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ROTFUCHS/089: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 135 - April 2009


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

12. Jahrgang, Nr. 135, April 2009



Inhalt
Nachgefragt, Herr Schorlemmer
Lenin - Klassiker des Marxismus
Die durchs Feuer gingen
Hitlers Terror gipfelte im Genozid
Hermann Duncker war mein Lehrer
Wie ich als Sozialdemokrat die DDR erlebte
Streit um "drei böse Worte"?
Lichtgestalt
Das Imperium der Schande
Zu Tränen gerührt
Nur drei von 16 - aber immerhin!
Zwei schlicht - zwei kraus
Alles zum Gutten
Nichts Genaues weiß man nicht
Menschenrechtspharisäer
Dr. Lederer vergaß zu antworten
Mariannes Puzzlespiel
"Geschichtsaufarbeitung" in Bernau
Eigentorjäger
Unrechtsstaat?
Die Lüge vom "Schießbefehl"
RF-Extra: Das Bedürfnis nach Widerstand wächst
RF-Extra: Wissenswertes zu Tibet
Die Mörder von Guernica
Zur Verfaßtheit der Linkskräfte in Frankreich
Hitlers amerikanische Lehrer
Rüdes aus Riga
Brief von den Balearen
Venezuela bleibt rot
Bulgarien heute
Löst Barack Obama die Guantánamo-Frage?
Brudergruß an Israels Hadash
Klare Sicht vom Eiffelturm
Berta Waterstradt: Mit Elizabeth Shaw auf Reisen
Aus der Meineweher Schulchronik
Prophezeiungen des Carl Friedrich von Weizsäcker
Vertrautes und Entdeckenswertes
Archie und das große Geld
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Maskenball

Diesmal dauert der Karneval volle zwölf Monate. Im "Superwahljahr" gibt der Rattenfänger den Wohltäter. Man verkleidet sich und trägt Masken. Profil schadet nur. Das weiß Angela Merkel ja am besten. Die Führerin der Schwarzen verhöhnt wahre Christen, indem sie mit frommem Augenaufschlag das scheinheilig in "Rettungspakete" geschaufelte Geld des Steuerzahlers an "Bad-Bank"-Bankrotteure verschleudert. CDU und CSU sind das Synonym für politisches Versagen.

Mit im Boot sitzen - in Zartrosa gehüllt - rechte Sozialdemokraten vom Schlage des BND-Außenministers Frank-Walter Steinmeier und seines schon abgewrackten, dann aber wieder aus der Versenkung geholten Compagnons Franz Müntefering. Sie täuschen "soziale Wärme" vor, raspeln Süßholz und fressen Kreide, um den Eindruck zu erwecken, sie gehörten ja eigentlich gar nicht dazu und seien - trotz des Gemauschels in der großen Koalition - geradezu eine "Gegenkraft".

Besonders reizvoll ist die von der FDP inszenierte Operette "Maske in Gelb". Die "Partei der Besserverdienenden" hat vorübergehend den Part der Hof-Opposition übernommen. Wie der Frosch in der Milch, der auf die Butter klettern möchte, strampeln ihre Spitzenkarrieristen eifrig in den Westerwellen.

Unter den Grünspechten gibt es nicht wenige Schwarzspechte. Manche tragen, wie Bütikofer, vorerst noch grüne Krawatten. Oder sie heißen einfach Roth. Bekenner vom Kaliber eines Christian Stroebele sind eher die Ausnahme.

Alle Parteien, von denen die BRD - so oder so - in den kapitalistischen Krisensog hineingerissen wurde, muß man aus unserer Sicht als nicht wählbar betrachten.

Am Maskenball nehmen auch jene aus der Wirtschaft, der Politik und den Institutionen teil, welche zwar Braun lieben, das aber noch in Abrede stellen. Im Unterschied zu gewalttätigen Straßennazis, die gegen Links gebraucht werden, geben sie sich streng "demokratisch".

Den Faschisten - ob verdeckt oder offen - muß von den Wählern Einhalt geboten werden! NPD, DVU und ähnliche Formationen des "rechten Randes" dürfen nicht in die Parlamente gelangen!

In dieser Hochsaison der Roßtäuscher muß man den Akteuren nicht auf den Mund, sondern auf die Finger schauen, um sich nicht über den Löffel balbieren zu lassen. Kühles Blut und klarer Kopf sind gefragt. Denn an allerlei Lockspeisen, hohlen Phrasen und leeren Versprechungen nach dem Ackermann-Motto "Leistung aus Leidenschaft" wird es nicht fehlen. Was aber sind Kriterien, nach denen wir uns richten sollten? Als nicht parteigebundenes Blatt erteilt der "RotFuchs" keinerlei Listen-Empfehlungen. Doch wir weichen einer Stellungnahme nicht aus. Wahlenthaltung würde nur die Rechten begünstigen. Welche Kandidaten halten wir für glaubwürdig?

Vorbedingung ist persönliche und politische Lauterkeit. Bewerber, bei denen Wort und Tat auseinanderklaffen, fallen bei uns durch den Rost: Duckmäuser, Drängler, Drückeberger und Postenjäger. Akzeptabel sind jene, welche - neben profundem Antifaschismus - das kapitalistische System und damit das Europa der Monopole samt seiner EU prinzipiell ablehnen.

Unsere Favoriten müssen jede Verleugnung des Sozialismus und der DDR zurückweisen, sich zu internationalistischen Positionen bekennen. Im Zentrum steht heute die Solidarität mit den durch Israel drangsalierten Palästinensern. Kuba und allen Befreiungskräften in Lateinamerika gehören besondere Sympathien. Haßgesängen gegen China und Rußland ist entschieden zu begegnen.

Unser Bild eines wählbaren Kandidaten wird durch Politiker wie Tobias Pflüger und Sahra Wagenknecht bestimmt, die im Europaparlament Figur machten und Farbe bekannten. Aber ebenso durch jene Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, welche dem USA-Kriegsverbrecher George W. Bush im Plenarsaal ihren Protest entgegenschleuderten. Auch eine Reihe von Bewerbern der DKP entspricht diesem Maß. Das trifft für Scheinsozialisten wie Brie, Kaufmann, Zimmer, Pau, Lederer, Holter, Claus und andere keineswegs zu.

Übrigens fehlt es nicht an Stimmen, die gerade jetzt ultrarevolutionäre oder nationalistisch eingefärbte Patentlösungen bereithalten. Dabei treten als Avantgardisten daherkommende Sektierer, die elitäres Schmoren im eigenen Saft vorschlagen, ebenso auf den Plan wie als Patrioten verkleidete Nationalisten. Von ihnen wurde jüngst die Bildung einer "Volksfront" unter Einschluß des CSU-Politikers Gauweiler und deutscher Kapitalkreise angeregt. Solche Sandburgen dürften bald wieder einstürzen.

Der Imperialismus ist eigentlich am Ende seines Lateins. Für ihn läuft die Uhr - historisch betrachtet - ab. Hinter bisweilen noch schöner, aber bereits bröckelnder Fassade verbirgt sich krasse Häßlichkeit. Das Merkel-Steinmeier-Kabinett wird als Vollzugsorgan des Willens der deutschen Monopolbourgeoisie in die Geschichte eingehen. Den politischen Prokuristen der ökonomisch Herrschenden, deren wahre Gesichter hinter den Larven es zu erkennen gilt, muß an den Wahlurnen eine Abfuhr erteilt werden!

Klaus Steiniger

Raute

Wer trug eigentlich "des Kaisers neue Kleider"?

Nachgefragt, Herr Schorlemmer

Analog zum Artikel von Prof. Dr. Horst Schneider im Februar-"RotFuchs" machte ich mir Gedanken über gewisse Veröffentlichungen des ND und anderer Publikationen, die ja zu Tausenden in diesem Jahr auf uns zukommen. Die Serie mit dem Kurztitel "Neues Deutschland blickt zurück: auf Ereignisse, Erlebnisse und Erwartungen aus dem 'Wendejahr' 1989, wie es zu ihnen kam und was aus ihnen wurde" veranlaßt mich dazu, für einen sachlicheren Umgangston zu plädieren. Das ND bemüht sich selbst nicht darum, läßt die Monologe im Raum stehen und schnippelt hier oder dort eine Lesermeinung zurecht, die aber nicht allzu weit von der Linie Gysis bis Holters abweichen darf.

Da der Aspekt "und was aus ihnen wurde" weder im Eröffnungsbeitrag Friedrich Schorlemmers noch in späteren Artikeln schlüssig behandelt worden ist, muß nachgefragt und nachgehakt werden. Nach Auffassung von Pfarrer Schorlemmer (ND, 5. Januar / Der Kaiser war nackt) steht die Menschheit im Januar des Jahres 2009 "dem Ende der Geschichte" näher als je zuvor.

Warum ist das so, wer trägt Verantwortung dafür? Wer ermöglichte den "Triumph des entfesselten Kapitalismus"?

Sind es diejenigen, die den Sozialismus wollten, die die Grundlagen des Kapitalismus ablehnten, ihn weltweit zu beseitigen trachteten, um ihn nie wieder über sich ergehen lassen zu müssen, wie es den Lebenden und den Toten aus der Generation der Eltern und der Großeltern geschah? Ja, wir haben auch Grundsätzliches nicht richtig oder gut genug gemacht. Im Erkennen der Entartung von Spitzen des demokratischen Zentralismus und der mangelnden Fähigkeit, dieses Defizit zu überwinden, sollten es andere besser machen.

Sind es etwa diejenigen, welche die "Depression und Wut des Volkes" organisierten und kanalisierten, die in ihren Programmen und Thesen vorgaben, das Volk von solchen Mißständen zu befreien? Sie haben die DDR tatsächlich "in den Kapitalismus zurückreformiert". Sie waren die Steigbügelhalter jener, welche die DDR-bezogenen Pläne des Dr. Friedrich Ernst - seinerzeit Hitlers Reichskommissar für das feindliche Vermögen - in atemberaubendem Tempo und in geschichtlicher Einmaligkeit umsetzten. Das wurde von Herrn Schäuble, stellvertretend für die BRD-Regierung, als demokratischer Auftakt deklariert:

"Liebe Leute, es handelt sich um einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik - nicht um die umgekehrte Veranstaltung. WIR haben ein gutes Grundgesetz, das sich bewährt hat. WIR tun alles für euch. Ihr seid herzlich willkommen. WIR wollen nicht kaltschnäuzig über eure Interessen hinweggehen. Aber hier findet nicht die Vereinigung zweier Staaten statt."

Man kann diese Sätze voller Skrupellosigkeit und Verachtung für frühere DDR-Bürger gar nicht oft genug wiederholen!

Oder sind es vielleicht jene, welche nie aufgehört hatten, das deutsche Wesen zu preisen, die Wunden und Folgen des II. Weltkrieges den Opfern anzulasten und alles für das Vergessen zu tun?

Ich würde mit Jeseja antworten: "Denen nicht davon verkündet, die werden es sehen, und die nichts davon hörten, werden es erfahren."

Nicht am Erscheinungsbild, an der subjektiven Interpretation oder Widerspiegelung können Wert und Bedeutung einer geschichtlichen Periode gemessen werden, sondern an ihrer Hinterlassenschaft, an dem, was die Menschheit durchaus auch im biblischen Sinne an Menschlichkeit, Menschsein, Menschenrecht gewonnen hat, und wie sie mit den in Anspruch genommenen natürlichen Ressourcen umgeht.

Ich frage Herrn Schorlemmer: Sind die Menschen in Ostdeutschland heute aufgeklärter, moralisch-ethisch reifer, kulturell und wissenschaftlich gebildeter, sozial gerechter als 1989? Sind die Einsichten in gesellschaftliche Zusammenhänge, Entwicklungen, Wirklichkeiten ausgeprägter, wird die geistige Freiheit Andersdenkender öffentlich weniger kriminalisiert als vor 20 Jahren? Ist der Raubbau an den natürlichen Ressourcen geringer und der Zustand der Umwelt besser als in der Giftküche von 1989?

Vor 20 und mehr Jahren sahen Sie die Notwendigkeit, ein kleines Land zu reformieren - mit 20 Thesen ließen sich die Problemfelder markieren. Heute müssen Sie das "Prinzip Hoffnung" beschwören, da die Welt immer stärker aus ihren Angeln gerät und die auch von Ihnen hochgelobte westliche Demokratie das Volk täglich erneut betrügt. Den einen mehr, den anderen weniger.

Es stand und steht außer Zweifel, daß es in der DDR eine Anzahl auch grundsätzlicher Fehlentwicklungen gegeben hat. Hunderttausende ehemalige Mitglieder der SED sehen das heute bestimmt kaum anders. Sie vermochten es nicht, die Entartungen im demokratischen Zentralismus von innen heraus abzubauen. Doch die Genossen und andere Bürger der DDR schufen in einigen Jahrzehnten, die von der allseitigen Auseinandersetzung der Systeme geprägt waren, ein Generationenwerk.

Es ist schwer sich einzugestehen, daß etwas völlig anderes als das herausgekommen ist, was gewollt war. Dafür aber - mal bissiger, mal moderater - mit Steinen auf die Erbauer des Neuen zu werfen, ist unaufrichtig.

Dr. Eberhard König, Dresden

Raute

Vor 139 Jahren wurde Wladimir Iljitsch Lenin geboren

Klassiker des Marxismus

Am 22. April jährt sich zum 139. Mal der Geburtstag Wladimir Iljitsch Uljanows, der unter dem Namen Lenin als hervorragender Fortsetzer der Lehren von Marx und Engels gilt. Er erwies sich neben ihnen als bedeutendster Theoretiker, Stratege und Taktiker, den die kommunistische Bewegung bisher hervorgebracht hat. Keine persönliche Diskreditierung und keine Verfälschung seines Werkes können die historischen Leistungen dieses Mannes schmälern.

Lenins Wirken begann in einer Zeit, in der der Kapitalismus der freien Konkurrenz in sein letztes imperialistisches Stadium eingetreten war, was neue Konzepte und Methoden des weltweiten proletarischen Kampfes erforderte. So mußten seine weiterführenden marxistischen Erkenntnisse von Beginn an eine besondere Dimension erlangen.

Als 24jähriger übernahm Lenin 1894 mit seiner Arbeit "Was sind die Volksfreunde und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokraten?" die Stafette von Marx und Engels. Konsequent verteidigte er die durch Marx entdeckten Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesellschaft. Den von den Volkstümlern propagierten Bauernsozialismus verwies er in das Reich der Utopie. Überzeugend war sein Argument, Rußland entwickle längst die kapitalistische Gesellschaft, was zur Herausbildung des Industrieproletariats geführt habe. Lenin betrachtete es als Hauptkraft im Kampf um den Sozialismus.

Der geistigen Vorbereitung dieser Klasse auf die Eroberung der politischen Macht widmete er größte Aufmerksamkeit. "Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionäre Bewegung geben ..., jede Herabminderung der sozialistischen Ideologie bedeutet die Stärkung der bürgerlichen Ideologie", heißt, "sich unter die Fittiche der Bourgeoisie zu begeben", schrieb er in "Was tun?" (LW 5/396) Er begründete damit die von Marx geprägte These, daß die Theorie zur materiellen Gewalt wird, wenn sie die Massen ergreift.

Lenin verband deren Rolle und die des ideologischen Kampfes untrennbar mit der Existenz und dem Wirken einer revolutionären Partei. In "Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück" und weiteren Schriften sah er in ihr "die Vernunft, die Ehre und das Gewissen unserer Epoche ... die einzige Gewähr für die Befreiungsbewegung der Arbeiterklasse." (LW 25/266)

Sein Standardwerk "Der 'linke' Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus" ist ein Lehrbuch zum Wesen, zur Aufgabe, zu den Normen und Methoden einer marxistischen Partei des Proletariats.

Es ist schon sehr blamabel, daß gewisse Linke oder sich dafür Haltende in Deutschland nicht den Mut aufbringen, sich auf Lenins Erkenntnisse zu stützen, und statt dessen Eduard Bernstein hofieren. Sie scheuen den großen proletarischen Strategen nach wie vor. Geschieht das aus Angst, gegen die Spielregeln des bürgerlichen Parlamentarismus zu verstoßen, oder ist es tatsächlich pures Renegatentum?

Man kann keineswegs der Behauptung bestimmter Historiker beipflichten, Werke wie "Was tun?" oder "Ein Schritt vorwärts ..." seien ausschließlich auf russische Verhältnisse zugeschnitten. Auch Lenins berühmte Schrift "Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution" (1905), die den Zusammenhang von bürgerlich-demokratischer und sozialistischer Revolution unter den Bedingungen des Imperialismus behandelt, ist nach wie vor von aktueller und länderübergreifender Bedeutung. Erscheint "Staat und Revolution" etwa nicht geeignet, das heutige Machtsystem der BRD mit all seinen "Vorzügen" und seiner dem Kapital dienenden Politik zu erkennen?

Es gibt "Historiker", die zu DDR-Zeiten in ihren Publikationen ganz andere Standpunkte bezogen, aber inzwischen - aus welchen Gründen auch immer - dem politischen "Zeitgeist" erlegen sind. Sie entstellen Lenin, indem sie ihn durch die Behauptung karikieren, er sei angetreten, "die Geschichte zu überlisten". Sie verunglimpfen ihn als einen russischen Machiavelli. (Bei diesem handelt es sich um einen italienischen Machtpolitiker des 16. Jahrhunderts.)

Solches und Ähnliches stand im sich noch immer als sozialistische Tageszeitung ausgebenden ND, das sich inzwischen als linksbürgerliches Blatt zu profilieren sucht.

Bundeskanzlerin Merkel schwört nach wie vor auf ihre "soziale Marktwirtschaft", die unterdessen - wie jeder sehen kann - mehr Löcher aufweist als ein Schweizer Käse. Lenins Prognosen, seine schonungslose Bloßstellung des Kapitalismus als System brutaler Ausbeutung, der Kriegsgefahr und des sozialen Unrechts trafen demgegenüber ins Schwarze.

Ist es, wie von manchen behauptet wird, tatsächlich Dogmatismus, wenn sich linke Parteien wie Portugals PCP und Griechenlands KKE weiterhin auf Marx, Engels und Lenin berufen, um Lösungswege für Gegenwart und Zukunft zu finden?

Für Marxisten-Leninisten bleiben die Lehren der Klassiker Richtschnur im Kampf um eine gerechte, ausbeutungsfreie und friedfertige menschliche Gesellschaft. Angesichts der Niederlage des europäischen Sozialismus sollte man von Lenins Feststellung ausgehen: "Geschlagene Armeen lernen gut." (LW 31/12)

Dr. Rudolf Dix


*


Als rettungslos verloren müßte man diejenigen Kommunisten bezeichnen, die sich einbilden wollten, daß man ohne Fehler, ohne Rückzüge, ohne vielmaliges Neubeginnen des nicht zu Ende Geführten und des falsch Gemachten solch ein weltgeschichtliches "Unternehmen" wie die Errichtung des Fundaments der sozialistischen Wirtschaft (besonders in einem Lande der Kleinbauernschaft) zu Ende führen könnte. Diejenigen Kommunisten aber, die weder in Illusionen noch in Verzagtheit verfallen, die sich die Kraft und Geschmeidigkeit des Organismus bewahren, um beim Herangehen an diese überaus schwierige Aufgabe wiederholt "von Anfang zu beginnen", sind nicht verloren (und werden es aller Wahrscheinlichkeit nach auch nie sein).

Lenin

Aus "Notizen eines Publizisten"

Raute

Deutsche Kommunisten in den Reihen der Roten Armee

Die durchs Feuer gingen

Der im RF 129 veröffentlichte Artikel von Dr. Rudolf Dix über "Deutsche in der Roten Armee" veranlaßt mich, von Menschen zu berichten, denen ich persönlich begegnet bin.

Während meiner Dienstzeit in der NVA lernte ich Fritz, den Sohn des legendären Kommunisten Max Leinung, kennen, der als Rotarmist gekämpft hatte. Fritz war in unserer Dienststelle Parteisekretär - ein sehr beliebter, aufrechter und redegewandter Genosse. Vor seiner Armeezeit hatte er die Parteiorganisation eines Berliner Großbetriebes geleitet.

Fritz Leinung erzählte viel von seinem Vater, auf den er stolz war und dem er nach seinen Worten die feste Überzeugung von der Richtigkeit des Kampfes für den Sozialismus verdankte.

Als ich ihn nach der Vereinnahmung der DDR in der Gewißheit anrufen wollte, daß er niemals zu Kreuze kriechen würde, teilte mir sein Sohn mit, er habe sich aus Verzweiflung das Leben genommen. Ich war tief erschüttert.

Nach meiner 1978 erfolgten Entlassung als Stabsoffizier aus der NVA wurde ich Sekretär der Berliner Bezirksorganisation der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF). Zu dieser Zeit begegnete ich Hans Krüger. Sein Vater Paul Krüger hatte in der berühmten Reiterarmee des späteren Marschalls der Sowjetunion Semjon Budjonny gekämpft. Bei einer Reise in die UdSSR suchten wir auch das Denkmal auf, das in Erinnerung an die Schlacht bei Kochowka am Dnjepr errichtet wurde, an der Paul Krüger teilgenommen hatte.

Im vergangenen Jahr stieß ich bei der Sichtung alter Unterlagen auf eine Wochenendbeilage der "jungen Welt" vom 27. Oktober 1967. Dort wurde ein Artikel zum 80. Geburtstag Budjonnys abgedruckt. Zu dem interessanten Material gehörte eine Aufnahme, die Paul Krüger neben dem Marschall zeigte.

Übrigens ist von dem deutschen Budjonny-Reiter so manches überliefert. 1920 stand er auf dem Roten Platz in Moskau. Als Kommandeur sah man ihn mit gezogenem Säbel am rechten Flügel seiner Einheit. Lenin schritt die Front ab. Da entdeckte Genosse Krüger einige Rotarmisten, die noch nicht ausgerichtet waren. In ihm erwachte plötzlich, wie er später eingestand, der preußische Unteroffizier. Mit einem Sprung war er dort und brachte Ordnung in die Reihe. Lenin kam zu Krügers Abteilung, wandte sich an ihn und sagte in flüssigem Deutsch: "Stecken Sie Ihren Säbel ein." Und dann: "Ich habe gehört, Sie sind Deutscher  ...". "Ja, Genosse Lenin." "Sie sind nicht gerade der beste Kommandeur", fuhr Lenin fort, "aber auch nicht der schlechteste. Daß Sie an unserer Seite kämpfen, dafür dankt Ihnen unsere Partei. Aber das, was ich eben gesehen habe, will ich nicht noch einmal erleben. Sie haben die Soldaten nicht anzufassen. Führen Sie mir ja nicht den preußischen Kadavergehorsam in der Roten Armee ein. Achten Sie in jedem Soldaten vor allem den Menschen." Das war ein Rat, den der Oberst der Sowjetarmee Paul Krüger niemals vergaß.
(So etwa hat es Wolfgang Wegemann aus Nordhausen 1967 für die jW aufgeschrieben.)

In meiner Zeit bei der DSF begegnete ich auch anderen deutschen Kommunisten, die in der Roten Armee gegen den Faschismus gekämpft hatten. Zu ihnen zählte Gottfried Grünberg. Er verkörperte den Typ des echten Arbeiterfunktionärs. In seiner Art erinnerte er mich an Max Hoelz, den proletarischen Rebellen der 20er und 30er Jahre. Man konnte Gottfried stundenlang zuhören. Schon 1931 war er in die Sowjetunion gegangen, wo er zunächst im Bergbau gearbeitet hatte. Danach beteiligte er sich am Bau der Moskauer Metro. 1937 begab sich Grünberg nach Spanien, wo er in der XIII. Internationalen Brigade als Pionieroffizier am Kampf teilnahm. In die UdSSR zurückgekehrt, ging er 1941 als einfacher Soldat an die Front vor Moskau. Ab 1943 nahm er an der Umerziehung deutscher Kriegsgefangener teil. Anfang Mai 1945 kam er in die Sowjetische Besatzungszone. Er war zunächst Abgeordneter und Minister in Mecklenburg. 1950 übernahm er die Aufgabe des Generalsekretärs der DSF. 1956 kam Genosse Grünberg in die Politabteilung der NVA. Zwei Jahre später wurde er zum Militärattaché in Moskau ernannt. Nach seinem krankheitsbedingten Ausscheiden aus der Armee widmete er sich weiterhin dem Gedanken der deutsch-sowjetischen Freundschaft. Viele weitere Details kann man seiner Autobiographie "Kumpel, Kämpfer, Kommunist" (Militärverlag der DDR, Berlin 1977, 352 S.) entnehmen.

Leni Berner lernte ich 1979 kennen. Sie war Mitglied des Berliner Bezirksvorstandes der DSF. Schon vor dem Machtantritt Hitlers arbeitete sie im Aufklärungsapparat der Komintern. Während der faschistischen Diktatur ging sie in die Sowjetunion und erfüllte als Major Sonderaufgaben in der Roten Armee. Sie war kritisch und in ihrer kommunistischen Überzeugung unerschütterlich. Auf Antifaschulen bereitete sie Freiwillige unter den Kriegsgefangenen für einen Einsatz hinter den feindlichen Linien vor. Nach Gründung der DDR war sie in deren Außenministerium tätig.

Da jetzt alles, was mit diesen und anderen hochverdienten Genossen zusammenhängt, vernichtet, verschwiegen, verleugnet und der Jugend vorenthalten wird, ist es notwendig, die Erinnerung an sie wachzuhalten. Denn es wird der Tag kommen, an dem solchen Kämpfern für das Glück der Menschheit Gerechtigkeit widerfährt.

Günter Bartsch, Berlin


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Foto: Paul Krüger mit dem legendären Marschall Budjonny, unter dessen Kommando er als Kommissar des 8. Reiterregiments an der Oktoberrevolution teilnahm

Raute

Die Bestialität des deutschen Faschismus begann nicht erst mit der Shoa

Hitlers Terror gipfelte im Genozid

In der BRD-Geschichtsschreibung ist es üblich, die Verfolgung und Ermordung von über sechs Millionen europäischen Juden durch die Faschisten mit dem Fremdwort Holocaust zu bezeichnen. (Die jüdischen Opfer sprechen selbst von der Shoa.) Der aus den USA importierte Begriff verdeckt eher das ganze Ausmaß der im Namen des deutschen Volkes und ohne dessen massenhaften Widerstand begangenen Verbrechen.

Apropos Widerstand: Der wurde ja nach heutiger bundesdeutscher Lesart fast nur von den "Männern des 20. Juli 1944" geleistet.

Um der historischen Wahrheit gerecht zu werden, müssen wir uns gegen zwei Verfälschungen des wirklichen Geschehens zur Wehr setzen. Die Verteidiger der Nazivergangenheit leugnen die millionenfache Judenvernichtung durch die Hitlerfaschisten oder wagen es sogar, sie zu rechtfertigen. Der vom Papst innerkirchlich rehabilitierte britische Bischof Williamson hat sich hier in jüngster Zeit besonders hervorgetan. Diese ungeheuerliche Lüge wird von allen Demokraten bis weit ins bürgerliche Lager zurückgewiesen. Besonders hartnäckige Verfechter werden sogar juristisch belangt.

Es gibt aber auch noch eine andere Tendenz in der offiziellen Medien-Darstellung und Geschichtsschreibung der BRD: den Versuch, die Grausamkeiten des deutschen Faschismus auf die Judenverfolgung und -vernichtung einzuengen. Hitlers braune Diktatur zielte zunächst auf die brutale Ausschaltung politischer Gegner: Kommunisten, Sozialdemokraten, bürgerliche Antifaschisten und aufrechte Christen. Faschismus hieß Unterjochung anderer Völker. Ein ganzes Netz von Konzentrationslagern, die Vernichtung von Millionen Menschen fast aller europäischen Länder, die extreme Ausbeutung von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen zum Nutzen deutscher Konzerne und Landeigner kennzeichneten die Situation.

Es ist mein eigenes Erleben des deutschen Faschismus, das mir immer wieder vor Augen steht. Ich war fünf, als eines späten Abends Männer meinen Vater Albert Kuntz in die Wohnung schleppten. Sein Kopf und seine Kleidung waren voller Blut. Inzwischen weiß ich, daß es am 25. Mai 1932 geschah. Vater war bei der Verteidigung Wilhelm Piecks gegen einen SA-Überfall im Preußischen Landtag durch einen Messerstich am Kopf verletzt worden. Tief erschrocken von diesem Bild vernahm ich nur Aufregung der Erwachsenen und das Stöhnen des Verwundeten. Am Morgen war Vater verschwunden. Um ihn, den Org-Sekretär der KPD-Bezirksleitung Berlin, vor dem Terror der Faschisten zu schützen, schickte ihn die Parteiführung als Politischen Sekretär nach Hessen. Erst ein Jahr später sah ich ihn im Polizeigefängnis von Langen bei Frankfurt am Main wieder, in grüngrauer Häftlingskleidung und fürchterlich nach Jod riechend. Ein Erleben, das mich nie verlassen hat, vor allem auch deshalb, weil ich meinen Vater dort zum letzten Mal gesehen habe. Er wurde nach elf Jahren ununterbrochener Haft bei einem Verhör im KZ Mittelbau-Dora von SS-Leuten erschlagen.

Doch meine Konfrontation mit der Realität nazistischen Herrschaftsgebarens hatte auch andere Facetten. Kurze Zeit nach dem Jahreswechsel 1932/33 - Mutter war mit mir unterwegs auf einem Einkaufsbummel in der Müllerstraße, einer Hauptgeschäftsstraße des Wedding - vernahmen wir auf einmal das Dröhnen rhythmisch stampfender Stiefel. Eine Marschkolonne braununiformierter Männer zog, ein Lied grölend, heran. An den Straßenrändern stauten sich die Menschen. Ich sah viele drohend erhobene Fäuste. Plötzlich hörte man das Kommando: "Halt, Sturmriemen runter, Koppel ab, rechts- und linksrum, die Straße frei!" Eine Prügelorgie begann. Mutter packte mich, und wir rannten in einen Laden. Jemand zeigte uns die Hintertür, und wir fanden ungehindert den schnellsten Weg zur Wohnung in der Afrikanischen Straße. Gerettet!?

Wenige Wochen später, im März. Ich war auf dem Weg von der Schule nach Hause und lief wie immer durch eine Kleingartenanlage. Da eilte mir ein Bekannter entgegen und rief: "Schnell nach Hause, die Braunen kommen!" Im Wohnblock empfing uns lautes Geschrei. Fenster flogen auf, aus denen Möbelstücke und Betten geworfen wurden. Auf den Gehwegen schlugen Braununiformierte Menschen zusammen. Ehe sie bei uns auftauchten, verließ meine Mutter mit mir und einem Koffer in der Hand die Wohnung, um zur Haltestelle zu gelangen, wobei wir von den nun auf uns aufmerksam gewordenen SA-Männern verfolgt wurden. Ein Bus näherte sich. Der Fahrer, der unsere Notsituation erkannte, fuhr so dicht heran, daß Mutter mit mir aufspringen konnte. Ohne weiteren Halt ging es bis zur U-Bahn-Station. Durch das schnelle und mutige Handeln dieses Mannes wurden wir gerettet. Die Wohnung haben wir nie wieder betreten. So begann für uns der "gewöhnliche" Faschismus.

Die Errichtung der Naziherrschaft über Deutschland war also zunächst von der terroristischen Verfolgung der Kommunisten und anderer Antifaschisten, durch ein Regime der Angst und Willkür gekennzeichnet. Erst danach begann die systematische Ausrottungspolitik gegenüber jüdischen Mitbürgern. Diese bedurfte noch einer Vorbedingung: der Schaffung eines entsprechenden "Bewußtseins", der "Herrenrasse" anzugehören. Den Nazis ging es um die Erzeugung eines chauvinistischen Überlegenheitstaumels bei der Masse der Deutschen. Dabei konnten sie an entsprechende "Traditionen" anknüpfen. Schon zu Kaiserzeiten hieß das Leitmotiv: "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen."

In der Volksschule, die ich damals besuchte, mußte ich 1937 an sogenannten Rasseforschungsuntersuchungen teilnehmen. Man stufte mich als Dinarier von untersetzter athletischer Figur ein. Ein "guter Deutscher" war ein Arier, allen "minderwertigen Rassen" überlegen, zu denen Juden, "Zigeuner" und Slawen zählten, die man als "Untermenschen" bezeichnete. So hielten dann die "Arier" still, als 1938 die Massenverfolgung der Juden einsetzte. Wer heute diese Chronologie der Ereignisse unter dem Faschismus bestreitet, tut das mit Absicht. Vor allem, um den Widerstand der Kommunisten, Sozialdemokraten und anderer Antifaschisten zu leugnen oder abzuwerten.

Die gnadenlose Verfolgung aller Nazigegner und die Duldung antisemitischer Ausschreitungen, auf die dann Auschwitz folgte, machte die Masse der Deutschen zur Teilnahme am großen Gemetzel gefügig, das 1939 von Hitler entfesselt wurde. Hinzu kam die Lüge von der "Volksgemeinschaft", mit der man die weiterbestehende kapitalistische Klassenherrschaft verschleiern wollte. Den deutschen Konzernbossen brachte vor allem die forcierte Rüstung enorme Profite ein.

Wer das Wesen des deutschen Faschismus auf den mit dem Wort Holocaust umschriebene Genozid an jüdischen Menschen einengt, verschweigt die weitaus umfassendere Barbarei des Hitlerfaschismus. Fast 25 Millionen Sowjetbürger, Millionen Polen, Sinti und Roma fielen dem Wüten der deutschen Faschisten zum Opfer. Die politischen Heralde der BRD geben sich als Freunde "der Juden" aus und wollen damit den Eindruck erwecken, sie hätten die braune Vergangenheit bewältigt, während der Schoß, der das gebar, in Wahrheit noch fruchtbar ist. Es geht ihnen überhaupt nicht um "die Juden", sondern allein um den Staat Israel, der ein aggressiver und rassistischer Vorposten des Imperialismus im Nahen Osten ist. Was uns betrifft, so sind wir mit allen Menschen in Israel solidarisch, die sich diesem Kurs widersetzen.

Leo Kuntz


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Die Kapitalistenklasse überbietet die Brutalität aller ihrer Vorgänger. Sie wird ihr Allerheiligstes, ihren Profit und ihr Vorrecht der Ausbeutung mit Zähnen und mit Nägeln verteidigen. Sie wird Himmel und Hölle gegen das Proletariat in Bewegung setzen ...

(Aus dem Programm der KPD, angenommen am 31.12.1918)

Raute

Vom Hilfsarbeiter zum zweifachen Diplominhaber

Hermann Duncker war mein Lehrer

Herbert Niefts im "RotFuchs" veröffentlichte Erinnerungen an Hermann Duncker ließen Begegnungen mit ihm und seiner Frau Käte in mir wieder wach werden. 1951 absolvierte ich einen Halbjahreslehrgang an der damaligen FDGB-Bundesschule in Bernau. Hermann Duncker leitete die Einrichtung.

Damals war ich 21. Hilfsarbeiter eines gerade in Volkseigentum übernommenen Betriebes, hatte man mich 1948 in die SED aufgenommen. Der Besuch der Bernauer Schule ließ mich Kommunist werden. Ich setze das ganz bewußt an den Anfang meiner Notizen, weil der Einfluß des herausragenden marxistischen Wissenschaftlers H. D. auf Lehre und Ausbildungsziel für die Teilnehmer allenthalben spürbar war. Das, was wir noch Lebenden über diese Zeit zu berichten haben, müssen wir jetzt unbedingt aufschreiben. Denn die Zeitzeugen verabschieden sich einer nach dem anderen. Hermann und Käte bewohnten ein kleines Häuschen auf dem Schulgelände.

Während des Lehrbetriebs waren Begegnungen mit beiden Genossen eher selten. Mir, der ich noch zu den Jugendlichen zählte, erschienen die Dunckers als sehr alte Leute. Hermann stand bereits im 77. Lebensjahr. In Bernau erfuhr ich, daß Hermann und Käte herausragende Leistungen für die deutsche und internationale revolutionäre Arbeiterbewegung erbracht hatten. Sie waren während der Hitlerzeit zuletzt in Mexiko als Emigranten gewesen und von dort dann in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands zurückgekehrt.

Mein Wissen über die Dunckers hatte ich vor allem in einer Ausstellung vermittelt bekommen. Dazu muß ich bemerken, daß die Mehrzahl der Lehrgangsteilnehmer aus allen fünf damaligen Ländern der DDR kam und in unterschiedlichen Gewerkschaftsfunktionen während der ersten Nachkriegsjahre politische Erfahrungen zu sammeln begonnen hatte. Neben jungen Menschen gab es auch jene, welche Hitlers Vernichtungsfeldzug gegen Antifaschisten im Innern und "äußere Feinde" überlebt hatten. Die politischen Auffassungen der Kursanten stimmten noch nicht immer überein. Mitglieder der SED überwogen jedoch. Vom Marxismus-Leninismus besaßen wir Elementarkenntnisse. So konnte vorausgesetzt werden, daß die Mehrheit der Hörer von Hermann und Käte wußte, daß sie wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu den Gründern der KPD gehört hatten. Hermann Duncker erlebte ich auch in Abendvorlesungen außerhalb des regulären Unterrichts. Gemeinsam nahmen wir an Filmveranstaltungen teil. Die beiden Alten hatten stets ihre Plätze in der ersten Reihe. Hermann war stark sehbehindert. Er trug eine Brille mit, wie mir schien, aufgesetztem Opernglas. Ein besonderes Erlebnis war für mich unsere Gratulation zu seinem 77. Geburtstag. Es war gerade die Zeit der Vorbereitung auf die 3. Weltfestspiele der Jugend und Studenten, die im August 1951 in Berlin stattfanden. Unser Schulchor sang deshalb auch das Lied "Laßt heiße Tage im Sommer sein, im August, im August blühn die Rosen ...".

Noch ein Wort zu den Abendvorlesungen. Hermann sprach über das Lebenswerk von Marx und Engels. Er tat es wie immer ohne Manuskript oder Aufzeichnungen. Es war damals recht ungewöhnlich, eine Vorlesung zu hören, bei der nicht abgelesen wurde. Zwei Stunden hatte man vorgesehen, doch Hermann überzog immer. Er zitierte aus den Werken der Klassiker mit exakter Quellenangabe. Stets aus dem Kopf. Wie sollte er auch vom Blatt ablesen! Seine Brillengläser gaben das gar nicht her. Er sprach, wenn er Episoden aus dem Leben von Marx einflocht, mit einer Bewegtheit, daß man den Eindruck haben konnte, ihm stünden Tränen in den Augen. Nur Stalin, der ja zu dieser Zeit für uns die herausragende Leitgestalt war, ließ er unerwähnt. Unter uns kursierten Gerüchte, Hermann akzeptiere den damals unterstellten Klassikerstatus des sowjetischen Führers nicht. Die Gründe dafür verloren sich in Spekulationen. Es herrschte die Auffassung vor, seine tiefe Kenntnis des Marxismus veranlasse ihn zu einer solchen Zurückhaltung. In diesem Zusammenhang mutmaßte man aber auch von Gründen, warum er trotz seiner enormen Verdienste und seines phänomenalen Wissens nicht in die Parteispitze aufgenommen worden war. Ich weiß nicht mehr, ob er dem ZK der SED angehörte, glaube es allerdings. Es ging indes mehr darum, warum man ihn in Bernau, etwas weit vom Schuß, eingesetzt hatte. Solche Fragen wurden damals offen gestellt, fanden jedoch keine Beantwortung. Später erfuhr ich vom tragischen Schicksal des Sohnes der Dunckers in der Sowjetunion. Vermutlich bestand da ein Zusammenhang. Hermann war gesundheitlich mehr als angeschlagen. Aus heutiger Sicht glaube ich, daß ihn die Parteiführung eingedenk dessen wohl auf den richtigen Platz gestellt hat. Die Entscheidung, ihn nicht in das Politbüro aufzunehmen, erscheint mir nicht als Herabsetzung. Das gleiche gilt für Käte. Die Rolle der Bundesschule, die nach unserem Lehrgang zur Gewerkschaftshochschule wurde, bestand darin, dem FDGB als Kaderschmiede zu dienen. Es ging darum, eine schlagkräftige Organisation zu schaffen, die aktiv am Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung mitwirken konnte. Ihr stand 40 Jahre lang auf deutschem Boden ein Klassenfeind gegenüber, der alle Register zog und sich überdies derselben Sprache bedienen konnte. Erstmals erlebten die Menschen in einem Teil Deutschlands, daß es zu dem im Westen herrschenden kapitalistischen System eine soziale Alternative gab.

In diesen schweren Anfangsjahren der DDR schloß sich der Lebenskreis der Dunckers. Käte starb schon 1953, und Hermann folgte ihr sieben Jahre später. Im sozialistischen Osten Berlins wurde diesen beispielhaften Kommunisten ein würdiges Denkmal gesetzt. Man benannte die Magistrale des historischen Stadtteils Karlshorst nach dem großen proletarischen Gelehrten. Diese Ehrung schloß auch seine Kampf- und Lebensgefährtin mit ein. Hermann Duncker errichtete man unweit des S-Bahnhofs Berlin-Karlshorst ein Monument, das die Bilderstürmer der Konterrevolution bis heute nicht anzutasten gewagt haben. Ich schließe mich Hermann Niefts Meinung an, daß die Rückbenennung der Hermann-Duncker-Straße nach dem Gutsbesitzer von Treskow das erzreaktionäre Wesen des wieder über uns gekommenen Systems prägnant zum Ausdruck bringt.

Konrad Zink

Unser Autor studierte an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften. Er qualifizierte sich auf dem Gebiet des Völkerrechts und der internationalen Beziehungen. Überdies erwarb er das Diplom der Hochschule für Ökonomie.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Hermann Duncker (links) im Gespräch mit dem französischen KP-Führer Maurice Thorez und Otto Grotewohl

Raute

Kurt Schumacher konnte die Einheitspartei nicht verhindern

Wie ich als Sozialdemokrat die DDR erlebte

Als ich 20jährig aus dem Krieg zurückkam, wußte ich nur wenig über Politik und Gesellschaft. Was sollte ich in zwölf Jahren faschistischer Diktatur über Arbeiterklasse, Ausbeutung, Staatsgewalt oder Demokratie auch erfahren haben! Ich konnte lediglich darauf bauen, in einer sozialdemokratisch orientierten Familie aufgewachsen zu sein. Die ersten Fotos von mir zeigen mich als Knaben im Arbeitersport- und -gesangsverein. Was mir anerzogen wurde, war die Ablehnung der Nazipolitik und der faschistischen Kriegführung.

Wie nur zwei meiner Schulkameraden aus einer 35köpfigen Klasse überlebte ich den Krieg unbeschadet. Doch ich brachte aus dem blutigen Geschehen Fragen mit nach Hause. Mir war bewußt geworden, daß starke Kräfte nötig sein würden, um den Kriegsschuldigen und -gewinnlern das Handwerk zu legen. Solche Erkenntnisse führten mich - der Familientradition folgend - bereits am 1. Oktober 1945 in die Reihen der SPD.

In den ersten Versammlungen traf ich überwiegend mit jungen Menschen zusammen, die weder politische Zusammenhänge zu erkennen vermochten, noch eine Ahnung davon besaßen, welche praktischen Aktionen der Partei bevorstanden. Wir waren froh, daß auch ältere Genossen zu uns kamen, die wie Otto Buchwitz viele Jahre im KZ gesessen hatten. Sie lehrten uns, den Klassenkampf und den Widerstand gegen die Ausbeutung sowie die schädlichen Folgen der Zerstrittenheit beider Arbeiterparteien zu verstehen und daraus Schlüsse zu ziehen. Sie überzeugten uns von der Richtigkeit des Prager Aufrufs der SPD-Führung vom 28.1.1934. Darin hieß es: "Der Kampf zum Sturz der Diktatur kann nicht anders als revolutionär geführt werden. Ob Sozialdemokraten, ob Kommunisten, ob Anhänger der zahlreichen Splittergruppen - der Feind der Diktatur wird im Kampf durch die Bedingungen des Kampfes selbst der gleiche sozialistische Revolutionär. Die Einigung der Arbeiterklasse wird zum Zwang, den die Geschichte selbst auferlegt."

Dem wurde die SPD gerecht, als der Vorsitzende ihres Zentralausschusses, Otto Grotewohl, Mitte Juni 1945 dazu aufrief, den Kampf um die Neugestaltung Deutschlands auf dem Boden der organisatorischen Einheit der Arbeiterklasse zu führen.

Zu unserem Bedauern erteilte Kurt Schumacher, der selbsternannte Führer der West-SPD, der Einheitspartei eine scharfe Absage. Er negierte die Prager Erklärung und zog auch aus seiner eigenen zehnjährigen KZ-Haft keine Lehren. Schumacher kam von seiner feindseligen Einstellung zur KPD nicht los. Er hatte sie als 1930 gewählter Reichstagsabgeordneter eingesogen. Zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in manchen Städten des Westens vereinbarte Gemeinschaftsaktionen wurden schnell unterbunden.

Schließlich grenzte sich Schumacher auf einer Konferenz, die Anfang Januar 1946 in Hannover stattfand, endgültig von der KPD ab. Er sagte dort: "Die Vereinigung ist nur denkbar zwischen unabhängigen Faktoren. Der Mangel an Unabhängigkeit bei den deutschen Kommunisten geht so weit, daß sie russische Patrioten geworden sind. Deutschland und den Sozialismus betrachten sie im tiefsten Grund als sekundäre Angelegenheiten."

Was Schumacher damit verspielte, zeigte sich bei den Wahlen zum westzonalen Wirtschaftsrat im Mai 1947. Auf die SPD entfielen 20 Sitze, auf die CDU 21. Die drei Mandate der KPD hätten eine linke Mehrheit ergeben. Bei den Wahlen zum 1. deutschen Bundestag am 14. August 1949 bot sich das gleiche Bild. Die SPD erzielte 29,2 %, die CDU dagegen 31 %. Mit den 5,6 % der KPD hätte eine Einheitsfront Adenauers Kanzlerschaft verhindern können.

Wir jungen Sozialdemokraten im Osten brauchten keinen Zwang von außen oder oben, um den Vereinigungsprozeß mit der KPD voranzutreiben. Ob ältere Mitglieder aus überkommenem Parteienzwist den Zusammenschluß ablehnten, vermag ich nicht zu sagen. Aber es wird solche Fälle wohl gegeben haben. Die These, im Osten habe eine Zwangsvereinigung stattgefunden, dient indes allein dem Zweck, das Konstrukt eines "Unrechtsstaates" DDR zu stützen.

Ich jedenfalls kann nur unterstreichen, daß ich in den 40 Jahren DDR als Sozialdemokrat weder unterdrückt noch benachteiligt worden bin. Ich wurde am 15. Oktober 1945 ohne jegliche politische und fachliche Erfahrung, aber mit einem gesunden Klassenstandpunkt ausgerüstet, als Kriminalist in die Deutsche Volkspolizei eingestellt. Die Bekämpfung der Nachkriegskriminalität sowie die Abwehr der immer heftigeren Angriffe des Klassengegners im Kalten Krieg - nicht zuletzt vom Ostbüro der Schumacher-SPD organisiert - erforderten meine ganze Kraft.

Anläßlich des 40. Jahrestages der Deutschen Volkspolizei würdigte das "Sächsische Tageblatt", Organ der LDPD, meine Tätigkeit auf einer ganzen Seite. Mir wurde auf keiner Parteischule irgendeine Ideologie aufgedrückt. Diese erarbeitete ich mir in mühsamem Selbststudium. Ihre Richtung entsprach den tatsächlichen Gegebenheiten.

Die programmatischen Forderungen der SPD, die Schumacher im Oktober 1945 in Kiel verkündete, blieben Schall und Rauch. Sie lauteten: Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung und Überführung der Produktionsmittel aus der Hand der großen Besitzenden in gesellschaftliches Eigentum; Verstaatlichung der Großindustrie, der Großfinanz und Aufsiedlung des Großgrundbesitzes; Lenkung der gesamten Wirtschaft nicht nach privaten Profitinteressen, sondern nach den Grundsätzen volkswirtschaftlich notwendiger Planung; Vernichtung des Kapitalismus als System.

Im Gegensatz zu solchen Lippenbekenntnissen hat die SED gerade diese Forderungen in der DDR verwirklicht.

Heinrich Potthoff hat recht, wenn er in der "Kleinen Geschichte der SPD" (1991) schreibt: "Seit der Annahme des Erfurter Programms im Jahre 1891 galt die deutsche Sozialdemokratie innerhalb der Sozialistischen Internationale als die marxistische Partei par excellence. Wendet man sich jedoch der Parteiwirklichkeit zu, so stellt man fest, daß die marxistische Theorie und Programmatik für die praktische Politik nur mittelbar von Bedeutung war und weder die Parteiführung noch die breite Parteiöffentlichkeit ernsthaft beschäftigte."

Mit einer solchen Praxis konnten wir, die wir als Sozialdemokraten der SED beigetreten waren, uns nicht abfinden. Wir mußten einen anderen Weg gehen. Daß wir unsere Ziele am Ende in der DDR nicht erreichen konnten, hatte mannigfaltige innere und äußere Ursachen, wozu sich bereits mehrere Autoren im "RotFuchs" geäußert haben.

Doch die Diskussion dazu wird weitergehen, auch wenn uns das heutige Sozialdemokraten nur allzugerne verbieten möchten. Sie können indes den Lauf der Geschichte nicht aufhalten, deren letztes Wort mit Gewißheit nicht der Kapitalismus sein wird.

Werner Feigel, Chemnitz

Raute

Helmut Holters Beliebtheit nimmt immer mehr zu

Streit um "drei böse Worte"?

Der "Stern" veröffentlichte vor einem halben Jahr (Nr. 36/2008) ein Interview besonderer Art. Er fragte: "Was macht eigentlich Helmut Holter?" Dieses Blatt erkundigt sich nicht bei jedem Linken sorgenvoll, wie es ihm geht. Also müßte man wissen, warum gerade Holter (nicht aber Modrow oder Doernberg) gefragt wurde. Wer nachdenkt, findet die Antwort selbst.

Holter schien sich geehrt zu fühlen und gab sogar Auskunft zu Dingen, die gar nicht aufgeworfen worden waren. Eine seiner Forderungen lautete: Die Linke müsse "sich glaubhaft eindeutig zu ihrer Geschichte positionieren und das, was das SED-Regime ausgemacht hat, klar verurteilen: Terror, Mord, Repression." Der Satz enthält zweierlei. Erstens eine Aussage zum "SED-Regime" als einem "Mordregime"; zweitens eine Forderung (Order?) an die Mitglieder der Linkspartei.

Es geht nicht um "drei böse Worte" - Worte haben bekanntlich keine Eigenschaften -, sondern um die berüchtigte Totalitarismus-Doktrin, die Gleichsetzung von Faschismus und DDR. Solche Gleichheitszeichen stammen nicht von befugten Richtern oder päpstlicher Unfehlbarkeit, sondern hörigen Historikern, Politikern und Publizisten.

Da Holter möglicherweise etwas deutsche Geschichte gelernt hat, weiß er vielleicht auch: Auf dem Dresdner Parteitag 1903, bei dem die Revisionisten eine Abfuhr erhielten, faßte die übergroße Mehrheit der Delegierten den Beschluß, jegliche publizistische Tätigkeit von Genossen in bürgerlichen Medien als unvereinbar mit der SPD-Mitgliedschaft zu erklären. Jetzt nutzt Holter den "Stern", um sein reaktionäres Geschichtsbild den eigenen Genossen aufzuzwingen.

Am 7./8. Februar eilte im ND dessen Schweriner Korrespondent Velten Schäfer Herrn Holter zu Hilfe. Der Leser erfährt, daß dieser seit dem "Stern"-Interview bereits "18 oder 20 Termine" gehabt habe, bei denen um Geschichte gestritten worden sei. Schäfer berichtet über eine Versammlung im Hotel "Fritz" in Schwerin. Holter spricht dort über seine Biographie, "die Stalinisierung der SED, die Verfolgung von Andersdenkenden, die undemokratische Verfassung von 1961, die Mauer und ihre Toten".

Und das soll das "SED-Regime" gewesen sein? Keine Entmachtung der Monopole, keine Bodenreform, keine Friedenspolitik? Selbst bei dieser böswilligen Karikatur der DDR-Wirklichkeit beging Holter noch gravierende Fehler. Die Verfassung von 1949 war gründlich diskutiert, die von 1968 (nicht 1961!) vom Volk in geheimer Abstimmung legitimiert worden. Der ND-Reporter läßt in seinem Bericht einige Versammlungsteilnehmer zu Wort kommen. Die Debatte Holters sei schädlich für den Wahlkampf des Politikers, meint einer. In der Tat: Warum sollte jemand, der Gauck nicht wählen will, ausgerechnet Holter seine Stimme geben?

Schäfer fährt einige Geschütze auf, um diesen zu entlasten. Die Historische Kommission der PDS habe "auch allerlei Verbrechen" in der DDR festgestellt, die "Mauertoten", von Repressalien Betroffene usw. Und natürlich darf der "Stalinismus" nicht fehlen.

Nach 20 Jahren Kampf der PDS gegen dieses Phantom fragt der ND-Mann: "Was ist der Stalinismus, von dem man sich wohlfeil distanzieren kann? Eine Epoche, eine Methode, eine Haltung?"

Am Ende versichert Velten Schäfer, daß die Debatte um die "SED-Diktatur" entspannter angegangen werden könnte als früher, denn "kaum noch jemand bezweifelt, daß die DDR gute Seiten hatte". Aber eben die Tatsache, daß nicht jeder frühere DDR-Bürger auf Kommando sein Gedächtnis abgeliefert hat, zwingt zum befohlenen Feldzug gegen die angebliche Verklärung, angeführt vom Bundespräsidenten, organisiert vom Bautzen-Forum bis zur Adenauer-Stiftung, die in Dresden seit September die Frage beantworten läßt: "Wie schmeckte die DDR?" Dort könnte Holter zwei Dutzend Partner treffen, die mit ihm in der Verteufelung dieses Staates wetteifern. Einer der Referenten war übrigens der längst abgewrackte, aber immer noch herumgereichte Günter Schabowski.

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Lichtgestalt

Was das ND unlängst seinen Lesern auf Seite 3 zumutete, läßt mich nicht ruhig.

H. Holter hat sich mit der Bemerkung, die DDR sei ein Land gewesen, das von Mord, Terror und Repression gekennzeichnet war, selber ins Abseits gestellt, jedenfalls als ein Politiker der "Linken" oder als ein Politiker, der von linksorientierten Menschen gewählt oder in ein neues hohes Amt getragen werden will.

Die von ihm bevorzugte Wortwahl ist weder durch einen Blackout noch durch Platzmangel zu begründen. Holter denkt entweder so oder - und das halte ich für wahrscheinlicher - glaubt, daß er Punkte bei den Siegern sammeln kann, wenn er sich des Vokabulars von Herrn Knabe bedient. Karrierebewußt eben. Wie auch immer - er sollte sich andere Wähler suchen. Vielleicht kann er es Günter Schabowski gleichtun, der bei den Berliner Wahlen bekanntlich der CDU als Experte für die "Linke" diente. Wahlen gibt es in diesem Jahr genug.

Aber eigentlich ist ja Holter Geschichte - wäre es, wenn das ND ihm nicht die Chance gäbe, sich als Politiker von hoher Karatzahl zu präsentieren. Am besten geht das natürlich, wenn erst einmal seine Kritiker mit Häme überzogen werden. Und das macht Velten Schäfer gekonnt. Er hat wirklich gelernt, wie man sie der Lächerlichkeit preisgibt und kleinredet. Sie werden allesamt als schrullig, verschroben, verstockt und verbohrt dargestellt; die feine Auswahl der Zitate und die gelegentlich verwendeten Adjektive tun ihr Übriges, um Holter zur Lichtgestalt emporwachsen zu lassen.

"Wir müssen den eigenen Stall aufräumen, bevor wir über andere sprechen", belehrt er seine Kritiker. Ja, was geschieht denn seit 20 Jahren ununterbrochen? Seit dem Untergang der DDR wird mit ihr abgerechnet, pausenlos und immer wieder. Der Artikel beklagt, daß sich Holter seit dem Sommer für seine Ausfälle rechtfertigen muß. Aber daß man das von anderen noch eine Generation lang fordern wird, unterstellt das ND als richtig und normal. Dabei haben sich die Leute in Krebsförden doch weder des Mordes noch des Terrors schuldig gemacht. Sie wehren sich einfach dagegen, sich ohne Unterlaß demütigen, sich von ihrem gelebten Leben distanzieren und willfährig denen nach dem Mund reden zu müssen, die die öffentliche Meinung dominieren. Sie wollen nicht diesen Unsinn bereuen, einem "verbrecherischen System" gedient zu haben, das durch "Mord, Terror und Repression" gekennzeichnet war. Kurz: Ich finde die Absicht des Artikels, Holter reinzuwaschen und ihm zu neuem Start zu verhelfen, ärgerlich, die journalistische Methode perfide und ziemlich unappetitlich.

Peter Lorf

Aus einem Brief an ND-Chefredakteur Jürgen Reents

Der Verfasser war Botschafter der DDR sowie zuvor zehn Jahre Redakteur und Abteilungsleiter im ND.

Raute

Gedanken nach einem Besuch der Grünen Woche

Das Imperium der Schande

Die Grüne Woche in Berlin, die angeblich weltgrößte Landwirtschafts- und Ernährungsschau, war auch diesmal eine Meile des guten Essens und Trinkens. Überall sah man wohlgenährte Menschen, die auf das Gelände am Berliner Funkturm strömten, um dort nach Herzenslust zu schlemmen. Angesichts des zur Schau gestellten Überflusses hätte man der Illusion erliegen können, der Hunger auf der Welt sei besiegt.

In einer der Hallen hatte man allerdings den Eindruck, daß nicht wenige Besucher, bei denen sich das schlechte Gewissen regte, unangenehm berührt waren. Dort unterhielt der afrikanische Staat Burkina Faso (ehem. Obervolta) einen Informationsstand. Das Land zählt zu den ärmsten der Welt. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen liegt unter 42. Jedes fünfte Kind stirbt vor dem vierten Geburtstag an Unterernährung oder deren Folgen. Am Stand Burkina Fasos präsentierte sich wie in einem Brennglas das "Imperium der Schande", wie der UN-Sonderbeauftragte für das Menschenrecht auf Nahrung, der Schweizer Jean Ziegler, sein Buch genannt hat. Es ist eine Schande für das kapitalistische System, daß es auf der Welt fast eine Milliarde Hungernder und Unterernährter gibt. Die Zahl der vom Elend Betroffenen hat sich in den letzten beiden Jahren weiter erhöht. Heute erliegt alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren dem Hunger oder dessen Begleiterscheinungen, vor allem damit verknüpften Krankheiten. Armutsschwerpunkte sind die Entwicklungs- und Schwellenländer Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Aber auch in den kapitalistischen Metropolen nimmt der Anteil der Darbenden zu. Die BRD macht dabei keine Ausnahme. Das zeigt sich u. a. an der wachsenden Zahl der Armenspeisungen. Fast überall entstehen neue Tafeln und Suppenküchen für Bedürftige.

Ursache ist nicht - wie oft behauptet wird - ein absoluter Mangel an Nahrungsmitteln. Armut und Unterentwicklung stehen im Vordergrund. Rund 1,5 Milliarden Menschen, die weniger als zwei Dollar pro Tag zur Verfügung haben, können sich die zur Existenz notwendigen Nahrungsmittel nicht kaufen.

Die enormen Probleme in der Dritten Welt resultieren aus einem Bündel von Bedingungen und deren Folgen: Nachwirkungen kolonialer Ausbeutung, im Ergebnis der formellen Unabhängigkeit willkürlich gezogene Grenzen, ethnische Konflikte und Kriege, die Gier korrupter Eliten. Hauptursache aber ist die Ausplünderung durch trans- und multinationale Konzerne, die arme Länder nur als billige Rohstofflieferanten ausnutzen und deren Entwicklung verhindern. Jean Ziegler stellt in dem erwähnten Buch fest, man müsse heute mit ansehen, wie die Welt - mehr als zwei Jahrhunderte nach dessen Abschaffung in Frankreich - einem neuen Feudalsystem unterworfen werde. Dieses gehe vom Kapitalismus aus, dessen "Feudalherren" über eine Macht verfügten, wie sie kein Kaiser, König oder Papst je besessen habe. Die 500 stärksten Multis kontrollierten inzwischen mehr als 50 % des Bruttosozialprodukts der Welt.

Ein entscheidendes Instrument zur Sicherung dieser Herrschaft ist die Schuldenfalle. Die armen Länder des Südens schulden den herrschenden Klassen der reichen Länder weitaus mehr Geld, als sie von diesen in Gestalt von Investitionen, pseudohumanitärer Unterstützung und Entwicklungshilfe erhalten. Im Jahr 2003 betrugen die Zahlungen der kapitalistischen Staaten für 121 Entwicklungsländer rund 54 Milliarden Dollar. Im selben Jahr haben diese aber 436 Milliarden Dollar als Schuldendienst an das Bankensystem des Nordens überwiesen.

Der in den letzten Jahren geführte Kampf der Länder Lateinamerikas gegen diese Form der Ausbeutung und Unterdrückung hat zu ersten meßbaren Ergebnissen geführt. Die großen Staaten Argentinien und Brasilien gehören zu den Vorreitern des Widerstands gegen die Schuldendiktatur des Auslandskapitals auf dem Subkontinent. Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil die finanzielle Abhängigkeit ein hauptsächliches Druckmittel von Weltbank und Internationalem Währungsfonds darstellt, um eine Politik im Interesse der transnationalen Konzerne einzufordern. Verlangt werden Sozialabbau, Privatisierung und Deregulierung.

Die BRD ist vom Orientierungsziel der UNO für die kapitalistischen Metropolen, mindestens 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe bereitzustellen, noch weit entfernt. Sie erreichte nur etwa die Hälfte dieser Vorgabe.

Wichtig wäre ein globales Investitionsprogramm jenseits von Profitinteressen der Konzerne und Banken, das faire Handelsbeziehungen und Entwicklung vor allem auch der landwirtschaftlichen Produktion in den schwachen Ländern des Südens ermöglichen würde.

In Afghanistan will die NATO jetzt aktiv gegen den Drogenhandel vorgehen - bis zur Todesstrafe für Anbauende und Händler. Die Ursachen für die Zunahme der Schlafmohngewinnung werden weder analysiert noch behoben. Zu ihnen zählt die Überschwemmung des afghanischen Marktes mit billigem Getreide aus den USA und Kanada, was man als "Nahrungsmittelhilfe" zu tarnen versucht. Die einheimischen Bauern können aufgrund ihrer ungünstigen Standortbedingungen (Boden und Klima) nicht gegen solche Importe konkurrieren. Einziger Ausweg, um zu überleben, ist die Produktion von Narkotika-Rohstoffen. Profiteure sind Warlords und Drogenmafia.

Nachdem 2008 der Export von Schweinefleisch durch die EU-Kommission subventioniert wurde, ist dieses Mal die Preisstützung der Ausfuhr von Milchprodukten vorgesehen. Mit den niedrigen Preisen, die auf dem Markt gezahlt werden, können Indiens, Afrikas und Südamerikas Kleinbauern nicht Schritt halten. Das führt dazu, daß auch sie zu den Hungernden gehören werden.

Wirklich linke Politik muß sich noch aktiver für eine neue Weltwirtschaftsordnung einsetzen, die den Benachteiligten Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet. Die sozialen Bewegungen Lateinamerikas und deren linksgerichtete Politiker, unter ihnen einige Staatspräsidenten, zeigen in Ansätzen den Ausweg.

Dr. Hans Watzek

Unser Autor war Landwirtschaftsminister in der Modrow-Regierung.

Raute

Ergreifendes Leid einer Milliardärin

Zu Tränen gerührt

Als ich unlängst die "Berliner Zeitung" zur Hand nahm und einen Blick auf die Titelseite warf, mußte ich an mich halten, um nicht in Tränen auszubrechen. Im Großformat war der von Leid gezeichnete Gesichtsausdruck einer auf jung zurechtgeschminkten ältlichen Dame namens Maria-Elisabeth Schaeffler abgebildet. Man spürte und sah, wie sie schluchzte und voller Schmerz die Augen schloß. Das Foto - dem viele andere quer durch den Blätterwald folgen sollten - war so anrührend, daß ich fast glaubte, sie weinen zu hören. Den ganzen Tag über war ich zutiefst bewegt und voller Mitleid. Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als ich las, daß die arme Frau ganz ohne eigene Schuld in eine der traurigsten Situationen ihres Lebens geraten ist. Als Eigentümerin des milliardenschweren Schaeffler-Konzerns sieht sie sich außerstande, die lumpigen 70 Millionen Zinsen aufzubringen, die sie - nach dem Erwerb des Reifenherstellers Continental auf Pump - zu zahlen hat. Der kleine Zukauf hatte sie immerhin 10 Milliarden Euro gekostet. Nun steht Frau Schaeffler mutterseelenallein da, weil sie der abgestumpfte Staat, der ihr bisher immer geholfen hat, nicht mehr trösten will. Jedenfalls nicht auf die Schnelle.

Beistand erhält die bedrängte Dame dennoch: Ihre 80.000 treuen Arbeiter gingen für sie auf die Straße, um gegen eine herzlose Regierung zu protestieren, die diese gütige Frau nicht umgehend aus ihrer Pein zu befreien gedenkt. Und sie marschierte sogar persönlich mit - vorsichtshalber am Schluß der Kolonne und mit einem knallroten Müntefering-Huber-Schal.

Die braven "Mitarbeiter" Frau Schaefflers führt ein Gewerkschaftsoberer aus der Branche an, der sich für die gebeutelte Firmenchefin stark macht. Hat sie doch bisher seinen Getreuen und auch ihm selber viele Jahre Gelegenheit geboten, ihr beim "Anschaffen" behilflich zu sein. So etwas muß gewürdigt werden. Und es wäre doch unsozial, wenn die derzeit etwas finanzklamme Milliardärin nicht weiterhin gut an ihnen verdienen könnte.

Deshalb tritt der Gewerkschaftsmann seinen Kollegen aus anderen "Branchen" furchtlos gegenüber. Jene halten ihm nämlich vor, mit dem durch ihn organisierten Marsch Frau Schaeffler lediglich zu einem großen Stück von jenem Kuchen verhelfen zu wollen, welcher gegenwärtig vom Staat gebacken wird. Der Trog, in dem man den Teig anrührt, könnte nämlich für alle viel zu klein sein.

Im übrigen richtet sich der Protest unseres lieben Gewerkschafters gegen den Falschen: Was haben denn der Staat, die Regierung oder gar das System mit der entstandenen Lage zu tun? Der gute Mann müßte doch den wahren Schuldigen am Elend von Frau Schaeffler kennen: den Finanzwesir des Konzerns, der sich ganz einfach vergaloppiert hat. Möglicherweise ist er sogar mit jener Handvoll böser Buben verwandt, die durch reine Unvernunft für ein weltweites Desaster gesorgt haben. Sie wurden ja bereits hart abgestraft, indem sie künftig nicht mehr ganz so viele Millionen abfassen sollen wie bisher. Jedenfalls offiziell.

Das bedrückende Bild in der Zeitung hat mich um den Schlaf gebracht. Ich mußte darüber nachgrübeln, wie man Frau Schaeffler noch besser helfen könnte. Da es sich bloß um eine kleine Lücke von 70 Millionen handelt, könnten doch die Arbeiter in die Bresche springen. Umgerechnet kämen auf jeden der 80.000 jährlich nur 875 Euro. Das müßte doch wohl zu machen sein! Warum erst den Umweg über den Staat wählen?

Dr. Manfred Böttcher


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Auf Anregung des Exkriegsministers und heutigen BRD-Oberradfahrers Rudolf Scharping (SPD) warf IG-Metall-Chef Berthold Huber (SPD) der gerührten Milliardärin Maria-Elisabeth Schaeffler einen Rettungsring zu. Deren Gegenleistung: etwas mehr Mitbestimmung und stärkere Risikobeteiligung der "Mitarbeiter".

Raute

Zur RBB-Ausstrahlung der DDR-Serie "Das unsichtbare Visier"

Nur drei von 16 - aber immerhin!

An einem Februarabend geschah etwas Ungeheuerliches: Der Sender RBB erkühnte sich, ausgerechnet "Das unsichtbare Visier" auszustrahlen. Nur drei Teile von 16, aber immerhin! Diesen Streifen liegen Ereignisse zugrunde, die durchweg historisch belegt sind. Nach dem 2. Weltkrieg gab es tatsächlich den "Römischen Weg", das "Nest im Urwald" und das "Wasserschloß".

Über den römischen Weg - gemeint ist der Vatikan - wurden schwerbelastete Spitzennazis außer Landes gebracht. Hauptsächlich war Perons Argentinien als Exilland auserkoren, um faschistische Verbrecher der Strafe zu entziehen. Im Wasserschloß wurde bereits 1950 - die BRD war gerade ein paar Monate alt - an der Wiederaufrüstung gebastelt. Konrad Adenauer hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Nazigenerälen über die NATO wieder Zutritt zur militärischen Arena zu verschaffen. Unter seinen Nachfolgern wurde dieser Plan - wenn auch mit 50jähriger Verzögerung - weltweit umgesetzt. So haben nun die ersten an einem BRD-"Friedenseinsatz" beteiligten Soldaten, von denen unsere "freiheitlich-demokratische Grundordnung" am Hindukusch zu verteidigen ist, einen ehrenvollen Abschied erhalten. Demnächst wird man ihre Namen - wie seit Kaisers Tagen üblich - in Granit meißeln. Der fromme Herr Jung macht's möglich.

Was "Das unsichtbare Visier" betrifft, so läßt sich über manches Detail in der Wiedergabe der geschilderten Abläufe durch das Fernsehen der DDR sicher streiten. Doch im Gegensatz zu dem vom RBB-Moderator vorgenommenen Vergleich mit James-Bond-Streifen sind alle hier dargestellten Ereignisse authentisch. Was ist nun das Frappierende an dieser im "Jubiläumsjahr" recht ungewöhnlichen TV-Ausstrahlung? In gewisser Weise hat der RBB durch die Wiederholung der drei Teile das schattige Unternehmen der Frau Birthler wirksam untergraben. Die Dinge wurden gewissermaßen vom Kopf auf die Füße gestellt. Denn das unsichtbare Visier war - zumindest im übertragenen Sinne - aufs engste mit der Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verknüpft. Dieser Zusammenhang wird in den Filmen deutlich. An den Tatsachen, die ihnen zugrunde liegen, kann nicht gerüttelt werden.

Die Dame Birthler sollte ihren Schnipselladen schnellstens dichtmachen. Immerhin bleibt genügend Freiraum für seriöse Tätigkeiten in geschichtlich relevanten Bereichen. So wäre es sicher von Nutzen, Untersuchungen darüber anzustellen, wie es maßgeblichen Kreisen der deutschen "Elite" zum dritten Mal in 100 Jahren gelungen ist, in das Weltgeschehen - wenn vorerst auch nur als Juniorpartner eines noch Stärkeren - negativ einzugreifen.

Dr. Günther Freudenberg

Raute

Wie unsere Bundeskanzlerin flugs die Welt rettet

Zwei schlicht - zwei kraus

Manchmal lohnt es sich tatsächlich, offizielle Reden in sich aufzunehmen. Aber selten wird der Leser für diese emotionale Zumutung mit einer so schönen Realsatire entschädigt wie beim letzten Jahreswechsel durch die Kanzlerin. Anders als seinerzeit bei Kohl, konnte es diesmal nicht die Rede vom vorangegangenen Jahr sein. Frau Merkel mußte sich schon zur Finanz- und Wirtschaftskrise äußern. Aber wer sonst hätte es gewagt, dieses Problem mit einem solchen Satz abzuhandeln: "Die Welt hat über ihre Verhältnisse gelebt."

Wer ihn nicht versteht oder schlicht als Blödsinn abtun will, den warnt Frau Merkel vor den Konsequenzen: "Nur wenn wir diese (!) Ursachen benennen, können wir die Welt aus der Krise führen." Tja, wenn das so ist! Die Welt aus der Krise führen, das möchte ich ja auch gern. Also: Was mag sie sich dabei gedacht haben? Gar nichts, außer krankhafter Selbstüberschätzung.

"Über die Verhältnisse leben" bedeutet gemeinhin, Geld ausgeben, Güter verbrauchen, die einem nicht gehören und die man auch in absehbarer Zeit nicht ersetzen kann. Aber wer gibt von außerhalb "der Welt" Kredite? Den lieben Herrgott wird Frau Merkel ja wohl nicht gemeint haben, trotz des großen C im Namen ihrer Partei.

Wer könnte aber dann Frau Merkels Kreditgeber "für die Welt" sein? Mir fiel der Spruch der Ökologiebewegung ein: "Wir haben die Welt von unseren Kindern nur geliehen." Tatsächlich werden der heutige Ressourcenverbrauch und die Umweltverschmutzung unsere Nachkommen schwer belasten, aber mit der aktuellen Krise hat das doch nichts zu tun. Denn erstens häufen wir diese faulen Kredite schon seit über 100 Jahren an, in Zeiten der Konjunktur wie in Zeiten der Krise. Und zweitens war gerade Frau Merkels prompte Reaktion auf das aktuelle Systemdesaster, in der EU knallhart durchzusetzen, daß die ohnehin bescheidenen Umweltauflagen für die Industrie kastriert wurden. Somit hat sie die Nachwelt verschärft mit faulen Krediten belastet. Das kann sie also wohl nicht gemeint haben.

Neuer Versuch: Wer hat nun eigentlich über seine Verhältnisse gelebt? Die ganze Welt? Auch die Menschen, die in der Dritten Welt hungern? Hierzulande kommen das Prekariat, die Hartz-IV-Empfänger und die arbeitenden Armen sowie deren Kinder ja wohl auch nicht in Betracht. Ihnen hat der Regierungskurs jede Möglichkeit genommen, über ihre Verhältnisse zu leben.

Haben denn die "Normalverdiener" zu sehr reingehauen? Sie, die genau überlegten, wann und für welchen Preis sie sich ein neues Auto kaufen und bezahlen konnten? Der Fehler war nur, daß die Konzerne mehr Autos produziert haben, als zu diesen Portemonnaies paßten. Dafür hat man jetzt als neueste Wohltat groteske Verschrottungsprämien eingeführt. Damit sollen manche Verbraucher dazu verleitet werden, doch ein wenig über ihre Verhältnisse zu leben.

Wer bleibt dann noch übrig? Die Besser- und Bestverdienenden? Frau Merkel und die FDP haben die stets als "Leistungsträger" der Gesellschaft beweihräuchert und Kritik an deren Luxus als Sozialneid abgetan. Sie kommen natürlich überhaupt nicht infrage, sondern höchstens einige ausgesonderte "schwarze Schafe" unter ihnen. Merkel pur: "Finanzielle Exzesse ..., das Verlieren von Maß und Mitte mancher Banker und Manager - wahrlich nicht aller, aber mancher - das hat die Welt in diese Krise geführt." Und im nächsten Satz wird bei der Kanzlerin aus "schwarzen Schafen" dann ganz plötzlich "die Welt".

Die Welt retten heißt für Merkel, die schwarzen Schafe zur Einsicht zu führen: "Der Wettbewerb braucht Augenmaß und soziale Verantwortung." Zum Glück haben wir Deutschen damit kein Problem. Denn: "Das sind die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Sie gelten bei uns, aber das reicht nicht." Unsere Banker und Pharmaproduzenten haben sich nicht in ihrer Gier verzockt und Milliarden versenkt, für die der Steuerzahler jetzt und künftig aufkommen darf. "Denn die weltweite Krise berührt auch Deutschland", die unschuldige Jungfer, auf das Unzüchtigste.

Das muß aufhören! "Diese Prinzipien (Augenmaß und soziale Verantwortung, wie sie bei uns schon gelten) müssen weltweit beachtet werden." Sonst wehe der Welt! Aber zum Glück ist "die Welt ... dabei, diese Lektion zu lernen". Am deutschen Wesen soll einmal mehr die Welt genesen. Frau Merkel packt sie kräftig an der Kehle und drückt ihr die Luft ab: "Ich werde nicht lockerlassen, bis wir solche Regeln erreicht haben", treibt sie ihre Neigung zu Plattheiten auf die Spitze.

Hier muß allerdings ein Wort der Kritik an der DDR gesagt werden. Daß eine Frau solchen Zuschnitts in der BRD Kanzlerin zu werden vermochte, mag ja noch angehen. Wie aber konnte sie in einer beliebigen FDJ-Leitung ausgerechnet für Agitation und Propaganda verantwortlich gemacht werden, da sie doch so erfolgreich die elementarste Wissensaneignung über kapitalistische Wirtschaftskrisen ausgeschlagen hat? Daß die Jagd nach grenzenlosem Profit die Überproduktion erzeugt, daß daraus und nicht aus individuellen Charaktermängeln der Spekulanten die Krise erwächst, die überschüssiges Kapital und menschliche Existenzen in riesiger Zahl vernichtet, daß Krisen und Kriege zum Kapitalismus gehören und erst mit ihm enden werden, ist wahrlich keine Neuentdeckung. Solche Grundkenntnisse eines halbwegs gebildeten Menschen hätte unsere Kanzlerin trotz des von ihr bevorzugten Strickmusters "zwei schlicht - zwei kraus" getrost als "Propagandistin" erfaßt haben müssen.

Fritz Dittmar, Hamburg

Raute

Alles zum Gutten

Unsere buntbejackte Bundeskanzlerin ist für ihre überaus abwechslungsreichen, klugen und richtungweisenden Sprüche bekannt. Ja, sie gilt als wahre Sprachschöpferin. Phantastisch war zum Beispiel die Idee mit den "Rettungspaketen". Das ist sehr bildhaft und der Lage durchaus angemessen, erinnert es doch sofort an den Rettungsring, der einem vom Ertrinken Bedrohten zugeworfen wird.

Nun ist die Kanzlerin ihren Beratern, denen sie all diese Geistesblitze verdankt, abermals gefolgt und hat aus "Rettungspaketen" flugs "Konjunkturpakete" geschnürt. Angesichts der rasanten Talfahrt wird also eine Fata Morgana der Konjunktur an den Horizont gezaubert - ein fabelhafter Einfall.

Und noch eins: Der unbedarft-naßforsche Sproß aus der alten Gutsbesitzerdynastie derer von und zu Guttenberg ist ein wahres Signal des Aufbruchs. Mit der reichen Lebens- und Welterfahrung des 37jährigen CSU-Blitzkarrieristen dürfte sich in der Wirtschaft der BRD jetzt alles zum Gutten wenden.

K. S.

Raute

"Wissenstest" zur BRD-Staatsgründung gibt Rätsel auf

Nichts Genaues weiß man nicht

Der RF-Beitrag "Wissenstest für Eingeborene" (Nov. 2008) ergänzte meine bisherigen Recherchen. Mit Knobeln oder Kaffeesatzlesen kommt man bei der Suche nach dem "Geburtsdatum" der BRD ebensoweit, wie man mit Auskünften gewisser "Experten" nur zu neuen (gewünschten?) Irritationen gelangt.

An klar formuliertes Recht gewohnt, dachte auch ich, es gäbe eine eindeutige Antwort auf die Geburtstagsfrage. Ein so wichtiger Tag im politischen Leben eines Landes müsse doch zweifelsfrei definiert sein, um entsprechend gefeiert zu werden. So kannte ich es nicht nur aus der DDR. Doch ich hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Die, die es eigentlich wissen sollten, gaben lediglich Behauptungen von sich, die keiner Überprüfung standhielten.

Zwei Beispiele:

1. Die Seite der Bundesregierung im Internet informiert unter "Tatsachen über Deutschland" wie folgt: "... Die Geburtsstunde schlug am 23. Mai 1949 mit der feierlichen Verkündung des Grundgesetzes. Nach der Wahl zum ersten Bundestag am 14. August 1949 wurde die Verfassung mit parlamentarischem Leben erfüllt ..."

2. In "Informationen zur politischen Bildung", einer kostenlosen Schrift der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 259, 2. Quartal 1998, Seite 48, heißt es: "Am 7. September (1949, B. G.) konstituierte sich der erste Deutsche Bundestag, am 12. September wählte die Bundesversammlung Theodor Heuss zum Bundespräsidenten. Am 20. September gab der fünf Tage zuvor gewählte Kanzler Konrad Adenauer seine erste Regierungserklärung ab, nachdem die Bundesregierung vereidigt worden war. Das war juristisch gesehen die Geburtsstunde der Bundesrepublik. Am folgenden Tag machte der Kanzler, begleitet von einigen Ministern, den Antrittsbesuch auf dem Petersberg bei den Hohen Kommissaren, die als letzten Konstituierungsakt das Besatzungsstatut in Kraft setzten."

Allein der letzte Satz stellt ein politisches Minenfeld dar. Lassen wir ihn unkommentiert stehen.

Nichts Genaues weiß man also nicht über die Geborene. Selbst das Grundgesetz (GG) wird fälschlicherweise "Verfassung" genannt, obwohl dessen Artikel 147 das anders formuliert. Ja, wer rennt schon laufend mit dem GG unterm Arm herum. Ist ja auch ein Platzproblem, denn dort klemmen ja schon die ganzen Diätenverordnungen.

Damit scheint aber klar zu sein, daß das "Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland" zu einer Zeit in Kraft getreten ist (24. Mai 1949), zu der es diese noch gar nicht gegeben hat. Wie ist das juristisch zu werten? Ein Gesetz für etwas, was es nicht gibt?

Sehen wir uns Behauptung 1 näher an, dann ergibt sich folgendes Bild:

Von Juli bis August 1948 erarbeitete ein handverlesener Personenkreis den Entwurf des GG. Er wurde dem durch die Landtage (also nicht vom Volk!) gewählten Parlamentarischen Rat vorgelegt, der dann in seiner 12. Sitzung am 23. Mai 1949 das vorher von den Westmächten unter einigen Vorbehalten genehmigte Grundgesetz verabschiedete.

Die heute "Väter des Grundgesetzes" (es gab auch Mütter) Genannten haben also bienenfleißig gearbeitet, um nach zehn Monaten dieses Gesetzeswerk "für die Bundesrepublik Deutschland" vorlegen zu können. Zum Vergleich: Für das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) brauchten zwei Kommissionen 17 Jahre.

Autor Urs Bernetti meint dazu in "Das deutsche Grundgesetz, eine Wertung aus Schweizer Sicht": "Das Ergebnis ist ein konfuses, schlampiges Gewirr von 'Artikeln' in einer elenden Sprache." (S. 10) und: "Die Grundzüge dieses Gesetzeswerkes waren in den Vorgaben fix und fertig festgelegt ...

... Bei diesen Vorgaben wirkten sogenannte Deutschland-Experten mit, und zwar an den Universitäten von Wisconsin, Amherst und Cambridge (Harvard), an der ,New School for Social Research', im US-Kriegsministerium und später im Office of Military Government ..."
(S. 11)

Vermutlich waren die "Väter" aber gar nicht so stolz auf das Ergebnis ihrer Arbeit. Zwar erklang nach der Verkündung des GG "lebhafter Beifall", aber auch der gemeinsame Gesang des Liedes "Ich habe mich ergeben" (Drucksache Z 5/21, Bl. 1-2 Stenograf. Berichte, S. 271-273). Wem hatten sie sich ergeben?

Gretchenfragen:

1. Welche Rechtskraft besitzt das GG, das für ein Gebiet (s. Art. 23 alter Fassung) geschaffen wurde, das es zum Zeitpunkt der Verabschiedung noch gar nicht gab und dessen Geburtsurkunde auch heute noch vergeblich gesucht wird oder ausgeknobelt werden muß?

2. Für den Fall, daß sie doch noch gefunden werden sollte (vielleicht können Herr Schäuble, BND, Polizeihund Rex oder Frau Birthler suchen helfen), bleibt der Zweifel an der Gültigkeit.

Das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure zum Grundgesetz (es liegt mir in der Übersetzung des Parlamentarischen Rates vor) enthielt eine Reihe von Vorbehalten der westlichen Alliierten. So bestimmten sie u. a. im Punkt 2, daß das GG gemäß Art. 144(1) "dem deutschen Volke zur Ratifizierung unterbreitet werde". Bei meinen Recherchen dazu habe ich nichts gefunden, was auf einen solchen Akt hindeutet. Trotzdem gültig? Hier geht es schließlich nicht um ein x-beliebiges Gesetz, sondern um das GG, leichtfüßig "Verfassung" genannt!

3. Spätestens der Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 31. August 1990 hat in Art. 4, Ziff. 2 den Art. 23 (Geltungsbereich) des GG aufgehoben. Ein Gesetz, dessen Geltungsbereich aufgehoben oder nicht exakt definiert ist, ist nirgendwo gültig! Oder?

4. Wenn es also de jure das Grundgesetz nicht mehr geben sollte, gibt es keine Rechtsgrundlagen, nach denen die Bundesrepublik Deutschland national oder international handeln könnte; es sei denn durch freiwillige Duldung des einzelnen. So kann man keine Kneipe sinnvoll führen, geschweige denn einen Staat!

Ich schließe mit der erstaunlichen Auffassung eines FDP-Funktionärs zum GG. 2007 schrieb ich einen Leserbrief an Herrn Gerd Sänger (FDP) aus Zernsdorf. Es ging um den Unterschied des Grundgesetzes zu einer Verfassung. Herr Sänger antwortete mir am 7. August d. J. wie folgt: "Ich lebe mit dem Grundgesetz von Kind an, und es stellt sich für mich nicht die Frage, ob dieses Grundgesetz nun Volkes Willen darstellt oder nicht. Wir haben es, es ist gültig, und es ist eine der demokratischsten Verfassungen, die es gibt."

Einem Parteifunktionär ist es also gleichgültig, ob er Volkes Wille vertritt oder nicht. Auch hier wieder: Nichts Genaues weiß man nicht. Nebelwerfer überall. Ja, es ist schwer, wenn man "in diesem unserem Lande" (wie Merkel, die Perle aus der Uckermark, stets zu sagen pflegt) nach Bildung sucht. Oft findet man nur BILDung.

Noch ein Gedanke, der mich nicht nur beim Lesen des RF bewegt: Nicht alle Formulierungen, die in den täglichen Sprachgebrauch übernommen wurden, sollten unsere Zustimmung finden und manche generell vermieden werden. Das betrifft z. B. alle Begriffe, welche die Bezeichnung "Hartz IV" enthalten. Die Verwendung des Namens von Peter Hartz, dessen "moralische Qualitäten" offenkundig wurden, im Zusammenhang mit Leistungen für Arbeitslose erscheint mir für diesen Personenkreis besonders ehrverletzend. "Die Menschen, denen es schlecht geht, müssen wir nicht auch noch verhöhnen." (Heiner Geißler) Der Name Hartz sollte sang- und klanglos aus den Medien verschwinden und durch den offiziellen Begriff der Arbeitslosenverwalter für diese Form der Almosen (ALG II) ersetzt werden.

Bernd Graupner, Pritzwalk

Raute

Berichtigung

Im RF 134, S. 32, wurden von uns Lebensdaten von Karl Marx miteinander vermischt. Der 5. Mai 1818 war sein Geburts-, der 14. März 1883 sein Todestag.

Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

Raute

Sie heucheln, ohne rot zu werden

Menschenrechtspharisäer

Mit der Erklärung des Ältestenrates der Partei Die Linke zum Umgang mit der DDR-Geschichte regt sich endlich auch aus deren Reihen ernsthafter Widerstand gegen die Menschenrechtsheuchelei bundesdeutscher Politiker und Medien, die ihre Behauptung, der sozialistische deutsche Staat sei eine Diktatur gewesen, inzwischen allerorts auftischen.

Um dies glaubhaft erscheinen zu lassen, dramatisieren die "Ankläger" maßlos, was der DDR an tatsächlichen Versäumnissen anzukreiden wäre. Sie schweigen gleichzeitig alles tot, was sie an Vorzügen aufwies. Dabei legen sie, jeder wissenschaftlichen Redlichkeit zuwider, nur ihre eigenen Maßstäbe einer kapitalistischen Gesellschaft an. Sie lassen völlig außer Betracht, daß es in der DDR ganz andersgeartete soziale Verhältnisse mit eigenständigen Wirtschafts-, Bildungs-, Gesundheits- und Sozialauffassungen gab. Dort war die Eigentumsfrage im Sinne des Sozialismus gelöst worden.

In gleicher Weise bedienen sich die Ideologen des Imperialismus der Fehldeutung des Menschenrechtsbegriffs: Menschenrechte habe es nur dort gegeben, wo die sozialen Rechte zwar mißachtet, die politischen Freiheiten im bürgerlichen Sinne aber gewahrt worden seien. Sie vertreten die Auffassung, die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung und der alle paar Jahre erfolgenden Wahl miteinander konkurrierender Listen sei mehr wert, als über einen sicheren Arbeitsplatz und ein menschenwürdiges Einkommen zu verfügen.

Die einzig völkerrechtlich signifikante Definition findet man in der durch die UNO verabschiedeten "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte". Es handelt sich um die Resolution 217 vom 10. Dezember 1948. Darin ist festgeschrieben, daß gleichrangig mit politischen auch elementare soziale Bedürfnisse Menschenrechtswert besitzen. So das Recht auf "soziale Sicherheit", auf "Arbeit", auf "Bildung" und auf "gleichen Lohn für gleiche Arbeit". Dem widersetzen sich die Prokuristen des Kapitals, indem sie behaupten, es handele sich um einen unzulässigen Eingriff in die marktwirtschaftliche Ordnung. Und in der Tat: Wären die Bosse an die von der UNO fixierten Rechte gebunden, könnten sie ihrer Profitgier nicht länger ungehemmt frönen.

Um dem zu entgehen, hat sich die Monopolbourgeoisie einen für ihre Bedürfnisse zurechtgeschneiderten Menschenrechtskodex zugelegt. Wie sich zeigt, ist es ihr weithin gelungen, sich in dieser Frage eine erhebliche internationale Deutungshoheit zu verschaffen. Sie stützt sich dabei auf ihre Medienmacht. Der überwiegende Teil der Blätter und Sender mit Masseneinfluß befindet sich in monopolkapitalistischen Händen. Natürlich steuern deren Redaktionen auch den ihnen vorgegebenen Menschenrechtskurs. Selbst die angeblich unabhängigen, da "öffentlich-rechtlichen" Stationen, spielen dabei heftig mit. Während der Olympischen Spiele in Peking war das so penetrant, daß man den Eindruck gewinnen mußte, sämtliche Berichterstatter von Rundfunk und Fernsehen seien zuvor einer kollektiven antikommunistischen Sonder-Gehirnwäsche unterzogen worden.

Andererseits kann sich das Kapital auch auf die Regierenden verlassen, die ihre "Menschenrechtsinteressen" getreulich vertreten. Darüber wundert sich niemand mehr, seitdem die USA, die BRD, Frankreich und andere Staaten astronomische Summen lockermachen, um ertrinkende Banken, Versicherungen und Konzerne aus dem Wasser zu ziehen.

Jeder, der jemals einen Kredit aufgenommen hat, weiß um die Abhängigkeit, in die sich ein Schuldner begibt. Das gilt auch für Staaten, die auf Pump leben. Ein ganzes Heer von Lobbyisten sorgt im Bundestag und in den Ministerien dafür, daß die Interessen der Gläubiger des Finanzministers hinreichend wahrgenommen werden.

Willig hält sich die Staatsmacht, die "neoliberalen" Vorgaben folgt, bei Eingriffen in Finanz- und Wirtschaftsabläufe zurück, es sei denn, das Kapital selbst braucht eine als zeitweilige und teilweise "Verstaatlichung" deklarierte Verschnaufpause. Normalerweise wird verkündet, "der Markt" verfüge über genügend "Selbstheilungskräfte". Auch dann, wenn die Profitjäger aus "Rentabilitätsgründen" Massenentlassungen vornehmen, Produktionen ins Ausland verlagern oder Dumpinglöhne zahlen, von denen niemand menschenwürdig leben kann, ohne daß der Staat draufsattelt, tut man so, als halte man sich offiziell heraus.

Derzeit ist die Lage so ernst, daß selbst die betonköpfigsten Verfechter des imperialistischen Unabhängigkeitsverlangens nach den Steuermilliarden des Staates rufen.

Angeblich will man durch "Regeln", die mit "Konjunkturpaketen" verknüpft sind, das außer Rand und Band geratene Finanzkapital bändigen. Doch dessen "Leitmotiv" - der Profit - läßt sich so nicht unter Kontrolle bringen. Er ist die einzige Triebkraft kapitalistischen Wirtschaftens und wird es so lange bleiben, wie das System selbst existiert.

Moderner Sklavenhandel im Falle "feindlicher" oder "freundlicher" Übernahmen, bei denen Zehntausende "Mitarbeiter" an den Aufkäufer veräußert werden, ohne das geringste Mitspracherecht zu besitzen, wird von der Bourgeoisie samt ihrer BRD-Regierung als menschenrechtskonform betrachtet. Zur Begründung muß die selbstherrliche Interpretation herhalten: "Was in einer freiheitlichdemokratischen Ordnung wie der Bundesrepublik Deutschland zulässig ist, kann selbstredend kein Unrecht sein, denn es besitzt, anders als dies in einem autoritären Regime der Fall wäre, eine rechtsstaatliche Legitimation."

Wie man sieht, ist es reines Pharisäertum, wenn die Wortführer des Kapitals ausgerechnet den Popanz vermeintlicher Menschenrechte vor sich hertragen und diese als Privileg westlicher "Demokratien" preisen, wobei sie obendrein noch den weltweiten Kontrolleur und Ankläger spielen.

Linke hierzulande, noch dazu mit ostdeutscher Biographie, die diesen Menschenrechtsschwindel entlarven, werden auf der Stelle beschuldigt, sie wollten angebliches DDR-Unrecht verharmlosen oder rechtfertigen.

Dabei hat sich im zwangsvereinigten Deutschland wohl niemand ernsthafter und redlicher mit der eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt als jene, welche glaubhaft weiterhin linke Positionen vertreten. Und das aus dem ureigensten Interesse, Lehren für die Ausgestaltung künftiger Alternativen zum Kapitalismus zu ziehen.

Dieser Prozeß hat bereits viele wichtige Erkenntnisse reifen lassen. So zweifelt wohl kaum jemand noch daran, daß die demokratischen Freiheitsrechte gleichzeitig und gleichrangig mit den sozialen Menschenrechten verwirklicht werden müssen, wenn die Bürger den Sozialismus als die bessere Gesellschaftsordnung erkennen und empfinden sollen. Es handelt sich um ein Erfordernis, das angesichts der fortschreitenden Zersetzung der kapitalistischen Gesellschaft drängender denn je ist. Denn ein System, das durch eine kriminelle Vereinigung profitversessener Finanzhasardeure an den Rand des Ruins getrieben wird, was Millionen Menschen vieler Länder den Arbeitsplatz kostet, hat sich als untauglich erwiesen, den Herausforderungen der Zeit und der Zukunft zu begegnen. Deshalb gilt es verstärkt, programmatische Überlegungen darüber anzustellen, wie es in einer sozialistischen Gesellschaft zugehen soll. Vermutlich müßten Formen direkter Demokratie wie Volksbefragungen und andere Willensbekundungen wohl zu bestimmenden Elementen jener wahren Volksherrschaft werden, für die wir antreten.

Vielleicht sollte man auch über das Thema "Beschaffenheit eines künftigen Sozialismus" im RF öffentlich debattieren.

Eberhard Fensch

Raute

Dr. Lederer vergaß zu antworten

Der Abdruck des offenen Briefes von Prof. Harry Nick an Dr. Klaus Lederer in der RF-Februarausgabe ist mir Anlaß, darüber zu informieren, daß Dr. Wolfgang Schwanitz als letzter Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit der DDR, das dem MfS folgte, und ich als ehemaliger Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS, aus gleichem Anlaß ebenfalls an den Landesvorsitzenden der Berliner Linkspartei am 1. November 2008 geschrieben haben. Unser Brief wurde persönlich im Büro von Dr. Lederer abgegeben. Bis heute gibt es keinerlei Reaktion. Wir erhielten nicht einmal eine Eingangsbestätigung. Selbst die Einhaltung einfachster Anstandsregeln scheint aus der Sicht des Empfängers uns gegenüber nicht erforderlich zu sein.

Nachdem wir ähnlich wie Prof. Nick zunächst auf den Verlauf der Veranstaltung am 5. Oktober 2008 und die Störversuche eingegangen waren, schrieben wir dann zum dort behandelten Thema: "Jeder ernstzunehmende Historiker kann heute nicht an der durch Dokumente gesicherten Erkenntnis vorbeigehen, daß die Gründerväter der westdeutschen Geheimdienste nach 1945 überwiegend Anhänger und Aktivisten des deutschen Faschismus und teilweise an schlimmsten Nazi-Verbrechen beteiligt waren, während über 80 Gründerväter des MfS aktiv am Kampf gegen den Faschismus teilgenommen hatten und sich 1945 aus Konzentrationslagern, Zuchthäusern und Strafbataillonen kommend dem Neuaufbau zur Verfügung stellten."

Unter Bezugnahme auf die öffentliche Äußerung der Bundestagsabgeordneten Dr. Gesine Lötzsch zur Durchführung der Veranstaltung schrieben wir weiter: "Wir vertreten die Meinung, daß es 19 Jahre nach Öffnung der Staatsgrenze der DDR zur BRD und zu Westberlin und nach Eingliederung der DDR in die BRD gelingen müßte, unter den Bedingungen eines zivilisierten Umgangs miteinander diese neue Sachlichkeit bei der Auseinandersetzung über die deutsche Geschichte und damit auch über die DDR und das MfS in der Berliner Linkspartei zu erreichen."

Wir wandten uns entschieden gegen die bisher einseitige und tendenzielle Beurteilung der Tätigkeit des MfS und formulierten: "Deutsche Geschichte heißt deshalb auch Geschichte der alten Bundesrepublik, deren Wirken nachweislich gegen die weitere Existenz der DDR gerichtet war. Deshalb sollte zum Finden der Wahrheit auch die Untersuchung und Bewertung solcher BRD-Organisationen wie "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit", "Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen", "Gesellschaft für Menschenrechte" sowie der Tätigkeit westlicher Geheimdienste und der Notwendigkeit ihrer Abwehr, dem heute allseits geächteten Wirken krimineller Schleuser- und Menschenhändlerbanden, der Störung der ökonomischen Beziehungen der DDR und ihrer wirtschaftlichen Entwicklung usw. gehören. (Siehe dazu auch den Beitrag von Dr. Hans Reichelt in der RF-Februarausgabe.) Abschließend baten wir Dr. Lederer um ein persönliches Gespräch und brachten unsere Bereitschaft zur Mithilfe bei der Klärung der deutsch-deutschen Vergangenheit zum Ausdruck. Dabei betonten wir: "Wir unterbreiten diesen Vorschlag auch im Sinne Tausender ehemaliger Mitarbeiter des MfS, die diskriminiert und ausgegrenzt werden, sowie ihrer Familien, von denen nicht wenige Wähler bzw. Mitglieder der Linkspartei sind und durch ihre unermüdliche Arbeit an der Basis zu deren organisatorischer und politischer Entwicklung beitragen."

Generaloberst a. D. Werner Großmann

Raute

Mariannes Puzzlespiel

Die "Mitteldeutsche Zeitung" veröffentlichte unlängst einen Beitrag unter der Schlagzeile "Stasi-Puzzle mit Computerhilfe". Es ist kaum zu glauben, was Frau Birthler da in ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit so zuwege bringt oder schon vollbracht hat! Das zeitraubende Theater des Schnipselzusammensuchens aus zerschredderten Akten soll ab 2010 mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms wesentlich beschleunigt werden. "Der Computer kann schon Farben und Rißkanten der Schnipsel erkennen", begeisterte sich das erwähnte Blatt.

Frau Birthler bezeichnete die Bereitstellung von sechs Millionen Euro aus der defizitären Staatskasse zur Entwicklung dieser elektronischen Spielerei "als gutes Signal für die Aufarbeitung der SED-Diktatur". Unter der hat sie offensichtlich sehr gelitten. Immerhin war sie Abiturientin, ohne der FDJ anzugehören, und dann bis 1976 Mitarbeiterin im Außenhandel der DDR. Nach einer Kehrtwende zur "Bürgerrechtlerin" diente sie vorwiegend dem pseudochristlichen Anliegen.

Bis Januar wurde von insgesamt 15.000 Säcken voller Schnipsel der Inhalt von 40 Säcken nach dem neuen Verfahren digitalisiert, aber noch nicht zusammengesetzt. Es handelt sich demnach um ein Geduldsspiel. Na, Prost Mahlzeit!

Auf einer Abbildung in dem hier betrachteten MZ-Beitrag sieht man einen Mitarbeiter der superteuren Behörde, wie er mit verkniffenem Gesicht in einem Schnipselhaufen wühlt. Denn bis jetzt pflegt man diese geisttötende Tätigkeit ohne elektronische Hilfe im bayerischen Zinndorf. Für jeden aufmerksamen Leser, der seine grauen Zellen noch ohne Medien-LSD oder andere Rauschmittel zu gebrauchen weiß, ergibt sich die Frage: Cui bono? Wem nützt dieses Spektakel eigentlich heute noch? Es ist doch längst bekannt, daß das ganze Unternehmen "Unrechtsstaat DDR" sich als Schuß in den Ofen erwiesen hat.

In einem Beitrag des ND wurde die Bilanz der bisherigen Hexenjagd des "Rechtsstaates BRD" so zusammengefaßt: Als Oberjäger Kinkel zum großen Halali blies, erwartete man etwa 200.000 "Unrechtsopfer". Bedauerlicherweise meldeten sich aber nur etwa 80.000 angeblich Betroffene, wobei sich die Ziffer aus der Einbeziehung sämtlicher Familienangehörigen ergibt. (Durch deren Mitzählen bis zur vierten Generation werden es bei Frau Steinbachs "Vertriebenen" statt weniger immer mehr.)

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit befanden sich unter den so erfaßten "Opfern" etliche Trittbrettfahrer, die lediglich versuchten, auch etwas Rahm abzuschöpfen. Das ergibt sich schon daraus, daß es bei dieser recht erheblichen "Opferzahl" nur zu 289 Verurteilungen wegen "Unrechtsverursachung" kam. 19 Angeklagte erhielten unbedingte Freiheitsstrafen, 184 Bewährungsstrafen, und 86 wurden Geldbußen auferlegt.

Der Verfasser des MZ-Beitrags schlußfolgert: "Es gab in der DDR nicht mehr Unrecht als in jedem Rechtsstaat. Im Vergleich zum heutigen Zwangsapparat bedeutend weniger, weil allen sozialen Grausamkeiten der Nährboden entzogen war." Diesem Urteil kann man sich anschließen.

Nun leitet sich aus dem dargestellten Sachverhalt die Frage ab, wie lange dieses Affentheater noch fortgesetzt werden soll und wieviel weitere Steuermillionen man noch zu verbraten gedenkt. Dient das ganze Unternehmen nicht allein dem Zweck, Frau Birthler eine ansprechende Pension zu sichern?

20 Jahre nach der Einverleibung der DDR in das Staatsgebiet der BRD wäre es hohe Zeit, dem Spuk ein Ende zu setzen. Doch das ist nicht beabsichtigt. Der demonstrative Besuch von Angela Merkel in Birthlers anrüchiger Gespensterzentrale hat das erneut unterstrichen. Übrigens wären "Taten" der herbeigesehnten Art, sollten sich vielleicht doch noch irgendwelche Anhaltspunkte in den Schnipseln finden lassen, seit langem verjährt.

Dr. Günther Freudenberg

Raute

"Geschichtsaufarbeitung" in Bernau

Die Existenz der Birthler-Behörde ist längst zu einem Anachronismus geworden. Ihr riesiger Apparat wird künstlich am Leben erhalten und verschlingt Unsummen aus Steuermitteln. Selbst namhafte CDU-Politiker sprechen sich für ihre Auflösung und die Überführung der Akten in das Bundesarchiv aus.

Während Abgeordnete anderer Parteien Gesprächsrunden mit Landesministern veranstalten, lud Linkspartei-MdB Dr. Dagmar Enkelmann, ihres Zeichens Historikerin, zu einer Gesprächsrunde mit dem aparten Thema "20 Jahre danach - Aufarbeitung: Opfer und Täter" ein. Nach wochenlangem Rühren der Werbetrommel, natürlich auch im ND, fand die Veranstaltung schließlich in Bernau statt.

Während Frau Enkelmann moderierte, standen zwei weitere Akteure bereit. Das waren Angela Kowalczyk, eine ehemalige Punkerin, die sieben Wochen beim MfS eingesessen hatte. Jetzt ist sie Lebensberaterin u. a. auf der Basis kartengestützten Hellsehens. Sie soll ein Diplom für Parapsychologie besitzen und mehrere Bücher über ihr Verhalten in DDR-Zeiten, mit dem selbst die Eltern nicht zurande kamen, veröffentlicht haben. Auch Dr. Jochen Girke war mit von der Partie. Der ehemalige Dozent für Psychologie an der MfS-Hochschule in Potsdam-Eiche wurde fälschlicherweise als "leitender Psychologe" des Ministeriums vorgestellt, obwohl er dessen operative Arbeit niemals kennengelernt hat. So sprach er bisweilen wie ein Blinder von der Farbe. Zu dieser Veranstaltung einer Parlamentarierin der Partei Die Linke war eine beträchtliche Zahl "Opfer"-Touristen angereist, um Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Verleumdungen zu hören oder zu verbreiten. Beim Betreten des Raumes wurden die Teilnehmer durch eine männliche Person mit hochgehaltenem Plakat "Ich bin ein Folteropfer der Stasi. A. Lauks" begrüßt. Alles lief dann wie üblich. Die Tätigkeit des MfS wurde als finster dargestellt. Unausgesprochen ging man davon aus, daß sämtliche Mitarbeiter des Ministeriums samt ihrer IM "Täter" gewesen seien, während jene, welche anders mit ihm Bekanntschaft machten, als "Opfer" zu betrachten wären.

Aufschlußreicherweise lieferten die "Opfer" meist keine Angaben, wegen welcher Straftat sie inhaftiert wurden. Dabei muß man in Rechnung stellen, daß von BRD-Gerichten selbst überführte Terroristen wie der KgU-Mann Burianek für unschuldig erklärt und rehabilitiert worden sind. Rechtsbeugung pur!

Die Tatsache, daß nicht das MfS, sondern ordentliche Gerichte der DDR die Urteile gesprochen und die Strafen verhängt haben, blieb unerwähnt. Die Auslassungen Dr. Girkes gipfelten u. a. darin, daß die Berücksichtigung von Erkenntnissen der Psychologie bei Vernehmungen oder in Ausführung operativer Handlungen als "psychologische Folter" bezeichnet werden könne. Vom MfS sei die Psychologie nicht "gebraucht, sondern mißbraucht" worden.

Die Veranstaltung dümpelte in diesem Geiste dahin, ohne daß die promovierte Historikerin Enkelmann ihre Meinung zu dem Dargebotenen kundgetan hätte. Bemerkenswert war, daß die Ausführungen Girkes bei den "Opfern", die sonst auf Darlegungen früherer Mitarbeiter des MfS mit Protest zu reagieren pflegen, keinerlei Widerspruch hervorriefen. Leute dieser Art sind genehm. Wer aber den aufrechten Gang nicht erst üben muß und jedem offen in die Augen schauen kann, wird als Zeitzeuge abgelehnt und diffamiert.

Mandatsträger der Partei Die Linke sollten sich an der hier geschilderten Verleumdung, Ausgrenzung und Diskreditierung von Personen, die dem sozialistischen Staat redlich gedient haben, auf keinen Fall beteiligen, auch wenn dafür inzwischen so schöne Begriffe wie "Aufarbeitung" und "Geschichtsbewältigung" gefunden worden sind. In diesem Zusammenhang ist auch zu hinterfragen, warum eigentlich Bundestagsabgeordnete der Linkspartei ihre zu Kurzbesuchen nach Berlin eingeladenen Wähler in sogenannte Gedenkstätten führen und weshalb sie in der berüchtigten "Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur" mitarbeiten.

Oberst a. D. Karl Rehbaum

Raute

Unrechtsstaat?

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Eigentorjäger

Unablässig haben die Lügenköche der BRD die Mär vom Doping-Stasi-Staat DDR den Leuten aufgetischt. Adern, Muskeln und Sehnen eines jeden, der im sozialistischen Deutschland eine Medaille holte, waren - ganz im Kontrast zu den sich allein auf die eigene Kraft verlassenden fairen Athleten des Westens - bis zum Rand mit geheimnisvollen Substanzen vollgepumpt. Sie machten aus jedem Schlappschwanz über Nacht einen Kraftprotz.

Diese Leier wurde so lange wiederholt, bis sich herausstellte, wo man die eigentlichen Doping-Bastionen zu suchen hatte: Reihenweise legten Koryphäen des Profisports den Offenbarungseid ab. Die Macher von ARD und ZDF hatten am Ende die Nase so voll, daß sie ihre Übertragungen von der Tour de France einzustellen beschlossen.

Und selbst das gängige Wort von der angeblich flächendeckenden Überwachung des DDR-Bürgers durch die "Stasi" blieb ihnen nach der Erfindung des gläsernen BRD-Bürgers durch Schäuble, dem Telekom-Datenskandal und der Verwandlung der Mehdorns in Spähdorns im Halse stecken.

Unser Vorschlag: Die Birthler-Behörde ist ohne Zeitverlust mit der Einsicht in die Akten des BRD-Innenministers, der Telekom und der Deutschen Bahn zu beauftragen.

K. S.

Raute

Ein Phantom aus den Zeiten des Kalten Krieges

Die Lüge vom "Schießbefehl"

Regelmäßig wird von einem großen Teil der Rechtswissenschaftler, unter Politikern und auch in den Medien die Tatsache ignoriert, daß das Grenzregime grundsätzlich eine innere Angelegenheit des Staates ist, der es anwendet. Häufig werden allein die Grenzsicherungsanlagen als Grenzen betrachtet. Dabei bleibt die strikte Unterscheidung zwischen dem Verlauf der Staatsgrenze, der von DDR und BRD vereinbart wurde, und dem territorialen Grenzregime, das sich auf dem Hoheitsgebiet der DDR befand, unbeachtet. Ohne auf weitere Details einzugehen, soll darauf verwiesen werden, daß auch das Grenzregime der DDR zumindest zweigeteilt war: Das territoriale Grenzregime, zu dem die Grenzsicherungsanlagen und die unmittelbare Grenzkontrolle wie auch der grenzüberschreitende Verkehr gehörten, wurde im wesentlichen im Innern der DDR geregelt.

In dem Gebiet zwischen der markierten Staatsgrenze und der jeweiligen Grenzübergangsstelle konnten die zuständigen Organe der DDR alles tun oder unterlassen, was ihnen die Rechtsordnung ihres Staates gestattete. Die strikte Unterscheidung zwischen dem Verlauf der Grenzen, die sich nach völkerrechtlichen Grundsätzen richten, und dem Grenzregime, das nach innerstaatlichem Recht geregelt wird, war für die Politik der DDR bestimmend.

Die Sicherungsanlagen, in welcher Form auch immer, verliefen nie auf der Grenzlinie, sondern hatten einen gewissen Abstand zu ihr. Das war in den internen Vorschriften der Grenztruppen geregelt. Die Grenzen in und um Berlin waren an einigen Stellen mit der "Mauer" identisch, wenn diese z. B. direkt mit einer Straße oder Häuserfront übereinstimmten. Zum Grenzregime der DDR gehörte auch die Sicherung der Seegrenze bzw. der Küste.

In der alten BRD wurden Aufgaben und Maßnahmen des Bundesgrenzschutzes an der "innerdeutschen Grenze" durch ein Gesetz festgelegt.

Geregelt wurden u. a. der Grenzschutz (Sicherheit der Grenzen, Schutz des Festlandsockels, Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs, Paßnachschau, Grenzfahndung, Gefahrenabwehr im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern, Aufgaben im Notstand und Verteidigungsfall, Schutz von Bundesorganen, Unterstützung anderer Bundesund Landesbehörden und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, insbesondere im Grenzgebiet.

Die Demarkationslinie bzw. Zonengrenze wurde 1945/46 von westlicher Seite mit blaurot gestreiften Holzpfählen gekennzeichnet. Später zog man zusätzlich Stacheldrahtzäune, um die anhaltende Flucht aus der SBZ in den Westen zu verhindern oder zumindest zu erschweren.

Ab 1948/49 wurde der Zollgrenzschutz bzw. Zollgrenzdienst zur Überwachung der Demarkationslinie eingesetzt. Teilweise taten berittene Zollbeamte Dienst. Ausschließlich zur Überwachung des Warenverkehrs auf der Elbe gab es in Schnackenburg eine Grenzkontrollstelle der Zollverwaltung. Sie kontrollierte etwa 15.000 Schiffe, welche jährlich in beiden Richtungen den Fluß befuhren.

Streifenmotorboote hatten neben der Überwachung des Schiffsverkehrs auch die Beobachtung beider Ufer als Aufgabe. Sie unterstützten Personen (Republikflüchtige), die die Elbe in westlicher Richtung durchschwimmen wollten. Flugmeldungen (von Hubschraubern bzw. Flugzeugen der DDR) und die Verhinderung von Grenzverletzungen durch DDR-Organe standen auf dem Programm. 1951 wurde der Bundesgrenzschutz auch zur Überwachung der Staatsgrenze BRD/DDR eingesetzt.

Ähnlich wie in der DDR wurden spezifische Aufgaben des BGS nicht nur in Gesetzen, sondern auch in Dienstanweisungen geregelt. Dazu gehörten selbstverständlich die Vorschriften zur Anwendung von Schußwaffen.

Das Wort "Schießbefehl" spukte seit Jahrzehnten in der alten BRD herum. Es handelte sich um eine spezielle Erfindung des Kalten Krieges. Ziel war es, das "Unrechtsregime" der DDR, insbesondere die Grenzsicherung, in einen rechtsfreien Raum zu stellen. Der ARD-Korrespondent in der DDR, Lothar Loewe, erklärte in der Tagesschau am 21. September 1976: "Hier in der DDR weiß jedes Kind, daß die Grenztruppen den strikten Befehl haben, auf Menschen wie auf Hasen zu schießen." Seine Ausweisung aus der DDR war die logische Folge.

Der Report der berüchtigten Erfassungsstelle Salzgitter aus dem Jahre 1991 verwandelte den angeblichen Schießbefehl dann in das "wohl dunkelste Kapitel der DDR, die für sich in Anspruch nahm, ein Rechtsstaat zu sein. Mit ihm ist die Anweisung an die Angehörigen der Grenztruppe gemeint, Grenzverletzungen nötigenfalls mit der Waffe zu verhindern und den Grenzverletzer zu vernichten. Es ist davon auszugehen, daß der Befehl am 1. Oktober 1961 unterzeichnet wurde."

In einer "Geschichte der innerdeutschen Grenze" aus dem Jahre 2008 wird behauptet, der "Schießbefehl" sei dem sowjetischen Marschall Sokolowski zuzuordnen. Dieser habe 1946 oder am 23. August 1947 erklärt, "wann Grenzpolizeiangehörige von der Waffe Gebrauch machen dürfen ...". In dem Machwerk hieß es: Eines blieb jedoch von 1947 bis zum Fall der Mauer konsequent bestehen: der Schießbefehl." Über die Blamage beim "Auffinden" eines anonymen "Schießbefehls" durch die Birthler-Behörde soll hier verschämt geschwiegen werden.

Die Zahl der "Grenztoten", die nach dem Anschluß der DDR "errechnet" wurde, lag 1992 noch bei 283. Fünf Jahre später belief sie sich bereits auf 490. Im August 1998 wurden dann 938 und im November 1999 annähernd 1000 Tote angegeben. Für den erstaunlichen Anstieg diente eine Neudefinition des Begriffs der "Grenztoten unter Einbeziehung weiterer Opfergruppen der SED-Diktatur". Die "Arbeitsgemeinschaft 13. August" tendiert dazu, viele ungeklärte Todesfälle und solche, bei denen weder Identität noch Umstände des Ablebens ausreichend ermittelt worden sind, ungeprüft in ihre "Grenztoten-Statistik" mit aufzunehmen.

"Es hat einen bedingungslosen Befehl zum Töten von Grenzverletzern in der DDR nicht gegeben", erklärte der Autor eines 1998 in Baden-Baden erschienenen Buches. Dennoch verbreiten Medien und "Fachliteratur" auch weiterhin unverfroren die Lüge vom "Schießbefehl".

Keine Militär- oder Polizeiformation an internationalen Grenzen darf Schußwaffen (gleich welcher Art) anwenden, ohne daß dafür gesetzliche oder auf ihnen basierende innerdienstliche Weisungen existieren.

Das Wort "Schießbefehl" ist ein antikommunistischer Kampfbegriff. Mit seiner Hilfe wollen unverbesserliche Kalte Krieger die "Erinnerungskultur" an das Grenzregime der DDR im Bereich der "innerdeutschen Grenze" bewahren.

Einer der Lieblingssätze des abgelegten SPD-Vorsitzenden Kurt Beck lautete: "In der SED-PDS-Nachfolgegruppierung sitzen Leute, die das Gebot der Freiheit mit Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl beantwortet haben."

Trotz intensivster Suche wurde seit dem Anschluß der DDR an die BRD in den einsehbaren Unterlagen nichts gefunden, was der politisch-propagandistischen Behauptung eines Schußwaffengebrauchs ohne Rechtsvorschriften irgendwie entgegengekommen wäre. Diese Tatsache wird auch durch Politiker der Linkspartei bestätigt.

So heißt es in einem Internet-Material: Wie steht die Linke zum "Schießbefehl"? Wenn "das Grenzregime ohne zentralen Befehl auskam, so sagt dies mehr über die systematischen repressiven Mechanismen aus als ein zentraler Schießbefehl jemals könnte". Das ist zweifellos eine Formulierung, die von wenig Sympathie für den sozialistischen deutschen Staat zeugt.

RA Dr. Klaus Emmerich, Kassel

Raute

RF-Extra

Aus passiven Duldern müssen aktive Kämpfer werden

Das Bedürfnis nach Widerstand wächst

Die Krise, die weltweit Chaos verbreitet, kann nur wirksam bekämpft und dauerhaft überwunden werden, wenn Analysearbeit ihre Ursachen aufdeckt und wenn die erarbeitete Alternative und alternative Politik darauf orientieren, diese Ursachen zu überwinden, zu beseitigen. Offiziell wird die Krise als "Finanzkrise" bezeichnet. Regierungsfunktionäre der Monopolkapitalisten kritisieren deren Bankfunktionäre. Die haben durch Fehlleistungen einen krisenhaften Geldmangel an falschen Stellen und die Gefahr heraufbeschworen, daß die wirklichen Krisenursachen sichtbar werden könnten. Die Krisenursache erscheint zunächst als "Geldmangel", als der steigende Mangel an lebensnotwendigen Existenzmitteln bei Millionen Menschen und ganzen Völkern. Diese Not blockiert nicht nur die Tilgung von Krediten, sondern erschüttert das System der monopolkapitalistischen Produktionsweise und die darauf fußende Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Hauptursache für die Zerstörung individueller und gesellschaftlicher Existenzbedingen ist das Eigentumsmonopol an Produktionsmitteln, das mit der Herrschaft über die Lebensbedingungen des Proletariats begonnen hat. Die geschichtlichen Tatsachen der kapitalistischen Produktionsweise haben bestätigt, was Karl Marx in seiner Kapitalanalyse offengelegt hat. Die kapitalistische Akkumulation von Profit und Reichtum auf dem einen gesellschaftlichen Pol ist zugleich Akkumulation von Armut und Elend auf dem Gegenpol, vor allem auf seiten der Klasse, "die ihr eigenes Produkt als Kapital produziert". (MEW 23/575)

Doch die Lebensfähigkeit von Kapital ist nicht schlechthin vom Profit abhängig, sondern von einem konkurrenzfähigen Profit. Der bedeutet Herrschaft auch über Konkurrenten und über den individuellen und gesellschaftlichen Konsum der Bevölkerung ganzer Länder. Bei Aufrechterhaltung des Privateigentums an Produktionsmitteln gehen alle Schritte kapitalistischer Entwicklung in Richtung einer immer größeren Monopolisierung und eines "ungeheuren Anwachsens der Profite des Großkapitals auf Kosten aller übrigen Bevölkerungsschichten". (LW 24/302)

So, wie sich das Eigentumsmonopol an Produktionsmitteln zum monopolistischen, zum imperialistischen Kapitalismus entwickelt hat, sind Profite nur noch konkurrenzfähig, wenn sie sich im Bereich von Milliardeneinkünften bewegen. Das hat zunehmend alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens monopolkapitalistischer Ausbeutung und Herrschaft unterworfen.

Auch der Staat, der die Ausbeuterordnung mit Gesetzen, Repressionen und der Förderung von Expansionsmöglichkeiten sichert, wurde in den Reproduktionsprozeß des Monopolkapitals integriert. Er organisiert im Interesse der Monopole die Umverteilung von unten nach oben, stärkt die internationale Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Konzerne und die Unterwerfung immer weiterer Bereiche des gesellschaftlichen Lebens unter die Herrschaft der Monopolisten.

Diese und ihre Funktionäre haben die Erzeugung massenhafter Armut, die zunehmende Aggressivität und Produktivitätsfeindlichkeit und die Entfaltung aller Repressionsmöglichkeiten gegen Kritik und Alternativen krisenhaft und weltweit zugespitzt. Hauptverantwortlich dafür sind die reaktionärsten und aggressivsten Kräfte des Monopolkapitals. Sie haben im vergangenen Jahrhundert schon einmal mit faschistischen Mitteln und Methoden die Menschheit in eine lebenszerstörerische Katastrophe gestürzt, die ihre Vorboten in der großen Krise von 1929/30 hatte.

Den bitteren Erfahrungen der Massen mit dem Faschismus Rechnung tragend, verschärfen diese Volksfeinde den Klassenkampf in neuen Formen, mit neuen Mitteln. So haben sie zum Beispiel zur proimperialistischen Gleichschaltung politischer Bewegungen den Parlamentarismus nicht abgeschafft, "unbequeme" Organisationen und Akteure wurden nicht vernichtet, sondern mit neuen Formen der Repression "integriert" oder politisch in die Isolation getrieben.

Die Großkapitalisten Deutschlands versuchen, in scheinheiliger Distanz zum Hitlerfaschismus die ökonomischen und politischen Potentiale Europas diesmal nicht mit militärischer Gewalt, sondern mit Hilfe des Euro und der EU ihren erneuten Weltmachtplänen dienstbar zu machen. Mit Krieg wurde noch Jugoslawien heimgesucht, danach wurde er in andere Weltregionen verlegt und der kollektive Aggressor, die EU, als Friedensmacht bezeichnet.

Im Weltmaßstab erwächst die existentielle Gefahr für die Menschheit vor allem aus der präventiven Kriegspolitik der USA und der Drohung mit dem atomaren Erstschlag. Doch über die NATO ist die EU mit Deutschland Teilhaber dieser Bedrohung. Zusätzlich fördern und stärken zwei Programme jene Bedingungen und Grundlagen, die auch hier zur gegenwärtigen Krise geführt haben.

Das eine Programm, die Agenda 2010, wird schon mit den bekannten Krisenfolgen für die Lebensbedingungen der Bevölkerung praktiziert. Das andere soll die "deutschen" Erfahrungen auf alle Länder der EU übertragen. Der erste Versuch mit dem Vertrag für eine Verfassung für Europa ist an der Wahlentscheidung in Frankreich und den Niederlanden 2005 gescheitert. Der neu aufgelegte Versuch mit den Verträgen von Lissabon hat 2008 von den Iren einen Dämpfer bekommen. Die Koalition der reaktionärsten und aggressivsten Kräfte des Monopolkapitals hat einen neuen Kalten Krieg entfesselt, um die irische Entscheidung zu korrigieren.

Alternativ gefordert ist eine Koalition der Solidarität mit der irischen Entscheidung und deren schöpferische Nutzung. Illusionär ist die Meinung, die Verträge von Lissabon könnten von der Koalition der kalten Krieger zu Volksbefragungen in den Mitgliedsländern zugelassen werden oder die nächsten EU-Wahlen könnten die volksfeindliche EU in Frage stellen. Doch in der EU gibt es Städte und Regionen, in denen Volksbefragungen zu einer alternativen Kampfaufgabe werden könnten, mit der zu erwartenden Beweisführung, daß die parlamentarisch abgenickten Ratifizierungen über keine demokratische Legitimation verfügen und korrigiert werden müssen.

Eine Analyse der Krisenursachen rückt die alternativen Aufgaben in den Vordergrund: Armut, Kriege und imperialistische Repressionen zu überwinden und einem antiimperialistischen Demokratismus den Weg zu bereiten. Das ist nicht in einem Sprung, in einer Etappe des Klassenkampfes zu erreichen, enthält aber die Kriterien für eine andersgeartete Politik, für die Organisierung von Aktions- und Wahlbündnissen, die an das anvisierte Ziel heranführen. Im Unterschied zu propagierten "Alternativen" in Form von abstrakten Theoriebegriffen sind wirkliche Alternativen massenhaften Erfahrungen zugänglich.

Eine Koalition andersorientierter Kräfte hätte zum Beispiel keine Schwierigkeiten, im Kampf gegen Armut, Krieg und imperialistische Repression den alternativen Charakter etwa folgender Kampfaufgaben zu belegen: Abschaffung der Mehrwertsteuer; Verbot neofaschistischer Organisationen; Rückführung der Gesetzgebung an die gewählte Volksvertretung; jährliche Reduzierung der Ausgaben für Rüstung und Militäreinsätze; Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit ohne Einkommensverluste, aber mit Freizeitgewinn für Erholung, kulturelle Bedürfnisse, Sport, politisches Engagement und anderes. (Die Volksfeinde setzen Kurzarbeit und Arbeitsplatzabbau dagegen.)

Alternative Programme können nur verwirklicht werden, wenn sie geeignet sind, entsprechendes Denken und Handeln von gesellschaftlicher Ohnmacht zu befreien und sie zu einer gesellschaftlichen Macht, d. h. zu einer organisierten Kraft werden zu lassen. Alternatives Denken und Handeln ist vor allem mit dem Gewaltmonopol der reaktionärsten und aggressivsten Kräfte des Großkapitals konfrontiert. Dieses beruht auf einer größtmöglichen Zentralisation politischer und ökonomischer Macht, mit der eine ausgebeutete und unterdrückte Mehrheit in Schach gehalten wird, mit der die Krisenursachen, mit der Armut, Kriege und imperialistische Repression verewigt werden sollen.

Wichtige Instrumente dazu sind: die Monopolverbände, die gleichgeschalteten proimperialistischen Parteienblöcke, die EU, die Koalition der G 7, der IWF, die Weltbank, die WTO, die verschiedenen Militärblöcke wie vor allem die NATO. Mit Hilfe solcher internationalen Machtorgane wurden bereits die geplante demokratische und friedenssichernde Nachkriegsordnung und die entsprechenden Möglichkeiten der UNO torpediert. Solche Organisationen wurden als Machtorgane zur Lähmung der UNO entwickelt, um mit ihrer Hilfe das Kriegsverbot der UNO-Satzung durch das Recht auf Aggressionen zu ersetzen und dieses zu praktizieren. Im weiteren wurden und werden Absichten und Ansätze zu wirklich alternativem Denken und Handeln aufgespalten, zersplittert und mit Dutzenden von Scheinalternativen überdeckt, damit wirkliche Alternativen ohnmächtig bleiben.

Das wichtigste Instrument dieser Politik ist von der Angst diktiert, daß alternatives Denken und Handeln revolutionäres Denken und Handeln reaktivieren könnte, welches im 20. Jahrhundert - beginnend mit der Oktoberrevolution - eine Geschichtswende herbeigeführt hat. Ausbeuter wurden ökonomisch und politisch entmachtet, Kriegstreibern wurde das Handwerk gelegt oder ihrem Aggressionsdrang durch die Friedensmacht des Sozialismus, vor allem der Sowjetunion, Grenzen gesetzt. Auf diese Kraft gestützt, wurde in einer breitestmöglichen Koalition der Versuch zerschlagen, die Menschheit faschistischer Barbarei zu unterwerfen. Imperialistischer Kolonialpolitik wurden Niederlagen bereitet. Führende Aggressionsmächte mußten Niederlagen einstecken, so die USA in Vietnam und Kuba. Tonangebende Kreise der ehemals faschistischen Führungsmacht Deutschland hatten die Herrschaft über einen Teil des Landes verloren.

Mit dem Ziel, all das nachfolgende Generationen vergessen zu lassen, wurden Verlage und Redaktionen mobilisiert, um die Geschichte des 20. Jahrhunderts umzuschreiben. Die Erfahrungen revolutionärer Klassenkämpfe und Veränderung wurden ausradiert. Das Ganze garnierte man mit der Lüge, solches Denken und Handeln habe sich für immer selbst zerstört und aus der Geschichte verabschiedet, weshalb es nicht zukunftsfähig und für das neue Jahrhundert nicht mehr erwähnenswert sei.

In Wirklichkeit wurden der sozialistischen Friedensmacht Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern vor allem durch gesteigerte militärische Bedrohung und den Kalten Krieg die ökonomischen und politischen Existenzbedingungen entzogen. Der Kalte Krieg der imperialistischen Großmächte wurde zu einer der Entspannung dienenden Politik umgelogen. Das Ergebnis dessen ist die gegenwärtige bedrohliche Weltlage. Die Beseitigung der Potentiale sozialistischer Staaten hat den Weg dazu bereitet.

Die umfangreiche Literatur zu den Ursachen unserer Niederlage geht überwiegend an diesen Tatsachen vorbei und kapituliert vor dem geschichtlich neuen Problem, auf welche Weise der revolutionäre Internationalismus sozialistischer Länder dem Kalten Krieg genauso erfolgreich Widerstand hätte leisten können wie zuvor anderen Feindangriffen. Doch die Beantwortung dieser Frage ist eingebunden in das vordringliche Bedürfnis nach aktuellen antiimperialistischen Aktivitäten.

In jüngster Zeit wurden staatliche Repressionen gegen Antifaschisten und deren Aktivitäten verschärft. Diese sind vor allem darauf gerichtet, in Deutschland demokratische und verfassungsrechtliche Restbestände vor der imperialistischen Zerstörung zu schützen. Der Staat forciert die Unterdrückung aller Linkskräfte, um nazistischen Bestrebungen zum Demokratieabbau mehr Entfaltungsmöglichkeiten zu verschaffen. Hier wird sichtbar, daß faschistische, antidemokratische Gefahren nicht nur von Naziorganisationen ausgehen, sondern auch von den Institutionen selbst.

Doch es gibt auch zwei sich ergänzende Varianten des imperialistischen Terrors: Die alte Variante wirkt in offen militanter Gewalt fort. Dafür stehen neofaschistische Organisationen und Kameradschaften bereit. Die moderne Variante manifestiert sich in getarntem, "neoliberalem" Terrorismus, der vor allem die Politik des Kalten Krieges kennzeichnet. Das Wechselspiel zwischen beiden Varianten imperialistischen Terrors zeigt sich heute besonders in der Politik der herrschenden Kreise Israels gegen die Palästinenser. Diese hält für sie nur die Alternative offen, zwischen zwei Formen des Terrors zu wählen: sich entweder bedingungslos dem Diktat Tel Avivs zu unterwerfen oder mit Krieg überzogen zu werden.

Die Krise verstärkt kritische Fragen und auch das Bedürfnis nach Widerstand gegen volksfeindliche Praktiken. Der Klassenfeind verschärft den Kampf gegen alle Ansätze und Möglichkeiten, seiner Politik Widerstand zu leisten. Mit den Schlägen gegen Antifaschisten will er verhindern, daß diese aus den Reihen der Nichtfaschisten Verstärkung erhalten. Die gleiche Politik verfolgt man, um Prozessen entgegenzuwirken, die aus Friedensfreunden bewußte Antiimperialisten, aus Demokraten revolutionäre Demokraten und aus beliebigen Linken sich verstärkt dem wissenschaftlichen Sozialismus zuwendende Kämpfer machen.

Alternatives Denken und Handeln zielt also darauf ab, aus Duldern imperialistischer Politik bewußte Widerständler gegen ihren Opferstatus werden zu lassen, die sich zu organisiertem Handeln zusammenfinden, um einem antiimperialistischen Demokratismus den Weg zu bereiten.

Prof. Dr. Hans Kölsch

Raute

Über Vergangenheit und Gegenwart des Autonomen Gebiets der Volksrepublik China

Wissenswertes zu Tibet

Im vergangenen Jahr haben sich Medien und Politiker viel mit Tibet beschäftigt. Dabei sind zwei Dinge zutage getreten: Erstens wird über dieses Gebiet und seine Menschen viel Falsches verbreitet. Zweitens ist nicht Tibet das eigentliche Angriffsziel, sondern das sozialistische China.

Deshalb soll hier Wesentliches kurz benannt werden: Die VR China, die in diesem Jahr den 60. Jahrestag ihrer Gründung begeht, ist mit über 1,3 Milliarden Menschen das bevölkerungsreichste Land der Erde und mit 9,6 Millionen km² das drittgrößte Flächenland. China ist in 34 Gebiete mit Provinzcharakter untergliedert (einschließlich Taiwan). Fünf Autonome Gebiete der nationalen Minderheiten gehören dazu. Diese umfassen ca. 43 % des gesamten Territoriums.

Am Rande der Ende 2008 im indischen Exil Dharamsala durchgeführten Konferenz der Exil-Tibeter hat der Dalai Lama erneut ein Groß-Tibet gefordert. Dies solle alle Gebiete umfassen, in denen Tibeter siedeln (insgesamt leben in der VR China 5,6 Millionen). Das sind 25 % des chinesischen Staatsterritoriums. Angehörige anderer Nationalitäten sollten diese Gebiete verlassen.

Unternehmen wir einen kurzen Ausflug in die Geschichte.

Eine Prinzessin des chinesischen Kaiserhofes wurde 641 u. Z. mit dem König des tibetischen Reiches verheiratet. So begann die Zugehörigkeit Tibets zu China. Mitte des 13. Jahrhunderts war Tibet offiziell in das chinesische Territorium eingegliedert.

Die Politik der kapitalistischen Mächte, China unter sich in Einflußsphären aufzuteilen, wurde insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorangetrieben. Das Land wurde zu einer Halbkolonie. 1888 und 1903 überfielen britische Truppen von ihrer indischen Kolonie aus Tibet, um es seiner Einflußsphäre anzugliedern. Die britischen Truppen besetzten zeitweise Lhasa, der XIII. Dalai Lama mußte 1904 fliehen. Tibetische Behörden gaben unter britischem Druck 1913 eine "Unabhängigkeitserklärung" ab, die auf den Widerstand der chinesischen Zentralregierung stieß und auch international nicht anerkannt wurde. Es entspricht nicht der historischen Wahrheit, wenn behauptet wird, Tibet sei in der Zeit seit dem Sturz der Kaiserherrschaft in China 1911 und der Gründung der VR China 1949 de facto ein unabhängiger Staat gewesen. In seiner Antrittsrede als erster Provisorischer Präsident der Republik China verkündete Sun Yatsen am 1.1.1912 die Vereinigung der Han, Mandschuren, Mongolen, Hui und Tibeter in einem Staat, zu Mitgliedern einer großen Familie. Die Provisorische Verfassung der Republik China legte eindeutig fest, daß Tibet Bestandteil deren Territoriums ist. Die Vertreter der tibetischen Lokalregierung nahmen an offiziellen Akten der Guomindang zur Bildung der Nationalregierung und der Nationalversammlung teil.

Entsprechend der mehrere Jahrhunderte bestehenden Prozedur wurde auch der XIV. Dalai Lama 1940 durch die Zentralregierung bestätigt.

In der Endphase des Bürgerkrieges, in der sich die Niederlage der Tschiang-Kaischek-Truppen immer deutlicher abzeichnete, und besonders nach der Gründung der Volksrepublik China haben die USA ihre Aktivitäten in dieser Region intensiviert. In einem Pressebericht hieß es, "die Vereinigten Staaten sind bereit, Tibet als ein unabhängiges und freies Land anzuerkennen". Waffen und Munition wurden dorthin geliefert, um dem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee Widerstand entgegenzusetzen.

Als im Juni 1950 der Korea-Krieg begann, wurde Tibet ein Glied in der strategischen Kette der USA zur Einkreisung des Ostens. Am 13. Juni kündigte das U.S. State Department in einer Note an den britischen Botschafter an, daß die USA sehr wahrscheinlich Aktionen durchführen würden, um tibetische Ambitionen, sich von China loszusagen, zu ermuntern und zu unterstützen.

Im Krieg gegen die Guomindang-Herrschaft wurden die Nachbarprovinzen Tibets friedlich befreit. Die lokalen Behörden in Lhasa aber lehnten Verhandlungen mit der neuen Zentralregierung ab und massierten Truppen im Osten Tibets. Deshalb wurde das zu ihm gehörende Gebiet Qamdo 1950 von der Volksbefreiungsarmee eingenommen.

Am 23. Mai 1951 wurde ein Abkommen über die friedliche Befreiung Tibets zwischen der Zentralregierung und der Lokalregierung Tibets unterzeichnet. Dalai Lama und Panchen Lama nahmen 1954 am Ersten Nationalen Volkskongreß teil, auf dem die Verfassung der VR China angenommen wurde, die auch die Prinzipien der nationalen Gebietsautonomie festlegte.

Nach der friedlichen Befreiung Tibets setzten die USA ihre Einmischung fort. Im Juli 1951 traf Thubten Norbu, der älteste Bruder des damals 16jährigen Dalai Lama, in New York ein und führte Geheimgespräche mit den US-Behörden unter Mitwirkung der CIA. Zur gleichen Zeit unterzeichnete ein weiterer älterer Bruder des Dalai Lama, Gyalo Thondup, eine Vereinbarung mit der CIA über Nachrichtenbeschaffung und Guerillakampf in Tibet. Die USA begannen mit der Ausbildung von tibetischen Terroristen.

Bis in die 50er Jahre herrschte in Tibet finsterste Leibeigenschaft. Fünf Prozent der Bevölkerung bildeten die herrschende Schicht, darunter der weltliche und der geistliche Adel in den Klöstern, 90 % der Bevölkerung waren Leibeigene und fünf Prozent Sklaven. Die Feudalherren widersetzten sich Reformen und verstärkten mit Unterstützung der CIA separatistische Bestrebungen. Am 10. März 1959 inszenierten sie einen bewaffneten Putsch in Lhasa mit dem Ziel, Tibet von China loszutrennen. Am 17. März wurde der zu jener Zeit 23jährige Dalai Lama an die Grenze verbracht, von wo aus die Aufrührer, als der Putsch gescheitert war, in das Nachbarland flohen. Die CIA unterstützte den Dalai Lama bei seiner Flucht nach Indien auf vielfältige Weise. Flugzeuge der CIA drangen Hunderte Meilen in den chinesischen Luftraum ein, um die Flüchtlinge zu eskortieren. Sie beobachteten die Bewegungen der chinesischen Volksbefreiungsarmee, warfen Lebensmittel, Landkarten, Rundfunkempfänger und Geld für die Flüchtenden ab. Ein in den USA ausgebildeter Tibeter begleitete den Fluchtkonvoi.

Nach der Niederschlagung des Putsches wurden in Tibet demokratische Reformen eingeleitet. Danach konnten das System der theokratischen feudalen Leibeigenschaft beseitigt und Leibeigene wie Sklaven befreit werden.

Der Tibeter Dainmba kehrte nach langjährigem Aufenthalt im Ausland, darunter in einem speziellen Ausbildungslager im USA-Bundesstaat Colorado, nach China zurück. Er äußerte im Mai 1991 zu seiner Unterweisung: Ein Politinstrukteur habe erklärt, um zu verhindern, daß China reich und stark werde, bestehe die Strategie darin, das Land zu teilen, solange es noch arm sei. Zunächst habe Washington die Lostrennung Tibets anvisiert, dann sollten Xinjiang, danach die Innere Mongolei und schließlich die Mandschurei folgen.

Die USA unterhielten eine Reihe von Lagern, in denen Tibeter für Sondereinsätze vorbereitet wurden. Nach offiziellen Verlautbarungen einschlägiger Dienststellen sollen diese nach dem China-Besuch Präsident Nixons (1972) und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und der VR China 1976 aufgelöst und die finanzielle und waffentechnische Unterstützung für die tibetischen Separatisten beendet worden sein.

Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre haben die USA mit dubiosen Mitteln versucht, die sogenannte Tibet-Frage in der UNO auf die Tagesordnung zu bringen. Später wurde sie eine Karte im Spiel der USA-"Menschenrechtsdiplomatie". Am 18. Juni 1987 hat das USA-Repräsentantenhaus eine Entschließung "Chinas Verletzung der Menschenrechte in Tibet" angenommen. Sie wurde Bestandteil des U.S. Foreign Relations Authorization Act für die Jahre 1988/89. Parlamente anderer westlicher Staaten, u. a. das Europa-Parlament, folgten mit inhaltsgleichen Dokumenten. Am 21. September 1987 sprach der Dalai Lama vor dem Menschenrechtskomitee des USA-Repräsentantenhauses. Es ist sicher nicht zufällig, daß wenige Tage danach, am 27. September 1987, erstmals seit 1959 in Lhasa Unruhen mit der Forderung nach "Unabhängigkeit Tibets" ausbrachen. Es soll hier auf die terminliche Nähe der Aktionen der USA 1987 bis1989 zu den Ereignissen Mitte 1989 in Beijing und danach in Europa hingewiesen werden.

Kein Staat der Erde, so auch nicht die USA, hat Tibet jemals als souveränen Staat anerkannt oder diplomatische Beziehungen mit der in Dharamsala residierenden "tibetischen Exilregierung" aufgenommen (auch Indien nicht). Selbst Washingtons Botschafter in China erklärte bei seinem Besuch in Lhasa am 17. April 1997, seit der Ära Sun Yat-sens hätten die USA Tibet stets als untrennbaren Teil Chinas anerkannt.

Das Autonome Gebiet Tibet wurde auf der Grundlage der Verfassung der VR China am 1.9.1965 geschaffen. Es umfaßt 1,228 Millionen km² und hat heute eine Bevölkerung von 2,8 Millionen, davon über 90 % Tibeter, 6 % Han. Insgesamt leben dort acht Nationalitäten.

Wirtschaft und Lebensstandard haben sich auch unter den extrem harten Naturbedingungen (durchschnittliche Höhenlage über 4000 m, Erschwernisse bei Verkehr und Energieversorgung usw.) deutlich entwickelt. Kultur, Bildung und Gesundheitswesen erfuhren sichtbar positive Veränderungen.

Zentrale Gesetze können nach den lokalen Gegebenheiten flexibel gehandhabt werden. So bleiben Polyandrie und Polygynie als eheliche Beziehungen anerkannt. Das Neujahrsfest und andere Feierlichkeiten werden entsprechend dem tibetischen Kalender begangen. Unter Berücksichtigung der Natur- und Klimabedingungen beträgt die Arbeitswoche 35 Stunden; Tibetisch und Chinesisch sind gleichberechtigte Amtssprachen, wobei Tibetisch an erster Stelle steht.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) erreichte bereits im Jahre 2000 das Dreißigfache im Vergleich zu 1951. Über 90 % der schulpflichtigen Kinder besuchen heute den Unterricht, im alten Tibet waren es nur 2 %. Damals galten 95 % der Jugendlichen und Erwachsenen als Analphabeten, heute liegt die Rate unter 30 %. In Tibet bestehen 25 wissenschaftliche Institute und vier Universitäten. 80 % der Kader des Autonomen Gebiets gehören der Nationalität der Tibeter oder anderen nationalen Minderheiten an.

Seit seiner Gründung wurden 1400 Klöster und Tempel renoviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Mehrheit der tibetischen Bevölkerung bekennt sich zum tibetischen Buddhismus. Aber auch Islam und Katholizismus haben Anhänger. Es gibt über 1700 Stätten für tibetisch-buddhistische religiöse Handlungen, etwa 46.000 buddhistische Mönche und Nonnen, vier Moscheen und 3000 Moslems, eine katholische Kirche und 700 Katholiken. Die Bevölkerung Tibets wuchs von 1,14 Millionen (1951) auf 2,7 Millionen (2003), davon 2,5 Millionen Angehörige der tibetischen Nationalität. Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg von 35,5 auf 67 Jahre.

Tibet verfügt heute über 41.000 km befestigte Straßen und eine über 1000 km lange Erdölleitung von Golmud nach Lhasa, mit der die Treibstoffversorgung gesichert wird. 2007 wurde die erste Eisenbahnstrecke nach Lhasa in Betrieb genommen.

18 Naturschutzgebiete erstrecken sich über 33,9 % des tibetischen Territoriums. (Das sind 416.000 km², mehr als die Fläche der BRD ausmacht.) Auch die großen Städte gehören zu den ökologisch saubersten der Welt.

Der aktuellen Entwicklung ging eine Reise des Dalai Lama im zweiten Halbjahr 2007 durch mehrere westliche Hauptstädte voraus, bei der er auch von Kanzlerin Merkel empfangen wurde und die in Washington endete. Bereits im Mai 2007 fand in Brüssel eine "Tibet-Konferenz" statt, zu der die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung eingeladen hatte. Dort wurden "Chancen ausgelotet", die sich "den Tibetern mit den Olympischen Spielen in China bieten". Im November folgte dann in Berlin eine Veranstaltung des "Tibet-Gesprächskreises im Deutschen Bundestag", welche "Tibet und Olympia" zum Thema hatte. Nach dem Veranstaltungsbericht beinhaltete die Diskussion "hauptsächlich die Frage, ob die Olympischen Spiele einen Hebel bieten, mit dem die Tibet-Politik Chinas beeinflußt werden kann".

Am 4. Januar 2008 wurde im indischen Exil des Dalai Lama mit dessen ausdrücklicher Billigung ein exiltibetischer Kampfverband, die "Tibetan People's Uprising Movement" (TPUM) gebildet, die aus Mitgliedern des militanten "Tibetan Youth Congress" besteht. Ihr erklärtes Ziel: "direkte Aktionen" durchführen. "Wir werden den historischen Moment der Olympischen Spiele dazu nutzen, ... das Ende der chinesischen Besetzung herbeizuführen." Das war die Neuauflage einer Ende der 80er Jahre gebildeten exiltibetischen Terrororganisation. Kurz nach dieser Gründung kam es zu ersten Gewaltakten in Lhasa und anderen Orten.

Der Dalai Lama, dieser "Gottkönig", spricht von Menschenrechten, ist aber selbst der Repräsentant von Leibeigenschaft und Sklaverei in Tibet gewesen. Er hat sich nie davon distanziert. Er läßt sich als Demokrat bezeichnen, wurde aber in keine seiner Funktionen jemals gewählt. Er soll der Vertreter der Gewaltlosigkeit sein, hat sich aber nie gegen die Aggressionskriege der USA und der NATO ausgesprochen. Er redet von Humanismus, ohne sich von seinem Freund Asahari, dem Anführer der für das Giftgasattentat in der Tokioter U-Bahn verantwortlichen Aum-Sekte, zu distanzieren.

Die Auseinandersetzungen über "Tibet und Olympia" waren prinzipieller Natur. Es handelte sich um einen imperialistischen Angriff gegen das sozialistische China. Zitiert sei ein Artikel von Anatol Lieven aus dem Jahre 2002: "Was radikale US-Nationalisten im Sinn haben, ist entweder, China durch eine überwältigende Militärmacht und die Schaffung eines Rings von US-amerikanischen Verbündeten 'einzudämmen' oder, im Falle der wirklichen Radikalen, den chinesischen kommunistischen Staat zu zerstören, wie die Sowjetunion zerstört wurde. Wie bei der Sowjetunion würde dies vermutlich beinhalten, durch die 'Befreiung' Tibets und anderer Regionen und unter dem Deckmantel der 'Demokratie' die chinesische Zentralregierung und deren Fähigkeit, die Ökonomie und die Armee zu entwickeln, lahmzulegen."

Der Angriff ging ins Leere, Olympia in Peking war ein voller Erfolg. Angesichts der kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftskrise richtet sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit mehr und mehr auf die VR China.

Rolf Berthold

Unser Autor war bis 1990 DDR-Botschafter in der Volksrepublik China.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Brüder im Geiste: der Dalai Lama und Hessens Oberreaktionär Roland Koch
- Belehrt Russen und Chinesen: Bundestags-Menschenrechts"experte" Volker Beck

Raute

Vorbild der Gaza-Bombardierer: Hitlers Legion Condor

Die Mörder von Guernica

Es war Montag, der 27. April 1937, ein Markttag. Die Straßen von Guernica, einer Stadt mit 7000 Einwohnern, waren voller Menschen. Um 16.30 Uhr begannen die Glocken der Kirche zu läuten, fünf Minuten später erschien das erste Flugzeug am Himmel und warf sechs scharfe 450-kg-Bomben ab. Es folgte ein Granatregen. Nur Minuten später tauchte ein zweites Flugzeug auf. Die Hölle dauerte drei Stunden. Insgesamt bombardierten und beschossen 42 Flugzeuge die Stadt, deren Einwohner und die Umgebung, in die sie sich geflüchtet hatten. Ganz Guernica brannte nieder. 70 Prozent der Gebäude wurden zerstört. Die Zahl der Toten schätzte man auf 800 bis 1600. 70 Jahre später sind sich die Historiker noch immer nicht darüber einig, wieviel Menschen an jenem Tag, der Guernica zur Märtyrer- und Symbolstadt machte, ums Leben gekommen sind. Er hat sich für immer in das kollektive Gedächtnis der Basken eingebrannt. Die Flugzeuge gehörten zum Verband der hitlerfaschistischen Legion Condor und der Luftfahrtlegion Mussolinis. Der Codename für den Überfall lautete "Operation Rügen".

Zwei Männer trugen im besonderen dazu bei, Guernica weltweit zum Fanal zu machen: George Steer und Pablo Picasso.

Der Erste war ein 27jähriger Journalist, geboren in Südafrika, Kriegsberichterstatter der Londoner "Times". Er bekannte sich zur republikanischen und baskischen Sache. Spanien war nicht die erste Front, an die man ihn geschickt hatte. 1935 ging er als Sonderkorrespondent nach Äthiopien, dem damaligen Abessinien, das Mussolinis italienische Faschisten überfielen. Es handelte sich um jenen Diktator, dessen Augen größer als der Magen waren und der dort seinen Traum vom Imperium auf satanische Weise verwirklichte. Bereits in Äthiopien hatte man die Zivilbevölkerung brutal bombardiert. Auch in diesem Falle war der "demokratische Westen" den Opfern der faschistischen Aggression nicht zu Hilfe gekommen.

George Steer traf wenige Stunden nach der Bombardierung Guernicas dort ein und telegraphierte noch in derselben Nacht seinen Bericht nach London. Er erschien auch in der "New York Times". Zeitungen zahlreicher Länder übernahmen ihn. Der Artikel alarmierte die Welt, löste überall Demonstrationen und Protestmärsche aus. Es begann eine wirksame Gegenoffensive in wichtigen Medien, die Franco, Hitler und Mussolini bloßstellten. In den faschistischen Staaten verkündeten Zeitungen und Sender, "bolschewistische Horden" hätten selbst in Guernica Feuer gelegt, bevor sie die Stadt verlassen mußten. Solche Lügen flogen bald auf. Steers Bericht ging in die Geschichte ein. Nach dem Journalisten wurde in Guernica eine Straße benannt. Auch eine Büste erinnert hier an ihn.

Der zweite, der auf die Märtyrerstadt aufmerksam machte, war ein 56jähriger damals schon berühmter Maler, der in Frankreich lebte. Auch er unterstützte das Anliegen der spanischen Republikaner. Der französische Geheimdienst bezeichnete ihn als "Anarchisten, der vom nationalen Standpunkt aus verdächtig ist" und als "angeblich modernen Maler". Im April 1940 verweigerte man ihm die französische Staatsbürgerschaft. Pablo Picasso machte sich sofort an die Arbeit. Das Ergebnis war ein monumentales Gemälde von 8 m Länge und 3,5 m Höhe - in Schwarz und Weiß gehalten. Es wurde im spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung gezeigt. Wie es der Künstler ausdrückte: "Die Malerei ist nicht dazu da, die Wohnungen zu zieren. Sie ist ein offensives und defensives Kriegswerkzeug gegen den Feind."

Guernica war eine Lektion. Die Urheber dieses Verbrechens - allen voran der Kommandeur der Legion Condor, Oberstleutnant Wolfram von Richthofen - wurden in Nazideutschland als Helden gefeiert. Und jene von ihnen, welche in der Bundesrepublik überlebten oder heute noch existieren, verbrachten und verbringen friedlich ihren Ruhestand und geben unglaublich entspannte Interviews.

Der Bombenangriff auf die heilige Stadt der Basken war ein Experiment am lebendigen Modell, das dazu diente, die Fähigkeiten der Naziluftwaffe zu testen, eine Stadt nachhaltig zu zerstören. Hermann Göring, Hitlers Feldmarschall, drückte dies im Nürnberger Prozeß so aus: "Der spanische Bürgerkrieg gab mir die Gelegenheit, meine junge Luftwaffe zu testen und verschaffte meinen Männern eine Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln." Das Kriegsverbrechen von Guernica war weder das erste noch das letzte des 20. Jahrhunderts. Schon 1915 befahl Winston Churchill in Irak Bombenangriffe auf Zivilisten mit chemischen Waffen. Nach Guernica gab es andere vernichtete Städte: Coventry, Rotterdam, Hamburg, Dresden, Hiroshima und Nagasaki. Auf Spanien folgte ganz Europa. Nach Europa wurde Asien zum Kriegsschauplatz - von Korea und Vietnam bis Palästina. Die heutigen Guernicas heißen Gaza, Falludscha, Samara, Nadschaf, aber auch Kandahar.

Die Flugzeuge, die ihre Bomben abwerfen, tragen nicht mehr allein das Eiserne Kreuz der Deutschen, sondern auch die Farben weiterer "demokratischer" Länder. Die "roten Feinde Gottes", die Franco, Hitler und Mussolini einst zu bekämpfen vorgaben, um das christliche Abendland zu retten, wurden inzwischen von "Islamisten" und der "Achse des Bösen" abgelöst. In Bushs Augen erstreckte sie sich von Havanna bis Pjöngjang, von Caracas bis Teheran. Und die internationale Gemeinschaft, die einst gelähmt war angesichts des äthiopischen Martyriums und des dann folgenden Leidensweges der Spanier, ist heute mit dem Schicksal Palästinas, Iraks und Afghanistans konfrontiert. Ihre Lähmung ist schlimmer als je zuvor. Ja, sie ist Komplizin gewisser Guernicas geworden, die sich Tag für Tag vor unseren Augen wiederholen.

Fausto Giudice, Tlaxcala

Übersetzung Eva-Luise Hirschmugl

Raute

Zur Verfaßtheit der Linkskräfte in Frankreich

Ist der Klassenkampf überholt?

Neulich hörte ich den jungen Journalisten François Ruffin anläßlich der Vorstellung seines Buches mit dem erstaunlichen Titel "La Guerre des Classes" erzählen, wie er auf folgenden Satz eines oder einer Buffett gestoßen sei: "Es ist nicht zu leugnen, daß wir einen Krieg der Klassen haben." Neugierig geworden durch diese heute so ungewöhnliche Klarheit habe er die jüngsten Reden von Marie-George Buffet, der Vorsitzenden der Französischen Kommunistischen Partei (FKP), im Internet nachgelesen, ohne auch nur einmal auf ein Wort wie "Klassenkampf" oder "Klasse" gestoßen zu sein. Nach längerem Suchen habe er schließlich den Autor des Zitats ausfindig gemacht: Es handelte sich um Warren Buffett, den derzeit angeblich reichsten Mann der Welt. Das vollständige Zitat lautet: "Es ist nicht zu leugnen, daß wir einen Krieg der Klassen haben, aber es ist meine Klasse, die diesen Krieg führt, und wir sind dabei, ihn zu gewinnen." W. B. habe auch verraten, wie er zu dieser Erkenntnis gekommen sei: Er habe etliche seiner Angestellten gefragt, wieviel Steuern sie bezahlten. Da habe er feststellen müssen, daß er die weitaus geringsten Abgaben entrichte.

Ein Gesinnungsgenosse sagte mir, man solle ab und zu in den Wirtschaftsteil des (rechten) "Figaro" schauen, wo man ungeschminktere Nachrichten fände als weiter links. Schließlich wissen sie dort über Klassenkampf Bescheid, denn sie führen ihn. Es scheint in der Tat, als seien Wörter wie "Arbeiter", "Klasse" (ganz zu schweigen von "Proletariat"), "Kapital", "Profit" usw. aus dem linken Wortschatz verbannt. (Meine Germanistikstudenten hatten Mühe, die beiden deutschen Worte "Arbeitgeber" und "Arbeitnehmer" nicht zu vertauschen, denn wer gibt seine Arbeit, wer nimmt sie?) Setzt ein Großbetrieb Hunderte von Arbeitern - pardon: Mitarbeitern - auf die Straße, um im billigeren Ausland noch höhere Gewinne zu erzielen, dann spricht man hier in allen Medien verschämt vom "plan social". Unsere angeblich linken Parteien beteiligen sich fleißig an dieser Verschleierung. Das Wort "Klassenkampf" scheint selbst die Kommunisten der FKP zu genieren. Wie kann man bekämpfen oder für etwas kämpfen, was man nicht mehr zu benennen wagt?

Welchen Grund hätten die Arbeiter, für Parteien zu stimmen, deren Ziele, außer daß sie an die Regierung wollen, nicht weiter erkennbar sind, und die von keinem Klassenfeind wissen? Rechts aber wird ein immer aggressiverer Klassenkampf geführt, werden Tausende aus Betrieben entlassen, die fette Gewinne machten, deren Leiter für Erfolg und Mißerfolg reich belohnt werden. Andererseits stagnieren oder sinken die Löhne seit Jahren. Zugleich werden die alten schönen Zentren unserer Großstädte aufgrund der überteuerten Wohnpreise von Geringerverdienenden gesäubert und zu gut abgesicherten Zonen der Reichen gemacht. Und unsere "linken" Parteien überlassen es der "Financial Times", auf den "immer tiefer werdenden Graben zwischen Reichen und Armen" hinzuweisen. Die letzte Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten, deren Hauptanliegen es war, "die Franzosen miteinander zu versöhnen" und "die Sprache der Zwietracht den Rechten zu überlassen", brachte es sogar fertig, den Unternehmern ein "Macht Profit!" zuzurufen, als hätten die auf einen solchen Zuruf nur gewartet. Sind wir wieder bei Napoleon III. und seinem "Bereichert Euch!" angekommen?

Gewiß, sie meinten es beide gut, die sozialistische Kandidatin und der Kaiser. Sie glaubten wohl, je mehr Reichtum sich oben ansammle, desto üppigere Almosen fielen für unten ab. Man überläßt es einem liberalen Wirtschaftswissenschaftler, auf den "ungeheuren Betrug" hinzuweisen, der in der Behauptung liege, daß das Wachsen der Gewinne die Ungleichheit vermindere. Hat die FKP wirklich niemand mehr, der mal in Marx' "Kapital" nachsieht?

Von rechts bis links wird Jean Jaurès, der Gründer der "Humanité", zitiert. Sie greifen aber nur die bequemen Sätze heraus. In Berlin sah ich, daß man dort ähnlich mit Worten von Rosa Luxemburg verfährt, die auf dem nach ihr benannten Platz in das Pflaster eingelassen wurden, ohne den Kern ihrer Lehre zu verraten. "Die sozialistische Partei steht in ständiger radikaler Opposition zum kapitalistischen System." Das ist einer der Sätze von Jean Jaurès, den man ebenfalls nicht zitiert.

Selbst von Politikern der Sozialisten kann man hören, daß die Verlagerung etlicher Betriebe notwendig sei, um "Arbeitsplätze zu schaffen, die einen hohen Mehrwert einbringen". Haben diese Leute niemals davon gehört, was Marx über Mehrwert gesagt hat, ohne den es keine Kapitalisten geben könne? Leider vergißt auch Ruffin in seinem so tapferen Buch darauf hinzuweisen, wie er überhaupt kaum die marxistischen Klassiker heranzieht. Er gestand selbst, er habe diese zu wenig gelesen. Es ist gut, die Verhältnisse zu benennen, aber es ist noch besser, nach ihren Gesetzen zu fragen, die ja doch bereits vor anderthalb Jahrhunderten erkannt und aufgezeichnet wurden. Eine Linke, die sich da nicht erkundigt, um von dort aus weiterzudenken, wird mit den gegenwärtigen Entwicklungen nichts anzufangen wissen. Ohne das wird auch keine hervorragende Persönlichkeit aus ihrer Mitte hervorgehen, die einen Weg zu weisen vermag. Statt dessen entsteht unten ein Gefühl der Machtlosigkeit.

Als ich nach Frankreich kam, wurde die FKP noch vom Geist eines Maurice Thorez beflügelt. Bestimmte Seiten der Politik der UdSSR waren zwar schon lange vor dem Wirbel, den man um den Solschenizyn-Roman machte, nicht unbekannt, aber die Partei erhielt dennoch weit über 20 % der Stimmen. Bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen bekam M.-G. Buffet gerade noch 1,9 %, während die Trotzkisten 4,1 % erzielten. Noch Georges Marchaise sprach nach 1970 von dem gemeinsamen Gegner der Kleinbauern, der Arbeiter und kleinen Angestellten. Selbst François Mitterrand, der Kandidat der PS, redete in den 70er Jahren von "Klassenkampf zwischen den Privilegierten und der Masse der Lohnempfänger" 1981 gaben ihm 74 % der Arbeiter ihre Stimme. Die Kommunisten beteiligten sich an seiner Regierung. Zwei Jahre später warf er sie wirkungsvoll raus und zeigte sein wahres Gesicht. Von da an sprach er vom "Klassenfrieden" und gab sich als der große "rassembleur", der Sammler der Nation, aus. Seine Nachfolger murmelten nur noch etwas von "komplexen Verhältnissen" in unserer Gesellschaft. Sie warnen vor jeglichem Dogmatismus und vor "alten Tabus" - als läge da die Hauptgefahr - und empfehlen, endlich "die Berliner Mauer in den Köpfen fallen zu lassen", als wäre die nicht schon lange vor der tatsächlichen Mauer gefallen. Jede erneute Unterwerfung erhöhen sie zu einem Beweis der Tapferkeit. Der Feind, das ist "die Ideologie". Folglich verlieren sie seit einiger Zeit die Präsidentschaftswahlen, wurden bei der vorletzten Abstimmung sogar von den Rechtsextremisten überholt (derer sich dann unser Präsident dankbar annahm).

Trotz aller Irreführung und intensivster Bearbeitung durch die Medien geschah es im Mai 2005, daß bei einem Referendum die Mehrheit - darunter 79 % der Arbeiter - gegen die Europaverfassung stimmte. Aber als diese später ohne Volksabstimmung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion doch angenommen wurde, gab es keine nennenswerten Proteste von links. Wäre es nicht die Aufgabe der FKP gewesen, wirksame Aktionen gegen einen solchen Betrug zu unternehmen? Deren Vorsitzende Buffet aber begnügte sich damit, im Krankenschwester-Ton die Not der Armen zu beklagen. Weiß sie nicht, daß Marx Klage und Mitleid als gänzlich unfähige Mittel im Kampf gegen das Kapital bezeichnet hat? Sind die von Arbeitslosigkeit Erfaßten oder Bedrohten etwa Kranke, die der Pflege bedürfen? Wenn aber Ruffin den Satz eines unserer liberalen Philosophen zitiert: "Der schlimmste Feind des Profits ist die Vollbeschäftigung" - so weist er dazu leider nicht auf das hin, was Marx über die für das Kapital so notwendige industrielle Reservearmee gesagt hat.

Der wahre Feind wird unerkennbar gemacht. Und es sind nicht zuletzt unsere Gewerkschaften, die da mithelfen. Gewiß wird hierzulande oft gestreikt. Mal sind es die Eisenbahner, mal die Beschäftigten der Stadtwerke, mal die Lehrer. Aber jede Berufsgruppe streikt für ihre Belange. Man spürt wenig Klassensolidarität. Es seien eher für rein wirtschaftliche Ziele geführte als politische Streiks, meint Ruffin zu recht. Doch schade, daß er dabei nicht auf Lenins "Was tun?" zurückgreift - eine Schrift, die sich vor allem gegen die "Ökonomisten" richtet, denen es nur um ökonomische Verbesserungen geht, gegen all jene, welche die Möglichkeit leugnen, den Sozialismus und seine Unausweichlichkeit wissenschaftlich zu begründen. Unter linken Jugendlichen gebe es allenfalls eine Begeisterung für Che Guevara, aufgrund seiner "romantischen Erscheinung und seines ideologischen Leichtgepäcks", so Ruffin.

Immerhin aber soll Che seinen Freund Fidel Castro zum Marxismus geführt haben. Hätte sich ohne diese ideologische Befestigung die kubanische Revolution bis heute halten können? Wird sich die bolivarische Revolution des Hugo Chávez ohne eine solche behaupten können, fragte sich mein Bruder besorgt nach einem kürzlichen Besuch in Venezuela.

Dr. Heidi Urbahn de Jauregui, Montpellier


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Kommunistische Wiedergeburt - Volkswiderstand! Nein zur EU!
Aus: "Initiative Communiste", Liévin

Raute

Lange vor dem Machtantritt der Nazis propagierte man in den USA die "nordische Rasse"

Hitlers amerikanische Lehrer

Wenn Amerika dem Abstieg der Nation entgehen will, muß es gute Amerikaner züchten. Eugenik sollte unsere religiösen und moralischen Werte durchdringen." Das ist so nachzulesen in einem Memorandum, welches 1914 vom sogenannten Eugenics Record Office (ERO) in den Vereinigten Staaten herausgegeben wurde. Dieses Institut begründeten philanthropische Stiftungen, Elitewissenschaftler der reichen Ivy-League-Universitäten und des U.S.-Landwirtschaftsministeriums im Jahre 1904. Inspiriert durch den britischen Universalforscher Galton, wollte das ERO "die genetische Qualität der US-Bevölkerung verbessern". Im Gegensatz zu ihm gedachte ERO-Direktor Charles Davenport diese "Verbesserung" allein durch Auslese und Eliminierung der "inferior" (zu deutsch: der "Minderwertigen") voranzubringen. Immer mehr USA-Bundesstaaten führten Gesetze zur Zwangssterilisierung, Kastration und lebenslangen Wegschließung "Minderwertiger" ein. Das Beschlossene wurde in die Praxis umgesetzt.

In den USA veröffentlichte Edwin Black schon 1903 die Ergebnisse umfangreicher Archivforschungen zu diesem Thema in seinem Buch "The War against the Weak" (Der Krieg gegen die Schwachen). Bislang gibt es keine deutsche Übersetzung. Nun hat Hermann Ploppa in einem eigenen Werk diese Erkenntnisse in einen größeren Zusammenhang gestellt. Er weist nach, wie sich in den Vereinigten Staaten bereits Ende des 19. Jahrhunderts eine Herrschaftselite herausbildete, die über ihr ausgefeiltes Netzwerk eine diskrete, aber effiziente Kontrolle aller gesellschaftlichen Knotenpunkte ausübte. Diese Herrschaft ganz Weniger, der Oligarchie, wurde vom hohen Tempo des technischen Fortschritts stimuliert. Beeindruckende Steigerungen von Gewinnmargen und politischer Macht ließen rasch Weltmachtphantasien aufkommen.

Galton hatte in seinem Buch "The Hereditary Genius" (Der erbliche Genius) keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen technischem und biologischem Fortschritt gesehen. Wie es Maschinen auf differenziertem Niveau gab, dachten Galton und nach ihm die US-Eugeniker, gebe es auch menschliche Rassen mit unterschiedlichem Entwicklungsgrad. Und so feierten Vordenker dieser Richtung in den USA den Untergang der Indianer und der Tasmanier als das Ende eines genetischen Auslaufmodells.

In den Vereinigten Staaten werden Afroamerikaner bis heute von vielen Weißen nach wie vor als "Neger" bezeichnet und als Rasse betrachtet, die für den menschlichzivilisatorischen Fortschritt ungeeignet ist. Daran dürfte auch die Tatsache der Wahl eines schwarzen Präsidenten im Bewußtsein der Rassisten kaum etwas ändern.

Theodore Lothrop Stoddard widmete ein ganzes Buch dem Aufstand der "Untermenschen". Damit sind jene gemeint, welche dem forcierten Tempo und der Komplexität der modernen Gesellschaft nicht folgen können. Madison Grant forderte das "nordicizing", die "Aufnordung". Die nordische Herrenrasse müsse, bevor sie neue Gebiete erobere, dort ansässige Bewohner auslöschen.

Zu Leuten dieses Schlages gesellte sich, wie Ploppa schreibt, der skurrile und zugleich clevere Autobauer Henry Ford. Sein Pamphlet "Der internationale Jude" war bei den Nazis Schulungslektüre und prägte jene paranoide wie "bakteriologische" Variante des Antisemitismus, die den Judenhaß Hitlers von dem anderer deutscher Zeitgenossen unterschied.

Schließlich zeigt Ploppa, wie diese Mischung aus den USA den "Führer" in seiner Landsberger Gefängniszelle erreichte. Nach dem gescheiterten Putsch 1923 fand in Hitlers Denken ein signifikanter Sinneswandel statt. Es handelte sich um seine plötzliche West-Orientierung. Der Verleger Julius Lehmann fungierte bei dem geistigen USNS-Transfer als wichtiger Übermittler von Ideen. Lehmann veröffentlichte nämlich Bücher der hochgeehrten US-Oligarchen Grant und Stoddard in deutscher Übersetzung, die Hitler sehr beeindruckten.

Ploppas Buch stellt eine wichtige Ergänzung zur Vermittlung von Einsichten über die Naziideologie und die Funktionsweise der USA-Gesellschaft dar.

Dr. Matin Baraki

Raute

Lettlands Geheimdienst drosselt Redefreiheit

Rüdes aus Riga

Im lettischen Hafenstädtchen Ventspils organisierte die lokale Zeitung vor einigen Monaten eine Diskussionsrunde zur Wirtschaftslage. Der Dozent für Nationalökonomie Dmitri Smirnow zählte ernstliche Probleme Lettlands auf und riet seinen Zuhörern: "Laßt Euer Geld nicht in der Bank, und tauscht eure Lats (die Landeswährung) in Valuta um."

Kurz darauf erhielt der junge Wissenschaftler Besuch von der Sicherheitspolizei. Er wurde abgeführt, zwei Tage verhört, dann aber wieder freigelassen. Allerdings steht Smirnow weiterhin unter Beobachtung - wegen "verleumderischer Anschuldigungen gegen das lettische Bankwesen und die nationale Währung".

Finanzfragen sind in Lettland ein heikles Thema. "Loses Geschwätz" wird von den Sicherheitsbehörden mit ungewöhnlichem Eifer verfolgt. Kritik am nationalen Banksystem wird als Subversion eingestuft und ist daher gesetzlich verboten.

Derartige Auswüchse des Einschreitens der Staatsgewalt sind an der Tagesordnung. Vor kurzem wurde ein populärer Musiker vom Sicherheitsdienst vernommen, weil er sich bei einem Konzert einen Witz über die unzuverlässigen lettischen Banken erlaubt hatte. Agenten schnüffeln in Internet-Cafés herum, zensieren Zeitungsartikel und überwachen Rock-Konzerte.

Anfang 2007 äußerte Alf Vanags, Direktor des Baltischen Internationalen Zentrums zum Studium der Wirtschaftspolitik, auf einer Pressekonferenz seine Besorgnis über Lettlands Handelsdefizit. Kurz darauf erhielt er einen Anruf der Sicherheitspolizei, die verlangte, in seine Unterlagen Einblick zu nehmen. Vanags übermittelte ihnen sein Material, hörte danach aber nichts mehr. "Kritik ist eben unpatriotisch", seufzt der Experte.

Nur ein Umstand entgeht der wachsamen Staatskontrolle: Die Befürchtungen werden Wirklichkeit!

Trotz stereotyper Beteuerungen, das Bankwesen sei gesund, mußte die lettische Regierung im vergangenen Oktober die größte Privatbank Parex verstaatlichen, um deren Bankrott zu verhindern. Ebenso nachdrücklich wurden Anleihen beim Internationalen Währungsfonds verneint, während man unterdessen in Verhandlungen mit dem IWF über eine Kreditspritze eintrat.

Niemand glaubt mehr daran, daß das kleine Lettland mit seinen 2,3 Millionen Einwohnern und 26 Banken der Wirtschaftskrise zu entrinnen vermag. Seine Probleme sind mit denen vieler Staaten identisch: Kreditkrise, Preisverfall auf dem Immobilienmarkt, stagnierende Wirtschaft. Mit anderen Worten: eine Rezession aus dem Lehrbuch.

Vor diesem Hintergrund unterbindet die Sicherheitspolizei eine freie Meinungsäußerung. Angst wird zum Hilfsmittel einer konfusen Staatsgewalt, um Kritik auszuschalten. Allerdings herrscht in Lettland eine Situation, die ans Lächerliche grenzt.

Zweifel an der Stabilität und Zuverlässigkeit des lettischen Bankwesens sind aufgrund von Erfahrungen durchaus berechtigt. 1995 verloren die Kontoinhaber nicht weniger als 800 Millionen US-Dollar. Damals brach die größte Bank des Landes - Baltija - zusammen. Ihre Direktoren wanderten ins Gefängnis.

2007 verbreitete sich das Gerücht einer drohenden Lat-Entwertung. Da dieser an den Euro gebunden ist, machten viele von ihrem Recht Gebrauch, Lats in Euro umzutauschen. Es kam die Zentralbank teuer zu stehen, aber der Lat wurde nicht abgewertet. Die Fahndung der Sicherheitsorgane nach der Quelle des Gerüchts ergab, daß es ein Betrunkener in die Welt gesetzt hatte, der bald darauf wieder freigelassen wurde.

Vor Jahresfrist wurde ein Gesetz angenommen, demzufolge "die Verbreitung falscher Informationen über das Finanzsystem mündlich, schriftlich oder wie auch immer" mit bis zu sechs Jahren Gefängnis bestraft werden solle.

Trotz solcher Abschreckungsmaßnahmen kursierten Anfang September 2008 erneut Gerüchte über eine bevorstehende Bankenkrise. Diesmal handelte es sich um die schwedische Svedbank, das reichste in Lettland operierende Kreditinstitut. Laut Martis Avotins, Direktor der lettischen Abteilung, verlor die Bank etwa 3 % ihrer Einlagen. Parex, die lokale Konkurrenz, büßte kurz vor ihrem Zusammenbruch im Oktober über 5 % ein.

Bald danach begann die Jagd der Geheimpolizei auf "Verbreiter von Gerüchten und verleumderischen Informationen". Akademiker Dmitri Smirnow wurde vor seiner Haustür von zwei Gendarmen in Zivil festgenommen. Ich stütze mich hier auf einen Beitrag von Andrew Higgins, der laufend aus Riga für die hiesige großbürgerliche Tageszeitung "The Australian" berichtet.

Rußland braucht sich heute um die Wirtschaftslage in den früheren baltischen Sowjetrepubliken nicht mehr zu sorgen. Zu Zeiten der UdSSR kam Moskau für deren Schulden und Defizite auf. Heute sind sie selbständig und stehen - etwas wackelig - auf eigenen Füßen, sieht man von der wachsenden Verschuldung an Schweden, die EU und den IWF einmal ab.

Daß die bürgerliche Demokratie bei solchem Spiel etwas zu kurz kommt, ist in dieser Region nichts Ungewöhnliches. Entsprechende Erfahrungen gehen bis in die 30er Jahre unter dem Hitler nachahmenden Präsidenten Karlis Ulmanis zurück. Dessen Leibgarde, die Aizsargi, wurden unter deutscher Okkupation dann zur SS-Division "Daugavas vanagi" ("Die Falken der Düna") umgebildet. Himmler setzte sie vor allem zur Partisanenbekämpfung in der Ukraine und Belorußland ein.

Eines haben die Nachkommen der Düna-Falken allerdings nicht begriffen: die Tatsache, daß mit Zwang auf Dauer keine Loyalität zu erkaufen ist. Unlängst gelang es einem verärgerten Bürger namens Robert Safonow, mehr als 10.000 Unterschriften unter eine Petition an die schwedischen Behörden zu sammeln, mit der Stockholm dazu aufgefordert wurde, in Lettland die Landesgewalt zu übernehmen.

In der Bittschrift hieß es: "Wir, Bürger Lettlands, fordern Schweden auf, Lettland zu besetzen. Wir sind der Ansicht, daß der lettische Staat keine Daseinsberechtigung hat. Wir würden gerne schwedische Staatsangehörige werden. Wir versprechen, Schwedens Gesetze zu achten und als Gegenleistung die gleichen Rechte wie das schwedische Volk zu genießen." Auch dieses aufschlußreiche Zitat entnahm ich dem "Australian".

Dr. Vera Butler, Melbourne

Raute

Strafe muß sein!

In Anerkennung ihrer Meriten bei der Stärkung des Europas der Monopole wurde die Abgeordnete Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann (Partei Die Linke) vom Präsidenten des EU-Parlaments, Hans-Gert Pöttering (CDU), mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Raute

Wer sabotiert den Frieden im Baskenland?

Brief von den Balearen

Ich möchte dem Artikel Volker Brauns (Zur baskischen Frage, RF 133) einige Ergänzungen hinzufügen.

Der Autor schreibt, die "KP des Baskenlandes" sei verboten. Dazu folgende Klarstellung: Verboten ist wie eine lange Reihe anderer Organisationen der independistischen Linken auch die PCTV (Kommunistische Partei der Baskischen Erde). "Baskische Erde" sind im Verständnis der baskischen independistischen Linken Euskadi (die spanische Autonomie Baskenland) ein Teil der Autonomie Navarra und baskisch besiedelte Gebiete in Südwest-Frankreich. Die Verbote stützen sich auf das undemokratische Parteiengesetz, das eigens zum Zweck der Unterdrückung der baskischen Unabhängigkeitskräfte geschaffen wurde und auch andere Organisationen in Spanien bedroht, selbst wenn es auf diese bisher nicht angewendet wird. Dieses Gesetz ist die juristische Grundlage des ununterbrochenen faktischen Ausnahmezustandes in Euskadi. Die Kommunistische Partei Spaniens (PCE) und deren baskische Landesorganisation sind indes nicht verboten, auch nicht die gesamtspanischen kleinen kommunistischen Organisationen UCE (Union der Kommunisten Spaniens) und PCPE (Kommunistische Partei der Völker Spaniens) bzw. deren baskische Gebietsorganisationen.

Die PCE - die mit Abstand größte gesamtspanische kommunistische Partei - tritt für das Selbstbestimmungsrecht der spanischen Völker ein. Im Rahmen des Kampfes für eine III. Republik schlägt sie eine Verwandlung des spanischen Staatsverbandes in eine Föderation der spanischen Völker vor, und zwar auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts, einschließlich des Rechts auf Lostrennung und der freiwilligen Zugehörigkeit - ganz im Sinne der Leninschen Nationalitätenpolitik. Sie plädiert aber für den Verbleib der Völker im spanischen Staatsverband, steht also in dieser Frage im Gegensatz zur baskischen (und katalonischen) independistischen Linken. Die PCPE tritt für eine Konföderation ein.

Die Verwirklichung der independistischen Ziele würde im Fall der Basken und Katalanen bedeuten, daß auf bisher spanischen und französischen Territorien zwei neue Staaten entstehen. Meines Erachtens muß dabei auch bedacht werden - was von seiten der independistischen Linken nicht geschieht -, daß im europäischen Zusammenhang eines der Instrumente der deutschen Vormachtpolitik die Zersplitterung bestehender Staaten ist, wie das im Falle Jugoslawiens und der Tschechoslowakei bereits erfolgreich praktiziert wurde.

Was die Kampfformen betrifft, übt sich die ETA in "bewaffneter Propaganda" und individuellem Terror. Das war unter faschistischen Verhältnissen durchaus gerechtfertigt. Unter den Bedingungen der bürgerlichen Demokratie entspricht es nicht der Situation. Solche Methoden werden von den spanischen Kommunisten, gleich welcher Organisationszugehörigkeit, abgelehnt.

Starke Kräfte in der baskischen independistischen Linken, die sich auf eine Wählerbasis von etwa 200.000 Menschen stützt und auch darüber hinaus Einfluß hat, versuchen seit längerem, den aussichtslosen Kleinkrieg zu beenden. Sie folgen dabei dem nordirischen Muster, also der Reintegration in der Illegalität kämpfender Kader und der politischen Gefangenen in die bürgerlich-demokratische Ordnung.

Das scheitert bisher daran, daß die spanische Staatsgewalt dies nur um den Preis einer Unterwerfungserklärung und der Auslieferung der im Untergrund wirkenden independistischen Linken sowie der etwa tausend Gefangenen an die bestenfalls "guten Willen" zeigenden Machtorgane akzeptiert, also an deren Willkür.

Der zunächst Hoffnungen weckende, vor zwei Jahren aber gescheiterte "Friedensprozeß" der sozialdemokratischen Regierung unter Zapatero, der eine im Vergleich zur vorhergehenden Rechtsregierung und der früheren sozialdemokratischen Regierungen unter Gonzales "konziliantere" Haltung vorgab, war wohl ein Täuschungsmanöver: Während man verhandelte, wurde gleichzeitig der polizeilich-juristische Druck erhöht und versucht, die ETA-Batasuna-Kader auszuschalten, indem man Hunderte ins Gefängnis steckte und zum Teil zu hohen Haftstrafen verurteilte.

Eine Lösung ist nicht in Sicht, obwohl es Anzeichen gibt, daß "hinter den Kulissen" immer wieder "Fühler ausgestreckt" werden. Die independistische Linke hat einen schweren Stand. Aber die gegenwärtige Krise wird in Spanien politisch so manches in Bewegung bringen. Im besten Falle könnte sich die spanische Sozialdemokratie genötigt sehen, doch Frieden zu schließen. Aber das wäre eine glückliche Wendung, und die Rechte würde alles daran setzen, einen Frieden ohne vollständige Unterwerfung zu sabotieren.

Sepp Aigner, Felanitx/Islas Baleares


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Zahlreiche Kämpfer der baskischen ETA wurden unter Franco mit der Garotte - dem mittelalterlichen Würgeeisen - hingerichtet.

Raute

Venezuela bleibt rot

Bei dem im Februar abgehaltenen Referendum über die Möglichkeit einer unbegrenzten Verlängerung der Amtszeit hoher venezolanischer Wahlfunktionäre - einschließlich des Präsidenten der Republik - haben fast 55 % der 17 Millionen zur Stimmabgabe aufgerufenen Landesbürger mit "Ja" votiert. Besonders eindeutig fiel das Resultat diesmal in der Hauptstadt Caracas aus, wo die politische Rechte bei den vorangegangenen Kommunalwahlen noch klar in Front gelegen hatte.

Mit der demokratischen Willensbekundung der Venezolaner wurden die Bestrebungen der auf "Nein" setzenden Reaktion durchkreuzt, eine weitere Wahl des populären antiimperialistischen Staatschefs Hugo Chávez in das Präsidentenamt zu verhindern. Kubas Fidel Castro übermittelte diesem nur wenige Minuten nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses seine brüderliche Gratulation. RF


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Nach dem Sieg in Caracas: Hugo Chávez wird in Havanna von Raúl Castro herzlich begrüßt.

Raute

Aus dem "alten Bruderland" wurde ein neuer NATO-Staat

Bulgarien heute

Im Oktober vergangenen Jahres unternahm ich eine Reise nach Bulgarien. Sie besitzt folgende Vorgeschichte: 1977 besuchte ich mit einer Delegation des Rates des Bezirks Rostock die Partnerstadt Warna. Es war mein erster Auslandsaufenthalt dieser Art. Unser Quartier bezogen wir im "Haus der Journalisten" - ganz in der Nähe des Schwarzen Meeres.

Anliegen des damaligen Abstechers nach Bulgarien war die Vereinbarung eines Schüleraustausches zwischen Warna und Rostock.

Wir kamen auch in ein Dorf der Region - nach Blaskowo - etwa 70 km westlich von Warna. In der neunklassigen Oberschule "Kirill und Metodi" wurden wir von der Direktorin Steljana Angelowa begrüßt und durch das Haus geführt. Im Bericht über einen neuerlichen Aufenthalt im Jahre 2003 schrieb ich später: "Früher wurden hier 800 Schüler unterrichtet, heute sind es nur noch 200.

Inzwischen ist die Zahl der Schulkinder weiter gesunken. Das berichtete mir Steljana Angelowa bei unserem abermaligen Aufenthalt im Oktober 2008. Rund vier Fünftel von ihnen sind Sinti und Roma. Vielleicht werden die weniger gewordenen Schüler bald einmal in der benachbarten Kleinstadt Prowadia unterrichtet. Ähnliches haben wir nach der Rückwende auch im Osten Deutschland erlebt.

Bei den Angelows verbrachten wir diesmal zwei schöne und erlebnisreiche Tage. Angel und Steljana - inzwischen wie wir schon einige Jahre Rentner - pflegen ihr Hobby: Sie mästen Schweine, halten ein Schaf und haben Hühner zu versorgen, Mais und Trauben zu ernten. Zur "Familie" gehören auch zwei Hunde.

Die Verständigung war nicht immer einfach. Mein Russisch hat wegen jahrelangen Nichtgebrauchs stark nachgelassen. Doch wir verstanden uns, weil beide Familien die gleichen Probleme bewegen.

Warna ist stark gewachsen. Die Einwohnerzahl der Stadt stieg auf fast 400.000, obwohl nahezu keine Fabriken an der Straße vom Flugplatz ins Zentrum mehr auszumachen sind. Der Zuzug vom Land hat sich verstärkt, weil Warna trotz allem Arbeit bietet. Der Tourismus trägt maßgeblich zum Bruttosozialprodukt der Schwarzmeermetropole bei. Die Stadt, der Ort Sveti Konstantin und der Goldstrand beherbergen in der Saison mit einer großen Zahl von 4- und 5-Sterne-Hotels jährlich rund drei Millionen Gäste. Warna besitzt den größten Seehafen Bulgariens, wo etwa die Hälfte des an der Küste erfolgenden Güterumschlags abgewickelt wird. Getreide, Molkereierzeugnisse und Vieh gehören zu den Hauptexporterzeugnissen. Um den Hafen konzentrieren sich Werften.

Gebaut wird besonders außerhalb Warnas in einem unwahrscheinlichen Ausmaß - große und kleine Häuser, etliche davon im spanischen Stil. Gehört der etwa zu Bulgarien? Der alte Stadtarchitekt soll Warna aus Verbitterung verlassen haben, weil entgegen seiner Forderung selbst an dem nicht sicheren Hang geklotzt worden ist.

Der Differenzierungsprozeß zwischen Arm und Reich ist deutlich zu spüren. Einzelne Gebäude sind gründlich saniert. Die Eigentumswohnungen bieten hingegen überwiegend einen katastrophalen Anblick. Auch hier gibt es erhebliche Unterschiede. So werden einige Quartiere zwar renoviert, aber ohne Rücksicht auf die Gesamtanlage. Dennoch sind die Rentner froh, diese Wohnungen zu besitzen. Sie bieten ihnen angesichts kärglicher Altersbezüge noch ein wenig Sicherheit. Doch wie lange wird dieser Zustand anhalten? Sinti und Roma, die sich in den letzten Jahren unweit des Hafens angesiedelt haben, vegetieren unter ghettoähnlichen Bedingungen.

Viele Ältere sind inzwischen nach Griechenland, der Türkei, der Ukraine und Rußland gegangen, um in arbeitsintensiven Bereichen der Industrie etwas Geld zu verdienen. Die qualifizierten Jungen hingegen ziehen ins westliche Ausland, um dort ein Lebensniveau zu suchen, das ihnen Bulgarien trotz ihrer guten Ausbildung nicht bieten kann. Es soll inzwischen eine Million Bulgaren ausgewandert sein. So wurde uns berichtet, daß in Chicago rund 30.000 Bürger leben, deren Kinder u. a. in drei bulgarischen Schulen lernen und die eine eigene Kirche besitzen.

Die Landwirtschaft scheint total am Boden zu liegen, seitdem sich die "Kolchosen" aufgelöst haben, deren Maschinenpark verschleudert wurde, während man das Vieh ins Ausland, so nach Algerien, verkaufte. Wir sahen unterwegs nicht wenig Brachland und recht ungepflegte Plantagen. Und das alles in Erinnerung an die glänzende Obstversorgung der DDR in Bruderlandzeiten! In Blaskowo gibt es nur noch wenige Bauern, große Maschinen stehen verrostet am Rande des Dorfes. Bulgarien führt inzwischen in großem Umfang Lebensmittel ein. Der Schuldenberg gegenüber den reichen EU-Ländern wächst und wächst.

Wenn man früher in Gesprächen die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebenslage spürte, dann bemerkten wir diesmal im Gedankenaustausch mit unseren Bekannten nichts mehr davon.

Allerdings ist noch etwas sehr Erfreuliches zu berichten: In Warna besteht nun schon seit Jahren die von Dr. med. Ratscho Ratschew gegründete erste Auslands-Regionalgruppe des RF.

Hans-Jürgen Grebin, Rostock

Raute

Löst Barack Obama die Guantánamo-Frage?

Die Guantánamo Bay Naval Base ist ein US-Militärstützpunkt auf Kuba. Er befindet sich in der gleichnamigen Bucht etwa 15 km südlich der Stadt Guantánamo. Das Territorium eigneten sich die Vereinigten Staaten im Ergebnis militärischer Interventionen an.

Im sogenannten Platt-Amendment von 1903, einem Zusatzartikel zur seinerzeitigen kubanischen Verfassung, vereinbarte die Konstituierende Versammlung in Havanna einen Überlassungsvertrag, der das Gebiet für die Dauer von 99 Jahren an die USA abtrat. Der Platt-Zusatz machte Kuba de facto zu einem Protektorat Washingtons.

Am 16. Januar 1934 stürzte Batista die kleinbürgerlich-nationalistische Regierung von Ramon Grau San Martin. Er installierte mit dem Rückhalt der USA einen gewissen Mendieta. Ein Vertrag zwischen beiden Staaten vom 23. Mai 1934 hob das Platt-Amendment auf, das die Souveränität Kubas eingeschränkt hatte. Doch zugleich erzwangen die USA nun eine zeitlich unbefristete Überlassung des Gebiets der Guantánamo-Bucht.

Nach dem Sieg der Revolution im Jahre 1959 forderte Kubas Regierung die sofortige Rückgabe des okkupierten Territoriums.

Das von den USA militärisch genutzte Gelände umfaßt rund 117 qkm. Zu Guantánamo gehören ein großer Kriegshafen, der für U-Boote geeignet ist, ein Flugplatz und militärische Befestigungen. In der Bucht entstand ein völlig selbständiger Lebensraum für Tausende US-Militärs und deren Familien.

Die Enklave dient als Ausbildungszentrum für GIs und Stützpunkt der CIA sowie anderer Geheimdienste Washingtons. Dort wurden und werden Invasionen gegen Drittstaaten, aber auch gegen Kuba geplant und geprobt. Dazu gehört die Ausbildung von Söldnern, Agenten, Saboteuren und Terroristen, die überall in der Welt eingesetzt werden können.

Seit 2002 befindet sich in Guantánamo ein KZ-artiges Gefangenenlager der U.S. Army, in dem überwiegend aus Irak und Afghanistan verschleppte Personen unter menschenunwürdigen Bedingungen eingekerkert sind. Weil sich dieses Camp außerhalb der Vereinigten Staaten befindet, wurde deren Recht hier vollständig außer Kraft gesetzt.

Der neue USA-Präsident Barack Obama hat angeordnet, die berüchtigte Folterhölle in Guantánamo binnen Jahresfrist zu schließen und laufende Gerichtsverfahren gegen dort Gefangene auf Eis zu legen. Das wurde von Menschenrechtsorganisationen in aller Welt seit langem gefordert. Diese Schritte des Mannes im Weißen Haus reichen jedoch keineswegs aus. Es ist an der Zeit, die gesamte Militärbasis unverzüglich aufzulösen und das Gebiet ohne Bedingungen an Kuba zurückzugeben. Nur dann wird das Kapitel Guantánamo tatsächlich Geschichte und Obama in dieser Frage glaubwürdig sein.

Es versteht sich von selbst, daß auch die politischen Beziehungen zwischen Washington und Havanna endlich zu normalisieren und das Wirtschaftsembargo gegen den sozialistischen Karibikstaat aufzuheben sind.

Dr. Ulrich Sommerfeld


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Barack Obama müßte ein Superman sein, um den von ihm in Aussicht gestellten "Wandel" zu bewerkstelligen.

Raute

Solidarisch mit dem anderen Israel

Brudergruß an Hadash

Hadash heißt auf Hebräisch "neu", ist aber zugleich auch die Abkürzung einer politischen Organisation: der Demokratischen Front für Frieden und Gleichheit. Dabei handelt es sich um ein Linksbündnis arabischer und jüdischer Israelis, das jetzt mit vier statt bisher drei Abgeordneten in der 120köpfigen Knesset von Tel Aviv vertreten ist. Den stärksten Einfluß innerhalb der Front übt die Kommunistische Partei Israels aus. Die Koalition unterschiedlicher progressiver Kräfte wendet sich besonders an 1,4 Millionen israelische Araber - ein Fünftel der Landesbevölkerung - und den Kriegskurs der Machthaber zurückweisende jüngere Juden. Damit tritt sie der hochschlagenden chauvinistischen Welle mutig entgegen.

Die Hauptlosung der Front während des Wahlkampfes lautete: "Juden und Araber lehnen es ab, Feinde zu sein." Die Hadash kämpft für den Rückzug Israels hinter die Grenzen von 1967, tritt für die Trennung von Staat und Religion, gegen die staatsbürgerliche Diskriminierung der arabischen Israelis, für den Rückkehranspruch der palästinensischen Flüchtlinge, die sozialen Rechte der Arbeiter, die Unterzeichnung des Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen durch Tel Aviv und die Auflösung des israelischen atomaren Arsenals ein.

Mit ihrer couragierten antiimperialistischen und internationalistischen Haltung stemmt sich die Hadash gegen den scharfen Rechtsruck, der sich in der Gesellschaft vollzogen hat und durch die jüngsten Wahlergebnisse manifestiert wurde. Im Urteil der Front geht die Gefahr ebenso vom rechtskonservativen Likud-Block des geschworenen Araberfeindes und Reaktionärs Benjamin Netanjahu wie von der immer mehr Zulauf erhaltenden Partei "Unser Haus Israel" des Faschisten Avigdor Lieberman aus. Diese Gruppierung, die Likud noch weit in den Schatten stellt, verfügt jetzt über 15 Mandate in der Knesset. Die nominelle Wahlsiegerin Zipi Livni, deren rechtszentristische Kadima-Partei, für die aus Furcht vor den Rechtsradikalen diesmal auch viele traditionelle Linkswähler votierten, errang zwar einen Sitz mehr als Likud, bleibt aber im reaktionären Gesamtschema aufbewahrt. Das Desaster der weit nach rechts gedrifteten sozialdemokratischen Arbeiterpartei des Gaza-Mordministers Ehud Barak erklärt sich nur zum Teil aus dieser Abwanderung.

Die Freunde und Genossen von Hadash, die in einer ultranationalistisch aufgeheizten Atmosphäre kühles Blut bewiesen und Haltung bewahrt haben, sind würdige Repräsentanten eines anderen Israel, dem wir unseren solidarischen Gruß entbieten.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

Raute

Ein Nachruf, der kein Nekrolog ist

Klare Sicht vom Eiffelturm

Im Mai 2004 folgte ich einer Einladung der Pariser Universität X in Nanterre. Dort sollte mein Buch "Prisonnier No 8403" präsentiert und gleichzeitig eine Fotoausstellung eröffnet werden.

Wie wird das Milieu einer Pariser Universität auf Fotos aus dem fernen Sibirien und meine Erlebnisse mit dem GULag-Komplex reagieren, wo man dort von den Dingen eindeutig noch weiter weg ist als in Deutschland? Wirklich spannend und zutiefst anders würden mit Sicherheit die Pariser selbst, in diesem Falle Dozenten und Studenten, sein. Der Unterschied zur BRD liegt auf der Hand: In Frankreich kennt man kein Berufsverbot - sie haben kein eigenes Wort, um diesen barbarischen Zustand zu beschreiben, und verwenden deshalb den deutschen Begriff. Ihnen fehlt nicht nur das akademische Gehabe. Beim näheren Hinsehen sind sie fast durchweg in der französischen, italienischen, serbisch-kroatischen, ja der Indochina-Résistance - Ho Chi Minh war schließlich einmal Student in Paris - verankert. Auch in Spaniens Internationalen Brigaden. Heute durchweg französische Akademiker - eine kostbare Legierung von Schicksalen, in der jeder nicht primär eine "politische Laufbahn" - dazu gibt es in Frankreich elitäre Hochschulen - einschlägt, sich zu aussichtsreichen Listenplätzen durchrangelt. Was zählt ist Solidarität, Kollegialität und handwerkliches Können.

So traf man alte und neue Bekannte, darunter den exzellenten Kenner deutscher Nachkriegsgeschichte Gilbert Badia. Auch den Germanisten, langjährigen Präsidenten der deutschen Fakultät der Universität und Kunsthistoriker Peter Henninger lernte ich näher kennen. Er stammte aus Baden-Württemberg. Eine gute Mischung, in der täglich fraternité und egalité praktiziert werden. Meine vielseitigen Erfahrungen, positive und negative, in der Sowjetunion und der DDR öffneten mir diesen Kreis ohne Rituale.

Aus welchem Holz sind diese Frauen und Männer mit den verhaltenen Stimmen geschnitzt?

Wie viele andere junge Männer wurde Peters Vater Manfred Henninger 1914 in das kaiserliche Heer einberufen, mit dem er in den Gräben vor Ypres die Giftgasangriffe der Deutschen erlebte. Diese Erfahrungen wandelten ihn von Grund auf zum überzeugten Kriegsgegner und führten ihn 1918 in den Stuttgarter Soldatenrat. Als 1933 dann die Hakenkreuzler in die Berliner Reichskanzlei einzogen, mußten die Henningers Deutschland verlassen. Sie wählten Spanien als Exilland, das ihnen aber nur bis zum Franco-Putsch und der deutsch-italienischen Intervention Unterschlupf gewährte. So flüchteten sie weiter in die italienischsprachige Schweiz. Im Tessin lebte die Familie 14 Jahre in einer alten Mühle ohne Wasser und Strom. Peter wurde zum Naturburschen, wusch seine Socken in Gebirgsbächen oder fand Gefallen an einer Mont-Blanc-Besteigung.

Unter den Fittichen seines Vaters wurde der Jüngling zum konsequenten Antifaschisten, zum überzeugten Internationalisten. Er haßte Barbarei in jeder Form.

Was er liebte, war Zivilisation im vollen Sinn dieses Wortes, nicht nur Kultur, da diese - aus seiner Sicht - zum Teil zu kommerzieller Gelehrsamkeit verkommt, zum sozialen Status, bisweilen leer und peinlich. Für Peter Henninger blieb die anspruchsvolle Kultur der Jahrhunderte. Seine Kenntnisse waren länderübergreifend. Stasow, der große russische Kunstkritiker, Lehrmeister, Mentor und Ziehvater ganzer Generationen von Musikern, Malern und Literaten des 19. Jahrhunderts, war ihm ebenso geläufig wie etwa Brecht oder Thomas Mann, Haydn, Bizet oder Paganini.

Wenngleich schlohweiß, wirkte Peter jugendlich. Sein Blick war wissend und etwas schelmisch. Einer, der sich selbst stets Zivilisation abverlangt, die Kunst des Zuhörens beherrscht, zuvorkommend zu jedem ist, dem er begegnet. Er hatte gewissermaßen alles in sich aufgenommen, was wir in Jahrzehnten erworben haben: einen Klassenstandpunkt, den Marxismus, die Traditionen der Arbeiterbewegung. Und dazu noch - wir müssen es eingestehen - etwas, was uns fehlt, wo wir im zivilisierten Verhältnis zur Kunst bei solchen Franzosen viel lernen können. Der Umgang mancher Leute mit den Vertretern der schönen Künste war oft launisch bis rabiat, man denke nur an Michail Suslow, Kurt Hager oder Andrej Shdanow. Schostakowitsch hat sich von den Demütigungen der "Formalismus"-Diskussion nie erholt.

Zivilisation blieb für Henninger ein Konzept für die Welt und den Platz des Menschen in ihr. Zurück in Potsdam, begann ich einen intensiven Briefwechsel mit Peter. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei der zunächst hinter der Mauer geborgenen, dann aber verschwundenen DDR. Ihr Weg - dem der endgültige Erfolg versagt blieb - faszinierte ihn. Er fragte immer wieder nach. Sein ökologisches Denken schaute weit voraus, in die Zeiten allmählicher Erschöpfung der natürlichen Ressourcen. Da kam ihm der Gedanke, daß die geplagte Menschheit vielleicht sogar noch einmal auf Erfahrungen der DDR-"Mangelwirtschaft" zurückgreifen werde.

Natürlich gibt es auch in Deutschland Persönlichkeiten wie Peter Henninger. Sie werden von den "Eliten" und deren Medien aber zu bloßen Randfiguren degradiert. So ist diese besondere Spezies bei uns kaum anzutreffen. Nach der Niederlage des Sozialismus war eigentlich zu erwarten, daß die Partei Die Linke eher weiter außen "ankommen", sich nicht mehr an der Verteilung von Pfründen beteiligen würde. Doch das Gegenteil ist leider eingetreten: Wir sehen, wie sich "unsere Kader" zu profilieren suchen. Immer mehr ehrgeizige Parvenüs kristallisieren sich heraus. Sie exponieren sich kaum noch für gemeinsame Ziele, geschweige denn den Sozialismus, sondern verfolgen immer hartnäckiger ihre persönlichen Ambitionen und spekulieren auf "zuverlässige Listenplätze". Statt Politik zu vermitteln, drehen sie an ihrem bunten Personenkarussell.

In Potsdam kursiert gerade ein aufschlußreiches Pamphlet von Kerstin Kaiser, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Landtag, zum "Superwahljahr". Es trägt den rührenden Titel "Unsere Heimat". Man liest und staunt: "Auf einer starken, solidarischen und selbstbewußten Gesellschaft gründet sich ein handlungsfähiger und demokratischer Staat. Dieser kann soziale Gerechtigkeit durchsetzen." Das unterläßt er aber bis zur Stunde tunlichst. In ihren idyllischen Betrachtungen stülpt uns Kerstin Kaiser eine nebulöse "brandenburgische Identität" über. Ihre Landsleute waren da einst in puncto Solidarität für Chile, für Kuba, für Vietnam, für Nicaragua, ja, auch für Angela Davis, in allen DDR-Bezirken schon einmal bedeutend weiter. Wir sollten über solchen neuen "Gartenlauben"-Patriotismus nicht lächeln. Die hochkarätigen Pariser Internationalisten vor Augen, muß der Gedanke an derlei provinzielle Beschränktheit allerdings bedrücken.

Zurück zu Peter Henninger. Er sah im Leben so aus, wie ich ihn skizziert habe. Leider ist er nicht mehr unter uns. Der 'Universitätsmensch' - "l'universitaire", wie die Franzosen sagen - verstarb 72jährig während einer Operation.

Walter Ruge

Raute

Mit Elizabeth Shaw auf Reisen

Über Elizabeth Shaw sich den Mund zu zerreißen, fällt schwer, schon deshalb, weil sie den ihren so selten aufmacht. Was soll man über eine große Künstlerin sagen, die nichts von sich hermacht, ruhig, gelassen und ausgeglichen ist, aber nur spricht, wenn sie etwas zu sagen hat. Unsympathische Zeitgenossen, von denen es eine ganze Menge gibt, sind viel leichter zu porträtieren, es ist auch amüsanter zu lesen. Aber man kann auch seine Meinung ändern, dann hat man Rufmord begangen und Menschen unrecht getan.

Was Elizabeth betrifft, mit der ich zwanzig Jahre für das "Magazin" durch die Lande reiste, so brauchte ich meine Meinung über sie nicht zu ändern, sie war ein richtiger Kumpel. Wir haben uns immer gut verstanden und uns auf das glücklichste ergänzt.

Sie lehrte mich richtig zu sehen, machte mich auf Bilder aufmerksam, entdeckte malerische Winkel und architektonische Schönheiten, an denen ich achtlos vorübergegangen wäre. Sie lernte von mir deutsche Geschichte, die ihr als Engländerin natürlich fremd war. Den Unterschied zwischen dem hochindustrialisierten Sachsen und Mecklenburg, das durch seine Gutsbesitzer- und Tagelöhnervergangenheit lange Zeit zurückgeblieben war und viel aufzuholen hatte. Wir waren um Gesprächsstoff nie verlegen und hätten einen DDR-Hotelführer schreiben können. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, Schleiz, Zeitz und Greiz zu besuchen, weil die Namen dieser drei Städte bereits ein Gedicht ergaben. Greiz hat eine reizvolle Landschaft; die wunderschöne Aussicht läßt verstehen, warum man die Stadt das sächsische Salzburg nennt. An die Besonderheiten von Zeitz kann ich mich nicht erinnern. In Schleiz entdeckte ich ein Schild an einem Haus, daß Conrad Duden, den ich öfter, als mir lieb ist, zu Rat ziehen muß, hier einst gewohnt hat. Elizabeth fand eine alte Kirche, die würdig war, gezeichnet zu werden, kurz, es gab noch einiges, worauf ich mir, im wahrsten Sinne des Wortes, einen Vers machen konnte.

Das liegt alles schon weit zurück. Mitte der fünfziger Jahre hatte der damalige Chefredakteur Heinz Schmidt die Idee für unsere Städtebilder. Warum er gerade aus uns ein Gespann machte, weiß ich nicht mehr. Ich kannte Elizabeth kaum, wußte nur, daß sie mit dem Bildhauer René Graetz verheiratet war und zwei Kinder hatte. Ihr Sohn Patrick begleitete uns damals auf einer Reise, die nach Rheinsberg führte. Er war ein richtiger Quälgeist. Man konnte aber von einem Siebenjährigen nicht verlangen, daß er an Rheinsberg, das Tucholsky für sein "Bilderbuch für Verliebte" auserkoren hatte, besonderen Gefallen fand.

Ich erinnere mich an einen Apriltag in Wernigerode, an dem das Thermometer von einem Tag zum anderen von 15°C auf 30°C stieg. Der Wetterumschlag kam so plötzlich, daß uns beim Klettern übel wurde, die Gedanken zerflossen, wir konnten nur noch japsen. Ein anderer heißer Tag war in Radebeul. Wir hatten das Karl-May-Museum angesehen und wollten nun eine Sektfabrik besichtigen. Ich hatte gehört, daß es in dieser Fabrik eine besondere Marke gäbe, die geheime (Sekt-)Verschlußsache sei, ein Sekt, der kaum in den Handel käme und auch nur ab und zu in den besten Hotels auftauchte. "Ob sie uns von dieser Marke eine Kostprobe anbieten werden?" fragte ich. "Glaube ich nicht", meinte Elizabeth. "Wir kriegen nur die gewöhnliche Sorte. Die glauben doch alle, daß Frauen nichts vom Trinken verstehen."

Wir hatten uns umsonst den Kopf zerbrochen. Nach ausführlicher Besichtigung und umfangreichen Erklärungen wurden wir höflich hinausgeleitet. Wir hatten weder von der edlen noch von der unedlen Sorte eine Kostprobe erhalten. Deshalb zogen wir in die nächste Gaststätte und bestellten eine halbe Flasche Sekt von der Konkurrenz. - Rache ist süß!

Im Hotel Warnow in Rostock aß ich einmal zu Abend, dieses Mal nicht mit Elizabeth, sondern mit der Schriftstellerin Elfriede Brüning, die mit Alkohol sehr sparsam umgeht. Darum bestellte ich zum Fisch, den wir eben verzehrten, nicht eine Flasche, sondern nur eine Karaffe "Grauer Mönch". Ich kostete. Das war nicht der edle Ungar, das war der billigste bulgarische Landwein. "Das ist kein 'Grauer Mönch', sondern Misket. Ich bin Weinverkosterin von Beruf, mich können Sie nicht beschummeln." Im Nu war der Wein ausgewechselt. Ein Herr am Nebentisch hatte das Gespräch mitangehört. "Sie sind Weinverkosterin?" "Ja." "Wirklich?" "Warum glauben Sie mir nicht? Nur weil ich keine rote Nase habe?" "Nein. Ich hätte geschworen, daß Sie Berta Waterstradt sind, die oft mit Frau Shaw unterwegs ist." Dieser Abend zog sich noch lange hin. Es wurde noch allerhand Wein konsumiert, wenn auch nicht aus Karaffen.

Wir kamen im allgemeinen mit der Chefredakteurin des "Magazins", Frau Hilde Eisler, gut aus, aber einmal gab es eine Panne. Wir hatten in Dresden scheußliches Wetter. Auf der Straße Schneematsch, Glatteis und Regen. Wir beschlossen, nicht wegzugehen, sondern blieben im Hotel, schmökerten, knabberten Süßigkeiten, kurz, wir machten es uns gemütlich. Elizabeth holte sich aus dem Foyer Ansichtskarten von Dresden und zeichnete sie ab. Das war ein Fehler. Die erstaunten "Magazin"-Leser sahen uns auf einer Brücke spazierengehen, die gar nicht mehr existierte. Es hagelte Beschwerdebriefe. Hilde Eisler war sehr ungehalten. Aber wir waren ohne Erkältung nach Berlin zurückgekehrt. Ein kleiner Anpfiff ist lange nicht so gefährlich wie eine Lungenentzündung.

Berta Waterstradt


Der "RotFuchs" erinnert mit diesem Auszug aus ihren heiteren Rückblicken ("Blick zurück und wundre dich", Eulenspiegel-Verlag, Berlin 1985) an die Schriftstellerin Berta Waterstradt, die am 9. August 1907 geboren wurde. Die Erzählerin, Hörspiel- und Filmautorin war von Beruf Stenotypistin; 1930 besuchte sie in Berlin die Marxistische Arbeiterschule und wurde im selben Jahr Mitglied des Bundes Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller (BPRS) und 1931 der KPD; nach kurzer Inhaftierung durch die Gestapo Emigration; 1934 in Deutschland erneute Verhaftung; 1936 zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt; bis 1945 Fortsetzung der antifaschistischen Tätigkeit. Nach der Befreiung beim Rundfunk; seit 1953 freischaffende Schriftstellerin. Berta Waterstradt begann ihre literarische Tätigkeit mit Kurzgeschichten, Satiren und Gedichten, in denen sie gegen Ausbeutung, Krieg und Faschismus Stellung nahm. Großen Erfolg hatte ihr Film "Die Buntkarierten" (1949), in dem sie sich mit dem deutschen Militarismus auseinandersetzt. Das Schauspiel "Ehesache Lorenz" (1958; als Film 1959) stellt die persönlichen und gesellschaftlichen Aspekte eines Ehekonflikts in der sozialistischen Gesellschaft dar. Bekannt sind u. a. auch heute noch ihre Filme "Besondere Kennzeichen: Keine!" (1956) und "Mathilde Möhring" (1964; nach Theodor Fontane). - Berta Waterstradt ist am 8. Mai 1990 gestorben.   me.

Das Buch ist nicht mehr lieferbar.

Raute

Als sich der Dorflehrer noch im Klassenzimmer aufwärmen durfte

Aus der Meineweher Schulchronik

Erste Nachrichten über Schule und Lehrer von Meineweh (zwischen Zeitz und Naumburg heute im Burgenlandkreis von Sachsen-Anhalt gelegen) gibt der Chronist aus dem Jahre 1617. Es ist ein trostloses Bild der Verhältnisse jener Zeit, in welcher der Lehrer unter der Fuchtel einer reaktionären Schulobrigkeit und abhängig vom patronatsherrlichen Wohlwollen bei schlechtesten Bedingungen seine Arbeit verrichten mußte. In der damaligen Schulmatrikel heißt es: "Die Habition und Wohnung ist sehr geringe, ein baufälliges Häuschen, hat weder Kammer noch Boden, muß mit großer Gefahr darinnen sein. In solchem Schulhaus ist nichts denn ein alter böser Kachelofen, zwo Bänke und Schwarten angepflocket und drei alte zerbrochene Fenster." Der Lehrer und zugleich Kirchendiener, der darin wohnen mußte, hieß David Gallus. Er konnte schon froh sein, die Getreidegarben als "Gehalt" rechtzeitig zu bekommen. Für seine kirchlichen Dienste erhielt er "von Kindtaufen die Mahlzeit, von Hochzeiten ein Groschen und zwei Tage Essen und Trinken". Für Begräbnisse waren drei Groschen fällig, "will einer mehr geben, steht's demselben frei ..."

Die Jahre 1774 bis 1785 waren angefüllt mit Klagen wegen der Instandsetzung des Schulhauses. Hauptsächlich die Priesener (Kinder des Nachbarortes Priesen gingen nach Meineweh zur Schule) wollten für den alten baufälligen Lehmkasten kein Geld geben, was ihnen eine Klage und "höchste herrschaftliche Ungnade" einbrachte. 1786 waren die Verhältnisse so schlecht, daß der Lehrer Graf nicht mehr ohne Lebensgefahr in seiner Schulwohnung bleiben konnte. Der Justitiarius hielt endlich einen Neubau für "ohnvermeidlich", der 1787 fertig wurde und 522 Taler kostete. Das war das Grundstück Nummer 34, später Verkaufsstelle Busch, dann HO bzw. Konsum, Poststelle. Die Schulstube mußte bisher dem Lehrer und seiner Familie gleichzeitig Wohnraum sein. Da dies durch Verfügung untersagt wurde, bat Lehrer Rausch (von 1805 bis 1833 in Meineweh) um einen Ofen. Er mag nicht wenig über den abschlägigen Bescheid erstaunt gewesen sein, in dem es hieß: "Rausch möge die Wärme der Schulstube - außer dem Unterricht - zu jeder Zeit benutzen" - Spätestens an dieser Stelle ist man versucht zu glauben, Wilhelm Raabe habe seine Studien zur "Armenschule" in Meineweh betrieben.

Lange Jahre hindurch waren etwa 120 Schüler in zwei kleine Klassenzimmer eingepfercht. Der Bau des Schulgebäudes 1868/69 brachte eine räumliche Besserung.

Erst nach 1949, im Gründungsjahr der DDR, veränderten sich die Lehr- und Lernmöglichkeiten auf dem Lande entscheidend. Das war auch in Meineweh spürbar. 1955 wurde die dortige Grundschule aufgestockt. Schulleitung und Elternbeirat waren dabei sehr initiativreich, indem sie in Schreiben an den Rat des Kreises Zeitz/Abt. Volksbildung auf ein solches Vorhaben hinwiesen.

Das Lehrerkollegium unter der Leitung von Adolf Wesarg, der Elternbeirat mit seinem Vorsitzenden Anton Röska (mein Vater) sowie zahlreiche andere Einwohner halfen bei den Umbauarbeiten freiwillig mit - ein Beispiel der Verbundenheit zwischen Elternhaus und Schule. Zwanzigtausend Ziegelsteine wurden abgeputzt, über 800 Aufbaustunden ehrenamtlich im Rahmen des Nationalen Aufbauwerkes (NAW) geleistet. Endlich, Anfang November 1955, konnten die Meineweher Schüler in das neue, jetzt aus vier Klassenzimmern bestehende Gebäude einziehen. Später kamen Horträume, Werkraum und sanitäre Anlagen hinzu.

Günther Röska, Leipzig

Raute

Wenn der "Kommunismus" nicht mehr existiert ...

Prophezeiungen des Carl Friedrich v. Weizsäcker

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Vertrautes und Entdeckenswertes

Der profilierte Thüringer Autor Werner Voigt ist auch den Lesern des "RotFuchs" bekannt. Er veröffentlichte Beiträge über Louis Fürnberg, dessen 100. Geburtstag bevorsteht (RF, Juni 2007) und Walther Victor (RF, Januar 2008). 1938 geboren, lebt Werner Voigt seit Jahren in Kromsdorf bei Weimar, stammt aber aus Halberstadt. Er erfuhr eine beachtliche musische Förderung in einem dortigen Kinderheim. 1956 legte er das Abitur ab und diente anschließend bei der NVA. Von 1958 bis 1962 studierte er Germanistik und Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Potsdam. In der Folgezeit war er als Lehrer tätig. Voigt entschied sich 1969, den Weg eines Journalisten zu gehen.

Viele seiner Artikel erschienen in der einstigen Erfurter Bezirkzeitung "Das Volk", deren Kulturredakteur er war, sowie in der "Wochenpost", der "Weltbühne", in "Neue Deutsche Literatur" und "Kulturelles Leben". Seit 1990 ist Voigt Mitarbeiter des linken Thüringer Blattes "UNZ" ("Unsere Neue Zeitung").

Werner Voigt publizierte seit den 70er Jahren vornehmlich Lyrik und in Anthologien. 1998 folgte das Buch "Chronik des Hauses Dacheröden", das in Erfurt herauskam. Auch sein Essay "Walther Victor - Ein Weg nach Weimar" (ebenfalls 1998) fand Beachtung. Im neuen Jahrtausend legte der Autor die autobiographische Arbeit "Kindheit in Halberstadt" (2004) und "Post aus Marwei alias Weimar" (2007) vor.

Wie in seinem letztgenannten literarischen Werk vereint Werner Voigt in "Erfurt (war) mal anders" (2008) Texte von damals und jetzt. Es ist eine ansprechende Auswahl vor und nach der Rückwende veröffentlichter Publizistik, die Erfurter Zeit- und Kulturgeschichte eindrucksvoll reflektiert.

Als Thüringer Zeitzeuge der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts legt Werner Voigt kommentarlos Beiträge aus seiner Zeit als Kulturredakteur vor. Im Mittelpunkt stehen aufschlußreiche Berichte, Betrachtungen, Interviews, Rezensionen, Theaterkritiken und anderes, die über den Tag hinaus etwas auszusagen haben. Seine systematisierten Beiträge nannte er "Lebensart", "Schriftsteller und ihre Bücher", "Inszenierungen an Erfurter Städtischen Bühnen", "Erfurter Komponisten/Musikschaffende", "Bildende Künstler/Galerien" und "Erfurter Kulturpolitik".

Vornehmlich im letzten Teil führt Voigt seine Texte zusammen, die seit den 90er Jahren erschienen sind. Wenn sich auch alle Beiträge auf Erfurt und Thüringen beziehen, womit er sich als Heimatschriftsteller zu erkennen gibt, besitzen nicht wenige Aussagen von verallgemeinerungswürdigem Charakter. In "Lebensart" erinnert er beispielsweise an etwas, was mit dem Sozialismus untergegangen ist: das Theateranrecht von Schichtarbeitern und eine der zahlreichen Gewerkschaftsbibliotheken der DDR.

Der Autor umgeht nicht so manche unliebsamen Querelen der Erfurter Kulturpolitik, die sich seit den 90er Jahren zugetragen haben. Abschließend wird auf den Rohbau des "Hauses der Kultur" verwiesen, der zur "Vogel-Grube" (so genannt nach dem seinerzeitigen thüringischen CDU-Ministerpräsidenten) verkam, beginnend mit der Vorgeschichte des politischen Skandals bis zum "Armutszeugnis der Blumenstadt".

Im Anhang dokumentieren einige Fotos Voigts Beiträge. Sein sehr lesenswertes Buch bietet nicht nur Erfurtern und Ex-Erfurtern Vertrautes und Entdeckungswertes.

Dieter Fechner

Werner Voigt: "Erfurt (war) mal anders", Edition D. B. Erfurt, 186 Seiten, 12,80 Euro, ISBN 978-3-936662-31-3

Raute

Archie und das große Geld

Seit geraumer Zeit soll Archie die beklagenswerte Gewohnheit angenommen haben, linke Leute wie Buchhändler und Autoren mit entsprechendem Hintergrund, Redakteure kleinerer Zeitungen, z. B. DKP-naher Blätter oder anderer linker Publikationen mit hartnäckigen Fragen zur Ökonomie der Jetztzeit zu belästigen. Vor allem dann, wenn er wieder einmal im Fernsehen besonders paradoxe, wirklichkeitsfremde, desorientierende Bekundungen gewisser SPD- und CDU-Größen samt ihrer Wirtschaftsweisen und Berater um die Ohren geschlagen bekam. Manche der linken Experten waren froh, wenn er sich nicht wieder meldete, und sie riefen auch kaum zurück, sprach er auf ihre telefonischen Anrufbeantworter. Er störte sie beim Denken, Dichten, Diktieren, Rechnen oder Recherchieren.

Nur ein junger linker Verleger aus dem hohen Norden der BRD ließ sich auf längere Telefongespräche mit Archie ein. Und so fragte dieser den auskunftsbereiten Wiljo Heinen, der unter anderem auch Betriebswirtschaft studiert hat, nach den sogenannten Renditen.

"Je höher die Rendite einer Geldanlage ist, um so höher ist auch ihr Risiko. Wenn jemand 15 % Rendite erwartet, muß er eher damit rechnen, gar nichts zurückzubekommen, als wenn er sein Geld nur zu 4 % anlegt. Umgekehrt: Wenn jemand Geld leihen möchte, verlangt die Bank um so höhere Zinsen, je riskanter das Geschäft zu sein scheint", erklärte ihm Wiljo.

"Aber wir hatten ja schon festgestellt", warf Archie ein, "daß das nur im großen Maßstab funktionieren kann. Der netten Verkäuferin Geld zu leihen, wenn ich weiß, daß die Chancen fifty-fifty stehen, daß ich das Geld wiedersehe ... Also, das müßte ich mir schon genauer überlegen", meinte Archie. "Aber wenn du gleichzeitig an ganz viele verleihst?", warf Wiljo auf. "Wenn ich z. B. Geld an zehn Leute ausreiche und bei jedem von ihnen stehen die Chancen fifty-fifty, kann ich mehr oder weniger damit rechnen, daß ich von fünf Leuten das Geld zurückbekomme", lautete die Antwort. "Genau. Und damit du deinen Schnitt machst, mußt du eben die Zinsen so hoch ansetzen, daß es sich trotzdem rechnet. Das machen die Banker mit Formeln, die immer komplizierter werden."

"Bis sie diese dann selbst nicht mehr verstehen!", warf Archie ein. "Um dafür zu sorgen, daß die Rechnerei zu verläßlichen Ergebnissen führt, beschäftigen die Banken hochqualifizierte Finanz-Mathematiker."

Wiljo horchte in sein Telefon, ob Archie noch da sei. "Ja, ich habe nur einen Augenblick nachgedacht. Ich glaube, ich verstehe, was du meinst ... Also, wenn auf einmal alle Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden, haben die schlauen Rechenfüchse einen Fehler gemacht." "Ja, oder irgend etwas anderes ..." "Genauso war das bei der großen Finanzkrise. Keiner hat damit gerechnet."

Archie kicherte, als hätte er gerade erst den Hintersinn dieses Wortes für sich entdeckt. "Keiner hat damit gerechnet, daß auf einmal alle armen Schlucker ihre hypothekenbeladenen Häuser nicht mehr abbezahlen können. Die Kreditgeber dachten wohl, daß die meisten es sich doch irgendwie aus den Rippen schneiden würden, und deshalb haben sie sich trotz ihrer Computer verrechnet." "Vielleicht haben sie auch gar nicht verstanden, was sie da treiben. Vielleicht nahmen sie an, wenn es richtig losgehe, seien sie schnell weg, oder es treffe die anderen. Vom deutschen Finanzminister war ja zu hören, daß die Banken der Bundesrepublik viel stabiler wären als die US-Geschäftsbanken."

"Jetzt warte ich aber immer noch auf eine Erklärung ..." Wiljo war verwirrt. "Welche?", fragte zurück. "Na, wie das jetzt mit der großen Finanzkrise ist, von der Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen jeden Tag Neues zu berichten haben. Deswegen hatte ich doch angerufen."

Richtig, dachte Wiljo. Vor lauter Dozieren habe ich den Grund seines Anrufs fast vergessen.

Wir hatten uns im Gestrüpp von Geld, Markt, Sozialprodukt und Banken eine kleine Bresche geschlagen. Das müßte reichen. So fuhr Wiljo fort: "Wir haben doch das Wichtigste bereits abgegrast. Wie die Steuerung durch die Märkte funktioniert. Wie Geld 'geschaffen' wird. Wie die 'Steuerung' der Volkswirtschaft über Geld und Zinsen erfolgt. Welche Rolle virtuelles Geld, das es eigentlich gar nicht gibt, spielt. Wie es zu dem Platzen von Aktienblasen kommt."

Wiljo dozierte noch eine Weile weiter über das undurchsichtige Räderwerk des Kapitalismus. "Kommen sie diesmal noch mit zwei blauen Augen davon?", erkundigte sich Archie.

"Und was können wir jetzt tun?", wollte er wissen. "Solange sich die kleinen Leute nicht zusammenschmeißen, so lange, fürchte ich, bleibt uns nur zu stöhnen, zu ächzen und abzuwarten, ob sie diesmal noch mit zwei blauen Augen davonkommen", klagte Wiljo. "Sie?", fragte Archie. "Na, jene, welche ein Interesse daran haben, daß die Wirtschaft so weiterläuft wie bisher." "Wer?", hakte Archie nach. "Die Profiteure eben. Du und ich kaum."

Wiljo wollte noch etwas loswerden: "Bei der großen Krise, die 2008 begann, hat es das Zentrum des Uhrwerks mit erwischt. Auf dem Finanzmarkt werden ja die Entscheidungen über die Zukunft getroffen. Dort tauscht man Investitionen gegen Konsumverzicht. Und die Investitionen entscheiden über die weitere Entwicklung einer Volkswirtschaft." Archie bemerkte: "Deswegen die fast hysterischen Schreie der Regierung. Und die diversen 'Rettungspakete', die inzwischen aparterweise in 'Konjunkturpakete' umbenannt worden sind." Wiljo faßte zusammen: "Womit dann, falls das Räderwerk irgendwann wieder in Gang gesetzt werden sollte, schon die Grundlage für die nächste große Krise gelegt wäre. So, wie 2001 die Krise, in der wir gegenwärtig stecken, vorbereitet worden ist."


Übrigens: Über all das kann man in Wiljo Heinens Buch "Geld, Markt, Illusion", das 2008 in seinem Verlag erschienen ist, so manches nachlesen.

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Die KPRF-Fraktion der Moskauer Stadtduma hat uns folgende Erklärung übermittelt: "Wir sind über die Landesregierung von Brandenburg, die einen Abriß der antifaschistischen Gedenkstätte in Ziegenhals befürwortet, empört. Die Absicht, das Andenken an den Führer der deutschen Kommunisten Ernst Thälmann, der gegen den Faschismus kämpfte und von den Nazis ermordet wurde, auszulöschen, ist eine Schmähung des Erinnerns an alle, die im antifaschistischen Kampf gefallen sind. Zugleich kann eine Zerstörung der Thälmann-Gedenkstätte nur der Stärkung neofaschistischer Umtriebe in Deutschland dienen."

Fraktionschef W.I. Lakejew


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Die Erklärung ist das Ergebnis eines Kontakts zu russischen Journalisten, die vor einigen Jahren in Ziegenhals dabei waren und darüber in Zeitungen geschrieben hatten. Inzwischen sind sie auch Abonnenten des RF. Sie betreuen u. a. die Zeitung einer Pioniergruppe im Moskauer Stadtbezirk Ramenki. Deren Leiter Wadim hat nach dem Erhalt der Nachricht von einer Bedrohung der Gedenkstätte Ziegenhals die Dumafraktion angesprochen.

Cilly Keller, Berlin


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Etwa 8 Millionen Menschen leben unter den Bedingungen von Hartz IV. Das kostet rund 45 Milliarden Euro im Jahr. Andererseits werden 100 Milliarden jährlich an Steuern hinterzogen. Ich gehöre zu den 8 Millionen. Obwohl ich drei Berufe gelernt habe - darunter einen mit abgeschlossenem Studium - ist alles Makulatur. Ich bin jetzt 59. In diesem Alter hätte ich früher eine sitzende Tätigkeit bis zur Rente zugewiesen bekommen oder wäre auf Grund altersbedingter gesundheitlicher Einschränkungen entlastet worden. Statt dessen darf ich im 1-Euro-Job immer neue Arbeitsfelder kennenlernen. Wer nicht alles so schafft, wie man es erwartet, gilt als "Lusche", als faul und wird abgewertet, auch um "frische" 1-Euro-Kräfte zu bekommen.

Josef Ackermann von der Deutschen Bank spricht davon, daß sich der Kapitalismus gegenwärtig in der Reha befinde. Dazu kann man nur sagen: Nicht die Brandstifter noch auf die Feuerlöschzüge setzen!

Gesine Birgitt Unger, Düsseldorf


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Seit langer Zeit besuche ich Eure Internetseite und lese mit großem Interesse die jeweiligen Ausgaben. Es tut gut, klare Standpunkte kennenzulernen und zu erfahren, daß man nicht allein ist.

Einer der wichtigsten Momente in meinem Leben war die Entscheidung, Mitglied der kommunistischen Partei zu werden, die ich seit Ende der 70er Jahre als Sympathisant begleitete. An der Stelle, wo Ernst Thälmann von den Faschisten feige ermordet wurde, trat ich als Teilnehmer einer von der SED eingeladenen Studiendelegation 1984 der DKP bei. Schwerpunkt meiner gesellschaftlichen Arbeit war immer die Bündnis- und Friedenspolitik. So gehörte ich Mitte der 80er Jahre zu den Organisatoren der großen Ostermärsche mit über 100.000 Teilnehmern im Ruhrgebiet.

Die Ereignisse des Herbstes 1989 haben die Partei bei uns - wie bei Euch - vor die Zerreißprobe gestellt. Innerhalb weniger Wochen verließen sie zahlreiche Genossen. Darunter ausgerechnet auch jener, der mich in Buchenwald aufgenommen hatte. Mittlerweile ist er Mitglied der SPD und bekleidet einen hohen Gewerkschaftsposten. Dabei will ich nicht verschweigen, daß auch ich Zeit brauchte, um diese schwere Niederlage des Sozialismus persönlich zu verarbeiten. Als am Tag des Anschlusses der DDR an die BRD meine Nachbarn die Sektkorken knallen ließen, saß ich ziemlich allein und schämte mich meiner Tränen nicht.

Seit den jüngsten Kommunalwahlen gibt es über das Bündnis "Soziale Liste Bochum" (nach 50 Jahren!) wieder einen Kommunisten im Rat und in der Bezirksvertretung. Dieses Jahr werde ich in meinem Wohngebiet zur Kommunalwahl kandidieren. Durch den Kollaps der Finanzmärkte offenbart sich - für viele sichtbarer als bisher - die Unfähigkeit des Kapitalismus, wirtschaftliche Probleme zu lösen. Der hiesige Opel-Standort läßt uns das jeden Tag deutlich spüren.

Andreas Maluga, Bochum


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Der Prozeß gegen Ex-Postchef Zumwinkel war eine einzige Farce. Obwohl dem Untersuchungsorgan das Belastungsmaterial hinreichend lange vorlag, erließ das Gericht erst einen Tag nach Ablauf der Verjährungsfrist den Durchsuchungsbefehl. Das war natürlich kein Zufall. Die Steuerstraftat dieses Weißkragen-Kriminellen hätte sonst die Grenze von einer Million überschritten, was nach Auffassung des Bundesgerichtshofes mit einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe zu ahnden gewesen wäre. Doch ein Mitglied der sogenannten Oberschicht findet bei Justitia "Verständnis". Sie hebt schon früh die Augenbinde etwas an, um festzustellen, wer ihr kriminelles Gegenüber ist. Dann entstehen eben entsprechende "Pannen". Der Anwalt ist eigentlich nur vonnöten, wenn der "Deal" - eine außergerichtliche Einigung im Strafverfahren - zustande kommt. In diesem Fall handeln Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung vor der Hauptverhandlung aus, welche Sanktionen verhängt werden sollen. Wenn "im Namen des Volkes" ein Urteil ergeht, fühlt man sich wie im Kabarett.

Manfred Riethig, Gera


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Gerade erfuhr ich über den Hessischen Rundfunk, daß auf einem Autobahnrastplatz bei Jena ein Bus mit Linkspartei-Mitgliedern und Gewerkschaftern auf der Rückfahrt von der Anti-Nazi-Demo in Dresden durch 20 Faschisten angegriffen worden ist. Einer der fünf Verletzten mußte mit einer Schädelfraktur ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Opfer stammen aus Nordhessen. Zivilcourage gegen rechts zeigen, heißt jetzt immer öfter, sich in akute Lebensgefahr zu begeben. Polizei und Justiz, die den rechten Totschlägern ihre nahezu wöchentlichen Aufmärsche ermöglichen und deren Parteien unangetastet lassen, tragen wie die Regierenden die Verantwortung dafür, daß Angst und Schrecken um sich greifen.

Ronald Brunkhorst, Kassel


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"Applaus für Scheidemann" ... schrieb das ND am 9. Februar. Gemeint war Roland Claus, der als Philipp Scheidemann, Präsident des Reichsministeriums, auf der Bühne stand. Er sei immer wieder von Beifall "unterbrochen" worden. Claus war stets ein guter Schauspieler, wobei ihm diese Rolle geradezu auf den Leib geschneidert war. Jetzt weiß ich, was die Augen der ND-Rezensentin Gutschke so glänzen ließ: "... der braucht sich nicht zu verschanzen, nichts abzuwehren, seine Kraft auf irgendwelche Demagogie zu verschwenden, der braucht einfach nur zu sagen, was er wirklich meint." Sag ich's doch!

Dr. Hans-Dieter Krüger, Halle


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Seit 2003 lesen wir Eure tolle Zeitung und reichen sie an andere weiter. Uns geht es wie vielen RF-Beziehern: Wir saugen jedes Wort auf, da uns der "RotFuchs" aus dem Herzen spricht. Gefunden und für uns bestellt hat ihn unser jüngster Sohn.

Als ehemalige SED-Genossen sind wir noch immer auf der richtigen Schiene, ohne uns wieder parteimäßig gebunden zu haben. Doch unseren Idealen bleiben wir treu!

Mein Mann Peter war nach dem Abitur Grenzsoldat in Berlin. Nach seiner Schlosserausbildung wurde er Lehrmeister und baute bei uns im Ort ein Polytechnisches Zentrum auf, das er leitete. Nach dessen Abwicklung schlug er sich auf Baustellen in ganz Deutschland durch und war ab und zu arbeitslos. Ich war bis zur Rente (mit 60) als Grundschul- und Deutschlehrerin tätig. Wir sind stolz auf unsere drei Söhne (42, 38, 34), denen wir linkes Denken vermittelten. Wir hoffen sehr, daß sie diese Arbeitertradition (ich stamme aus einer sächsischen Weberfamilie) auch auf unsere fünf Enkel übertragen werden.

Gunda Seiler, Buttstädt


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Im Leserbrief des Genossen Franke aus Meißen (Februar-RF) ist von Literatur die Rede, die mich sofort neugierig machte. Ich wuchs in der alten BRD auf und bin deshalb mit den genannten Titeln nicht vertraut. Bücher, die im "RotFuchs" erwähnt werden, versuche ich mir zu beschaffen. In Antiquariaten fahnde ich immer nach DDR-Literatur. So las ich mit Interesse und Vergnügen Nolls "Die Abenteuer des Werner Holt", Jakobs " Beschreibung eines Sommers", Serafimowitschs "Der eiserne Strom" und selbstverständlich Ostrowskis "Wie der Stahl gehärtet wurde". Meine Bitte an den "RotFuchs" ist es, nicht nur häufiger entsprechende Bücher zu erwähnen, sondern auch vorzustellen. Das erscheint mir nicht nur für Jüngere wichtig, sondern auch für jene, welche nicht in der DDR aufgewachsen sind.

Norbert Kornau, Hannover


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Besten Dank für den RF-Artikel "Obamas Falken-Kabinett". Er hat mir sehr geholfen, den vielfach bekundeten überhöhten Enthusiasmus etwas zu dämpfen. In Diskussionen wurde nämlich oft geäußert: Endlich kommt man in den USA zur Vernunft.

Sicher wird Obama einiges anders machen. Aber prinzipiell? Die vielen Millionen für seinen Wahlkampf sind vermutlich nicht in 50-Cent-Stücken auf seinem Konto eingetroffen. Die reichen Spender erwarten jetzt den "Dank" des Präsidenten. Ich bin vom Jahrgang 1916. Denken und Diskutieren gehen noch in Ordnung.

Walter Kleen, Bleicherode


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Die Februar-Ausgabe des RF hat mich wieder gefesselt, vor allen Dingen deshalb, weil ich in Walter Kerns Artikel Episoden des Kampfes meines Vaters aus der Zeit der Illegalität wiederfand. Ich war übrigens 1944 mit 15 das jüngste Mitglied der von Genossen Kern geschilderten antifaschistischen Leipziger Jugendgruppe. Wir gehörten dann zu den Gründern der FDJ und gingen mit Begeisterung an die Beseitigung der Trümmer auf den Straßen und in den Köpfen.

Der Beitrag über das Moorsoldatenlied war für mich insofern interessant, als mein Vater zu dieser Zeit Häftling im KZ Esterwegen war und uns über die Entstehung des Liedes berichtete.

Der "RotFuchs" gibt mir viele Anregungen, über das Leben meiner Familie und mein eigenes Leben intensiver nachzudenken. So bin ich jetzt dabei, mit Wiesbadener Genossen Material über das Wirken meines Vaters in der dortigen Widerstandsgruppe bis zu seiner Einlieferung in das KZ Lichtenburg 1934 zu sichten und aufzubereiten. Drei ihrer Mitglieder haben den Kampf gegen den Faschismus mit dem Leben bezahlt.

Anneliese Schellenberger, Leipzig


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Der Beitrag "Ruhigstellen hieß die Devise" ist sehr aufschlußreich. Auch ich bin aus dem Deutschen Bundeswehrverband inzwischen ausgetreten. Ruhigstellen und Hinhalten kann man die Taktik im Umgang mit den ehemaligen NVA-Angehörigen auch nennen. Dazu kommt Ungerechtigkeit. Nach fast 20 Jahren der "Einheit" werden Diplome ehemaliger Berufssoldaten der NVA, die auf militärischen Hochschulen und Militärakademien erworben wurden, noch immer nicht anerkannt. Ebensowenig wie die Dienstgrade. NVA-Angehörige, die zeitweilig in die Bundeswehr übernommen wurden, erhalten bei ihrer Entlassung langjährige Dienstzeiten als Berufssoldat in der NVA nicht angerechnet. Von wegen "Armee der Einheit"! Das ist eine glatte Lüge.

Major a. D. Achim Blesse, Gera


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Horst Liebig sei Dank für die ausführliche Darstellung des Bundeswehrverbandes. Für mich ist unfaßbar: Da begeben sich Offiziere und Generale putzmunter, treu und brav in das Lager des Feindes, dem die NVA unversöhnlich gegenüberstand. Sie gehen zu einem reaktionären Traditionsverband der Bundeswehr, der Objekte und Verbände nach Nazihelden benannt hat.

Achim Blesse aus Gera hat recht: Wo war in dieser Situation ihr Klassenstandpunkt, den sie täglich von anderen gefordert haben?

Mich hat 1990 sehr gewundert, daß Soldaten der Grenztruppen ihre Uniform auszogen, ins hessische Rotenburg oder nach Bad Hersfeld gingen, sich das "Begrüßungsgeld" abholten und dann brav in die Kaserne von Großensee (Wartburgkreis) zurückkehrten. Ich habe das selbst beobachten können.

Mit prinzipientreuen, ideologisch gefestigten, charakterstarken Menschen hätte man so nicht umspringen können.

Artur K. Führer, Bottrop


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Frech behauptet Frau Wollenberger-Lengsfeld gegen die gelebte Erfahrung vieler DDR-Bürger, daß unser Palast der Republik angeblich keine Anziehungskraft für die DDR-Bevölkerung besessen hätte. Viele Menschen, auch ich, und keineswegs nur Funktionäre, sondern vor allem Arbeiter und Mitglieder von Betriebskollektiven waren vom Palast sehr begeistert und haben sich dort wohlgefühlt. Die einzige Kritik, die ich vernommen habe, bestand darin, daß das Haus des Volkes eben in Berlin stand, womit die Hauptstadt einmal mehr bevorzugt worden sei. Von einem "häßlichen und überflüssigen Kropf" kann keine Rede sein. Gern denke ich an die schönen Palastbälle, bei denen jede Etage ihr eigenes Flair hatte. Frau Lengsfeld vermißt Sitzgelegenheiten im Foyer des Palastes. War die Dame blind? Ich kann mich noch gut an die hübschen weinroten Bezüge der Sitzgruppen erinnern. Und preiswert war es auch, wenn man überlegt, was man heute in einem mittelmäßigen Café oder Restaurant hinblättern muß.

Aus den Worten von Frau Lengsfeld gehen nichts weiter hervor als platte Anti-DDR-Phrasen, neurotischer Haß auf alles, was mal sozialistisch war - und dies auf niedrigstem intellektuellem Niveau. Ich hoffe sehr, daß es im Bundestag klügere Abgeordnete gibt.

Werner Fischer, Erfurt


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Wer von uns, die 1989 um unsere Republik gekämpft haben, kennt nicht Frau Lengsfeld, die sich selbst zur Bürgerrechtlerin ernannte, in Wahrheit aber mit an der Spitze der Konterrevolution stand! Ich bin der Meinung, daß ihr im RF veröffentlichter Brief nicht einmal das Papier wert ist, auf dem er geschrieben wurde. Auch kann ich nicht erkennen, warum ihn die Redaktion unserer Zeitschrift nach neun Jahren noch veröffentlicht hat.

In 20 Jahren hat die "demokratische" Bande alles Materielle zerstört, was uns lieb und teuer war. Alles, was wir in 40 Jahren geschaffen hatten. Doch eins können sie uns nicht nehmen: den festen Glauben daran, daß irgendwann eine Generation heranwachsen wird, die wieder auf unseren marxistischen Grundlagen aufbaut. Deshalb werden wir am 7. Oktober den 60. Jahrestag der DDR würdig begehen.

Wolfgang Müller, Bad Düben


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Es ist bezeichnend, wie die Medien allein durch Fragestellungen eine ihnen genehme Antwort zu erreichen bemüht sind. Daß sich aber auch das ND so aufführt, ist für mich sehr enttäuschend. Oder wie soll man sonst die Aufforderung an Dr. Schorlemmer verstehen, "über die Selbsttäuschung des sozialistischen Systems in der DDR" zu schreiben!

Da war dann ja auch nichts anderes zu erwarten, als daß von 126 Zeilen seines Montagsartikels zur "Wende 1989" ganze zwei Zeilen mit der Aussage eingefügt wurden: "Dabei dürfen freilich soziale und kulturelle Anstrengungen und Erfolge, Volksbildung oder Vollbeschäftigung nicht außer acht gelassen werden." An seine niederschmetternde Darstellung der DDR hängt er noch ein paar Zeilen über den "entfesselten Kapitalismus" an.

Wir brauchen keine poetischen Worte, sondern eine tiefgehende Analyse der Gründe des Untergangs der DDR. Das Ganze unter Beachtung nicht nur der nationalen, sondern auch der internationalen Vorgänge. Dabei dürfen Chancen, die das sozialistische System den Menschen geboten hat, nicht unter den Tisch fallen.

Elfriede Jentzsch, Bad Schmiedeberg


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Unlängst war ich das erste Mal zu einem "RotFuchs"-Treffen in Bautzen. Dabei kam ich mir anfangs etwas verlassen vor, denn als einer vom Jahrgang 68 war ich wohl der Jüngste in der Runde. Doch jetzt zu meinem Aha-Erlebnis: Ältere Genossen saßen gemütlich zusammen, Kaffee gab's auch, vor allem aber Bildung satt. Das Lebensgefühl "DDR", das nicht zuletzt aus Eurem Kampf damals hervorging, werde ich niemals vergessen. Dafür möchte ich einfach mal danke sagen.

Torsten aus Bautzen, E-Mail


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Nicht "BILD" oder "Bayernkurier", sondern die "Sächsische Zeitung" hat kurz vor dem 64. Jahrestag der Zerstörung der Elbestadt die mehr als peinliche Überschrift gewählt: "Viele Dresdner sind stolz auf ihr Leid." Eine Geschmacklosigkeit übelster Sorte und noch dazu auf der Kulturseite!

Ein gewisser Volker Lösch, 1963 in Worms geboren, greift dort zu der Formulierung: "Man ist hier sehr stolz, Dresdner zu sein. Mir scheint, viele sind auch auf ihr Leid stolz."

Und ein Stefan Schnabel, der aus Nürnberg stammt, einer Stadt, wo sämtliche Reichsparteitage der Faschisten stattgefunden haben, läßt uns wissen: "Anfang der 30er Jahre war Dresden nach Breslau die Stadt mit den meisten NSDAP-Mitgliedern."

An andrer Stelle heißt es: "Der NS-Propaganda ist es gelungen, die einzigartige Kunststadt zur einzigartigen Opferstadt zu stilisieren. Der Begriff 'angloamerikanischer Terrorangriff' wurde von den Nazis geprägt, in der DDR weiterverwendet und spielt heute noch eine große Rolle in den Köpfen der Dresdner."

Daß ein einziger Dresdner stolz auf sein Leid sein könnte, wenn er damals Großeltern, Mutter und Geschwister verloren hat, oder der Vater nicht aus dem Krieg zurückkam, ist für mich nicht vorstellbar.

Erhard Richter, Zeithain


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Eine Bemerkung zum Artikel "Schlafzimmeraffäre" (RF 133): So weit, so gut. Aber es stimmt nicht, daß die Gründung der BRD auf Befehl der Alliierten erfolgt ist. Die CDU unter Adenauer drang schon kurz nach dem Krieg auf einen Separatstaat und brauchte dazu keinen Befehl, aber natürlich die Zustimmung der Westmächte. Davon zeugen auch die Vorbereitungen (Bizone/Trizone) und strikte Absagen an die SBZ.

Rena Mann, Bottrop


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Die Kriegsmilliarden der BRD könnten für friedliche Zwecke ausgegeben werden. Wer darf schon darauf bedacht sein, die Krone des Rüstungsexport-Weltmeisters zu besitzen? Da dürfte sich unter normalen Menschen wohl kaum einer finden lassen!

"Die Linke" müßte die parlamentarische Initiative für eine Umlenkung der Milliarden des Wahnsinns und der Mittel für als "Auslandseinsätze" fehldeklarierte Aggressionen zu friedlichen Zwecken ergreifen. Bis auf einzelne Beiträge im Bundestag wird von uns als Linkspartei diese Forderung leider kaum erhoben. Gerade vor den Wahlen aber müßte das geschehen. Es handelt sich um den Ausdruck des Willens von mehr als 67 % der Bevölkerung.

Heinz Lier, Leipzig


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Von meiner Schwiegertochter habe ich zwei Ausgaben des RF bekommen. Schon lange bemühte ich mich darum, Verbindung mit politisch Gleichgesinnten aufzunehmen. Und das trotz meines schlechten Gesundheitszustandes und meiner 86 Jahre.

In der DDR war ich zunächst Lehrer in Löbau. 1966 wurde ich dann Ingenieur der Fleischwirtschaft. Seit dem Herbst 1964 arbeitete ich als Produktionsdirektor, dann in verschiedenen anderen Funktionen. Mein Hauptaufgabengebiet lag in der Ausbildung von 1450 Lehrlingen. 1958 saß ich fünf Monate in Adenauers Gefängnissen. Man warf mir den Versuch staatsgefährdender Nachrichtenübermittlung vor. Das war ein Hohn!

Hellmut Ruschel, Rostock


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Es war Anfang Februar. Vom Bildschirm tönte es, jemand habe kistenweise Erlebnisberichte von Einwohnern der früheren drei Nordbezirke der DDR an eine "Erforschungsstelle" übergeben. Der Beauftragte der "Erforscher" sagte dann, man wisse natürlich, daß in der DDR niemand gehungert und es dort auch keine Gaskammern gegeben habe. Das hat hoffentlich Hubertus Knabe nicht gehört, sonst sucht und (er)findet er sie noch! Aber diese Enge des Landes, in das sich alle eingesperrt fühlten und wo sie "geistig vergewaltigt" wurden!

Ich habe während dieser "Schreckensherrschaft" in Südbrandenburg gelebt. Was für ein Glück es doch war, nicht in den engen Nordbezirken zwar satt, aber geistig vergewaltigt vegetiert haben zu müssen. Wolfgang Groschel, Cottbus


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Claus Schenk Graf von Stauffenberg steht nicht nur im Fernsehen, sondern auch im Kino hoch im Kurs. Als "Helden" gelten jetzt vor allem aus dem Adel stammende preußische Militärs, die zwar den Eid auf Hitler ablegten und sich an der Front "bewährten", aber dann den "Führer" in letzter Minute beseitigen wollten, um das System zu retten. Während noch bis in die 50er Jahre die Attentäter des 20. Juli in der BRD als Verräter galten, stellt man sie heute - um Antifaschismus vorzutäuschen - bewußt ins Rampenlicht. Stauffenberg und seine Mitverschwörer waren mit Hitler zunächst durchaus einverstanden, bis sich 1943 mit Stalingrad das Ende seines "Dritten Reiches" abzeichnete.

Ernst Thälmann hatte schon 1932 gewarnt: "Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg." Aber nicht Thälmann und Breitscheid sollen Vorbilder für die Jugend sein, sondern die "Männer des 20. Juli", die durch den Stauffenberg-Film mit Tom Cruise nun auch im Ausland als Verkörperung der Ehre des "anständigen" Deutschlands dargestellt werden.

Dr. Eva Ruppert, Bad Homburg


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Nach der Trauerfeier für Hans Beimler und seinen Adjutanten Luis Schuster (Franz Vehlow) wurden deren Leichname nach Fuencarral (bei Madrid) überführt. Dort befand sich ein Friedhof der Internationalen Brigaden. Aber nicht hier wurden die beiden Genossen beerdigt, wie Günter Freyer im RF 133 richtig hervorhebt, sondern auf dem Bergfriedhof Montjuich in Barcelona. Wie Centa Herker-Beimler erfuhr, wurde das Grab Hans Beimlers eine Woche nach der Einnahme Barcelonas durch die Franco-Faschisten eingeebnet. Vorher verbrannte man die Leichname Beimlers und Schusters. Noch lange Zeit danach lagen immer wieder frische Blumen an diesem Ort. Die Faschisten hatten sogar Wachen aufgestellt, um das zu verhindern. Jahrelang erfolgten auf dem Montjuich Hinrichtungen. Dem Mordterror Francos fielen hier Unzählige hier zum Opfer.

2006 und 2008 fanden auf dem Montjuich würdige Gedenkkundgebungen für Volksfront-Spanien statt. Eine Gruppe der "Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik" (KFSR) nahm daran teil.

Es sei nicht unerwähnt, daß die Gestapo kurz nach Beimlers Flucht aus Dachau die Lüge verbreitete, er und Schuster seien "von den eigenen Leuten umgebracht worden". Sie wird heute noch kolportiert.

Dr. Peter Fisch, Dresden


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Die Spanische Republik wurde im Bombenhagel und mit Seeblockade - begünstigt durch die Nichteinmischungspolitik der Westmächte - erstickt. Zwischen 1939 und 1947 ermordeten die Faschisten annähernd 300.000 Spanier. Hitler erklärte: "Ohne die deutsche und italienische Hilfe hätte Franco nicht gesiegt." Wie die BRD heute mit dem Thema umgeht, symbolisiert u. a. die Tatsache, daß bei uns der Name Hans Beimlers aus dem Straßenregister gestrichen und durch den Daimlers ersetzt wurde. Der Daimler-Konzern war vor dem 2. Weltkrieg ein integrierender Bestandteil der Rüstungsindustrie des NS-Regimes. Er produzierte Militärfahrzeuge, Panzer-, Schiffs- und Flugzeugmotoren. Daimler beschäftigte Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. 1932 betrug sein Umsatz 65 Millionen RM, elf Jahre später waren es 942 Millionen RM. 76 % der Aufträge kamen von der Wehrmacht.

Manfred Holfert, Löbau


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Die Beiträge "Zur Schwäche des subjektiven Faktors" und "Grottenfalsche Konjunkturanalyse" im Januar-RF beschreiben die Unmöglichkeit einer Überwindung des Kapitalismus bei Fehlen des subjektiven Faktors als Voraussetzung dafür.

Wir müssen uns von der Illusion trennen, daß eine Revolution nach klassischem Muster bei uns möglich ist. Die Leute gehen zwar zur Durchsetzung ökonomischer Forderungen oder für einen Ausstieg aus der Nuklearenergie auf die Straße, doch der Kampf für die Erringung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse und linke Kräfte, erfordert eine langfristig angelegte Strategie zur Gewinnung der Menschen.

Siegfried Mikut, Georgsmarienhütte


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Nachdem ich den RF kennengelernt habe, bin ich so begeistert, daß ich seine Lektüre unbedingt weiter verbreiten muß. Ich bin meiner Vermittlerin sehr dankbar. Ich lese sehr gern und beschäftige mich viel mit Literatur, die über Positives aus der DDR berichtet. Der Inhalt des RF fesselt mich regelrecht. Ich verschlinge geradezu die wertvollen Artikel und Leserbriefe. Es tut der Seele gut zu wissen, daß es doch noch viele Gleichgesinnte gibt. Das bringt Kraft und Zuversicht. Meinen Freundeskreis habe ich bereits von dieser tollen Zeitschrift unterrichtet. Bitte senden Sie deshalb den RF zunächst an folgende fünf Personen. ...

Heidrun Böhm-Hennes, Sonneberg


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Klaus Buchheister aus Bremen hat einen hochinteressanten Artikel über meine irische Insel (RF 133) geschrieben, dem ich nur zustimmen kann! Ich kenne mich in der Welt nicht besonders gut aus, doch Irland und Kuba sind meine "Steckenpferde". Wer sich weiter in die irische Geschichte vertiefen will, sollte evtl. das Buch von T. Ryle Dwyker lesen, das unter dem Titel "Michael Collins" im UNRAST-Verlag, Münster erschienen ist. Der Autor gilt als Spezialist für die irische Geschichte des 20. Jahrhunderts und veröffentlichte mehrere Werke, von denen die Collins-Biographie als erste ins Deutsche übersetzt wurde.

Norbert Müller, Höxter


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Dieser Tage meldeten sich die Weltklasse-Schwimmerin Franziska van Almsick, der Olympiasieger und Boxweltmeister Henry Maske und Boxtrainer Ulli Wegner zu Wort. Sie forderten ein Ende der Dopingverfolgung von DDR-Trainern. Wahrlich ein gutes Vorhaben. Ulli Wegner sagte dazu: "Laßt uns endlich dazu kommen, gemeinsam nach vorn zu blicken."

Aber ist dies nicht nur die halbe Wahrheit? Geht es nur um die Trainer aus der DDR? Auch die Dopingaffären der alten und heutigen BRD sollten auf den Prüfstand. Während DDR-Trainer nach wie vor ausgegrenzt werden (Werner Goldmann u. a.), spielen BRD-Verantwortliche die Unschuld vom Lande.

Wer verurteilte Prof. Klümper, heute in Südafrika, für die zu Tode gedopte Birgit Dressel? Wer ist für die Doping-Toten Jupp Elze, Uwe Berger und Rolf Reichenbach verantwortlich? Dopingsünder wie die Radsportler Altig, Ulrich, Aldag, Böltz, Zabel, Henn oder Schuhmacher, der Zahnpastaläufer Baumann, der Ruderer Kolbe und viele andere sowie deren Trainer gehen straffrei aus. Allein im Fußball wiesen Toni Schumacher und Peter Neuerer Dutzende Dopingfälle in der ersten und zweiten Liga nach. Neuerer spricht sogar von 50 % der Spieler. Wenn kein Nachschlagen mehr (so Ulli Wegner) erfolgen soll, dann gilt das für den Sport in seiner Gesamtheit.

Erhard Richter, Berlin


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Den Beiträgen von Hans Reichelt und Heinz Tischner im RF 133 stimme ich zu. Insbesondere bin ich Heinz Tischner dankbar, daß er auf die Tätigkeit des MfS zum Schutz der Volkswirtschaft eingegangen ist, bei der die vorbeugende schadensverhütende Arbeit im Mittelpunkt stand.

Aus meiner eigenen 30jährigen Tätigkeit im MfS - ich arbeitete in der Abteilung Volkswirtschaft der Magdeburger Bezirksverwaltung im Bereich Land-Forst-Nahrungsgüterwirtschaft/Handel und Versorgung/Umwelt - kann ich das Gesagte nur unterstreichen. Übrigens kannten wir als Mitarbeiter uns auch recht genau aus, was den zu sichernden Gegenstand betraf. Heinz Tischner war Ingenieur, ich Diplomlandwirt. Ähnlich verhielt es sich bei den anderen Genossen. Natürlich stand nicht nur die Sache, um die es ging, sondern auch der Schutz des Menschen im Zentrum unserer Tätigkeit.

Werner Wild, Magdeburg


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In der "Runden Ecke", dem einstigen Sitz der Bezirksverwaltung des MfS Leipzig, wo täglich "Führungen" angeboten werden, sind auf einer Tafel sämtliche in der Stadt vollstreckten Todesurteile aufgeführt. Dort entdeckte ich auch den Namen Erwin Hagedorn. Offenbar will man den Eindruck erwecken, dieser Mann habe etwas mit der Staatssicherheit zu tun gehabt. Es handelte sich aber um einen dreifachen Kindesmörder. Auf der Hochschule behandelten wir diesen Fall im Fach Kriminalistik. Mit dem Täter fand sogar eine Rekonstruktion des Hergangs statt. Als die Diskussion auf das Thema Todesstrafe kam, sagte man uns: "Wenn das Gericht ein anderes Urteil gefällt hätte, wäre es in seiner Heimatstadt zu einer Revolution gekommen."

Die Schautafel im "Museum Runde Ecke" soll jedem Besucher die "Bösewichte" des MfS vor Augen führen. Seht her, selbst Hagedorn haben sie auf dem Gewissen! Was für ein Eigentor!

Klaus Pinkau, Leipzig


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Liebe Freunde und ehrliche Sozialisten aus meiner Heimatstadt überlassen mir hin und wieder einige Exemplare des RF. Ich freue mich über die Existenz einer Gruppierung, die kompetent die fortschrittliche Weltanschauung zur Grundlage ihres Handelns erklärt hat.

Ich bezweifle den weiteren absoluten Anstieg des Wählerpotentials der Partei Die Linke im Falle der Beibehaltung ihrer derzeit unklaren Linie. Auch eine direkte Regierungsbeteiligung unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen zwingt sie zu Kompromissen, die ihrer eigenen Doktrin entgegenstehen. Das Beispiel Berlin liefert dazu ein sehr anschauliches Bild. Natürlich soll sich die Partei nicht der Verantwortung vor ihren Wählern entziehen. Dort, wo unmittelbar Einfluß genommen werden kann, an der Basis, erreichen Kandidaten der "Linken" gute bis sehr gute Ergebnisse. Das funktioniert vom Gemeinderat bis zum Landrat. Ich arbeitete fast zehn Jahre als hauptamtlicher SED-PDS-Bürgermeister, lange über den Anschluß hinaus, ohne ein Wendehals geworden zu sein. Aufmerksame Zeitgenossen registrieren auch solche Konsequenz.

Doch spätestens auf der Ebene der Landesregierung kann die Linkspartei nicht mehr ihren eigentlichen Zielen entsprechen und wird so, mehr oder weniger, mitverantwortlich für die unsoziale Machtausübung. Dagegen wäre die starke Kraft linker Gruppierungen sinnvoll in der Rolle einer konstruktiven Opposition, die sich nicht, teilweise bis zur Unkenntlichkeit, verbiegen müßte und letztendlich die eigene Wählbarkeit für Linke in Frage stellen würde.

Die Ursachen unzureichenden Handelns sind vielfältig. Sie reichen vom Unvermögen über Gleichgültigkeit bis zur Parteinahme für die Lobby, weil man hofiert wird, in noblen Aufsichtsräten sitzt und so ein bißchen dazugehört.

Thomas Kuhlbrodt, Zeitz-Zangenberg


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In dem deutschen Staat, in dem ein Hans Filbinger, zuvor Marinerichter in der Hitler-Wehrmacht, zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg aufsteigen konnte, und ein Heinrich Lübke, einst beteiligt am Bau von Nazi-KZs, sogar Bundespräsident wurde, denkt man in der Brandenburger Landesregierung tatsächlich darüber nach, ob ein Literaturpreis weiterhin den Namen Erwin Strittmatters tragen darf. Hermann Kant nannte ihn einen Schriftsteller "kostbarster Eigenart".

Natürlich kann man mit Strittmatter im nachhinein hadern, daß er nicht darüber gesprochen hat, als Bataillonsschreiber einer Polizei-Gebirgsjägereinheit angehört zu haben, die zwei Jahre nach seiner Einberufung auf Anordnung Himmlers in die SS eingegliedert wurde. Wird aber durch das Verschweigen dieser Lebensstation sein gesamtes literarisches Werk in Frage gestellt?

"Er hat alles Kriegerische verabscheut", sagt sein Stiefsohn Ilja noch heute. Auch die Figuren Stanislaus Büdner ("Der Wundertäter") und Esau Matt ("Der Laden") führen uns diese Haltung überzeugend vor Augen.

Da waren offenbar die Mitglieder des Hauptausschusses der Stadt Spremberg klüger und mutiger als ihre Landesregierung, als sie beschlossen, den Straßennamen Strittmatter-Promenade nach den "Enthüllungen" des Literaturwissenschaftlers Werner Liersch beizubehalten.

Hans-Dietrich Grundmann, Eberswalde


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Wo sind sie geblieben, unsere Helden von 1989? Wo sind jene, welche nach Bürgerrechten riefen, nach mehr Demokratie, nach einer freien Medienkultur, nach einem Land, in dem es für Militarismus keinen Platz gibt? Ich bekenne mich schuldig: Damals waren diese Bürgerrechtler auch für mich Hoffnungsträger. Ich sehnte mich nach einem Aufbruch aus verkrusteten Strukturen, und einige dieser sogenannten Widerstandskämpfer gegen die sogenannte Diktatur sprachen mir in jener Zeit durchaus aus dem Herzen.

Und heute? Es ist leise geworden um die Bohleys, die Eppelmanns und wie sie alle hießen. Dabei, dessen bin ich gewiß, müßten sie jetzt um so lauter genau das einklagen, wofür sie vor 20 Jahren ihre Stimme erhoben. Am lautesten taten sie es immer dann, wenn gerade eine Westkamera in der Nähe war.

Wir leben inzwischen in einem Land, in dem Überwachung in einem Maße praktiziert wird, daß jede "Stasi-Keule" zum dürren Ast verdorrt. Wo bleibt der Aufschrei über die hier mit Füßen getretenen Bürgerrechte? Wir führen wieder Krieg. Wo bleibt da die Stimme unseres "Abrüstungsministers" Eppelmann? Müßten nicht heute ständig Kerzen vor den Kirchen brennen und Friedensgebete alltäglich sein? "Stasi in die Produktion!" hieß es damals. Wo waren die Rufer dieser Parole, als alle Produktion in Ostdeutschland vernichtet und die Ostdeutschen beraubt wurden? Wo war der Ruf nach mehr Gerechtigkeit, als die Zahl der westdeutschen Vermögensmillionäre zwischen 1990 und 1992 um 40 % anwuchs, also genau in dem Zeitraum, als im Osten die Treuhand wütete?

Ich werde das Gefühl nicht los, daß ein sehr großer Teil dieser vermeintlichen Bürgerrechtler schlicht und einfach Heuchler waren und nun, da sie wie Eppelmann mit hochbezahlten Posten ruhiggestellt wurden, ihrer tatsächlichen Bestimmung nachkommen. Mich ekelt die scheinheilige Moral dieser Leute an, die jeden Blick für ihre Mitbürger verloren haben.

Ulrich Guhl, Berlin

Raute

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Der RotFuchs wird ausschließlich aus Spenden und nach eigenem Ermessen jedes einzelnen finanziert. Einen festen Preis gibt es nicht. Die Zeitschrift kommt jeweils am letzten Werktag eines Monats zum Versand.

Raute

IMPRESSUM

Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift für Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.

CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin,
Telefon 030/561 34 04, Fax 030/56 49 39 65
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
(Redaktionsadresse)

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HERSTELLUNG: Druckerei Bunter Hund

INTERNET: www.rotfuchs.net

Redaktionsschluß ist jeweils der 10. des Monats.

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Dr. Vera Butler (Melbourne)
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Prof. Dr. Götz Dieckmann
Dr. Rudolf Dix
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Dr. Peter Fisch
Bernd Fischer
Peter Franz
Günter Freyer
Prof. Dr. Georg Grasnick
Dr. Ernst Heinz
Dr. Dieter Hillebrenner
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Prof. Dr. Hans Lutter †
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Bruno Mahlow
Dr. Bernhard Majorow
Wolfgang Metzger
Prof. Dr. Harry Milke
Frank Mühlefeldt
Sokrates Papadopoulos (Thessaloniki)
Richard Georg Richter
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Karl Schlimme
Gerhard Schmidt
Prof. Dr. Horst Schneider
Joachim Spitzner
Fritz Teppich
Dr.-Ing. Peter Tichauer

KÜNSTLERISCHE MITARBEIT:
Dieter Eckhardt
Karlheinz Effenberger
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Klaus Parche
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INTERNET-PRÄSENTATION DES ROTFUCHS
UND AKUSTISCHE AUSGABE (für Sehbehinderte):
Sylvia Feldbinder

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Quelle:
RotFuchs Nr. 135, 12. Jahrgang, April 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2009