Warum haben sich die ärmeren und "bildungsfernen" (von der Bildung ferngehaltenen) Eltern nicht dafür mobilisieren lassen?

Man stelle sich eine Tarifrunde vor, in der die Unternehmer nichts anbieten und die Gewerkschaften mit starken Worten 1 % fordern, zugleich aber diskret signalisieren, ein halbes Prozent tue es auch. Wie stark würde das wohl die Belegschaften motivieren?

Aus ähnlichen Gründen ist die Primarschul-Reform bei den vorgesehenen Nutznießern nicht auf Interesse gestoßen. Die haben ganz andere Sorgen: mit Hartz IV auszukommen, vielleicht dieser Falle irgendwann zu entrinnen, den Job zu behalten, sich von Sarrazin kein Dummheits-Gen andichten zu lassen, die Miete bezahlen zu können, die Kita-Gebühren aufzubringen usw. Ob man ihren Kindern den Verlierer-Stempel nach vier oder erst nach sechs Jahren verpaßt, ist für sie sekundär. Daß "Reform" seit Schröders Tagen eher Drohung als Versprechen signalisiert, kam noch hinzu. Die gescheiterte Reform hätte den sozial Benachteiligten also kaum etwas Substantielles gegeben. Die Kampagne gegen Rechtsanwalt Scheuerl blieb so ein Stellvertreter-Krieg, der mit einer Niederlage enden mußte.

Wirklich nötig gewesen wäre ein echter Klassenkampf um die Schule. Gebraucht hätte man dafür ein Programm, welches das Bildungsprivileg frontal angreift, statt es nur geringfügig modifizieren zu wollen. An dafür passenden Losungen wäre kein Mangel gewesen. "Eine Schule für alle: Gesamtschule von Klasse 1 bis 13! Die Bildung gleich - für arm und reich!" Oder vielleicht auch: "Wenn schon Gymnasium, dann für alle!" Für solche Ziele hätte man Menschen in Bewegung bringen können. Damit wäre die Forderung zu verbinden gewesen, das Bildungssystem endlich finanziell angemessen auszustatten. Motto: "Nicht Banker retten - Bildung retten!"

Vermutlich wird an dieser Stelle der Einwand erhoben, SPD und Grüne würden in einem solchen Falle die Reform nicht mehr mittragen. Das trifft durchaus zu. Beide Parteien haben uns lange genug gezeigt, wie man vor Wahlen halblinks blinken und nach ihnen rechts abbiegen kann. Wenn die Leute "da unten" anfangen wollen, sich ernsthaft zur Wehr zu setzen, müssen sie sich vom Einfluß der "Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus" lösen.

Fritz Dittmar, Hamburg

Raute

Sachsens Privatschulen: Beten statt denken

Das vom Standpunkt der zeitweiligen Sieger wichtigste konterrevolutionäre Ergebnis der Jahre 1990/91 war die Privatisierung der volkseigenen Betriebe und Genossenschaften. Sie wurden von der Treuhand verschachert oder zerschlagen. Nun soll dies offenbar auch mit unseren Schulen geschehen. Der "Freien Presse" zufolge gibt es in Sachsen bereits über 280 "Schulen in freier Trägerschaft". Wir lesen: "Immer mehr kleine freie Schulen entstünden, heißt es in Regierungskreisen. Vor allem dort, wo zuvor der Staat auf Grund des demographischen Wandels und des Kostendrucks seine Schulen geschlossen hat." Da bildet sich flugs ein Verein, der eine christliche Privatschule gründet, die sich im ehemaligen staatlichen Schulgebäude einnistet. Der Verein spielt sich als hochherziger Retter des Schulstandortes auf. Für die Eltern stellt sich die Frage: Sollen sie ihre Kinder in die Privatschule schicken, wo ihnen das Beten und eine der eigenen Erziehung entgegenstehende Denkweise beigebracht wird. Das kostet überdies Schulgeld. Doch die nächste staatliche, also konfessionslose und kostenfreie Schule ist weit entfernt, wofür teures Fahrgeld entrichtet werden muß.

Worin besteht nun die Freiheit dieser Privatschulen? Eine Bindung an staatliche Vorgaben entfällt. Auch Klassen mit wenigen Kindern sind möglich. Es geht um eigene Erziehungs- und Bildungsziele. Viele dieser Einrichtungen sind konfessionell gebunden, andere nennen sich nach bürgerlichen Schulreformern wie Montessori. Und überdies: Die staatlichen Zuschüsse reichen nicht aus, es wird kräftig zur Kasse gebeten, bis zu 300 Euro im Monat. Welche Familie kann sich das leisten?

Das staatliche Schulsystem ist marode, wodurch die Tendenz zu Privatschulen gefördert wird. Die Lehrkräfte sind überaltert, häufiger Unterrichtsausfall ist vielerorts die Regel. Auch die Souveränität der Länder spielt eine maßgebliche Rolle. Jedes von ihnen hat eigene Schulgesetze, Lehrpläne, Schulbücher, eine andere Lehrer-Aus- und Weiterbildung. Es gibt unterschiedliche Gehälter, was Absolventen ostdeutscher Universitäten veranlaßt, sich an Schulen im Westen zu bewerben. Außerdem gliedert sich das System in Grundschulen, Gymnasien, Realschulen, Mittelschulen, Hauptschulen und Projektschulen. Selbst der Schulbeginn mit dem 6. Lebensjahr ist nicht mehr einheitlich. Bereits nach vier Klassen werden die Kinder getrennt - in Abhängigkeit von der finanziellen Lage der Eltern. Für Kinder "bildungsferner" Familien bietet sich nur eine begrenzte Schul- und Berufsausbildung an.

Die Privatisierung der Schulen spaltet die Gesellschaft schon im Kindesalter in arm und reich. Privatschulen sind der Tod einer freien, chancengleichen Bildung für alle.

Joachim Weise, Hohenstein-Ernstthal

Raute

Überzeugungsarbeit ist keine Eintagsfliege
Die Devise heißt: Dranbleiben!

Sich nicht mit der erlittenen Niederlage abzufinden, sondern erneut Kräfte des Widerstandes in Stadt und Land zu entwickeln und zu stärken sowie die Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen Verhältnissen in die richtigen Bahnen zu lenken, betrachte ich als Auftrag im sicher lange dauernden Klassenkampf zur Überwindung des Kapitalismus.

Obwohl ich keiner von den ganz Jungen mehr bin, sehe ich viele Möglichkeiten für eine wirksame Agitation. Ich versuche mich auf dieser Strecke immer wieder.

In einem Supermarkt beobachtete ich z. B. die fast im Laufschritt hin und her flitzenden Verkäuferinnen. An einem Stand waren zahlreiche bunte Zeitschriften ausgelegt, auf deren Titelseiten elegant gekleidete Angehörige des deutschen Adels, Milliardäre und Millionäre beim Prassen sowie Stars und Starlets abgebildet waren, die sich in den Armen dieser superreichen Schicht vergnügten. Beim Bezahlen fragte ich höflich doch unüberhörbar die Kassiererin, warum in den etwa 55 bunten Blättern kein einziges Foto von Verkäuferinnen, Stahlwerkern, Landarbeitern oder Bauern zu finden sei. Hinter und vor mir hörte ich Bemerkungen wie diese: "Die haben doch für uns nichts übrig" und "Opa, Du weißt wohl nicht, in welchem Land Du lebst!" Ich wandte mich um und bedankte mich freundlich: "Ich habe Sie richtig verstanden, mein Herr." Die Kassiererin meinte: "Na, vielleicht kommen wir ja auch endlich einmal vor." Und sie fügte vielsagend hinzu: "Ich wünsche Ihnen alles Gute."

In einem größeren Warenhaus kam ich mit Frauen am Packtisch ins Gespräch. Da ich mich an das Gesicht der einen erinnerte, fragte ich sie, ob sie vielleicht das Teterower Gymnasium besucht hätte. Als sie das bejahte, wollte ich wissen, ob sie bei einer Demonstration gegen den Überfall der USA auf Irak dabeigewesen sei. Die junge Frau lobte mein gutes Erinnerungsvermögen, meinte aber resignierend: "Wir können an den Zuständen leider nichts ändern." Sie sei froh, eine Anstellung gefunden zu haben.

"Sehen Sie, ich bin 82 und habe vier deutsche Staaten erlebt. Im dritten konnte ich mithelfen, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Es ist schlimm, daß wir die erste Schlacht verloren haben." Dem fügte ich hinzu: "Sie sind jung und werden bestimmt noch eine bessere Zeit erleben." Ich verließ die Frauen am Packtisch in der Überzeugung, daß so mancher von diesem Gespräch Kenntnis erlangt haben dürfte.

Erwin Mitzkat, Teterow

Raute

Marxsche Kapitaldefinition: Geldheckendes Geld

"Kapital" ist ein Begriff der politischen Ökonomie. Das Wort "Kapital" stammt aus der Handelssphäre. Seine Synonyme sind fast so alt wie die Geldwirtschaft selbst. Dennoch ist "Kapital" nicht mit geprägtem Geld, auch nicht mit viel Geld, identisch. Kurfürst F. August von Sachsen (1694-1733) besaß enorme Summen, war aber kein Kapitalist. Es mußten erst sehr, sehr viele Dinge zur Ware werden und sehr, sehr viele Menschen gezwungen sein, ihren letzten Besitz, ihre Arbeitskraft, zu verkaufen, ehe andere Menschen erkannten, daß sich daraus ein Mehrwert erzielen läßt, den man unverzüglich gewinnbringend wieder in den Wirtschaftskreislauf einführen kann.

Es ist die wissenschaftliche Leistung von Karl Marx, diese spezifische Wertform analysiert und definiert zu haben. Er tat dies in seinem Hauptwerk, benannt "Das Kapital", dessen 1. Band 1867 erschien und überwiegend dem industriellen Kapital gewidmet ist. Band 2 befaßt sich mit dem Umlauf des (industriellen) Kapitals und Band 3 u. a. mit dem Bank-[Finanz-]kapital und der Grundrente - dem aus Grundeigentum gewonnenen Kapital.

Marx' knappe Definition des Begriffes "Kapital" lautet (zitiert nach "Kapital", Bd.1, Kap. 4): "sich verwertender Wert" bzw. "geldheckendes Geld". Gleichzeitig erkannte er, daß Geld nur "heckt", wenn es nicht konsumiert oder als "Schatz" ("Reichtum") - wie bei Kurfürst F. August - beiseitegelegt, sondern in der Produktion eingesetzt wird. Er entmystifizierte den Fetisch "Kapital", indem er die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Verhältnisse benannte. Das Kapital ist das namengebende Element derjenigen Produktionsweise, die in Europa den Feudalismus ablöste und im 20. Jahrhundert weltweit vorherrschend wurde, des Kapitalismus. In der Industrie bedient sich der Kapitalist der Lohnarbeiter, um sein in Produktionsmitteln angelegtes Geld Profit hecken zu lassen. Bodeneigentümer bedienen sich der Agrarpächter oder auch der Mieter von Immobilien, um eine Rente "herauszuholen" und die Besitzer großer Finanzvermögen "legen ihr Geld an" (vergeben z. B. Kredite an Kleinunternehmer oder an Kommunen), um eine Rendite (einen Zinsertrag) "hervorzubringen". Wer hecken will, muß vorher verschlingen.

Wie zutreffend die Marxsche Definition auch unter heutigen Verhältnissen ist, bestätigen moderne Banker, "Analysten" und Finanzberater mit ihrem immer wieder vorgetragenen Spruch: "Das (Vorhaben) muß sich (für den Investor) rechnen." Es ist jedoch heute erforderlich, auf die quantitativen Verschiebungen innerhalb der vorgenannten drei Kapitalformen und das Hinzutreten neuer "Geldheck-Methoden" seit 1867 einzugehen. In der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts traten insbesondere der Kapitalexport und die Staatsanleihen hinzu, um dem Finanzkapital neue Verwertungsmöglichkeiten zu erschließen - und eröffneten das Zeitalter des Imperialismus. Am Ende des 20. Jahrhunderts sind es - neben rentablen Know-how-"Verwertungen" (der englische Fachbegriff des Heckproduktes lautet "royalty") - insbesondere die phantasievoll benannten Finanz"produkte", die internationalen Firmenaufkäufe und die internationalen Joint-ventures mit Kommunen und staatlichen Eigentümern von Ressourcen, Immobilien und Infrastrukturen, die aus dem wirtschaftlichen Unvermögen oder der Gier vieler einzelner hohe Gewinne (für wenige) herauspressen und das Zeitalter des sogenannten Globalismus prägen. Zunehmend verschlingen die großen Kapitale die kleinen und dazu noch die nationalen Ressourcen. Es steht nicht die Frage der Legalität, sondern der Legitimität des Kapitals, seines politischen Aspekts.

Es ist zu betonen, daß auch in der heutigen Gesellschaft nicht alles Kapital ist und substantielle gesellschaftliche Gruppen (außer der Arbeiterklasse) keine Kapitalisten sind. Die Produktionsmittel, die Handwerker oder sonstige "Dienstleister" einsetzen, das "Eigenheim", der mit Hilfe von Familienangehörigen bewirtschaftete Hof und die vom Lohn abgesparte "Krankheits- und Altersvorsorge" sind kein Kapital. Ebenso sind kommunales, Landes- oder Bundeseigentum kein Kapital, und sie sollten es auch unter keinem Vorwand werden. Es geht eben nicht nur um die Beseitigung der Ausbeutung, sondern auch um die Erhaltung des Gemeingutes und um die Pflege dessen, was nicht "wächst" oder "fortschreitet", zum Beispiel unserer energetischen Ressourcen und des Wassers. Hier ist auf den Grundgesetzartikel 14 ("Eigentum") und konkrete aktuelle Kämpfe gegen nationale und internationale Profiteure und Renditejäger zu verweisen: auf den "Fall Hochtief", die Umweltschweinereien in Gorleben und Asse sowie die Zockereien der Derivatespekulanten, die hyper-realen "systemrelevanten" Existenzvernichter und die Venture Capitalists, die Berlin das Wasser abkaufen.

Dr. Hermann Wollner

Raute

Wie eine beispielgebende Genossenschaft nach erfolgreichen Jahren stranguliert wurde

Totschlag in Kuchelmiß

Mein Mann und ich erhielten 1957 an der Universität Leipzig die Diplome für Landwirtschaft. Mit der Frage, wo wir fortan arbeiten wollten, hatten wir uns schon seit längerem beschäftigt. Es sollte in Mecklenburg sein. Das hatte seine guten Gründe. Nach dem Krieg wurde mein Mann als Ältester von fünf Geschwistern aus der Chemnitzer Gegend wegen Unterernährung nach Mecklenburg verschickt. Als Studenten hatten wir uns dann bei Fahrradtouren an die Ostsee und Exkursionen mit der dortigen Entwicklung intensiver vertraut gemacht. Nach der Bodenreform waren bereits Neubauernhäuser entstanden, doch überall wohnten noch Familien unter sehr beengten Verhältnissen. Es fehlte an Wasserleitungen und Kanalisation, an Straßen und befestigten Wegen. In Mecklenburg hatte sich die Bevölkerung überdies durch die mit dem faschistischen Krieg verbundenen Flüchtlingsströme und die Umsiedlung verdoppelt. Die Bodenreform war zu einem Existenzgründerprogramm geworden. Sie gab vielen Menschen Arbeit und Brot. Aber im Vergleich mit dörflichen Lebensbedingungen in den Südbezirken der DDR mußte noch eine enorme Aufholarbeit geleistet werden. Wir wollten ganz einfach dabei sein.

So bewarben wir uns sofort nach dem Abschluß des Studiums im Bezirk Schwerin. Wir arbeiteten zunächst für eine Maschinen-Ausleihstation (MAS) und wohnten in Kuchelmiß (Kreis Güstrow), wo es seit 1954 bereits eine Krippe und einen Kindergarten gab. Ab 1952 waren in der Gemeinde schon kleinere Produktionsgenossenschaften von unterschiedlicher Struktur entstanden. Manche zerfielen wieder.

Etwa sieben Jahre vergingen, bis die meisten Bauern zu der Einsicht gelangten, auf größeren Flächen ließe sich für alle mehr herausholen. Als Praktikantin hatte ich erfahren, daß sich die wenigen Morgen der Neubauern in recht kurzer Zeit bearbeiten ließen. Dennoch fiel manchem, dem es endlich gelungen war, aus seiner kleinen Wirtschaft etwas Gewinn zu ziehen, der Abschied von der eigenen Scholle mit überschaubarer Verantwortung schwer. Sollte man nun in die Lage geraten, mit weniger Erfolgreichen fortan zusammenarbeiten zu müssen, dann war es um so schlimmer.

Schon 1959 bestanden in allen Ortsteilen von Kuchelmiß Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG). Überdies gab es den Örtlichen Landwirtschaftsbetrieb (ÖLB), der Flächen und Vieh verlassener Höfe übernommen hatte. Die Zusammenführung von Familien, Abwanderungen in die Stadt, aber auch Angst vor Behörden hatten bewirkt, daß etliche Flächen brach lagen, da sich ihre Eigentümer aus unterschiedlichen Gründen abgesetzt hatten. Darum kümmerte sich nun der ÖLB. Größere Tierbestände, die auch in einem neuen Stall untergebracht waren, galt es zu versorgen. So lag es nahe, daß sich die Dorfbewohner schließlich zu einer Großgenossenschaft mit 3700 Hektar zusammenschlossen.

Trotz Anbindung des Hauptortes an den öffentlichen Busverkehr, Konsumgeschäften für Lebensmittel und Industriegüter, einer Niederlassung der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe, die ländliche Waren anbot, Post, Kindereinrichtungen und Schulen blieb der Alltag der Familien nach wie vor durch Pflichten in der hauseigenen Viehwirtschaft, Wasserholen an den Pumpen, Außentoiletten sowie sehr schlechte Straßen- und Wegeverhältnisse belastet.

Entscheidend für eine erfolgreiche Zusammenarbeit der LPG-Mitglieder waren die regelmäßigen Beratungen des Vorstandes mit Vertretern aller Brigaden über die Ziele in Feld- und Viehwirtschaft, bei Bau- und Reparaturvorhaben. In monatlichen Brigadeversammlungen wurde alles Wesentliche freimütig erörtert. Niemand litt dabei an Herzdrücken. Bei den alljährlichen Vollversammlungen der LPG erfolgte dann die Beschlußfassung. Selbst aus heutiger Sicht war das, was wir erlebten, Demokratie pur, auch wenn es manchmal viel Zeit kostete, zumal Kinder, Haus und Hof überdies versorgt werden mußten.

Von uns 330 LPG-Mitgliedern brachten die meisten besondere Fähigkeiten mit. Es wurden nicht nur Feld- und Viehwirte benötigt, sondern auch Schlosser, Traktoristen, Maurer, Stellmacher, Elektriker, Köche, Buchhalter, Brigadiers - gleich ob Frau oder Mann. Alle hatten den Krieg und dessen Folgen erlitten und wollten nun etwas Neues schaffen. Durch diese Grundeinstellung waren die Genossenschaftsbauern auch bei widrigen Witterungsverhältnissen bereit, in Sondereinsätzen Gewachsenes zu bergen - oft per Hand. Schon Ende 1962 konnte trotz großer Trockenheit im Sommer eine gute Jahresendauszahlung die geleistete Arbeit belohnen. - Immer besser gelang es in der DDR, die Bevölkerung mit Lebensmitteln aus eigener Produktion zu versorgen. Wäre das überall der Fall, dann könnte der Hunger in der Welt gebannt werden. Die Überschwemmung fremder Märkte mit Grundnahrungsmitteln sollte ein Ende finden, so daß man die dabei eingesparte Entwicklungshilfe zum Ankurbeln der eigenen Produktion in den Ländern der Dritten Welt verwenden könnte.

Doch zurück zur LPG Kuchelmiß. 1975 hatte sich die Fleischproduktion vervierfacht. Hunderte von Zuchttieren konnten verkauft, Stallgebäude, Bergeräume, Reparaturhallen, die noch heute genutzt werden, entstanden. In Kooperation mit anderen Betrieben baute die Genossenschaft ein Trockenwerk, eine Beregnungsanlage sowie Ferienobjekte für Kinder und Erwachsene. Abgestimmt mit der Gemeinde errichtete sie Häuser, verlegte Wasserleitungen, asphaltierte Straßen. In alten Gebäuden wurden Toiletten und Bäder nachgerüstet.

30 Traktoren verschiedener Typen und vier Mähdrescher arbeiteten auf unseren Feldern. Die mit der Landwirtschaftsbank vereinbarten Rückzahlungen auf von ihr gewährte Kredite erfolgten termingemäß. Auch die Vergütung der Mitglieder erhöhte sich stetig. Anfang 1990 ergab die Eröffnungsbilanz eine Summe von zwei Millionen DM.

Eine dann ans Ruder gelangte unfähige Leitung und falsche Beratung durch angebliche Fachleute waren ursächlich für den Niedergang und die 1992 erfolgte Auflösung der LPG. Die Mitglieder erhielten ihr eingebrachtes Land zurück. In den Ortsteilen erschienen plötzlich Aufkäufer landwirtschaftlicher Nutzflächen. Ein westdeutscher "Interessent" erwarb die Konkursmasse. Die Großflächen, in unserer Endmoränen-Landschaft oft mit Meliorationen, sowie die Stallungen und Gebäude werden von den heutigen Besitzern genutzt. Dafür müssen wir als Einwohner noch dankbar sein, denn wenigstens "zieren" so keine verfallenen Mauern wie anderenorts unsere Gemeinde. Die einstigen Genossenschaftsbauern sind unterdessen Rentner oder Arbeitslose, nur einzelne Jüngere werden noch beschäftigt.

Da sämtliche in 40 Jahren DDR entstandenen Industriebetriebe Mecklenburgs, so die Zuckerfabrik, der Landmaschinenbau, das Düngemittelwerk, das Motorenwerk, die Lederfabrik und große Teile des Schiffsbaus vernichtet worden sind, gibt es für Arbeitsuchende kaum Aussicht auf einen Job. Die immer geringer werdende Kaufkraft der Bevölkerung tut ihr Übriges. Heute hat die Jugend hier kein Terrain mehr, um die eigene Schaffenskraft beweisen zu können. Unsere Generation besaß es.

Karin Dvorak, Kuchelmiß

Raute

Soll die "digitale Revolution" fortan die proletarische ersetzen?

Halina Wawzyniaks "Neuanfang"

Jedermann, besonders der Anfänger, ist von der Online-Welt verzaubert. Er fühlt sich schmerzlich berührt, wenn sie urplötzlich "nicht gehorcht" und ganze Dateien "abstürzen". Unsereins teilt durchaus die Bewunderung Halina Wawzyniaks in ihrem ND-Artikel "Neuanfang erforderlich" (18.10.2010). Dieser Bewunderung - es ist bei ihr von der "digitalen Revolution" die Rede - sind allerdings im normalen Leben Grenzen gezogen, die uns davor bewahren sollten, den Begriff im Programmentwurf der Partei Die Linke einzubetten.

Auch die Wunderwelt der Rechner vermochte zum Glück nicht ("grundlegend" H. W.) die ehernen Gesetze des menschlichen Daseins und der Natur außer Kraft zu setzen. Es wird weiter gezeugt und geboren, gegessen und getrunken, der Tod bleibt uns durch ein gewaltsames Ende oder durch das Alter erhalten. Ebenso verhält es sich mit der Schwerkraft und dem Lebenselixier Wasser, natürlich auch dem Klima, das wir per PC zwar vorhersagen, dennoch bis dato lediglich negativ beeinflussen konnten. Für die Betroffenen oder Getroffenen nimmt es sich nicht viel, ob die tödlichen Ladungen von einer "Junkers 88" oder einer online-gesteuerten Drohne kommen. Die Zeiten, in denen man über Laptop seine gastronomischen oder gar sexuellen Bedürfnisse befriedigen kann, werfen ihre Schatten voraus. Bei den veränderbaren Besitzverhältnissen hält sich die Online-Welt ebenfalls zurück.

Große Leistungen in der Menschheitsgeschichte werden von H. W. unterbewertet. Da war jeder Schritt, für sich genommen, eine wahre Umwälzung. Man sprach deshalb zu Recht von "Revolutionen". Nehmen wir nur den Buchdruck, der es ermöglichte, Berge von Wissen in Bibliotheken zu speichern. Der Beginn dieser Entwicklung liegt weit zurück, setzt nicht erst mit der Bändigung der Dampfkraft oder der Elektrizität ein, sondern schon beim profanen Wagenrad.

Als die ersten Landmaschinen aufkamen, weckte das die Vorstellung, der Bauer schicke nun seine Geräte auf den Acker. Anläßlich der ersten Tonaufzeichnungen prophezeite man den "Untergang der Orchester". Die Online-Träume entsprangen irgendwann der geschaffenen Zahlenwelt, dem Rechenbrett, dem Rechenstab - dieser technische Fortschritt drückte der gesellschaftlichen Entwicklung seinen Stempel auf. Dennoch kann die Lautlosigkeit, die Staubfreiheit, ja die Bequemlichkeit der Computer-Welt nicht über die Steigerung der Ausbeutung hinwegtäuschen oder das "Ende der Industriegesellschaft" bedeuten. "Der Übergang von einer Industriegesellschaft zu einer post-industriellen Gesellschaft ist in vollem Gange", bringt H. W. ihre hohen Erwartungen zum Ausdruck. Bei ihr verkommt alles zu einem Bonmot, mehr nicht. Diese "Erkenntnis" kann kaum nach dem Besuch der Containerhäfen in Hamburg oder Rotterdam entstanden sein. Dort stellt sich die Allgewalt der "Industriegesellschaft", die industrielle Massenproduktion, bildlich dar, wird der "Stoff" für unsere Industrie oder aus anderer Länder Industrieproduktion - Bleche, Kupferbarren, Wolfram und Molybdän, Autos, Lebensmittel, Bekleidung, natürlich auch Personalcomputer - millionenfach umgeschlagen. Selbst wenn das in dieser "post-industriellen Gesellschaft" nur noch Laptops wären - wer stellt sie wohl her? Die "Automatisierungspotentiale" (H. W.) verkörpern die volle Entfaltung der Industriegesellschaft, nicht aber ihre Ablösung durch die "postindustrielle".

H. W. skizziert ihre Visionen, die Bausteine für ein Programm sein sollen, nicht einmal mit vagen Strichen. Man kann die Verfasser des Programmentwurfs nur beglückwünschen, daß sie so unsicheres Terrain gemieden haben.

Halina Wawzyniak beklagt, daß "die Themensetzung und die öffentliche Meinungsbildung im bisherigen Entwurf ausgeklammert werden." Dazu müßte man den Autoren eher gratulieren. Das Internet habe seine Doppelfunktion bei der "Themensetzung" und der "öffentlichen Meinungsbildung" längst unter Beweis gestellt und Antithesen wie Desinformation und Manipulierung geschaffen (z. B. bei der NPD, bei Dealern zwecks Geldwäsche, der Werbung, den Verdummungsspielen, von gewissen "Ringen" ganz zu schweigen). Dieser Doppelcharakter könnte im Entwurf schon etwas mehr berücksichtigt werden. Die Medienmogule haben jedenfalls längst begriffen, daß "der Printbereich zunehmend an Einfluß verliert", ihre Schwerpunkte (siehe "Spiegel-TV") werden für 72 % der vernetzten Deutschen neu gestaltet.

H. W. verkündet, was "zum Erhalt des libertären Charakters eines offenen, weltumspannenden Informations- und Kommunikationsnetzes nötig ist". An anderer Stelle wird der hochtrabende Text etwas vereinfacht und die "Bewahrung des freiheitlichen Charakters des Internets" verlangt. Damit unterstellt H. W., daß das Internet "seinem Charakter", also seinem Wesen nach "freiheitlich" sei. Ein folgenschwerer Irrtum! Wir sollten "neue Formen politischer Beteiligung und Entscheidungsfindung herausstellen" und nicht "allein auf physische Anwesenheit setzen", fährt sie fort. So könnte man den Teilnehmern großer DGB-Protestdemos, den "Stuttgart 21"-Aktivisten oder den Sitzblockierern in Gorleben getrost den Rat erteilen: "Geht nach Hause und klappt euren Laptop auf, praktiziert über "neue Formen der Entscheidungsfindung" eine "aktive Teilhabe an der Gesellschaft" - was immer das auch bedeuten mag. Denn zu Hause ist es warm, ohne Wasserwerfer und Pfefferspray.

Von der hohen Warte einer Vizevorsitzenden der Partei Die Linke mit Bundestagsmandat sind das etwas dürftige Erkenntnisse. Was bleibt uns da in den vernebelten Tälern noch zu erkennen? Hat H. W. etwa Illusionen über den bürgerlichen Staat, die tatsächlichen Machtverhältnisse? Gesetze und "Reformen" werden von den eigentlich Herrschenden bei der "repräsentativen Demokratie" in Auftrag gegeben: von der Atomlobby (Verlängerung der Laufzeiten), der Autoindustrie (Abwrackprämie), den Banken (Rettungspakete) und sogar von Westerwelles Hotellobby. Ist das im Bundestag noch nicht angekommen? Von da erließ Halina Wawzyniak ihren Apell an die "Linke" zu einem "Neuanfang".

Walter Ruge

Raute

Als FDJler des MfS um den Namen Albert Kuntz kämpften

Der Rat des Generals

Mitte der 60er Jahre begann meine Dienstzeit im Ministerium für Staatssicherheit. Ich gehörte zunächst zur Wacheinheit der Berliner Verwaltung. Da mein Weg nach Ablegung des Abiturs an der Käthe-Kollwitz-Schule über die Abteilung Kultur der FDJ-Bezirksleitung zum MfS geführt hatte, wurde ich prompt auch als Kulturverantwortlicher der dortigen FDJ-Grundeinheit gewählt. Zu dieser Zeit ging es im Jugendverband noch hoch her. Eine meiner ersten Aufgaben war es, einen geeigneten Namen für unser Kollektiv zu finden, der junge Tschekisten anspornen würde. Man riet mir, den Leiter der Bezirksverwaltung, General Erich Wichert, um seine Meinung zu bitten.

Dieser war ein seit 1919 im Klassenkampf erprobter Kommunist. Bis 1933 trug er Verantwortung für den Schutz von Funktionären, Organisationen und Einrichtungen der KPD. Zu ihnen gehörte das Berliner Karl-Liebknecht-Haus, in dem das ZK der Partei seinen Sitz hatte. Hierbei arbeitete er mit dem 13 Jahre älteren Albert Kuntz eng zusammen. Dieser leitete in Abwesenheit Hans Kippenbergers die Hauswache des ZK-Gebäudes.

Erich Wichert wurde 1933 von den Faschisten verhaftet und zusammen mit Albert Kuntz in einem Hochverratsprozeß zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Bis 1945 hielt man ihn in Moabit, Plötzensee, Börgermoor, Luckau, Sonnenburg, Brandenburg-Görden und Untermaßfeld gefangen. Schon im Februar 1950 kam Erich Wichert zum MfS. Sieben Jahre später wurde er Leiter der Bezirksverwaltung Berlin.

In einem ersten Gespräch animierte uns General Wichert, um den Ehrennamen Albert Kuntz zu kämpfen. Nun galt es, manches biographische Detail in Erfahrung zu bringen. Zunächst wußten wir nur, daß Albert Kuntz, der noch kurz vor dem Sieg der Truppen der Anti-Hitler-Koalition über das faschistische Deutschland im KZ Mittelbau-Dora ermordet wurde, ein enger Kampfgefährte Ernst Thälmanns gewesen war und am 7. Februar 1933 als Org.-Sekretär des Bezirks Berlin-Brandenburg an der illegalen ZK-Tagung der KPD im Sporthaus Ziegenhals teilgenommen hatte.

Bald ergab sich für uns die Möglichkeit, mit Genossin Ellen Kuntz, der Frau und Kampfgefährtin Alberts, in deren Treptower Wohnung zu sprechen. Sie kennenzulernen, war für uns FDJler ein großes Erlebnis. Auch Ellen freute sich, das Vermächtnis ihres Mannes bei uns in guten Händen zu wissen. Von ihr erfuhren wir so mancherlei über die gemeinsame Jugend mit Albert, ihre Kämpfe und Freuden. Dann besuchten wir Karl Kuntz in Wurzens Vorort Bennewitz, wo Albert geboren worden war. Sein Bruder machte uns mit der Stadt bekannt. Zu DDR-Zeiten erinnerte hier vieles an den im Kampf gefallenen namhaften Mitbürger. Das Kombinat Dauerbackwaren trug Alberts Namen.

Über die schwere Zeit in Lichtenburg und Buchenwald berichtete uns in mehreren Gesprächen der Historiker Prof. Walter Bartel, damals Vorsitzender des Buchenwald-Komitees der DDR. Von ihm erfuhren wir, Albert Kuntz habe im KZ Mittelbau-Dora an der Spitze des Widerstandes gegen die unterirdische V2-Raketenproduktion der Faschisten gestanden. Ihm und etlichen seiner Kameraden aus vielen Ländern, welche in diesem Außenlager von Buchenwald unweit Nordhausens grausam gequält wurden, sei es durch Sabotageakte bei der Montage gelungen, nicht wenige Menschenleben vor der Vernichtung zu bewahren.

Überdies lasen wir authentische Berichte und Dokumente aus jener Zeit.

Das gesamte Material wurde dann in einer großen Mappe zusammengefaßt. Mit ganz einfachen Mitteln produzierte ich ein Dokumentar-Hörspiel. Die FDJler unserer Grundeinheit gaben die Verpflichtung ab, zu Ehren von Albert Kuntz in ihren Diensteinheiten vorbildliche Arbeit zu leisten. Auch sollte die Traditionspflege weitergeführt werden.

Besonders hohe Ziele steckten wir uns auf kulturellem Gebiet. Mit Unterstützung unserer staatlichen Leitung organisierten wir für alle Mitarbeiter eine Disco im Kultursaal - damals noch keineswegs etwas Alltägliches. Wir gründeten auch die erste Singegruppe im MfS, die sich bald vor Auftrittsanfragen nicht retten konnte. Sogar in einer Adlershofer Fernsehsendung zur Vorbereitung der III. Weltfestspiele zeigten wir Profil. Viele gemeinsame Auftritte mit dem leistungsstarken Chor des Wachregiments "Feliks Dzierzynski" sind mir im Gedächtnis geblieben.

Schließlich wurde uns der Name Albert Kuntz verliehen. Ellen Kuntz und Erich Wichert waren die Taufpaten. Zu diesem Anlaß hatten wir künstlerische Plaketten aus Porzellan herstellen lassen, auf die das Porträt des Widerstandskämpfers geprägt war. Ellen und unser General erhielten sie als erste. Auch Alberts Sohn Leo und Leopoldine Kuntz wurden, wie ich später erfuhr, damit ausgezeichnet.

1990 fand unsere durchaus erfolgreiche Traditionsarbeit erzwungenermaßen ein abruptes Ende. Alle Unterlagen darüber dürften sich unterdessen im Archiv der übel beleumdeten Behörde bundesdeutscher McCarthyisten befinden.

Warum erinnere ich in der heutigen Zeit, nach so vielen Jahren, überhaupt noch an die hier geschilderten Episoden? Wohl vor allem deshalb, um die Fälscher der DDR-Geschichte mit der Wahrheit zu konfrontieren und das Vermächtnis von Albert Kuntz an neue Generationen weiterzugeben.

Übrigens findet man bei Wikipedia unter dem Stichwort "Albert Kuntz" folgendes: Der antifaschistische Widerstand von Kommunisten wird in Anführungszeichen gesetzt. Es wird behauptet, die illegalen Lagerkomitees von Buchenwald und Dora hätten wahrscheinlich nur dem eigenen Überleben gedient. Die gezielte Sabotage an der V2-Produktion wird angezweifelt. Die massenhaften Ausfälle bei diesem todbringenden Flugkörper hätten wohl eher damit zu tun gehabt, daß die Raketen noch nicht ausgereift gewesen seien. Eine Selbstbefreiung von Buchenwald habe es nicht gegeben, die Befreier-Rolle der USArmee sei verschwiegen worden. Auch der Zusammenhang zwischen dem Mord an Albert Kuntz und der Entdeckung eines Sabotageaktes könne nicht mehr als sicher angenommen werden.

Angesichts solcher Geschichtsklitterung ist eine Erinnerung an die historischen Tatsachen von großer Bedeutung.

Konstantin Brandt, Berlin

Raute

Zur Architektur eines "ökologisch-innovativen" Wolkenkuckucksheims

Der grüne Komet

Eine ZDF-Umfrage am 26. November, nur zwei Tage vor der taktischen Aufkündigung des schwarz-grünen Hamburger Senatsbündnisses, brachte es an den Tag: Die Wahlgänge dieses Jahres dürften vor allem vom Kampf zwischen CDU und Grünen bestimmt werden. Die "Lösungskompetenz" für Stuttgart 21 wird überwiegend den Grünen zugeschrieben, kaum der SPD, der FDP und der "Linken". In der Atomenergiedebatte ist bundesweit die Mehrheit gegen die Laufzeitverlängerung, doch wird auch hier den Grünen eine "Schlüsselkompetenz" unterstellt, wodurch sie einen enormen Stimmenzuwachs erhalten dürften, der auch zu Lasten der PDL geht. Deren beachtlicher Unterstützungsaufwand für beide Kampagnen könnte den grünen Erfolg sogar noch potenzieren. In den Augen der meisten Bundesbürger erfolgte die Unterstützung der Oppositionsparteien für Stuttgart 21 und die Widerstandsaktionen im Wendland eher unter Zugzwang oder gar aus Gründen der Trittbrettfahrerei als aus Motiven einer eigenwertigen politischen Position. Nicht mitzumachen ist ohnehin unmöglich. Die Argumente gleichen sich, trotz eingestreuter antikapitalistischer Begriffe wie "Energiekonzerne" und "Atomlobby".

Bemerkenswert ist, daß in Deutschland nicht das eigentliche Kernproblem - die Systemkrise des Kapitalismus, die Finanzkrise und der Strukturwandel mit Sozialabbau und Lohnraub - im Vordergrund der Proteste steht und im öffentlichen Bewußtsein verankert ist, sondern drei Nebenwidersprüche. Es handelt sich dabei um den Gegensatz zwischen dem Anspruch der Bevölkerung auf Gesundheit und ökologische Lebensqualität und dem Profitinteresse der Konzerne. Zweitens geht es um den Widerspruch zwischen dem Verlangen der Bevölkerung nach Berücksichtigung ihrer politischen Wünsche als vermeintlicher "Souverän" der parlamentarischen Demokratie und deren immer rigiderer Einschränkung durch die Regierenden. Eine große Rolle spielt auch der Widerspruch zwischen "wirtschaftswunderkonformen" anachronistischen Wohlstands-, Wachstums- und sozialen Sicherheitserwartungen und dem Ende solcher Zugeständnisse seit 1991.

Alle drei als negativ beurteilten Optionen der Regierung sind Bestandteil der auf G8- und Folgekonferenzen vereinbarten Maßnahmen der imperialistischen Staatengruppe. Sie zielen auf verschärfte Repression und Überwachung, härtere Ausbeutung und rücksichtslosere Profitmaximierung sowie Einsatz und Umverteilung von Volksvermögen zur Stützung des Monopolkapitals in der Krise. In Ländern wie Griechenland und Irland hat die Bevölkerung die wahre Ursache ihrer Leiden richtig wahrgenommen und konzentriert ihren Widerstand auf die Handlangerschaft der Herrschenden für Kapitalinteressen. Aber in der BRD fehlt die mehrheitliche Wahrnehmung dieser Hauptwidersprüche. Die Probleme, auf die es wirklich ankommt, werden verschleiert, was eine wirksame Gegenwehr erschwert. Und das trotz einer erheblichen Massenmobilisierung und des "ökologischen Mainstreams", der sogar die Regierungsparteien zu Spiegelfechtereien und Täuschungsmanövern zwingt.

Der kometenhafte Aufstieg der deutschen Grünen ist im europäischen Vergleich eine Besonderheit. Diese Partei repräsentiert vorwiegend das wohlhabendere Kleinbürgertum, meist ohne Investitionskapital, aber mit erheblichen Konsummöglichkeiten und entsprechenden "Wellness"- und "Lifestyle"-Ansprüchen. Individualistisch und "innovativ", hoffen die Grünen auf eine Rückkehr zur Erhardschen Wohlstandsgesellschaft mit innerem Frieden und gewissen Gestaltungsräumen. Auch ein Teil der Kapitalisten-Klasse (Öko-Unternehmer) hat sich unterdessen in dieser Partei angesiedelt. Er steht vorerst noch in Konkurrenz zum konservativen "Altkapital", aber auch zu den Öko-Monopolisten, die weltweit schon zahlreiche innovative Technologien und Märkte, besonders in der Landwirtschaft, beherrschen. Von den Grünen wird die Hoffnung auf weiteres Wachstum und steigenden Wohlstand geschürt, die Unvereinbarkeit kapitalistischer Profitmaximierung mit sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger Ökologie aber geleugnet.

Absinkende kleinbürgerliche Schichten, darunter auch Intellektuelle, sowie Handwerker und nicht wenige Facharbeiter, die noch tariflich beschäftigt sind, laufen den Rattenfängern hinterher. Sie alle haben die antikommunistische Hetze der deutschen Bourgeoisie und ihrer Medien verinnerlicht. Daß die Grünen vorspiegeln, trotz globaler Strukturveränderungen und massiver Standortverlagerungen wäre es möglich, mit Hilfe innovativer Technologien ohne Einbußen am Konsumparadies so weiterzumachen wie bisher, gehört zu den größten Lügen.

Nachhaltige Öko-Wirtschaft bedingt Güterabwägung im Konsumbereich, und die Hungerkrise in der Welt erfordert eine Umverteilung auch der Wirtschaftsstandorte und des Wohlstands. Wem nützt es, wenn man im Paris Hilton Öko-Champagner trinkt, Madonna in der BSE-Krise Bio-Rindfleisch verzehrt und auf den Philippinen anstelle von Reis Sisalfasern für Mercedes-Benz ökologisch erzeugt werden? Ein Öko-Paradies für pseudo-religiöse, naturromantische Bourgeois löst keine sozialen Probleme in der globalen Zukunft.

Planung und Güterabwägung erfordern zwingend die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien, der Finanzwirtschaft, der Dienstleister, der Landwirtschaft und des Bergbaus, um ein Überleben ohne Raubbau mit humanen Existenzbedingungen sichern zu können. Das aber glauben viele Deutsche nicht, die schlichtweg Angst vor Atomkraft, vergifteter Nahrung und sinkendem Wohlstand haben. Sie glauben an das Patentrezept der Grünen zur Rettung einer anachronistischen kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft, die weltweit längst abgehakt ist.

Das zweite Mißverständnis liegt in der Auffassung, die parlamentarische Demokratie der BRD sei als der Weisheit letzter Schluß "ewig unersetzbar". In der Krise funktioniert diese Form bürgerlicher Idealherrschaft wegen wachsender sozialer Probleme nicht mehr optimal. Mittels verschärfter Gesetzgebung, Überwachung und Repression muß die Herrschaft des Kapitals zunehmend gegen den Unmut des Volkes gesichert werden. Im schlimmsten Fall greift man zur offenen Diktatur oder gar zum Faschismus.

Nur eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse in der Wirtschaft und der Ausbau der Volksrechte in der Verfassung könnten Abhilfe schaffen. Es gilt, die bürgerliche Demokratie zu verteidigen, da Schlimmeres droht.

Die PDL muß die Öko-Bewegung und den Bürgerunwillen als fortschrittliche Entwicklung weiter unterstützen, darf aber ihre Kernkompetenz in Sachen soziale Veränderung der Gesellschaft nicht vernachlässigen, auch nicht in der Teilnahme an den genannten Aktionen oder durch die bloße Wiederholung von Parolen der Grünen, der SPD und anderer Philantropen. Der Illusion eines "ökologisch-innovativen" Wolkenkuckucksheims im Kapitalismus ist energisch entgegenzutreten.

Jobst H. Müller

Raute

Ein Leckerli für unsere "Nordlichter"

Mien leiwen Öllern hebben mi Felix nöömt, as ick gebuurn wier. Sei bekamen von "Varrer Staat" 1000 DDR-Mark (einduusend!!). Harrn wi noch ein Schwester dortau, wüürn noch 1500 Mark taulecht. Worüm so vääl Geld? Ahn Nawuchs kann kein Staat existieren. Vörher wier dei Geburtenrat' inne DDR follen. Und so harr uns' Familie watt dorvon un die Staat ook. Mien Murrer güng wie mien Varrer tau Arbeit. Von mien Gebuurt an kraech mien Murrer ein' Fristellung för 24 Maande (1986) von dei Arbeit. Man nöömte datt "Babyjohr". Ook dei Varrers künn' ein Johr tau Huus blieben. Datt gaew noch ein poor annere Vergünstungen för dei Murrers, up dei ick hier nich ingahn kann. Geld för dei Arbeit gaew datt wierer, nur datt kaem jetzt von dei DDR-Versääkerung pünktlich jeden Maand up 't Konto. Mien Murrer künn sick üm mi kümmern, doch ruckzuck wier dei Tied üm, un ick wüür morgens in dei Kinnerkripp bröcht, mal von Varrer un denn werrer von Murrer. Ass ick drei Johr old wier, wesselte ick inn' Kinnergorden. Ick müsst ümmer früh upstahn, oewer ick freute mi up denn Kinnergorden, denn hier künn ick mit dei annern Kinner niege schöne Lieder liern. Am leiwsten süng ick mien "Bummilied", dei annern natürlich ook. Wecker Kind in dei DDR hett datt nich sungen? Oewer noch vääl anner Schönes hebben wi hier liert. Ick denk' giern an disse Tied mit dei annern Kinner trüch.

Bald oewer wier dei Tied rüm, un dei Schaul süll losgaahn. Doch ein Johr vörher heww ick mit dei annern Kinner dei Vörschaul besöcht. Endlich wier datt sowiet, un ick wüür inschault, so nöömten datt dei Öllern. Ick freute mi, nu nich miehr ass Kinnergordenkind behannelt tau warden, un ick freute mi, ook up dei grote Zuckertüüt', dei ick mi von denn Zuckertütenboom nähmen künn. "Hurra, ick bün ein Schaulkind un nich miehr lüüt!" süngen wi in die Schaul. Denn wüür ick ook "Jungpionier" un bekaem ein wittes Hemd un ein blaues Halsdauk, un up denn Arm harr ich dat Teiken von denn Pionierverbund, datt JP.

Ick freute mi, dortau tau gehüürn. Ick lierte gaud, heww männig ein "Bienchen" (Immchen) dorför kraegen, denn späärer wüll ick mal studiern. In mien Frietied sammelte ick flietich Oltpapier un Buddels - för dei Solidarität heit datt -, dormitt künn ick ook dei Kinner in Afrika un woanners inne Welt helpen, dei datt nich so gaud güng as uns. Ook datt heww ick giern maakt. Ick mell 'te mi bi dei AG Astronomie an. Dorför bruukte man nich tau betahlen. Inne Schaul wüürn öfter mal dei Ranzen kontrolliert, dorför müßt' ick denn gesamten Inhalt von denn Ranzen upn Disch leggen, watt nich tau denn Ünnerricht gehüürte, behöll dei Liehrer in, dei Öllern künnen sick datt werrer awhaalen orrer wi kraegen einen Indrach in uns Schauldagebauk, datt jeder Schäuler bi sick harr.

Henn un wenn wier ick ook mal krank, mien Murrer güng mit mi taun Doktor, dei verschraew Tabletten gegen Halsweih' orrer Nasendruppen, äben allns, watt ick so bruukte, üm gesund tau warrn. Tau betahlen bruukte mien Murrer ook hierför nix.

Ick wüür grötter un öller un wull Astronom warrn, villicht ook Meteorolog'. Mien schaulischen Leistungen wiern gaud. So wie datt dei Regeln vonne Pioniere un mien Öllern von mi verlangten. Ook Fritz Reuter, ein Mäkelbörger wi ick, sall secht hebben: "Liehr watt, Jehann!" Ein anner mi nich so bekannte Mann - Lenin sall datt wääst sien - hett up hochdüütsch secht: "Lernen, lernen, nochmals lernen!"

Ass ick vierteihn wüür un dei 8. Klass' besöchte, maak ick, wie dei meisten Klassenkameraden, bi dei Jugendweih' mit, besöchte Veranstaltungen, liernte hierbi, watt dei ölleren Minschen weiten mütten, denn bald, so wüür secht, gehüürn wi ook dortau - taun Kreis (Krink) vonne Erwachsenen. Oewerall Verantwuurdung un Plichten, sünst güng't woll nich inn Läben!

Inne 8. Klass' von dei Polytechnisch' Oberschaul künn ick Mitglied bi dei Blauhemdendrägers warrn, FDJ (Friee Düütsche Jugend) nöömten dei sick. Üm tau studiern, müsst' ick dei Oberschaul besööken - datt Abitur schaffen. Disse Schaul nöömte sick "Erweiterte Oberschule" - früher hett datt Gymnasium heiten. Na dei 9. Klasse güng datt los, orrer ook, wenn man dei 10. Klass' mit ein Prüfung awschlaten harr, künn' wi an disse Schaul wesseln, wier oewer vör sei nich ganz so leicht. Inne 11. Klass' heww ick mi bi ein Universität beworben un bünn ook von uns Schaul denn Schaulrat taun Studium vörschlagen worrn. Jede Schaul künn ein bestimmte Antahl von gaude Schäulers vörschlagen, Plätze anne Uni wiern begrenzt, dormit ook alle ehre Arbeit spärer erhollen künnen. Dei Besten künnen denn studiern, wenn die Schaulnoten, dei Beurteilungen un oft ook dei soziale Herkunft in denn Plan passten. Leistung un Herkunft wiern wichtig. Dei Plan hett denn ook noch sienen Deil bidragen. Nich all', dei datt wullen, künnen datt Abitur maaken. För dei blaew dei Volkshochschaul orrer ein Wech na den Berufsschaulawschluss. Manch' ein hett sien Abitur an ein Oberschaul mit Berufsuutbildung maakt. Die wier noch bärer an, denn harr all mit 19 Johrn einen Beraup un dormit watt "Fasstes ünner dei Fäut". Nu oewer will ick mi mit disse Saak nich länger uphollen. Dei Uni wier mi noch sääkerer, wenn ick mi för drei Johr friewillig taun Dienst inne NVA (Volksarmee) meld' te.

Ick küün glieks studiern un güng dornah mienen Deinst awleisten. Wer uut Oewertügung Kandidat inne SED worrn wier, up denn' kaemen noch miehr Verantwuurdung dortau, denn dei wüürn in wichtige Funktionen dörch dei Kaderlüüd bröcht. Dei Staat wüll giern Lüüd hebben, dei ook mit Oewertügung un Insicht för dei gewullte Entwicklung wiern. Datt Wuurd "Karriere" heww ick ierst na dei Rückwenn' inne DDR kennenliert. Oewer dat is schon werrer ein anner Geschicht'. - Mi hebbt dei, dei 1990 ann 3. Oktober oewer uns kamen sünd, schon vörher uutsortiert (ruutsmääten), weil ick "staatsnah" wier, so nöömten sei datt verschämt, un nich bloß mi passierte datt. Ein poor hunnertdusend gaud uutbild't Minschen wüürn up disse Wies' uutwesselt. Mien Sicht, dei Welt so tau seihn wie sei iss, wier för dei Niegen "appeldwattsch", nich tau gebruuken. Dorvör künnen ehr Lüüd uut die tweite Reich alln 'ns so verträden, wie datt von dei "olle Gesellschaft" seihn warrd.

Ick heww mi mien' n eigen Reim dorupp maakt: "Wi Mäkelbörger sünd nich oewelnäämsch un nahdragend, doch wi vergäten ook nix!" Ünnerkraegen laaten heww ick mi nich. Ick heww doch liert, ümmer na vörn tau kieken un nich trüchwarts.

Inne DDR is uns vääl schenkt woorn, doch ümmer wier dei eigen Leistung un dei Will' entscheidend för datt Vörwartskaamen. Mien Läben mag vör vääle anner Läben stahn - ganz normal in dei Tied bitt taun 9. November 1989. Oewer disse Tied moeten nu anner urdeilen un schriewen. Liern' mööten's hüüt ook orrich, ob oewer all dei Uni beseuken künn' dei datt giern müchten, steiht schon werrer up ein anner Blatt un hängt meistens von denn Geldbüüdel aww. Dei iss oewer nich immer gerecht füllt.

Hans-Jürgen Grebin, Rostock

Raute

"Frau Warnow" bei "Frau Nebel" zu Besuch

Guten Tag, Frau Nebel, nach langer Zeit sehe ich Sie wieder mal in Bützow. Ja, Frau Warnow, ich wollte Sie besuchen und Ihre Stadt in Augenschein nehmen. Und, was meinen Sie zu ihr? Ich will nicht drum herum reden: Bützow war einst eine schöne Stadt, heute wirkt vieles häßlich auf mich. Nun, Frau Nebel, ich fand Güstrow früher auch sehr attraktiv. Heute sieht es bei Ihnen jedoch ähnlich wie hier aus. Die Städte verfallen, die Bevölkerung wandert ab, die Natur leidet. Selbst unsere benachbarten Flüsse sind nicht mehr das, was sie waren. Ich habe hier eine Ausgabe der "Bützower Zeitung" von Anfang November, Frau Nebel. Da steht starker Tobak drin: Bützows CDU-Stadtvertreter wollen den Namen des Lenin-Rings und des Lenin-Platzes schleunigst weghaben. Ihr Fraktionsvorsitzender Dr. Wolschon hat einen solchen Antrag eingebracht. Dabei gibt es doch ganz andere Themen, Frau Nebel, die den Bützowern auf den Nägeln brennen, als die Umbenennung von Straßen. Die "Stadtsäckel" der Kommunen sind leer. Wenn dieses instinktlose Ansinnen durchkommen sollte, was die Masse der Anwohner bestimmt nicht will, werden den Mietern und Wohnungseigentümern erhebliche Kosten aufgebürdet.

So ist es, Frau Nebel, die Umschreibungen beim Notar, beim Grundbuchamt, bei der Führerscheinstelle und den Versicherungen, um nur einiges zu nennen, werden die Betroffenen zusätzlich belasten, auch wenn die Änderungen im Personalausweis angeblich gratis erfolgen. Wird die CDU-Fraktion die Kosten für die Busfahrten dorthin übernehmen? In diesem Stadtgebiet wohnen überwiegend Ältere, die kein eigenes Fahrzeug besitzen. Die meisten Jungen mußten schon aus Bützow abwandern, und jene, welche einen Job fanden, sehen sich der Tatsache gegenüber, daß die Jugendklubs aus Geldmangel geschlossen wurden. Gibt es übrigens schon einen Favoriten, nach dem die Straßen benannt werden sollen, Frau Warnow? Man munkelt hinter vorgehaltener Hand von einem Dr.-Wolschon-Ring, Frau Nebel. Vielleicht ist das Ganze aber auch nur ein Witz, oder irre ich mich da, Frau Warnow? Das wäre schön. Doch alles, was nach Kommunisten und Sozialismus auch nur riecht, gehört in den Augen der CDU in die Verbannung. Da steht der Name Lenin, nach dem Straße und Platz seit 35 Jahren heißen, ganz oben auf der Abschußliste. Undank ist der Welt Lohn, Frau Warnow, denn ohne die Sowjetunion und deren Gründer wäre die Geschichte wohl anders verlaufen. Auch Herr Wolschon und seine Chefin Angela Merkel hätten kein kostenloses Studium in der DDR absolvieren und ihre späteren Tätigkeiten nicht ausüben können. Bezahlt wurde das von den Bürgern einer untergegangenen kleinen Republik, die zwar nicht ohne Fehl und Tadel, dafür aber zutiefst humanistisch war.

Ich bin gespannt, Frau Nebel, was man demnächst aus dem Lager der CDU-Fraktion noch zu hören bekommt. Stehen dann vielleicht auch die Namen von Karl Marx und dem aus der SPD hervorgegangenen früheren Landtagspräsidenten Carl Moltmann auf der Streichliste? Seit der "Befreiung" durch das deutsche Kapital sind ja in Bützow bereits die Namen von Wilhelm Pieck, Rudolf Breitscheid - auch ein Sozialdemokrat -, Ernst Thälmann und Liselotte Hermann aus dem Straßenbild getilgt worden. Mein Vorschlag: Vielleicht sollte es eine Hartz-IV-Straße geben.

Es tut mir leid, Frau Nebel, daß Sie meine Heimatstadt recht unschön vorfinden mußten und sich deren einst so erfreuliche Entwicklung in ihr Gegenteil verkehrt hat.

Rolf-Rüdiger Goga, Bützow


Unser Autor, Jahrgang 1952 und einst Volkspolizist, führte bereits vor 1989 seine nach den unweit der beiden Städte verlaufenden Flüssen benannten Volkstypen "Frau Warnow" und "Frau Nebel" bei der "Schweriner Volkszeitung" ein.

Raute

Flotte Sprüche über einen Flottenbesuch

Die BRD-Publikation "Schiff & Zeit" brachte im Oktober 1990 einen mehrseitigen Beitrag unter der Überschrift "Warum kommt Ihr erst jetzt?" über den "ersten deutschen Flottenbesuch in Leningrad (UdSSR) vom 13. bis 16. Oktober 1989". Dort wird darüber berichtet, daß die Fregatte "Niedersachsen", der Zerstörer "Rommel" und das Troßschiff "Coburg" die Heldenstadt der Noch-Sowjetunion angelaufen hätten und es viele sehr freundschaftliche Begegnungen mit der Bevölkerung, vor allem aber mit Angehörigen der Baltischen Flotte, gegeben habe.

Über einiges hätten die Gastgeber gestaunt, so darüber, daß ein Offizier der Bundesmarine am Schott zum Mannschaftsdeck der "Niedersachsen" höflich anklopfte und um Einlaß bat, den ihm der Deckälteste ohne weiteres gewährt hätte. In der Sowjetflotte sei es nicht üblich, daß Matrosen von Offizieren um Erlaubnis gebeten würden. Verwunderung sei überdies dadurch hervorgerufen worden, daß sich sowjetische Offiziere an Bord der deutschen Schiffe mit jedem hätten unterhalten dürfen und daß man ihnen alles gezeigt habe, was sie wünschten - außer den Chiffrierräumen. Und dann seien die "Sowjets" natürlich von der Ordnung auf den bundesdeutschen Schiffen höchst angetan gewesen. Alles war also toll, erfolgreich und unvergeßlich. So weit, so gut.

Später erschien dann in "Schiff & Zeit" ein Leserbrief von Dr. Rolf Nahrendorf, der richtigstellt, daß der erste deutsche Flottenbesuch seit 1912, als drei Kreuzer der kaiserlichen Marine in einem russischen Hafen eingelaufen waren, keineswegs jener der Bundesmarine in Leningrad 1989 gewesen sei. Nahrendorf erinnerte daran, daß bereits im August 1962 ein Schiffsverband der DDR-Volksmarine (das Küstenschutzschiff "Karl Liebknecht" und drei MLR) der Stadt an der Newa einen offiziellen Flottenbesuch abgestattet habe. Dabei sei es zu vielen freundschaftlichen Begegnungen mit Angehörigen der sowjetischen Marine und der Bevölkerung gekommen. Der Verfasser des Leserbriefes erwähnt weitere Flottenbesuche der Volksmarine in Ostseehäfen, aber auch die Entsendung von Schiffen ins Schwarze Meer.

Genaugenommen fand ein allererster UdSSR-Besuch - damals noch als Navigationsbelehrungsfahrt deklariert - mit dem Flagg- und Schulschiff der NVA-Seestreitkräfte "Ernst Thälmann" im Sommer 1958 statt, wobei Riga das Ziel war. Ein Jahr später kam es zu einer weiteren Fahrt mit der "Ernst Thälmann" nach Riga und Leningrad, die der seinerzeitige Kapitänleutnant Martin Küster in einer Reportage beschrieb, die unter dem Titel "Baltische Reise" in die Chronik der Volksmarine einging. Viele weitere Aufenthalte von Volksmarine-Schiffen in sowjetischen Häfen folgten in den 30 Jahren danach.

Die Fahrt im Oktober 1989 als ersten Flottenbesuch auszugeben, ist indes verständlich, haben doch die Verantwortlichen der heutigen Bundesmarine die Delegitimierungspolitik gegenüber der DDR derart verinnerlicht, daß sie die "Brüder und Schwestern" aus dem Osten gar nicht mehr mitzählen. Und natürlich gelten wir als Angehörige der DDR-Volksmarine a. D. als "Militärs, gedient in fremden Heeren-Ost". Mit anderen Worten: Wir sind gar keine richtigen Germanen. Die Fakten lassen sich aber so nicht aus der Welt schaffen.

Die Frage "Warum kommt Ihr erst jetzt?" wurde übrigens in dem Beitrag über die "Ersten" nicht beantwortet. Sie sollte ja auch nur das Bedauern einiger Konterrevolutionäre im Rußland der Gorbatschows und Jelzins darüber andeuten, daß die Beseitigung des Sowjetsystems in der UdSSR und der sozialistischen Ordnung in der DDR wie in ganz Osteuropa nicht schon früher erfolgt ist.

Fregattenkapitän a. D. Robert Rosentreter, Rostock

Raute

RF-Extra

Zum 84. Geburtstag des marxistischen Philosophen Hans Heinz Holz

Dialektik als Algebra der Revolution

Der russische Philosoph und Publizist Alexander Herzen (1812-1870), wegen zarenkritischer Äußerungen verhaftet, verurteilt und einige Jahre verbannt, bezeichnete die Dialektik Hegels als Algebra der Revolution. Diesen Gedanken greift der politisch engagierte marxistische Theoretiker Hans Heinz Holz im ersten Band seiner geplanten Trilogie zur Aufhebung und Verwirklichung der Philosophie auf. Er verfolgt den Übergang von der idealistischen Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770-1831) als einer Theorie der Revolution zu der von Karl Marx begründeten Aufhebung und Verwirklichung der Philosophie in der gesellschaftlichen Praxis.

Ist Marx überhaupt noch aktuell?

Der Autor bemerkt dazu: "Die Wende hat sich gewendet. Der Wind hat sich gedreht. Ich meine das nicht meteorologisch. Die es 1989/90 für opportun hielten, Marx in die Rumpelkammer der Geschichte zu verbannen, stellen jetzt erstaunt seine ungebrochene Aktualität fest. Man sieht, Opportunismus ist gesund, er hält die Halsmuskeln geschmeidig." (S. 220)

Finanz- und Wirtschaftskrise führen nachdenkliche Menschen, die Zusammenhänge erkennen wollen, zur Analyse gegenwärtiger Gesellschaftsentwicklung. Manche, die ihre früheren Studien zum Marxismus nicht ganz vergessen haben, erinnern sich nun an die Marxschen Erkenntnisse über den Kapitalismus, an seine dialektische Theorie und Methode, an seine humane Vision einer Assoziation freier Individuen. Es ist die kapitalistische Globalisierung mit ihren antihumanen Auswirkungen, die eine Rückbesinnung auf den Marxismus erzwingt. Dieser hat sich dabei auf neue Bedingungen einzustellen, wenn er die Entwicklung der gegenwärtigen Gesellschaftsstrukturen untersucht. Er hat keine fertigen Antworten auf die gegenwärtigen Fragen, doch er stellt das theoretische und methodische Instrumentarium zur Verfügung, mit dem Probleme formuliert, Szenarien zur Lösung angeboten und Zukunftsvisionen von einer humanen Gesellschaft mit anschaulichen, einsichtigen und realisierbaren Idealen begründet werden können, um das gegenwärtige Utopie-Defizit zu überwinden. Der Autor betont: "Die Wissenschaftlichkeit des Sozialismus ist kein Ergebnis, das ein für allemal feststeht, sondern eine Richtschnur, an der sich politische Arbeit immer wieder orientieren muß." (S. 226) So ist der Weg von der Utopie zur Wissenschaft unter neuen Bedingungen immer neu zu beschreiten. Politik orientiert sich dabei zuerst an Interessen. Nur, wer eine Humanisierung der Gesellschaft anstrebt, wird sich mit den entsprechenden theoretischen Grundlagen befassen, um der gegenwärtig vorherrschenden Stückwerktechnologie zu entgehen und klare programmatische Zielvorgaben für das Handeln zu entwickeln.

Marx hatte schon 1845 in seiner 11. These über Ludwig Feuerbach formuliert, daß die Philosophen die Welt bisher nur verschieden interpretiert hätten, es jedoch darauf ankomme, sie zu verändern. Mit Friedrich Engels arbeitete er diesen Gedanken zu einer materialistischen Geschichtsauffassung weiter aus. Es gehört zum Abc des Marxismus, daß Marx damit die Hegelsche Dialektik vom Kopf auf die Füße stellte, indem er die Begriffsdialektik als Abbild des wirklichen Geschehens sah und die materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse als Basis menschlichen Handelns begriff, wobei die Theorie zur materiellen Gewalt wird, sobald sie die Massen ergreift. Die Arbeit zur Befriedigung der Bedürfnisse und die konkret-historische gesellschaftliche Organisation der Arbeit erwiesen und erweisen sich als bewegendes Prinzip der Gesellschaftsveränderung.

Hans Heinz Holz thematisiert diesen Zusammenhang von Erkennen, Planen und Handeln, wenn er über die dialektische Philosophie schreibt: "Wenn sich Philosophie, indem sie Philosophie ist, als Politik - eingreifend nicht nur als Denken über Politik begreifend -, erweist, dann muß in den Basiskategorien der Philosophie ihre politische Bedeutung enthalten sein und in der Ausführung spezifisch philosophischer Probleme zutage treten." (S. 9) Lenin habe deshalb den Marxisten als Grundlagenstudium die Hegelsche Dialektik als Algebra der Revolution auferlegt, wobei dieses Denken "bei Marx, Engels und Lenin sich zur Triebkraft der Revolution wandelte und in der Oktoberrevolution zur weltverändernden Aktion wurde". (S. 26) In differenzierten kategorialen Analysen zeigt Hans Heinz Holz, daß die Philosophie von Hegel, vor al lem in ihrer dialektischen Form, das Recht auf revolutionäre Veränderung begründe.

Wer sich mit den philosophie-historischen Wurzeln der weltverändernden Rolle des Marxismus befassen will, sollte das Buch lesen. Bereitschaft zu gedanklichen Anstrengungen ist gefordert. Das liegt nicht im derzeitigen offiziellen Trend, die Öffentlichkeit zu einer Talk-Gesellschaft umzufunktionieren, in der für das zu behandelnde brisante Thema meist wenig kompetente Prominente ohne Entscheidungsbefugnis ihre Meinung äußern, während die von den wirtschaftlich Mächtigen im Hintergrund aufgestellten Sollsätze in Ist-Bestimmungen durch die ihnen hörigen Politiker umgewandelt werden. Es ist die Überinformation durch Massenmedien und Internet, die den Blick auf das Wesentliche verstellt. Ein erforderliches kritisches Sozialbewußtsein braucht fundiertes Wissen, um in der Informationsflut geistig nicht zu ertrinken. Wer sich der von manchen Medien verbreiteten Lust an Sensationen hingibt, wird in den personalisierten Nachrichten über Promis, vom Fußballstar über Pop-Ikonen bis zu Adligen, von den brennenden Problemen unserer Zeit, von militärischen Konflikten, sozialen Auseinandersetzungen, der wachsenden Kluft zwischen Armen und Reichen, dem nun ohne Korrektive durch sozialistische Länder erfolgenden Sozialabbau in Europa, abgelenkt. Theoretische Einsichten als Aktionswissen zur humanen Gestaltung der Gesellschaft werden zur Mangelware. Erfolge werden propagiert und Mißerfolge kleingeredet. Das Bestehende sei das Beste, wird suggeriert.

Doch die Einsicht wächst, daß die sich türmenden Probleme neuer Lösungen bedürfen. Hans Heinz Holz stellt fest: "Aber die Empirie verfehlt, weil sie an der Oberfläche der Erscheinung bleibt, gerade die Wahrheit der Sache, das in ihr erscheinende wesentliche Verhältnis. Soziologische, politologische Empirie genügt nicht zur handlungsorientierenden Erkenntnis. Theorie als Moment der Praxis ist nicht deskriptive Faktenwissenschaft, sondern philosophische Wesenswissenschaft." (S. 210) Das weist er auf einem hohen philosophischen Niveau für den Übergang von Marx zu Hegel nach.

Was erwartet einen Lernbegierigen, wenn er das Buch lesen will?

In einem Vorspiel wird, wie bei dem Kenner der Leistungen des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) nicht anders zu erwarten, die Traditionslinie von Leibniz über Hegel zu Marx verfolgt. Leibniz habe den Gedanken einer einheitlichen veränderlichen Welt entwickelt, den Hegel als Idee des spiraligen Fortschritts aufnahm, wodurch Grundlagen für die spätere marxistische Theorie vom dialektischen Gesamtzusammenhang gelegt wurden, in der Mechanismen, Quelle und Richtung der Entwicklung bestimmt sind und als methodisches Instrumentarium zur Analyse der Wirklichkeit genutzt werden können. Nachdem in der Einleitung das Novum der Hegelschen Philosophie und seine Wirkung dargestellt wird, folgen drei Hauptstücke, die sich mit dem Verhältnis von Spekulation und Praxis als Rechtfertigung eines praxisrelevanten philosophischen Denkens, mit Recht, Staat und Freiheit als den Inhalten der politischen Metaphysik bei Hegel und dem Übergang von der Theorie zur materiellen Gewalt befassen.

Der Autor würdigt das "Kommunistische Manifest" von Marx und Engels als geschichtsphilosophische Analyse, als ein historisches Dokument der Arbeiterbewegung, versteht es jedoch zugleich als politischen Appell, wodurch es sich als Text aktueller politischer Orientierung erweise. So gäbe es erstens "keine ökonomische Notwendigkeit, die den Sozialismus ohne Zutun der Menschen hervorbrächte; wohl aber ist die Alternative Sozialismus oder Barbarei unausweichlich, ein Drittes daneben ist ausgeschlossen, denn der Kapitalismus bringt die Barbarei, die Funktionalisierung des Menschen zur Sache und zur Ware, notwendig hervor; und die Aufhebung des Kapitalismus kann nur in der Aufhebung der Existenzbedingungen des Kapitalismus, des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln geschehen. (S. 226) Das Subjekt der Gesellschaftsveränderung sei die existierende Arbeiterklasse, zu der alle Lohnabhängigen gehörten, denn, das sei die zweite grundlegende Feststellung des Manifests: Es gäbe nur noch zwei antagonistische Klassen, die Kapitaleigentümer und die Lohnabhängigen. "Diktatur des Proletariats", als Begriff oft mißverstanden, besage "nichts anderes, als daß in der Epoche des Übergangs zum Sozialismus die neuen Produktionsverhältnisse dadurch gesichert werden müssen, daß die Arbeiterklasse die politische Macht, also die Staatsgewalt ausübt, und daß sie dies nur kann, wenn sie sich dabei auf den stillschweigenden Konsens der Mehrheit und auf die ausdrückliche Kooperation von Bündnispartnern stützt." (S. 228)

Damit ist eine wichtige Problematik skizziert, die in der nur in groben Umrissen erfolgten Darstellung noch verborgen ist. Wie sieht es mit der sozialen Differenzierung innerhalb der Lohnabhängigen aus? Mit den Managern und Finanzhaien, die mit ihren hohen Gehältern und Bonuszahlungen zwar Lohnabhängige sind und doch zu den Reichen dieser Welt gehören, wird es wohl kein Bündnis für die Durchsetzung einer antikapitalistischen Alternative geben. Außerdem ist, neben der sozialen Differenzierung in einem Land, die mit der kapitalistischen Globalisierung verbundene wachsende Kluft zwischen armen und reichen Ländern zu analysieren. Weitere Fragen sind zu beantworten: Wird der europäische Arbeitslose den Ausländer, der einen seiner möglichen Arbeitsplätze besetzt, als Bündnispartner sehen? Wie ordnen wir die soziokulturellen Differenzen, die sich einem unterschiedlichen Wertekanon von Ethnien und Kulturkreisen ausdrücken, in die soziale Schichtung ein? Wenn wir von der Alternative, Aufbau einer humanen Gesellschaft oder Barbarei ausgehen, dann ist das mögliche Protestpotential gegen Antihumanismus zu bestimmen. Da sich Hans Heinz Holz in diesem Buch mit dem Übergang von Hegel zu Marx als der ersten Phase der Aufhebung und Verwirklichung der Philosophie befaßt, werden wir in den folgenden Bänden Antworten auf Fragen finden, die in diesem Band als Probleme zwar formuliert, doch noch nicht einer Lösung zugeführt sind. Er schreibt: "Die zweite Phase umfaßt die Verwandlung der Philosophie als bewußte Reflexion (Reflexion der Reflexion) des revolutionären Kampfes in ein Moment und Instrument der gesellschaftlichen Praxis.

In der dritten Phase, in die wir jetzt eintreten, werden die Funktionen der Philosophie für die Ausarbeitung einer praxisorientierten wissenschaftlichen Weltanschauung entwickelt werden müssen." (S. 8) Von den philosophie-historischen Wurzeln wird es also zum Stamm des Marxismus als einer Theorie der humanen Umgestaltung der Gesellschaft gehen, um dann als schmückendes Laub etwas über die neuen Funktionen der Philosophie in unserer Zeit zu erfahren. Gespannt darf man deshalb auf die folgenden zwei Bände sein.

Prof. Dr. Herbert Hörz


Hans Heinz Holz: Die Algebra der Revolution. Von Hegel zu Marx.
Aufhebung und Verwirklichung der Philosophie, Band 1,
Berlin, Aurora-Verlag 2010, 288 Seiten, 24,95 €

Raute

Im Pariser Hotel Lutetia entstand die Keimzelle einer deutschen Volksfront

Als Heinrich Mann den Vorsitz übernahm

Das Pariser Luxushotel Lutetia ist an die israelische Gruppe Alrov verkauft worden. Diese Erwerbung trägt Symbolcharakter, weil das Etablissement während der Naziokkupation beschlagnahmt worden war und Überlebende der Konzentrationslager nach deren Befreiung beherbergte."

Diese Meldung erschien am 8. August 2010 in der französischen Zeitung "Sudouest". Zur israelischen Gruppe Alrov und darüber, was sie mit dem Hotel vorhat, verlautete nichts.

In der BRD blieb die Nachricht unbemerkt und deshalb auch unkommentiert. Dabei hätten wir Deutschen allen Grund, uns gerade an das Hotel Lutetia zu erinnern. Das soll im Folgenden geschehen.

Im Lutetia (es handelt sich um die römische Bezeichnung für das alte Paris) traf sich am 26. September 1935 eine Reihe deutscher Antifaschisten, die aus Hitlers Machtbereich in die französische Emigration hatten entkommen können, zu einer Beratung. Am Tisch saßen 22 Sozialdemokraten, vier Kommunisten und 25 Anhänger anderer Parteien und Strömungen. Es war die seit 1933 größte Versammlung von Nazigegnern unterschiedlicher weltanschaulicher und politischer Richtungen. Die Gruppe gab sich den Namen Lutetia-Kreis und ist so auch in die bewegte und bewegende Geschichte des Exils der Jahre 1933-1945 eingegangen.

Die Diskussionen im Lutetia verliefen äußerst kontrovers und zugespitzt. Vor allem das Auftreten und die Vorschläge des SPD-Politikers Max Braun sorgten für Irritationen. Ein Chronist bemerkte dazu: "Seine Motive waren weniger auf die Schaffung einer deutschen Volksfront gerichtet als vielmehr darauf, den Einfluß der Kommunisten bei der Sammlung der antifaschistischen deutschen Opposition zurückzudrängen."

Um nicht gänzlich ohne Ergebnis auseinanderzugehen und die weitere Arbeit des Kreises sicherzustellen, einigte man sich auf die Einrichtung und Unterhaltung eines Büros. Ihm gehörten Heinrich Mann als Leiter, Georg Bernhard, Max Braun, Emil Julius Gumbel, Otto Klepper, Willi Münzenberg und Leopold Schwarzschild an. Dem Büro wurde die Aufgabe übertragen, weitere Zusammenkünfte zu organisieren.

In die Diskussion schaltete sich entsprechend den Beschlüssen der unter strengster Geheimhaltung im Oktober 1935 bei Moskau abgehaltenen "Brüsseler Konferenz" der KPD, die auf die Vereinigung aller Hitlergegner orientiert hatte, auch deren Politbüro ein. Es übermittelte eine "Konzeption ... für die folgenden Zusammenkünfte in diesem Kreis". Das Dokument der KPD endete mit den Worten: "Wir schlagen vor, die Beratungen regelmäßig weiterzuführen, jedoch im Sinne einer fortlaufenden Stellungnahme zu den aktuellsten Fragen, die das deutsche Volk bewegen." Am 22. November 1935 fand eine zweite, diesmal bedeutend größere Zusammenkunft des Lutetia-Kreises statt. An ihr nahmen elf Sozialdemokraten, sechs Funktionäre der KPD, zwei SAP-Mitglieder sowie mehrere bürgerliche Politiker und antifaschistisch gesinnte Schriftsteller, insgesamt 44 Personen, teil. - Das Fehlen und die prinzipiell ablehnende Haltung des Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid der Bewegung gegenüber wirkten sich zunächst hemmend auf die Arbeit aus. So kamen auch bei dieser Beratung keine Beschlüsse zustande.

Die von der Nazijustiz angeordnete Hinrichtung des Kommunisten Rudolf Claus, eines Mitglieds der illegalen Reichsleitung der Roten Hilfe Deutschlands, bewirkte indes eine Änderung der Haltung der SPD und wurde zum Ausgangspunkt einer ersten gemeinsamen Protesterklärung von SPD und KPD im Exil. Sie trug die Unterschriften von Hans Beimler, Philipp Dengel, Wilhelm Koenen, Willi Münzenberg, Max Braun, Rudolf Breitscheid, Emil Kirschmann, Max Brauer und Victor Schiff. Heinrich Mann bemerkte dazu: "Das ist der erste gemeinsame Schritt deutscher Sozialdemokraten und Kommunisten. Es geschah am 20. Dezember 1935. Vermerken wir den Tag, den spätere Geschichtsberichte nennen werden. An ihm vollzog sich tatsächlich die Einheitsfront der Sozialisten, mit ihr aber beginnt die Volksfront der Deutschen."

Hier taucht erstmals bei deutschen Politikern und Intellektuellen der Begriff "Volksfront" auf. Er wurde bald zum Synonym für das Bestreben, die unterschiedlichsten Kräfte im gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus zusammenzuführen. Doch die kontroversen Diskussionen und lebhaften Auseinandersetzungen im Lutetia-Kreis verstummten damit nicht. Im Gegenteil: Sie nahmen beständig und an Schärfe zu. Wortführer waren vor allem die auf sektiererischen Positionen stehenden Revolutionären Sozialisten, die in ihren Richtlinien zur Volksfront die Schaffung einer straff organisierten proletarischen Einheitspartei forderten. Georg Bernhard entwarf eine Verfassung für das "Vierte Reich", Leopold Schwarzschild schrieb im Februar 1936 den "Entwurf eines Einigungsabkommens und Konzepts einer Grundgesetzgebung für das Deutschland nach Hitler". Emil Julius Gumbel formulierte ein "Minimalprogramm der Deutschen Volksfront".

In dieser recht aufgeheizten Atmosphäre kam es am 1. Februar 1936 zu einem Vorbereitungstreffen von Vertretern der SPD, der KPD und der SAP. Es ging um eine neue Konferenz des Lutetia-Kreises, die nur einen Tag später, wiederum im Hotel, stattfand. Nunmehr wurden 100 Teilnehmer gezählt. Sie berichteten dann übereinstimmend, die Beratung sei durch eine zumeist sachliche Diskussion gekennzeichnet gewesen. In verschiedenen Fragen erreichte man eine Annäherung der Standpunkte. Einstimmig konnte ein Aufruf verabschiedet werden, in dem die faschistische Kriegspolitik verurteilt und der Zusammenschluß aller Friedenskräfte gefordert wurden. In der Folgezeit verbesserte und erweiterte sich das Miteinander von deutschen Kommunisten und Sozialdemokraten in Frankreich. Auch Rudolf Breitscheid entschied sich nun für eine ständige Mitarbeit im Lutetia-Kreis. Die hinzustoßende Saar-Gruppe der SPD stärkte ebenfalls das Bündnis.

Zugleich wurden aber auch gegenläufige Tendenzen immer offenkundiger. Die an Schärfe zunehmenden Polemiken betrafen neben den unmittelbaren Zielen und Aufgaben der antifaschistischen Kräfte in der Emigration vor allem die Frage der politischen und sozialen Gestaltung Deutschlands nach Überwindung der Hitlerdiktatur. Hier traten extrem unterschiedliche Vorstellungen zutage. Daher konnte auf der Konferenz auch keine Einigung zu dieser elementaren Thematik erzielt werden. Man verständigte sich schließlich auf die Bildung einer Arbeitsgruppe. Diese wurde beauftragt, eine politische Plattform zur Sammlung aller Oppositionsgruppen und ein Programm für die Gestaltung des künftigen Deutschlands zu entwerfen.

In zeitlicher Parallelität dazu fand Anfang März 1936 eine Beratung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale mit Vertretern der KPD zur Schaffung einer deutschen Volksfront statt. Im Mai 1936 traten in den Mitteilungsheften der Pariser Deutschen Freiheitsbibliothek neben Max Seydewitz, Victor Schiff, Heinrich Mann, Walter Ulbricht und Willi Münzenberg auch Georg Bernhard und Rudolf Breitscheid mit eindeutigen Plädoyers für die Volksfront auf. Der Gedanke, sich in ihr zusammenzuschließen, fand dadurch unter den in das Exil getriebenen Antifaschisten große Zustimmung.

Am 22. April 1936 beschloß der Lutetia-Kreis auf Drängen Heinrich Manns die Bildung eines Exekutivorgans aus 15 Personen. Das war ein weiterer Versuch, die Wirksamkeit der Arbeit zu verbessern und in anderen Ländern Mitstreiter zu gewinnen. Diese Entwicklung veranlaßte Wilhelm Pieck in einem Brief an Heinrich Mann zu der Bemerkung: "Ich verfolge mit großem Interesse Ihre Arbeit im sogenannten Lutetia-Kreis, mit der Sie uns sehr bei der Schaffung einer Volksfront gegen Krieg und Faschismus helfen."

Es gilt, auf ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Bemühungen hinzuweisen: den gemeinsamen Aufruf "Seid einig, einig gegen Hitler!", der am 24. Mai 1936 in allen bedeutenden Exilzeitungen deutscher Antifaschisten veröffentlicht wurde. Er richtete sich gegen die Aufrüstungspolitik der Nazis und die Besetzung des Rheinlandes. Unterzeichner waren alle relevanten Emigrantenorganisationen und Einzelpersönlichkeiten.

In dieser Situation entschloß sich die KPD zu einer Sitzung ihres Politbüros in Paris. Sie fand vom 10. bis 24. Juni 1936 statt. Den wichtigsten Tagesordnungspunkt bildeten die "Richtlinien für die Ausarbeitung einer politischen Plattform der deutschen Volksfront". Das von Wilhelm Pieck entworfene Dokument wurde am 16. Juni einer Kommission des "Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront" zur Diskussion übergeben. Seine erste und wichtigste Feststellung lautete: "Der Sturz der faschistischen Diktatur ist angesichts der von ihr zur Sicherung ihrer Herrschaft geschaffenen Machtmittel eine so gewaltige Aufgabe, daß keine der antifaschistischen Parteien mit ihren Anhängern allein die Kraft dazu hat. Diese Aufgabe kann nur im Zusammenwirken aller antifaschistischen Parteien und Organisationen, Gruppen und Persönlichkeiten durch die Schaffung der deutschen Volksfront erfüllt werden." Als deren wichtigste Aufgabe bezeichnete die KPD den Kampf für Frieden, Völkerversöhnung, kollektive Sicherheit, Abrüstung, Freiheit und Demokratie. In einem weiteren Abschnitt wurden die "Staatsgrundsätze des neuen deutschen Reiches" formuliert. Der Programmentwurf für die deutsche Volksfront vereinte - ganz im Sinne von Marx und Engels - die aktuellen Aufgaben des antifaschistischen Widerstandes mit der Perspektive des Kampfes für den Sozialismus.

Die Richtlinien waren eine geniale Umsetzung der vom VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale und der "Brüsseler Konferenz" der KPD entwickelten und beschlossenen Strategie und Taktik im Kampf gegen den Faschismus.

Wilhelm Pieck stellte in Gesprächen und Begegnungen noch während der Juni-Tagung des Politbüros den im Lutetia-Kreis zusammengeschlossenen Parteien, Organisationen und Persönlichkeiten, unter ihnen Paul Hertz, Wilhelm Ferl, Siegfried Aufhäuser, Friedrich Stampfer, Rudolf Breitscheid, Alexander Schifrin, Jakob Walcher, Paul Frölich und Rosi Wolfstein, die Vorschläge der KPD persönlich vor. Auch Heinrich Mann - die Zentralfigur des Lutetia-Kreises - und Leopold Schwarzschild waren für ihn wichtige Gesprächspartner. Dabei wurde - und darin besteht das Fazit - in allen wesentlichen Fragen der 1936 aktuellen Strategie und Taktik des Kampfes gegen den Faschismus und in bezug auf die demokratischen Grundlagen nach seiner Beseitigung Übereinstimmung festgestellt.

Und auch das war eine der Konsequenzen: Seit dem 9. Juni 1936 nannte sich der Lutetia-Kreis "Ausschuß für die Vorbereitung einer deutschen Volksfront". Zu seinem Vorsitzenden wurde Heinrich Mann gewählt. Am 19. Oktober 1936 äußerte er sich in einem Brief aus Nizza an die Propagandakommission des Volksfront-Ausschusses so: "Zu dem Entwurf der Richtlinien der KPD erkläre ich meine Zustimmung und glaube, daß sie geeignet wären, eine Plattform der Volksfront vorzubereiten."

Das alles geschah im Pariser Hotel Lutetia. Es ist zu hoffen, daß dieser historische Ort auch unter den neuen Eigentümern als Erinnerungsstätte erhalten bleibt. Zugleich möge er als Mahnung an die heute lebenden Generationen dienen, im gemeinsamen Kampf aller demokratischen Kräfte gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Krieg und Neofaschismus nicht nachzulassen.

Dr. Dirk Krüger, Wuppertal

Ende RF-Extra

Raute

Warum Irans Premier 1951 auf die Abschußliste der Ölmultis geriet

Mossadegh im Visier

Die verbrecherische Geldgier der Ölgesellschaft BP (British Petroleum) hat eines der Naturwunder Nordamerikas, das Mississippi-Delta, wohl für immer zerstört. Doch sollte man nicht vergessen, daß die Vorläufer von BP noch weit Schlimmeres auf dem Kerbholz hatten. Ihre Namen: Anglo-Persian-Oil Company (APOC), später Anglo-Iranian Oil Company (AIOC).

An der Schwelle des 20. Jahrhunderts begann William D'Arcy, Finanzier und Politiker, auf Anraten seines Freundes Cecil Rhodes die Ölsuche im Persischen Golf. 1908 hatte D'Arcy Erfolg, und ein Jahr später wurde die APOC gegründet. Die britische Regierung ergatterte einen beträchtlichen Aktienanteil. Unter der Thatcher-Regierung wurde BP dann privatisiert.

Abadan in Persien verwandelte sich in die größte Ölraffinerie der Welt. Das Kapital und der politisch-militärische Komplex machten als imperialistisches Unternehmertum gemeinsame Sache. Winston Churchill (1874-1965) sprach von einer der mächtigsten Säulen des britischen Empire. An den APOC-Aktien bereicherte sich Churchill ebenso wie die königliche Familie. Seit diesem Zeitpunkt war London nicht mehr von dem USA-Riesen Standard Oil of New Jersey abhängig. Mit britischen Subsidien, also den Geldern der Steuerzahler, baute APOC die damals größte Öltankerflotte, um den Weltmarkt zu beherrschen.

Das Jahr 1919 brachte erbitterte Klassenkämpfe. In Abadan kam es zu einem organisierten Streik. Die Armee von Schah Reza Pahlevi sowie die Gendarmerie des Konzerns metzelten 30 Arbeiter nieder, Dutzende wurden verwundet. Die APOC hatte damit den Sprung zum Staatsterrorismus vollzogen.

Noch im selben Jahr schlachteten in Indien die berüchtigten Gurkhas unter dem Kommando des Generals Dyer Hunderte friedliche Satyagrahis in Amritsar grausam ab. Der Kommandierende begründete das Gemetzel mit den Worten: "Das wird die Eingeborenen lehren, die Macht des britischen Empire nicht herauszufordern."

Auf den Streik in Abadan folgte 1920 die Gründung der Iranischen Kommunistischen Partei. Deren zentrale Forderungen sahen die Nationalisierung des gesamten APOC-Komplexes aus Produktion, Infrastruktur und Vertrieb ohne jegliche Kompensation, die Enteignung des feudalen Großgrundbesitzes, die Demokratisierung der Armee sowie die Schaffung von Arbeiter-und-Bauern-Milizen vor. Delegationen der KP, die nach Moskau entsandt wurden, trafen dort mit Lenin und anderen Führern des Sowjetstaates zusammen.

Churchill und die APOC erfaßten schnell die neue politisch-ideologische Situation und lancierten ihre massive Gegenpropaganda. Der iranische Politiker Mohammad Mossadegh (1882-1967) begriff ebenfalls die Bedeutung des KP-Programms, lehnte aber ein kommunistisches Angebot zur Zusammenarbeit ab. Er hoffte, daß die APOC zu einem vernünftigen Arrangement in Sachen Profit-Teilung zu bewegen sein würde.

"Können Schafe und Wölfe friedlich zusammenleben?", fragt Frederic F. Clairmont. Er zitiert in einem 2010 erschienenen Werk: "Die unvollendeten Verbrechen und Plünderungen des anglo-amerikanischen Imperialismus" Ghandis berühmten Ausspruch, "daß es keine Gleichheit unter Ungleichen geben kann".

Im April 1951 war Mossadegh vom Parlament in Teheran zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Am 1. Mai hatten dann etwa 50.000 Menschen vor dem Parlamentsgebäude demonstriert - Arbeiter, Intellektuelle, Militärs und Frauen. Sie verlangten die Nationalisierung der Anglo-Iranian Oil Company (AIOC), wie die Gesellschaft seit 1935 hieß. Mossadegh unterschrieb das Nationalisierungsdekret und begann, Reden mit antiimperialistischem Akzent zu halten. Die Churchill-Regierung nannte ihn daraufhin einen "diebischen Farbigen", der "ein Werkzeug des Kommunismus" sei. BBC und "Voice of America" gaben lautstark den Ton an. London leitete Sanktionen gegen den Bezug iranischen Öls ein. Es wurde durch Lieferungen aus Saudi-Arabien ersetzt. Zugleich suchte man alte Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten erneut zuzuspitzen, um beide Volksgruppen gegeneinander auszuspielen.

In einer Rede vor den Vereinten Nationen stellte Mossadegh fest, daß die Jahreseinkünfte der AIOC die Einnahmen Irans überträfen und daß der Konzern über ein größeres Außenhandelsvolumen als sein Land verfüge.

Im Januar 1953 lief die imperialistische Iran-Offensive dann auf Hochtouren. "Operation Ajax" hieß das Code-Wort. Als Hauptakteure traten die Brüder John Foster und Allen Dulles in Aktion. Der eine war Eisenhowers Außenminister, der zweite sein CIA-Chef. Ein extrem rechtskonservativer US-Republikaner namens Kermit Roosevelt, Enkel des durch seine Außenpolitik des großen Knüppels (Big Stick) bekannten Ex-Präsidenten Theodore Roosevelt, wurde unter dem Pseudonym James Lockridge nach Teheran eingeschleust, wo er fügsame Militärs und Mullahs zusammentrommelte und mit enormen Dollarsummen für seine "Sache" gewann. "Das Geld floß wie der Niagara-Fall", sagte Fazlollah Zahedi, einer der verräterischen Generale.

Mossadegh wurde am 19. August 1953 festgenommen und vor ein Militärtribunal gezerrt. Man bezichtigte ihn des Hochverrats. Bis zu seinem Tode blieb er unter Hausarrest.

In jener Zeit kooperierte die CIA mit Israels Mossad, welcher Irans Savak-Geheimpolizei gründete und von Beginn an manipulierte. Sie verband die institutionellen Funktionen der Gestapo mit den Praktiken von SS-Sondereinheiten. Tausende wurden verschleppt, verschwanden spurlos oder wurden heimtückisch ermordet.

Israels Premier David Ben Gurion verkündete ekstatisch, Israel werde fortan Zugang zu enormen und äußerst billigen Ölreserven haben. Es tat dem keinen Abbruch, daß dieses Öl mit Blut vermischt war. Und noch ein anderer Faktor spielte eine Rolle: Mossadegh und die Kommunistische Partei, die sich seit 1941 Tudeh-Partei nannte, hatten die Vertreibung der Palästinenser durch Israel heftig kritisiert, wodurch sie ganz automatisch ins Fadenkreuz Tel Avivs gerieten.

Der Terror des Schahs dauerte bis zu seiner Flucht. 1979 kehrte Ayatollah Chomeini aus seinem Pariser Exil zurück und rief die Islamische Republik Iran aus.

Dr. Vera Butler, Melbourne

Zusammenfassung und Übersetzung eines Materials von Frederick F. Clairmont


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Bei der Festnahme (Mossadeghs)

Raute

Liste unwürdiger Friedensnobelpreisträger wurde fortgesetzt

Die Farce von Oslo

Gespenstisches vollzog sich am 10. Dezember in Oslo. Vor leerem Stuhl und allem, was in der "westlichen Wertegemeinschaft" Rang und Namen hat, wurde Liu Xiaobo von Norwegens rechtssozialistischem Ex-Premier Thorbjorn Jagland mit dem Friedensnobelpreis dekoriert.

Zunächst ein kurzer Rückblick auf die Geschichte dieser Auszeichnung. Hochdotiert, wird sie von einem fünfköpfigen Ausschuß des norwegischen Parlaments verliehen. Das hohe Haus hat dafür gesorgt, daß Norwegen - gemessen an der Bevölkerungszahl - das größte Kontingent an NATO-Soldaten in Afghanistan stellt. Ende 2009 war Barack Obama, Chef der Administration des imperialistischen Aggressor-Staates USA, der Preisträger. Deren Auswahl widerspiegelt das weltweite Kräfteverhältnis. Allein vier US-Präsidenten wurden ausgezeichnet.

Andere gerieten dadurch auf die Liste, daß ihre Namen unter einem Dokument stehen, welches einen blutigen Krieg beendete - so US-Außenminister Henry Kissinger (gemeinsam mit dem Vietnamesen Le Duc To, der den Preis allerdings zurückwies). Beide hatten die Verhandlungen geführt, in deren Ergebnis Washington in Vietnam die Fahne einrollen mußte. Nach der gleichen Logik hätte man auch Hitlers Generalfeldmarschall Keitel dafür ehren können, daß er im Mai 1945 vor Marschall Shukow und den Vertretern der Westalliierten die Kapitulationsurkunde unterzeichnete. Keitel bekam allerdings keinen Friedensnobelpreis, sondern in Nürnberg den Strick. - Südafrikas Rassistenchef William de Klerk erhielt zusammen mit dem ANC-Volkshelden Nelson Mandela den Preis als Trostpflaster für die seiner Partei abgetrotzte Aufhebung des Apartheidregimes. Eine Provokation!

Indes: Nicht alle Ausgezeichneten waren von diesem Schlag. Einige hatten den Preis wirklich verdient: Hier seien Bertha von Suttner, Carl von Ossietzky und Martin Luther King erwähnt.

In den letzten Jahrzehnten instrumentalisierte man den Friedensnobelpreis immer offensichtlicher für reaktionäre Zwecke. So befinden sich unter den Dekorierten auch fünf "Dissidenten" - geschworene Feinde des Sozialismus. Es handelt sich um Sacharow, Walesa, Gorbatschow, den Dalai Lama und jetzt auch Liu Xiaobo. Für die Beurteilung der ersten drei müßte man die Bibel heranziehen: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen." Die Gdansker Lenin-Werft, auf der Walesa seinen "Freiheitskampf" begann, ist plattgemacht worden. Sacharow war ein Wegbereiter, Gorbatschow der prominenteste Exekuteur der Zerstörung einer ausbeutungsfreien Gesellschaftsordnung und eines friedliebenden Staates auf einem Sechstel der Erde.

Der Dalai Lama und Liu Xiaobo haben ihr Ziel nicht erreicht. So müssen wir uns an ihre Worte halten. Natürlich fordern beide "Freiheit" und "Menschenrechte". Aus ihrem Munde sind das Synonyme für das Verlangen nach Wiederherstellung historisch bereits überwundener Zustände. Eine Forderung aus Lius "Charta 08" lautet z. B., China zu einem Bundesstaat nach dem Vorbild der USA zu machen. Darin trifft er sich mit dem Verlangen des Dalai Lama nach einem "unabhängigen Tibet". Was Föderalismus dieser Art bewirkt, hat die mit westlicher "Hilfe" erfolgte Zerlegung der Sowjetunion und Jugoslawiens hinlänglich bewiesen.

China kann auf eine viertausendjährige Geschichte als Zentralstaat zurückblicken. Da würde sich Lius "föderatives Modell" verheerend auswirken. Sein Programm sieht die Revision sämtlicher politischer und ökonomischer Umwandlungen vor: Privatisierung der in Staatshand befindlichen Betriebe und Wiederherstellung der alten Macht- und Eigentumsverhältnisse. Dazu gehört die Forderung nach Revision der Bodenreform. Das Land soll den Großgrundbesitzern zurückgegeben und den Bauern, die heute ein sehr bescheidenes, aber sicheres Auskommen haben, entrissen werden.

Das Fazit: Die Regierung der Volksrepublik China erfüllt ihre Pflicht gegenüber den Bürgern, wenn sie der Verbreitung solcher "Ideen" einen Riegel vorschiebt. Das norwegische Friedensnobelpreis-Komitee aber bedeckt sich mit Schande, wenn es Leute wie Liu Xiaobo auf den Schild hebt.

Übrigens wurde 2007 der Vorschlag unterbreitet, die fünf seit vielen Jahren in US-Haft befindlichen antiterroristischen Aufklärer Kubas auszuzeichnen. Das Osloer Komitee wies dieses Ansinnen mit der Begründung zurück, die Cuban Five seien Gefängnisinsassen - ein Umstand, der bei Liu keine Rolle spielte.

Fritz Dittmar, Hamburg

(Das Material wurde redaktionell ergänzt.)

Raute

Zugespitzte Konfliktlage in Korea

Die jüngste Verschärfung der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel hat in der Region und weltweit Besorgnis hervorgerufen. Die Medien des Imperialismus konzentrierten sich auf vordergründige Kriegsberichterstattung, wobei sie die Beschießung eines südkoreanischen Militärobjekts auf einer 12 km vor der Küste der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik (KDVR) gelegenen Insel tendenziös in den Vordergrund rückten. Ziel war es, von einem provokatorischen Land-, Luft- und Seemanöver der südkoreanischen Armee und der US-Streitkräfte abzulenken, an dem auch der kernkraftgetriebene Flugzeugträger "Washington" beteiligt war. Das Pentagon sprach von einer "Kräfte-Show zur Abschreckung des Nordens".

Das heutige Geschehen ist indes nur bei Kenntnis der jüngeren Geschichte Koreas verständlich.

Nach der Niederlage des japanischen Imperialismus 1945 besetzten die Siegermächte UdSSR und USA die Halbinsel. Die Trennungslinie verlief am 38. Breitengrad. Washington installierte in Südkorea eine ihm hörige Diktatur unter Li Syng Man. Sie zwang linksgerichtete Organisationen schon 1947 in die Illegalität. Im Mai 1948 fanden im von der U.S. Army okkupierten Südkorea Wahlen zu einer "Nationalversammlung" statt. Die Ergebnisse waren massiv gefälscht. Li Syng Man wurde zum Präsidenten ausgerufen. Er überzog das Land mit Terror.

Am 25. Juni 1950 erfolgte der Überfall auf die KDVR (damalige Bezeichnung: KVDR), zunächst durch südkoreanische Truppen, zwei Tage später durch US-Kampfverbände. Am 30. Juli 1950 erhielten die Vereinigten Staaten ein Mandat der UNO (Resolution Nr. 85 des Sicherheitsrates), wobei sie die vorübergehende Abwesenheit des Vertreters der vetoberechtigten Sowjetunion ausnutzen konnten. Chinas ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat nahm damals noch Taiwan ein. Im Verlauf des Krieges wurden Hunderttausende Zivilisten verwundet oder getötet, fast alle Städte Nordkoreas zerstört. Sein Territorium wurde von den "UN"-Truppen nahezu vollständig eingenommen. Nur durch den Einsatz einer Millionen-Armee chinesischer Volksfreiwilliger konnten die Interventen auf den 38. Breitengrad zurückgeworfen werden. Am 27. Juli 1953 erfolgte in Panmunjon die Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens.

Seitdem halten die Spannungen an. Der Zusammenprall im November 2010 war dabei ein neuer negativer Höhepunkt. Besonders die VR China arbeitet mit politischen und diplomatischen Mitteln auf eine Entschärfung der Lage hin. Sie läßt sich von der Solidarität mit der KDVR wie auch vom eigenen vitalen Interesse an einer Entspannung auf der koreanischen Halbinsel leiten.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

(Redaktionell ergänztes Material)

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Freimütige Antworten auf drängende Fragen zur Entwicklung Chinas

Aufstieg zum Schwellenland?

Chinas Wirtschaft ist absolut größer als die Japans. Gemessen am Pro-Kopf-Inlandsprodukt aber rechnet man China noch zu den Entwicklungsländern. Dort gibt es mindestens 15 Millionen Menschen, die unterhalb der durch die UN festgelegten Armutsgrenze leben. Wie soll sich China in Zukunft auf der internationalen Bühne positionieren? In welchem Umfang soll es Verantwortung in der Welt übernehmen? Welchen Weg soll die chinesische Politik einschlagen? Die in der Volksrepublik erscheinende Tageszeitung "Cankao Xiaoxi" hat Professor Gu Xuewu, Inhaber des Lehrstuhls für Politische Wissenschaft mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen und Direktor des Zentrums für Globale Studien an der Ruhr-Universität Bochum, gefragt.


Cankao Xiaoxi: Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist nun größer als das Japans. Damit ist seine Volkswirtschaft zur zweitgrößten in der Welt aufgestiegen - eine Meldung, die für Aufsehen sorgte. Wie betrachten Sie die Zukunft Chinas?

Gu Xuewu: China sollte Verständnis haben für die Reaktion der Welt - besonders die der etablierten Industriestaaten - auf diese Nachricht. Denn es bedeutet nichts anderes, als daß China innerhalb der letzten zehn Jahre die traditionellen Industrieländer überholt hat. Jetzt erwirtschaften nur noch die USA ein größeres Bruttoinlandsprodukt als China. Es ist natürlich, daß dies Unbehagen hervorruft. Trotz des niedrigen Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukts der Volksrepublik, das weniger als ein Zehntel des deutschen Pro-Kopf-Inlandsprodukts beträgt, meint man doch meist die Gesamtwirtschaftsleistung eines Landes, wenn man von seiner Wirtschaftskraft spricht. Wenn man die Vereinigten Staaten als das stärkste Land der Welt bezeichnet, werden auch nicht die Bettler in New York erwähnt.

Mit der raschen Entwicklung seiner Wirtschaft wächst Chinas Einfluß in der Welt. Worauf setzt Beijing in der gegenwärtigen Lage?

China kann sich nicht länger als Entwicklungsland darstellen. In der europäischen Vorstellung ist ein Entwicklungsland arm und rückständig. Die chinesische Volkswirtschaft wächst von Tag zu Tag. Es gibt bereits viele ökonomisch entwickelte Gebiete wie das Jangtse-Delta und das Perlfluß-Delta. Auch die Städte zweiter Ordnung sind hochgradig modernisiert. Diese Tatsachen lassen sich nicht mit dem üblichen Begriff eines Entwicklungslandes in Übereinklang bringen. Im Grunde ist China zwar noch immer ein Entwicklungsland, aber dies ständig zu betonen, ist sehr unklug. Wenn China alle nur erdenklichen Anstrengungen unternähme, um sich als Entwicklungsland darzustellen, würde dies von vielen als Lüge empfunden werden, als Vorwand, um weiterhin Hilfe aus dem Ausland zu erhalten und sich internationaler Verantwortung zu entziehen. China sollte sich vielmehr als großes Schwellenland positionieren. Weil es über ein großes Territorium verfügt, braucht es noch geraume Zeit, um diesen Status zu erreichen. Aber wegen der gewichtigen Rolle, die China schon heute in der Welt spielt, birgt dieser Wechsel auch große Risiken. Jede Bewegung in Richtung Veränderung wird nicht nur Auswirkungen auf China selbst, sondern auch auf den Rest der Welt haben. Dennoch ist es viel sinnvoller und wird sich mittelfristig auszahlen, wenn China gegenüber der Welt den Status eines Schwellenlandes einnimmt, statt in unrealistischer Weise darauf zu beharren, ein Entwicklungsland sein zu wollen.

Der Westen hat große Angst vor einer raschen Wirtschaftsentwicklung Chinas. Wodurch kann die Volksrepublik ihren Versuch, den Nutzen des Landes zu mehren, angemessen zum Ausdruck bringen, ohne Ängste zu provozieren?

Den Begriff "Angst" halte ich in diesem Zusammenhang für übertrieben. Sorge und Unruhe trifft es wohl besser. Die Ursache hierfür: Die westlichen Länder wissen nicht, ob der Aufstieg Chinas für sie Segen oder Fluch ist. China hat durch seine Gesellschaftsform des Sozialismus chinesischer Prägung eine Hochkonjunktur seiner Wirtschaft eingeleitet. Die Konjunktur ist noch nicht abgeklungen. Deshalb muß die Volksrepublik sorgfältig erwägen, wie sie ihren Nutzen definiert und welche Mittel sie zu seiner Verwirklichung wählt. China kann der Welt die Wahrheit sagen, daß der Aufbau des Sozialismus chinesischer Prägung noch nicht abgeschlossen ist. Die drei Hauptsäulen des Staatsgebildes, nämlich das Territorium, die Bevölkerung und das politische System, weisen noch Mängel auf: Das Territorium ist noch nicht vereinigt. Die nationale Identität der Bürger ist nicht gefestigt. Das politische System, das Gesundheitssystem sowie das Sozialund Lohnsystem sind noch nicht hinreichend ausgebaut. Hier muß China schon im eigenen Interesse dringend Abhilfe schaffen. Wenn es diese Probleme klar benennt, kann das sehr dazu beitragen, die Bedenken der Welt gegenüber der Politik Chinas zu zerstreuen.

Welche internationalen Verpflichtungen soll China übernehmen?

Die wichtigste Verantwortung Chinas liegt in der Aufrechterhaltung von Stabilität und Prosperität im asiatischpazifischen Raum. Es muß sich dieser Aufgabe gewachsen zeigen. Wenn es sie nicht bewältigen kann, ist eine Übernahme von Verantwortung in anderen Weltregionen reine Utopie. Jetzt hat China ein höheres Wirtschaftsvolumen erlangt. Deshalb sollte es ohne Bedenken im Asien-Pazifik-Raum die Vorreiterrolle übernehmen. Aber als führende Macht der Region muß China auch bereit sein, den Preis dafür zu zahlen. Es hat die Interessen und die Forderungen der Nachbarländer zu berücksichtigen. Wenn China seine Interessen und Ansprüche definiert, muß es im Auge behalten, daß seine Politik mit den Kerninteressen der Nachbarn vereinbar ist.

Wie kann China sich von einem wirtschaftlich großen Land in ein wirtschaftlich starkes Land verwandeln?

Größe ist ein Bestandteil von Stärke. Schon heute ist China ein starkes Land, jede politische und ökonomische Entscheidung, die in der Volksrepublik gefällt wird, kann die Weltwirtschaft nachhaltig beeinflussen. Natürlich sagen manche, daß die Kraft Chinas vor allem aus der Zahl seiner Einwohner und der Größe und geographischen Lage des Landes herrührt, kaum aber auf anderen Eigenschaften beruht. Diese Meinung ist zutreffend. Es bedarf noch mehr, bis China wirklich ein starkes Land sein wird. Man sollte denjenigen mißtrauen, die von der "gelben Gefahr" sprechen, also von einem politisch und wirtschaftlich übermächtigen China. Derzeit gibt es für den Westen auch gar keine Möglichkeit, dieser angeblichen Bedrohung entgegenzuwirken: Die USA leiden unter ihrer Schuldenlast, die japanische Wirtschaft kommt nicht voran, der europäische Einigungsprozeß ist ins Stocken geraten. Eigentlich ist der Hauptgegner einer Entwicklung Chinas ... China selbst. Deshalb sehe ich als vordringliche Aufgaben der chinesischen Politik in den kommenden zehn Jahren, die politische Ordnung zu konsolidieren, das Leben der Bevölkerung zu verbessern, Gerechtigkeit zu fördern und dem Pfad der Tugend zu folgen.

Raute

Als sich "Der Spiegel" unter die Hetzer gegen Mumia Abu-Jamal begab

Schon am 24. August 2009 veröffentlichte "Der Spiegel" unter dem Titel "Die Feuer der Hölle" einen fünfseitigen Artikel seiner Washingtoner Korrespondentin Cordula Meyer. Abgesehen von falsch wiedergegebenen oder nicht genannten (weil Mumia möglicherweise entlastenden) Tatsachen sowie Aussparen wichtiger Zusammenhänge wird der Eindruck erweckt, der Verurteilte befände sich zu Recht in der Todeszelle. (Warum sich Mumia und seine Verteidigung dann seit Jahrzehnten um die Wahrheit in einem neuen Verfahren bemühen, bleibt ausgeblendet). Die Darstellung des Tatverlaufs entspricht der Version der Staatsanwaltschaft. Man zitiert deren Vertreter Hugh Burns aus Philadelphia: "Ich kann mir keinen eindeutigeren Fall vorstellen."

Statt sorgfältiger Recherche wird auf rührselige Weise das angeblich von der Öffentlichkeit ignorierte Schicksal der Polizistenwitwe Maureen Faulkner präsentiert. Sie "will, daß Mumia stirbt", weil sie, solange er lebt, weiterhin "Feuer der Hölle" erleiden müsse. Cordula Meyers: "Maureen fing an, sich zu wehren. Sie schrieb Briefe, sie organisierte einen Marsch von Polizisten zum Regierungssitz von Pennsylvania. Dort trafen sich Maureens Freunde und die Mumia-Unterstützer: 'Laßt Mumia frei!', riefen die einen, 'Tötet ihn jetzt!', die anderen."

Im Frühjahr 1995 veröffentlichte Mumia Abu-Jamal sein erstes Buch aus der Todeszelle "Live from Death Row". Maureen mietete ein Flugzeug mit einem Banner, das über dem Gebäude von Mumias Verlag kreiste. "Addison-Wesley unterstützt Polizistenmörder" stand darauf.

Unterschlagen wird schlicht, daß keineswegs Maureen Faulkner den Marsch zum Regierungssitz organisieren und schon gar nicht das Flugzeug mit dem Banner mieten konnte, wohl aber die mitgliederstarke, als extrem rassistisch geltende Polizistenorganisation "Fraternal Order of Police" (FPO).

"Mumia ist der Held. Und Danny Faulkner war nur ein weißer Polizist im rassistischen Amerika", heißt der Schlußsatz des Artikels von Cordula Meyer, der von der "Philadelphia Daily News" als "Wendepunkt für Maureens Bemühungen, die Propagandamaschine von Abu-Jamal zu besiegen" gefeiert wurde. Plaziert ist der "Spiegel"-Artikel in der Kultur-Rubrik. Es gehe um "Mythen", denen alle anhängen, die sich engagieren - "in diesem Fall für einen Polizistenmörder, dem sie glauben, die angemessene Strafe - Hinrichtung durch die Giftspritze - ersparen zu müssen". Die "Spiegel"-Redaktion nennt stellvertretend für die weltweite Solidaritätsbewegung zur Rettung Mumias nur wenige Namen: "Ende März ehrte die Berliner Akademie der Künste den Todeskandidaten mit einer großen Solidaritätsveranstaltung. Auf dem Podium saßen sein Verteidiger Robert Bryan, der ehemalige FDP-Innenminister Gerhart Baum und der Schriftsteller Günter Wallraff. Bryan sprach über Rassismus. Baum sagte, die Menschenwürde werde mit Füßen getreten. Wallraff meinte, daß es auch um Abu-Jamals Botschaft gehe, die eines 'Humanisten' und Pazifisten'."

Worum es dem "Spiegel" offenbar geht, ist die Disqualifizierung jeglicher kritischen Denkansätze und aller sozialen und politischen Anläufe, die der durch den Mainstream gesetzten Normierung gesellschaftlichen Bewußtseins entgegenstehen.

RF, gestützt auf "Arbeiterstimme" (Winter 2009/2010)

Raute

Vor 15 Jahren wurden die "Ogoni Neun" in Nigeria hingerichtet

Unvergessener Ken Saro-Wiwa

Schwarzafrika hat nicht wenige Helden und Märtyrer hervorgebracht. Patrice Lumumba, der erste Premier des aus der belgischen Kolonialherrschaft "entlassenen" Kongo bezahlte seinen antiimperialistischen Wagemut mit dem Leben. Er wurde 1961 ermordet.

Ein anderer aus der Reihe solcher unvergessenen Vorkämpfer war der nigerianische Schriftsteller und Minderheiten-Advokat Ken Saro-Wiwa. Am 10. November 1995 wurden er und acht seiner Mitstreiter auf Befehl des Militärdiktators General Sani Abadia öffentlich gehängt.

Der Hinrichtungsbefehl kam zwar aus Lagos, aber im Hintergrund führten ganz andere dabei Regie: Die Bosse des Ölkonzerns Royal Dutch Shell, der nun schon seit vier Jahrzehnten im Niger-Delta auf Kosten der Lebensqualität der dort ansässigen Ogoni-Minderheit die Naturressourcen des 1914 von Großbritannien zusammengewürfelten Staates Nigeria plündert, bestanden auf einem Exempel. Es sollte an Ken Saro-Wiwa und seinen Freunden statuiert werden. Die ins Visier Genommenen waren ausnahmslos Führer der "Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes" - kurz MOSOP - und hatten es gewagt, Shell und anderen im Delta operierenden Ölmultis den Kampf anzusagen.

Nach der Hinrichtung der "Ogoni Neun" änderten die fremden Räuber zwar nicht ihre Strategie, wohl aber ihre Taktik. Sie zimmerten Koalitionen Williger und Bestechlicher zusammen, um die Opposition gegen ihre Pläne nach der Devise "Teile und herrsche" zu unterlaufen und von der Debatte über ihr kriminelles Vorgehen abzulenken. Dabei waren sie nicht erfolglos. Doch bis heute vermochten weder die Plünderer aus den Konzernen noch ihnen hörige Machthaber in Lagos die Erinnerung an den wortgewaltigen Anwalt der Stimmlosen auszulöschen. Das Vermächtnis Ken Saro-Wiwas lebt in Nigeria fort. Trotz alledem!

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney

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KP Irlands: EU treibt durchsichtiges Spiel

Die KP Irlands - eine kleine, aber zielklare Partei - weist die als "Rettungspaket" für die maroden Staatsfinanzen ihres Landes ausgegebene brutale Einmischung des Internationalen Währungsfonds und der EU entschieden zurück. In einer offiziellen Erklärung der KP wird der Anschlag auf den Lebensstandard der Iren mit analytischer Schärfe durchleuchtet.

Das irische Volk, im Norden wie im Süden, werde jetzt gezwungen, einen hohen Preis für die gescheiterte Politik der in Dublin und London Regierenden zu zahlen, heißt es dort. Die Attacken erfolgten inzwischen auf einer neuen Ebene. Es geht nicht nur um drastische Budgetkürzungen, schmerzhafte Einschränkungen bei öffentlichen Ausgaben, brutale Angriffe auf die Wohlfahrtssysteme sowie die Erhebung neuer direkter und indirekter Steuern zum Nachteil armer Leute, sondern zugleich auch um Abwälzung der Konzernschulden auf die Gesamtheit, ohne den Reichtum der Oberschicht in irgendeiner Weise anzutasten.

Die Politik der EU und der Europäischen Zentralbank sei ausschließlich darauf gerichtet, die Interessen der als Kreditgeber fungierenden deutschen und französischen Großbanken wahrzunehmen.

Der IWF habe bereits eine Spur der Verwüstung rund um den Erdball gezogen, konstatiert die KP Irlands. Ziel der EU sei es, Brüssels totale Kontrolle über die nationalen Budget-Strategien der Mitgliedsländer zu errichten. Diesen Konzepten müsse vor allem seitens der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung energischer Widerstand entgegengesetzt werden. Die Politik der "Sozialpartnerschaft" habe nicht nur auf der ganzen Linie Schiffbruch erlitten, sie sei auch von Unternehmerseite längst aufgekündigt worden. - Die KP wendet sich nachdrücklich gegen die These von der Verschuldung Irlands und der Iren. "Es sind ihre Schulden, nicht unsere!", weisen die Kommunisten auf die Rolle der irischen Bourgeoisie hin. Brüssel müsse die Fiskalmacht an das irische Volk zurückgeben.

In einer wenig später veröffentlichten zweiten Erklärung vergleicht die KP Irlands die Wirtschaft des Landes mit einem sinkenden Schiff, welches zusätzlich unter Wasser gedrückt werde. Das von der EU und dem IWF konstruierte Rettungsboot sei nicht dazu ausgelegt, der Bevölkerung zu Hilfe zu kommen, sondern allein dafür geschaffen worden, die Reichen und Mächtigen, den Euro sowie die deutschen, französischen und britischen Geldhäuser vor dem Untergang zu bewahren.

Keine der großen irischen Parteien offeriert einen echten Lösungsansatz. Das Geschwätz der Fine Gael und der Labour Party von "Alternativen" und "Neuverhandlung" mit EU und IWF sei lediglich eine Mischung aus "heißer Luft und Wahlköder", konstatieren Irlands Kommunisten.

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney

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S-E-X-Feindlichkeit der besonderen Art

Die belgischen Kommunisten der PTB kämpfen gegen die drohende Spaltung des Landes: Flamen gegen Wallonen heißt die Devise der Reaktion.

Das ins Auge springende Poster der PTB ruft demgegenüber zum Kampf gegen S-E-X auf: "Das Problem ist nicht die Sprache", heißt es dort, sondern Les menaces sur la Sécurité Social (die Bedrohung der sozialen Sicherheit), Les pertes d' Emploi (der Verlust des Arbeitsplatzes) und Les dangers de la Xénophobie (die Gefahren der Fremdenfeindlichkeit).

Wie man sieht, befinden sich die belgischen Genossen mit ihrer erklärten Gegnerschaft zu "S-E-X" dieser Art auf einem guten Weg, der nichts mit Prüderie zu tun hat.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

Raute

Über Oskar Schindlers falsche Aura des "Judenretters"

Ein Faschist im "Mantel der Geschichte"

Wer Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste" gesehen hat, war beeindruckt von der zu Herzen gehenden Story des Weges jüdischer Zwangsarbeiter aus dem Krakówer Ghetto in die Obhut des menschenfreundlichen deutschen Eigentümers einer Emaille-Fabrik, die Töpfe für den Endsieg herstellte, bis in das vom gleichen Barmherzigkeitsfanatiker im mährischen Brnenec (Brünnlitz) eingerichtete Konzentrationslager. Dort betrieb er bis zum 8. Mai 1945 aus "rein humanitären" Motiven eine Munitionsfabrik. Die angeblich von Schindler diktierte Liste hat es in Wahrheit nie gegeben. Die überlieferten Aufstellungen mit unterschiedlichen Daten sind lediglich Verzeichnisse der im KZ inhaftierten einsatzfähigen jüdischen Zwangsarbeiter. Oskar Schindlers durch die geschichtliche Realität in keiner Weise belegte Großtaten wurden 1965 von Bundespräsident Heinrich Lübke - durch die DDR als KZ-Baumeister enttarnt - mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, 1967 von Yad Vashem durch Einstufung als "Gerechter unter den Völkern" und 1968 durch die Verleihung des päpstlichen Silvesterordens gewürdigt. Der 1908 im mährischen Svitavy Geborene verstarb 1974 in Hildesheim.

Die tschechische Autorin Jitka Gruntová, eine orts- und landeskundige Historikerin, zugleich auch promovierte Pädagogin, hat es in Jahren akribischer Nachforschung in nationalen und internationalen Archiven vermocht, jenes Geflecht aus Legenden, Lügen und Tatsachen zu entwirren, das Schindler und seine Lobby um dessen Wirken während der letzten zwei Kriegsjahre gewoben haben. Ihre Erkenntnisse gründen sich auf exakte Belege, soweit das die Akten- und Quellenlage heute noch zuläßt. Dabei ist sie nicht selten auf mangelnde Sorgfalt von Journalisten und Buchautoren sowie auf verständliche, aber bisweilen auch gewollte Gedächtnislücken von Zeitzeugen gestoßen. Diese waren in mühsamer Kleinarbeit zu schließen und zu verifizieren. Archive in Polen und Tschechien, aber auch Yad Vashem in Jerusalem, das Bundesarchiv in Dahlem und das Simon-Wiesenthal-Zentrum verwahren die Dokumente.

Schindlers erhalten gebliebenes Strafregister aus den 30er Jahren belegt kriminelle Energie. Seit 1935 war Schindler als Staatsbürger der Tschechoslowakei ein Agent der faschistischen Abwehr unter Admiral Canaris. Ab 1944 gehörte er dem Sicherheitsdienst (SD) an. Schon 1935 hatte sich Schindler der sudetendeutschen Henlein-Partei angeschlossen. 1938 trat er dann auch der NSDAP bei. Im Sommer desselben Jahres - Monate vor der Besetzung Svitavys durch Hitlers Wehrmacht am 10. Oktober - wurde von tschechoslowakischen Behörden gegen ihn wegen militärischen Verrats ermittelt. Er wurde daraufhin verhaftet. Nur das Münchner Abkommen vom 30. September 1938 vermochte ihn zu retten.

Schindler begab sich noch im September 1939 - den faschistischen Eindringlingen auf dem Fuße folgend - nach Kraków. Er reiste dorthin keineswegs als simpler Geschäftsmann, sondern als besoldeter Agent der Nazi-Abwehr. Im Wege der "Arisierung" Fabrikbesitzer geworden, stärkte Schindler durch Ausbeutung jüdischer Arbeitssklaven die deutsche Kriegswirtschaft. Er machte ein Vermögen und mißbrauchte im letzten Kriegsjahr die gefangenen Juden als seine persönliche Überlebensversicherung. Für die durch ihn betriebenen, ihren jüdischen Eigentümern entrissenen Fabriken erhielt er später von der BRD einen "Lastenausgleich" und bezog über Jahre hinweg unterschiedliche staatliche Renten.

1949 floh Schindler nach Argentinien. Tat das ein Retter von Juden? Auf dem Schiff, das ihn und seine Frau angeblich mit Tickets der jüdischen Hilfsorganisation Joint nach Südamerika brachte, sollen sich - Angaben von Emilie Schindler zufolge - auch führende Nazis befunden haben, denen die Flucht im Rahmen der "Aktion Odessa" ermöglicht worden war. Ob auch Schindler selbst dazu gehörte, bleibt so lange ungeklärt, bis die entsprechenden Geheimdienstarchive geöffnet werden. Sein sorgfältig aufgebautes Fabrikanten-Image war jedenfalls nur die Legende für eine sehr umfassende nachrichtendienstliche Tätigkeit. Am Ende des Krieges wurde Oskar Schindler in Polen und in der Tschechoslowakei als mutmaßlicher Kriegsverbrecher gesucht.

Ungeachtet dessen ließ es sich die BRD nicht nehmen, die Roman- und Filmfigur Schindler trotz des ihn schwer belastenden Sachverhalts mit Sonderbriefmarken anläßlich seines 100. Geburtstages zu ehren. An Schindlers Häusern in Frankfurt am Main, Regensburg und Hildesheim wurden - offenbar von der Sudetendeutschen Landsmannschaft gesponserte - Erinnerungstafeln angebracht. Im Raum 22 der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand stellt man den "guten Nazi" unverdientermaßen mit Menschen in eine Reihe, die tatsächlich gegen den Faschismus gekämpft haben. Als Quelle führt die museale Einrichtung Keneallys Roman "Schindlers Liste" an, obwohl seit mindestens zehn Jahren seriöse Informationen in Buchform wie im Internet zugänglich sind. Das Gebäude einer in Berlin-Hohenschönhausen abgewickelten Schule trägt bis heute den Namen "Oskar-Schindler-Haus". Das Fichte-Gymnasium in Krefeld empfiehlt per Bildschirm für den diesbezüglichen Unterricht in Klasse 10 die "Erarbeitung der Mitleidsethik anhand des Wirkens von Oskar Schindler während der NS-Zeit". An deutschen Schulen Ethik lehrende Studienräte können sich auf ein ähnlich geartetes Unterrichtswerk aus dem Bamberger Buchner-Verlag stützen, das 2009 schon in zweiter Auflage zur Verfügung stand.

Bei bayerischen, pfälzischen, thüringischen und sächsischen Bildungseinrichtungen und Vereinen geht im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung seit Jahren eine argentinische Staatsbürgerin mit einer Wanderausstellung und einer Biographie Emilie Schindlers auf Vortragstournee. Es handelt sich dabei um ein auf Wahrheiten, Halbwahrheiten und Legenden beruhendes Konvolut, das der exakten Prüfung nicht standhält.

Schindler war bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit emsig bemüht, mit eigenen PR-Aktivitäten ein Image zu pflegen, das seine Rolle als Sklavenhalter und Kriegsgewinnler in die eines Wohltäters umwandeln sollte.

Die andere Seite der Medaille: Auch der kleine Kreis von Schindler tatsächlich protegierter Juden brauchte wiederum den Nazi-"Beschützer" als eigene Nachkriegs-Lebensversicherung. Diese einstmals bevorzugten Gefangenen wurden nämlich von Simon Wiesenthal und nach der Staatsgründung Israels von dessen dafür zuständigen Organen unter dem Aspekt möglicher Kollaboration mit ihren Kerkermeistern kritisch abgeklopft und mit Argwohn betrachtet. So bekam die eindrucksvolle Darstellung der Einflußnahme von Juden in Schindlers enger Umgebung auf ihren "Retter" einen eigenen Sinn. Das hat offenbar auch einen ehemaligen Insassen, der später Richter am Obersten Gericht Israels wurde, dazu bewogen, manche "Taten" Schindlers zu heroisieren oder gar zu erfinden. Steven Spielberg setzte das Ganze dann effektvoll in Szene.

Klaus Kukuk, Berlin


Unser Autor war DDR-Diplomat in der CSSR und gehört heute der durch Dr. Hans Modrow geleiteten Arbeitsgruppe Mittel- und Osteuropa bei der Partei Die Linke an. Er ist Herausgeber und Übersetzer des Buches von Jitka Gruntová: Die Wahrheit über Oskar Schindler - Weshalb es Legenden über "gute Nazis" gibt. edition ost 2010, 288 S., 14,95 €, ISBN 978-3-360-01815-1

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Von der "Spur der Steine" zur "Spur des Lebens"

Der Bekennermut des Erik Neutsch

Mit "... gleichem Sinn und Mut" schickte mir Erik Neutsch "in alter Verbundenheit" sein neuestes Buch "Spur des Lebens". 46 Jahre zuvor erschien in der DDR sein erster und wohl zugleich meistgelesener Roman "Spur der Steine". Die 34. Auflage kam im Jahr 2008 heraus. Mit der offenbar gewollten Verwandtschaft beider Titel spannt er nun für seine Leser den großen geistigen Bogen des Schaffensprozesses eines der erfolgreichsten sozialistischen Schriftsteller der DDR. "Was ich mit der 'Spur der Steine' tat", so blickt er darin zurück, "war nichts anderes, als daß ich über die Welt schrieb, aus der ich kam ... Zugespitzt: Ich erzählte in dem Roman von meiner Klasse wie Thomas Mann von der Seinigen in den Buddenbrooks ... Balla und Horrath könnten meine Brüder gewesen sein ...", sagt er selbstbewußt, wie ich ihn seit Jahrzehnten kenne. Ein Kämpfer vor dem Herrn, der mit seiner Literatur vier Jahrzehnte Neuland durchpflügte und damit bis heute tiefe Furchen gezogen hat.

Sein Held ist der arbeitende Mensch. "Ich habe mit den Ballas in Bauhütten gelebt, bin mit ihnen vom Gipsschwefelsäurewerk Coswig nach Buna ... habe im Kombinat Bitterfeld an den Chlorzellen gestanden und die Giftdämpfe über mich ergehen lassen ..." Dem Vorwurf, Neutsch habe auf diese Weise die Realität in seine Bücher geschaufelt, weist er auf die ihm eigene Art zurück: "Mir soll's recht sein, besser so, als daß die Realität bei mir mit Teelöffeln serviert wird." Für ihn ist der sozialistische Realismus ein ästhetisches Programm, eine Schaffensmethode der Kunst, basierend auf dem wissenschaftlichen Sozialismus. Und dabei bleibt es für ihn auch. Die Überzeugtheit als Marxist ist das Fundament seiner schriftstellerischen Arbeit, Stützgerüst von Prosa und Poesie. Ein anstrengender Mensch, wenn es darum geht, ein unduldsamer, wenn Opportunismus und unbegründete Zweifel das Ziel aus dem Auge verlieren lassen.

Unsere erste Begegnung liegt mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. "Gleichen Sinns" waren wir schon damals, als wir noch Tür an Tür in der Redaktion der halleschen SED-Zeitung "Freiheit" arbeiteten. Erik, vom damaligen Chefredakteur Horst Sindermann auf den Stuhl des Leiters der Kulturredaktion gesetzt, und ich, aus der Gewerkschaftsjugend der IG Metall kommend, fand in der Wirtschaftsabteilung zunächst meinen Platz. Jeder wollte wohl in dem für uns neuen Metier auch die geschundene Welt aufs neue entdecken. Und ich erinnere mich heute noch, wie darüber eine Diskussion zwischen uns zwar gleichen Mutes, aber mit jugendlichem Elan geführt, bei einer geborstenen Porzellanvase endete. Der eine warf sie und der andere konnte ihr gerade noch ausweichen. Von da an kreuzten sich unsere Wege oft, haben wir uns in den folgenden fünf Jahrzehnten im besten Sinne des Wortes schätzen gelernt.

Eriks literarische Arbeit umfaßt unterdessen mehr als dreißig Romane, Erzählungen, dramatische Werke, Gedichte, Kinderbücher und Essays. Seine Texte wurden in zwanzig Sprachen übersetzt. All dem, besonders aber dem Sinn seines schriftstellerischen Schaffens geht er jetzt in "Spur des Lebens" nach, offen und ehrlich bis ins persönliche Detail, aber wie immer auch prinzipiell. Das Wichtigste: Er hat nach 1989/90 nicht aufgegeben, sondern weitergemacht - gleichen Sinnes, gleichen Mutes. 1994 erschien sein Roman "Totschlag" und 2003 sein Grünewald-Roman "Nach dem großen Aufstand".

Dem Tod seiner Frau widmete er die mich ganz besonders, aber auch viele andere Menschen tief bewegende Erzählung "Verdämmerung" sowie Gedichte über die Liebe und das Sterben. Am fünften Buch vom "Friede im Osten" wird, wie er sagt, "gearbeitet".

Mit "Spur des Lebens" zieht der fast achtzigjährige Autor Bilanz. Es geht um das in zwei gegensätzlichen Welten Erreichte und Verlorene, vor allem aber um vierzig Jahre literarischen Schaffens in der DDR "auf der Höhe der Zeit und in der Breite des Raumes ... mit einer lesbaren und volksverbundenen Prosa". Dazu liegen nun 225 Buchseiten vor. Sie sind das Ergebnis eines eineinhalb Jahre - wie man spürt - nicht immer widerspruchsfrei geführten Gesprächsmarathons zwischen Erik Neutsch und seinem einstigen Lektor beim Mitteldeutschen Verlag in Halle, Klaus Walther. Mit viel Zeitaufwand sind Fragen und Antworten gestellt, erteilt, diskutiert und schließlich zu Papier gebracht worden. Eine schöpferische, interessante und kollektive Spurensuche.

Sie beginnt in dem Gesprächsbuch dort, wo Neutsch seine "Spur der Steine" fand. Als Kulturredakteur der "Freiheit" von der Partei nicht verstanden, wird er als Reporter auf die Baustellen des Chemieprogramms der DDR geschickt. Heute darüber nachdenkend, bezeichnet er es als Glück, daß ihm diese "Wegkrümmung" widerfuhr. "Wer den Sozialismus will, soll auch für ihn schreiben", ist seine Meinung.

Das Verlangen des Autors wird zum Bekenntnis für die DDR: "Ich bin so geworden, auch Schriftsteller, weil ich als Arbeiterjunge alle Möglichkeiten hatte, sorgenfrei und ohne mich verkaufen zu müssen zu studieren und mir auch sonst ein umfangreiches Wissen anzueignen."

Mein Institut für Publizistik ..., lob ich mir, könnte er frei nach Goethes Lob auf Leipzig gesagt haben, wenn er über seine Universitätszeit Anfang der fünfziger Jahre Auskunft gibt und sich dabei der Worte seines damaligen Literaturprofessors Hans Mayer bedient: "... Jahre, ... in denen die DDR turmhoch über der geistigen Entwicklung der damaligen BRD gestanden hat."

Erik Neutsch hat "Spur des Lebens" mit Bekennermut geschrieben. Er nennt das Kommunistische Manifest seine "Heilige Schrift" und bezeichnet die DDR als die bisher größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung, deren Zusammenbruch das Werk der Konterrevolution war. Es sei darum gegangen, "den Osten wieder im Westen stattfinden zu lassen". Er vergleicht das erstmals in der deutschen Geschichte in Staatsform begonnene Unterfangen, eine Gesellschaft ohne Banken und Monopole, Hochadel und Großgrundbesitzer samt deren Macht- und Militärapparats zu errichten, seiner Bedeutung nach mit der frühbürgerlichen Revolution zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Literatur, die realistisch sein wolle, mache ohne ein wissenschaftlich sauberes Geschichtsbild nicht einmal die Hälfte des Wertes aus. Dem ist kaum etwas entgegenzusetzen. Das Buch sollte des eigenen Erkenntnisgewinns wegen gelesen werden.

Dr. Hans-Dieter Krüger

Unser Autor war jahrzehntelang Chefredakteur der Tageszeitung "Freiheit", Halle (Saale).


"Mein Glück war, ... fast ein halbes Jahrhundert meine schöpferischsten Jahre in einer Gesellschaft gelebt zu haben, die von Grund auf den humanistischen Idealen der Menschheit verpflichtet war, die der Solidarität und nicht der Konkurrenz den Vorzug gab, und dann, an ihrer Gestaltung nach besten Kräften mitgearbeitet zu haben ...

... Das war das große Glück, und vorerst weiß niemand, wann es wieder als solches empfunden und ein neuer Versuch gewagt wird, die Herrschaft des Volkes, mit weniger Irrtümern als wir sie begingen, zu errichten."

(Aus "Spur des Lebens")

Raute

Wie der Staat den christlichen Großkirchen Milliardenbeträge zuschanzt

Ein Violettbuch trifft ins Schwarze

Dieses Buch kommt genau zur rechten Zeit. Angesichts der seit dem Sommer geführten Debatten um die sogenannten Staatsleistungen, so in Schleswig-Holstein durch die FDP oder in Sachsen durch die PDL und die "Grünen" angeschoben, liefert Carsten Frerk mit seinem "Violettbuch" ein fundiertes Argumentationsmaterial zur sachlichen Auseinandersetzung mit der Frage der Kirchenfinanzierung. Daß Frerk nicht bloß einsamer Rufer in der Wüste ist, zeigen auch weitere politische Vorgänge des Jahres 2010: In der SPD ist ein bundesweiter Arbeitskreis "Laizisten" in Gründung, und aus der Linksfraktion des Bundestages verlautete, man arbeite an einem Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen.

Doch zum "Violettbuch" selbst: Carsten Frerk hat es der Komplexität des Themas halber in drei Kapitel gegliedert. Kapitel I geht dem Thema Kirchensteuern auf den Grund und räumt gleich eingangs mit der Legende auf, diese seien eine Konsequenz aus dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803. Die Kirchensteuer an sich - wie sie heutzutage und hierzulande üblich ist - wurde nämlich erst mit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 eingeführt. Diese Steuer, die man auch als eine Art Mitgliedsbeitrag bezeichnen könnte, sollte im Zuge der Aufhebung der bisherigen Staatskirchen die christlichen Religionsgemeinschaften vom Staat unabhängig machen. Dieser war ohnehin nur verpflichtet, den Kirchen die allgemeinen Steuerlisten zur Verfügung zu stellen, damit diese selbständig (und auf eigene Kosten) die Gelder von ihren Gläubigen eintreiben konnten. Erst das NS-Regime hat den Kirchensteuereinzug durch die sogenannten Arbeitgeber - beginnend mit dem 1. Januar 1935 - als staatliche Aufgabe eingeführt.

Das geschah in engem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit dem Reichskonkordat vom 20. Juli 1933, welches zwischen dem "Heiligen Stuhl" und der Hitler-Regierung geschlossen wurde. Diese Gesetzgebung ist in der BRD bis heute fortgeltendes Recht! Mit dem NS-Gesetz wurde auch die Angabe der Religionszugehörigkeit auf den Lohnsteuerkarten eingeführt. Die Einnahmen beider Kirchen durch diese Zwangsabgabe und die entstehenden Einnahmeverluste der öffentlichen Haushalte liegen im Milliardenbereich.

Frerk räumt in diesem Zusammenhang ebenfalls mit der frommen Legende auf, die selbst von vielen Nichtgläubigen und politisch links Eingestellten geglaubt wird, auf, die Kirchensteuern würden der Finanzierung sozialer Einrichtungen der Religionsgemeinschaften dienen. Die Recherchen des Autors führten zu dem Ergebnis, daß die Ausgaben von Caritas und Diakonie nur zu etwa 2 % von den Kirchen getragen werden. Der "Rest" kommt aus öffentlichen Haushalten, wird von Sozialkassen und aus Gebühren der Bürger finanziert. Den Hauptteil des "Violettbuches" bildet das zweite Kapitel über Staatsleistungen. Hier widerlegt Frerk die ebenfalls verbreitete Behauptung, die staatlichen Zahlungen an die christlichen Großkirchen seien der Ausgleich für die Säkularisation und damit einhergegangene "Enteignungen der Kirchen". Der Autor hat sich in dem für diese These herangezogenen Reichsdeputationshauptschluß von 1803 kundig gemacht: "Da steht nichts von Entschädigung", stellt er fest. Ganz abgesehen davon, daß die damals betroffenen Gebiete der katholischen Kirche nicht gehört hätten. "Es handelte sich um Lehen im Eigentum des Kaiserreichs." Lediglich der Erhalt der Dome und eine lebenslange Apanage für die damals entthronten geistlichen Landesherren seien vereinbart worden. Man habe den Kirchenbesitz an Grund und Boden nicht angetastet.

Ergänzend sei gesagt: Die katholischen Fürstbischöfe oder Fürstäbte amtierten immer nur auf Lebenszeit, konnten und durften ja des Zölibats wegen keine Dynastien begründen. Befristete Apanagen-Ansprüche aus jener Zeit können nicht in die Gegenwart fortgeschrieben werden. Alle anderslautenden Behauptungen und die aktuelle Praxis bezeichnet Frerk als "Erfolg des kirchlichen Lobbyismus und Produkte der Phantasie von "Staatskirchenrechtlern". Die Kirche mit ihren Privilegien sei ein "feudaler Fremdkörper" im heutigen Staat.

Der Autor hat in mühevoller Kleinarbeit eigene Angaben der christlichen Großkirchen zusammengestellt. Aus ihnen ergibt sich, ohne Berücksichtigung von Caritas und Diakonie, ein Großgrundbesitz von rund 825.000 Hektar. Es handelt sich zumeist um land- und forstwirtschaftliche Flächen, aber auch um immensen Immobilienbesitz in Innenstadtlagen. Übrigens ist der Grundbesitz der Kirchen auch in der damaligen SBZ und späteren DDR nicht enteignet worden.

Daß die sogenannten Staatsleistungen keinen Ewigkeitsanspruch darstellen (können), weist Frerk anhand der Texte von Reichsdeputationsschluß, Weimarer Reichsverfassung und Grundgesetz nach. Und die beiden letzten stellen sogar einen eindeutigen "Ablösebefehl" dar, damit endgültig Staat und Kirche voneinander getrennt werden. Im dritten Kapitel geht Carsten Frerk auf das Thema "Sozialstaat und Kulturstaat" ein. Auch hier gibt er sich mit den Fakten nicht zufrieden, sondern spürt der Frage nach, warum sich die christlichen Großkirchen ungebrochen neben oder gar über den Staat stellen, warum sie unbedingt Kindergärten und andere soziale Einrichtungen unter ihren Einfluß bringen wollen, wobei fast alles nicht von ihnen bezahlt wird.

Was wollen die Kirchen eigentlich? Es geht ihnen wohl ausschließlich um die Missionierung der Un- und Andersgläubigen! Nicht mehr wie einst mit Feuer und Schwert, sondern per Indoktrinierung von Kindesbeinen an.

Akribisch listet der Autor die mannigfaltigen Einnahmen der Kirchen auf, die im Jahr mehr als 19 Milliarden Euro ausmachen. Möge dieses Buch weiteste Verbreitung finden, vor allem aber Gehör bei Politikern in Bund und Ländern, damit diese endlich den schon 1919 formulierten Verfassungsauftrag erfüllen!

Siegfried R. Krebs, Legefeld


Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen,
Alibri-Verlag, Aschaffenburg 2010,
270 S., 16 €, ISBN 3-86569-039-5

Raute

Als der Bergmann Adolf Hennecke mit einem Asternstrauß nach Hause kam

Am 13. Oktober - zu DDR-Zeiten beging man ihn dann jahrzehntelang als "Tag der Aktivisten" - brachen etwa 50 Mitglieder des Arbeitskreises Kultur- und Bildungsreisen beim Ostdeutschen Kuratorium von Verbänden ins einstige Oelsnitzer Bergbaurevier auf. Ihr Ziel war das Gelände des Karl-Liebknecht-Schachtes, auf dem sich seit 1986 das größte Steinkohlebergbau-Museum Deutschlands befindet. In den Ausstellungsräumen erfährt man Interessantes über die Entwicklung in einer Region, wo seit 1844 Steinkohle abgebaut wurde.

In einer Vitrine sind spannende Briefe zu entdecken. Nach einem schweren Grubenunglück, das sich im Juli 1867 im Oelsnitz-Lugauer Revier ereignet hatte und bei dem 101 Kumpel in der Tiefe umgekommen waren, schilderten die Bergleute in einem Brief an Karl Marx ihre miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen. Am 13. Januar 1869 unterzeichneten sie dann ihre Beitrittserklärung zur Ersten Internationale.

Zwischen 1900 und 1936 strömten Tausende Arbeitsuchende aus allen deutschen Landen, aber auch aus Italien, Tschechien und Polen in dieses Revier. Zu ihnen gehörte der junge Adolf Hennecke, der aus dem Rheinland stammte und hier sein Glück versuchen wollte.

Im Museum wird - und das ist heutzutage keineswegs selbstverständlich - auf jene bahnbrechende Aktivistenschicht verwiesen, welche ein bis dato völlig unbekannter Bergmann am 13. Oktober 1948 vollbrachte. Sein Foto und seine Berufskleidung sind mit dem Hinweis ausgestellt, Hennecke habe in einer Schicht 24,4 m³ Steinkohle gefördert und damit die vorgegebene Norm mit 387 % übertroffen.

Wir waren natürlich mit der Absicht nach Oelsnitz gefahren, an Ort und Stelle Genaueres gerade darüber in Erfahrung zu bringen. So freute es uns sehr, daß sich unter den Oelsnitzer Besuchern des Museums auch ein Mann befand, der zu jener Zeit als Lehrling in der Grube gearbeitet hatte. Der inzwischen ergraute Günter Löffler sprach geradezu enthusiastisch von jener legendären Schicht, an der er persönlich teilgenommen hatte, da die in der Ausbildung Befindlichen das heruntergefallene Gestein auf ein Förderband zu schippen hatten. "So konnten wir zu der großen Tat Adolf Henneckes einen Beitrag leisten", sagte der frühere Bergmann nicht ohne Stolz.

Unserer Reisegruppe gehörte Hannelore Graff - die jüngste Tochter des in der DDR hochgeehrten Bergmanns - an. Sie kann sich noch gut daran erinnern, wie ihr Vater am späten Nachmittag des denkwürdigen Tages mit einem Auto nach Hause gebracht wurde. Obendrein hielt er noch einen Strauß bunter Astern in der Hand - ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang, denn in jener Zeit kam es wohl kaum vor, daß ein Arbeiter mit Blumen von der Schicht heimkam. Adolf Hennecke bekannte später, dieser Strauß sei ihm recht peinlich gewesen. Übrigens hatte niemand im Familienkreis, nicht einmal seine Frau, von dem Vorhaben etwas gewußt.

Kurz nach dem Krieg fehlte es in der sowjetischen Besatzungszone nicht nur an Rohstoffen, Werkzeugen und Ersatzteilen im Schacht - Voraussetzungen einer kontinuierlichen Förderung -, sondern auch an qualifizierten Arbeitskräften. Der Abbau in 600 m Tiefe war enorm schwer. Hinzu kam die schlechte Versorgungslage. Da war es verständlich, wenn viele sagten, sie wollten erst besser essen, dann könnten sie auch mehr arbeiten. Unter den gegebenen Bedingungen wurde von den meisten Bergleuten die Norm nicht erfüllt. Deshalb sollte ein Signal gesetzt werden, um die Kumpel zu höheren Leistungen anzuspornen.

Ursprünglich war Adolf Hennecke nicht für die geplante Sonderschicht vorgesehen, doch jener Hauer, welcher zuerst angesprochen worden war, hatte abgelehnt. So stellte er sich der Herausforderung und überbot seine eigene Vorgabe von 250 % ganz erheblich. Natürlich kam diese Leistung auch aufgrund einer entsprechenden Arbeitsorganisation und mit Unterstützung anderer zustande. Hennecke erhielt eine zu damaligen Zeiten beachtliche Prämie. Wie seine Tochter Hannelore berichtet, bestand sie aus einem Anzugstoff, einer Flasche Schnaps, drei Schachteln Zigaretten, 500 g Fett und 50 Mark. Hinzu kam der aufsehenerregende Asternstrauß.

Nicht alle waren von der beispielhaften Tat begeistert. Am Morgen nach der Schicht fand sich kaum einer seiner Kollegen bereit, mit Hennecke zu sprechen. Als normendrückender "Arbeiterverräter" wurde er beschimpft. Doch schon nach wenigen Tagen begann sich das Blatt zu wenden. Man berichtete von weiteren Stoßschichten. Der Schacht erfüllte Ende Oktober erstmals das Soll. Bei Normüberbietung gab es zusätzliche "Freßpakete", die wiederum den Arbeitseifer anregten.

Wie schwer das Ganze damals war, konnten wir bei unserer Besichtigungstour nur erahnen. Man brachte uns mit dem Fahrstuhl in 560 "Museumsmeter" Tiefe, wo wir einen einzigartigen Einblick in die Gestaltung der ziemlich niedrigen Stollen und die Arbeit unter Tage bekamen.

Übrigens wurde auch der Schleier über dem "Museumsmeter" gelüftet. Wir waren der Annahme, zumindest einige Meter unter Tage zu sein, erfuhren dann aber, daß die gesamte Stollenanlage oberirdisch angelegt worden war, da der Berg nach wie vor "arbeitet".

Bis 1971 wurde im Oelsnitz-Lugauer Revier Steinkohle gefördert. Am 31. März jenes Jahres verließ der letzte Hunt den Schacht. Heute steht er am Eingang des Museums.

Zielgerichtet wurden damals rund 15.000 im Bergbau Beschäftigte umgeschult. Es entstanden neue Erwerbszweige. Arbeitslosigkeit bedrohte keinen der ausscheidenden Kumpel. Auf dem Gelände des Karl-Liebknecht-Schachts baute man ein Buchungsmaschinenwerk von Robotron, unweit davon einen Betrieb für Textilmaschinen. Beide wurden nach 1990 geschlossen.

Wer mehr über den legendären Aktivisten, der Millionen DDR-Bürgern die Erkenntnis vermittelte, man müsse erst mehr arbeiten, dann könne man auch besser leben, erfahren möchte, soll auf das in Kürze erscheinende Buch Hannelore Graffs "Adolf Hennecke: Ich bin Bergmann, wer ist mehr?" hingewiesen werden.

Dr. Anne-Kathrein Becker, Schönow

Raute

Weshalb sich "Henry" zeitweilig in die schwedischen Wälder zurückzog

In die Stille gerettet

DDR-Erinnerungsliteratur ist heute gefragt. Sie ruft besonders dann Interesse hervor, wenn es um ehrliche Rückblicke geht, Privates und Gesellschaftliches auf das Engste miteinander verwoben werden. Auch Uneingeweihte erhalten einen Einblick in die Beweggründe des Autors, sein Denken und Handeln. Herz, Geist und Gutwilligkeit vorausgesetzt, können auf solche Art Brücken zwischen Menschen in Ost und West geschlagen werden. Einer von jenen, welche dies versuchen, ist Harry Popow alias Henry Orlow, dessen autobiographisches Buch "In die Stille gerettet" erst kürzlich im Engelsdorfer Verlag herauskam.

In Tagebuchnotizen erzählt der Verfasser, warum sich Henry, ein fast 60jähriger Mann, der den Krieg als Kind hatte erleben müssen und sich dann voller Überzeugung im DDR-Alltag zu bewähren suchte, nach der "Rückwende" zusammen mit seiner Frau in die Stille der schwedischen Wälder absetzte. Das geschah sechs Jahre nach dem Anschluß seines Landes an einen ihm fremden Staat. Er wurde weder getrieben noch steckbrieflich gesucht, nicht einmal persönlich verunglimpft. Gab es da an Vergangenes anknüpfende Träume und die Unvereinbarkeit seines Lebens mit den neuen Zuständen?

Im von Wald umgebenen eigenen Holzhaus kramt Henry in alten Notizen, Briefen und Erinnerungsstücken, sammelt und hält fest, was ihn am großen Vorhaben fesselte, ein dem Frieden verpflichtetes neues Deutschland aufzubauen. Angesichts des gesellschaftlichen und staatlichen Absturzes, den er 1989 erlebte, blickt der einstige Militärjournalist und Oberstleutnant zurück in die Kindheit mit seiner liebevoll sorgenden russischen Mutter, die 1955 aus Moskau zu ihrem in Berlin lebenden Mann übergesiedelt war. Er berichtet von Bombennächten in Berlin und der endlichen Befreiung. Eindrucksvoll wird geschildert, wie junge Leute am 11. Oktober 1949 mit Fackeln in den Händen die Gründung der DDR begingen. Er macht den Leser mit seiner Lehrzeit im Zwickauer Kohlenrevier, der Arbeit als Kollektor bei der Staatlichen Geologischen Kommission, dem Dienst als Offizier und Ausbilder der NVA vertraut. Später ist er Reporter der Wochenzeitung "Volksarmee" und - nach 32 Militärjahren - Journalist beim Fernsehen der DDR.

Was aber bewegt Henry, als er 1989 unter dem Vorwurf mangelnder Wachsamkeit in die Mühlen der Parteikontrolle gerät? Was geht ihm durch den Kopf, als seine älteste Tochter gar mit ihrem Freund - wie damals Tausende andere dieses Alters - nach Budapest reist und nicht mehr in die DDR zurückkehrt?

Am Ende führt der Authentisches vermittelnde Report den Leser wieder in die schwedische Waldsiedlung zurück. Dort verbringt Henry alias Harry Popow mit seiner Frau, die er 1957 als Offiziersschüler kennengelernt und später geheiratet hat, neun erfüllte Jahre. Er steht in freundschaftlichem Kontakt mit den Ortsansässigen. Geburtstage, Mittsommerfeiern und wechselseitige private Besuche zählen in der Erinnerung an diese Zeit. Erst 2005 kehren beide zu ihren Kindern und Enkeln zurück.

Das Buch ist eine anrührende Liebesgeschichte von "Cleo" und "Henry", der auch im Alter seine Vision eines besseren Deutschlands nicht aufgegeben hat.

Horst Jacks


Harry Popow: In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder.
Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2010, 308 Seiten, 16 €, ISBN 978-3-86268-060-3

Raute

"Liberatio": eine Hommage an Alfred Hrdlicka

Die augenscheinlich unkritische Haltung vieler Mitbürger zum Geschehen in der BRD veranlaßte mich, nicht länger nur zuzusehen und auf andere zu warten, sondern selbst mit meinen Möglichkeiten als Bildhauer aktiv in den Lauf der Dinge einzugreifen.

Dies soll auch in der Studie "Liberatio" zum Ausdruck kommen, die ich als Hommage an Alfred Hrdlicka auffasse. Eine Säulenform, die sich spiralförmig in einzelnen Körperteilen entwickelt, stellt die überdimensionale Faust mit den gesprengten Fesseln in das Zentrum der Skulptur. Sie symbolisiert die Freiheit, die Erlösung aus den eigenen Zwängen und jenen, welche von der kapitalistischen Gesellschaftsordnung auferlegt werden. Nur durch Zusammenführung aller fortschrittlichen Kräfte der BRD kann eine Veränderung der Verhältnisse herbeigeführt werden.

Die Körperteile für sich gesehen ergeben noch keinen erkennbar aufrüttelnden, zukunftsorientierten Zusammenhang. Nur insgesamt, sich bedingend und ergänzend, vermitteln sie revolutionären Geist, Kraft und Zuversicht - hin zur sich befreienden großen Faust - dem Symbol des Widerstandes. Die Säulenform reduziert die Gestik auf ein Minimum und lenkt die ganze Konzentration auf die Plastizität, die Durcharbeitung des Körpers.

Bernd Graf, Pasewalk

Raute

Ein Lyriker, Dramatiker und Erzähler, der sich auch als Maler profilierte

Das facettenreiche Schaffen Armin Müllers

Erfolgreich erprobte sich Armin Müller während eines halben Jahrhunderts in allen literarischen Gattungen und vielen Genres. Sein Schaffen auf diesem Gebiet umfaßt sechs Lyrikbände, zwei Kantaten, drei Reportagen, acht Hörspiele, drei Bühnenstücke, sieben Erzählungen, ein Tagebuch, einen Roman und elf Fernsehspiele beziehungsweise Filme. Seit 1978 zählte er dann auch zu den Poeten mit der Palette. Er schuf weit über 200 meist kleinformatige Gemälde, die in zahlreichen Ausstellungen Beachtung fanden.

Armin Müller wurde am 25. Oktober 1928 in Schweidnitz (heute: Swidnica) geboren. Als blutjunger Mensch 1944 noch zum "Volkssturm" eingezogen, prägten ihn als Grunderfahrungen das Erlebnis des Krieges und der Verlust seiner böhmischen Heimat. Seit 1945 lebte er in Weimar, wo Müller journalistisch tätig war. Sein Weg als Autor führte ihn von der Lyrik über die Reportage zu Hörspiel und Erzählung. Den ersten Gedichtband unter dem Titel "Hallo Bruder aus Krakau!" legte er 1949 vor. Aus aktuellem Anlaß verfaßte er 1957 das Gedicht "Ich habe den Thunfisch gegessen", um gegen die radioaktive Verseuchung des Pazifiks aufzurufen.

Armin Müller wandte sich früh der Prosa zu, wie in der Erzählung "Kirmes" (1952) und der Polen-Reportage "Sommerliche Reise ins Nachbarland" (1953). Besondere Resonanz fanden die vieldiskutierten Erzählungen "Meine verschiedenen Leben" (1978), "Der Magdalenenbaum" (1979) und "Taube aus Papier" (1981). Im Mittelpunkt des "Magdalenenbaums" stand eine Gemeindeschwester und deren zupackendes Vorgehen. Den Höhepunkt im Prosaschaffen Müllers bildete sein poetischer Roman "Der Puppenkönig und ich" (1986). In seinem poesievollen Tagebuch "Ich sag dir den Sommer ins Ohr" (1989) offenbarte er sein Verbundensein mit der Natur und seine Auseinandersetzungen mit Kunst, Krankheit und Tod. - Als "Stückeschreiber" debütierte Müller 1971 mit "Franziska Lesser". Am Deutschen Nationaltheater Weimar erlebte seine dramatische Erzählung "Sieben Wünsche" dann 1974 ihre Uraufführung. In dem lyrischen Theaterstück "Der Goldene Vogel" (1975) stellte er eine sich entwickelnde Liebe vor. Müller brachte in den siebziger Jahren lyrisch-poetische und phantastische Elemente in die DDR-Dramatik ein. Nach seinen Hörspielen entstanden einige Fernsehspiele, wie "Am dritten Montag" (1964). Mit Walter Baumert schrieb er das vierteilige Fernsehkriminalspiel "Geheimcode B 13" (1967) und die Kriminalfernsehfolge "Der schwarze Reiter" (1967). Müllers Fernsehroman "Jede Stunde deines Lebens" wurde 1969 in drei Teilen gesendet. Rainer Behrendt drehte zehn Jahre später nach dem "Magdalenenbaum" einen DEFA-Film mit Christine Schorn.

Ab 1978 begann sich der Schriftsteller - wie bereits angedeutet - auch als Maler zu profilieren. Er bekannte: "Was das Schreiben angeht, muß ich gestehen, daß es mich immer sehr mitgenommen hat, anders als das Malen, das mir ein schönes Hobby war." Auf seinen phantasievollen Bildern erheben sich Kinder auf weißen Pferden in die Lüfte oder erhält eine Hochzeitskutsche Vorfahrt auf einer Straßenkreuzung. Bäume benutzt er als dekoratives Element, wie auf den Bildern "Das war einmal ein Baum" oder "Der Instrumentenbaum". Andere Arbeiten Müllers "erzählen" von Menschen und ihrer Liebe zur Natur, so "Kinderhochzeit" oder "Der Enkel fängt den Frühling ein". Trapezkünstler und Gaukler spielen ihre Rollen in "Der Tod des Clowns" und "Feierabend der Artisten". Die Bilder kennzeichnen "feines und genaues Farbempfinden, Freude am Stimmungshaften und Atmosphärischen". Sie laden ein, auf den Flügeln der Phantasie das alltägliche Leben zu erkunden, um Wirklichkeit zu entdecken. - Müllers Bild-Text-Band "Auf weißen Pferden" (1983) forderte dazu auf, 47 Gedichte zu lesen und 47 Bilder zu betrachten, die in einem künstlerischen Dialog standen. Man bezeichnete ihn als "tief persönliches und eigenwilliges Bekenntnisbuch".

Im "Vorbeiflug des goldenen Fisches" (1993) vereinte der Malerpoet Bilder und Tagebuchblätter, Briefe und Gespräche. Beim Betrachten von "Abschied und Ankunft" (1998) sah man neue Gemälde wie "Nach dem Sturm" und "Hundert Träume". Eine Geschichtenauswahl legte Müller 1999 unter dem Titel "Klangholz" vor. Seit den 90er Jahren erschienen Nachauflagen seiner Bücher aus DDR-Zeiten: "Meine verschiedenen Leben", "Der Magdalenenbaum" und "Taube aus Papier". Auch Müllers besonders erfolgreicher Roman "Der Puppenkönig und ich" erlebte 1997 eine Neuherausgabe. Der beliebte Schriftsteller starb 2005.

Dieter Fechner

Raute

Wie Archie in Berlin Licht und Schatten erlebte

Als Archie 1952 mit Abitur und Holzköfferchen nach Berlin zur Humboldt-Uni zum Studium kam, ohne Aussicht auf Aufenthaltsgenehmigung oder Wohnung mit eigenem Mietvertrag, befand er sich in einer vom Krieg geschundenen und zerbombten Stadt viel öfter in deren freiem, öffentlichem Raum als jemals später. Er war voller Mitleid für die Berliner, die sich mühsam durchs Leben kämpfen mußten.

Archie hatte die Hoffnung, daß man die Stadt nicht mehr so ungehemmt zubauen würde wie in den sogenannten Gründerjahren und zu Zeiten der "Reichshauptstadt", die er allerdings nur aus Dokumentarfilmen kannte.

Ein kurzer Besuch mit der Mutter, vor 1945 aus Breslau kommend und Zuflucht in der entfernteren Verwandtschaft suchend, blieb ergebnislos und vermittelte ihm keinen positiven Eindruck. Ein alter Stadtführer, den er ständig mit sich herumschleppte, bewies Archie schon damals, wie chaotisch Berlin aus den einzelnen Kiezen zusammengewachsen war. Riesenfäuste schienen Steine zu Häusern und ganzen Stadtvierteln zusammengeschoben zu haben, nach Profit und Vermögen, oft auch an völlig unpassenden Stellen. Er wußte zu jener Zeit noch nicht, daß es sich hierbei um das gängige Bebauungsprinzip des Kapitalismus handelte. Sogar ein Toilettenhäuschen wurde abgerissen, wenn sich sein Neubau als lukrativ erwies. Auch im Hinblick auf ganze Wohnareale wurde so verfahren.

Mit der lückenhaften, durchschossenen Stadtlandschaft hatte sich der Student vorerst dann auch abgefunden. Als der Wiederaufbau unter sozialistischen Vorzeichen begann, hoffte Archie auf planvolle Konzepte. Später wurde an den Stadträndern ein großes Programm zur Errichtung von Wohnungen in Angriff genommen. Da brach 1989 die kapitalistische Rückwende über die Stadt herein. Von nun an verlief alles wieder genauso sprunghaft, chaotisch, planlos und störanfällig wie früher.

Wenn Archie heute ins Zentrum fährt, benötigt er den allerneuesten Stadtführer, denn die Szene verändert sich ständig. Manches erscheint ihm unsinnig, vieles ausgesprochen überflüssig, anderes erschwert nur den Verkehr. Hatte ihn früher manche Baulücke gestört, so fehlte sie ihm jetzt als Orientierungshilfe angesichts unzähliger Umleitungen. Architektonisch erscheint ihm mancher Urväter Hausrat dreingestopft, dieser und jener Schnörkel zu viel, ohne ordnende Hand, Originalität um jeden Preis. Dabei hat stets der zahlungskräftigste Investor Vorrang.

Angebliche Sicherheitsmaßnahmen bei der S-Bahn werden inzwischen simuliert, um den Fahrgästen das Nichtvorhandensein von Risiken vorzutäuschen, bis der Schwindel irgendwann auffliegt. Kann sich der Durchschnittsbürger angesichts einer solchen Situation in den öffentlichen Verkehrsmitteln wirklich geborgen fühlen? Bis zu welcher Duldung soll die in der Stadt "mitregierende" Linkspartei, die immer SPD-ähnlicher wird, eigentlich für ihre Beteiligung am Senat dressiert werden? Die Logistiker der Bahn sollten den Offenbarungseid leisten! Undenkbar, daß so ein Chaos in der DDR geherrscht hätte! Unterstellt jedoch, Derartiges wäre damals passiert, was würde dann auf die DDR herniederprasseln, just zu einer Zeit, in der die Bundeskanzlerin von einer US-Journalistin vor dem Washingtoner Capitol als "fleischgewordene Überwindung des Kommunismus" bezeichnet wurde. Zweifellos ein gewagter Vergleich. Ungeachtet dessen versetzt man ihr amerikanischerseits heftige Tritte, sobald es um divergierende Interessen wie bei Opel geht, wo sie Freund Obama ohne Vorwarnung und unter Ignorieren des BRD-"Engagements" in Afghanistan knallhart fallen ließ.

Doch im Rückblick geht es Archie ja vor allem um Berlin als Hauptstadt der DDR. Mit seiner Studentengruppe unternahm er so manche Ausflüge und Erkundungen inner- wie außerhalb von Spree-Athen. Meist handelte es sich um den Besuch historischer und architektonisch wertvoller Stätten. Seine Kommilitonen und er selbst waren aufbauwillig, saßen nicht nur in Hörsälen und Instituten herum, sondern klopften auch Steine direkt davor. Manchen von ihnen ging es mit dem Aufbau rund um die Friedrichstraße und den dazugehörigen Bahnhof zu langsam voran. Es wurde lebhaft diskutiert, als man die Neugestaltung der Leipziger Straße in Angriff nahm und deren Aufbau rasch voranschritt. Obwohl es noch an allen Ecken und Enden fehlte, war es eine aufregende Zeit, weil eine Gesellschaft ihre Architektur und die Rekonstruktion der Hauptstadt in Abhängigkeit von den Bedürfnissen der ganzen Gesellschaft zu planen und voranzutreiben begann.

Westberlin war für uns keine Alternative, auch wenn man dort mal ins Kino oder zu einem Konzert mit Louis Armstrong ging, bevor dieser in den Ostberliner Friedrichstadtpalast kam. Die meisten Studenten meiner Fakultät standen in den 50er Jahren und später zu ihrer Universität und zur Stadt, auch wenn die bürgerlichen Medien der Bevölkerung pausenlos das Gegenteil einreden wollen.

Und so grübelt Archie öfter über diese Zeit nach, die wohl die schwungvollste in seinem Leben war, obwohl es damals so manche Defizite gab. Warum wurde z. B. die Altbausubstanz, vor allem in den traditionellen Innenstadtbezirken Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain, derart vernachlässigt? Sicher ist Altbausanierung langwieriger und kostspieliger als Neubau, aber sie fast zu negieren, sieht man von Ausnahmen wie am Käthe-Kollwitz-Platz ab, war zweifellos eine schwache Kür. Darüber wurde schon in den Jahrzehnten der DDR viel und freimütig diskutiert. Da konnte man das Für und Wider noch sachlich gegeneinander abwägen.

Heute baut, wer Geld hat, einfach wo und für wen er will, am wenigsten aber für jene, die man schamhaft als "Unterprivilegierte" bezeichnet. Seit dem angeblichen Befreiungsschlag und dem Anschluß des Ostens an den Westen mußten viele von uns befremdet erleben, wie die nunmehr Herrschenden mit höhnischem Lächeln über die "Beitrittsländer" herziehen. Archie meint dabei Leute wie Henkel, Teltschick, Herles und allen voran Arnulf Baring, die - kulminierend im letzten Herbst - ohne Unterlaß gegen die DDR eiferten und geiferten, um auch dem Letzten klarzumachen, daß es vor allem um Eigentumsfragen geht. Archie fällt dabei unwillkürlich ein Vers von Eugen Roth ein:

Der Kranke traut nur widerwillig
Dem Arzt, der's schmerzlos macht und billig.
Laßt nie den alten Grundsatz rosten:
Es muß a) weh tun, b) was kosten.

Manfred Hocke


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Vom Weltfriedensrat wurde die Hauptstadt der DDR im Februar 1979 als "Stadt des Friedens" ausgezeichnet - ein Titel, den die neuen Machthaber nicht auf sich beziehen konnten und deshalb tilgen ließen.

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Die "RotFüchse" sind im mächtigsten Industriestaat Zentraleuropas zunehmend zu einem ins Gewicht fallenden Friedens- und Fortschrittsfaktor herangewachsen. Das betone ich als letzter noch in Berlin lebender Deutscher, der zweieinhalb Jahre - bis zum Schluß - am spanisch-republikanischen Freiheitskampf teilgenommen hat. Im September 1936 wurde ich zunächst Miliziano, später Stabsoffizier im 22. Armeekorps.

Im Windschatten der hinterhältigen "Nichtinterventionspolitik" des Westens fielen in der zweiten Hälfte des Jahres 1938 Hinterland-Interventen der antifranquistischen Front der Volksarmee in den Rücken. Vom republikanischen Zentralgebiet aus wurde anschließend mit dem Casado-Putsch die Kapitulation der Spanischen Republik erzwungen. Im Frühjahr 1939 war der Krieg zu Ende. Nur ein halbes Jahr später - die antifaschistische Rückenstütze Frankreichs gab es inzwischen nicht mehr - eröffnete Hitler-Deutschland mit dem Überfall auf Polen den massenmörderischen 2. Weltkrieg.

Unter riesigen Opfern konnten die Rote Armee der UdSSR und die Soldaten ihrer damaligen Alliierten die nazideutschen Menschheitsfeinde niederwerfen. Hoffnungen auf einen sicheren Frieden gingen leider nicht in Erfüllung. Nach dem Anschluß des Friedensgaranten DDR an den Staat des deutschen Imperialismus kämpfen heute wieder BRD-Soldaten unter USA-Regie in Mittelasien um eine Beteiligung an der Weltmacht. Diese menschheitsbedrohende Strategie kann einen Atomkrieg zur Folge haben. Deshalb gilt es, mit dem Zusammenschluß aller Friedenskräfte solche Pläne zu durchkreuzen.

Fritz Teppich (92), Berlin


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Die RF-Regionalgruppe Bitterfeld/Wolfen hatte vor einiger Zeit gemeinsam mit der Partei Die Linke den prominenten Sportjournalisten und Buchautor Dr. Heinz Florian Oertel zu Gast. Souverän beantwortete er die Fragen eines großen Kreises hochinteressierter Zuhörer. Seine Auskünfte zur sportgeschichtlichen Realitätsverfälschung durch die herrschenden Kreise der BRD ließen nichts an Deutlichkeit vermissen. Der bei der DDR-Bevölkerung sehr populäre Reporter, der sich im Osten des Landes einer nicht zu bewältigenden Zahl von Gesprächsangeboten gegenübersieht, wurde bisher noch nicht in die alten Bundesländer eingeladen. Seine Bemühungen, mit dortigen Sportjournalisten ins Gespräch zu kommen, scheiterten meist an deren Unwillen, einen echten Dialog über die deutsch-deutsche Wirklichkeit zu führen.

Heinz Florian Oertel zog seine Zuhörer aber nicht nur mit ernsten Themen wie Doping, Republikflucht oder Auswirkungen der heutigen "Spaßgesellschaft" auf das Denken der Menschen in den Bann, sondern verstand es auch, seine Worte humorvoll, locker und mit einer gewissen Altersweisheit zu formulieren. Es war zu spüren, daß er der DDR verbunden geblieben ist. Ein gebildeter Publizist, der seinen Zuhörern imponiert. Sein überzeugender Auftritt im Kulturhaus Wolfen wird denen, die dabeisein durften, im Gedächtnis bleiben.

Manfred Wiesnewsky, Muldestausee/Friedersdorf


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Der Leitartikel "Die Lüge vom Nationalsozialismus" spricht mir aus dem Herzen. Wir fahren auf derselben Schiene. Es lebe der "RotFuchs"!

Manfred Hocke (Archie), Berlin


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Über die klaren Worte Klaus Steinigers zur "Lüge vom Nationalsozialismus" (RF 155) bin ich sehr froh. Es gibt mir immer einen Stich ins Herz, wenn in den offiziellen Medien der BRD die unselige Bezeichnung "Nationalsozialismus" gebraucht wird. Das ist nicht selten eine gewollte Verunglimpfung des positiv besetzten Wortes Sozialismus und dient zugleich der Irreführung. Nazis muß man beim wahren Namen nennen: Faschisten bleiben nun einmal Faschisten, und zwar auch dann, wenn sie sich einer Tarnkappe bedienen.

Mir läuft jedesmal eine Gänsehaut über den Körper, wenn ich die Klänge des diskreditierten Deutschlandliedes vernehme, das zur "gesamtdeutschen Nationalhymne" erklärt worden ist. (Von wem eigentlich?) Mir fallen dabei stets die schrillen Töne der Nazi-"Sondermeldungen" aus Kindertagen ein, und ich sehe die braunen und schwarzen Horden vor meinem geistigen Auge.

Hans-Dietrich Grundmann, Eberswalde

Wir trauern um unseren langjährigen Leser, der im Januar verstorben ist.


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Der Schonbegriff "Nationalsozialisten" störte das Kapital nicht. Otto Wagener, Chef der wirtschaftspolitischen Abteilung der NSDAP-Reichsleitung, empfand sich selbst als "nationaler Sozialist", unterschätzte aber die Anziehungskraft, die Hitlers "Sozialismus" gerade in Kapitalkreisen besaß. Reichstagspräsident Hermann Göring empfing am 20. Februar 1933 den Chef der Hotelkette Mövenpick und Aufsichtsratsvorsitzenden der Allianz AG, Baron August von Finck, anläßlich des großen Spendentreffens der Industrie mit Adolf Hitler für die unmittelbar bevorstehende Reichstagswahl. Der "Führer" ließ Baron Finck in das Präsidium der Akademie für Deutsches Recht aufnehmen. 1937 durfte der das jüdische Berliner Bankhaus Dreyfus "arisieren" und sich 1938, nach dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich, auch die Wiener Rothschild-Bank einverleiben. August von Finck starb 1980 hochbetagt und unbehelligt in der BRD. - Georgi Dimitroff sagte auf dem VII. Weltkongreß der Komintern im August 1935: "Die reaktionärste Spielart des Faschismus ist der Faschismus deutschen Schlages. Er hat die Dreistigkeit, sich Nationalsozialismus zu nennen, obwohl er nichts mit Sozialismus gemein hat."

Mir liegt das Original einer Anklageschrift gegen 27 Mitglieder der KPD vom 15. Mai 1934 vor. Die Angeklagten, ihre illegalen Zeitschriften "Der Scheinwerfer" und "Die Wahrheit" benutzten nie die unsäglichen Schonbegriffe für die Hitlerschen Mörder. "Entlarvt und zerschlagt den Faschismus!" werden sie dort zitiert.

Worte wie "Drittes Reich" und "Nationalsozialismus" sind Produkte des Verdrängungsmechanismus der Faschisten. Diese wurden gern in ihren Rechtfertigungsschriften benutzt - von Diels, dem ersten Gestapo-Chef ebenso wie von Hitlers Vizekanzler von Papen und Rüstungsminister Speer.

Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen-Nord


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Die Dezemberausgabe hat mir wieder sehr gut gefallen, besonders der Leitartikel.

Gleich nach seinem Erscheinen habe ich den Programmentwurf der PDL gelesen. Ich schlug der Programmkommission vor, aus dem Dokument das Wort Nationalsozialismus zu entfernen und durch Faschismus zu ersetzen. Ich stellte also dieselben Überlegungen an, wie sie im RF entwickelt wurden. In dieser Frage stehen wir ja nicht allein da!

Noch ein Wort zur Würdigung des Schaffens von Harry Thürk durch H. E. Ziegenbalg. Ich kann dem Verfasser des Artikels nur beipflichten, zumal ich gerade bei der Lektüre des dritten und letzten Bandes von Thürks "Taifun" bin. Schon 1988, als die Bücher herauskamen, hatte ich sie gelesen. Aber nach über 20 Jahren ist es für mich noch interessanter zu erfahren, was Harry Thürk dort über China schreibt. Er vermittelt einen guten Einblick in die Geschichte dieses großen, volkreichen Landes und deren Hintergründe. Eine bemerkenswerte Arbeit von aktueller Bedeutung.

Werner Wild, Magdeburg


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Dem Beitrag von Gotthold Schramm im RF 155 stimme ich zu. Die Horrorberichte über die DDR kennen keine Grenzen, und bei solchen "Zeitzeugen" gibt es keine Hemmschwelle. Das Ziel ist klar: Jede Alternative zum Kapitalismus soll bestenfalls ein schöner Traum bleiben.

Zeitzeugen dieses Schlages durften - so berichtete die hiesige Regionalzeitung - an sechs Schulen abermals ihre Grusel- und Schreckensgeschichten zum Besten geben. Die Potsdamerin Grit Poppe stellte ihr Buch "Weggesperrt" vor, ein Stefan Lauter schilderte seine "Leidenszeit im Jugendwerkhof Torgau". Was davon Wahrheit und was Legende ist, will ich nicht beurteilen. Berichtet wird von "angeblich schwererziehbaren Jugendlichen". Diese waren natürlich Opfer der "stalinistischen Willkür des SED-Regimes". Wie Lauter nach Torgau geriet, ist ein Schocker der besonderen Art. In der 10. Klasse sei er aus der FDJ ausgetreten und habe Kontakt zu christlichen Gruppen aufgenommen, worauf seine Mutter den Staat um "Erziehungshilfe" gebeten habe.

Diese Form der "Aufarbeitung" bleibt nicht ohne Wirkung auf junge Menschen, die keine reale Vorstellung vom DDR-Leben besitzen und deshalb auf derartige Märchenerzähler hereinfallen. Übrigens soll Literatur solchen Inhalts fortan "Prüfungspflichtlektüre" an staatlichen Realschulen sein. Mit Sicherheit gab es zu DDR-Zeiten in Agitation und Propaganda nicht wenig Kritikwürdiges und psychologisch unklug Angelegtes, aber ein solches Maß an Primitivität und Verlogenheit wäre völlig unvorstellbar gewesen.

Roland Winkler, Remseck


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So richtig und wichtig der Beitrag Renate Tellers "Solo einer Nachtigall" im RF 155 auch ist, er bedarf einiger Richtigstellungen.

Der Nachfolger von Joseph Keilberth war nicht Heinz Bongartz, sondern 1949 der junge Rudolf Kempe, damals noch aus Chemnitz, der in Dresden seine internationale Laufbahn begann. Bongartz übernahm etwa zur gleichen Zeit als erster Chefdirigent nach dem Krieg die Dresdner Philharmonie, die er in den 17 Jahren seiner Amtszeit zu internationalem Ansehen brachte. Sie spielte seit Kriegsende im Steinsaal des Hygienemuseums. Später entstand dort der Kongreßsaal mit besseren akustischen Bedingungen und höherer Kapazität. 1969 wurde der Neubau des Kulturpalastes Spielort und Heimstätte der Philharmonie. Damaliger Chefdirigent und Unterstützer dieses Bauvorhabens war übrigens Kurt Masur.

Das Große Haus der Staatstheater Dresden wurde schon 1948 in Betrieb genommen. Es war von Stund an Bühne für Staatsoper, Staatskapelle, Schauspiel und Ballett. Mit der Eröffnung des Kulturpalastes gab auch die Staatskapelle Dresden dort ihre Anrechtskonzerte, zog aber 1985 in den Semper-Bau um, weil die "dritte" Semperoper wiederhergestellt worden war.

Es ist schon beachtlich, was die DDR in diesen nicht immer leichten Zeiten an Kulturstätten allein in unserer Stadt geschaffen hat.

Siegfried P. Roth, Dresden


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Im RF 155 las ich den interessanten Beitrag Renate Tellers. Ergänzend will ich sagen: Im Großen Haus, das nicht erst in den 60er Jahren spielbereit war, habe ich bereits 1948/49 als damaliger Dresdner Schauspielschüler in kleinen Rollen auf der Bühne gestanden. Übrigens: Zwei bedeutende Darsteller dieser Zeit wurden im Artikel leider nicht erwähnt. Ich möchte sie nachtragen: Antonia Dietrich und Alfons Mühlhofer.

Oberst a. D. Helmut Putzger, Strausberg


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Auf dem Weg zum Arbeitsamt nahm ich den Linienbus. Als ich beim Fahrer mein Ticket lösen wollte, winkte dieser mich durch. Ich dachte, das Ganze sei ein Mißverständnis. So erkundigte ich mich abermals nach dem Fahrpreis. Wieder bedeutete mir der Busfahrer, ich solle weitergehen. Auf meine Äußerung, ich verstünde seine Geste nicht, meinte er nur: "Spenden Sie das Geld lieber dem RotFuchs!"

Ich konnte mir den Vorfall nicht erklären. Erst, nachdem ich ausgestiegen war, stellte ich fest, daß mein bevorzugter Einkaufsbeutel das "RotFuchs"-Symbol trug. Offenbar dient er also nicht nur als Tragetasche, sondern auch als Erkennungszeichen!

Monika Kauf, Berlin


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Herzlichen Dank für die regelmäßige Zustellung des RF, der in dieser mit Presseerzeugnissen überfütterten Gesellschaft all seinen Lesern überzeugend eine klassenbezogene Orientierung vermittelt. Der Artikel von Manfred Liebscher im RF 154 ist ein ehrliches Bekenntnis zu seiner Heimat DDR und sollte allen Lesern unserer Zeitschrift den Rücken stärken.

Heute werden in der BRD staatlicherseits die historischen Tatsachen auf den Kopf gestellt, weil die Reihen der Zeitzeugen bereits ausgedünnt sind, andererseits aber auch viele dazu schweigen. So werden z. B. Militärs, die den 2. Weltkrieg im Generalstab planten und vorbereiteten, deshalb als die wahren Helden des Widerstandes gefeiert, weil sie den unvermeidlichen Untergang des von ihnen mitgetragenen Systems erkannten und in Wahrnehmung der Privilegien ihrer Klasse in vorgerückter Stunde Hitler beseitigen wollten. Ihr persönlicher Mut soll selbstverständlich anerkannt werden. Aber die Namen Tausender aufrichtiger Klassenkämpfer, die Jahre in Haft verbrachten, gefoltert und oft genug umgebracht wurden, weil sie ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland erstrebten, werden beharrlich ausgeblendet und gezielt diskreditiert.

Manfred Wulf, Glauchau


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Eine kurze Antwort an Dr. Fisch, der im RF zu meinem Leserbrief in gleicher Sache (RF 152) Stellung genommen hatte: Stauffenbergs Tat war mutig. Das habe ich nie in Abrede gestellt. Doch antifaschistisch war sie wohl nicht. Mir ging es nicht darum, den Widerstand von Kommunisten und Nichtkommunisten unter Hitler gegeneinander aufzurechnen. Ich wollte nur feststellen, daß Oberst Graf Stauffenberg bis zum mißglückten Attentat keine "Galionsfigur" des Widerstandes gewesen ist. In der BRD wird er als dessen Märtyrer schlechthin dargestellt, was geschichtlich falsch ist. Es gab ja auch schon früher Attentate auf Hitler. Erinnert sei an Georg Elser, der am 9. April 1945 in Dachau ermordet wurde. Bereits im Herbst 1938 wollte er Hitler beseitigen. Am 8. November 1939 versuchte er ihn im Münchner Bürgerbräukeller zu töten. Elser, ein Attentäter wie Stauffenberg, verdient, ebenfalls hervorgehoben zu werden.

Wilfried Steinfath, Berlin


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Am 11. November wurde von der PDL im Bundestag ein Antrag (Drucksache 17/2201) eingebracht, den kommunistischen Widerstand in der NS-Zeit anzuerkennen. Zur Begründung hieß es: "Die Anerkennung des politischen Widerstandes der Kommunisten gehört für den Deutschen Bundestag zum unteilbaren Erbe des Widerstandes gegen das NS-Regime." Zitiert wurde aus einem "Spiegel"-Artikel des Jahres 2009: "Die Zahl der zwischen 1951 und 1968 gegen Kommunisten gefällten Urteile lag siebenmal so hoch wie die gegen NS-Täter, obwohl die Nazis Millionen Menschen ermordet haben."

Sechs Jahre nach Kriegsende war eine solche Verfolgung von Kommunisten in der BRD bereits wieder möglich. Und diese Rechtsnachfolger des Dritten Reiches, wie sie sich selbst bezeichnen, wollen uns heute unterstellen, die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen!

Günther Lidke, Bitterfeld-Wolfen


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Den Hexenjäger Joachim Gauck als "deutschen McCarthy" zu bezeichnen, finde ich einfach köstlich! Bravo! Ich brauche Euch nicht zu sagen, welchen Genuß mir die Leitartikel des RF bereiten. Ich lese sie stets mit Gewinn.

Almos Csongár, Berlin


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Ich war Besucher des ausverkauften Schweriner Konzerts mit Louis Armstrong, von dem Ihr Autor schrieb, es habe nicht stattgefunden (RF 155). Als Beweis kann ich ihm das Programmheft scannen.

Dr. Hans-Peter Schlaack, Rostock


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Stephan Schulz hat schlecht recherchiert. Louis Armstrong trat am 8. April 1965 in der Schweriner Sport- und Kongreßhalle auf. Wegen des großen Zuspruchs gab es sogar zwei Konzerte - am Nachmittag und am Abend. Ich erlebte das Nachmittagskonzert und bin noch heute begeistert. Beide Veranstaltungen waren ausverkauft. Man zählte 16.000 Besucher. Armstrong kam sehr sympathisch von der Bühne herüber. Sein Verschleiß von weißen Taschentüchern ist mir noch in besonderer Erinnerung. Später hat er sich in der Presse über seine DDR-Auftritte, auch über den Schweriner Aufenthalt, positiv geäußert.

Hartwich Splisteser, Schwerin


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Thomas Behlert weist in seinem Beitrag "Als Louis Armstrong in der DDR gastierte" auf dieses 1965 viel Aufsehen erregende Ereignis hin. Aus irgendeinem Grunde läßt er bei der Aufzählung der Gastspielorte Rostock weg, obwohl Armstrong auch hier einen grandiosen Auftritt hatte. Das Konzert fand im Kulturhaus des VEB Neptun-Werft statt. Die Karten waren erschwinglich. Sie kosteten zwischen 10 und 20 Mark der DDR. Die Platzkapazität reichte nicht aus. "Satchmo" betrat die Bühne mit seiner Trompete und suchte von Beginn an den Kontakt zum Publikum. Die meisten Besucher waren Kenner seines Musikstils, der im Jazz wohl kaum von anderen erreicht worden ist. Auch ich geriet im Verlauf des Konzerts in den Bann dieser Musik und hörte sie seitdem mit anderen Ohren. Während der über zweistündigen Veranstaltung mußte der Interpret sein durchgeschwitztes Oberhemd vier- oder fünfmal wechseln, was das Publikum mit Beifall quittierte.

Das Konzert stärkte unsere solidarischen Gefühle für Satchmos schwarze Brüder und Schwestern in den USA, die bis heute um ihre volle Gleichberechtigung kämpfen müssen.

Harry Machals, Rostock


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Im großen Blätter- und Medienwald war Ihr Tolstoi-Artikel zum 100. Todestag mit Abstand ein Stück jener Würdigung, die der Alte aus Jasnaja Poljana verdient. Stammt der Erfurter Autor etwa aus dem Kreis um den verdienstvollen E. Pechstedt?

Eberhard Dieckmann, Berlin


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Eine zusätzliche Information zu meinem Artikel über Stolpersteine in Dormagen (RF 151): Nun erfährt unser Anfang Februar 1933 ermordeter KPD-Genosse Ernst Junghans doch noch die Ehrung, die ihm gebührt. Wir begrüßen das natürlich.

In der gleichen Ausgabe der Zeitung, in der die verzögerte Stolperstein-Verlegung angekündigt wird, berichtet man über den Besuch des Großinquisitors und professionellen Antikommunisten Joachim Gauck in unserer Stadt. Dieser angebliche Christ gibt in seinem Haß auf die DDR keine Ruhe. Wenn man weiß, daß dieser Staat aufgegeben wurde, ohne daß auch nur ein einziger Schuß fiel, dann ist bei allem Unglück der Niederlage von 1989/90 der Besonnenheit verantwortlicher DDR-Politiker hohe Anerkennung zu zollen. Während anderswo bei fast jeder Gelegenheit Ströme von Blut fließen, taten sie alles, um einen solchen Verlauf der Ereignisse zu verhindern.

Liesel Bauer, Dormagen


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Dem Artikel "Heideruh - ein Kleinod für Antifaschisten" im RF 155 kann ich aufgrund langjähriger Kontakte zu diesem Heim nur zustimmen. Ich möchte deshalb auf die Broschüre Klaus Huhns "Fünf Sterne für Heideruh" aufmerksam machen. Nach meiner Kenntnis ist die erste Auflage zwar vergriffen, aber vielleicht kann sich der Verlag ja zu einer zweiten durchringen. Es wäre eine gute Unterstützung des Existenzkampfes von Heideruh.

Peter Fricker, Berlin


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Seit der Machtübernahme durch die schwarz-gelbe Koalition ist sie von ihren Wahlversprechungen ständig abgerückt. Frau Merkel steht nicht zum beschworenen Wort und schwelgt in Superlativen bei der Darstellung ihrer angeblichen Erfolge.

In den 20 Jahren meiner ungewollten Mitbürgerschaft in dieser Bundesrepublik haben Politiker aller Schattierungen stets auf die christliche Eidesformel zurückgegriffen: So wahr mir Gott helfe! Adenauer diente ihnen dabei als Vorbild der Doppelzüngigkeit. Ich möchte hier den Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter zitieren, der am 5. Juli 2009 im Tagesspiegel feststellte: "Ein Musterdemokrat war Adenauer gewiß nicht. Um seine Partei gefügig zu machen, griff er oft zum Mittel der Dramatisierung phantasievoll ausgedachter Gefahren. Er log die Parteigremien an, wenn es ihm opportun erschien."

Heute tritt Innenminister de Maizière, der in der Absicht, die Daumenschrauben anzuziehen, unablässig das Gespenst des "internationalen Terrorismus" beschwört und das Land mit MPi-bewehrten Polizisten überziehen läßt, in Adenauers Fußstapfen. Angela Merkel würde ihre Aussage von 1991 bei Günter Gaus - "Ich war gern in der FDJ" - wohl kaum wiederholen. Einst machte es ihr Spaß, zur "Kaderreserve der SED" zu gehören. Ihre aufstiegsbewußte Anpassungsfähigkeit an "neue Herausforderungen" beweist sie inzwischen weltweit. Mit der Diffamierung der DDR als Unrechtsstaat zeigt sie ihr wahres Gesicht. Ohne dessen vorzügliche Ausbildungsmöglichkeiten hätte es diese skrupellose Jackenwechslerin mit Gewißheit nicht so weit gebracht.

Walter Krüger, Dudinghausen


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Pressefreiheit äußert sich bei uns darin, daß die Medien ohne jede staatliche Zensur auskommen. Sie veröffentlichen einfach nur das, was die Besitzer oder Sponsoren erwarten. In letzter Zeit ist festzustellen, daß kritische Stimmen aus dem Volk in Leserbriefgestalt mit dem Verweis auf DDR-Nostalgie abgetan oder mit der Stasi-Keule niedergeknüppelt werden. Vielen geht es wie dem Ethan ben Hoshaja in Stefan Heyms "Davidreport". Es wurde ein salomonisches Urteil gesprochen: Man verurteilte ihn zur Höchststrafe - dem Totschweigen.

Der "RotFuchs" und die wenigen anderen haben es schwer mit der Wahrheit. Ehe diese die Schuhe geschnürt hat, ist die Lüge schon dreimal um die Welt gelaufen.

Dr. med. Gerd Machalett, Siedenbollentin


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Immer wieder wurden wir gefragt, ob es nicht nützlich wäre, in Berlin eine Art Bücherei zu schaffen, bei der interessierte Leser Neuerscheinungen gesellschaftswissenschaftlichen und politischen Inhalts sowie andere marxistische Literatur ausleihen könnten. In Berlin gibt es dafür zwei Möglichkeiten:

1. Bestimmte Publikationen der letzten Jahre aus linken Buchhäusern wie Wiljo Heinen und der Eulenspiegel-Verlagsgruppe können für maximal drei bis vier Wochen bei Konstantin Brandt, Glanzstraße 6, 12437 Berlin (Baumschulenweg), oder telefonisch unter 030/53 02 76 64 entliehen werden. Die Bücherliste ist als Excel-Datei verfügbar.

2. Die Leihbücherei Elli Fuchs, Jonasstraße 29, 12053 Berlin (Neukölln), borgt Belletristik, Biographien, antifaschistische Literatur, Schriften zur Geschichte der Arbeiterbewegung, zu kommunistischen Parteien, Klassiker und Lehrbücher des Marxismus-Leninismus, politische Wörterbücher sowie einige Zeitschriften aus. Internet-Adresse: leihbüchereiellifuchs.blogsport.de

Dr. Ernst Heinz, Berlin


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In der Rentendiskussion fällt auf, daß der Staat seine Fürsorgepflicht mit aller Selbstlosigkeit wahrnimmt. Seit der "Wende" wird eine ganze Generation junger Leute (bis auf Ausnahmen) von Berufsausbildung und entsprechender Arbeit ferngehalten, denn der Ausspruch von Ex-Bundespräsident Weizsäcker wurde als einziges Vereinigungsversprechen konsequent umgesetzt: "In Ostdeutschland wird es keine Großbetriebe mehr geben."

So gingen die jungen Leute, aber auch etliche ältere, in den Westen. Es fehlt nahezu eine ganze Generation von Steuerzahlern. Viele Rentner und Aufstocker bewegen sich mit ihren Bezügen im Bereich des Existenzminimums. Sie müssen noch hinzuverdienen, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Seit dem Anschluß befindet sich die Bildung bei uns im freien Fall. Wer "Glück" hat, kann der deutschen Tradition folgen und wie einst im Kossovo-Krieg den Serben nun den Afghanen "Frieden und Wohlstand" bringen.

Was hat das alles mit der Rente zu tun? Ein Berufskollege mit der gleichen Arbeitsbiographie wie ich bekommt im Westen monatlich über 2000 Euro mehr. Mit dem Rentenbereinigungsgesetz wurden die in der DDR erworbenen Ansprüche enteignet. Ein Feldwebel der Bundeswehr bezieht eine um 2000 Euro höhere Rente als ein General aus der DDR. Ist das nicht eine tolle Bemessungsgrundlage?

Angesichts solchen Geschehens ist es an der Zeit, aus dem Dauerschlaf aufzuwachen.

Wilfried Meißner, Blankenburg (Harz)


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Bei der Erforschung von Ost-West-Problemen in der BRD gibt es ein aufschlußreiches Ungleichgewicht. Untersuchungen zur Analyse des Ostens werden in der Regel im Westen konzipiert und in Auftrag gegeben. Dieser betreibt gewissermaßen Ost-Ethnologie. Natürlich fragt man auch Leute im Westen aus, aber nur, um eine Vergleichsbasis zu erhalten. Das Normale ist der Westen, das Problemkind der Osten. Dieses Denken führt unweigerlich zur Selbstgefälligkeit, aber auch zu Dummheiten. Wie schön, daß man einen problematischen Osten hat. Dann muß man sich mit den Defiziten der Gesellschaft nicht beschäftigen.

Hier wird etwas wirksam, was in der Psychologie als Abwehrmechanismus bezeichnet wird, nämlich die Projektion: von eigenen Problemen ablenken, indem man sie bei anderen sucht.

Roy Dittmann, Berlin


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Die Verkleinerung der Bundeswehr führt m. E. zu USA-ähnlichen Zuständen: Private Unternehmen erfüllen militärische Aufgaben. Vielleicht werden auch die Erfahrungen der Schwarzen Reichswehr aus der Weimarer Republik genutzt, die formiert wurde, um die in Versailles festgelegte 100.000-Mann-Stärke der offiziellen Reichswehr zu unterlaufen. Auf alle Fälle ist die parlamentarische Kontrolle dieser militärischen Zwecken dienenden Privatunternehmen noch mehr eingeschränkt als bei der Bundeswehr.

Die Beschäftigten solcher Sicherheitsunternehmen, die de facto polizeiliche Aufgaben erfüllen, sind finanziell schlechter gestellt als beamtete Polizisten. So müssen nicht wenige staatliche Geldleistungen in Anspruch nehmen. Das dürfte sich bei den Zivilisten, die anstelle der Bundeswehr für diese Militäraufgaben übernehmen, kaum anders verhalten. Ihr Risiko für Leben und Gesundheit aber ist noch höher, natürlich auch für die Bürger jener Staaten, wo sie ihren "Privatkrieg" führen.

Hans Schneider, Erfurt


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Dr.-Ing. Peter Tichauer hat richtig dargestellt, was mangelnde Kritik an Karrieristen und Wendehälsen hervorbrachte. Er erlaubt sich eine freie Denk- und Redeweise. Das finde ich prima. Genosse Brosig, der sich in seinem Leserbrief über geringe Renten für DDR-Spitzenfunktionäre beschwert, scheint nicht in Betracht zu ziehen, daß das Ganze eine Frage ist, die vom Klassenstandpunkt aus beantwortet werden muß. Was wäre denn im umgekehrten Fall einer hypothetischen Übernahme des Westens durch den Osten passiert ...?

Ekkehard Ott, E-Mail


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Eine Bemerkung zum Kuba-Artikel im RF 155. In dem dort enthaltenen Satz: "Das fundamentale Problem besteht wohl darin, daß sich der kubanische Arbeiter heute weniger als vor der Sonderperiode für die Produktion seines Betriebes verantwortlich und als Eigentümer der vergesellschafteten Produktionsmittel empfindet", steckt die ganze Problematik - auch die der DDR, wie der Autor richtig bemerkt.

Dr. Hermann Wollner, Berlin


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Ohne unseren "RotFuchs" wäre manches schwerer zu ertragen. Es macht uns froh, um Menschen zu wissen, die so denken wie wir.

Ingrid und Hajo Jahn, Grünheide


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Schon als ich Kind war, half mir mein Großvater, ein parteiloser Kommunist und Steinbrucharbeiter, die Natur zu erkennen und zu verstehen. Er sagte: Alles was dich umgibt, kannst du erkennen, mit Händen greifen, hören und riechen. Doch darüber ist das Weltall. Unser Gehirn vermag es nicht zu erfassen. Alles, was du dir darüber vorstellst, endet in dem Begriff Glaube.

Der Glaube, so folgerte mein Opa weiter, ist so alt wie die Menschheit. Noch heute sind Milliarden Erdbewohner mit dem Glauben verwachsen. Deshalb darf in der Partei niemals eine negative Haltung zu den Gläubigen aufkommen.

Der Glaube an sich ist nicht schuld an der Vernichtung von Millionen Menschen auf den Scheiterhaufen, sondern jene, welche sich einen religiösen Mantel umgehängt haben und in dieser Tarnung Verbrechen begehen. Sie verlegen sich auf Glockengeläut, stellen Kreuze auf und fliehen in Gebete. So haben sie bis heute ihre Menschenfeindlichkeit kaschiert.

Milliarden Erdbewohner werden so lange in Glauben gefangen bleiben, wie sie die Natur und die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht zu erkennen vermögen.

Kurt Neukirchner, Burkhardtsdorf


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Heute nahm ich zum ersten Mal an einer Zusammenkunft der RF-Regionalgruppe Cottbus teil. Ich war eingeladen worden, nachdem ich meine Bereitschaft zur Mitarbeit erklärt hatte. Die Angst, die mich in diesem Staat lange Zeit fast zerfraß, habe ich inzwischen überwunden. So bin ich wieder dazu in der Lage, andere von der Unmenschlichkeit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu überzeugen. Besonders bedrückt es mich, daß unablässig Lügen über die DDR verbreitet werden, während man zugleich die Zeit des Faschismus verharmlost.

Ich habe leider noch zu wenig Hintergrundwissen, um stets überzeugend genug argumentieren zu können. Aus diesem Grunde kaufte ich mir gezielt einige Bücher, um mich auf die geistige Auseinandersetzung mit gegnerischen Argumenten vorbereiten zu können.

Ich habe in der DDR viel Güte und Menschlichkeit erlebt. Heute bin ich fest davon überzeugt, daß der "RotFuchs" mein Platz sein sollte.

Sonja Surikowa, Cottbus


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Ich möchte gerne mal wissen, was "RotFuchs"-Leser zur Leiharbeit, dieser Form moderner Sklavenarbeit, sagen. Der Einsatz von zeitweilig Beschäftigten, die unterschiedliche Auftragslagen in Großbetrieben bewältigen helfen, ist in der heutigen Wirtschaftssituation für die Kapitalisten sicherlich eine nützliche Variante. Aber ist der derzeit eingeschlagene Weg akzeptabel? Müssen hier zur Problemlösung Leiharbeitsfirmen als Sklavenhalter zugelassen werden? Wäre es nicht eine vordringliche Aufgabe der staatlichen Arbeitsvermittlung, kurzfristigen Bedarf von Firmen durch eigene Vermittlung nur auf Zeit Beschäftigter zu übernehmen? Solchen, bei der Arge zur Kurzzeitarbeitsvermittlung verfügbaren Menschen wird eine hohe Qualifikation und auch eine gute Anpassungsfähigkeit abverlangt, denn das jeweilige Unternehmen erwartet ja eine sehr schnelle Einarbeitung. Allein dadurch ist aus meiner Sicht mindestens eine Gleichbezahlung, vielleicht sogar eine höhere Vergütung als für die Stammbeschäftigten gerechtfertigt.

Wodurch sind die derzeit geringeren Löhne dieser Menschen begründet, die doch eigentlich nur als dringend benötigte Helfer in einem Betrieb einspringen? Warum wird zugelassen, daß die jetzige Form der Sklaven-Leiharbeit rechtlich wirksam eine Abstufung der Beschäftigtenrechte vollzieht?

Überlegt doch mal, wie viele Jahrzehnte die arbeitenden Menschen um ihre Rechte gekämpft haben. Durch die Zwischenschaltung eines Verleihers als scheinbarer "Arbeitgeber", der indes nur eine Vermittlungsleistung für ein Unternehmen erbringt, entfallen alle rechtlichen Pflichten des wirklichen "Arbeitgebers"! Und dafür haben Generationen vor uns gekämpft?

Was müssen wir tun? Ich habe unlängst zwei ältere Handwerker, die vor über 20 Jahren mit mir im selben VEB gearbeitet haben, getroffen. Beide sind im Westen tätig, vermittelt für geringere Entlohnung durch eine Leiharbeitsfirma. Beide wollten nicht gerne über dieses Thema sprechen. Sie nehmen die langen Fahrtzeiten, die Kosten für eine zweite Unterkunft, die Trennung von der Familie und vieles andere resignierend hin.

Gerhard Masuch, Leipzig


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Der Aderlaß der SBZ und später der DDR war bekanntlich durch die gegen sie gerichteten Operationen der Westmächte, vor allem die BRD, ganz enorm. Ohne jegliche Fähigkeit, aus der blutigen faschistischen Vergangenheit zu lernen, demonstrierten sie jahrzehntelang ihre auf Ausbeutung beruhende ökonomische Überlegenheit. Das blieb nicht ohne negative Auswirkungen auf das Bewußtsein der Menschen in Osteuropa - auch in der DDR. Die Folge war, daß politisch Indifferente dem westlichen Wohlstand hinterherjacherten und mit der zum Teil noch bestehenden Mangelwirtschaft im eigenen Land immer unzufriedener wurden.

Legal oder illegal wanderten viele ab. Dabei vertauschten sie alle sozialen Vorteile, die ihnen der Sozialismus geboten hatte, mit der sozialen Unsicherheit des Westens. Dieser Aderlaß, gepaart mit Unvernunft auf hoher Ebene und hinterhältigem Verrat Gorbatschows und anderer, besiegelte das Schicksal der DDR. Schon bald nach ihrer Vereinnahmung durch die BRD wurden NATO-Kriege unter bundesdeutscher Beteiligung wieder führbar, obwohl Kohl im Einigungstaumel und unter Benutzung einer Losung der DDR geschworen hatte, von Deutschland dürfe nie wieder Krieg ausgehen. Die jetzt aus Afghanistan überführten Särge künden davon, daß der imperialistische deutsche Staat im wörtlichen Sinne wieder mordsgefährlich geworden ist.

Oberstleutnant a. D. Erich Eckert, Augustenhof


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Die zunächst mit ihrer großherzigen Offerte, Hartz-IV-Privilegierten weitere 5 Euro pro Monat zuzubilligen, im Bundesrat gescheiterte Merkel-Regierung hat sich durch diese großzügige "Aufstockung" vor aller Welt lächerlich gemacht. Da gibt es doch Einkünfte ganz anderer Kategorien, beispielsweise die Gehälter von 16 Ministerpräsidenten der Bundesländer (auch sie differieren um bis zum 500.000 Euro jährlich). Doch diese sind nichts im Vergleich mit den Bezügen von etwa 200 deutschen Bankmanagern. Die versprochene Begrenzung ihres Jahresverdienstes auf 500.000 Euro gehört längst wieder in die Märchenbücher und diente ohnehin nur zur Beruhigung der Öffentlichkeit. Vorbild ist hier die aus Pleitegründen verstaatlichte Hypo Real Estate Bank, die ihren Managern weiterhin Erfolgsprämien von rund 25 Millionen Euro gezahlt hat. Der wegen erwiesener Unfähigkeit ausgeschiedene Vorstandsvorsitzende wird mit Vollendung seines 60. Lebensjahres eine jährliche Pension von 240.000 Euro erhalten. Wie lange müßten Sie, liebe Leser, dafür arbeiten?

In Mecklenburg-Vorpommern werden die Gehälter der Landräte in diesem Jahr um monatlich 800 Euro aufgestockt, um die Unbill einer sinnlosen Neustrukturierung der Großkreise erträglicher zu machen. Der Landrat des Kreises Mecklenburgische Seenplatte hat z. B. künftig ein Gebiet zu verwalten, das größer als das Saarland ist.

Um Aufschwung vorzutäuschen, werden die Arbeitslosenziffern ständig frisiert, wobei man Kurzzeitarbeiter, Leihsklaven, in Umschulung Befindliche und aus anderen Gründen nicht Vermittelbare aus der Statistik herausgenommen hat. So kommt man auf die Erfolgsziffer (!) von "unter drei Millionen".

Dr. Manfred Bewersdorf, Neubrandenburg

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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. April 2011