Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

POLITISCHE BERICHTE/120: Gefängnisessen - Mangelernährung vorprogrammiert


Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Nr. 1 am 15. Januar 2009

Gefängnisessen
Mangelernährung vorprogrammiert

Von Christiane Schneider


Ist eine ausreichende und gesunde Ernährung eines erwachsenen Menschen für 3,10 Euro täglich möglich? Diese Frage hat die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft in den gegenwärtigen Haushaltsberatungen und in zwei Kleinen Schriftlichen Anfragen an den Senat aufgeworfen.


*


3,10 Euro nämlich beträgt der Richtsatz für die Vollverpflegung der Gefangenen in den Hamburger Haftanstalten. Der Senat hat die kritische Nachfrage umstandslos bejaht und u.a. damit begründet, dass der Einkauf für Großküchen ermöglicht, erheblich preisgünstiger zu kalkulieren, als es private Haushalte können. Das trifft sicher zu. Dennoch: 3,10 Euro - das sind gerade mal 72% des Regelsatzes für Hartz-IV-Empfänger. Die 4,28 Euro, die diesen für die täglichen Nahrungsmittel und alkoholfreien Getränke zugestanden wird, reichen allen Untersuchungen zufolge bei weitem nicht für eine ausgewogene und gesunde Ernährung. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung zum Beispiel hatte in der Studie "Lebensmittelkosten im Rahmen einer vollwertigen Ernährung" (April 2008) auf der Basis der Preisberechnungen für 2003 die notwendigen durchschnittlichen Ausgaben auf 43 Euro pro Woche veranschlagt, das sind 6,14 Euro pro Tag.

Wir hätten den Richtsatz von 3,10 Euro für die tägliche Vollverpflegung von Gefangenen deshalb gerne mit den entsprechenden Kalkulationswerten für eine beliebige Behördenkantine oder auch mit den Verpflegungssätzen für die Patienten der Universitätsklinik verglichen, also mit der Gemeinschaftsverpflegung von Bürgern in Freiheit - leider verweigerte der Senat die Antwort mit Hinweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse.

Auch in einem weiteren Punkt sah der Senat keinerlei Problem. Obwohl der Richtsatz im letzten Jahr von 2,86 auf 3,10 Euro angehoben wurde, liegt er real mindestens 18-20% unter dem Richtsatz von 1998. Damals betrug er 5,80 DM (umgerechnet 2,96 Euro); noch unter einem rot-grünen Senat war er 1999 abgesenkt und dann trotz Preissteigerungen bei Lebensmittel zwischen 17 und 29% bis 2008 nicht erhöht worden. Gleichwohl behauptet der Senat, dass sich die fast schon dramatisch zu nennende reale Absenkung des Richtsatzes quantitativ gar nicht und qualitativ höchstens geringfügig bemerkbar mache.

Das Gefängnisessen ist für die Gefangenen zunächst einmal ohne Alternative. Gefangene mit längeren Haftstrafen sind viele Jahre auf Gefängniskost angewiesen. Daher besteht eine besondere Verpflichtung des Vollzugsträgers, die Kost so zu gestalten, dass die Beeinträchtigung der Gesundheit vermieden wird und zu den anderen Langzeitfolgen von Haft nicht auch noch durch Mangelernährung verursachte Gesundheitsschäden hinzutreten. Ein Richtsatz von lediglich 3,10 Euro programmiert Mangelernährung vor. Die wesentliche Vorgabe bei der Speiseplanerstellung, die von Anstaltsärzten überprüft wird, ist die tägliche Zufuhr von 2.500 kcal - damit ist aber zum Beispiel über den Anteil von Fetten an der Energiezufuhr nichts ausgesagt. Und auch nicht darüber, ob und wie der Bedarf an allen Vitalstoffen gedeckt wird.

3,10 Euro - das sind 43 Cent fürs Frühstück, 1,80 Euro fürs Mittagessen und 87 Cent fürs Abendessen. Gefangene berichten, dass sich hinter der Speiseplanankündigung "Gemüse" beim Abendbrot dann zum Beispiel eine Zwiebel (!) verbirgt. Das Mittagessen wird in den meisten Haftanstalten in Menagen ausgeliefert, die zum Teil stundenlang warmgehalten werden, so dass alle Vitamine, Nähr- und Mineralstoffe buchstäblich verdampft sind. "Tot" sei das Essen, sagen Gefangene, die wir danach befragten. Ein weiterer Nachteil der Menagen ist, dass es keinen Nachschlag gibt. Wer nicht satt wird, hat Pech. Obst gibt es nicht täglich; in der Kalenderwoche 50 des letzten Jahres erhielten die Gefangenen in der JVA Fuhlsbüttel eine Apfelsine, einen Apfel und eine Clementine. Wie soll da der Vitaminbedarf gedeckt werden?

Gefangene, die es sich irgend leisten können, versuchen auf Selbstverpflegung auszuweichen. Kochen aber ist nur eingeschränkt und in einigen Anstalten gar nicht möglich. Ist es doch möglich, müssen die Gefangenen beim Lebensmittelhändler im Knast einkaufen, zu oft überhöhten, zum Teil sogar stark überhöhten Preisen. Das ist ein anderes trübes Kapitel. In Bezug auf den Richtsatz wird die LINKE in den weitren Haushaltsberatungen die Anhebung auf 4,00 Euro fordern.


*


Gegründet 1980 als Zeitschrift des Bundes Westdeutscher Kommunisten unter der Widmung
"Proletarier aller Länder vereinigt Euch!
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt Euch".
Fortgeführt vom Verein für politische Bildung, linke Kritik und Kommunikation.

Verantwortliche Redakteure und Redaktionsanschriften:

Aktuelles aus Politik und Wirtschaft;
Auslandsberichterstattung:

Christiane Schneider, (verantwortlich),
GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359 Hamburg,
Tel. 040/43 18 88 20, Fax: 040/43 18 88 21,
E-mail: gnn-hamburg@freenet.de
Alfred Küstler,
GNN-Verlag, Postfach 60 02 30, 70302 Stuttgart,
Tel. 0711/62 47 01, Fax: 0711/62 15 32,
E-mail: stuttgart@gnn-verlage.com

Regionales / Gewerkschaftliches: Martin Fochler,
GNN Verlag, Stubaier Straße 2, 70327 Stuttgart,
Tel. 0711/62 47 01, Fax: 0711/62 15 32,
E-mail: pb@gnn-verlage.de

Diskussion / Dokumentation: Rüdiger Lötzer,
Postfach 210112, 10501 Berlin,
E-mail: gnn-berlin@onlinehome.de

In & bei der Linken: Jörg Detjen,
GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH,
Venloer Str. 440, 50825 Köln, Tel. 0221/21 16 58,
Fax: 0221/21 53 73. E-mail: gnn-koeln@netcologne.de


*


Quelle:
Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Ausgabe Nr. 1, 15. Januar 2009, Seite 13-14
Herausgegeben vom: Verein politische Bildung, linke Kritik und Kommunikation
Venloer Str. 440, 50825 Köln
E-Mail: gnn-koeln@netcologne.de
Internet: www.gnn-verlage.com

Politische Berichte erscheint zwölfmal im Jahr.

Einzelpreis 4,00 Euro.
Ein Halbjahresabonnement kostet 29,90 Euro (Förderabo 42,90 Euro),
ein Jahresabonnement kostet 59,80 Euro (Förderabo 85,80 Euro).
Sozialabo: 46,80 Euro. Ausland: + 6,50 Euro Porto.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2009