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OSSIETZKY/1031: Sieg oder Niederlage?


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 23 vom 24. November 2018

Sieg oder Niederlage?

von Victor Grossman


Wer siegte bei den US midterms, den Halbzeitwahlen, wer verlor? Die Antwort lautet: sowohl die Demokraten als auch die Republikaner! Die Antwort auf die Frage, ob die amerikanische Bevölkerung von den Wahlergebnissen profitieren wird, steht allerdings noch aus.

Trotz seiner üblichen Arm-, Hand- und Fingerbewegungen basierten Donald Trumps Triumphrufe kaum auf Fakten, auch wenn die große "blaue Welle", welche sich die Demokraten herbeigewünscht hatten, nicht heranrollte. (Neben den bewährten Esel- und Elefantensymbolen steht heutzutage, wer weiß warum, blau für Demokraten und rot für Republikaner.)

Dass die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewannen, überraschte wenig. Auch wenn Trump diesen Verlust durch das schlagzeilenträchtige Feuern des Justizministers zu überspielen versuchte, konnte er nicht leugnen, dass er nicht mehr alle drei Machtzentren beherrscht: Legislative, Exekutive und Judikative. Das Ergebnis kann für ihn folgenschwer sein, zum Beispiel hinsichtlich der Veröffentlichung der ihm zugeschriebenen illegalen Steuertricksereien. Auch wenn Trump versucht, durch das Erlassen von Dekreten das gesetzgebende Repräsentantenhaus zu umgehen, wird der Verlust der dortigen Mehrheit seinen freien Flug erschweren - sicherlich ein Gewinn für die meisten Amerikaner.

Doch noch immer stehen 40 Prozent der Wählerschaft hinter Trump. Das hat dazu geführt, dass auch einige sogenannte moderate Republikaner näher an den starken Mann heranrücken. Um die Gunst der Wähler zu wahren und zu mehren, setzt Trump zunehmend auf Rassismus, auf Hass und rohe Gewalt. Im Wahlkampf zielte sein Geifern dieses Mal weniger gegen Muslime, sondern vor allem gegen die "Karawane" der Ärmsten aus Mittelamerika, die in Richtung der US-Südwestgrenze strebt, aus den Heimatländern vertrieben durch die Ausbeutung der USA und deren Begünstigung jeglicher Diktatoren. Aus wahltaktischen Gründen sind die Flüchtenden "Gefährder", die "unsere Heimat" bedrohen. Das erinnert an Äußerungen von Pegida, AfD und auch gelegentlich solche von CDU/CSU. Trump will Tausende von schießwilligen Uniformierten gegen die Verzweifelten losschicken! Und wohl nicht nur gegen sie.

Dass die Demokraten die Mehrheit im Senat kaum erreichen konnten, war vorauszusehen; in diesem Jahr mussten viel mehr Demokraten kandidieren (alle zwei Jahre steht das Drittel der Senatoren zur Wahl, deren sechsjährige Amtszeit gerade ausläuft). Es gab dennoch Überraschungen - und Ungerechtigkeiten. Auf jeden der 50 Bundesstaaten, ob groß oder klein, entfallen zwei Senatorensitze. Das bedeutet, dass die 40 Millionen Bewohner Kaliforniens nicht stärker vertreten sind als die 580.000 von Wyoming oder anderer, meist ländlicher, konservativer Bundesstaaten. Es gibt Ausnahmen: Das kleine, ländliche Vermont mit 623.000 Einwohnern wählt immer wieder den (Sozial-)Demokraten Sanders!

Die Wahlen waren von bösen Schikanen begleitet: In Florida durfte keiner, der jemals im Gefängnis gesessen hatte, wählen. Im Jahr 2020 wird das wegen eines Referendums anders sein, jetzt aber galt diese Regelung noch und betraf 1.400.000 Menschen, davon 400.000 Afroamerikaner. Eine offen rassistische Kampagne führte außerdem dazu, dass der erste afroamerikanische Gouverneurskandidat, Andrew Gillum, mit 49,1 Prozent gegenüber 49,6 Prozent seines Gegenkandidaten verlor, das entsprach 43.000 von mehr als acht Millionen Stimmen insgesamt. Es erfolgte Nachzählung per Hand, durch die das ursprüngliche Wahlergebnis inzwischen bestätigt wurde.

Noch krasser waren die Schikanen im benachbarten Georgia: Die erstmalige Wahl einer afroamerikanischen Gouverneurin, Stacy Abrams, misslang. Ihr rassistischer Gegner erhielt 50,3 Prozent der Stimmen. Es stellte sich heraus, dass etliche Briefstimmen nicht gezählt worden waren, dass viele Wahlzettel und Wählerstimmen wegen Kleinstfehlern - oder reiner Willkür - ungezählt blieben, und dass der Staatsbeamte, der für die Wahlentscheidung zuständig ist, ausgerechnet ihr Gegenkandidat ist! Stacy Abrams kämpft noch um eine Neuauszählung und vielleicht eine Wahlwiederholung.

Auch wenn Gillum und Abrams durch Rassismus geschlagen wurden - die Knappheit des Ergebnisses zeigt, dass auch im tiefen Süden neue, starke Strömungen entstanden sind. Das gilt auch für Texas und andere Bundesstaaten.

Damit stößt man auf einen Widerspruch. Die Parteiführer der Demokraten, wie die Clintons und Barack Obama, wollen zwar die Republikaner besiegen und verhindern, dass Trump 2020 zum zweiten Mal ins Weiße Haus einzieht, doch an linken Strömungen haben sie kein Interesse. Sie setzen auf das Establishment und auf die erklecklichen Geldspenden der Konzerne, etwa aus dem Finanz- und High-Tech-Sektor, die dafür auch einen Gegenwert erwarten. Diese Firmen verstehen sich mit beiden Parteien gut, wenn es darauf ankommt, ebenso die umwelt-zerstörenden Öl-Pipeline-Riesen. Beide Parteien stellen sich auch mit den Rüstungsunternehmen gut und betreiben eine entsprechende Außenpolitik. Manche Hoffnungen, dass Trump zu einer Entspannungspolitik bereit wäre, erwiesen sich als kurzlebig - außer vielleicht im Falle von Nordkorea. Doch die Demokratische Partei, allen voran Hillary Clinton, steht erst recht für ein weiteres waffenstarrendes Streben nach Welthegemonie, mit antirussischem Fokus, der nur allzu sehr an die Position und die Forderungen von Ursula von der Leyen erinnert.

Wir haben also einerseits einen unkalkulierbaren Präsidenten, der auf Rassismus und rechte Gewalt baut, und andererseits eine Partei, die zwar innenpolitisch nicht gar so blutrünstig agiert, dafür aber aggressive Russenhetze und Außenpolitik betreibt. Bleibt also die Bevölkerung, von der etwa 60 Prozent Trump ablehnen, aber - auch den Clinton-Leuten nicht trauen. Bei den Halbzeitwahlen musste man den Stimmungen gerade dieses Wählerteils nachgehen. Das führte in einigen Staaten zu unerwarteten Siegen der Linken, manchmal zu knappen Niederlagen. Die Erfolge basierten zum Teil, trotz mancher Widersprüche, auf der mutigen Kampagne von Bernie Sanders. Ein Glanzpunkt war der Sieg der 29-jährigen Alexandria Ocasio-Cortez in New York, die offen als Sozialistin auftrat, gefolgt von einer jungen Afroamerikanerin aus Boston/Massachusetts: Ayanna Presley. Eine energische Anwältin aus dem Bundesstaat Michigan, Rashida Tlaib, Tochter eines palästinensischen Immigranten, zieht als erste Muslima in den Kongress ein. Weitere Erfolge errangen unter anderem die aus Somalia stammende Ilham Omar in Minnesota, zwei Uramerikanerinnen sowie ein schwuler Gouverneur in Colorado. Mehr Frauen als je zuvor konnten sich durchsetzen. Viele von ihnen setzten sich ein für Gesundheitsthemen, für kostenlose Hochschulbildung, gegen die grausame Behandlung von Ausländer*innen, gegen die Brutalität der Polizei, der Gerichte und der Haftanstalten besonders gegen Afroamerikaner*innen. Manche der führungsnahen Demokraten schwiegen zu diesen linken Forderungen, manche nahmen sie auf - zumindest während der Wahlkampagne. Was die Neuen zur Außenpolitik - und zu Waffen - sagen, wird äußerst wichtig sein. Auf alle Fälle scheint sicher, dass die Atmosphäre im Repräsentantenhaus ab Januar anders sein wird als zuvor.

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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Einundzwanzigster Jahrgang, Nr. 23 vom 24. November 2018, S. 820-822
Redaktion: Haus der Demokratie und Menschenrechte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2018

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