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POLITISCHE BERICHTE/145: Anerkennung des Islam als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist von großer Bedeutung


Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Nr. 3 / 2019

"Die Anerkennung des Islam in der Öffentlichkeit durch den Status 'Körperschaft des öffentlichen Rechts' ist für uns von großer Bedeutung"

Interview mit Faizan Ijaz, Personalleiter der Religionsgemeinschaft "Ahmadiyya Muslim Jamaat" und Vorsitzender von An-Nusrat - Islamischer Wohlfahrtsverband in Frankfurt, von Karl-Helmut Lechner


Vorwort

In der Bundesrepublik Deutschland wird längst ein Kulturkampf von rechts geführt. Damit verbunden ist eine steigende Islamfeindlichkeit, die in der öffentlichen Debatte auch das Verhältnis zwischen Staat und Religion berührt. Die LINKE geht noch viel zu defensiv mit diesem Problem um. Wir sollten uns bei diesem Konflikt entschiedener positionieren. Es genügt nicht mehr, wenn wir den Religionsgemeinschaften im interreligiösen und interkulturellen Dialog aufgeschlossen und freundlich begegnen. Es wäre darüber hinaus nötig, für sie die gleichen Rechte einfordern, die bereits andere Religionsgemeinschaften, insbesondere die großen christlichen Kirchen, haben.
Das Religionsverfassungsrecht bietet im Grundgesetz dafür eine praktikable Lösung an. Es sieht im Art 140 GG für religiöse und weltanschauliche Gemeinschaften die Rechtsform der "Körperschaft des öffentlichen Rechts" (KdöR) vor. Diese ist geprägt von dem Grundsatz der Religionsfreiheit und der Gleichberechtigung aller Religionsgemeinschaften. In ihr können beispielsweise selbst kleine islamische Gemeinschaften gleiche Rechte für sich einfordern. So hat z.B. die Religionsgemeinschaft "Ahmadiyya Muslim Jamaat" - wenn auch noch als Ausnahmefall - bereits in Hessen und Hamburg seit 2013 diesen Rechtsstatus erhalten. Das nachfolgende Interview von Karl-Helmut Lechner mit Herrn Faizan Ijaz, Personalleiter der Religionsgemeinschaft "Ahmadiyya Muslim Jamaat" und Vorsitzender von An-Nusrat - Islamischer Wohlfahrtsverband in Frankfurt, zeigt auf, welch große Bedeutung eine durch den Status als KdöR mit Verfassungsrang ausgestattete Anerkennung des Islam in der Gesellschaft hat.

Der Schattenblick veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors das folgende Interview, das zuerst bei bei den "Politischen Berichten" 3/2019 erschienen ist:
http://www.linkekritik.de/index.php?id=558



Porträt - Foto: © Faizan Ijaz

Faizan Ijaz [1]
Foto: © Faizan Ijaz

Politische Berichte (PB): Wer ist die Religionsgemeinschaft "Ahmadiyya Muslim Jamaat"? Was ist der Kern ihrer Botschaft?

Faizan Ijaz: Zunächst vielen Dank, dass ich hier Ihre Fragen beantworten darf. Ahmadi-Muslime sind Muslime, die sich zu allen Lehren des ursprünglichen Islam bekennen. Wir sind eine Reformbewegung, die sich für die ursprünglichen Werte des Islam einsetzen will.

Wir haben zwei elementare Botschaften: Dem Schöpfer zu dienen und Seiner Schöpfung zu dienen. Dies sind die beiden Hauptaussagen, die der Begründer der Ahmadiyya formuliert hat. Für uns sind die wichtigsten Werte des Islam: Barmherzigkeit gegenüber allen Menschen, Gerechtigkeit und die Wahrung der menschlichen Würde, Gleichwertigkeit von Mann und Frau, Trennung von Religion und Staat und friedliches Miteinander der Religionen.

PB: Die Ahmadiyya Muslim Jamaat ist über 100 Jahre alt. Was ist ihr geschichtlicher Ursprung?

Faizan Ijaz: Die Ahmadiyya Muslim Jamaat wurde 1889 als muslimische Reformbewegung in Qadian, Nordindien gegründet. Indien war damals unter britischer Herrschaft. Die Muslime waren zu einem großen Teil aus dem wirtschaftlichen Leben ausgeschlossen. Dies hatte auch den Grund, dass sie sich von den Werten des Islam entfernt hatten. Unsere Bewegung stand von Anfang an für Bildung, Rationalität und Fortschritt. Dies erlangen wir dadurch indem wir zu der ursprünglichen Weisheit des Islam zurückkehren. Wir glauben, dass der von allen Muslimen erwartete Reformer und Messias in der Person Seiner Heiligkeit Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad, dem Begründer unserer Gemeinde, erschienen ist.

PB: Die Ahmadiyya Muslim Jamaat ist in Hessen und Hamburg eine "Körperschaft des öffentlichen Rechts". Welche Vorteile hat das für sie?

Faizan Ijaz: Wir haben den Körperschaftsstatus in Hessen seit 2013 und in Hamburg seit 2014. Für das interne Gemeindeleben erlaubt uns der Körperschaftsstatus, dass wir uns selbst strukturieren können. Hierbei stehen uns als öffentliche Körperschaft mehr Möglichkeiten zu als zum Beispiel in einem eingetragenen Verein, wo die rechtlichen Vorgaben stark zivilrechtlich orientiert sind.

Im Außenverhältnis bietet der Körperschaftsstatus den Vorteil, dass wir verfassungsgemäß anerkannter Ansprechpartner für den Staat sind. Rechtlich sind wir den Kirchen gleichgestellt. Die mit Verfassungsrang ausgestattete Anerkennung des Islam ist für uns von großer Bedeutung.

Inwiefern dann das ganze "Privilegienbündel", das man mit diesem Status erhält, für uns im Einzelnen von Vorteil ist - dies herauszuarbeiten ist eine längerfristige Aufgabe. Das Grundgesetz gibt uns dazu ja große Gestaltungsfreiheit.

PB: Hatten Sie Hindernisse bei der Antragstellung zu überwinden?

Faizan Ijaz: In Hessen haben wir den Antrag auf Anerkennung als "Körperschaft des öffentlichen Rechtes" 2011 eingereicht. Wir hatten keine großen Hindernisse. Einmal, weil wir mit der rechtlichen Situation vertraut waren. Unsere interne Struktur war bereits für die Anforderungen an eine Körperschaft angelegt. Aber auch das Ministerium war sehr kooperativ. Es hat uns bei der Antragstellung geholfen. Ich muss aber dazu sagen: damals war der politische Wille gegeben; sowohl in Hessen als auch in Hamburg. Mit der Zeit hat sich aber vieles verändert: Die Anforderungen an eine Anerkennung sind mehr und mehr angehoben worden. Auch der politische Wille scheint nicht mehr vorhanden zu sein. Das hat aber nichts mit uns als Gemeinde zu tun, sondern ist mehr auf den Wechsel des Islambilds in der Öffentlichkeit zurückzuführen. Aber wir sind guter Dinge, dass es mit der Anerkennung in anderen Ländern wie zum Beispiel in NRW auch klappen wird.

PB: Eine Bedingung der Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechtes von Seiten des Staates ist eine "verfestigte Struktur", die bei der beantragenden Religionsgemeinschaft gegeben sein muss. Wie ist die Gemeindestruktur bei Ihnen organisiert?

Faizan Ijaz: Unsere Gemeinde ist sehr gut strukturiert. Wir sind die älteste islamische Religionsgemeinschaft in Deutschland. Bereits seit 1955 sind wir als eingetragener Verein organisiert. Zunächst hatten wir in Hamburg, später dann in Frankfurt unsere Zentrale. Es hat aber auch damit zu tun, dass wir nicht direkt vergleichbar sind mit anderen islamischen Verbänden in Deutschland. Unsere Struktur unterscheidet sich dadurch, dass wir seit jeher ein Bundesverband waren. Und die rechtliche Transformation als "Körperschaft des öffentlichen Rechtes" ist auch in dieser Form geschehen. Die Ahmadiyya Muslim Jamaat hat keine lokalen eingetragenen Vereine oder Verbände, die von dem Bundesverband unabhängig waren. Wir waren seit jeher ein Bundesverband mit lokalen Gemeinden. Diese sind unter unserem Dach organisiert. Das Gemeindeleben findet aber natürlich selbständig in den lokalen Gemeinden statt. Man könnte unsere Struktur mit der von Kirchen vergleichen. Da gibt es die Landeskirchen und darunter die einzelnen Gemeinden. Sie wissen vielleicht von den anderen islamischen Gemeinden, dass es dort hingegen Dachverbände gibt, Landesverbände und Moschee-Gemeinden. Das ist bei uns anders.

PB: Wie gestalten Sie die Ausbildung ihrer Geistlichen?

Faizan Ijaz: Vor etwa zehn Jahren haben wir unser "Institut für islamischen Theologie und Sprachen" in Riedstadt-Goddelau gegründet. Wir nennen es "Jamia Ahmadiyya Deutschland" und dieses Institut haben wir als private Hochschule gegründet. Insgesamt gibt es weltweit acht solcher Einrichtungen. Das erste Institut in der westlichen Hemisphäre hatten wir in Kanada. Danach in England und jetzt hier in Deutschland. Das ist ein Campus, wo Studenten, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, sieben Jahre studieren, um Imame - also muslimische Geistliche - zu werden. Das Studium ist kostenlos. Es gibt ein Studentenwohnheim, eine Mensa, eine Bibliothek - alles was dazugehört und für Studenten wichtig ist. Aktuell studieren dort knapp 100 Studenten. Jedes Jahr schließen etwa 20 Studenten ihre Ausbildung ab und werden anschließend als Imame in den Gemeinden eingesetzt.


Heller Gebäudekomplex mit großem Vorplatz - Foto: © Faizan Ijaz

Das "Institut für islamischen Theologie und Sprachen" in Riedstadt-Goddelau bei Frankfurt
Foto: © Faizan Ijaz

PB: In welcher Sprache wird unterrichtet?

Faizan Ijaz: Es wird dort Deutsch, Englisch, Arabisch und Urdu gesprochen. Das sind auch die Sprachen, die dort auch unterrichtet werden. Viele Schriften unserer Gemeinde sind auf Urdu oder auf Arabisch verfasst. Die Studenten lernen diese Sprachen in den ersten beiden Jahren. Es gibt Studenten, die in ihrer Kindheit Urdu zu sprechen nicht gelernt haben. Im Folgestudium beschäftigen sich die Studenten mit der Theologie, Religionsvergleichung usw. Ein Mindestmaß an sprachlicher Begabung ist für dieses Studium erforderlich.

PB: Gibt es auch in diesen Sprachen theologische Literatur?

Faizan Ijaz: Die gemeindeeigene Literatur ist überwiegend auf Urdu, Englisch und Arabisch. Dann haben wir natürlich auch deutsche Literatur. Ein Großteil der deutschen Literatur sind Übersetzungen aus dem Urdu.

PB: Neugierig möchte ich die Frage anschließen: Gibt es bei Ihnen auch Frauen, die Theologie studieren? Gibt es Imaminnen?

Faizan Ijaz: Ja. Das gleiche Studium gibt es auch für Frauen. Wir haben in Kanada eine "Aysha Akademie". Nach diesem Vorbild wird demnächst auch hier in Deutschland ein theologisches Institut für Frauen eingerichtet. Dort studieren Frauen das gleiche wie die Männer, nur in kompakter Form. Das Studium dauert hier drei Jahre. Man kann zwar nicht sagen, dass sie Imaminnen werden. Der Imam ist ja erst mal nur ein Vorbeter. Frauen können vorbeten, wenn nur Frauen im Gottesdienst anwesend sind.

PB: Wie unterrichten Sie Ihre Kinder?

Faizan Ijaz: Unsere Kinder haben verschiedene Möglichkeiten, sich der Religion zu nähern. Viel passiert natürlich zu Hause in der Familie und natürlich in den Gemeinden. In Hessen bieten wir darüber hinaus seit ca. drei Jahren den konfessionellen Unterricht an öffentlichen Schulen an.

PB: Hat die Ahmadiyya Muslim Jamaat eigene soziale Einrichtungen?

Faizan Ijaz: Wir haben vor sechs Monaten den ersten islamischen Wohlfahrtsverband "An Nusrat" gegründet, das ist arabisch und heißt "Die Hilfe" bzw. "Helfer". Demnächst planen wir die Gründung von Kindergärten. Wir sind dazu im Rhein-Main-Gebiet mit einigen Städten in Verbindung. Diese Kindergärten werden natürlich für alle Kinder offen stehen. Man muss nicht Muslim sein, um in unseren Kindergarten aufgenommen zu werden. Außerdem planen wir weitere soziale Aufgaben wahrzunehmen. Wir orientieren uns hier an der Caritas und Diakonie: Kinder- und Jugendhilfe, Seelsorge, Altenpflege. Unsere sozialen Einrichtungen sind von dem islamischen Wohlfahrtsgedanken geprägt, stehen aber selbstverständlich allen Bürgern offen.


Gruppenbild - Foto: © Faizan Ijaz

Eröffnung des "Institut für islamischen Theologie und Sprachen" in Riedstadt-Goddelau mit dem Khalifen der Ahmadiyya Muslim Jamaat, Mirza Masroor Ahmad
Foto: © Faizan Ijaz

PB: Ist die Ahmadiyya Muslim Jamaat beteiligt an gesamtgesellschaftlichen Einrichtungen wie Universitäten, Kultureinrichtungen und Medien?

Faizan Ijaz: Ja, wir sind kooperieren mit verschiedenen Institutionen. Wir stehen mit verschiedenen islamischen Lehrstühlen an Universitäten im Gespräch. Auch im Rundfunkrat ist ein islamischer Vertreter dabei. Die konkrete Vorgehensweise wird inhaltlich zwischen den verschiedenen islamischen Verbänden erarbeitet.

PB: Wie organisieren Sie Ihre Finanzierung? Etwa z. B. über eine Moschee- Steuer oder die staatlichen Finanzämter?

Faizan Ijaz: Eine Moschee-Steuer, also eine Steuer analog zur Kirchensteuer, gibt es bei uns nicht. Unsere Finanzen sind so organisiert, dass wir ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert sind, die in Deutschland getätigt werden. Die Spenden werden persönlich in den Gemeinden eingesammelt. Das Geld wird dann den Gemeinden zur Verfügung gestellt und dort nach einem bestimmten Schlüssel an die einzelnen Gemeinden verteilt. So können die Gemeinden ihre Programme, die sie für ein gesamtes Jahr im Voraus planen, verwirklichen. Wir betrachten die Mitgliedsbeiträge aber nicht als "Steuer". Dieser Begriff passt nicht zu unseren theologischen Vorstellungen. Wir sehen Spenden als eine Art von Opfergaben, die von den Mitgliedern persönlich geleistet werden. Hier ist für uns der persönliche Kontakt zu den einzelnen Gemeindemitgliedern sehr wichtig.

PB: Mit dem Status einer "Körperschaft des öffentlichen Rechts" ist das Thema "Rechtstreue" verbunden. Wie sehen Sie das Verhältnis von bürgerlichem Recht, etwa dem Grundgesetz, zu religiösen Geboten?

Faizan Ijaz: Bei uns ist das relativ unproblematisch und konfliktfrei. Denn nach Auffassung der Ahmadiyya Muslim Jamaat kennt der Koran keinen "islamischen Staat", um mal diesen Ausdruck zu gebrauchen. Nach unserer Auffassung ist jeder Staat säkular. Für uns darf der Staat keinen Unterschied machen in Bezug auf seine Bürger, ob sie Muslime sind oder nicht. Zusammengefasst ist das oberste Gebot, das der Koran vorgibt, Gerechtigkeit. Wenn man den Islam so versteht, ist es leicht, sich dem Grundgesetz verpflichtet zu fühlen. Bei unseren Gemeindemitgliedern gibt es da auch keine Probleme. Sollte es mal zu einem Konfliktfall kommen, ist der Rechtsweg offen. Eine Bekämpfung staatlicher Institutionen ist nicht erlaubt.

PB: Es gibt also nicht den immer wieder in der Öffentlichkeit beschworenen Widerspruch zwischen "westlicher Demokratie", den "Menschenrechten" und dem Islam?

Faizan Ijaz: Nach unserer Auffassung gibt es diesen Widerspruch nicht.

PB: Vielen Dank für dieses Interview.

Das Interview wurde am 26. Februar 2019 von Karl-Helmut Lechner, Norderstedt, geführt.


Anmerkung:
[1] Zur Person: Herr Faizan Iljaz ist 38 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Anfang der 90er ist er nach Deutschland eingewandert. Nach dem Abitur hat Herr Ijaz Jura studiert und später Personalmanagement. Bei der Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) ist er u.a. zuständig für die Antragstellung der "Körperschaft des öffentlichen Rechts" (KdöR). Mit dieser Thematik ist er seit knapp 10 Jahren beschäftigt. Seit den letzten 5 Jahren ist Herr Ijaz auch zuständig für die Themen der Wohlfahrt in der AMJ.

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Quelle:
Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Ausgabe Nr. 3 / 2019
Herausgegeben vom: Verein für politische Bildung, linke Kritik und
Kommunikation
Verlag: GNN-Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2019

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