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POLITISCHE BERICHTE/141: Zeitschrift für linke Politik 10/10


Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik

Nr. 10 am 7. Oktober 2010


INHALT

Aktuell aus Politik und Wirtschaft
Politische Berichte im Internet
Merkels Herbst - Kommt mehr Demokratie Im Parteienstaat?
Konflikte zwischen Bagdad und kurdischer Regionalregierung eskalieren
Auslandsnachrichten

Regionales und Gewerkschaftliches
Aktionen ... Initiativen
"Vattenfall Ruhr" - Kommunen als "Global Player"?
Eigentumsstruktur der Mitglieder des Stadtwerke-Konsortiums Rhein Ruhr
Kommunale Politik
Streit um Freiheit von Gewerkschaften und Gesetz zur Tarifeinheit
Stahlabschluss: tarifliche Gleichstellung der Leiharbeiter erreicht
Wirtschaftspresse
Das Eigenkapital der Banken soll höher und "härter" werden
Die deutschen Landesbanken - eine traurige "Bilanz"

Diskussion und Dokumentation
Schweden: Der Weg in die europäische Normalität - eine kalte Dusche für Rotgrün
Leben im Elsass - literarische Verarbeitung jüngerer Geschichte
Stadtwerke München: Vom Eigenbetrieb zum "Global Player"

Raute

AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT

Politische Berichte im Internet: www.gnn-verlage.com


Boni-Grenze per Gesetz!

Spiegel-Online, 1.10., rül. Die umstrittenen Sonderzahlungen an HRE-Banker waren am 1. Oktober auch Thema im Bundestag. Insgesamt 25 Millionen Euro hat die HRE im vergangenen Jahr an 1400 Beschäftigte gezahlt. Zusätzlich haben sich in diesem Jahr insgesamt drei Vorstandsmitglieder nach nur ein- oder zweijähriger Vorstandstätigkeit mit üppigen, von der HRE gezahlten Altersbezügen von 15.000 Euro monatlich und mehr in die vorzeitige Altersruhe verabschiedet. Im Bundestag kündigte deshalb Finanzstaatssekretär Hartmut Koschyk an, die Regierung wolle Bonuszahlungen in staatlich gestützten Banken nun per Gesetz begrenzen. Allerdings ist laut Justizministerium noch nicht geklärt, wie in bestehende Vergütungssysteme eines Instituts eingegriffen werden könnte. Koschyk sagte in Berlin, das Finanzministerium wolle den Koalitionsfraktionen Formulierungsvorschläge machen - wenn eine gesetzliche Regelung möglich ist. Die NRW-Landesregierung will einen Schritt weitergehen. Das Finanzministerium in Düsseldorf kündigte eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel an, in staatlich gestützten Banken eine Gehaltsobergrenze von 500.000 Euro für alle Banker einzuziehen. Bislang gilt die Obergrenze nur für Vorstände von Banken, die vom staatlichen Rettungsfonds Soffin Hilfen erhalten haben.


Systemumbau durch Gesundheitsreform

www.bundesregierung.de, rül. Ende September hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Rösler zur Gesundheitsreform verabschiedet und dem Bundestag zugeleitet. Das Gesetz leitet einen grundlegenden Systemumbau ein und setzt die Klientelpolitik des Ministers zugunsten der Privatversicherungen und der Arbeitgeber fort. "Steigende Gesundheitskosten werden von den Lohnnebenkosten entkoppelt", heißt es auf der Internet-Seite der Bundesregierung offen. Der Beitragssatz der Arbeitgeber steigt zum 1.1.2011 auf 7,3 Prozent, der der abhängig Beschäftigten um 0,3 Prozent auf 8,2 Prozent.

Alle weiteren Kostensteigerungen sollen in Zukunft von den Beschäftigten getragen werden. Der Beitragssatz der Arbeitgeber wird eingefroren. "Künftige Ausgabensteigerungen werden durch Zusatzbeiträge finanziert. Sie werden von den Versicherten getragen. Die Krankenkassen entscheiden, ob und in welcher Höhe sie von ihren Versicherten Zusatzbeiträge verlangen", heißt das bei der Bundesregierung. Die Pharmaindustrie soll angeblich einen Beitrag durch Preissenkung für ihre neuen Medikamente leisten. Tatsächlich aber hatte sie schon vor Inkrafttreten der Reform ihre Preise kräftig angehoben, so dass die folgende "Preissenkung" nur fiktiv war. Gleichzeitig werden private Krankenversicherungen gegenüber den gesetzlichen Kassen neuerlich begünstigt. Der "Wechsel in die private Krankenversicherung (werde) erleichtert", so der Minister. Unter anderem wird die Jahresarbeitsentgeltgrenze, bei der ein Wechsel in die private Krankenversicherung erlaubt ist, gesenkt. Als nächsten Schritt strebt der Minister an, bei Behandlungen künftig Vorkasse von den Versicherten zu verlangen. Das würde Leute mit geringen Einkommen noch massiver aus der Krankenversorgung ausgrenzen.


Kein Untersuchungsausschuss Loveparade

tja. Der Antrag der Fraktion Die Linke auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Love Parade ist von den Fraktionen der CDU, SPD und den Grünen im Düsseldorfer Landtag abgelehnt worden. Wir dokumentieren im Folgenden aus einer Pressemitteilung der linken Fraktion:

Einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Love Parade beantragte die Landtagsfraktion der Linken NRW. Während Adolf Sauerland dies unmittelbar nach der Tragödie ebenfalls als notwendig erachtete, lehnt die CDU-Landtagsfraktion einen Untersuchungsausschuss ab. "Es stellt sich die Frage, ob die CDU-Fraktion Parteifreund Sauerland damit schützen will und hofft, dass 'Ruhe im Land' einkehrt", meint Horst Werner Rook, Pressesprecher der Duisburger Linken. Rook: "Auch Innenminister Ralf Jäger (SPD) aus Duisburg muss sich die Frage gefallen lassen, ob er tatsächlich zur Aufklärung beitragen will. Andernfalls ist nicht zu erklären, warum die SPD Landtagsfraktion offenbar ebenfalls einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss ablehnen will. Dagegen fordert Die Linke den Landtag auf, alle Möglichkeiten zu nutzen, um unabhängig von einer persönlichen Verantwortung von Adolf Sauerland eine rückhaltlose Aufklärung zu erreichen." Rook weiter: "Einwände, etwa von CDU-Fraktionsvize Peter Biesenbach, der Landtag wäre wegen den laufenden Ermittlungen nur sehr eingeschränkt in der Lage, notwendige Akten für die parlamentarische Untersuchungsarbeit zu nutzen, sind grundsätzlich falsch. Denn in § 14 I PUA-Gesetz NRW heißt es u.a., dass alle Behörden des Landes verpflichtet sind, dem Untersuchungsausschuss die erforderlichen Aussagegenehmigungen zu erteilen und die Akten vorzulegen."


Rede zum 3. Oktober

maf. Anlässlich seiner Rede zum 3. Oktober legt Bundespräsident Wulf großen Wert auf die legale Form der Auflösung der DDR in die BRD. Er sagte: "Wir erinnern uns an die Monate, in denen Vertreter von Volkskammer und Bundestag um die vielen kleinen Schritte zur deutschen Einheit rangen. Es war eine beispiellose Leistung von Politik und Verwaltungen in beiden Teilen Deutschlands, was hier bis zum 3. Oktober 1990 vollbracht wurde." Da sich in Teilen des politischen Systems die nachträgliche Qualifizierung der DDR als "Unrechtsstaat" festzusetzen beginnt, ist der Verweis des Bundespräsidenten auf den tatsächlichen Gang der Ereignisse bedeutsam. Wulf, dessen Vorgänger den von Volkskammer und Bundestag beschlossenen Vertrag zu ratifizieren hatte, kommt damit seiner Aufgabe als "Hüter der Verträge" nach. Deutungen, die darauf hinauslaufen, dass die BRD mit der DDR verhandelte etwa wie ein Polizeipsychologe mit einem Geiselnehmer, wird dadurch etwas Besonnenes entgegengesetzt. Ebenso stellt sich Wulf gegen den Vertreibungsdruck, der auf breiter Front gegen die muslimische Bevölkerung aufgebaut wird. Er sagt: "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland". Wulfs Gedankengang, der das muslimische Leben in Deutschland praktisch erleichtert, setzt eine seltsame Beziehung von Religion und Nation in die Welt ("gehört zu Deutschland"). Wer entscheidet so was? Was ist, wenn Bürgerinnen und Bürger Bekenntnisse annehmen, die "nicht zu Deutschland gehören". Irgendwie steht in dieser Denkfigur "Deutschland" als Hyperreligion. Vielleicht hat es Wulf ja aber auch anders gemeint, denn er schließt seine Betrachtungen mit einer schönen Sentenz Goethes - : "Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen." Goethe formuliert in aufklärender, weltbürgerlicher Absicht. Er spricht nicht von neuen Tatsachen, sondern von einer neuen Sicht auf gegebene Tatsachen. Würden Wulfs Redenschreiber wenigstens ein kleines bisschen nachgraben, würden sie schnell bemerken, dass von einer isolierten christlich-jüdischen Geschichte nicht die Rede sein kann. So ist zum Beispiel das Dezimalsystem in Indien entwickelt und in der islamischen Welt zu einer Fülle praktischer Verfahren ausgebaut worden - Landvermessung, Algebra, Buchhaltung-, die schließlich in den italienischen Handelsstädten aufgegriffen wurden, schließlich auch nördlich der Alpen zur Modernisierung der Gesellschaft beitrugen.


Weniger Hartz = weniger rauchen und gesünder leben!

alk. Die Tatsachen sind lange bekannt: Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKfz) veröffentliche 2004 eine Studie. "Rauchen und soziale Ungleichheit - Konsequenzen für die Tabakkontrollpolitik". Nach dieser Studie war zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Rauchen vor allem eine Gewohnheit der wohlhabenden Schichten, inzwischen sind es vor allem Leute mit geringem beruflichen Status, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Die Krebsforscher geben an, dass bei Männern in einfachen manuellen Berufen und Frauen in einfachen Dienstleistungsberufen bis zu 50% rauchen, während z.B. Lehrer, Professoren und Ärztinnen nur zu ca. 15% rauchen. Sie machen darauf aufmerksam, dass das Tabakrauchen vermutlich der Hauptgrund für eine erhöhte Sterblichkeit im mittleren Alter bei sehr Armen. Hat also Frau von der Leyen recht, wenn sie den Hartz-IV-Empfängern den Tabakkonsum aus dem für nötig erachteten Konsumkatalog streicht? Zunächst einmal geht es um relativ viel Geld: In der Presse wurden 11 Euro erwähnt, die wegen Tabakwaren nicht berücksichtigt wurden (8 Euro für Alkohol). Das sind aber die Durchschnittszahlen für alle armen Einpersonenhaushalte. Ein genauer Blick in die Verbrauchsstatistik, die den Regelsätzen zugrunde gelegt wird, macht deutlich, dass der Raucherhaushalt relevante Anteile seines Einkommens aufwendet. Von den gesamten erfassten Ein-Personen-Haushalten mit Niedrigeinkommen geben rund 26% Geld für Tabak aus, bei diesen sind das dann aber durchschnittlich fast 42 Euro im Monat. Bei den Haushalten mit Kindern geben nach diesen Verbrauchsstichproben über 40% der Haushalte Geld für Tabak aus, im Durchschnitt zwischen 28 und 35 Euro im Monat. Man kann annehmen, dass der Wille aufzuhören, vermutlich ähnlich hoch ist wie in allen anderen Bevölkerungsschichten, aber bei Sucht reicht der Wille allein nicht immer aus ... Die demonstrative Ausgrenzung der Ministerin von oben herab wird den Ausstieg nicht fördern. Das Krebsforschungszentrum hatte damals einen Vorschlag gemacht: Hohe Tabaksteuern, Werbe- und Automatenverboten einerseits; aber dazu Ausstiegshilfen für Arme, die es leider zu wenig gibt. Niederschwellige und kostenfreie Angebote, vor allem bei den Gemeinden, so die Erfahrungen, hätten gute Chancen, einen großen Teil der ausstiegsbereiten Personen in diesen Gruppen zu erreichen. Hätte Frau Ministerin das Geld im Regelsatz gelassen, wäre der finanzielle Anreiz dazu noch einmal höher. Und wer's nicht lassen will, warum muss man den noch zusätzlich demütigen?

Raute

Merkels Herbst - Kommt mehr Demokratie im Parteienstaat?

Von Martin Fochler

Merkels Koalitionsregierung aus CDU, CSU und FDP muss mit seit Monaten schlechten Umfragewerten zurechtkommen, und auch die Sympathiewerte der Bundeskanzlerin hängen durch. Die deutsche Regierung steht mit dieser Spannung zwischen Wählerauftrag und Wählerzufriedenheit nicht alleine in der europäischen Landschaft. Es geht nicht nur um Stimmungsbilder, in vielen Nachbarländern zeigten sich auch bei Wahlen neue Mehrheiten. Allerdings hat die Regierung Merkel mit einer solchen Entwicklung nicht rechnen müssen, hat sie doch die staatlichen Mittel zur Bewältigung der Krise mit einigem Erfolg eingesetzt, insbesondere gelang es im Zusammenwirken mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften eine Destabilisierung des Arbeitsmarktes zu vermeiden. Trotzdem schwindet der Rückhalt der Regierung in der öffentlichen Meinung, und in den Umfragen erstarken die Grünen. Die Regierung Merkel/Westerwelle reagierte monatelang verhalten/hilflos. Nach der NRW-Landtagswahl, bei der aus dem interpretierbaren Meinungsbild eine politische Tatsache wurde, entschlossen sich Merkel, Seehofer und Westerwelle zu einer Änderung der politischen Taktik, ab jetzt werde, so sagte Seehofer, regiert. Er meint damit politisches Handeln ohne Rücksicht auf Signale aus der öffentlichen Meinung. Diese Art von Politik im besten Schröder-Basta-Stil ist nach der Verfassung der BRD möglich, freilich nur auf Zeit. Warum wählen die Regierungsparteien einen Politikstil mit so hohem Risiko des Machtverlustes?


Funktionsverlagerungen von den Privaten zum Staat

Im Verlauf der Weltwirtschaftskrise hat sich die Aufgabenverteilung zwischen den privaten Sektoren und der öffentlichen Hand verschoben. Die tradierte ordnungspolitische Funktion wurde aufgewertet, auch der öffentliche Einfluss auf die Geldpolitik, die auf eine globale Weise steuernd in das Wirtschaftsleben eingreift, wurde gestärkt. Fragen wie Staatsverschuldung, Kreditklemme, Zinssätze usw. interessieren heute nicht mehr nur "den Anleger", sie sind zum politischen Thema geworden. Trends in der öffentlichen Meinung schwanken, mal ist die Privatisierung modern, mal wird die lenkende öffentliche Hand gefordert. Am Beispiel der Bundesrepublik wird jedoch klar, dass es hier nicht einfach um ein Hin und Her von Meinung und Mehrheit geht. Es tut sich etwas tief im Gefüge der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. So ist z.B. der Umbau der Sozialsysteme - Gesundheit, Altersversorgung, Bildung und Erziehung - mit einer Funktionsverschiebung weg von der Familie, hin zur leistenden Einrichtung verbunden. Einmal in Gang gesetzt, verfestigen sich Muster der Lebensführung auf Jahrzehnte hin. Auch die Struktur des Arbeitsmarktes und der Unterhaltssicherung werden davon unumkehrbar betroffen. Dieser Prozess ist schon lange zu Gange. Er hat in allen Ländern, in denen eine Industriegesellschaft besteht, soziaalstaatliche Einrichtungen hervorgebracht, die zur Voraussetzung der normalen Lebensführung, des Daseins geworden sind. Wenngleich die Aus- und Umbauten dieses Sektors tief in das soziale Leben eingreifen, sie sind vom Typus her nicht so neu wie der Trend zur staatlichen Investitionslenkung, bei denen der Staat die Rolle des "Unternehmers" aufnimmt, jener namentlich von Schumpeter ausgeleuchteten Figur wirtschaftlichen Handelns, die eine neue Kombination der gesellschaftlichen Mittel ahnt, sieht und durchsetzt.


Klimagipfel - Die Staaten als schöpferische Unternehmer

Ob die Richtungsentscheidungen, die unter diese Rubrik fallen, zu einer Änderung der Klimadaten führen werden, steht letztlich in den Sternen. Sicher ist jedoch, dass solche Beschlüsse das Staatshandeln mit durchschlagender Wirkung auf die Richtung der Investitionen beeinflusst. In Schlagworten wie "Atomausstieg", "Schiene", "nachwachsende Rohstoffe", "Elektromobilität" klingt nicht nur eine Stimmung der öffentlichen Meinung, sie führen zu Mehrheiten, werden Gesetze, Verordnungen, die mit den klassischen Mitteln der steuerlichen Begünstigung Veränderungen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung begünstigen. Neben diese lange bekannten und üblichen und in gewisser Weise im parlamentarischen Verfahren auch beherrschbare Vorgehensweisen ist in den letzten Jahrzehnten ein neuer Typus von Veränderung getreten: Technisch-wirtschaftliche Innovationen auf Grund vorauslaufend geplanter und realisierter Leistungen der öffentlichen Hand. Ein Beispiel bietet der unternehmerische Plan der Regierung Schröder/Fischer, die Atomkraftwerke abzuschaffen und aus Wind Geld zu machen. Technisch machbar war dieser Plan nur im Zusammenhang mit Offshore-Windparks, der Entwicklung verlustarmer Übertragungsmethoden, Bewältigung von Problemen der Netzstabilität durch Steuerungsverfahren und, nicht zuletzt, Platzierung von Gasturbinen und Kraft-Wärme Kopplung. In einem komplizierten Mix aus internationalen Winkelzüge, die erforderlich waren, um längs durch die Ostsee eine direkte, von Zwischenländern unabhängige Versorgung mit russischem Erdgas einzurichten, aus Absprachen über technische Entwicklungen, die nur von auf diesem Sektor tätigen Konzernen realisiert werden können, aus Gesetzen über Einspeisevergütungen, Aufbrechen alter Versorgungsmonopole, neuartige Tarifgestaltungen, wirtschaftliche Steuerung von Erzeugerleistungen in Echtzeitüber eine "Strombörse", Stillegung des Bergbaus, Umwandlung von Tagebauwüsten in Erholungslandschaften, und, und, und ... Die Erschließung von Windkraft auf hoher See setzt nicht nur einen äußerst zuvorkommend gestalteten Endmarkt voraus, sie wird auch im Vertrauen auf einen politisch durchzusetzenden und technisch zu realisierenden Ausbau der Netze entwickelt. Vom Windrad bis zur Steckdose ist auf allen technischen Ebenen ein Zusammenspiel von öffentlicher Hand und Privatwirtschaft funktional erforderlich, in der Planung und, fortdauernd, im Betrieb.


Schwarz-gelbes Selbstvertrauen

Ein Grund für den Vertrauensverlust, der die Regierung Schröder/Fischer zu Fall brachte, war ohne jeden Zweifel ihre Rücksichtslosigkeit bei Umbauten des Sozialstaates. Ein anderer Grund lag auch in der Konfrontation des rotgrünen technischen Umbauprojektes mit der konventionellen Erwerbswirtschaft, zugespitzt im Konflikt mit der Atom-Lobby. Konservatismus und Liberalismus hingegen verbindet der hohe Respekt, den sie den einmal erworbenen Vorteilen und Chancen zollen. Damit ist schon einmal eine Vertrauensbasis zu den privaten Investoren und zum Spitzenmanagement vorhanden, die nicht entsteht, wenn der Staat vor allem als Einrichtung zum Umverteilen angepriesen wird. Zunächst geht es dabei nicht einmal um faktische Unterschiede, wichtig ist, ob sich die Reichen im Glanz ihrer Erfolge sonnen können oder unter missgünstigen Blicken leiden müssen. Weil zwischen Schwarz-Gelb und den Spitzen der Wirtschaft eine Vertrauensbasis besteht, eignet sich eine solche Regierung besonders gut zur Bewältig von Planungsprozessen, bei denen Wirtschaft und Politik Hand in Hand wirken. Deswegen ist es glaubhaft, dass sich die Bundeskanzlerin freute, der großen Koalition entronnen zu sein, obwohl sie das Personal der FDP und der CSU kannte. In dieser Konstellation konnte sie z.B. zusammen mit dem Wirtschaftsministerium und unter Umgehung des Umweltministeriums den sogenannten Atomkompromiss aushandeln. Frau Merkel ist der festen Überzeugung, dass die vereinbarte Regelung zur Deckung der Kosten, die bei der anlaufenden Umrüstung auf Windkraft für die öffentlichen Haushalte entstehen werden, erheblich beiträgt. Sie denkt in diesem Fall als Unternehmerin, ihr Plan zeugt von Streben nach wirtschaftlicher Solidität, aber politisch ist er waghalsig.


Der Wurm im grünen Apfel

Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens - des Staates, der gewerblichen Wirtschaft und der einzelnen Verbraucher - waren das erklärte Ziel der grünen Bewegung von ihren ersten Anfängen an. Alternativen im Landbau und dann auch der Energiegewinnung folgten und erzeugten eigene Produktions- und Distributionssysteme, die entsprechenden Wirtschaftszweige sind zu einer großen Industrie geworden, die im Zusammenspiel mit anderen, konventionellen Industrien arbeiten muss. Ein modernes Windrad kann nicht aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt werden. Trotzdem wird die Öko-Wirtschaft nicht im Normalbetrieb aufgehen. Dafür bürgen auch Abgrenzungsbedürfnisse bei den Endverbrauchern, die z.B. wissen wollen, was sie essen, trinken, einatmen ...

Über den Erfolgen der Öko-Wirtschaft ist aus dem Blickfeld geraten, dass ein wichtiges Moment des ganzen Öko-Umbauprojeks geopfert werden musste. Die Versorgung der Gemeinden, der Industrie und der Haushalte der BRD gelingt nicht mit standortnaher Produktion, am augenscheinlichsten bei der Energieversorgung. Die Nutzung der Windkraft wird zu einem Punkt führen, an dem kein einziges Netzsegment auf dem Gebiet der BRD mehr unabhängig von einem anderen betrieben werden kann. Alle wirtschaftlichen und sozialen Tätigkeiten, die Energie brauchen, werden dann in einen einheitlichen technischen Zusammenhang gespannt, von derselben Kraftmaschine angetrieben sein. Jeder Besuch in einem Öko-Markt macht klar, dass die ökologisch orientierten Verbraucherinnen und Verbraucher ein Angebot fordern, das nur durch ein über mehrere Klimazonen hin erstrecktes Handelsnetz bereitgestellt werden kann. So hat sich der Klang des Wortes Mobilität im Milieu geändert, suche am Automobil "Auto", ersetze durch "Elektro". Es ist nicht gerade unwahrscheinlich, dass diese Veränderung grüner Ansätze die Ausdehnung des Wählerpotentials ermöglicht hat, es könnte aber auch Irritationen der grünen Bewegung erklären, die sich in den gegenwärtigen grün-alternativ inspirierten Aktionen Geltung verschaffen.


Zwei Optionen ...

Die verschiedenen Zweige der Öko-Wirtschaft sind gerade im Zuge ihrer Entfaltung jedes Jahr mehr auf Marktregulierungen und eben auch auf technische Infrastrukturen angewiesen, die nur die öffentliche Hand geben kann. Die Öko-Wirtschaft braucht einen politischen Arm, sie braucht Teilhabe am Regierungsgeschäft. Gerade weil die radikale vollständige Umstellung allen Wirtschaftens nach Grundsätzen der Ökologie als politisches Ziel nicht im Raum steht, sondern politisch zwingend ein Nebeneinander von konventioneller und ökologischer Wirtschafts- und Lebensweise gestaltet werden muss, stellt sich bei Regierungen in Bund, Ländern und auch in den Kommunen die Frage, was im Zweifel den Ausschlag geben soll. Im politischen Leben der repräsentativen Demokratie werden solche Probleme formal geregelt: Die stärkste Partei einer Koalition stellt Kanzler/in bzw. Ministerpräsident/in, die im Zweifel die Kompetenz zur "Richtlinienentscheidung" haben.

An diesem Punkt springt der Funke auf das Gebiet der öffentlichen Meinungsbildung über. Unbestritten gilt: "Auf den Kanzler kommt es an". Die sachlich-praktisch meist gar nicht so wichtige Frage "wer das letzte Wort hat" schließt Spitzenrepräsentanten, Parteigänger und breites Publikum zusammen, lenkt von Sachfragen ab und sorgt für Leidenschaft.

Gegenwärtig halten die Grünen zwei Optionen: Im Kräftefeld von Privatwirtschaft, ökologisch konnotierter Privatwirtschaft und staatlicher Wirtschaft erleichtern schwarz-grüne Regierungen die ungern thematisierte, aber praktisch immer wichtigere Abstimmung zwischen konventionellem und ökologischem Sektor. Allerdings kommt in einer solchen Konstellation auch die reale Gewichtsverteilung zum Tragen.

Käme es zu einer Koalition aus SPD, Grünen und Linken, so würde die Öko-Wirtschaft in eine Konfrontation mit konventionellen Wirtschaftsinteressen gezogen, die mit sozialen Fragen - aus der Perspektive der Öko-Wirtschaft - zusätzlich aufgeladen wäre, die SPD könnte sich dem Druck der Linken nicht entziehen.


... und ein dritter Weg der Grünen

Nachdem die Regierung Merkel den von den Grünen durchgesetzten Atomausstieg durch einen neuen Plan ersetzt hat, ergab sich eine Verschiebung in Umfragewerten. Hier und da ziehen die Grünen an der SPD vorbei. Dadurch werden die Bedingungen grüner Regierungsteilhabe entscheidend geändert, sie würden entweder Richtlinienkompetenz beanspruchen können oder in schwarz-grüner Paarung mit ganz anderem Gewicht auftreten und verhandeln können. Diese Konstellation auf dem politischen Spielfeld ist für das Verständnis der gegenwärtigen, vor allem von den Grünen inspirierten Aktionen erheblich.

Diese Aktionen sind "technisch" möglich, weil die unternehmerisch-wirtschaftlichen Aktivitäten der Regierung im öffentlichen Raum vollzogen werden müssen. Das Endlager muss an einen konkreten Ort durchgesetzt werden, der Transport muss weite Räume durchqueren, die Zusammenschaltung des ganzen Landes zu einer Fabrik erfordert neue Transport- und Verkehrswege usw. Alle diese Aktivitäten beanspruchen Raum, sie sind genuin politisch, weil sie unvermeidlich Andere, Anwohner, umgrenzende Bevölkerung usw. treffen; also politisch-rechtlich reguliert werden muss, was zulässig ist und was nicht. Mit Blick auf das Allgemeinwohl entwickelte Nutzungspläne stoßen auf Protest, der auf anderen Vorstellungen vom Gemeinwohl gründet. Da die Betreiber solcher großen Vorhaben nicht nur gewährleistete Rechte brauchen, sondern auch auf Akzeptanz des breiten Publikums angewiesen sind, tut sich ein weites Feld für Aktivitäten auf, denen gemeinsam ist, dass sie Errichtung und Betrieb mindestens stören, wenn nicht sogar unterbinden. Damit wird eine Entscheidungshaltung in der Bevölkerung angesprochen. Es geht dabei nicht darum, ob eine Wirtschaftsaktivität berechtigt ist, sondern darum, ob sie entgegen Protesten durchgeführt werden soll. Jeder Mensch, der irgendetwas in der Öffentlichkeit unternimmt, kennt Lagen, in denen es darauf ankommt, sich nicht bis an die Grenzen des rechtlich Zulässigen auszuleben, sondern Rücksicht zu nehmen. Wenn die von den Grünen, Partei und Basis, inspirierten Aktionen dieses Herbst dazu führen, die Rücksichtslosigkeit der Planung von Regierung und Konzernen darzutun, können gute Wahlergebnisse helfen.


Eine riskante Kalkulation

Ein Blick auf die konkrete Planung der Regierungskoalition macht recht deutlich, dass die Bundeskanzlerin bei ihrer Neuverhandlung des Atomausstiegs nicht die Demütigung der Grünen zum Ziel hatte. Ihr geht es offenkundig um den wirtschaftlichen Erfolg. Sie will ihre Mehrheit zurückhaben, und sie glaubt, dass wirtschaftlicher Erfolg der Weg dahin ist. Auf diesem Weg muss ihre Regierung eine Reihe von Entscheidungen mit unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen treffen und durchsetzen. Sie wird dadurch auf spezifische Weise angreifbar. Während die Regierung mit der Opposition der Sozial- und Berufsverbände gerechnet hat, und z.B. abwägen kann, wie lange sich die Gesundheitsindustrie auf den Schlauch stellen kann, durch den sie genährt wird, steht es bei technologischen Großprojekten anders, insbesondere alle Einrichtungen der Infrastruktur müssen in den öffentlichen Raum und sogar in die private Sphäre hineinreichen. Sie brauchen Akzeptanz, und sie sind für Unmutskundgebungen erreichbar.

Ein anderes Risiko besteht indessen für die Grünen. Lange schon haben sie sich aus einer Gesinnungsgemeinschaft zu einer Partei gewandelt, die im politischen Wettbewerb steht und auf Regierungsbeteiligung aus ist. Die Entwicklung des ökologisch-nachhaltig definierten Sektors der Wirtschaft macht Teilhabe an Regierungen sogar besonders dringlich, denn es ist klar, dass die Öko-Wirtschaft noch viele lange Jahre den Schutz der Öffentlichkeit benötigt. Gerade angesichts der zehn, zwanzig Jahre langen Vorlaufzeit großer wirtschaftlicher Pläne brauchen die wirtschaftlich und politisch etablierten Kräfte - Staat oder privat, ökologisch oder konventionell - Rechtssicherheit. Legal - illegal - scheißegal ist kein denkbarer Text eines Koalitionsvertrags. Nicht in Baden-Württemberg, nicht im Bund, nicht mit der SPD, nicht mit der Union. Eine wichtige Frage in dem Konflikt, der sich auf verschiedenen Feldern aufbaut, ob die Änderungen beim Atomausstieg tatsächlich die Entwicklung der Öko-Gewerbe ernsthaft gefährden.


Politische Investitionsentscheidungen und Demokratie

Solange die Staatsmacht vor allem politische Rahmenbedingungen setzt, spitzt sich die politische Diskussion auf die Frage zu, welche Norm gelten soll. Wird ein immer weiteres Feld sozialer Leistungen erforderlich, muss zwischen Lasten und Leistungen vermittelt werden. Geht es um Investitionen, kommt ein spekulatives Moment dazu, Mittel werden auf eine ungewisse Zukunft hin eingesetzt. Und nicht nur das. In der Realität der modernen reifen Industriegesellschaft geht es bei unternehmerischen Entscheidungen dieser Größenordnung um die Andersverwendung gesellschaftlicher Ressourcen, hier geht es nicht nur um den Wunsch nach etwas Neuem, Besseren, es taucht die Frage auf, welches Gewerbe unter Einmischung politischer Zwangsmittel (Abschalten!) stillgelegt und welches durch Zuschüsse und Vorleistungen ins Leben gerufen werden soll.

Angesichts des Hin und Her bei der Atomkraft und des Wechsels von jahrzehntelangem Desinteresse und hochbrausender Leidenschaft in Sachen Stuttgart 21 zeichnet sich die Notwendigkeit ab, im politischen Entscheidungsgang etwas zu ändern. Die Investoren, es sei die öffentliche Hand oder große Private, müssen gezwungen werden, frühzeitig für ihre Vorhaben um öffentliche Akzeptanz zu werben. Die Öffentlichkeit muss nicht nur die Chance haben, solche Projekte zu beeinflussen - hier tun sich z.B. in der Kommunalpolitik auch heute schon viele Möglichkeiten auf -, sie muss auch regelmäßig die dann allerdings auch verbindliche letzte Entscheidung in der Hand haben. Dies würde auch die Bürgerinnen und Bürger, die Verbände und die Parteien ermuntern, sich zur rechten Zeit und mit dem erforderlichen Engagement mit den anstehenden Fragen zu befassen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Grüne Aktionen: Atom ... (Bild: Grüne Bundestagsfraktion am 6.10. im Wald von Gorleben
- ... Bahnhofsumbau in Stuttgart ... (Bild: Demo am 2. Oktober)
- ... und demnächst gegen Hochspannungsmasten? (Bild: Transparent einer Bürgerinitiative in Südniedersachsen im August 2010)

Raute

Irak: Konflikte zwischen Bagdad und kurdischer Regionalregierung eskalieren

Von Rudolf Bürgel

Nach dem Abzug des größten Teils der US-Truppen aus dem Irak kommen zwischen dem autonomen kurdischen Norden und der Zentralregierung teils heftige Widersprüche auf, die die US-Besatzung hinterlassen hat. Schon sieben Monate dauert die Regierungsbildung in Bagdad an. Die US-Strategie der Teilung des Iraks in die Religionsgruppen, Nationalitäten und Stammeszugehörigkeiten ("Blood-Borders") sowie ihrer unterschiedlichen Förderung hat dazu geführt, dass Schiiten und Sunniten, verschiedene Religions- und Stammesführer sowie die Kurden bisher noch keinen Ausgleich ihrer Interessen finden und eine stabile Regierung unter Führung des Wahlsiegers Maliki bilden konnten.

Mehrere Konfliktfelder eskalieren derzeit. Es geht einerseits um den Verkauf von Lizenzen zur Öl- und Gasfelderschließung sowie ihrer Förderung. Hier hat die kurdische Regionalregierung unter Ausschluss des Ministeriums für Rohstoffe in Bagdad seit 2003 mit 26 ausländischen Firmen Verträge geschlossen, die 60 Prozent der Fördereinnahmen den ausländischen Konzernen zusichern, die anderen 40 Prozent der kurdischen autonomen Region. Zuletzt wurden im August ein Vertrag mit RWE über den Verkauf von Gas geschlossen, wonach ab 2014/2015 jährlich 20 Millionen Kubikmeter in die geplante Nabucco-Pipeline gepumpt werden soll. Im Gegenzug soll RWE in der Kurdenregion die Gasversorgung ausbauen sowie Fachpersonal ausbilden.

Weiter geht es um die territoriale Zuständigkeit der Provinzen Ninive und Tamin mit ihren Hauptstädten Mossul und Kirkuk. Die Kurden beanspruchen besonders die Öl-Region Kirkuk. Sie fordern die Umsetzung eines Volksentscheids in den Provinzen sowie die Rückgängigmachung der damals unter Saddam Hussein betriebenen Ansiedlung von arabischstämmigen Menschen in Kirkuk.

Als letztes wurde bekannt, dass die kurdische Regionalregierung Geschäfte mit Kerosin, Rohbenzin und anderen Raffinerieerzeugnissen mit dem Iran ohne Wissen der Zentralregierung getätigt hat. Zudem würden Produkte verkauft, die der Irak wegen akuter Unterversorgung für viel Geld importieren müsse.

Die Öl- und Gasverträge bezeichnete das Ministerium für Rohstoffe in Bagdad als illegal. Nachdem aber die norwegische DNO als erster westlicher Ölkonzern die private Ölförderung aufgenommen hatte, erteilte Bagdad Mitte 2009 die Genehmigung zum Export. Den Verkauf nimmt die State Oil Marketing Organization (SOMO) Bagdad vor. Nötig wurde das Einschwenken der Bagdader Regierung, da der Ölexport durch die Pipeline nach dem türkischen Ceyhan befriedigt werden muss. Die Förderquoten im übrigen Land, die immer noch weit unter dem Stand vor der US-Invasion in den Irak liegen, reichten für den Betrieb der Pipeline nicht aus.

Besonders scharf wurde aus Bagdad der RWE-Vertrag verurteilt. Gasexporte hätten so lange zu unterbleiben, bis die nationale Versorgung des Irak, besonders die Stromversorgung, erreicht sei. Die Stromversorgung ist immer noch nicht nach sieben Jahren US-Besetzung wieder aufgebaut worden. Zuletzt gab es in Basra nach einem Totalausfall des Stromnetzes Auseinandersetzungen der protestierenden Bevölkerung mit den Sicherheitskräften.

Der außenpolitische Sprecher der kurdischen Regionalregierung erwiderte auf die Kritik Bagdads, dass man nicht warten werde auf "Anordnungen eines erfolglosen Ministeriums wie des irakischen Ölministeriums". Das Geld aus den Einnahmen der Pipeline werde man selber "gleichmäßig in alle irakischen Gebiete" verteilen. (Reuters, 31.8.2010)

Auf die Proteste Bagdads gegen den Verkauf von Petrolerzeugnissen an den Iran kündigte die kurdische Regionalregierung einen viermonatigen Stopp der Einspeisung von Öl in die Ceyhan-Pipeline aus Förderfeldern der kurdischen Region an.

Wirkten bisher die US-Truppen als Puffer zwischen den verschiedenen Lagern, prallen jetzt die unterschiedlichen Interessenslagen voll gegeneinander. Die kurdische Region ist die "Boom"-Zone des Irak. 1991 waren im kurdischen Norden ca. 90 % der Dörfer und 20 Städte und die wirtschaftliche Infrastruktur zerstört, die Bauern waren vertrieben und der größte Teil ihrer Felder vermint. Es gab keine Stromversorgung mehr, keine Heizöl- und Benzinlieferungen aus dem Irak.

Hunderttausende waren u.a. in die Grenzregion der Türkei geflohen. Die Region von der Größe der Schweiz mit 3,5 Millionen Menschen war nach 30 Jahren Krieg ausgeblutet. Nach dem ersten US-Golfkrieg wurden 1991 die irakisch-kurdischen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulemania mit der UN-Resolution 688 in eine UN-Sicherheitszone umgewandelt. 1992 wählten die Kurden ihr erstes Regionalparlament, das aber erst 1997 nach Beendigung des bewaffneten Konflikts zwischen der KDP (Barzani, kurdischer Regionalpräsident) und der PUK (Talabani, derzeit irakischer Staatspräsident) seine Arbeit aufnehmen konnte.

Dann entstand die autonome Region Kurdistan im Irak, die 13 % des Programms "Öl gegen Lebensmittel" erhielt. Diese Gelder, anfangs noch zur Lebensmittelversorgung der Bevölkerung verwandt, wurden ab 1997 in den Wiederaufbau der Region gesteckt. Innerhalb von vier Jahren wurden 4,9 Mrd. US-Dollar in die Infrastruktur investiert. Hinzu kamen Millionenbeträge aus Zoll-, Handels- und Öl-Exportgeschäften, die bei der kurdischen Regionalregierung verblieben. So entstand ein kurdisches Staatsgebiet mit heute mehr als 250.000 Staatsbeamten und einem eigenen stehenden Heer, das aus den 80.000 Peshmergas von KDP und PUK gebildet wurde. In den letzten 13 Jahren haben die beiden kurdischen Organisationen es verstanden, ihre gegenseitigen Machtansprüche auszutarieren. So entwickelte sich die kurdische Region unabhängig vom Irak unter Saddam Hussein. Im US-amerikanisch besetzten Irak war es die sicherste Zone und konnte weiter relativ unabhängig von Bagdad agieren. Mit Unterstützung aus Entwicklungshilfeprogrammen und seit 2003 mehr und mehr Milliarden ausländischen Investoren wurden große Teile des Nordiraks, die Infrastruktur an Eisenbahn, Strassen, Strom-, Gas- und Wasserversorgung sowie die Abwasserentsorgung, Bildungseinrichtungen, Telefon- und Datenkommunikation modern aufgebaut. Seit 2005 liegt das jährliche Wachstum der kurdischen Region bei 6 %. Das Bruttoinlandsprodukt liegt hier bei 4600 Dollar pro Einwohner, im übrigen Irak bei 3600 Dollar. (wp-irak.de, Bayerische Staatsregierung, 14.5.2010, Rheinischer Merkur, 22.7.2010) Der kurdische Norden hat so die übrigen Regionen des Irak abgehängt.

Die autonome kurdische Region ist auch ein Eldorado für Investoren. 2006 erließ die kurdische Regionalregierung ein Investitionsgesetz, das aus dem kurdischen Norden eine Freihandelszone macht: Zehn Jahre sind ausländische Unternehmen steuerfrei, Profite können zu 100 % aus dem Land geschafft werden, Landerwerb ist ohne Einschränkungen möglich und bei größeren Investitionen gibt es Grund und Boden umsonst.

Die Bauaufträge wurden anfangs meist von türkischen Unternehmen abgewickelt. Aus Deutschland waren anfangs nur Konzerne wie Züblin, Hochtief und Siemens sowie Ingenieurbüros tätig. Mittlerweile sind ABB Mannheim, Heinkel, MAN, Roland Druckmaschinen, Zenith Maschinenfabrik, Stahl Cranesystems, Bahn AG, Pfister, RWE, diverse Baufirmen, Consultingfirmen, Sicherheitsunternehmen usw. im Norden Kurdistans tätig. 2008 eröffnete das Goethe-Institut seine Niederlassung in Erbil. Für das Auswärtige Amt eröffnete Steinmeier im Februar 2009 das erste westliche Generalkonsulat in Erbil. Im Mai 2010 folgte die Einrichtung des Deutschen Wirtschaftsbüros von Bundeswirtschaftsministerium und Deutschem Industrie- und Handelstag (kurioserweise als gemeinnützige Einrichtung der Entwicklungshilfe). Zuletzt wurde mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes die Deutsche Schule in Erbil im September 2010 eröffnet. (wp-irak.de) Der Deutsche Generalkonsul Bantle sieht seine Aufgabe in enger Kooperation mit dem Deutschen Wirtschaftsbüro damit "mehr deutsche Firmen den Weg hierher finden". (Interview mit Aknews, 28.7.2010)

Aus Deutschland wird der oben beschriebene Konflikt zwischen der kurdischen Regionalregierung und Bagdad angeheizt, indem auf die Selbstbestimmung der Bodenschätze durch die kurdische Regionalregierung verwiesen wird. Solche Aussagen kamen seit 2009 von Steinmeier, vom Bundeswirtschaftsministerium, vom Generalkonsulat, vom Deutschen Wirtschaftsbüro usw. (wp-irak.de, Rheinischer Merkur usw.)

Besteht das Ministerium für Rohstoffe in Bagdad darauf, dass Öl- und Gasverträge nur von der staatliche SOMO geschlossen werden dürfen, erklärte der Minister für Energie und Bodenschätze der kurdischen Regionalregierung, dass Kurdistan ab 2014 bis zu eine Millionen Barrel Öl pro Tag produzieren werde, zehnmal mehr als die heutige Förderung. "Die kurdischen Ölreserven werden auf rund 45 Milliarden Barrel geschätzt, und die Reserven an Erdgas betragen etwa 20 Trillionen Kubikmeter. Wir werden Öl für die nächsten 50 Jahre haben." Die Existenz von Öl- und dem riesigen Gasvorkommen habe Kurdistan auf die Landkarte des weltweiten Energiemarktes gebracht und erlaube der Region nun dem Nabucco-Projekt beizutreten. (Aknews, 20.8.2010) Mit ihren Energiereserven rückt die Region Kurdistan an die sechste Stelle der weltweiten Öl- und Gasproduzenten. Die Nabucco-Pipeline soll vom Nordirak über die Türkei nach Österreich geführt werden und die Abhängigkeit der europäischen Gasversorgung von Russland reduzieren.

Wie und ob diese Konflikte gelöst werden können, wird die Regierungsbildung zeigen. Die Kurden werden sich letztlich ihre Stellung im Parlament als Zünglein an der Waage mit Zusagen bezahlen lassen. Die Nachbarstaaten Türkei und Syrien sind an einem säkularen und starken Zentralstaat Irak interessiert, der Iran unterstützt Projekte für einen konfessionellen Irak mit starken Regionen. Keiner ist aber an einem völlig autonomen kurdischen Föderalstaat interessiert. Dieser hat sich bisher nur unter dem Schutz der USA und der westlichen Verbündeten entwickeln können.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Karte: Verbreitung der Kurden in der Türkei, Irak und Iran
- Ex-Außenminister Fischer als RWE-Berater im Einsatz für die Gaspipeline Nabucco.

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AUSLANDSNACHRICHTEN

Mosambik: KleinbäuerInnen stärken!

In Mosambik lebt ein Großteil der Bevölkerung von kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Land ist die wichtigste Ressource, die den Bauern zur Verfügung steht. Das Landrecht von 1997 trägt dem Rechnung: Alles Land ist in Staatsbesitz, der Staat vergibt die Nutzungsrechte. Die Kleinbauern werden geschützt, indem die Gewohnheitsrechte der Gemeinden mit registrierten Landtiteln gleichgestellt werden. Soweit die Theorie. In der Praxis kennen viele das Gesetz allerdings nicht richtig. Dies führt immer wieder zu Konflikten zwischen der Landbevölkerung und Investoren. Seit großflächige Landnahmen ausländischer Konzerne in Mosambik an der Tagesordnung sind, hat sich diese Problematik deutlich verschärft. Der Bauernverband ORAM will verhindern, dass noch mehr Menschen ihr Land und damit ihre Lebensgrundlage verlieren. Er setzt sich schon seit Jahren erfolgreich für die Rechte von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ein. So auch in der Provinz Nampula im Norden Mosambiks. Dort haben sich fünf Bauernvereine zu einer Kooperative zusammengeschlossen, um gemeinsam Reis anzubauen und diesen lokal zu vermarkten. ORAM unterstützt die Bauern bei der Demarkierung und Registrierung ihres Landes, das insgesamt eine Fläche von etwa 4000 Hektar umfasst. Durch die Klärung, Dokumentation und Formalisierung des Landes wird Rechtssicherheit für die Kleinbauern geschaffen - und verhindert, dass sie Opfer von Landnehmern werden. Auf diese Weise stellt ORAM sicher, dass die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sich und ihre Familien dauerhaft mit Nahrungsmitteln versorgen.
Quelle: http://www.inkota.de


VW Brasilien: Unbefristeter Streik

Die Metallarbeiter von Volkswagen in Sao José dos Pinhais in Brasilien haben einen unbefristeten Streik beschlossen. Die Mitarbeiter des Werkes im südlichen Bundesstaat Paraná wollen mit der Arbeitsniederlegung gegen die "Nichtabgabe eines Angebotes zu Lohnerhöhung seitens der Konzernleitung" protestieren. 4000 Beschäftigte in den Montagehallen sowie 1600 Mitarbeiter von Zulieferbetrieben beteiligen sich nach Angabe der zuständigen Gewerkschaft. Der Produktionsausfall beträgt bis dahin 820 Autos der Modelle Golf, Fox, CrossFox und Fox Exportacao. Rund 30 Prozent der Fahrzeuge sind für den Export nach Europa und in benachbarte Länder Lateinamerikas vorgesehen. Die VW-Mitarbeiter fordern mittlerweile einen identischen Tarifabschluss wie ihre 5000 Kollegen im nahe gelegenen Werk des französischen Autobauers Renault eine Bonuszahlung von einmalig rund 1900 Euro, 10 Prozent Lohnerhöhung und eine Anpassung der Grundgehälter in Höhe von 10,08 Prozent. Auch im Volvo-Werk im Großraum Curitiba stehen am Wochenende die Bänder still. Die 2800 Mitarbeiter lehnten das letzte Angebot der Betriebsleitung ab und sind ebenfalls bis mindestens Montag in den Streik getreten. Im Bundesstaat Sao Paulo akzeptierten die Mitarbeiter bei Honda hingegen eine Anpassung ihrer Löhne um 10,5 Prozent. Bei Toyota wurde das Angebot der Arbeitgeber abgelehnt. In Camacari in Bahia im Nordosten Brasilien einigten sich die 10.000 Mitarbeiter des dortigen Ford-Werkes mit dem Konzern auf eine Lohnerhöhung von 9,4 Prozent.
Quelle: labournet.de


Konzerne im Goldrausch

Gold erzielt auf dem Weltmarkt Spitzenpreise. Das veranlasst transnationale Konzerne weltweit massiv Gold abzubauen, auch im guatemaltekischen Hochland. "Es gibt Pläne, da ist das gesamte guatemaltekische Hochland eine einzige Goldmine!", sagt Vinicio López, der Koordinator von COPAE (Kommission Frieden und Ökologie) der Diözese von San Marcos. Bisher existiert in der Region erst eine Goldmine der kanadischen Firma Goldcorp. Die guatemaltekische Regierung hat jedoch bereits weitere Konzessionen für den Goldabbau an internationale Konzerne vergeben. Doch schon die Existenz der bereits vorhandenen Mine Marlin hat verheerende Auswirkungen. Zunächst wurde der vorwiegend indigenen Bevölkerung mit zum Teil erpresserischen Methoden das Land zu Billigpreisen abgetrotzt. Heute gleicht die Gegend einer Mondlandschaft mit Kratern ohne jeden Pflanzenwuchs, Häuser bekommen Risse, das Wasser der Flüsse ist vergiftet, Quellen und Brunnen trocknen aus. Das alles geschieht unter Verletzung von internationalem wie nationalem Recht: Weder wurde die Bevölkerung über die Folgen des Goldabbaus aufgeklärt, noch wurde eine Volksbefragung durchgeführt. Genau dies macht nun COPAE. Sie organisiert den Widerstand der Bevölkerung, klärt sie über ihre Rechte auf und initiiert öffentliche Konsultationen zur Abstimmung über den Goldabbau. Inzwischen hat sich die Bevölkerung zum Widerstand formiert und in verschiedenen Gemeinden in Volksabstimmungen ihr Nein zum Goldabbau zum Ausdruck gebracht.
Quelle: http://inkota.de


Australische Gewerkschaften protestieren gegen Nestlé

Die australischen Gewerkschaften im Staat Neusüdwales veranstalteten am 30. August, angeführt von Unions NSW (vormals der Arbeitsrat), eine Demonstration vor dem Nestlé-eigenen Nespresso-Geschäft im Stadtzentrum von Sydney. Die Aktion, die vorübergehend zur Schließung des Nespresso-Geschäfts führte, diente der Unterstützung der der IUL angeschlossenen SBNIP, die die Beschäftigten der Nescafé-Fabrik in Panjang, Indonesien, vertritt. Die SBNIP kämpft seit 2008 für das Recht zur Aushandlung einer Kollektivvereinbarung, einschließlich Lohnsätzen. Statt zu verhandeln, hat die Nestlé-Betriebsleitung beharrlich versucht, die Gewerkschaft zu unterlaufen, und grundlegende Gewerkschaftsrechte verletzt, indem sie sich für eine gelbe Gewerkschaft eingesetzt und IUL-Mitglieder schikaniert und eingeschüchtert hat. Auf der Kundgebung gezeigte Plakate forderten "Schluss mit Nespressionen: Schluss mit dem Missbrauch von Nescafé-Arbeiter/innen in Indonesien", "Schluss mit Nespressionen: Achtet die Arbeitsrechte der indonesischen Nescafé-Arbeiter/innen" und "Nespressionen: Hinter dem Kaffee übt Nestlé Druck auf die Arbeitnehmerrechte aus". Mark Lennon, der Sekretär von Unions NSW, erklärte: "Unions NSW wird die Bemühungen der IUL um die Aushandlung einer Kollektivvereinbarung für die Nestlé-Beschäftigten in Indonesien weiter unterstützen. Wir lehnen die gewerkschaftsfeindlichen Taktiken Nestlés zur Untergrabung der Arbeitnehmerrechte ab". Charley Donnelly, der IUL-A/P-Regionalpräsident und Generalsekretär der Nationalen Arbeitergewerkschaft, Australien (NUW) erklärte: "Es ist höchste Zeit, dass Nestlé auf hört, die indonesischen Arbeitnehmer/innen zu drangsalieren, und wie ein verantwortungsbewusstes globales Unternehmen agiert. Es ist höchste Zeit, dass die Nespressionen aufhören und dass Nestlé damit beginnt, mit der IUL-Mitgliedsgewerkschaft eine neue Kollektivvereinbarung über die Lohnsätze auszuhandeln".
Quelle: ifu.org


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REGIONALES UND GEWERKSCHAFTLICHES

AKTIONEN ... INITIATIVEN


Mehr als erwartet demonstrierten gegen Atomkraft

BERLIN. 100.000 Menschen demonstrierten am 18.9.2010 in Berlin gegen Atomkraft und umzingelten das Regierungsviertel. Mit Sonderzügen und über 150 Bussen waren Menschen aus dem ganzen Land nach Berlin gereist, um gegen die Atompläne der Bundesregierung zu demonstrieren. Es wird in den nächsten Wochen zahlreiche örtliche, regionale und landesweite Aktionen geben.

In Rheinland-Pfalz demonstrieren die Menschen in immer mehr Städten jeden Montag gegen die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken.

Die Stuttgarter umzingeln am 6.10. unter dem Titel "Keine Laufzeitverlängerungen - Energiewende sofort!" den Stuttgarter Landtag. Die badenwürttembergische Landesregierung mit Ministerpräsident Stefan Mappus an der Spitze fordert eine massive Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke.

Am 9. Oktober bilden die Münchener eine Menschenkette zwischen den Zentralen der Atomlobby: CSU-Zentrale, EON, Siemens, Bayerisches Umweltministerium. Damit wird ein symbolisches Band für Erneuerbare Energien geknüpft und klargestellt: Die Energiewende ist möglich! Jetzt!

Unmittelbar vor der geplanten Verabschiedung der geplanten Atomgesetz-Novelle findet am 23. Oktober die nächste bundesweite Aktion statt, der Castor-Strecken-Aktionstag.

Anfang November sollen dann wieder Castoren nach Gorleben rollen. Ein breites Bündnis ruft auf, noch bevor der Castor kommt, mit Kind und Kegel in Dannenberg zu demonstrieren. Das wird nach Lage der Dinge am 6. November sein, wenn gleichzeitig eine Großveranstaltung des DGB in Hannover stattfindet. Beide Aktionen werden kooperieren, nicht konkurrieren, ein RednerInnen-Austausch ist abgesprochen. Und auch wenn die Castoren dann rollen, werden mehr Menschen im Wendland sein als jemals zuvor. Erstmals findet z.B. aus der Atommülllager-Region rund um Braunschweig (Morsleben (ERAM), Schacht Konrad, Asse II) ein gemeinsamer Treck ins Wendland und ein gemeinsames Camp statt.
www.anti-atom-demo.de, www.bund.net


Protest gegen "Bundeswehrpatenschaft" der Stadt

GAMMERTINGEN. Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. protestiert gegen eine Ende 2009 von den Gemeindevertretern der Stadt Gammertingen eingegangene "Patenschaft" mit einer Bundeswehreinheit. Sie sehen in dieser "Bundeswehrpatenschaft" neben anderem auch eine Form der Unterstützung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr und ein Instrument der Öffentlichkeitsarbeit für den Afghanistankrieg. Unter anderem werden Unterschriften unter einen "Offenen Brief" an Bürgermeister Jerg gesammelt. Bis Ende September unterschrieben 444 Menschen und Organisationen. Die Protestaktion gegen die Gammertinger "Bundeswehrpatenschaft" steht zugleich exemplarisch für rund 700 andere Orte, in denen in ähnlicher Weise versucht wird, die Unterstützung der Bevölkerung für den Krieg in Afghanistan (und anderswo) zu steigern.
www.tebenshaus-alb.de


DB macht "letztes Angebot" an NS-Opfer

BERLIN. Einem "letzten Angebot" der DB AG haben sich die osteuropäischen Opfer der NS-Deportationen gebeugt. Die Überlebenden der Reichsbahn-Transporte in die Konzentrations- und Vernichtungslager hatten die DB AG um Unterstützung für ehemalige Häftlinge gebeten, die sich in hohem Alter befinden und hinfällig sind. Nach monatelangen Verhandlungen präsentierte der DB-Vorstand Ende September ein "letztes Angebot". Wäre es nicht angenommen worden, sollten die Opfer leer ausgehen, berichten Verhandlungsteilnehmer. Demnach entfällt auf die etwa 200.000 Überlebenden der Reichsbahn-Beihilfe zum Massenmord ein einmaliger Gesamtbetrag in Höhe von 25 Euro pro Person. Die 25 Euro werden von der DB AG auf mehrere Jahre verteilt, so dass das Unternehmen pro Jahr und Person lediglich 5 Euro abgeben will. Statt den Betrag zur individuellen Auszahlung zu bringen, wird er einer deutschen Stiftung übereignet. Sie entscheidet über die Verteilung, entwirft "Projekte" und erhebt Verwaltungskosten. Die Verteilung erstreckt sich auf Überlebende in Polen, der Tschechischen Republik, der Ukraine, in Weißrussland und Russland. In diesen Ländern lebt ein Großteil der Reichsbahn-Opfer unter sozial schwierigen Verhältnissen und erhielt niemals deutsche Entschädigungen.

Bei den im Juni 2010 begonnenen Verhandlungen hatten es die Unterhändler des DB-Vorstands abgelehnt, die Opfer aus den Deportationseinnahmen der Reichsbahn zu restituieren. Dieses Blutgeld (mindestens 445 Millionen Euro heutiger Währung) wurde nach Kriegsende weder von den Reichsbahn-Erben in der Bundesrepublik noch von den Rechtsnachfolgern in der DDR zurück gezahlt. Inklusive Zinsen ist ein Betrag von 2,2 Milliarden Euro aufgelaufen. Auch anfängliche Bitten um humanitäre Hilfe im Wert von ca. 150 bis 300 Euro je Opfer wiesen die Unterhändler des DB-Vorstands zurück. Ihr erstes Angebot lautete auf eine "Spende" im Gesamtwert von 5 Euro pro Deportationsopfer (1 Million Euro) und wurde bis Ende September auf einmalig 25 Euro (insgesamt 5 Millionen Euro) erhöht. Die deutsche Bürgerinitiative "Zug der Erinnerung", die das Verhalten der DB AG als "soziale Nötigung" bezeichnet, prüft eine Klage vor internationalen Gerichten. "Schuld und Schulden der Bahn-Eigentümer sind weder finanziell noch moralisch abgegolten", heißt es in einer Stellungnahme des gemeinnützigen Vereins. "Die DB AG, das größte europäische Logistikunternehmen mit Milliardeneinnahmen, wird ihren Verpflichtungen nicht entgehen."
www.zug-der-erinnerung.eu


Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria auffüllen!

BERLIN. Am 28. September 2010 fanden im Rahmen der Global Week of Action in Kapstadt und New York City - und auch in Berlin und Bremerhaven - Protestaktionen statt. Um der Forderung nach multilateraler Unterstützung Nachdruck zu verleihen und um zu zeigen, dass junge Menschen in Deutschland die Einhaltung der Versprechen im Kampf gegen HIV einfordern, kamen mehr als 100 Schülerinnen und Schüler in Bremerhaven zusammen und tanzten den "Dance of Life". Das Aktionsbündnis gegen Aids organisierte die Protestaktion im Rahmen der Global Week of Action zusammen mit dance4life, der weltweit größten Jugendbewegung gegen HIV/Aids, und dem Jugendprojekt Peer Up! - Jugend bildet Zukunft! von World Vision. Auch Ärzte ohne Grenzen unterstützte mit einer Mini-Aktion in Berlin den Global Day of Action. Mit dem Banner "Gegen Aids, Malaria und Tuberkulose: Den Globalen Fonds aufstocken statt kürzen!" demonstrierten sie vor Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit. Im Oktober steht nun die Wiederauffüllungskonferenz für die Jahre 2011, 2012 und 2013 an. Bundesminister Niebel plant die Mittel ab 2012 zu streichen. Er möchte das bilaterale Engagement Deutschlands in der weltweiten Gesundheitspolitik stärken. Das Aktionsbündnis gegen Aids kritisiert diese Haltung.
www.aids-kampagne.de


10.10.2010 - Bundesweite Demo gegen Mangelernährung bei Hartz IV

OLDENBURG. Die großen Netzwerke der Erwerbslosen sind von den durch Bundesarbeitsministerin Ursula von Leyen vorgestellten Details zur Neuberechnung der Hartz IV-Regelsätze enttäuscht. Sie rufen zu einer bundesweiten Demonstration am 10. Oktober in Oldenburg auf. Das Motto lautet: "Krach schlagen - statt Kohldampf schieben! 80 Euro für Ernährung sofort!" Hier soll auf die schlechte Ernährungssituation von Hartz IV-Beziehern, auf die erbärmlichen Beschäftigungsverhältnisse im Discounthandel und die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in der Produktion von Nahrungsmitteln aufmerksam gemacht werden. Auch den Bauern und Landarbeitern - gleich ob in Deutschland, in den Folientunneln von Almeria oder den Kakaoplantagen Zentralafrikas stehen faire Einkommen zu. Dumpingpreise sind überall unakzeptabel. "Wir Erwerbslose wollen Regelsätze und Einkommen für alle, die eine ausreichende und gesunde Ernährung ermöglichen - von dem wir uns z. B. auch 'faire Milch' in Läden kaufen können, in denen Mitarbeiter von ihrem Lohn noch anständig leben können, weil wir das richtig und wichtig finden", so Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (Also) und ergänzt: "Zu wenig Hartz IV ist schlecht für alle! - 80 Euro mehr sofort für eine gesunde Ernährung."
www.krach-statt-kohldampf.de
www.bag-plesa.de


Kopftüten-Aktion für transparentere Polizeiarbeit

BERLIN. Amnesty-Aktivisten der Berliner Hochschulgruppen von Humboldt-, Technische und Freie Universität haben am 23. September 2010 am Bahnhof Zoo mit einer Aktion zum Amnesty-Bericht "Täter unbekannt" auf das Thema rechtswidrige Polizeigewalt auf merksam gemacht. Ein großes Banner verwies auf die Internetseite der Amnesty-Kampagne. Kopftüten verdeckten die Gesichter einiger Aktivisten - eine Anspielung auf die mangelnde Identifizierbarkeit von Polizisten und das Kampagnen-Motto "Nichts zu verbergen".

Fabian Joeres, einer der beteiligten Amnesty-Mitglieder, berichtet: Wir haben Kampagnenflyer und unterschriftsreife Postkarten an Berlins Innensenator Körting und den Bundesinnenminister an Passanten verteilt, die sich sehr interessiert zeigten. Auch zwei anwesende Polizisten waren gegenüber unserem Anliegen sehr aufgeschlossen und haben mit Interesse den Polizeiflyer gelesen, mit dem sich die Kampagne extra an Polizisten wendet. Besonders gefreut haben wir uns, dass beide Polizisten Namensschilder trugen!

Das freiwillige Tragen von Namensschildern ist auf eine Initiative des Berliner Polizeipräsidenten Glietsch zurück zu führen. Bisher konnte er jedoch seinen (auch von Innensenator Körting geteilten) Wunsch einer verpflichtenden individuellen Kennzeichnung durch Nummern oder Namen der Berliner Polizisten nicht durchsetzen.
www.amnestypolizei.de


Rot-Grün verschleppt Verfahren zur Studiengebührenabschaffung

DÜSSELDORF. Die Minderheitsregierung hatte sich in den gemeinsamen Koalitionsverhandlungen bereits darauf geeinigt, dass das Studiengebührenaufkommen mit einem Betrag in Höhe von 249 Millionen Euro pro Jahr aus dem Landeshaushalt ausgeglichen werden solle. Doch nun zeichnet sich der politische Kunstgriff der vermeintlich marginalen Terminverschiebung ab - entgegen der Ankündigung der NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze, dass die Landtagsanhörung zur Abschaffung der Studiengebühren auf den 29. Oktober 2010 gelegt werde, soll diese jetzt erst am 26. November 2010 stattfinden. "Anscheinend will die Landesregierung sich so weitere Diskussionen mit den davon betroffenen Studierenden ersparen, denn dieser Versuch einer Terminverschiebung könnte bedeuten, dass die Studiengebühren in NRW erst im Wintersemester 2011/12 abgeschafft werden", erklärt Christina Schrandt, Sprecherin des Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS). "Denn die von den Studierenden geforderte Abschaffung von Studiengebühren zum Sommersemester 2011 setzt nach wie vor einen Nachtragshaushalt 2010 mit einer Verpflichtungsermächtigung für das Jahr 2011 voraus", so Schrandt weiter. "Es ist unglaublich, wie Rot-Grün die längst überfällige Studiengebührenabschaffung mit Vorsatz verschleppt!" empört sich Alexander Lang, ebenfalls Sprecher des ABS. "Aber die Studierenden wissen sehr wohl einzuschätzen, wie hier ein Sachzwang konstruiert werden soll, um die offensichtlich divergierenden Planungen der Landesregierung doch durchzusetzen!" bekräftigt Lang abschließend. Das ABS fordert daher die ParlamentarierInnen im Wissenschaftsausschuss des Landtages NRW auf, in dessen Sitzung am 8. Oktober 2010 für eine zügige Abschaffung der Studiengebühren zum Sommersemester 2011 zu sorgen, da die unredliche Herangehensweise der Landesregierung NRW an dem oben genannten Beispiel aufzeigt, dass eine zeitnahe Abschaffung der Studiengebühren durchaus möglich ist.
www.abs-bund.de


Discover Fairness! Aktiv für Menschenrechte

BERLIN. Anlässlich des Welttags für Menschenwürdige Arbeit am 7. Oktober plant die Kampagne für Saubere Kleidung gemeinsam mit dem österreichischen Clean Clothes Kampagne und der tschechischen Organisation Fair Trade Czech eine europaweite Aktionswoche. Unter dem Motto "Discover Fairness! Aktiv für Menschenrechte" wollen wir Outdoor-Firmen unter Druck setzen, ihrem Image gerecht zu werden und sich nachhaltig für Arbeitsrechte einzusetzen! Wir nehmen nicht länger hin, dass die ArbeiterInnen bei den Zulieferern von Outdoor-Firmen unter miserablen Bedingungen arbeiten und erklettern dafür die Straßen von Berlin! Komm vorbei ... am Donnerstag, 7. Oktober, dem Tag für Menschenwürdige Arbeit, um 17.20 Uhr zum Berliner Kongresszentrum am Alexanderplatz, um dich für bessere Arbeitsbedingungen in der Outdoor-Industrie einzusetzen! Sobald AktivistenInnen aus einzelnen Plakaten das Wort "Solidarität" zusammensetzen, stell Dich dazu und rufe mit uns zusammen zu "Solidarität!" mit den TextilarbeiterInnen auf! Zieh dir dein Funktionsshirt, Windstopperjacke, Goretex-Hose oder Softshellweste - kurz: deine Outdoorkollektion - an, um den Effekt zu verstärken. Oder unterstütze uns in deinem Alltagsoutfit ...
www.saubere-kleidung.de

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"Vattenfall Ruhr" - Kommunen als "Global Player"?

Stadtwerke Konsortium Rhein Ruhr plant Übernahme von Steag

Von Jonas Bens und Thorsten Jannoff

Kommunale Versorger aus den Ruhrgebietsstädten Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen und Oberhausen sowie aus Dinslaken, Krefeld und Saarbrücken haben sich zum Stadtwerke-Konsortium Rhein Ruhr zusammengeschlossen, um möglicherweise einen 51 Prozent-Anteil an der Evonik-Steag zu erwerben. Noch ist unsicher, ob es zu dem Deal kommt, aber in jedem Falle ist diese Offerte ein Anzeichen für ein neues Selbstbewusstsein der kommunalen Unternehmen in NRW. Aber viele Fragen sind noch ungeklärt.

Hinter dem Objekt der Begierde, Evonik- Steag, verbirgt sich die Energiesparte des Evonik-Mischkonzerns, der aus der alten Ruhrkohle-Aktiengesellschaft (RAG) hervorgegangen ist (s. Kasten). Mit den Verkaufserlösen will die RAG-Stiftung ihren Verpflichtungen aus dem Steinkohlefinanzierungsgesetz zur Bezahlung der sog. "Ewigkeitskosten" nachkommen. Diese Kosten ergeben sich z.B. in der dauerhaften Unterhaltung von Bergwerkspumpen, ohne die Teile des Ruhrgebietes sprichwörtlich unter Wasser stehen würden. In einem ersten Schritt sollen 51 Prozent verkauft werden, der Rest soll in zwei Jahren folgen. In dem Verkaufspaket befinden sich neben Steinkohlekraftwerken an acht Standorten in Deutschland und zwei Raffineriekraftwerke auch drei Steinkohle-Großkraftwerke in Kolumbien, der Türkei und den Philippinen. Der Wert von Evonik-Steag soll bei rund 3,6 Mrd. Euro liegen, abzüglich bestehender Verpflichtungen bleiben 1,3 Mrd. Euro. Der Verkauf soll nur als Gesamtpaket stattfinden, eine "Filetierung" soll auch nach dem Verkauf ausgeschlossen werden.

Das Konsortium hat bisher ein indikatives, d.h. noch nicht verbindliches Angebot gemacht. Zwei weitere Bieter sind auch noch in der engeren Wahl: Der Entsorger Remondis sowie die türkische Park-Holding. Das Stadtwerke-Konsortium gilt als Favorit. Aus der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) gibt es widersprüchliche Signale. Zwar sind ihr die kommunalen Gesellschaften als zukünftiger Sozialpartner lieber als die beiden anderen Bieter. Auf der anderen Seite fürchtet sie um ihre Vormachtsstellung, weil bei den Stadtwerken die Gewerkschaft Verdi fest verankert ist. Deshalb tritt die IGBCE auch dafür ein, dass nur 49 Prozent der Evonik-Steag verkauft werden.

Sollte dieser Deal zustande kommen, würden das Stadtwerke-Konsortium zum Energie-Oligopol aus RWE, Eon, EnBW und Vattenfall aufschließen, wobei Eon und RWE durch Schachtelbeteiligungen an einigen Stadtwerken und Kraftwerken auch mit beteiligt wären. Bereits bis Ende Oktober müssen die verbliebenen drei Bieter ein verbindliches Angebot abgeben. Bisher wird nur hinter verschlossenen Türen auf den Chefetagen der Stadtwerke verhandelt, die Aufsichtsräte sind höchstens informiert worden. Das Ganze wirft eine Unmenge von offenen Fragen auf, die ein Bündnis linker Fraktionen aus den betroffenen Städten aktuell diskutiert.


Die betriebswirtschaftlichen Fragen

Momentan ist durch den Blick von außen kaum überschaubar, ob der Deal für das Stadtwerke-Konsortium überhaupt wirtschaftlich Sinn macht. Es stellen sich Fragen: Rechnen sich die Instandhaltungs- bzw. Stilllegungskosten im Verhältnis zum möglichen Gewinn, wie sieht es mit den Emmissionsrechten aus, wie wirken sich die längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke auf den gesamten Strommarkt in diesem Zusammenhang aus, welche langfristigen vertraglichen Bindungen bestehen?

Über einige dieser und anderer Fragen zur Rentabilität und der Finanzierung wird selbst in höheren Chefetagen der Stadtwerke im Nebel gestochert. Vereinzelt wird es als unmöglich angesehen, bis Ende Oktober einen Finanzierungsplan und eine gemeinsame Strategie auch in Hinblick des ökologischen Umbaus zu erarbeiten. Da vier Kraftwerke als überaltert gelten, hätte das Konsortium aber wohl in absehbarer Zeit die undankbare Aufgabe diese abzuwickeln und Sozialpläne aufzustellen. So könnte es passieren, dass Evonik überalterte, unrentable Kraftwerke auf Kosten der Kommunen los wird.


Chance für regenerative Energie?

Auch stellt sich die Frage nach einem Ausbau erneuerbarer Energien. Bei Evonik-Steag handelt es sich vorrangig um ältere Kohlekraftwerke, nicht gerade die gewünschte Energieversorgung der Zukunft. Es dürfte höchst fraglich sein, ob die Ausrichtung auf Kohlekraftwerke die Ausrichtung auf die Erzeugung von erneuerbarer Energie fördert, weil das ökonomische Interesse an einem möglichst langen Betrieb der erworbenen Grundlastkraftwerke überwiegt. Möglicherweise wäre ein sinnvolles Szenario denkbar, in dem aus den Gewinnen weitere Investitionen zur Förderung von regenerativer Energie finanziert werden könnten. Dies ist allerdings bisher völlig unklar. Ein nicht zu unterschätzender Effekt könnte sich allerdings durch die Übernahme der Fernwärmenetze der STEAG ergeben, um zusätzliche Synergieeffekte im Hinblick auf die Übernahme der Verteilnetze und den Ausbau lokaler Erzeugung in Kraftwärmekopplung zu erreichen.


Das Demokratieproblem

Unabhängig davon, wie es ausgeht: Ein erhebliches strukturelles Demokratiedefizit wird jetzt schon sichtbar. Denn bisher gab es in keinem parlamentarischen Gremium der betroffenen Städte auch nur eine Information über diese Planungen, eine gründliche Debatte über kommunale Strategien zur Energiepolitik hat schon gar nicht stattgefunden, von Bürgerbeteiligung ganz zu schweigen. Die Stadträte sind aber zustimmungspflichtig.

Weil die Zeit drängt, hat sich das Konsortium mit der Steag darauf geeinigt, das Angebot vorbehaltlich einer nachträglichen Zustimmung der Stadtparlamente abgeben zu können. Dann bleibt den Ratsmitgliedern nur noch übrig, das Vorhaben im Nachhinein abzunicken oder abzulehnen.

Selbst wenn die Stadtparlamente zustimmen sollten und damit das Vorhaben formal demokratisch legitimieren: Tatsächlich hätte dann ein exklusiver Kreis weniger Menschen über einen wesentlichen Aspekt der Grundstruktur und der Daseinsvorsorge für viele Millionen Menschen mehr oder weniger im Alleingang entschieden. Das wären schlechte Vorraussetzungen für den politischen Einfluss der Stadtparlamente auf die weitere strategische Ausrichtung des Konsortiums. Allerdings ist das Problem der mangelnden Transparenz im Verhältnis Öffentlichkeit/Stadtparlamente/Aufsichtsräte städtischer Gesellschaften auch kein neues und wirft offene Fragen für linke Kommunalpolitik auf wie die nach mehr Wirtschaftsdemokratie.


Das strategische Grundproblem

Betrachtet man die linken strategischen Ansätze für eine Energie- und Industriepolitik dann drängen sich sofort weitere Fragen auf. Ein strategischer Ansatz geht in jedem Falle in Richtung auf die Förderung regenerativer Energien bei gleichzeitiger Kommunalisierung und Dezentralisierung der Energieversorgung. Im Wahlprogramm der Partei Die Linke NRW taucht zusätzlich auch die Forderung nach einer Vergesellschaftung der großen Stromkonzerne auf. Diese Forderungen stehen in einem Spannungsfeld, das sich am konkreten Beispiel des Steag-Deals verdeutlichen lässt.

Steigt das Stadtwerke-Konsortium in Steag ein, so wird ein neuer Konzern geboren, der es durchaus mittelfristig mit den vier Energieriesen Eon, Vattenfall, RWE und EnBW in der Bundesrepublik aufnehmen könnte. Hier zeigt sich, dass die Forderung nach Kommunalisierung nicht zwangsläufig auch Dezentralisierung bedeuten muss. Auch Vattenfall ist ein Konzern in staatlicher Hand und keineswegs ein Garant für eine gemeinwohlorientierte, sozialökologische Firmenpolitik. Die Forderung nach dezentralisierter Energiepolitik in kommunaler Hand hat ihren Sinn über die Frage nach dem öffentlichen Eigentum hinaus. Öffentliches Eigentum ist insbesondere dann wichtig, wenn dies genutzt wird, um eine politische und demokratische Kontrolle der entsprechenden Firmenpolitik durchzusetzen.

Jede und Jeder, die oder der einmal in einem kommunalen Gremium gesessen hat, wird allerdings zugeben, dass diese Vorstellung über weite Strecken eine Illusion ist. Ab einer gewissen Größe der Unternehmen, und dies ist bei den Stadtwerken größerer Städte oft schon der Fall, findet eine effektive Kontrolle durch die kommunalen Mandatsträger, geschweige denn durch eine breitere Öffentlichkeit, nicht oder nur in den seltensten Fällen statt. Selbst wenn Fachkunde und Engagement auf politischer Seite vorhanden sind, müsste es grundsätzliche Veränderungen in der Art und Weise geben, wie Informationen ausgetauscht und aufbereitet werden. Denn das neue Konsortium hätte eine derart unüberschaubare Größe, und eine so hohe Anzahl zuständiger Räte, dass mit der bisherigen Struktur nicht viel zu machen ist. Zu beachten ist auch, dass das neue Konsortium gleichzeitig auch mit den drei ausländischen Kraftwerken in den Weltenergiemarkt einsteigen würde, was die Koordinaten weiterhin zuungunsten kommunaler Belange verschieben und die Beteiligten überfordern dürfte.

Das gleiche Problem würde sich bei einer, natürlich fern jeder politischen Möglichkeit stehenden Vergesellschaftung etwa von RWE stellen. In solchen Fragen wird gern nach Belegschaftsbeteiligungen gerufen. Dass allerdings Belegschaften, so wichtig ihre gesteigerte Beteiligung an den Unternehmensentscheidungen auch ist, vorrangig gemeinwohlorientierte und sozialökologische Energiepolitik im Auge hätten, ist ebenso illusorisch. Belegschaftsvertreter, und das ist ihre vorrangige Aufgabe, haben die Interessen ihrer Kolleginnen und Kollegen im Auge. Diese beiden Interessen müssen nicht immer deckungsgleich sein.

Ein Szenario könnte langfristig eine Energieversorgung sein, die sich aus kleineren kommunalen Unternehmen zusammensetzt, deren strategische Steuerung durch die kommunale Politik und durch zunehmende Transparenz auch durch die kommunale Öffentlichkeit erfolgt. Energieriesen, selbst wenn sie in öffentlichem Eigentum stehen, kann eine konsequent gemeinwohlorientierte und ökologische Energiepolitik nur unter ungleich schwierigeren Bedingungen abgerungen werden.


Was tun?

Es sind eindeutig zu viele Fragen offen, um eine eindeutige Antwort darauf zu geben, ob das Stadtwerke-Ruhr-Konsortium in Evonik-Steag einsteigen sollte. Auch wenn es betriebswirtschaftlich stimmt und eine konsequente Umgestaltung der kohledominierten Energiesparte zu regenerativen Energien erreicht werden könnte, wäre der Deal keine ideale Lösung. Ist es aber besser die Kraftwerke weiter in privater Hand zu lassen? Ob man sich langfristig einen Gefallen mit einem fünften, staatlichen Energieriesen tut, darf allerdings bezweifelt werden. Die Entscheidung bleibt also schwierig.


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Die Evonik Industries AG mit Sitz in Essen ist ein deutscher Mischkonzern mit den Geschäftsfeldern Chemie, Energie und Immobilien, die als so genannter "weißer Bereich" aus der RAG Aktiengesellschaft ausgegliedert wurden. Evonik beschäftigte Ende 2009 rund 38.700 Mitarbeiter und hatte einen Jahresumsatz von 13,1 Milliarden Euro.

Das Unternehmen wurde am 14. September 2006 als RAG Beteiligungs-AG gegründet, die den sogenannten "weißen Bereich" der RAG Aktiengesellschaft umfasste. Im September 2007 wurde das Unternehmen im Rahmen einer großen Werbekampagne in Evonik Industries AG umbenannt.

Die Altaktionäre Eon, RWE, Thyssen-Krupp und ArcelorMittal übertrugen zum 1. Dezember 2007 ihre Anteile an Evonik vollständig auf die RAG-Stiftung. Eigenen Angaben zufolge sollte das Unternehmen zwischen 2010 und 2013 an den Kapitalmarkt geführt werden. Im Juni 2008 erwarb der britische Finanzinvestor CVC Capital Partners für 2,4 Milliarden Euro einen Anteil von 25,1 Prozent an Evonik. CVC setzte sich damit gegen andere Interessenten wie den amerikanischen Finanzinvestor Blackstone durch.

Geschäftsfelder: Die bisherigen Tochterunternehmen Degussa, Steag und RAG Immobilien treten einheitlich unter der Marke Evonik Industries auf.

Die Evonik Steag GmbH, eine 100-prozentige Tochter der Evonik Industries AG, ist der fünft größte deutsche Stromerzeuger. Gegründet am 20. September 1937 als Steinkohlen-Elektrizität AG in Lünen hat sie heute ihren Firmensitz in Essen. Das Kerngeschäft bildet aus der Tradition heraus die Stromerzeugung in Steinkohlekraftwerken.

Die Steag betreibt neun Steinkohle- und zwei Raffineriekraftwerke in Deutschland und hat drei Standorte im Ausland (in der Türkei, Kolumbien und den Philippinen). Weiterhin stellt die Steag Strom in Industriekraftwerken und Anlagen zur dezentralen Energieversorgung her. Die installierte elektrische Gesamtleistung national und international beträgt rund 10.000 Megawatt. Weitere Geschäftsgebiete des Unternehmens sind Energie-Dienstleistungen, Fernwärme, erneuerbare Energien (Biomasse, Geothermie, Biogas) und Handel mit Kohle sowie CO2-Zertifikaten. Im Jahre 2008 haben die rund 4.700 Mitarbeiter etwa 3,6 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet.

aus: Wikipedia


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Eigentumsstruktur der Mitglieder des Stadtwerke-Konsortiums Rhein Ruhr:
Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW 21): 53% DSW21, 47% RWE Netz AG (Netzbetreiber und Versorger Dortmund)
Dortmunder Stadtwerke AG (DSW21): 100% Stadt Dortmund (Holding)
Duisburger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH (DVV): 100% Stadt Duisburg (Holding);
Die DVV ist mit 60% an den Stadtwerken Duisburg beteiligt, RWE und eon halten je 20 %, Netze ebenso
Energieversorgung Oberhausen AG: 50 % Stadtwerke Oberhausen, 50 % RWE Netz (davon je 10 % direkt, 80 % über gemeinsame Tochter FSO
Stadtwerke Bochum: 100 % Kommunal (in gem. Holding mit Witten und Herne) inklusive Netz
Stadtwerke Dinslaken: 95 % Stadt Dinslaken, 5 % Stadtwerke Moers; hat Netz und gemeinsame Fernwärmetöchter mit Evonik Fernwärme und Stadtwerken Duisburg.
Stadtwerke Essen: 51 % Stadt Essen (via Holding EVV), 29 % RWE Netz, 20 % Thüga, Netz bei RWE
Stadtwerke Krefeld: 100% Stadt Krefeld, auch Netztochter

Beteiligung am Konsortium
DVV Duisburg
SWK Krefeld
Stadtwerke Bochum
DSW 21 Dortmund
DEW 21 Dortmund
Stadtwerke Essen
Stadtwerke Dinslaken
EVO Oberhausen
Stadtwerke Saarbrücken
16,0 %
15,0 %
15,0 %
14,5 %
12,0 %
12,5 %
5,0 %
5,0 %
5,0 %

Raute

KOMMUNALE POLITIK

Millionen für Banken - Eiszeit bei Hartz IV: FRANKFURT A.M. Der Reiche sitzt auf einem Sack voll Geld, die Schneemänner und die Schneekanone verbreiten eine Eiseskälte - so machte die Fraktion Die Linke. im Römer heute Nachmittag auf dem Römerberg auf die Politik der sozialen Kälte lautstark aufmerksam. "Eiszeit für die Masse-Geldsegen für die Bankerklasse" war das Motto. Fünf Euro mehr für Hartz IV-Bezieher, während Banker wieder Millionen Boni einstreichen - eine nicht hinnehmbare Politik, welche die soziale Schieflage der Gesellschaft zementiert. Der sozialpolitische Sprecher der Fraktion, Hans-Joachim Viehl, betont: "Erwerbslose und Arbeitnehmer sollten in diesen Zeiten zusammenstehen. Schließlich sind sie alle von der Umverteilung von unten nach oben betroffen." Fraktion und Kreisverband der Linken kündigen weitere Aktionen im heißen Herbst an.
http://dielinke-im-roemer.de


Einführung des Sozialtickets im VRR: ESSEN. Die Essener Ratsfraktion der Linken begrüßt es, dass der VRR jetzt die Einführung eines Sozial-Tickets auf den Weg bringen will. Ein dicker Wermutstropfen ist allerdings, dass es das Sozialticket erst ab 1.7. 2011 geben soll. In Essen beantragte Die Linke bereits im Februar 2008 die Einführung eines Sozialtickets, die vom Rat später mit großer Mehrheit beschlossene Einführung scheiterte damals am Veto des Regierungspräsidenten. Gabriele Giesecke, stellvertretende Fraktionsvorsitzende: "Wir sind sehr erfreut, dass das Engagement der Hartz TV-Initiativen, der Gewerkschaften und anderen nun Früchte trägt. Alleine in Essen gibt es rund 41.000 Bedarfsgemeinschaften mit über 81.000 Leistungsberechtigten, die vom Sozialticket profitieren können.

Wir unterstützen die Ankündigung, dass auch Mensch mit niedrigen Einkommen, die wohngeldberechtigt sind, in den Nutzerkreis einbezogen werden sollen, wie es in Köln schon gehandhabt wird." ... Mit voraussichtlich 22,50 Euro bringt das geplante Sozialticket so für viele eine deutliche Entlastung, sie müssen aber immer noch mehr für Mobilität aufbringen, als im Regelsatz vorgesehen. ... Nach Berechnungen des VRR ergibt sich aus dem Verkauf des verbilligten Tickets ein erhöhter Zuschussbedarf von 15 Mio. Euro jährlich. Wird der vom Land NRW nicht oder nicht in der Höhe gedeckt, würde der VRR das Sozialticket womöglich teuer machen. Dazu Gabriele Giesecke: "Wir erwarten, dass die rot-grüne Landesregierung ihre Zusage einhält, diesen Zuschussbedarf zu übernehmen ...
http://die-linke.de/nc/politik/kommunal/aktuelles_aus_den_kommunen/


Stärkeren Ausbau der Kindertagesstätten: HANNOVER. Die Linke im Rat der Landeshauptstadt Hannover sieht dringenden Nachholbedarf beim Ausbau der Kindertagesstätten. "Das Beispiel Hainholz zeigt, dass das derzeitige Angebot an Kita-Plätzen ganz offensichtlich nicht ausreicht", so Oliver Förste, Ratsherr der Linken. "Da hilft es auch nicht, wenn auf dem Papier aufgrund statistischer Kniffe eine hundertprozentige Versorgung vorgegaukelt wird." So werde der seit 16 Jahren bestehende Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zur Farce. "Für die Integration ist ein Kindertagesstättenplatz enorm wichtig", so Förste. "Gerade in Stadtteilen mit einem hohen Anteil an Zuwanderern müssen mehr Kita-Plätze geschaffen werden." Kaum ein anderer Stadtteil in Hannover weist einen so hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund auf wie Hainholz. Sowohl in der Sozialstatistik wie auch beim Bildungsmonitoring nahm Hainholz zuletzt einen der hinteren Plätze ein. "Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig, den Kindern einen guten Start in die Zukunft zu ermöglichen. Sonst wird dieser Stadtteil auf lange Zeit abgehängt bleiben."
www.linksfraktion-hannover.de


Anfrage: Milliardenverluste auch für die Stadtwerke München? MÜNCHEN. Vergangene Woche einigte sich die Schwarz-gelbe Bundesregierung auf die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke. Die Entscheidung wird die Stadtwerke laut dem Vorsitzenden der Stadtwerkvereinigung 8KU, Albert Filbert mit 4,5 Milliarden Euro belasten. Die Stadtwerke befürchten eine Gefahr für ihre Investitionen in umweltfreundliche Energieerzeugung. Auch die Windenergiebetreiber rechnen mit negativen Folgen. Die Auslastung des Kraftwerksparks der städtischen Unternehmen wird sinken. Die Entscheidung entziehe den Stadtwerken die Grundlage für alle zukünftigen Investitionen in Kraftwerke, so Filbert. Bis 2030 sei soviel Erzeugungskapazität vorhanden, dass es keine neuen Bauvorhaben geben werde. Laut Filbert sei damit der Wettbewerb quasi tot. Auch die Stadtwerke München GmbH hat Milliarden in die Förderung von regenerativen Energien investiert.

Vor diesem Hintergrund stelle ich die folgenden Fragen: Welche finanziellen Verluste drohen den SWM durch die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke? Wie wollen die SWM die eventuell auf tretenden Verluste abfangen? Wie sind die SWM im Falle von Milliardenverlusten versichert? Wie wirkt sich die Entscheidung der Bundesregierung auf die geplanten Projekte einerseits und die sich in der Umsetzung befindenden Projekte andererseits aus? Falls die Projekte gestoppt werden, können die SWM die Verträge mit ihren Partner einfach lösen oder drohen rechtliche Konsequenzen und eine finanzielle Belastung? Falls die SWM an ihren Zielen festhalten, wie wirkt sich das auf das Investitionsrisiko aus? Können die SWM ihrer Aufgabe als kommunaler Energieversorger künftig noch gerecht werden und den BürgerInnen im Sinne der Gemeinwohlorientierung günstige und sozialverträgliche Energie anbieten? (Orhan Akman, Stadtrat der Linken)
www.dielinke-muenchen-stadtrat.de


Ja zur Aufnahme von Flüchtlingen! BOCHUM. Wie der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen unterstützt auch Die Linke im Rat die Kampagne "save me - Flüchtlinge aufnehmen!" und bringt dazu im Migrationsausschuss am kommenden Dienstag einen Antrag ein. Die Linksfraktion möchte erreichen, dass Bochum einen Appell an die Bundesregierung für ein Neuansiedlungsprogramm richtet und zudem die eigene Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen signalisiert. Millionen schutzbedürftige Flüchtlinge weltweit befinden sich heute in einer ausweglosen Lage. Die Erstzufluchtländer sind meist arm und strukturell überfordert. Deshalb sieht Die Linke auch Deutschland in der Pflicht, Flüchtlingen Schutz zu bieten. Andere europäische Staaten und auch Kanada und die USA übernehmen in dieser Frage mehr Verantwortung. "Wir wollen uns als Kommune ausdrücklich dazu bekennen, Flüchtlinge bei uns aufzunehmen und unseren Teil dazu beizutragen, dass Schutzbedürftige, die sich in ausweglosen Situationen befinden, eine neue Heimat finden und eine Lebensperspektive erhalten", erklärt Aygül Nokta von der Linksfraktion. "Es wäre gut, wenn Bochum dem positiven Beispiel anderer Kommunen - wie Aachen, Düsseldorf, Bonn, Hannover, München und Schwerin - folgen würde und sich bereit erklärt, Flüchtlinge aufzunehmen."
www.dielinke-bochum.de


SPD lehnt Linken-Antrag auf Erlass der Kita-Gebühren für Hartz IV-Empfänger und Geringverdienende ab: HAMBURG. Der Antrag der Linken "Ausgrenzung beenden und Gebührenerhöhungen zurücknehmen" (19/7408) wurde nicht nur erwartungsgemäß mit den Stimmen von Schwarz-Grün abgelehnt, sondern in drei Punkten auch von der SPD-Fraktion. Darunter Ziffer 4 des Antrags, die den Senat auffordert "zum 1.1.2011 bei Bezieherinnen und Beziehern von ALG II und bei geringfügig Beschäftigten mit gleichem Einkommen keinen Kita-Beitrag für deren Kinder zu erheben und so den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen." Sowie Ziffer 7: "Es werden zusätzliche Gelder für Sprachförderung eingesetzt, um einen Rechtsanspruch für Kinder mit "sozial bedingtem Bedarf" zu begründen, der auch Sprachförderung umfasst." Mehmet Yildiz, Sprecher für Kinder, Jugend und Familie erklärt dazu: "In der Aktuellen Stunde zu den neuen Hartz IV-Regelsätzen hat die SPD noch Krokodilstränen über die Lage der Betroffenen vergossen. Wenn es konkret wird und die Hartz IV-Betroffenen und Geringverdiener von den Kita-Beiträgen, einschließlich Essen, freigestellt werden sollen, stimmen sie dagegen. Das ist nicht nachvollziehbar."
www.die-linke-hh.de


Für Übernahme der Sparkassenbeteiligungen durch die Stadt: KÖLN. Die Entscheidung des Hauptausschusses, dem Sparkassen-Rettungspaket zuzustimmen, führt dazu, dass die Städte Köln und Bonn Risiken eingehen. Dieser Vorgang ist zum Teil durch die anderen Ratsfraktionen selbst verursacht, indem sie Anfang 2009 einen Ratsentscheid gegen die Stimmen der Linken erzwangen, der Sparkasse KölnBonn 350 Mio. Euro als Kapitaleinlage zur Verfügung zu stellen. Der private Bankenverband beschwerte sich daraufhin bei der EU-Kommission, die umgehend ein Beihilfeverfahren einleitete. Dazu erklärt Fraktionssprecher Jörg Detjen: "Wir sind schon etwas zornig auf die anderen Fraktionen - keine nachdenkliche Stimme, kein Wort des Bedauerns. Dass die EU-Kommission mit ihrer neoliberalen Bankenpolitik die Sparkassen im Visier hat, war doch allen vorher schon klar. Jetzt auf die EU-Kommission zu schimpfen ist eine dünne Ausrede. Unsere Forderung, dass sich die Sparkasse um ihr Kerngeschäft kümmern und nicht als Global Player auftreten soll, wird jetzt auf Druck von oben durchgesetzt. Die geplanten Maßnahmen zum Arbeitsplatzabbau und die Schließungen von Filialen lehnen wir ab. Dadurch sollen Kunden und Mitarbeiter der Sparkasse die Krise bezahlen, die sie nicht verursacht haben." Die Fraktion Die Linke tritt dafür ein, jetzt eine Kaufgarantie für die elf zu erwerbenden Firmen der Sparkasse einzugehen. Faktisch ist das eine unfreiwillige Re-Kommunalisierung, die wir grundsätzlich befürworten. Die AWB blieb nach dem Trienekens-Skandal auch ein 100%iges Unternehmen der Stadt Köln. Die Ergebnisse dieser Skandale sind frappierend ähnlich. Fraktionssprecherin Gisela Stahlhofen, Mitglied im Hauptausschuss, erklärt: "Die Linke wird der Übernahme der Sparkassen-Beteiligungen und der Genussrechte der RSFG mbH durch die Stadt Köln zustimmen, weil wir die Sparkasse als öffentliches Kreditinstitut erhalten und die Arbeitsplätze verteidigen wollen. Diese Abwägung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der Entscheidung erhebliche Belastungen bzw. Risiken für die Stadt eintreten können, insbesondere dann, wenn sich die Konjunktur nicht langfristig erholt.
www.linksfraktion-koeln.de


Gesetzentwurf verschärft Personalmangel in Krankenhäusern: FRANKFURT AM MAIN. Der Deutsche Städtetag appelliert an Bundesregierung und Bundestag, im laufenden Gesetzgebungsverfahren zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sicherzustellen, dass die Schere zwischen steigenden Ausgaben der Krankenhäuser und nahezu stagnierenden Einnahmen nicht immer weiter auseinanderklafft. "Für die Krankenhäuser muss es möglich gemacht werden, ihre Personalkostensteigerungen von über 1 Milliarde Euro durch Krankenkassenleistungen zu finanzieren. Sonst wird sich der Personalmangel weiter verschärfen. Das bedeutet zwangsläufig: weniger Zeit für die Patienten und steigende Belastung für das Pflegepersonal und die Ärzte", sagte die Präsidentin des kommunalen Spitzenverbandes, die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, heute anlässlich der Konferenz kommunaler Krankenhäuser in Frankfurt am Main.

Aber auch der medizinisch-technische Fortschritt und die demografische Entwicklung führen zu Kostensteigerungen. Nur jeder zehnte Euro davon, insgesamt 150 Millionen Euro, könnte nach dem vorliegenden Gesetzentwurf durch wachsende Einnahmen der Krankenhäuser gedeckt werden. Dadurch werde für die Kliniken eine Finanzierungslücke von über 1 Milliarde Euro entstehen. Schon jetzt können laut einer aktuellen Studie des Deutschen Krankenhausinstituts 5.500 Arztstellen in deutschen Krankenhäusern nicht besetzt werden. Zudem gebe es keinen Grund, die drastisch gedeckelten Einnahmen der Krankenhäuser für zwei Jahre, also auch für 2012 festzuschreiben. Denn die Finanzsituation der Gesetzlichen Krankenkassen stellt sich nach Angaben des Gesundheitsministeriums aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs im ersten Halbjahr 2010 deutlich positiver dar als ursprünglich angenommen. Die städtischen Krankenhäuser erbringen Leistungen, die für eine funktionierende Gesundheitsversorgung der Bevölkerung unerlässlich sind, wie Vorkehrungen für Katastrophenfälle, eine umfassende Notfallversorgung rund um die Uhr und die unerlässliche Facharztweiterbildung. Rund ein Drittel der insgesamt etwa 2100 Krankenhäuser werden von den Kommunen getragen. Diese Häuser versorgen aber rund die Hälfte aller Patienten. Sie seien unverzichtbar, um den Versorgungsauftrag für die Bevölkerung zu erfüllen, so Roth.
www.staedtetag.de


Steuerumverteilung zulasten des ländlichen Raumes: SÖMMERDA. Das Präsidium des Deutschen Landkreistages hat die Überlegungen des Bundes zur Reform der Kommunalsteuern vehement abgelehnt. In seiner Sitzung im thüringischen Landkreis Sömmerda forderte das Präsidium den Bund auf, die Pläne umgehend fallen zu lassen. Präsident Landrat Hans Jörg Duppré sagte: "Sollte sich dieser Vorschlag in der Gemeindefinanzkommission durchsetzen, würden dem ländlichen Raum zugunsten der größeren Städte wichtige Steuereinnahmen in einer Größenordnung von mehreren Milliarden Euro entzogen, auf die die ländlichen Kommunen existenziell angewiesen sind. Dazu darf es keinesfalls kommen!" Nach dem sog. modifizierten Prüfmodell ist geplant, künftig alle Gewinneinkünfte der Betriebsstätte zuzuschlagen. Damit würden vor allem Steuerleistungen von Selbstständigen und Unternehmern, die bislang den Gemeinden im Umland größerer Städte zustehen und die für die Finanzierung des ländlichen Raumes von großer Bedeutung sind, in die großen Städte umgeleitet. Duppré warnte vor diesem Hintergrund vor einer drohenden Unwucht zulasten der ländlichen und strukturschwächeren Gebiete: Würde das Prüfmodell mit dieser Neuerung umgesetzt werden, wären Umverteilungen zulasten der Umlandgemeinden und zugunsten der größeren Städte in der Größenordnung von mehreren Milliarden Euro zu befürchten. "Dadurch würden letztlich die ohnehin schon wirtschaftsstarken Städte wie München, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg oder Stuttgart profitieren, die es aufgrund ihrer Steuerkraft nicht nötig haben." Duppré illustrierte dies am Beispiel von Berlin: "Um Berlin sind die Landkreise bewusst wie Tortenstücke geschnitten, so dass sie sowohl über einen Teil im Speckgürtel zur Großstadt als auch über strukturschwaches Hinterland verfügen. Dies ermöglicht es, einen natürlichen Ausgleich zwischen wirtschafts- und strukturschwachen Kreisteilen herzustellen. Wird nun die Hauptfinanzquelle der Kreistätigkeit nach Berlin umgelenkt, so werden die ausgleichenden Pfeiler gekappt und es kommen auf das gesamte Kreisgebiet erhebliche Probleme zu. Die Folge wäre ein weiterer Abstieg der ohnehin bereits strukturschwachen ländlichen Räume."
www.landkreistag.del


(Zusammenstellung. ulj)

Raute

Streit um Freiheit von Gewerkschaften und Gesetz zur Tarifeinheit

Das Bundesarbeitsgericht hat am 7. Juli 2010 nach mehr als 50 Jahren seine Rechtsprechung geändert: Das Prinzip "Ein Betrieb - Ein Tarifvertrag" wurde aufgehoben. Galten bislang im Betrieb zwei Tarifverträge mit unterschiedlichen Gewerkschaften, so verdrängte bisher der speziellere, z. B. Haustarifvertrag, den allgemeineren, z. B. Flächentarifvertrag. Zukünftig sollen bei Entgelt, Arbeitszeit, und Urlaub beide Tarifverträge nebeneinander gelten. Der Grundsatz der Tarifeinheit wird aufgegeben, die Arbeitsbedingungen können durch unterschiedliche Tarifverträge für die jeweiligen Gewerkschaftsmitglieder geregelt werden.

Schon vor der seit längerem absehbaren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hatten sich, freilich aus unterschiedlichen Motiven heraus, Arbeitgeberverbände (BDA) und die im DGB organisierten Gewerkschaften für den Erhalt der Tarifeinheit eingesetzt. Sie wollen nunmehr ein Gesetz, dass folgendes sicherstellt:

Überschneiden sich die Geltungsbereiche von Tarifverträgen unterschiedlicher Gewerkschaften, soll nur der Tarifvertrag gelten, an dem die Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb gebunden ist. Bei allen tariflichen Regelungen soll also das Mehrheitsprinzip entscheiden. Für die Laufzeit dieses Tarifvertrages soll, wie bisher, Friedenspflicht gelten. Die Friedenspflicht soll jedoch auch für Tarifverträge gelten, die nach diesen Grundsätzen nicht zur Geltung kommen.

Die Initiative von BDA und DGB hat Unterstützung bei den politischen Parteien gefunden, jedoch auch zur Kritik von Gewerkschaftern herausgefordert.

Wir veröffentlichen Auszüge aus einem Beitrag von Thomas Klebe (*), dem Justiziar der IG Metall, indem er noch mal auf die Unterbietungskonkurrenz christlicher Gewerkschaften im Organisationsbereich der IG Metall eingeht und die Haltung der IG Metall gegenüber Kritik verteidigt. Der vollständige Beitrag ist auf der Internetseite der IG Metall zu finden.

Auf zwei wesentliche sehr ausführliche kritische Beiträge gegenüber der Initiative von BDA und DGB wollen wir auch hinweisen:

• Tarifkonkurrenz als gewerkschaftliche Herausforderung: Ein Beitrag zur Debatte um die Tarifeinheit. Der Autor Heiner Dribbusch setzt sich in dem WSI-Diskussionspapier Nr. 172 branchenübergreifend mit den Ursachen der Entwicklungen in der tarifpolitischen Landschaft der letzten Jahre auseinander.
Quelle: www.wsi.de

• Vom Versuch, Tarifautonomie und Streikfreiheit zu halbieren. Wider die Tarifeinheitsfront. Der Autor Detlev Hentsche, bis 2001 Vorsitzender der Gewerkschaft Medien, setzt sich kritisch mit der Gesetzesinitiative von BDA und DGB als auch kritisch mit dem Wirken von Spartengewerkschaften auseinander.
Quelle: www.nrhz.de/flyer/beitrag.hp?id=15388

Bruno Rocker

(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Schattenblick übernimmt die Auszüge aus einem Beitrag von Thomas Klebe zur Diskussion um die Tarifeinheit nicht.

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Stahlabschluss: tarifliche Gleichstellung der Leiharbeiter erreicht

Die tarifliche Gleichstellung der Leiharbeiter ist wohl das wichtigste Ergebnis im jüngsten Tarifabschluss Stahl. Dieser Abschluss kam unter für die IG-Metall günstigen Voraussetzungen zustande: Die Stahlbranche boomt in weiten Teilen, von den ca. 85.000 Beschäftigten dort sind 77.000 in der IGM organisiert, das ist ein Organisationsgrad von rund 90 Prozent. Der Anteil der Leihbeschäftigte in der Branche beträgt ca. 3.000, bzw. rund. 3,5 Prozent der Belegschaften, ein eher niedriger Anteil. Für die Konzerne ist das leicht bezahlbar, es hat aber trotzdem Signalwirkung. Das gesamte Ergebnis wird im Folgenden aus einer Pressemitteilung der IG Metall zitiert. (tja)


3,6 Prozent höhere Einkommen ab Oktober, die Gleichstellung von Leiharbeitern und Einmalzahlungen noch für September. Das ist das Verhandlungsergebnis, auf das sich IG Metall und Arbeitgeber in der Stahltarifrunde 2010 einigen konnten.

In der dritten Verhandlungsrunde für die rund 85.000 Stahlarbeiter in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen kam es nach mehrstündigen Verhandlungen in Düsseldorf zum Durchbruch.

Mehr Geld: Die Löhne und Gehälter steigen ab 1. Oktober 2010 um 3,6 Prozent. Die Ausbildungsvergütungen werden überproportional in allen Ausbildungsjahren um 40 Euro erhöht. Die Laufzeit hierfür ist bis zum 31. Oktober 2011 vorgesehen.

Einmalzahlungen: Für September 2010 gibt es eine Einmalzahlung von 150 Euro.

Faire Leiharbeit: Leiharbeiter erhalten in allen Betrieben der Stahlindustrie das gleiche Geld wie die Stammbeschäftigten. Wenn die Verleihfirma die Arbeit nicht gleich bezahlt, haftet das Stahlunternehmen gegenüber dem Leiharbeiter.

Raute

WIRTSCHAFTSPRESSE

Bauindustrie will Zusagen für Kraftwerksneubau. FAZ, Mo. 20.9.10. Der Präsident der deutschen Bauindustrie, H. Bodner, fordert die Bundesregierung auf, in ihr Energiekonzept aufzunehmen, von 2015 an neue konventionelle Kraftwerke zu bauen. Um nicht von 2020 an eine Lücke in der Versorgungssicherheit entstehen zu lassen, müssten nach einer Studie des Instituts der deutsche Wirtschaft von 2015 an neue konventionelle Kraftwerke gebaut werden. Den Investitionsbedarf beziffert das IW auf 28,5 Mrd. Euro. "Selbst wenn die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängert werden, muss auch in konventionelle Kohle- oder Gaskraftwerke investiert werden", so Bodner, der zugleich Vorstandsvorsitzender von Bilfinger Berger ist. "Wenn wir nur auf Erneuerbare setzen, müssen wir in einigen Jahren Strom importieren, der weniger umweltfreundlich hergestellt wird als hier - oder Atomstrom aus Frankreich."


Private Abfallwirtschaft verlangt mehr Recycling. FAZ, Sa. 25.9.10. Die vom Bundesumweltministerium geplanten Reformen in der Müllentsorgung werden von Umweltverbänden, aber auch von der privaten Abfallwirtschaft kritisiert. Die Bundesregierung will für Hausmüll eine Recyclingquote von 65 % vorschreiben, kaum mehr als die 63 %, die heute schon wiederverwertet werden. Der Bundesverband der Entsorgungswirtschaft (BDE) sprach sich dafür aus, dem Recycling eindeutig Vorrang vor der Müllverbrennung zu geben. Vor allem befürchten die Privaten, das Ministerium könnte größere Teile des Entsorgungsgeschäftes den Kommunen überlassen. Dem Entwurf zufolge sollen die Kommunen grundsätzlich Zugriff auf den gesamten Hausmüll einschließlich aller recycelbaren "Wertstoffe" wie Glas, Papier, Metall oder Kunststoff bekommen.


Der Kampf gegen Stuttgart 21 beunruhigt die Wirtschaft. FAZ, Mi. 29.9.10. Arbeitgeberpräsident D. Hundt sieht sich von 40 Mitgliedsverbänden legitimiert, wenn er fordert, das Projekt Stuttgart 21 zu realisieren, und zwar ohne Wenn und Aber. Um eine führende Position in Europa zu behalten, sei eine wettbewerbsfähige Infrastruktur unabdingbar, sagte Hundt. Jenseits inhaltlicher Argumente mahnt Hundt die Verlässlichkeit und Rechtssicherheit demokratisch legitimierter Entscheidungen an, die er als Voraussetzung für private wie auch unternehmerische Investitionsentscheidungen sieht. Wenn Stuttgart 21 gekippt werde, dann habe dies verheerende Auswirkungen auf die Reputation als rechtssicherer und verlässlicher Wirtschafts- und Investitionsstandort, warnte Hundt: "Ich halte das für eine Gefährdung unserer repräsentativen Demokratie."

Zusammenstellung: rst

Raute

Basel III

Das Eigenkapital der Banken soll höher und "härter" werden

Von Rüdiger Lötzer und Georg Stingl

Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht hat am 12. September nach langjähriger Diskussion neue international geltende Regeln für Mindestkapitalanforderungen für die Banken verabschiedet. Dem Ausschuss gehören die Chefs der Notenbanken und Bankenaufsichtsbehörden aus den 29 größten Wirtschaftsländern an. Die Regierungen der G20 werden diese auf ihrem Gipfel in Seoul im November formell beschließen.

Der Ausschuss ist bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich angesiedelt, die - 1930 zur Sicherung der Reparationszahlungen Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg gegründet - zu den ältesten internationalen Wirtschaftsinstitutionen zählt und quasi als Zentralbank der nationalen Notenbanken fungiert. Mit der Bewältigung der Bankenkrise war u.a. das Komitee für Bankenüberwachung befasst, welches 1974 nach dem Zusammenbruch der deutschen Herstatt Bank gegründet wurde. Es hat Vorarbeiten für das neue Regelwerk geleistet. Außerdem widmet sich ein Finanzstabilitätsrat Aspekten der Systemstabilität des Bankensystems.

Die beschlossene Erhöhung des Mindestkapitals ist bisher die einzige international wirksame Konsequenz aus der Finanzkrise. Dies zeigt, dass das Feld der Bankenregulierung weiter hart umkämpft ist. Über die Ursachen der Finanzkrise und die Methoden der Vorbeugung besteht kein Konsens und die verschiedenen Bankengruppen wehren sich naturgemäß gegen jede Beschränkung ihres Geschäftsfeldes. Übereinstimmung besteht aber offensichtlich weltweit, dass die bisherige extrem niedrige Eigenkapitalquote von 2% hartem Eigenkapital aus dem Vorläuferabkommen Basel II mit dazu geführt hat, dass Banken ohne die sonst erforderliche Rücksicht auf ihre Eigentümer exzessive Risiken eingegangen sind, und notleidende Kredite auch nicht teilweise intern abfedern konnten.

Noch eine Woche vor der Beschlussfassung hatte der Bundesverband Deutscher Banken als Vertretung der Privatbanken mit Horrorzahlen vor "massiven volkswirtschaftlichen Folgen" gewarnt. Die zehn größten deutschen Banken benötigten 105 Mrd. Euro an zusätzlichem Eigenkapital. Allein die neue Kennziffer, mit der die Bilanzsumme einer Bank auf das 33fache des harten Eigenkapital begrenzt werden soll, zwinge die Banken zu einer Eigenkapitalaufnahme von 36 Mrd. Euro. Gelinge diese Eigenkapitalaufnahme nicht, müssten sie 1 000 (Tausend!) Mrd. Euro an Krediten abbauen, ein Drittel aller von deutschen Banken in Europa vergebenen Kredite. (FAZ, 7.9.2010)

Ganz so schlimm ist es dann doch nicht gekommen. Am Tag nach der Entscheidung stiegen die Kurse der Bankaktien sogar noch, um dann nur ein paar Prozentpunkte zu fallen.

Die Regeln von Basel III

Ab 2013 muss das sog. "harte Kernkapital" 3,5% der "risikogewichteten Aktiva" betragen, und bis 2019 auf 4,5% steigen. Risikogewichtung bedeutet, dass wie auch schon unter Basel II die Kredite der Banken je nach Bonität des Schuldners gewichtet in die Bemessung des Eigenkapitals eingehen. Je nach verwendetem Risikomodell kann man da durchaus zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Gegenüber Basel II bedeutet dies aber eine Verdopplung des harten Eigenkapitals. Dieses muss aus Aktien und Gewinnrücklagen bestehen. Ab 2016 ist ein zusätzlicher "Kapitalpuffer" von bis zu 2,5% aufzubauen, ebenfalls aus "harten" Komponenten. Zudem sollen die Banken einen weiteren antizyklischen Puffer bis zu 2,5% aufbauen, der sich nach den nationalen Besonderheiten ausrichten und eine Vorsorge bei extremen Kreditwachstum darstellen soll. Die Eigenkapitalanforderungen werden durch die oben genannte risikounabhängige Verschuldungskennziffer ("Leverage Ratio") ergänzt, die als Absicherung für die risikoabhängigen Kennziffern dienen soll. (Pressemitteilung der Bank für internationalen Zahlungsausgleich,
http://www.bundesbank.de/download/presse/pressenotizen/2010/20100912.biz.pdf)

Kapitalinstrumente, die per Definition nicht mehr dem harten Kernkapital zugerechnet werden, wie z.B. die "stillen Einlagen" in den deutschen Landesbanken, zählen bei den öffentlich rechtlichen Instituten schrittweise bis 2023 nicht mehr als hartes Eigenkapital. Bei Banken in privater Rechtsform bereits bis 2013. Dies bedeutet einen weiteren Baustein für den Niedergang der in der Finanzkrise besonders gebeutelten Landesbanken (siehe Kasten am Artikel-Ende).

Ereignisse in den paar Tagen seit der Beschlussfassung zeigen, dass die Eigenkapitalregeln, obwohl erst in ein paar Jahren verbindlich, schon jetzt Wirkung für die Risikovorsorge der Banken zeigen: Die Deutsche Bank ging mit der größten Kapitalerhöhung ihrer Geschichte auf den Markt. Rund 10 Mrd. Euro bedeuten eine 50%ige Erhöhung des Eigenkapitals. Dies in Zusammenhang mit dem Kauf der Postbank, deren Eigenkapital aber auch künftig die Basel III-Kriterien erfüllen muss. WestLB und BayernLB geben konkrete Fusionsgespräche bekannt. Die Staatsgarantien für die marode HRE werden anlässlich deren Spaltung in eine "Bad Bank" und eine "Good Bank" locker um 42 Mrd. Euro erhöht.

Folgen von Basel III

"Basel III" soll Banken kapitalkräftiger machen, damit sie bei einem größeren Ausfall von Krediten, die sie an Dritte vergeben haben, nicht gleich in Insolvenzgefahr geraten. Diese Wirkung wird vermutlich auch eintreten, wenn sich alle Länder daran halten, wenn sie künftig Versuchen der Banken, auf "Offshore-Plätze" auszuweichen, einen Riegel vorschieben und wenn sie die Regeln von Basel III auch wirklich umsetzen.

Eine zweite Folge dürfte sein: Man wird sich im Finanzgewerbe von Eigenkapitalrenditen von 25% vermutlich verabschieden müssen. Das dürfte weltweit die Anlage von Kapital im Finanzgewerbe dämpfen und renditesuchendes Kapital in andere Branchen umlenken. Länder wie Großbritannien, über das noch kürzlich Gesamtmetall-Chef Kannegießer großmäulig lästerte, außer Popmusik und Finanzgewerbe habe das Land heute wirtschaftlich nichts mehr zu bieten, werden Umstrukturierungen ihrer Volkswirtschaft erleben. Auch in den USA dürften die Zeiten, da das Finanzgewerbe 40% und mehr aller offiziell ausgewiesenen Profite aufwies, dem Ende zugehen.

Für die Beschäftigten im globalen Bankgewerbe bedeutet Basel III deshalb keine gute Nachricht. Die Branche wird schrumpfen. Tendenziell besteht auch die - vermutlich geringe - Gefahr, dass die Kreditvergabe eingeschränkt wird. Allerdings dürften eher die Kategorien von Bankgeschäften besonders betroffen sind, "die wir ohnehin nicht haben wollen", um den österreichischen Notenbank-Präsidenten Nowotny zu zitieren (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.9.2010).

Was alles nicht beschlossen wurde

Auf der anderen Seite dürfte die Hoffnung, das globale Finanzgewerbe werde durch Basel III krisenfester, vermutlich ein Irrtum sein. Schließlich hatte auch "Basel II" schon höhere Eigenkapitalquoten verlangt, die globale Finanzkrise der letzten drei Jahre aber am Ende keineswegs verhindert. Die Basler Regeln gelten zudem nur für Banken im engeren Sinne und nicht für Hedgefonds, Private Equity Firmen und andere Finanzunternehmen. Hier wird die Theorie verfolgt, dass die Kundschaft der Hedgefonds qualifiziert ist, das Risiko ihrer Einlagen selbst einschätzen zu können. Die Hedgefonds standen diesmal auch nicht im Zentrum dieser Finanzkrise, können aber bekanntlich auch Systemkrisen auslösen.

Keinerlei internationalen Konsens gibt es auch weiterhin über Art oder Höhe von Bankenabgaben oder -steuern, um deren Eigentümer oder Management zur Finanzierung von Krisenkosten heranzuziehen oder auch nur steuernden Einfluss auf ihre Geschäftspolitik zu nehmen.

Zu einer internationalen Bankenaufsicht mit Durchgriffsmöglichkeit auf die nationale Ebene wurden in Europa gerade erste Schritte gemacht.

Keine Übereinstimmung gibt es auch darüber, wie verhindert werden kann, dass einzelne Banken so groß und mächtig werden können, dass eine Rettung durch den Steuerzahler nur bei Strafe einer Systemkrise unterbleiben kann. Immerhin hat die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf zur Bankenabgabe auch ein Verfahren beschrieben, mit dem im Ernstfall eine scheiternde Bank nicht komplett "gerettet" werden müsste, sondern auch teilabgewickelt werden kann. Seine Realitätstüchtigkeit bleibt aber umstritten.


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Die deutschen Landesbanken - eine traurige "Bilanz"

Die Landesbanken, namentlich Sachsen LB, WestLB, BayernLB, HSH Nordbank und Landesbank Baden-Württemberg, haben bekanntlich in der Finanzkrise besonders "gelitten".

Ursache dafür ist nach allgemeiner Auffassung die Unklarheit über ihr "Geschäftsmodell". Sie haben in der Regel keine Massenprivatkundschaft, refinanzieren sich daher über den Kapitalmarkt, und die Kreditvergabe ist nicht regional beschränkt, wie man aufgrund ihres Namens und Eigentümerstruktur meinen sollte. 2001 wurde die Gewährträgerhaftung der Länder für die Risiken dieser Banken aufgrund einer Klage der EU-Kommission wegen wettbewerbsverzerrender staatlicher Beihilfen durch den Europäischen Gerichtshof mit Wirkung vom 19. Juli 2005 aufgehoben. Verbindlichkeiten der Landesbanken, die bis dahin eingegangen wurden und bis zum 31. Dezember 2015 fällig werden, unterliegen aber noch der Gewährträgerhaftung.(1)

Diese Schonfrist haben die Landesbanken genutzt, um auf die Schnelle unverhältnismäßig viele Einlagen aufzunehmen - zu "Gewährträger-Konditionen", also günstig für sie. Da diese Einlagen ihre Kreditvergabemöglichkeiten weit überstiegen, legten sie diese - mit Expertise von Beratungsunternehmen - im Kreditverbriefungsmarkt an, und heizten damit die US-Immobilienblase an, mit den bekannten Folgen. Die anschließenden Rettungsmaßnahmen genehmigte die EU-Kommission nur unter Auflage weiterer Privatisierungen bzw. Verkäufe dieser staatlichen Unternehmen. Zur Zeit läuft der Zug wohl in Richtung einer oder zweier Dachinstitute für den Sparkassensektor.

Basel III beschleunigt diesen Zerlegungs- und Konzentrationsprozess durch die Definition des "harten Kernkapitals". Die sogenannten stillen Einlagen werden nicht mehr dafür anerkannt. Stille Einlagen bedeuten einerseits, dass der Eigentümer nicht in die Unternehmensführung eingreifen will, andererseits kann vertraglich die Teilnahme an den Verlusten der Bank im Unterschied zu Aktienkapital eingeschränkt werden. Stille Einlagen können befristet sein und können die merkwürdigste Gestalt annehmen. Das Land Hessen hat z.B. ein Sondervermögen "Wohnungswesen und Zukunftsinvestition" geschaffen, das die Forderungen des Landes aus den zwischen 1948 und 1998 gewährten zinsgünstigen Krediten zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus umfasst. Dieses Sondervermögen wurde als unbefristete stille Einlage in das Kapital der Helaba eingebracht. Als Gegenleistung für diese Einlage zahlt die Helaba dem Land eine Festvergütung, die in den ersten vier Jahren nach der Transaktion nicht auf den vollen Wert des übertragenen Vermögens, sondern auf in jährlichen Schritten ansteigende Tranchen entrichtet wurde. Stellt man sich vor, dass im Krisenfall Gläubiger oder Insolvenzverwalter auf dieses "Eigenkapital" zugreifen wollen, bekommt man ein Verständnis dafür, warum das kein "hartes" Eigenkapital darstellt. Diese "stille" Einlage wurde übrigens deswegen "lärmend", weil der Bundesverband deutscher Banken wieder einmal gegen die Helaba wegen unzulässiger staatlicher Beihilfen klagte - diesmal erfolglos.(2)

Basel III hat jetzt die stille Einlage für Banken in privater Rechtsform ab 2013 für unzulässig erklärt. Öffentlich-rechtliche Institute bekommen eine Übergangsfrist bis 2023, in der jährlich 10% der stillen Einlage durch "hartes" Eigenkapital ersetzt werden muss. Nach Angaben des Bundesverbandes öffentlicher Banken summieren sich die stillen Einlagen bei den deutschen Banken auf insgesamt 50 Milliarden Euro, bei den Landesbanken machen die stillen Einlagen im Einzelfall bis zu einem Drittel des Kernkapitals aus. (FAZ 6.9.2010) Das Eigenkapital wird also aufgrund Basel III in der Regel erhöht werden müssen, zusätzlich werden die stillen Einlagen durch Landesmittel zu ersetzen sein. Linke Landespolitik und linke Programmdiskussion wird dies berücksichtigen müssen.

Literatur:

1) (http://de.wikipedia.org/wiki/Gew%C3%A4hrtr%C3%A4gerhaftung).

2) (http://www.rechtslupe.de/wirtschaftsrecht/stille-einlagen-in-die-landesbank-316879)

Raute

DISKUSSION UND DOKUMENTATION


Schweden: Der Weg in die europäische Normalität - eine kalte Dusche für Rotgrün

Von Henning Süssner(*)

Der längste Wahlkampf der schwedischen Geschichte endete am 19. September mit einer kalten Dusche für die rotgrünen Herausforderer. Das Ziel die amtierende bürgerliche Regierung zu ersetzen wurde verfehlt, obendrein zogen die ausländerfeindlichen "Schwedendemokraten" in den Stockholmer Reichstag ein.

So war das Ganze nicht gedacht. Am 7. Dezember 2008 hatten Sozialdemokraten, Grüne und Linkspartei eine Allianz gebildet und angekündigt, mit einer gemeinsamen Wahlplattform zur Reichtagswahl 2010 anzutreten. Das Ziel war es, die amtierende rechte Regierungskoalition, bestehend aus vier bürgerlichen Parteien unter der Führung der konservativen "Moderaten" (m), mit einer links-grünen Koalition zu ersetzen.

Damit wurde eine historische Zäsur vollzogen, zum ersten Mal überhaupt machte die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SAP) ein Koalitionsversprechen vor einer Wahl. Obendrein hätte ein Wahlsieg der rotgrünen Allianz bedeutet, dass sowohl Grüne als auch die postkommunistische Linkspartei zum ersten Mal in der Geschichte dieser Parteien an einer Regierung beteiligt wären.

Aus der ersten linken Koalitionsregierung Schwedens wurde jedoch nichts. Die Rotgrünen verloren zusammen 15 Reichstagsmandate, für die SAP war es gar die schlechteste Wahl seit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Schweden. Das Interessante dabei ist, dass die Linksallianz noch im Mai einen zweistelligen Vorsprung vor der regierenden Rechtskoalition in den einschlägigen Wahlumfragen hatte. Lange schien der Machtwechsel in Stockholm geradezu vorprogrammiert zu sein.

Wie ist also der Wahlverlust zu erklären?

Während die ersten Kommentare in bürgerlichen Medien nach dem geradezu grausamen Wahlverlust der SAP meistens darauf hinausliefen, dass die Allianz mit der "kommunistischen" Linkspartei den Wahlsieg gekostet hätten, gibt es mittlerweile verhaltene Hinweise darauf, dass die Wurzel des Problems wohl eher in der Krise der schwedischen Sozialdemokratie zu suchen sind.

Bis zur Wahl 2006 gab es in der Praxis zwar zwei deutlich definierte politische "Blöcke", nämlich bürgerliche Rechte und "sozialistische" Linke, das Epizentrum der schwedischen Politik war jedoch immer die SAP, die kein Interesse daran hatte, sich langfristig oder zu fest an bestimmte politische Partner zu binden. Die konservativen Moderaten hatten es konstant schwer den bürgerlichen Block zusammen zu halten, die erst 1988 hinzugekommenen Grünen wurden zumindest in der Reichstagspolitik konsequent nach links gezogen, so dass eine Allianz mit dem rechten Lager erfolgreich verhindert werden konnte. Die Grünen, die kleineren Mitte-Rechts-Parteien und die Linkspartei wurden regelmäßig gegeneinander ausgespielt und zum Machterhalt sozialdemokratischer Minderheitenregierungen gezwungen. Auf diese Art und Weise wurde die politische Rechte lange Zeit erfolgreich von der politischen Macht ferngehalten, sozialdemokratische Regierungen regierten jahrzehntelang entweder mit eigenen Mehrheiten oder in Minderheit. Die Ausnahme von der Regel waren die bürgerlichen Machtperioden 1976-1982 und 1991-1994.

Die Wahlniederlage des Jahres 2006 wurde in den damaligen Wahlanalysen der SAP auf zwei Ursachen zurück geführt: der damalige Parteivorsitzende und amtierende Regierungschef Göran Persson war "müde", die Partei benötigte dringend einen Generationswechsel. Mit Mona Sahlin wurde das Problem aus Sicht der Parteistrategen gelöst. Sahlin war gerade mal 50 Jahre alt, als sie am 17. März 2007 als erste Frau zur Parteivorsitzenden der SAP gewählt wurde. Sie repräsentierte den "modernen" Flügel der Partei und möblierte bereits kurz nach ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden selbstsicher die Führungsriege der Partei um.

Im Kalkül von Sahlin für die Wahl 2010 war eine Niederlage nicht vorgesehen. Der Wahlkampf wurde bereits im Jahr 2008 eingeleitet und konsequent durchgezogen. Anfang 2010 hatte man die beiden zeitweise ein wenig widerspenstigen Allianzpartner in eine Gussform gepresst, die keine Ausbrüche nach rechts oder links mehr zuließ. Das Vorbild des rotgrünen Bündnisses war die rechte 4-Parteienallianz die im Jahr 2005 gebildet wurde und im Herbst 2006 die Regierungsgewalt übernahm.

Die neue rotgrüne Allianz einigte sich im Laufe von ungefähr 15 Monaten auf ein gemeinsames Regierungsprogramm und begann im Juni 2010, die Ministerposten zu verteilen. Sozialdemokraten, Grüne und Linkspartei traten zwar zur Wahl als eigenständige Parteien an, traten aber auf nationaler Ebene in aller Regel als geschlossene Gruppe auf. Die Parteivorsitzenden reisten gemeinsam durchs Land und machten seit 2009 Reklame für die neue Allianz. Ein paar Wochen vor der Wahl waren schließlich das Regierungsprogramm und auch das neue Kabinett fertig.

Nicht im Programm war eine Wahlniederlage gegen eine Regierung, die als inkompetent, konservativ und gewerkschaftsfeindlich angegriffen wurde. Selbstsicher attackierte das rotgrüne Lager die Regierung auf allen Fronten und ging lange von einem deutlichen, zum Schluss von einem knappen Wahlsieg aus. In der Wahlnacht herrschte denn kaltes Entsetzen über die Resultate, die allmählich das bestätigten, was man schon ab Anfang August ahnen konnte, das rotgrüne Bündnis verlor die Wahl mit deutlicher Marginale. Während die Grünen mit 7,34 % der Stimmen das beste Reichstagswahlresultat ihrer Geschichte erlangten, verlor die Linkspartei 0,24 % und 3 Mandate. Sie erhielt zum Schluss 5,60 % der Stimmen. SAP fuhr mit 30,66 % das schlechteste Ergebnis seit 1914 (!) ein. Ein Verlust von 4,33 Prozenteinheiten, 18 Mandaten und über 115.000 Stimmen.

Während also die Grünen von der Zusammenarbeit, in der sie sich recht gut profilieren konnten und die v.a. der weiblichen Parteisprecherin Maria Wetterstrand sehr viel mediale Aufmerksamkeit bescherte, profitiert haben, stagniert die Linkspartei weiter. Vor allem in der Schlussphase des Wahlkampfes wurde die kommunistische Parteigeschichte immer wieder zum Objekt von medialer Aufmerksamkeit. Der Parteivorsitzende Lars Ohly wurde hart angegangen, die Zusammenarbeit der SAP mit der Linken auch aus sozialdemokratischen Reihen immer stärker kritisiert.

Das Konzept der Linkspartei, sich nach niederländischem Vorbild als bürgernahe, aktivistische und dynamische Partei zu zeigen, ist eindeutig nicht aufgegangen. Man ist nicht allzu präsent in den außerparlamentarischen Bewegungen gewesen, mit Ausnahme der antirassistischen. Dies wiederum brachte der Partei in der Schlussphase des Wahlkampfes viel öffentliche Kritik ein, da die öffentlichen Auftritte der ausländerfeindlichen Schwedendemokraten im ganzen Land von Antifaschisten gestört oder gar verhindert wurden. Dies wurde in den Medien als antidemokratisch diffamiert und wird in gewissen Wahlanalysen als ein Element des Erfolgs der Schwedendemokraten hervor gehoben.

Trotz der Schwäche der Linkspartei, die kein richtiges Konzept zur positiven Profilierung im Wahlkampf finden konnte und sich stattdessen lange da rauf konzentrieren musste, die eigenen Reihen, die die enge Zusammenarbeit mit Grünen und SAP kritisierten, zusammen zu halten, wurde die Wahl letztendlich jedoch durch die Massenabwanderung von sozialdemokratischen Wählerinnen in das bürgerliche Lager entschieden. Laut der Wahllokaluntersuchung des schwedischen öffentlich-rechtlichen TV-Kanals SVT verloren die Sozialdemokraten fast 1 Prozenteinheit an die Konservativen, hinzu kam auch eine signifikante Abwanderung in Richtung extreme Rechte.

Die konservative Regierungspartei des schwedischen Staatsministers Fredrik Reinfeldt ist nun mit 30,06 % der Stimmen nahezu gleichauf mit der SAP. Auch dies ist historisch. Selbstsicher betitelte sich die Partei denn auch während des Wahlkampfes als Schwedens "neue Arbeiterpartei". Dies scheint sich zu bestätigen, die "Moderaten" bekamen nahezu jede fünfte Stimme der schwedischen Gewerkschaftsmitglieder, traditionelle Stammwähler des roten Parteienlagers. Damit scheint sich die Verwandlung einer klassischen bürgerlichen Rechtspartei zu einer "Volkspartei" nach Vorbild der deutschen CDU/CSU vollzogen zu haben. Auch dies eine deutliche Zäsur in der schwedischen Parteienlandschaft.

Die Gründe für die historische Wahlniederlage der SAP scheinen also strukturell zu sein. Gewisse Kreise innerhalb der SAP versuchen zwar z.Z. die Wahlniederlage der Parteivorsitzenden Sahlin in die Schuhe zu schieben, dies ist jedoch kurzsichtig. Aus anderer Richtung z.B. aus dem Umkreis der akademisch-sozialdemokratischen Gedankenschmieden "Arena" und Agora, wird lautstark nach einer sozialdemokratischen "Erneuerung" gerufen. Anstatt sich nach links umzusehen und alte sozialistische Forderungen nach staatlicher Wohlfahrt abzustauben, wie dies im Wahlkampf 2010 geschehen sei, müsse man einsehen, dass die "Portemonnaiepolitik" der Regierung näher an den Interessen der Industriearbeiterschaft läge. Von der ehemaligen Chefideologin von Agora, Ursula Berge, wird gar behauptet, dass man sich den Realitäten anpassen müsse, d.h. die Programmatik und Rhetorik der Sozialdemokratie sollte sich an den Interessen der "urbanen Mittelklasse" orientieren.

Über diese Thesen, die ja nicht unbedingt neu sind, will ich mich an dieser Stelle nicht auslassen. Interessant ist jedoch, dass die Trumpfkarten der Rotgrünen, nämlich der Kampf gegen den Abbau der staatlichen Krankenversicherungsleistungen und die Verschlechterung der Arbeitslosenversicherung, schon im Frühstadium des Wahlkampfs ausgespielt wurden. Und vor der Sommerpause lagen die rotgrünen Herausfordern denn auch deutlich vorne in den Meinungsumfragen. Nach der Sommerpause gelang es hingegen der Regierung, ihre eigenen Trümpfe auszuspielen. So nahm plötzlich die Frage der Steuererleichterungen für haushaltnahe Dienstleistungen und die Frage der eventuellen Wiedereinführung der proportionalen Immobiliensteuer, die von der rechten Regierung im Jahr 2007 abgeschafft wurde, plötzlich viel Raum ein. Gleichzeitig wurde der Wahlkampf auch immer mehr von der Frage des Erfolges oder Nichterfolges der rechtsextremen Schwedendemokraten überschattet.

Der Einzug der Schwedendemokraten hatte sich zwar seit Mai/Juni in den Meinungsumfragen immer deutlicher abgezeichnet, der Fokus des Wahlkampfes lag jedoch lange woanders. Im Schatten des Kampfes zwischen zwei deutlich abgegrenzten politischen Blöcken wurde den Schwedendemokraten lange keine größere Aufmerksamkeit gewidmet, dies änderte sich doch abrupt in der Schlussphase des Wahlkampfes.

Die Schwedendemokraten, die 1988 als Ableger der neonazistischen Bewegung "Bewahrt Schweden schwedisch" gegründet wurde, wuchsen sich schon in der Wahl 2002 zu einem stabilen Faktor in Südschweden aus. In der Wahl 2006 scheiterten sie mit 2,93% der Stimmen zwar noch deutlich an der 4-Prozenthürde zum Reichstag, erreichten jedoch zweistellige Ergebnisse in den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen. In der aktuellen Wahl 2010 erlangte die Partei, die sich mittlerweile zum Sprachrohr des Antiislamismus gemacht hat, 5,70% der Stimmen und zog damit zum ersten Mal in den Reichstag ein. Dort hat der Wahlerfolg der Rechtsextremen bereits eine Krise ausgelöst - keiner der beiden konkurrierenden Parteienblöcke hat nämlich eine eigene Majorität. Daher wird zurzeit versucht, die Grünen in das bürgerliche Lager zu ziehen.

Auch wenn man in der Regel den Wahlverlust des rotgrünen Lagers im Zusammenhang mit dem Erfolg der Schwedendemokraten sieht, ist diese Gleichung nicht völlig korrekt: Im Gegensatz zum Jahr 2006 scheinen die Stimmengewinne der Schwedendemokraten diesmal nämlich hauptsächlich auf Kosten der bürgerlichen Parteien gegangen zu sein.

Dies ist eine interessante Entwicklung. Ganz im Gegensatz zu früheren Jahren als die Wählerschaft der Partei hauptsächlich aus jungen Männern mit geringer Ausbildung bestand, hat sich die Stimmenbasis der Schwedendemokraten eindeutig verbreitert. Die Partei wird auch nicht mehr in erster Linie bloß als Antietablissementpartei wahr genommen, sondern als eine "seriöse Alternative für Einwanderungskritiker".

Offenbar von postkolonialen Rassifizierungstheorien beeinflusst, weist das Magazin Expo, das 1995 gegründet wurde just um Schwedendemokraten und andere rechtsextreme Gruppen journalistisch zu bewachen, dass es in der schwedischen Gesellschaft "immer schon" einwanderungsfeindliche und rassistische Strömungen gegeben habe. Der "Tod der Ideologien" und die Krise des Sozialstaates haben nun dazu geführt, dass diese Strömungen in den Schwedendemokraten eine seriöse Wahlalternative zu den etablierten Parteiblöcken sehen.

Diese Analyse mag zutreffend sein, es ist jedoch anzumerken, dass sich das Wahlverhalten im Süden und Norden Schwedens sehr stark unterscheidet. Nördlich von Stockholm finden sich die Schwedendemokraten denn in der Regel nur als Splitterpartei in der Wahlstatistik. Im roten Norden sind nachwievor SAP und Linkspartei stark, allerdings sind auch dort starke Stimmenverluste des roten Blocks an die Konservativen zu verzeichnen. Im Süden ist dieser Trend noch deutlicher.

Was wird nun geschehen? In der Wahlnacht und in den Tagen danach befand sich Schweden im Schockzustand. In Stockholm, Göteborg und Malmö wurden spontane Massendemonstrationen mit Zehntausenden von Teilnehmern abgehalten. Die sozialen Medien schwimmen über von empörten, geschockten und entsetzten Kommentaren und Aufrufen zum Thema.

Ob nun ein Kuhhandel zwischen rechter Koalition und den Grünen abgeschlossen werden wird, ist noch unklar. Wie das Schicksal der Vorsitzenden der SAP, Mona Sahlin, aussehen wird auch. Die Partei wird einen Extraparteitag abhalten und Sahlin könnte durchaus zum Rücktritt gezwungen werden.

Für die Linkspartei gilt es nun, die Wunden des verlorenen Wahlkampfes zu lecken. Zum dritten Mal in Folge hat die Partei Stimmen und Mandate im ganzen Land verloren. Will man den Trend wenden, muss man zweifelsohne einen Weg finden, sich neue Wählerkreise und -themen zu erschließen. Trotz aller Enttäuschung über den eigenen Misserfolg und Frustration über den Erfolg der Extremrechten, zeichnet sich jedoch gleichzeitig auch ein äußerst positiver Trend ab: innerhalb von wenigen Tagen ist die Linkspartei um nahezu 10% gewachsen. Zurzeit strömen neue Mitglieder, die sich gegen die Schwedendemokraten engagieren wollen, in die Partei. Damit scheint zumindest der Trend des Mitgliederschwunds, der seit 2002 anhält, gebrochen zu sein. Ob diese Entwicklung flächendeckend ist und die neuen Mitglieder erfolgreich in die Partei integriert werden können, bleibt jedoch abzuwarten.


(*) Henning Süssner ist Rektor der linksparteinahen Volkshochschule Kvarnby in Malmö und Forscher am Institut für Forschung zu Migration, Ethnizität und Gesellschaft der Universität Linköping.

Entnommen von: www.axel-troost.de/topic/3.themen.html?tag=Europa

Raute

Betreff: Perspektivwechsel. - Politische Diskurse entwickeln sich in kulturellen Zusammenhängen, die - kritisch oder apologetisch - auf die Nationalgeschichte zugeschnitten sind. Mit der EU besteht heute ein übergreifender politischer Zusammenhang, in dem es auf Kunst ankommt, auch einmal die Perspektive der Nachbarn einzunehmen. In loserer Reihe wollen wir an dieser Stelle Bücher und andere kulturelle Produktion vorstellen, die dabei helfen. Nachfragen und Angebote an politischeberichte@gmail.com, Betreff: Perspektivwechsel.


Leben im Elsass - literarische Verarbeitung jüngerer Geschichte

Rezensionen von Matthias Paykowski

Die hier vorgestellte Literatur behandelt das Elsass. Die Romane, in denen biografisch oder autobiografisch das Leben in diesem Teil Frankreichs geschildert wird, umfassen die Zeitspanne der letzten eineinhalb Jahrhunderte. Diesen Romanen ist gemeinsam, dass es sich um Beschreibungen des deutsch-französisches Zusammenlebens handelt, um deutsch-französische Lebensgeschichte(n) im Elsass!

In den letzten etwa 140 Jahren hat das Elsass etliche Male die Herrschaftsvorzeichen gewechselt: Seit der französischen Revolution war das Elsass in die französischen Departements Bas-Rhin und Haut-Rhin gegliedert. 1871 als Ergebnis des deutsch-französischen Krieges wird das Elsass "Reichsland" im deutschen Kaiserreich - und damit direkt Bismarck unterstellt. 1918 wird das Elsass wieder Bestandteil der französischen Republik. 1940, im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht erneut besetzt und unter faschistische Zwangsherrschaft gestellt, wird das Elsass schließlich zwischen November 1944 und Februar 1945 von alliierten Truppen befreit und wieder unter französische Zivilverwaltung gestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird mit Gründung des Europarats Straßburg als Sitz dieser Institution gewählt, der Palast der Menschenrechte wird hier etabliert. Und schließlich wird Straßburg auch im Maastrichter Vertrag (1992) und im Amsterdamer Vertrag (1997) als offizieller Sitz des Europaparlaments bestätigt.

Das hat auch dazu beigetragen, etwaige Ambitionen gegenüber dem Elsass gar nicht erst sprießen zu lassen. Schade nur, dass die Linke die europäische Chance bisher nicht sieht und wahrnimmt, die sich aus der leidvollen Erfahrung aufdrängt.


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Marthe und Mathilde

Pascale Hugues

Pascal Hugues, geboren 1959 in Straßburg, Journalistin für einige französische Zeitungen und Magazine. Arbeitet seit 1989 als Korrespondentin in Deutschland.

2008 erschien ihr Roman in Deutschland, erst danach in Frankreich. Pascale Hugues zeichnet die Lebensläufe ihrer Großmütter Marthe und Mathilde aus Colmar nach, beide geboren 1902, beide gestorben 2001. Das Buch hält sich nicht an die Chronologie. Das macht es manchmal etwas mühsam, historische Zusammenhänge und die beschriebene Familiengeschichte zusammenzufügen. Die Kapitel sind eher an Familienstrukturen und -ereignisse angelehnt. Das tut aber keinen Abbruch, der Roman ist sehr lesenswert und bringt dem Leser auf ansprechende Weise das historische und auch aktuelle Spannungsfeld, in den das Elsass zwischen Deutschland und Frankreich eingebettet liegt, nahe.

Mathilde Goerke ist die Tochter eines deutschen Geschäftsmannes, der nach der Angliederung des Elsass als "Reichsland" an das deutsche Kaiserreich dorthin emigriert war. Er hoffte als Champagner- und Kaffeevertreter im reichen Elsass, der neuen rheinländischen Handelsdrehscheibe, zu Vermögen zu kommen. Das Elsass nahm in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung, in die Zeit des "Reichslands" fielen auch markante Strukturmaßnahmen: Straßburg wurde zu einer regionalen Hauptstadt, Colmar erhielt eine neue Kanalisation, Trinkwasser, Elektrizität.

1906 siedelte Goerke mit seiner belgischen Frau und den beiden Töchtern in Colmar und fand zwei Jahre später eine Wohnung im Haus der elsässischen Familie Réling. Die Töchter der Familien Réling und Goerke - Marthe und Mathilde - wurden Spielkameradinnen, Freundinnen, später heirateten ihre Kinder einander. Mathilde heiratete 1926 Joseph Klébaur. Marthe Réling ist die Tochter des Lehrers Henri Réling, der an der Schule Saint Joseph unterrichtete. Dort wurde Réling 1921 zum Direktor ernannt. Marthe heiratete 1927 den Offizier Gaston Hugues, der 1939 kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges an Malaria, den Folgen kolonialer Expedition ins marokkanische Rif-Gebirge starb.

Nur einmal in ihrem Leben werden Marthe und Mathilde getrennt: 1940, als Marthe das von deutschen Truppen besetzte Elsass - den NSDAP-Gau Baden-Elsass - nicht mehr betreten darf. Als "franzosenfreundlich" eingestuft, muss Marthe den Krieg im französischen Tours hinter sich bringen, ausgewiesen von den Nazis wie 45.000 andere Elsässer auch.

Nach vier Jahren Militärdiktatur von 1914-18 sind die deutschen Militärs und Beamten verhasst: ihre Arroganz, die Schikanen und Repressionen, die Internierungen, die Ausweisungen, Untersuchungshaft und Durchsuchungen. Ladenschilder und Straßennamen werden eingedeutscht, zwangsweise germanisiert, Zeitungen unter der Zensur zur Einstellung gezwungen. 250.000 Elsässer und Lothringer werden von den Deutschen in die Kaiserliche Armee gepresst.

Eine der ersten Maßnahmen der Siegermächte bzw. der französischen Regierung ist die Ausweisung der Beamten des Deutschen Reichs. Zwangsweise repatriiert werden Gendarmen, Zöllner, Steuereinnehmer, Lehrer, Ärzte, Bahnhofsvorsteher und Bahnangestellte, zusammengefasst unter dem Begriff "Altdeutsche", die - wie Karl Georg Goerke - während der Zeit des "Reichslands" ins Elsass gezogen waren. Immerhin etwa zehn Prozent der Wohnbevölkerung. Auch Goerke fürchtet die Abschiebung, er hat die Arbeit verloren. Die Bewohner des Elsass werden nach dem Krieg in vier Kategorien aufgeteilt und damit das französische Bodenrecht der Republik de facto in das Blutrecht verwandelt. Identitätskarten A, B, C und D werden von der Polizeipräfektur ausgestellt. Mathilde und ihr Vater erhalten Typ D. Mathilde wird die französische Staatsbürgerschaft durch Heirat erhalten, Karl Georg Goerke erst 1927, er heißt ab dann Charles Georges Goerké. Die Familie Réling erhält Typ A.

Als die Deutschen 1940 einmarschieren, wird als eine der ersten Maßnahmen allen Elsässern pauschal die deutsche Staatsangehörigkeit verpasst zur Wiedereingliederung in die Volksgemeinschaft. Es wird verboten auf der Straße französisch zu sprechen. Jede Spur französischer Geschichte und Kultur soll ausgemerzt werden. Schon während des Ersten Weltkriegs hatten die deutsche Behörden verboten, die "Sprache des Feindes" zu sprechen: "Wiederholte Warnung! Jeder, der auf der Straße oder in Lokalen französisch spricht, wird als Feind angesehen und verhaftet. Dieses gilt auch für Damen."

Die Sprache bzw. die Sprachpolitik der Herrschenden spielt in Pascale Hugues Roman immer wieder eine wichtige Rolle. Sie wirkt massiv als Herrschaftsinstrument. Je nach Herrschaft wird die Beherrschung der Sprache der Herrschenden im Herrschaftsgebiets zu einem wichtigen Indikator, dazuzugehören oder eben nicht oder eben grade wieder mal nicht.

Pascale Hugues: Marthe und Mathilde.
Eine Familie zwischen Frankreich und Deutschland.
Rowohlt Verlag 2008, 288 S.


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Die Linden von Lautenbach

Jean Egen

Jean Egensperger (geboren 1920 in Lautenbach, gestorben 1995) - Künstlername Jean Egen - war elsässischer Journalist und Buchautor. Sein Roman "Die Linden von Lautenbach" ist in weiten Strecken autobiographisch und wurde 1982 auch verfilmt. In Frankreich war er als Mitarbeiter der Tageszeitung "Le Monde" und durch gelegentliche Mitarbeit an der Satirezeitschrift "Le Canard enchaîné" bekannt.

"Die Linden von Lautenbach" schildern das Leben einer elsässischen Familie in dörflicher bzw. kleinstädtischer "Idylle". Egen beschreibt mit großem Verständnis und Zuneigung das Zusammenleben der dörflichen Gemeinschaft im Elsass in den Perioden französischer Staatlichkeit oder deutscher Herrschaft. Der Großvater, der im Krieg 1870/17 für Frankreich kämpft und nach der Niederlage gezwungen wird, sich für Deutschland zu entscheiden.

Jeans Vater Joseph (Seppala), der die Schulen im "Reichsland" besucht, und diese sind deutsch!: "Der Tag beginnt in der Schule, anders gesagt, in Deutschland." Der Lehrer Kruppa kam "mit blankrasiertem Schädel und steifem Kragen aus Mecklenburg. Er hat eine Leidenschaft für Geschichte und macht eifrig Propaganda für die Hohenzollern. Aber der kleine Joseph ist preußischen Dynastien gegenüber allergisch. Besagter Kruppa foltert gern, indem er seinen Schülern die kurzen Schläfenhaare ausreißt, aber bei Seppala kann er das tun, sooft er will, dieser verwechselt die Wilhelme und die Friederiche, für ihn sind es nur immer gekrönte Menschenfresser."

Daheim werden die französische Lieder weiter gesungen - elsässisch. Die deutschen Anstrengungen scheitern an der tiefen Verwurzelung des Elsässischen - vor allem auf dem Land. Die Mutter stirbt, der Vater schickt Joseph nach Reims ins Internat. Hier erfährt er - der sich doch so französisch wähnt - die Diskriminierung als Elsässer. Die Sprache identifiziert ihn und Elsässer gelten gemeinhin zu dieser Zeit als deutsche Spione. Allerdings mit fünfzehn Jahren ist Joseph sprachlich kaum noch unterscheidbar. Joseph landet nach der Schulzeit im Gefängnis - Kaiserbeleidigung und Widerstand.

Er bringt es zum Fabrikdirektor in der Franche-Compté, heiratet das Bawala. 1920 wird Jean geboren, der auch der kriegerischen Auseinandersetzung 1940-45 nicht entgehen kann. Egen schreibt zu dem in der elsässischen Literatur immer wieder beschriebenen Konflikt um die Sprache und Lebensweise in dem Roman: "Der Elsässer wünscht sich eine hundertprozentige französische Seele und drängt also die germanischen Impulse zurück. So sehr er sich davon überzeugen möchte, dass er ein Franzose ist wie alle anderen, es genügt ein Witz über seinen Namen, seinen Dialekt, seinen Akzent, wenn er Französisch spricht, um ihn daran zu erinnern, dass er eben doch anders ist ... Seinen Minderwertigkeitskomplex gleicht er deshalb durch überhöhten Patriotismus aus. Zurückdrängen und Kompensieren schaffen natürlich Seelenkonflikte, deren bildlicher Ausdruck der "Hans im Schnokeloch" ist. Hans hat germanische Züge und will es nicht eingestehen, Hans wünscht sich eine integral französische Seele, und die kann er nicht haben ... Natürlich würde es genügen, wenn sich Hans mit dem zufriedengäbe, was er hat, nämlich seine Doppelnatur, sein Elsässertum, dann würde er dem Sumpfloch der Schnaken und Komplexe entweichen und hätte, was er eigentlich wünscht und braucht: Gleichgewicht und Seelenfriede. Es sei jedoch bemerkt, dass er das mehr und mehr einsieht. Er beginnt heute zu begreifen, dass sein Anderssein ihn eigentlich nicht ärmer macht. Eine dreifache Kultur bedeutet zwar nicht unbedingt einen größeren kulturellen Reichtum, aber es lässt sich schon etwas daraus machen, es erschließen sich mehr Quellen."


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"Wenn es losgeht, dann erst einmal auf unserem Buckel. Es ist gar nicht auszudenken, was unser armer Buckel schon ausgehalten hat. Er liegt hält schlecht."

(Aus "Hans in Schnakenloch", 3.Akt)

René Schickeles Stück "Hans im Schnakenloch" - kurz nach Beginn des 1. Weltkrieges 1914 erschienen, charakterisiert die geografische Lage des Elsass zwischen den beiden Mächten Frankreich und Deutschland - als der "Buckel": "Er liegt hält schlecht". Im Osten der Rhein als Grenze zu Baden, zum Reich, im Westen die Vogesen, der Gebirgszug, als Grenze zu Frankreich. Max Meyerfeld in der Neuen Züricher Zeitung am 7. April 1917: "Er (René Schickele) hat als Erster ein künstlerisch ernst zu nehmendes Kriegsstück geschrieben - kein Kriegsstück im üblichen Sinne, das billige bengalische Wirkungen zu unlauteren Zwecken begehrt. Sein Verfasser ist einer der selten gewordenen Zeitgenossen, die das Menschliche über das Völkische stellen, denen die Grenzen ihres Heimatlandes den Blick für die Welt nicht versperren."

Schickeles Stück wird auf Bühnen in Deutschland aufgeführt - mit massiven Einschränkungen durch die Zensur. Nach zweiundneunzig Aufführungen wird es dann auf Befehl der Obersten Heeresleitung doch verboten und muss abgesetzt werden. Bekanntheit erlangt das Stück durch die "Weise vom Hans im Schnakenloch", die die Menschen im Elsass charakterisiert: "Der Hans im Schnakenloch hat alles, was er will, und was er will, das hat er nicht, und was er hat, das will er nicht; der Hans im Schnakenloch hat alles, was er will."

Raute

Neu erschienen: Heft Nr. 17 der "Studienreihe Zivilgesellschaftliche Bewegung - institutionalisierte Politik" des Forums Linke Kommunalpolitik München

Stadtwerke München: Vom Eigenbetrieb zum "Global Player"

Zur Einleitung von Orhan Akman

"Privat vor Staat" - das haben jahrzehntelang die Kapitalisten und ihre neoliberalen Handlanger den Menschen hierzu Lande gebetsmühlenartig vorgegaukelt. Dabei sollten alle öffentlich/kommunalen Betriebe, Unternehmen und Dienstleistungen privatisiert werden. Schließlich würde ein privater Betrieb besser und effektiver funktionieren und wirtschaften als die öffentliche Hand, so der neoliberale Block. Mit Erfolg, muss man leider feststellen. Schließlich wurden in Deutschland viele der bis dahin öffentlichen Unternehmen und Dienstleistungen privatisiert und auf den Markt geschleudert. Diese Propagandamaschinerie der Neoliberalen hat sich in die SPD, die Grünen, aber auch in die kritischen Köpfe vieler Menschen in Deutschland "eingeschlichen". Erst die Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus 2007/2008 rüttelte einige dieser politisch benebelten Köpfe wach.

Dagegen hat die Linke im weitesten Sinne sich gegen die Privatisierungen gewehrt und sich für mehr Regulierung, einen starken Staat und mehr öffentliche Kontrolle, vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge, eingesetzt. Neben mehr öffentlichen Unternehmen und mehr Kontrollen durch die öffentliche Hand wird in den letzten Jahren die Rekommunalisierung der privatisierten Unternehmen verstärkt gefordert. Doch reicht diese Forderung allein aus? Wir meinen: Nein. Denn allein, dass ein Unternehmen öffentlich/kommunal ist, reicht nicht mehr aus. Zunehmend stellt sich die Frage wie öffentliche Unternehmen oder Dienstleistungsanbieter wirtschaften. Das Beispiel der öffentlichen Landesbanken in Deutschland hat gezeigt, dass das "Schild" öffentliches Unternehmen nicht ausreicht. Die öffentlichen Landesbanken haben sich auf dem internationalen Finanzparkett verspekuliert und Milliarden öffentliches Geld verbrannt. Also darf legitim danach gefragt werden, wie öffentliche Unternehmen wirtschaften, und vor allem, wie die Öffentlichkeit (die Bürger als Eigentümer der öffentlichen Unternehmen) mehr Kontrolle bei den Geschäften sowie bei der Steuerung der kommunalen Unternehmen ausüben können. Dabei gilt es, die Lebensbedürfnisse der Menschen in der Kommune in den Mittelpunkt des kommunalen Wirtschaftens zu rücken und nicht das Bestreben nach maximalem Gewinn und die Eroberung weiterer Marktanteile. Nur Gewinne-Erzielen sowie Eindringen und Expandieren in kapitalistischen Märkten kann und darf nicht Ziel und Zweck eines kommunalen Unternehmens sein. Wenn schon Gewinne erzielt werden sollen, so muss hierbei immer danach gefragt werden, wozu sie dienen sollen!

Anhand der Stadtwerke München (SWM), eines hundertprozentigen Unternehmens der Landeshauptstadt München, wollen wird auf diese Problematik eingehen.

Aus dem Inhalt:

Orhan Akman und Maren Ulbrich: Stadtwerke München: Vom Eigenbetrieb zum rentablen "Global Player".
Michael Wendl: Die Rolle der Europäischen Union für die deutsche Energieversorgung.
Dagmar Henn: Wind über den Wellen.
Horst Kahrs: Kommunale Wirtschaftsunternehmen in der Strategie Der Linken.
Martin Fochler: Selbstverwaltung - Skizzen zur Münchner Vergangenheit.
Ulrich Sedlaczek: Stromtarife - sozial und ökologisch? Was es gibt und was es geben könnte.
Interview mit Herrn Dr. Mühlhäuser, Vorsitzender des Vorstands der Stadtwerke München GmbH


Nr. 17 der "Studienreihe Zivilgesellschaftliche Bewegungen - Institutionalisierte Politik", die vom Forum Linke Kommunalpolitik München e.V. getragen wird.

Alle bisherigen Ausgaben der "Studienreihe": www.forum-linke-kommunalpolitik-muenchen.de.

Raute

Die nächste Ausgabe der Politischen Berichte erscheint am 4. November.

Redaktionsschluss: Freitag, 29. Oktober.
Artikelvorschläge und Absprachen über pb@gnn-verlage.de.
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IMPRESSUM

Politische Berichte

ZEITUNG FÜR LINKE POLITIK - ERSCHEINT ZWÖLFMAL IM JAHR

Herausgegeben vom: Verein politische Bildung,
linke Kritik und Kommunikation,
Venloer Str. 440, 50825 Köln
Herausgeber: Barbara Burkhardt, Christoph Cornides,
Ulrike Detjen, Emil Hruska, Claus-Udo Monica,
Christiane Schneider, Brigitte Wolf.

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Aktuelles aus Politik und Wirtschaft;
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Die Mitteilungen der "Bundesarbeitsgemeinschaft der Partei
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in den Politischen Berichten veröffentlicht.

Verlag: GNN-Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH,
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Druck: GNN Verlag Süd GmbH Stuttgart

Gegründet 1980 als Zeitschrift des Bundes Westdeutscher Kommunisten unter der Widmung
"Proletarier aller Länder vereinigt Euch!
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt Euch".
Fortgeführt vom Verein für politische Bildung, linke Kritik und Kommunikation.


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Quelle:
Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Ausgabe Nr. 10, 7. Oktober 2010
Herausgegeben vom: Verein politische Bildung,
linke Kritik und Kommunikation
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Internet: www.gnn-verlage.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2011