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OSSIETZKY/922: Kapitalistischer Interessenwiderspruch


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 19 vom 24. Septemer 2016

Kapitalistischer Interessenwiderspruch

Von Heinz-J. Bontrup


Kriege, Flüchtlingsströme und Umweltkatastrophen werfen tiefe Schatten. Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Millionen Menschen leiden bitter, und ihr Leben ist permanent bedroht. Hunderttausende sind allein in den letzten Jahren an den grausamen Kriegsfolgen, auf der Flucht und durch Umweltkatastrophen gestorben. Die EU steckt wegen einer einseitigen neoliberalen Umverteilungspolitik zu Gunsten von Kapitalinteressen in einer tiefen Wirtschaftskrise mit einer unerträglich hohen Massenarbeitslosigkeit und zunehmender Verarmung. Zusätzlich droht die EU an ökonomischen, aber auch politischen Egoismen auseinanderzubrechen. Auch in Deutschland, einem der reichsten Länder der Erde, gibt es immer mehr arme Menschen. Aber auch zunehmend Reiche. Die Ungleichheit hat in Deutschland einen Nachkriegsspitzenwert erreicht - nur noch von den USA getoppt. Die Menschen im Land sind hochgradig verunsichert und ängstigen sich. Rechtspopulistische Parteien haben Aufwind. Sie profitieren von der Angst und Verunsicherung. Die Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, Bascha Mika, schreibt in einem Kommentar: "Seit dem Siegeszug der neoliberalen Doktrin, spätestens von Gerhard Schröder (SPD) im bundesrepublikanischen Wertekanon erfolgreich verankert, kam bei den ökonomisch Abgehängten nur eine Botschaft an: Niemand vertritt euch, niemand kümmert sich um eure Belange. Wir wollen und brauchen euch nicht! Politik wird für die Finanzmärkte und die Besserverdienenden gemacht." Welch ein schäbiges politisches Spiel wird da gespielt? Gibt es hierfür Erklärungen?

Ja, die gibt es! Sie sind grundsätzlicher kapitalismusimmanenter Natur und sind im Interessenwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit tief angelegt. Die einen bekommen aus der arbeitsteilig geschaffenen Wertschöpfung Profit und die anderen Lohn. Was beide Kontrahenten wollen, die gleichzeitige Maximierung ihrer Einkommen, geht dabei aber nicht. Es wird einen Verlierer geben. Das zeigt seit Jahren überdeutlich die neoliberale Umverteilung zu Gunsten des Profits und damit zu Lasten des Lohns. So stellt denn auch der jüngste Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung empirisch kurz und bündig fest: "Der Anteil des Arbeitseinkommens am gesamten Volkseinkommen ist seit Beginn der 1990er Jahre zurückgegangen." Das reichste eine Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzt mehr als 24 Prozent des Gesamtvermögens, während 70 Prozent gerade einmal neun Prozent ihr Eigen nennen können. Und weiter heißt es im Fazit: "Die sehr Reichen schweben regelrecht über den konjunkturellen Krisen, während viele Arme auch von einem länger andauernden wirtschaftlichen Aufschwung kaum profitieren können. Die Einkommensverteilung ist in den letzten drei Jahrzehnten deutlich undurchlässiger geworden - und mit ihr hat sich auch die Chancengleichheit verringert. Gleichzeitig steigt der Anteil der Gewinn- und Vermögenseinkommen am Volkseinkommen und damit die Bedeutung von privaten Vermögen bzw. Renditen und Kapitalgewinnen." Entscheidend ist hier die größere Macht. Sie fällt in der Regel zu Gunsten des Kapitals (Profits) aus - nicht nur in Zeiten einer vorliegenden Massenarbeitslosigkeit, sondern auch deshalb, weil die Machtfrage durch die unternehmerische Freiheit (Artikel 12 Grundgesetz) und das Eigentumsrecht an den Produktionsmitteln (Art. 14 GG) verfassungsrechtlich abgesichert ist.

Nur eine Wirtschaftsdemokratie könnte diese Machtasymmetrie beseitigen. Dies wollen die Kapitaleigner und ihre Vertreter in Politik, Wissenschaft und Medien selbstverständlich nicht. Womit wir wieder beim ökonomischen Interessenproblem wären. Und über dem Widerspruch von Kapital und Arbeit thronen in der Gesellschaft noch die Millionen privater Haushalte mit ihren nicht selten abstrusen Konsumenteninteressen. Sie wollen natürlich ihre Waren und Dienste zu kleinsten Preisen bei maximalen Mengen und Qualitäten erhalten, und gleichzeitig sind sie lohnabhängig Beschäftigte und verlangen höchste Arbeitsentgelte und kürzeste Arbeitszeiten. Das ist aber die Quadratur des Kreises.

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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Neunzehnter Jahrgang, Nr. 19 vom 24. September 2016, Seite 694-696
Herausgeber: Matthias Biskupek, Daniela Dahn, Dr. Rolf Gössner,
Ulla Jelpke, Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Katrin Kusche (verantw.), Eckart Spoo, Jürgen Krause
(Korrektor)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2016

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