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OFFENSIV/097: Ausgabe Juli-August 2011 5/11


offen-siv 5/2011
Zeitschrift für Sozialismus und Frieden

Ausgabe Juli-August 2011 5/11


INHALT

Redaktionsnotiz

Der reale Imperialismus
- Hans Fricke: Gedanken zu Hintergründen der Festnahme des serbischen Ex-Generals Ratko Mladic
- Dorothea Schendel: Live from Libya (April - Juni 2011)
- Deutscher Freidenkerverband: Solidarität mit Libyen
- Hans Fricke: Warum nur Gaddafi und nicht auch Bush & Co.?

Die KKE im Kampf
- KKE: Völker Europas, erhebt Euch!
- KKE: Kein Opfer für die Krise, für die Schulden und die Profite der Plutokratie!
- KKE: Stellungnahme zu Plästina

13. August 1961
- Stephan Hermlin: Offener Brief an Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass
- Peter Hacks: Das Vaterland

Opportunismus und Revisionismus
- Redaktion offen-siv: Vorbemerkung zu diesem Schwerpunkt
- Gerhard Feldbauer: MEMORIAL - Juni 1976 - Kommunistische Partei Italiens (PCI) auf dem Weg in den Untergang
- Michael Opperskalski: Aus den Tiefen des Niedergangs zur Einheit

Kaderschulung der KI
- Frank Flegel: Erfolgreicher Start der Kaderschulung der Kommunistischen Initiative

Buchbesprechung
- Hermann Jacobs: Sahra Wagenknecht hat eine Idee ... die Marx nicht hatte - Zu ihrem neuen Buch "Freiheit statt Kapitalismus"

Aus der Leser/innen-Post

Raute

REDAKTIONSNOTIZ

Vier Schwerpunkte bietet Euch dies Heft:

- Griechenland: Nachrichten von der kämpfenden KKE, Dokumente und Stellungnahmen.

- Die Grenzsicherung der DDR am 13. August 1961, der so genannte "Mauerbau": Wir dokumentieren einen offenen Brief von Stephan Hermlin an zwei westdeutsche Schriftstellerkollegen und das Gedicht von Peter Hacks, "Das Vaterland". Mehr muss man zu diesem Thema nach unserer Überzeugung nicht sagen.

- Eine kleine Auswahl aus den aktuellen Übergriffen des Imperialismus: Hier geht es um die Überstellung von Ratko Mladic an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, einen Augenzeugenbericht aus Tripolis (Libyen) und Beweise für Folter in der USA-Justiz bzw. beim USA-Militär.

- Neues und Weiteres über den Revisionismus: Der Kampf gegen den Revisionismus ist eine dauernde Aufgabe. Um den Blick zu schärfen, dokumentieren wir sowohl die Katastrophe der alten, revolutionären Sozialdemokratie in Deutschland, dies auch und gerade, weil sich im damaligen Prozess unendlich viele Prallelen zu heutigen Verhältnissen finden; den Untergang der Kommunistischen Partei Italiens, natürlich auch hier, um daraus für die aktuelle Situation zu lernen; und eine Analyse der aktuellen Verhältnisse innerhalb der kommunistischen Bewegung Deutschlands.

In der letzten Ausgabe hatten wir Euch um Spenden für das Büro der KI im Ruhrgebiet gebeten. Wir können vermelden, dass inzwischen 80,00 Euro von den notwendigen 100,00 Euro monatlich für mindestens ein Jahr abgesichert sind, außerdem gibt es mehrere Einzelspenden, z.B. für Inventar oder für die Miete eines Monats. Dafür danken wir denjenigen, die sich gemeldet haben und bitten diejenigen, die es bisher nicht taten, die noch offenen 20,00 Euro monatlich ebenfalls für wenigstens ein Jahr abzudecken. Falls Ihr noch Zweifel habt: lest meinen Bericht über die Kaderschulung! Es sind wirklich ganz wunderbare junge Genossinnen und Genossen, voller Energie und Tatendrang! Jeder Betrag zählt! Und wären es nur drei oder fünf Euro monatlich, die Ihr übrig machen könnt, so würden dann doch vier bzw. sechs Leser/innen ausreichen, um die Finanzierung sicher zu stellen. Bitte meldet Euch bei uns, wenn Ihr helfen könnt: Zeitschrift offen-siv, Frank Flegel, Egerweg 8, 30559 Hannover, Tel.u.Fax: 0511 - 52 94 782, Mail: redaktion@offen-siv.com. Wir klären mit Euch die Modalitäten und leiten das Ganze weiter.

Und wir müssen auch an uns denken. Wir befinden uns gerade im so genannten Sommerloch, der Spendenfluss für unsere Zeitschrift könnte besser sein. Zeitungmachen kostet Geld. Also: vergesst uns nicht!

Für die Redaktion: Frank Flegel

Spendenkonto Offensiv:
Inland:
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Ausland: Konto Frank Flegel, Internat. Kontonummer(IBAN): DE 10 2505 0180 0021 8272 49,
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Raute

DER REALE IMPERIALISMUS

Hans Fricke: Gedanken zu Hintergründen der Festnahme des serbischen Ex-Generals Ratko Mladic

Als Serbiens Präsident Boris Tadic am 26. Mai 2011 in Belgrad bestätigte, dass der frühere General der serbischen Truppen in Bosnien-Herzegowina, Ratko Mladic, festgenommen worden sei, feierten Politiker und Medien des Westens diese Festnahme als späten Sieg der Gerechtigkeit. Schließlich hatte das UN Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag (ICTY) seit 16 Jahren vergeblich nach Mladic gefahndet, weil es ihn hauptverantwortlich für die Ereignisse in Srebrenica 1995 hält. Brüssel und das ICTY hatten die Festnahme Mladics zu einer Bedingungen für Beitrittsverhandlungen der EU mit Serbien gemacht.

"Das Massaker von Srebrenica" steht laut Spiegel für "Europas schlimmste Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg". Für Ludger Volmer (Grüne) hatte "die serbische Kriegsführung den Charakter des Völkermordes angenommen". Der SPD-Politiker Freimut Duve löste mit seiner Formulierung die "Rampe von Srebrenica" Erinnerungen an Auschwitz aus und der damalige Bundesaußenminister Joseph Fischer (Grüne) sah in Srebrenica das "Symbol des serbischen Faschismus". Das sind nur einige Aussagen, mit denen sich Jürgen Elsässer in seinem Buch "Kriegslügen - vom Kosovo-Konflikt zum Milosevic-Prozess", Kai Homilius Verlag 2004,(1) auseinander setzt und die deutlich machen, dass es bei dem, was mit dem Wort Srebrenica umrissen wird, um Vorgänge von erheblichem Gewicht handelt. Darum und auch um die unrühmliche Rolle der Bundesrepublik Deutschland bei der Zerschlagung des souveränen europäischen Staates und UNO-Mitglieds Jugoslawien zu zeigen, ist es notwendig, sie in folgendem näher zu beleuchten:

Nur einige Monate nach dem Anschluss der DDR an die BRD begann Deutschland an der Aufsplitterung der Bundesrepublik Jugoslawien zu arbeiten. Die Kohlregierung drängte auf die Anerkennung der Teilrepubliken Kroatien und Slowenien, was den stellvertretenden serbischen Außenminister Dobrosa Vezovic veranlasste, in der New York Times vom 18. Dezember 1991 zu warnen, dass es sich hierbei um einen direkten Angriff auf Jugoslawien mit dem Ziel handele, Jugoslawien von der Weltkarte zu löschen. Schon wieder sei Deutschland auf dem Wege, die Karte Europas neu zu entwerfen und würde bald bereit sein, zum ersten Mal nach dem Hitler-Reich militärische Gewalt außerhalb seiner Grenzen einzusetzen. Bereits vier Jahre danach schickte die Bundesregierung 4000 Soldaten nach Bosnien - zum größten Militäreinsatz im Ausland seit dem II. Weltkrieg.

Das erpresserische Abkommen von Rambouillet, mit dem das rohstoffreiche(!) Kosovo - ein Teil des jugoslawischen Staates - zum Protektorat erklärt werden sollte, wäre von keiner souveränen Regierung der Welt unterzeichnet worden. Als Regierung und Parlament Jugoslawiens genau so auf die Erpressung der NATO reagierten, hatte der Westen den gewünschten Vorwand, um loszuschlagen. Die deutsche Teilnahme an der militärische Aggression der NATO gegen Jugoslawien, die sowohl gegen das Völkerrecht, den 2+4-Vertrag als auch gegen das Grundgesetz verstieß, wurde gegenüber der deutschen Bevölkerung mit der Verhinderung von ethnischen Säuberungen durch Serbien begründet. Als der Bundestag am 16. Oktober 1998 der deutschen Kriegsteilnahme zustimmte, hatte sich der damals amtierende Bundesjustizminister, Prof. Dr. Schmidt-Jortzig, als das fachlich zuständige Kabinettsmitglied nicht an der Abstimmung beteiligt. Er hatte seinen Protest gegen die seiner Auffassung nach völkerrechtswidrige Kabinettsvorlage zu den Kabinettakten gegeben. Anders der Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) und der Bundesaußenminister Joseph Fischer (Grüne). Sie erklärten, ihnen lägen "zuverlässige" Informationen über Massaker, Gräueltaten, Konzentrationslager und Hinrichtungen von Intellektuellen im Kosovo vor. Unter der Ägide der serbischen Polizei und der jugoslawischen Bundesarmee fände ein "von langer Hand geplanter, systematischer ethnischer Vertreibungskrieg gegen die dort lebenden Albaner" statt, behaupteten beide Spitzenpolitiker. Während der folgenden Tage und Wochen meinte Scharping gar, in die "Fratze der eigenen Vergangenheit" zu blicken. Fischer verglich den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic öffentlich mit Adolf Hitler und sah im Kosovo eine "serbische SS" am Werke.

Was die Glaubwürdigkeit der ethnischen Säuberungen durch Serben angeht, überführt die unmittelbar vor der Pressekonferenz beider Politiker erfolgte Tagesmeldung des Amtes für Nachrichtenwesen der Bundeswehr beide Scharfmacher der Lüge: "Tendenzen zu ethnischen Säuberungen sind weiterhin nicht zu erkennen."

Brigadegeneral a.D. der Bundeswehr Heinz Loquai war vor und während des Jugoslawienkrieges Deutschlands Militärattache bei der OSZE in Wien. Sein Arbeitsfeld war der Kosovo-Konflikt. Auch dieser kompetente Zeitzeuge hatte Horrormeldungen, wonach Serben wehrlose Kosovo-Albaner abgeschlachtet und grausam verstümmelt hätten, als propagandistischen Schwindel entlarvt. Zu den Ergebnissen von Jürgen Elsässers Ermittlungen meinte der General: "Als Autor eines Buches zum Kosovo-Konflikt war ich gewohnt, auf Unglaubliches zu stoßen. Doch Elsässers Tribunal versetzt mich wieder in die Stimmung: Das kann doch nicht wahr sein! Stimmt das denn wirklich? Man reibt sich die Augen. Eine weitere Emotion war die Hochachtung. Mit welcher Akribie sind hier Informationen zusammengetragen, wurden Spuren verfolgt, wird kritisch nachgefragt! Es ist schon eine kriminalwissenschaftliche Vorgehensweise; denn die Regierungsakten werden ja nur für die Hofberichterstattung freigegeben."

Angesichts der schlimmen Folgen westlicher Politik gegenüber Jugoslawien prägte Elsässer folgenden nachdenkenswerten Satz: "Die Deutschen sind die Brandstifter und die Amerikaner löschen mit Benzin."

Zu den prominentesten deutschen Politikern, die gegen die Bombardierung Jugoslawien opponierten, zählen der damalige SPD-Politiker Oscar Lafontaine, die damalige und jetzige Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) sowie der ehemalige OSZE-Vizepräsident und Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer (CDU), der von einem "ordinären Angriffskrieg" sprach und der damaligen Bundesregierung, insbesondere Außenminister Joseph Fischer und Verteidigungsminister Rudolf Scharping, "Manipulationen" vorwarf.

Dr. Hannes Hofbauer, Verleger (ProMedia) und Autor in Wien - von ihm stammt der aufschlussreiche Aufsatz "Kosovo. Die Rückkehr des Kolonialismus" in der Zweiwochenzeitschrift Ossietzky, Ausgabe 15/2007 (http:www.sopos.org/aufsaetze/46cc2c11b209a/1.phtml.) erklärte dazu in Neues Deutschland vom 10. Juli 2004: "Kein einziger schriftlicher Befehl zum Massenmord konnte gefunden werden, kein Ukas zu Vertreibungen der Albaner aus dem Kosovo. Statt dessen reihenweise Dokumente aus serbischen Archiven, die den Schutz der Zivilbevölkerung im Kosovo höchste Priorität einräumen."

Der Chefredakteur der Tagszeitung junge Welt, Arnold Schölzel, meinte in seiner Zeitung vom 3. Juli 2004 zum Buch von Jürgen Elsässer: "Mit Hilfe dieses Buches dürfte es möglich sein, gerichtsfest zum Beispiel Rudolf Scharping und Joseph Fischer als Kriegshetzer und Kriegsverbrecher zu bezeichnen. Ähnliches betrifft ihre Handlanger in Spiegel, FAZ, taz (...) Eben weil Elsässer umfassend recherchiert, stützt er sich stets auch auf Berichte von Korrespondenten etablierten Medien vor Ort, die nicht den 'Erkenntnissen' folgen, die an einem Schreitisch im NATO-Hauptquartier, im Bundeskanzleramt oder in der Chefredaktion des Spiegel ersonnen wurden."

Um in die damaligen Vorgänge mehr Systematik hineinzubringen, seien nachfolgende Geschehnisse kurz zusammengefasst:

- 1992: Bei Kriegsausbruch leben in Srebrenica etwa zwei Drittel Muslime und ein Drittel Serben. Ende des Jahres sind fast alle Serben vertrieben oder ermordet, 1000 der Ermordeten sind nach Angaben des serbischen Pathologen Zoran Stankovic identifiziert.

- April 1993: Srebrenica wird vom UN-Sicherheitsrat zur Schutzzone erklärt.

- 11. Juli 1995: Serbische Einheiten nehmen die muslimische Enklave Srebrenica ein.

- 12. bis 18. Juli 1995: In dieser Zeit soll das "Massaker von Srebrenica" stattgefunden haben. Nach Aussage von Verteidigungsminister Rudolf Scharping vom 28.03.1999 sind von "den Serben" 30.000 Menschen umgebracht worden. Nach Angabe des Roten Kreuzes gelten 7.333 als vermisst.

- 10. August 1995: Geschlossene Sitzung des UN-Sicherheitsrates. Madeleine Albright, UN-Botschafterin der USA, zeigt Luftaufnahmen von Spionagesatelliten, um damit die "Gräueltaten" der bosnischen Serben zu belegen.

- 28. August 1995: Auf dem Marktplatz von Sarajewo ereignet sich (nach dem 27.05.1992 und 05.02.1994) ein weiterer Anschlag, für den die serbische Seite verantwortlich gemacht wird.

- 30. August 1995: Ab diesem Zeitpunkt bombardieren US-Kampfflugzeuge zwei Wochen lang serbische Stellungen. Muslimisch-kroatische Bodentruppen erobern fast ein Fünftel Bosniens.

Das so genannte Massaker von Srebrenica überdeckt also das Vorgehen Kroatiens in der Krajina, fungiert als Auslöser für den Krieg der NATO und kam deshalb genau zum richtigen Zeitpunkt.

Der US-amerikanische Journalist und Autor Georg Pumphrey stellte im August 1990 in Konkret die berechtigte Frage, was die von Madeleine Albrigth präsentierten Fotos beweisen?

"Von den acht Fotos, die dem Sicherheitsrat vorgelegt wurden, bekam die Öffentlichkeit nur drei zu sehen, die anderen wurden als vertraulich klassifiziert. Zu den Fotos mit der Beschriftung "Mögliche Massengräber; Kasaba/Konjevic Polje-Gebiet, Bosnien" tauchen etliche Fragen auf: Warum wurden dem Sicherheitsrat nicht die ursprünglichen Fotos gezeigt? Aufklärungsfotos weisen normalerweise eingebaute zeitliche und geographischen Erkennungsmerkmale auf. Woher soll man wissen, dass diese Fotos in der Nähe von Srebrenica aufgenommen wurden? Und zu welcher Zeit? Der Titel und andere Bemerkungen über das, was man auf den Fotos erkennen soll, wurden nachträglich auf die Fotos geschrieben, während die zeitlichen und geographischen Erkennungsmerkmale wegretuschiert worden waren (...) Die Bildershow der Madeleine Albright im Sicherheitsrat fand zu einem Zeitpunkt statt, als die bis dato ethnische Säuberung des gesamten jugoslawischen Bürgerkrieges ablief. Mehr als 250.000 Serben wurden mit aktiver US-Unterstützung von der kroatischen Armee in einer Blitzaktion aus ihrer angestammten Heimat und ihren Häusern in der Krajina vertrieben. Wer nicht gehen wollte, wurde ermordet." Die Belgrader Menschenrechtsorganisation "Veritas" hat ermittelt, dass im Zuge der Offensive Kroatiens in der Krajina etwa 2.000 Zivilisten verschwanden oder ermordet wurden. Wie Jürgen Elsässer in der Zeitung "Freitag" vom 18. Juli 2003 schrieb, hat der kroatische Helsinki-Ausschuss für Menschenrechte 410 Tote namentlich identifiziert.

Georg Pumphrey erklärte weiter: "Um von den massiven Verletzungen der Menschenrechte des kroatischen Alliierten abzulenken und die anderen Mitglieder des Sicherheitsrates von Sanktionen gegen Kroatien abzuhalten, beeilte sich die US-Regierung, den Serben ungeheuerliche Kriegsverbrechen vorzuwerfen. Die US-Regierung drängte den Sicherheitsrat, als 'geheim' eingestufte Satellitenfotos als 'Beweis' auf, schloss also jede unabhängige Prüfung dieser 'Beweise' von vornherein aus, wohl wissend, dass sie von keiner Macht der Welt gezwungen werden kann, der Freigabe der Originalfotos zuzustimmen. Damit hat die US-Regierung einen gesetzlosen Raum geschaffen, in dem sie Beweise fabrizieren, manipulieren, vorlegen oder vorenthalten kann (...)"

Laut taz vom 17.Dezember 1997 wurden alle Srebrenica-relevanten Akten für die nächsten 30 bis 50 Jahre in der New Yorker UNO-Zentrale weggesperrt und dürfen auch dem Den Haager Tribunal nicht vorgelegt werden(!) Dies geschah auf Verlangen der ständigen Sicherheitsratsmitglieder USA, Frankreich und Großbritannien, die sich auf ihre nationalen Geheimschutzbestimmungen für Regierungsdokumente beriefen. Welche Gründe könnte es dafür geben, die Beweise von Verbrechen gegen die Menschlichkeit als geheim einzustufen und für Jahrzehnte aus dem Verkehr zu ziehen, wenn nicht die Angst vor der Wahrheit?

Jürgen Elsässer geht auch der Behauptung von Verteidigungsminister Rudolf Scharping nach, in Srebrenica hätten die UN-Truppen zusehen müssen, wie 30.000 Menschen umgebracht worden seien und schreibt dazu: "Nach den offiziellen Zahlen des Internationalen Roten Kreuzes von Ende 1999 werden 7.383 Bewohner von Srebrenica vermisst. Wären alle tot, dann wäre dies die Maximalzahl der von Serben in jenen Tagen Getöteten. Die übrigen 22.617 gehen auf das Konto von Scharping." Aber auch die Zahl von 7.383 kann nicht als erwiesen betrachtet werden. "So hat Professor Milivoje Ivanisevic von der Universität Belgrad herausgefunden, dass 500 der Vermissten schon vor der Einnahme von Srebrenica gestorben waren. Weitere 3.010 angeblich vermisste Personen sind auf der OSZE-Wählerliste des Jahres 1997 wieder aufgetaucht - zwei Jahre nach dem angeblichen Massaker. Stillschweigend hat der Spiegel seine Srebrenica-Zahlen im Sommer auf mindestens 3.000 reduziert. Noch im Herbst hatte er, wie fast alle Medien, von über 7.000 'abgeschlachteten' muslimischen Zivilisten berichtet."

Die Beobachtungen der für den "Debriefing Report" befragten niederländischen UNPROFOR-Soldaten, so Jürgen Elsässer, deuten auf einige Hundert bis eintausend Tote hin. Von den im Auftrag des Haager Kriegsverbrechertribunals exhumierten etwa 2.000 Leichen sind nach Aussage eines mit den Grabungsarbeiten betrauten Spezialisten "70 namentlich identifiziert".

Im Kosovo überschritt Deutschland, das schon 1995 Truppen nach Bosnien entsandt und in Kroatien ein Feldlazarett bereitgestellt hatte, die seit dem Zweiten Weltkrieg eingehaltene "rote Linie", als sich die Luftwaffe mit ihren "Tornados" zum ersten Mal (!) seit 1945 wieder an Kampfeinsätze beteiligte. Der Präzedenzfall wurde noch ausgeweitet, als Deutschland nach der Bombardierung mit mehr als eintausend Soldaten auch an der im Juni 1999 begonnenen Besetzung des Kosovo durch NATO-Truppen teilnahm. Ausgerechnet ein deutscher General (Klaus Reinhardt) übernahm den Befehl über die 50.000 NATO-Soldaten der Kosovo Force / KFOR. Am 9. September 2009 berichteten die deutschen Massenmedien mit Genugtuung, dass wiederum ein deutscher General den Oberbefehl über alle im Kosovo eingesetzten NATO-Truppen übernommen habe.

Unvorstellbar, dass sich ein General der Nationalen Volksarmee der DDR dazu hergegeben hätte, das von der Nazi-Wehrmacht geschundene und zerstückelte Jugoslawien ein zweites Mal als Staat zu liquidieren, ganz zu schweigen davon, dass die DDR-Regierung keinem ihrer Soldaten den Befehl zur Teilnahme an einer solchen völkerrechtswidrigen Aktion erteilt hätte. Aus dem Gedächtnis sei ein amerikanischer Reporter zitiert, der die Äußerung eines alten Kosovo-Albaners bei der Ankunft der ersten deutschen Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg etwa so wiedergegeben hatte: "Wo seid ihr gewesen? Wir haben euch vermisst. Als ihr das letzte Mal hier wart, habt ihr die richtigen Grenzen gezogen."

Nachdem das einheitliche Deutschland durch seine Teilnahme am Überfall auf Jugoslawien und an seiner Liquidierung als souveräner Staat von seinen NATO-Verbündeten quasi vom Makel seiner Nazi-Vergangenheit befreit worden war, stand es ihm nun frei, wieder weltweit Truppen zu entsenden und Kriege zu führen. So sah das übrigens auch der Spiegel, in dessen Ausgabe vom 9. Februar 2009 Thomas Thiel aus Anlass des 15. Jahrestages der Abstimmung des Bundestages über die Teilnahme der Bundeswehr am Krieg gegen Jugoslawien folgendes schrieb: "Mit ihrem Beschluss öffneten die Abgeordneten der deutschen Armee die Tür zur Welt."

Deutsche Politiker schafften es sogar, die Verhaltensweisen und die Schuld der Nazis den Serben anzuhängen, die in besonderer Weise Opfer der verbrecherischen Politik der Faschisten waren. Für die Bundesrepublik war es als eine Art entlastende psychologische Projektion anzusehen, die dazu diente, den Deutschen ein willkommenes Gefühl wiedergewonnener Unschuld zu geben, weil angeblich die "kriminellen" Serben jetzt die neuen Schurken waren.

Die deutsche Großmachtpolitik brauchte und braucht für ihre "Interventionen", also Angriffskriege, die Legende, dass wir Deutschen militärisch eingreifen müssen, um in aller Welt die Guten vor den Bösen zu schützen. Und ausgerechnet das Volk der Serben muss dafür herhalten.

Niemals im Laufe der Jahrhunderte hat Serbien Deutschland angegriffen, aber im 20. Jahrhundert hat deutsches Militär dreimal Serbien überfallen: 1914, 1941 und 1999. Der Name der serbischen Stadt Kragujevac sollte Synonym für deutsche Kriegsverbrechen auf dem Balkan sein: Deutsche Wehrmachtssoldaten ermordeten dort an einem einzigen Tag im Herbst 1941 zwischen 7.000 und 8.000 Menschen, darunter ganze Schulklassen, die mit ihren Lehrern zur Erschießung anzutreten hatten. Aber wie viele Deutsche haben den Namen Kragujevac überhaupt je gehört? Sehr viele kennen hingegen den Namen Srebrenica. Seine permanente Wiederholung genügt zur Konstruktion eines serbischen Tätervolkes, das der Bändigung und Erziehung durch uns zivilisierte Deutsche bedarf. Die Hasskampagne gegen "die Serben", die in der Bundesrepublik gestartet wurde, gipfelte in Kreisen von Scharfmachern schon bald wieder in der bekannten Losung "Serbien muss sterbien!"

Auch Kurt Köpruner, ein österreichischer Manager einer Regensburger Maschinenbauagentur, der in den Jahren 1990 bis 2000 vor allem aus beruflichen Gründen das zerfallende Jugoslawien bereiste, hat in seinem Buch "Reisen in das Land der Kriege. Erlebnisse eines Fremden in Jugoslawien" mit einem Vorwort von Peter Glotz, Espresso Verlag, Berlin 2001, aufgezeichnet, was er dort selbst erlebt und in vielfältigen geschäftlichen und privaten Kontakten erfahren hat. Damit unternahm er den Versuch, einen Gegengewicht zu den tendenziösen und irreführenden "Informationen" durch Politik und Massenmedien des Westens in Bezug auf die politischen Entwicklungen auf dem Balkan zu schaffen.

Zu den Hintergründen der NATO-Aggression gegen Jugoslawien zählt er auch, wie der Westen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic systematisch zu einem Monster aufgebaut hat. Der von den USA und der "Internationalen Staatengemeinschaft" Geächtete war vor seinem Politaufstieg Bankier mit besten US-Kontakten. Noch bis zum Vertrag von Dayton, November 1995, war er ein angesehener Verhandlungspartner der USA, die in ihm einen Garanten der Ordnung sahen. (Nachzulesen im Bericht des US-Staatssekretärs und Chefunterhändlers für Bosnien, Richard Holbrooke: "Meine Mission", in Übersetzung erschienen in München 1998, zu einer Zeit also, als die in der Anklageschrift aufgelisteten angeblichen Milosevic-Verbrechen an den Albanern im Kosovo ebenfalls bereits lange bekannt gewesen sein mussten.)

In Deutschland und seinen Massenmedien hatte Milosevic allerdings bereits seit Anfang der 90er Jahre einen schlechtern Ruf, weil er den deutschen Interessen entgegen stand.

"Mit zunehmender Sachkenntnis des Autors Kurt Köpruner", schrieb Gudrun Eusser in ihrer Rezension, "werden die Zusammenhänge, die Gründe für die Zerschlagung Jugoslawiens, für die Verteufelung Milosevic' und aller Serben immer klarer. Von Krieg zu Krieg, von Kroatien 1991-1995, über Bosnien 1992-1995 und schließlich Serbien 1998-1999 erkennt der Autor immer schärfer: Mit Menschenrechten, mit Demokratie und gar mit Fürsorge für die im ehemaligen Jugoslawien lebenden Menschen haben die völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen der NATO nichts zu tun! Der Autor hilft dem Leser die Funktion der Balkankriege zur Rechtfertigung des Weiterbestehens der NATO nach dem Zerfall der Sowjetunion, zur Ausdehnung der US-Hegemonie in einem ideologiefreien Raum und in Richtung auf die Bodenschätze der Kaspischen Region, zur Sicherung der Unternehmergewinne der 'Internationalen Staatengemeinschaft', und dabei hauptsächlich der deutschen Unternehmen, zu erkennen. Dafür wurden Völkerrecht und das Grundgesetz gebrochen sowie die UN-Charta außer Kraft gesetzt."

Besonders faszinierend empfand die Rezensentin die Ausführungen im Kapitel "Ruder Finn - oder: Dementis wird wertlos" (S.159 ff). Darin wird der französische Journalist Jaques Merlino zitiert, der auf die in Washington ansässige Firma Ruder Finn stieß. Sie verdient ihr Geld mit der Verbreitung von Nachrichten. Der Firmenchef plauderte aus der Schule, wie er für seine Auftraggeber Nachrichten, ob wahr oder erfunden, schnellstens an ausgewählte Multiplikatoren streut, und dass "nur zählt, was einmal behauptet wurde. Dementis sind dagegen völlig unwirksam."

In Köptuners Buch ist nachzulesen, wie die Balkan-Arbeit dieser Firma gewirkt hat. Besonders stolz sei sie darauf gewesen, die Juden der USA auf die Seite der "Internationalen Staatengemeinschaft" und deren Absichten gezogen zu haben. Das muss eine Kunst gewesen sein, denn wie der Antisemitismus in Kroation und Bosnien Zehntausende Juden in kroatischen Konzentrationslagern vernichtet hat, konnte dem Gedächtnis der Entkommenen und Nachkommen nicht entfallen sein. Der Trick war, in der New Yorker Zeitung "Newsday" die Ereignisse in Kroatien im August 1992 einfach umzuschreiben und über angebliche serbische Konzentrationslager zu berichten. Dieses Reizwort reichte aus, um drei große jüdische Organisationen aufzubringen. Protestkundgebungen wurden organisiert und die Serben wurden "im Handumdrehen" mit den Nazis gleichgesetzt. Dies berichtete der Ruder-Finn-Firmenchef voller Stolz. Die Lager wurden allerdings niemals gefunden, da es sie nicht gab.

Am Ende dieser Manipulation stand ein vollständig einseitig ausgebildetes Feindbild, das von der Bundesregierung aufgegriffen wurde: "Es war und ist Milosevics Absicht, einen Teil seines Staatsvolkes zu vertreiben und auszurotten. Wer von dieser Analyse nicht ausgeht, ist für mich kein ernsthafter Gesprächspartner. Für mich steht fest: Das, was Milosevic betreibt, ist Völkermord. Und er bedient sich der gleichen Kategorien, deren Hitler sich bedient hat." (Ludwig Vollmer, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, im Interview in Neues Deutschland vom 1. April 1999)

Die Tatsache, dass Ruder Finn seit 1992 auch die Public Relations für die bosnischen und kroatischen Präsidenten Isetbegovic und Tudjmann organisiert hat, rundet das Bild der Dimension von Manipulation und Massenverdummung im Zusammenhang mit dem Krieg gegen Jugoslawien ab.

Zum Schluss seines Buches berichtet Kurt Köpruner als Tourist im Kosovo im Oktober 2000 und stellt fest: Von der Vertreibung der Serben, Roma und Juden sowie der Zerstörung der serbischen mittelalterlichen Kirchen berichtet in den westlichen Medien niemand. Auch die fehlenden Massengräber scheinen niemand zu interessieren. "Where are the Kosovo Killing Fields?" hatte der US Think Tank STRATFOR.com schon am 17. Oktober gefragt. Die Antwort bleiben die Kriegstreiber bis heute schuldig. Was Ruder Finn einmal ins Bewusstsein der Massen gebracht hat, würde sowieso durch ein noch so lückenloses Dementi nicht vertrieben.

Lesenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Aufsatz von Marcus Hawel "Vor 13 Jahren ereignete sich das Massaker von Srebrenica - Wie sich die Phrase der 'humanitären Intervention' in der deutschen Außenpolitik etablierte"
(http://www.sopos.org/aufsaetze/485a9bc d74e64/1.phtml)

Dass die aktive Rolle Deutschlands bei der Zerschlagung Jugoslawiens und die Teilnahme der Bundeswehr an der Aggression der NATO-Truppen der folgenschwere Anfang einer immer gefährlicher werdenden Entwicklung des vereinten Deutschland war, haben nicht nur die vergangenen Jahre bestätigt. Das wird auch an den jüngsten Erklärungen des Bundesverteidigungsministers Thomas des Maiziere deutlich. Nach seinen Vorstellungen sind die in den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien ausformulierten Sicherheitsinteressen ein Meilenstein der Bundeswehrreform. In dem Papier mit dem Titel "Nationale Interessen wahren - Internationale Verantwortung übernehmen - Sicherheit gemeinsam gestalten" wird klar benannt, wohin die Reise gehen soll: "Deutschland ist bereit, als Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens und staatlicher Souveränität zur Wahrung seiner Sicherheit das ganze Spektrum nationaler Handlungsinstrumente einzusetzen. Dies beinhaltet auch den Einsatz von Streitkräften."

Damit stimmt de Maiziere die Öffentlichkeit auf neue Kriegseinsätze der Bundeswehr ein. Es gebe große "Erwartungen" an die deutschen Streitkräfte, die den Umfang überträfen, der "bisher in Deutschland bekannt" und "akzeptiert" sei. Ohne jede Hemmung negiert er den Widerstand von immer mehr Bundesbürgern gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr und verkündet nassforsch: Interventionen in Pakistan, im Jemen, in Somalia oder im Sudan könnten konkret "auf uns zukommen".

In seinem Gastkommentar unter der Überschrift "Marktkriege" in junge Welt vom 28./29.Mai 2011 erinnert Sevim Dagdelen: "Vor einem Jahr noch musste Bundespräsident Horst Köhler (CDU) vorgeblich wegen seiner Wirtschaftskriegsrhetorik zurücktreten. Mittlerweile droht das Verteidigungsministerium offen, die "Erschließung, Sicherung von und den Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten" weltweit mit deutschen Streitkräften neu ordnen zu wollen. Wer an dieser Aufgabe nicht mittun will, fliegt raus und wird als Störenfried gebrandmarkt (...) Mittlerweile gilt für die Parteienlandschaft der Grundsatz: Wer nicht bereit ist für Krieg, der soll auch nicht mitregieren dürfen. Die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, mit denen das Militär zum ganz normalen Instrument der außenpolitischen Interessendurchsetzung erklärt wird, sind, und darauf sei mit Nachdruck hingewiesen, ebenso verfassungswidrig wie die außenpolitische Doktrin sämtlicher als "regierungsfähig" geltenden Parteien."

Militärische Interventionen nicht nur geographisch, sondern auch inhaltlich völlig entgrenzt wagt Angela Merkels Vorzeigepolitiker und Verteidigungsminister dem deutschen Volk allen Ernstes zuzumuten, während er sich gleichzeitig über den jüngsten Anschlag auf die Bundeswehr in Afghanistan und den 50. und 51. während des jahrlangen Selbstbetruges am Hindukusch ums Leben gekommenen deutschen Soldaten medienwirksam "erschüttert" zeigt und erklärt: "Dieser Anschlag berührt uns alle. Er trifft uns alle ins Herz." Welche eine Heuchelei, die auch von Angela Merkel (sie sei "schockiert und traurig"), Claudia Roth ("tiefe Sorge und Entsetzen") und anderen Kriegstreibern zu vernehmen ist.

Dabei sind sie und ihre Parteifreunde es doch, die sich einem von der Mehrheit unseres Volkes seit langem geforderten Ende des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr und dem Sterben in Afghanistan entgegen aller Vernunft hartnäckig widersetzen.

Die Parteien der schwarz-gelben Koalition und die ihre "Marktkriege" bedenkenlos unterstützenden Parteien (SPD und Grüne) müssen sich fragen lassen, wie lange noch sie sich am Grundgesetz vorbeimogeln wollen, dessen Artikel 87a in Verbindung mit Artikel 115a als einzigen Zweck der Bundeswehr die Verteidigung Deutschlands gegen einen militärischen Angriff bestimmt.

Im Unterschied zu ihrem verantwortungslosen Handeln hat sich Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) in der Sendung Beckmann im ARD am 2. Mai 2011 verantwortungsbewusst positioniert, als er dem Moderator gegenüber erklärte, er würde sich niemals für militärische Interventionen aufgrund von UN-Resolutionen entscheiden, die angeblich Menschenrechte schützen wollen, aber von dominierenden partikularen egoistischen Interessen verdreht werden, Interessen, die die Interventionen bestimmen.

Vor diesem Hintergrund erlebten wir den Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic bis zu seinem Tod, den Kritiker auf verweigerte ärztliche Behandlung zurückführen, erleben wir seit Monaten den Prozess gegen den Präsidenten der Republik Srpska (Serbische Republik) in Bosnien und Herzegowina, Radovan Karadzic, dem vorgeworfen wird, Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit befohlen zu haben, wozu auch das "Massaker von Srebrenica" gehört und werden voraussichtlich bald auch die als Prozess getarnte Farce gegen Ex-General Ratko Mladic erleben, bei dem die von den USA und den beiden Präsidenten Isetbegovic und Tudjmann bei der Firma Ruder Finn bestellten Lügenmärchen über "die Serben" erneut eine wichtige Rolle spielen werden und bei dem - welch ein Hohn auf Recht und Gesetz - alle Srebrenica-relevanten Akten nicht vorgelegt werden dürfen.

In diesem Zusammenhang ist das Buch "Im Namen der Anklage" der ehemaligen Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes Carla del Ponte von Interesse, in dem sie wertvolle Hinweise darüber gibt, wie das Haager Kriegsverbrechertribunal zum Spielball der Regierungen vornehmlich der der USA, Großbritanniens und Frankreichs sowie ihrer Geheimdienste gemacht wurde. Was von einer Chefanklägerin zu halten ist, die erklärt: Überdies hätte "die Kriegsberichterstattung in der Presse deutlich gezeigt, dass Milosevic für die Gräueltaten in beiden Republiken verantwortlich war", sollte jeder selbst beurteilen.

Da Jürgen Elsässer (und nicht nur er) in "den Deutschen die Brandstifter" bei der Zerschlagung Jugoslawiens sieht und die Bundesrepublik ohne jeden Zweifel dabei eine Vorreiterrolle gespielt hat, ist es nur folgerichtig, dass der Vorsitzende Richter im Prozess gegen Ratko Mladic ein Deutscher sein wird.

Dessen sollten wir uns immer bewusst sein, wenn Seitens der Politik und der Massenmedien alles getan wird, um die historische Wahrheit unter dem Deckel zu halten und die wahre Rolle der Zerstörer Jugoslawiens, ihrer Hintermänner und Nutznießer in den Chefetagen der Konzerne nicht öffentlich werden zu lassen.

Fazit: Der Weg der Bundeswehr von Bosnien über den Kosovo bis zur Gegenwart ist lang. Er hat vier Kontinente und nicht weniger als vierzehn (!) Kriegs- und Konfliktzonen durchquert. Er hat zu einer militärischen Aufrüstung geführt, die vor einer Generation noch unvorstellbar war, und deutsche Streitkräfte über Länder und Regionen verstreut, wo sie nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals wieder in Erscheinung traten. Die Entwicklung lässt kaum noch Zweifel daran, dass Nachkriegsdeutschland nach Herstellung der staatlichen Einheit zu einer Nation wird, die entschlossen ist, gegen den erklärten Willen des deutschen Volkes erneut imperialistische Großmachtinteressen durchzusetzen. "Blut für Öl" - dieser Gedanke ist den heute in Berlin Regierenden offenbar nicht fremd und bestimmt zunehmend Ziel und Inhalt ihrer Außen- und Militärpolitik. Dabei werden die Profitinteressen und Machtgelüste des Imperialismus und Militarismus in Fortsetzung jahrhundertelanger Traditionen gern als "deutsche" oder "unsere" Interessen ausgegeben, wird die Bevölkerung mit Hilfe gleichgeschalteter Massenmedien getäuscht, werden ihr wichtige Tatsachen verheimlicht und wird sie in einem Maße schamlos belogen, wie das den alten Bundesbürgern aus der Zeit der Nazi-Herrschaft noch in guter Erinnerung ist.

Der Leserbriefschreiber Weidner hat aus seinem Zorn und seiner ohnmächtigen Wut über diese Zustände keinen Hehl gemacht, als er in junge Welt vom 30. Mai 2011 zur Veröffentlichung vom 19. Mai: "Minister erklärt Krieg" folgendes schrieb:

"Es wird immer untragbarer in diesem Land, von Kriegstreibern und Verbrechern regiert zu werden. Vor 1990 gab es nicht einmal halb soviel Kriege auf der Welt wie heute. Dank eines Gorbatschow wurde nach 1990 die Kriegsleine losgelassen, und die Kriegstreiber bekamen freie Hand. Als Deutscher muss man sich schämen, wie sogar Kinder und Zivilisten von deutschen Soldaten erschossen werden. Diese Figuren in dieser Regierung kann man nicht mehr ertragen. Wie Recht hatten doch die Propagandisten in der DDR, wenn sie vom Charakter des Imperialismus sprachen. Leider nahmen das viele nicht ernst, heute sollten sie eines Besseren belehrt sein. Der Brotkorb hängt immer höher, jedoch für Waffen, Interventionen in andere Länder, für Geschichtsfälschungen ist genügend Geld da. Ich frage mich immer mehr, wo sind denn die Bürgerrechtler von 1989, die ja so unterdrückt wurden? Heute dürfte wohl die Mehrheit erkennen, dass sie lediglich Rattenfängern ins Netz gingen."


Hans Fricke, Rostock (unter Verwendung von Auszügen aus meinem 2010 im GNN-Verlag erschienenen Buch "Eine feine Gesellschaft" - Jubiläumsjahre und ihre Tücken", ISBN 978-3-89819-341-2)


Anmerkung

(1) Es handelt sich um die Veröffentlichung eines Autors in einem Verlag, die wir beide aktuell nicht mehr positiv zitieren würden (Querfront und Kooperation mit Faschisten). Es handelt sich hier aber um eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2004, die wichtige und wesentliche Fakten enthält. (Redaktion offen-siv)

Raute

Dorothea Schendel: Live from Libya (April - Juni 2011)

Ich befinde mich zur Zeit in Tripolis. Ich kenne die Stadt von früheren Aufenthalten und kann daher die Veränderungen der letzten Zeit nachempfinden. Die Atmosphäre ist geprägt von unterschiedlichen Geschehnissen, Bildern und Gefühlen. Angesichts der Bombardierungen in den vergangenen Tagen herrscht immer noch weitgehend Normalität. Die Geschäfte sind geöffnet und - soweit ich das feststellen kann - gut gefüllt. Unübersehbar aber sind die Autoschlangen vor den Tankstellen, die inzwischen oft mehrere hundert Meter lang sind.

26. April 2011 - Tagsüber ist es schon heiß und die Menschen müssen stundenlang in der Hitze ausharren, um einen Kanister Benzin zu bekommen. Die Kapazitäten der Raffinerien reichen nicht aus, Tankschiffe, die zusätzliches Benzin bringen sollen, werden nach Aussage meiner Gesprächspartner am Einlaufen gehindert. Bei den Menschen, die an den Tankstellen anstehen, handelt es sich aus meiner Sicht ausnahmslos um Zivilisten, darunter viele alte Menschen und Kinder. Inwieweit die UNO-Resolution derartige Beschneidungen des Zivillebens rechtfertigt, kann ich nicht beurteilen.

Das Internet ist frei nutzbar; es gibt keinerlei inhaltliche Beschränkung. In einem Fernseher in der Lobby meines Hotels läuft den ganzen Tag CNN. Auf dem Zimmer kann ich alle wichtigen Fernsehsender, darunter auch das ZDF, empfangen.

27. April 2011 - In der Nacht gab es keine wahrnehmbaren Einschläge oder Abwehrfeuer. Die Millionenstadt mit ihren zahlreichen neuen Gebäuden, modernen Hotels und grünen Parks wirkt wie im Frieden. Nur der Verkehr auf den breiten Straßen ist wesentlich geringer als in früheren Jahren und ich habe auch den Eindruck, dass sich weniger Menschen auf den Plätzen, in den Cafés und Einkaufsstraßen aufhalten. Nachvollziehbar, wenn man sich die Lage verdeutlicht, in der sich das Land und die Menschen augenblicklich befinden.

Sobald man erkennt, dass ich aus Deutschland stamme, beginnt die Diskussion. Meine Gesprächspartner zeigen sich erstaunlich gut informiert. Einig scheinen sich alle darin zu sein, dass der Krieg so schnell wie möglich beendet werden muss, um die Probleme auf Gesprächsebene zu lösen. Man setzt dabei stark auf Deutschland, das man allgemein als ehrlichen Makler empfindet.

28. April 2011 - Gestern Abend konnte ich mit einer Lehrerin, die ich vor etwa zehn Jahren während der Dreharbeiten zu meinem ersten Dokumentarfilm über Libyen kennen lernte, telefonieren. Sie hat vor den Unruhen in Tobruk unterrichtet und hält sich derzeit im Osten auf.

Sie sagte: Die Rebellenbewegung in Ostlibyen werde in den Medien weitgehend falsch dargestellt. Es handele sich um eine aus vielen unterschiedlichen Interessengruppen zusammengesetzte Bewegung die augenblicklich noch die Forderung nach dem Sturz Gassafis einige. Sollte dieses Ziel erreicht sein, werde sie zerfallen und die einzelnen Gruppen würden sich untereinander bekämpfen. Ein zweites Afghanistan sei nicht ausgeschlossen. Im Osten Libyens, vornehmlich in den Städten Derna, Beida und Tobruk, sei die Islamisierung unübersehbar. Die Rechte der Frauen seien bereits stark eingeschränkt, die staatlichen Strukturen würden schrittweise aufgehoben. Frauen werden vielerorts gezwungen, sich zu verschleiern. Die in westlichen Medien verbreitete Darstellung, es handele sich in Ostlibyen um ein einiges befreites Gebiet, haben mit der Realität nichts zu tun. Die einzelnen Städte werden wie Stadtstaaten regiert und an verschiedenem Stellen seien bereits islamische Enirate ausgerufen worden (Emir = Kriegsherr).

29. April 2011 - Heute Nacht feuerte die libysche Flak mehrere Minuten lang. Ich habe das Brummen von Flugzeugen gehört, aber keine Einschläge. Möglicherweise hat man eine Drohne getroffen. Aber das ist reine Spekulation.

30. April 2011 - Gestern Abend war ich zum Abendessen im Hotel Rixos eingeladen. In diesem Hotel logieren die meisten internationalen Journalisten. Ein Leben zwischen Luxus und Berichterstattung. Bei dieser Gelegenheit konnte ich eine Pressekonferenz verfolgen, die der libysche Regierungssprecher abhielt. Die wichtigsten Punkte seiner Darlegung waren:

Die seit Wochen umkämpfte Hafenstadt Misurata werde weitgehend nicht mehr von den Rebellen kontrolliert. Der Regierungssprecher informierte die Presse über ein Ultimatum an die Rebellen, bis zum 3. Mai ihre Waffen an die Stammesführer abzugeben. Dafür würde im Gegenzug Generalamnestie für die libyschen Aufständischen und freier Abzug für ausländische Kämpfer erteilt. Sichere Abzugskorridore würden eingerichtet.

In der kommenden Woche sei eine Generalversammlung aller libyschen Stämme geplant zu der auch Vertreter internationaler Organisationen eingeladen sind. DieStammesführer würden alle mit Namen und Bild vorgestellt um ihre Identität jederzeit überprüfbar zu machen. Bislang haben fast alle libyschen Stämme ihre Teilnahne zugesagt.

Die libysche Regierung ist bereit zu einem sofortigen Waffenstillstand, Verhandlungen ohne Vorbedingungen und freien und allgemeinen Wahlen in ganz Libyen unter internationaler Beobachtung. Nach der Pressekonferenz bombardierte die NATO den staatlichen Fernsehsender in Tripolis der sich inmitten eines Wohngebietes befindet. Mehrere Gebäude sind zerstört. Ich bemühe mich um weitere Informationen. Ebenfalls zerstört wurden eine Betreuungseinrichtung für behinderte Kinder und mehrere Justizgebäude.

1. Mai 2011 - In dieser Nacht wurde ein ziviles Wohnviertel bombardiert. Ein Sohn Gaddafis und drei Kleinkinder kamen dabei uns Leben. Es war eine gezielte Operation der NATO.

5. Mai 2011 Die Bombardierungen halten weiter an. Letzte Nacht wurde ein Unfallkrankenhaus vollkommen zerstört.

Nachtrag 9. Juni 2011 - Seit zwei Tagen ist es besonders schlimm. Die NATO bombt Tag und Nacht. Ganze Wohnviertel werden ausradiert. Die Einwohner fliehen nach Tunesien. Überall herrscht Chaos. Die meisten Kommunikationsleitungen sind zerstört ... .

Dorothea Schendel, Tripolis

Raute

Deutscher Freidenkerverband: Solidarität mit Libyen

Freidenker-Brief Nr. 3/2011 v. 16. Juli 2011

"Die Koalition der Freiwilligen ist in Libyen angetreten, um die Zivilbevölkerung vor der Unterdrückung durch den Tyrannen Gaddafi zu retten. Nach vier Monate haben die libyschen Massen das befreite Gebiet von Bengasi verlassen und sammeln sich zu gigantischen Demonstrationen gegen die NATO."

So Thierry Meyssan einleitend in seiner scharfsinnigen aus Tripoli datierten Analyse "Die NATO und die Undankbarkeit der Libyer" (11. Juli 2011). Der Artikel vermittelt wichtige Einsichten in das politische System Libyens. Er ist in deutscher Übersetzung auf der Webseite der Kampagne "Deutschlands NATO-Mitgliedschaft beenden!" zu finden, und zwar hier: http://www.nrhz.de/neinzurnato/?p=338.

Abdruck und Weiterverbreitung erwünscht!

Weiter schreibt Meyssan:

"Angesichts dieser politischen Realität, mit der man nicht gerechnet hat, verfügt die Armada der Atlantischen Allianz über keine Strategie mehr. Die Italiener haben den Rückzug angetreten, die Franzosen suchen nach einem Ausweg. 111 Tage nach dem Beginn der Intervention der Koalition der Freiwilligen in Libyen ist keine militärische Lösung in Sicht, und die Experten sind sich alle einig, dass die Zeit für die libysche Regierung arbeitet, es sei denn, es kommt zu einem Zufallstreffer und der Ermordung von Muammar al-Gaddafi."

Bleibt anzumerken, dass das libysche Volk weiterhin weitgehend auf sich allein gestellt ist. Von organisierter anti-imperialistischer Solidarität in Deutschland kaum eine Spur. Vergessen alle traditionellen internationalistischen Reflexe der selbstverständlichen Parteinahme für ein vom Imperialismus angegriffenes Land. Stattdessen Verweigerung moralisch-politischer Solidarität mit einer völkerrechtlich legitimierten, Widerstand leistende Regierung. So wenig friedensbewegten Protest auf der Straße gab es hierzulande noch bei keinem Krieg der jüngsten Zeit. An einzelnen Solidaritätsaufrufen fehlt es nicht:

Siehe den Aufruf der Freidenker "Hände weg von Libyen"
http://www.freidenker.org/cms/dfv/index.php?option=com_content&view=article&id=300:libyen&catid=1:latest-news&Itemid=27

Siehe den Aufruf von Bernd Duschner, "Frieden für Libyen! Solidarität mit dem libyschen Volk!", den viele Prominente unterschrieben haben: http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/fakten/bfaa0066.html

Mögen manche zögern, weil die eigene "linke" Meinung über den "Diktator" für entscheidender gehalten wird als das Selbstbestimmungsrecht des libyschen Volkes. Aber wer glaubt, dass ideologische Verbrüderung mit einer fremden Regierung zur Debatte steht, erliegt einem Irrtum. Nein, es geht um unser eigenes Land. Deutschland ist am Krieg gegen Libyen aktiv beteiligt. In unser aller Namen beteiligen sich deutsche Politiker an diesem völkerrechtlichen Verbrechen. Dagegen müssen Demokraten, Sozialisten wie alle dem Völkerrecht verpflichteten Menschen protestieren. Der Offene Brief an die Fraktionen des Deutschen Bundestags "Aggression gegen Libyen beenden! Völkerrecht verteidigen!" ist weiter aktuell. Er kann hier unterschrieben werden:

http://www.freidenker.org/cms/dfv/index.php?option=com_foxpetition&view=foxpetition&Itemid=109

Mit freundlichen Grüßen,

Deutscher Freidenker-Verband e.V.

Raute

Hans Fricke: Warum nur Gaddafi und nicht auch Bush & Co.?

Weder der Generalbundesanwalt noch der Programmdirektor des Fernsehsenders ARTE haben damit rechnen können, daß die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den libyschen Staatschef Gaddafi durch den Generalbundesanwalt am gleichen Tag der Öffentlichkeit bekannt wurde, an dem ARTE zur Hauptsendezeit den 85-Minuten Beitrag der Investigativjournalistin Marie-Monique Robin "Folter - Made in USA" ausstrahlt. Und doch wollte der Zufall es so.

Ziel des Ermittlungsverfahren ist es laut Erklärung eines Sprechers der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, Gaddafi Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf der Grundlage des Völkerstrafgesetzbuches nachzuweisen und sie dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zur Verfügung zu stellen, und mit ihrer Sendung am 21. Juni 2011 in ARTE hatte sich Marie-Monique Robin die Aufgabe gestellt, Beweise dafür zu liefern, Bush & Co. wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Verletzung der Genfer Konvention und amerikanischer Gesetze wie dem War Crimes Act aus dem Jahr 1996, das den Einsatz von Folter mit der Todesstrafe beziehungsweise mit lebenslanger Haft ahndet, vor Gericht zu bringen.

Bereits einen Tag nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 leitete Vizepräsident Dick Cheney ein Geheimprogramm, das Folter als Verhörmethode legalisieren sollte, wobei sich die Bush-Regierung von Anfang an der Tatsache bewusst war, dass sie sich damit der Missachtung des Völkerrechts und der amerikanischen Gesetze strafbar macht. Um sich vor eventuellen Klagen oder gar vor einer Strafverfolgung im eigenen Land zu schützen, verließ sich die Bush-Regierung auf Dick Cheny und Donald Rumsfeld nahestehende Juristen, die den Einsatz von Folter mit stichhaltigen Argumenten "rechtfertigen" sollten. Zu den angewandten Foltermethoden gehört unter anderem die Technik des "Waterboarding", ein simuliertes Ertränken, sowie das Recht des US-Geheimdienstes CIA, Terrorverdächtige bis zu elf Tage wachzuhalten. Wie die "Los Angelas Times" unter Berufung auf Memos des US-Justizministeriums berichtete, mussten gefesselte Häftlinge teilweise auch tagelang stehen. Oftmals seien sie nur mit einer Windel bekleidet gewesen und hätten zudem nichts essen dürfen.

Bei "Waterboarding" handelt es sich um eine besonders grausame Foltertechnik, bei der Verhörbeamte den Kopf des Gefangenen unter Wasser drücken oder ihm Mund und Nase verbinden und dann Wasser über das Gesicht laufen lassen. Auf diese Weise wird dem Gefangenen jede Möglichkeit genommen, Luft zu holen und folglich glaubt er, ersticken oder ertrinken zu müssen. Dies führt wie bei einer Scheinexekution zu Verzweiflung, Panikzuständen und Todesangst. Die Anwendung solcher Methoden verursacht schwere physische Leiden und kann zu unerträglichen körperlichen Schmerzen führen sowie psychische Schäden über Jahre und sogar Jahrzehnte hervorrufen. Vizepräsident Cheny hatte als erstes Mitglied der Bush-Regierung zugegeben, dass im Falle des Gefangenen Khalid Shaikh Mohammed und anderer hochrangiger al-Quaida Mitglieder "Water Boarding" angewendet wurde.

Weitere Verhörtechniken wurden durch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld am 2. Dezember 2002 auf Anfrage von US-Beamten in Guantanamo autorisiert. Dabei handelt es sich u.a. um die Anwendung von sogenannten Stresspositionen, wie dem "Longtime standing" für die Dauer von vier Stunden.

Mit kaum zu überbietendem Zynismus fügte Rumsfeld seinem Antwortschreiben handschriftlich hinzu: "Ich stehe zwischen acht und zehn Stunden pro Tag. Warum ist das Stehen mit vier Stunden begrenzt?"

Zum Schutz der eigenen Truppen beschloss das Pentagon, ein streng geheimes "Trainingsprogramm" mit dem Namen "Survial Evasion Resistance and Escape" (SERE) durchzuführen, das von Psychologen geleitet wurde. Vor allem in Fort Bragg, der Militärschule der "Sondereinheiten" sollte die Creme de la Creme der Offiziere ausgebildet und darauf vorbreitet werden, Folter zu widerstehen - für den Fall, dass sie in Kriegsgefangenschaft bei Feinden geraten, die sich wie die USA nicht an das Genfer Abkommen halten. Das Folterprogramm löste großen Widerstand im Außenministerium und bei den Militärchefs aus, die streng an das Genfer Abkommen festhalten. Sie sträubten sich gegen diese "kriminelle Verschwörung", wie Michael Ratner, Vorsitzender des Zentrums für Verfassungsrechte, es nannte.

"Etwa 20 Verhörmethoden wurden laut "Washington Post" im April 2003 für el-Quaida-Gefangene auf dem US-Stützpunkt vor Kuba von ihm selber (Rumsfeld) und dem Justizministerium abgesegnet. Inhaftierte sollten durch Kälte und Hitze, laute Musik und grelles Licht mürbe gemacht werden. Auch Schlafentzug, Verlust des Zeitgefühls und persönliche Entwürdigung gehören zur Leidensskala. Für einige Methoden war die Genehmigung von Rumsfeld persönlich erforderlich." (Berliner Kurier, Internet-Ausgabe, 10.5.04)

"Bei der Misshandlung von Gefangenen im Irak haben US-Soldaten nach Informationen des Magazins 'The New Yorker' auf der Grundlage einer geheimem Weisung gehandelt, die von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld persönlich abgesegnet wurde. Im vergangenen Jahr habe Rumsfeld eine streng geheime Order des für Nachrichtendienste zuständigen Unterstaatssekretärs Stephan Cambone zu verschärften Verhörmethoden gebilligt (...) Aktive und pensionierte Geheimdienstoffiziere hätten die Anweisung mit den Worten zusammengefasst: 'Schnappt euch die, die ihr braucht und macht mit ihnen, was ihr wollt' ... Ziel der Anweisung sei gewesen, 'die Grenzen eines streng geheimen Plans, der zunächst für (die Terrororganisation) el-Quaida gedacht war, auf irakische Gefangene auszuweiten'. Dieser Plan habe zu 'körperlichen Druck und sexuellen Demütigungen ermuntert', um an Informationen über, irakische Widerständler zu kommen." (www.orf.at 15.5.04) Die USA haben im Zuge des Krieges gegen die Taliban und während der Jagd auf el-Quaida eine neue Sorte von Menschen geschaffen, eine neue Sorte von "Vogelfreien" und "Rechtlosen", wie sie "Gegenargumente" aus Wien am 28.5.2004 bezeichnete. Dabei handelt es sich um Personen, die weder als Kriminelle verurteilt wurden, noch auf ihren Prozess warten, und die auch nicht als feindliche Soldaten dem Kriegsrecht unterliegen, d.h. für die die Genfer Konvention gilt. Leute, die den USA als "feindliche Kämpfer" in die Hände fallen, haben keinen rechtlichen Status, sie gehören nicht zu den Menschen, die in den Genuss der Menschenrechte gelangen, für die Amerika angeblich weltweit kämpft und seit 1945 immer neue Kriege anzettelt. Sie werden in KZ-ähnlichen Einrichtungen wie Abu Greib, Guantanamo und überall in der Welt inhaftiert und gefoltert. Die Idee, diese Einrichtungen - die bekannteste ist auf Guantanamo - bequemlichkeitshalber außerhalb der USA einzurichten, ist offenbar damit begründet worden, dass die Rechtslage in den USA hinter dem, was sie für politisch zweckmäßig und militärisch opportun halten, derzeit noch etwas hinterher hinkt. Deswegen haben sich Staatsorgane, die diese Lager unterhalten, zur Vermeidung juristischer Querelen, auch geographisch einen rechtsfreien Raum geschaffen.

"Black Site" bezeichnet das US-Militär im Sprachgebrauch geheime Gefängnisse, die außerhalb der USA betrieben werden und offiziell nicht existzieren. Der Begriff wurde von den US-Geheimdiensten und später nach dem öffentlichen Bekanntwerden dieser Einrichtungen auch in die Berichterstattung übernommen. Amnesty International (ai) warf den USA 2002 vor, neben bekannten, aber rechtlich bedenklichen Einrichtungen wie dem Gefangenenlager Guantanamo, ein weltweites Netz von geheimen Gefängnissen zu betreiben, in denen Personen zum Teil rechtswidrig festgehalten und behandelt werden. Erst 2006 bestätigte der damalige US-Präsident George W. Busch indirekt, dass ein solches Netzwerk existiert. "Black Site - Wikipedia" zufolge befanden sich solche geheimem Gefängnisse in folgenden Ländern: USA, Diego Garcia (Vereinigtes Königreich), Serbien, Polen, Rumänien, Pakistan, Irak, Afghanistan, Thailand und Dschibuti.

Der Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sollen nach Medienberichten auf diversen Ebenen an dem System der Geheimgefängnisse beteiligt gewesen sein. Die Behörden sollen Namen mutmaßlicher Terroristen und weiteres durch Abhörmaßnahmen gewonnenes Material an den US-Geheimdienst CIA weitergegeben haben. Des weiteren habe das BKA nicht nur Kenntnis von Geheimgefängnissen gehabt, sondern habe in ihren auch Befragungen durchgeführt - so geschehen unter anderem (bei Murat Kurnaz) in Guantanamo und (bei Muhammad Heidar Zammar) in Syrien.

Nach SPIEGEL-Informationen soll der US-Geheimdienst mindestens 437 Mal mit getarnten CIA-Flugzeugen deutsche Flughäfen oder zumindest den hiesigen Luftraum für die Verschleppung von Terrorverdächtigen in geheime Lager genutzt haben. Die Generalsekretärin von "Amnesty International", Barbara Lochbiehler, erklärte 2005 gegenüber der "Frankfurter Rundschau": "Die Zuständigen müssten von den Flügen gewusst haben, zumal wir seit längerem auf die Verschleppungen durch die CIA hingewiesen haben." Während Mitglieder der Bundesregierung ihre Augen davor verschlossen, die etablierten Parteien sich offiziell für nicht informiert erklärten und heuchlerisch "rasche Aufklärung" forderten (Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach), schrieb SPIEGEL, dass der Bundesregierung detaillierte Listen von mehr als 400 Bewegungen und Landungen getarnter CIA-Flugzeuge vorliegen. Nachdem die Bush-Außenministerin Condoleezza Rice den deutschen Außenminister Steinmeier (SPD) über die CIA-Flüge "aufgeklärt" hatte - sie bestätigte völkerrechtswidrige CIA-Entführungen in "verschlüsselter Form" - wiesen alle bisherigen Fragmente der "CIA-Flüge" immer stärker auf eine internationale Verschwörung von Regierungen und Geheimdiensten innerhalb der EU zusammen mit dem atlantischen "Big Brother" gegen das internationale Völkerrecht hin.

Zum neuen Umgang mit der neuen Sorte von Menschen, die - noch als "feindliche Kämpfer" bezeichnet werden und - noch nicht - "Untermenschen" genannt werden dürfen, gehören offenbar auch neue Vorgaben für Verhörmethoden, wie sie im und besetzten Irak und Afghanistan im großen Stil und nahezu flächendeckend praktiziert werden, um Aufständische und Widerständler - aus US-Sicht: Terroristen - auszurotten. Während der ARTE-Sendung äußerten sich William Taft, Rechtsberater des früheren Außenministers Collin Powell, und andere Kritiker der "kriminellen Verschwörung" der Bush-Regierung ausführlich zu den erhobenen Vorwürfen. Während einer der befragten früheren Mitarbeiter der Administration erklärte, angesichts der geschilderten Handlungsweisen von Bush, Cheny und Rumsfeld gegenüber Gefangenen schäme er sich, ein Amerikaner zu sein, meinte ein US-General, in dessen Verantwortungsbereich ebenfalls gefoltert worden war, sinngemäß, dass diejenigen, die die US-Armee dorthin gedrängt und in diese völkerrechtswidrige Lage gebracht hätten, noch immer nicht zur Verantwortung gezogen worden sind.

Obwohl die geschilderten Straftaten gegen Personen in den Lagern Abu Ghraib, auf Guantanamo und in vielen geheimen Gefängnissen der USA auf Weisung verantwortlicher Mitglieder der Bush-Administration und teilweise mit Unterstützung bzw. stillschweigender Duldung von Mitgliedern nationaler Regierungen verübt wurden und seit Jahren der Bundesregierung und den deutschen Strafverfolgungsbehörden bekannt sind, sucht man politische und juristische Reaktionen unseres Staates darauf vergeblich. Dabei stellen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen Verletzungen des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB), § 7 sowie §§ 8-12, dar. Das am 30. Juni 2002 in Kraft getretene Gesetz passt das deutsche materielle Strafrecht an die Regelungen des Rom-Statuts an und schafft damit die Voraussetzungen für die Verfolgung durch die deutsche Strafjustiz. Nach § 1 VStGB unterliegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen dem Weltrechtsprinzip. d.h. die Strafbarkeit nach deutschem Recht besteht unabhängig davon, wo, von wem und gegen wen sie begangen werden.

Umso unverständlicher ist für viele, dass der Generalbundesanwalt gegen den Libyschen Staatschef Muammar al Gaddafi ein deutsches Ermittlungsverfahren auf der Grundlage des Völkerstrafgesetzbuches einleitet, und die jahrelangen Verletzungen des Völkerstragesetzbuches durch die Bush-Administration auch auf deutschem Boden und ihre Unterstützer in der BRD so behandelt, als hätte es sie nie gegeben.

Im Januar 2002 wurde Manfred Nowak, damals Richter am international besetzten Obersten Gerichtshof Bosniens, Zeuge einer mysteriösen Verschleppung. Sechs Algerier waren in Sarajewo angeklagt worden, Teil des Terrornetzwerkes al-Quaida zu sein. Aus Mangel an Beweisen hatte sie das Tribunal in Sarajewo freigesprochen. Doch als die Männer das Gericht verließen, wurden sie von Unbekannten in ein Auto gezerrt. Noch heute sitzen sie im US-Gefangenenlager Guantanamo - ohne Anklage.

Es war eine Entführung durch US-Behörden, die in Stuttgart vorbereitet wurde. Das behauptet der damalige Richter Manfred Nowak gegenüber der ZEIT. Der renommierte Völkerrechtler, heute UN-Sonderberichterstatter über die Folter, ist nach eigenen Angaben im Besitz von vertraulichen US-Militärakten, die das deutsch-amerikanische Verhältnis erneut vor diplomatische Belastungen stellen. Nowak: "Aus den Akten geht klar hervor, dass die Entführungen auf dem Stützpunkt Eucom in Stuttgart geplant wurden." Eucom ist die Kommandozentrale für alle US-Streitkräfte in Europa und Nordafrika. Sie gilt als wichtiger Knotenpunkt im amerikanischen "Anti-Terror-Krieg".

Kann die deutsche Justiz nun gegen die amerikanischen Verbündeten vorgehen? Ja, sagt Nowak. Zwar sehe das Status of Force Agreement (es regelt die Präsens amerikanischer Truppen auf deutschem Boden) vor, dass die deutsche Justiz für amerikanische Soldaten nur eingeschränkt zuständig sei. Doch bei grob menschenrechtswidrigen Aktionen, so habe erst jüngst ein vom Europarat in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten festgehalten, müssten die Behörden des Gastlandes aktiv werden.

Ob dabei etwas herauskommt? fragte ZEIT ONLINE im Dezember 2005 und antwortete: "Schon in den Fällen Kurnatz und El-Masri zeigten die US-Behörden, was sie von deutschen Ermittlern halten: nichts. Sie beantworten weder Rechtshilfeersuchen noch Ermittlungsanfragen. Doch vor allem die italienische Justiz zeigt dieser Tage, dass man auch fündig werden kann, wenn US-Behörden nicht kooperieren. Am Montag gaben Mailänder Staatsanwälte bekannt, dass sie Anklage erheben gegen den früheren CIA-Chef in Italien, den ehemaligen CIA-Büroleiter in Mailand und den mittlerweile gefeuerten Chef des italienischen Militärgeheimdienstes. Ein Dutzend CIA-Agenten wird noch per Haftbefehl gesucht. Die italienischen Agenten sollen mitschuldig sein an der Verschleppung des islamischen Predigers Abu Omar. Auch er wurde auf offener Straße in einen Wagen gezerrt, in Windeln und einen Overall gepackt - und über Frankfurt in ein ägyptisches Foltergefängnis verbracht. Italienische Ermittler hatten daraufhin mittels Handy-Ruf-Datenrückerfassung ein Netzwerk von CIA Entführern aufgestöbert. Dieselben Agenten sollen auch den Deutschen Khaled E-Masri in einen afghanischen Folterkeller verschleppt haben.

Nicht nur die Justiz, auch das Europaparlament zeigte sich vergangene Woche kämpferisch. Sein CIA-Untersuchungsausschuss präsentierte eine Liste der Staaten, die den USA bei Entführungen geholfen haben sollen - darunter auch Deutschland."

Weiter hieß es in ZEIT ONLINE: "Doch während Richter und Parlamentarier ihre Lust an bissigen Ermittlungen entdecken, sind aus den diplomatischen Zirkeln der EU ganz andere, konziliante Töne zu vernehmen. Auf politischer Bühne suchen EU-Politiker hinter gepolsterten Türen längst Kompromisse mit den USA, 'um fortgesetzte Missachtung von menschenrechtlichen Standards einzudämmen', wie ein EU-Diplomat der ZEIT erklärt. Denn der US-Regierung missfällt die Schnüffelei der europäischen Gerichte zutiefst. 'Wir müssen verdammt aufpassen, wie weit wir den USA entgegenkommen', so der Diplomat. 'Wir wollen ja noch in den Spiegel schauen können.' Wie weit dieses Entgegenkommen geht, zeigen geheime Gesprächsprotokolle, die der ZEIT vorliegen. Sie halten den Inhalt eines vertraulichen Treffens zwischen hochrangigen EU-Vertretern und US-Beamten sowie dem Rechtsberater der US-Außenministerin, John Bellinger, fest. Am 3. Mai dieses Jahres kamen die Diplomaten zusammen, um anlässlich des bevorstehenden Gipfeltreffens zwischen George W. Bush und dem damaligen Ratspräsidenten Wolfgang Schüssel den 'menschenrechtlichen Frühzustand' der USA zu diskutieren, wie es etwas süffisant in dem Papier heißt. US-Berater Bellinger machte gleich Druck. Sanft drohend stellte er fest, es bestünde 'die ernste Gefahr', dass die fortwährenden Untersuchungen der Entführungen durch die Europäer das transatlantische Verhältnis 'beschädigen' könnten. Und er räumte auch ein, dass es den USA (anders als den Europäern) nicht verboten sei, Gefangene in Länder auszuliefern, in denen gefoltert wird. Man würde auf diplomatischer Ebene schon für die Sicherheit der Ausgelieferten sorgen. In Zukunft, so hält das Gesprächsprotokoll fest, sollte also ein gemeinsamer Weg beschritten werden. Die Europäer (sie erlauben Auslieferungen nur, wenn sie richterlicher Kontrolle unterliegen und keine Folter droht) boten den Amerikanern an, ihnen ein Stück entgegenzukommen und 'einen gemeinsamen Rahmen' für die 'Überstellungen von Terrorverdächtigen zu entwickeln. Er solle 'so weit wie möglich' den europäischen Grundsätzen entsprechen."

"Mit anderen Worten:", so fasst ZEIT ONLINE das Ergebnis der Gespräche zusammen, "Europa ist bereit, von seinen menschenrechtlichen Standards abzurücken, um Amerika ein wenig zu zähmen. Und die EU-Beamten hatten für die US-Kollegen auch noch einen Rat im Umgang mit den Medien parat: 'Der beste Weg, sich gegen Anschuldigungen zu verteidigen, besteht darin, nicht auf einzelne Vorfälle zu reagieren, sondern die Einhaltung gemeinsamer Werte zu betonen.'"

Damit beantwortet sich die eingangs gestellte Frage: "Warum nur Gaddafi und nicht auch Bush & Co.?" auf eine Weise, die zwar den Wünschen und Interessen der transatlantischen Eliten entspricht, für die aber die überwiegende Mehrheit rechtsbewusster Menschen ebenso wenig Verständnis aufbringen wie Blut für libysches Erdöl.

Hans Fricke

Raute

DIE KKE IM KAMPF

KKE: Völker Europas, erhebt Euch!

Pressemitteilung der Abteilung für Internationale Beziehungen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Griechenlands / Juni 2011

Keinen Konsens für die Insolvenz des Volkes!

Die politischen Entwicklungen in Griechenland sind rasant. Die klare Linie der KKE und der klassenkämpferischen Arbeiterbewegung, dass die arbeitenden Menschen keine Verantwortung für die Krise tragen, sondern einzig und allein das Kapital, der Streikkampf hunderttausender Arbeiter und Angestellter, sowie ihre Ablehnung die Lasten der Krise im Namen des "Patriotismus" zu tragen, zwingen die Bourgeoisie und ihre Parteien zu diversen Manövern. Am 15. Juni während der Streikkundgebungen, bei denen die PAME eine Vorreiterrolle spielte, gab es auf Initiative des Ministerpräsidenten, einen Versuch, eine gemeinsame Regierung aus der sozialdemokratischen PASOK und der konservativen ND zu bilden. Dieser Versuch scheiterte, so dass der Ministerpräsident eine Regierungsumbildung ankündigte. Die KKE verurteilte diese Pläne, die das Einvernehmen des griechischen Volkes zu den volksfeindlichen Maßnahmen erzwingen sollten, und verlangte die Steigerung des Volkskampfes und Neuwahlen. Die KKE rief zu Kundgebungen am Abend des 16. Juni in allen Städten Griechenlands auf.

Chronik der Ereignisse: Großer Streik der PAME als Antwort auf den brutalen Angriff auf die Arbeiterklasse. Großen Erfolg verzeichnete der Generalstreik am 15. Juni, bei dem die PAME eine Schlüsselrolle gespielt hat, sowohl an den Arbeitsplätzen als auch bei den Streikkundgebungen, bei denen die klassenkämpferischen Kräfte überwogen. Der Streik wurde organisiert gegen den neuen arbeiterfeindlichen Angriff der Regierung mit Unterstützung der EU und des IWF, die die Interessen des Großkapitals vorantreibt. Es handelt sich um Maßnahmen, die unter dem Begriff "mittelfristiges Programm" zusammengefasst werden. Sie beinhalten Lohnkürzungen, Entlassungen, Verlängerung der Arbeitszeit, Ausbau flexibler Arbeitsverhältnisse, Erhöhung der Besteuerung von Gütern des täglichen Bedarfs, durch Anhebung der Mehrwertsteuer von 13% auf 23%, neue Lasten für die Selbstständigen, Rentenkürzungen, Kürzung von Sozialgeldern, Privatisierungen u.a. Diese Maßnahmen schaffen Rechte ab und verbreiten Armut und Verelendung. Die Antwort kam von der Arbeiterklasse selbst und den anderen Volksschichten durch den Streik am 15. Juni. Große Industriebetriebe, unzählige Arbeitsstätten, staatliche Einrichtungen, öffentliche Verkehrsmittel, Häfen standen für 24 Stunden still. Die klassenkämpferischen Kräfte kämpften schon seit den frühen Morgenstunden mit Streikposten gegen den Terror und den Druck der Arbeitgeber. Durch Streikwachen in vielen Orten waren die klassenkämpferischen Kräfte die Hauptstütze des Streiks.

Im Zentrum Athens fand eine beeindruckende Kundgebung und Demonstration der PAME statt, viel größer als die Veranstaltungen der Kompromiss-Gewerkschaften GSEE (für den Privatsektor) und ADEDY (für den öffentlichen Dienst) sowie der so genannten "Empörten". Ähnlich große Kundgebungen der PAME gab es in 67 griechischen Städten. Charakteristisch war die Tatsache, dass die Demonstranten am Ende des Demonstrationszuges noch gar nicht gestartet waren, als die Demonstration in Athen auf dem Syntagma-Platz endete. Die Demonstration war so organisiert und gesichert, dass die provokatorischen Mechanismen der Bourgeoisie keine Möglichkeit hatten, in Aktion zu treten.

Auf dem Syntagma-Platz betonte der Hauptredner Alekos Arvanitidis, Mitglied des Exekutivkomitees der PAME: "Schon bereitet ihnen der Kampf und die Unmut des Volkes Schwierigkeiten. Jetzt brauchen wir einen besser koordinierten und zielgerichteten Kampf. Es reicht nicht aus, dass das Memorandum abgeschafft wird. Wir müssen alle Politiken abschaffen, die solche Memoranden hervorbringen. Die PASOK und die ND müssen stark getroffen werden. Jetzt ist die Zeit des Kampfes um die Entkoppelung Griechenlands von der EU. Kein Einvernehmen, keine Mitverantwortung für die Pläne der Plutokratie! Kampf um die Sicherung des Lebens der Familien aus den Volksschichten, damit das Volk vor seiner Insolvenz gerettet wird.

Wir fordern ein Ende der Erpressung! In die Insolvenz sollen die Plutokratie und der Kapitalismus gehen! Kampf bis zum Sturz dieser Politik. Kampf für eine Politik und eine Entwicklung, die die zeitgemäßen Bedürfnisse des Volkes befriedigt. Eine klassenkämpferische Bewegung, die gewillt ist, den Kampf bis zum Ende zu führen. Ohne uns Arbeiter dreht sich kein Rad. Wir können es schaffen, wenn das Volk an seine Macht glaubt, wenn es sich entscheidet, seine Kraft richtig einzusetzen.

Wir erkennen keine Schulden an. Die Schulden sind illegal und stammen von der Plutokratie. Wir werden keinen Euro zahlen. Die Plutokratie soll selber zahlen. Kampf um die Entkoppelung von der EU. Raus aus den Wolfsbündnissen der Monopole. Für das Volk gibt es innerhalb der EU keine Hoffnung. Es ist die Zeit gekommen, in der das Volk sein Schicksal selbst in die Hand nimmt.

Wir wollen auch von diesem Podium aus unsere kritische Haltung bezüglich der selbst ernannten Bewegung "der Empörten" darlegen: Es reicht nicht aus, zu sagen, ich kämpfe für "Demokratie", wenn man nicht sagt Demokratie an den Arbeitsplätzen, Demokratie für wen, für welche Klasse? Und vor allem "Nieder mit der Diktatur der Monopole".

Die Losungen einiger Kreise wie "Die Parteien und die Gewerkschaften haben auf den Plätzen nichts zu suchen!" haben einen reaktionären Inhalt, schaffen Verwirrungen beim Volk, sie ziehen die Bewegung nach hinten. Wenn man die PAME mit der GSEE und der ADEDY in den gleichen Topf steckt, zeigt, dass man aus der Klassengeschichte nichts dazu gelernt hat. So etwas nutzt allein den Ausbeutern."


Was für eine Bewegung brauchen wir?

Eine friedliche Bewegung des stillen Protestes und der Beschimpfungen oder eine Bewegung des Bruchs, der Konfrontation und des Umsturzes?

Eine "unabhängige" Bewegung oder eine klassenbewusste Bewegung, unabhängig von jedem ideologischen und politischen Einfluss der Bourgeoisie?

Eine Bewegung für oder gegen die Monopole?

Eine trübe, mitverwaltende Bewegung, die innerhalb der Manöver des bestehenden sozialen und politischen Systems mitschwimmt oder eine Bewegung, die den täglichen Kämpfen die Perspektive für eine andere Gesellschaft zum Wohle des Volkes gibt?

"Wir brauchen heute eine solche Bewegung, die ein Dorn im Auge der Plutokratie ist", sagte der PAME-Vertreter.

Bei der großen Streikkundgebung der PAME nahm eine Delegation des ZK mit Aleka Papariga, Generalsekretärin des ZK der KKE, teil. Gegenüber den Medien betonte sie: "Die zeitgemäße und ausgereifte Losung heute ist: Bruch, Umsturz, Entkoppelung von der EU. Es gibt keine andere realistische Antwort für das Volk".

Die Massenkundgebung der PAME zog sich geschlossen vom Syntagma-Platz zurück, als die Auseinandersetzungen zwischen provokatorischen Gruppen und der Polizei begannen.


Die Vorbereitung und die Bedingungen der Streikaktion

Die klassenkämpferischen Kräfte sicherten in den frühen Morgenstunden die Tore von Fabriken und anderen Arbeitsstätten. Mit Entschlossenheit und Verantwortung sicherten sie die Demonstration und die Kundgebung auf dem Syntagma-Platz. So spielten sie eine entscheidende Rolle nicht nur bei der Orientierung sondern auch bei der Organisation des Arbeitskampfes.

Die parlamentarische Fraktion der KKE verurteilte das "mittelfristige Programm", das die PASOK-Regierung zur Abstimmung ins Parlament einbringt, weil es den Interessen der Plutokratie dient und die Arbeiter- und Volksrechte beschneidet. Die KKE-Parlamentsabgeordneten informierten das Volk, dass sie sich an keiner Tätigkeit des Parlaments, die das "mittelfristige Programm" betrifft, beteiligen wird, weder an den zuständigen Ausschüssen, noch am Plenum. Sie beteiligt sich mit allen Kommunistinnen und Kommunisten an den Streiks und den anderen Kämpfen des Volkes.

Die parlamentarische Fraktion der KKE rief die Arbeiter, die Volksschichten und die Jugend auf, sich zahlreich am Streik des 15. Juni und an den anderen Streikkämpfen zu beteiligen. Sie sollten gegen das "mittelfristige Programm", gegen jede arbeiter- und volksfeindliche Maßnahme kämpfen.


Wichtige Antwort der KKE durch Kundgebungen im ganzen Land

In einem Aufruf zu den politischen Entwicklungen rief die KKE für den 16. Juni zu Kundgebungen im ganzen Land auf. In Athen sprach die Generalsekretärin des ZK der KPG Aleka Papariga. Der Aufruf betont: "Jetzt muss das Volk mit seinem Kampf, seiner Organisierung und der Forderung nach Neuwahlen eingreifen. Jetzt muss es seinen Widerstand gegen die Pläne einer von der EU und der Plutokratie avancierten Koalitionsregierung stärken. Ihr Ziel ist die Ankettung des Volkes, um es so zur Insolvenz zu führen, und der Schutz der Interessen und der Herrschaft der Monopole. Keine Illusion ist erlaubt. Keine Angst darf sich breit machen!"

Jetzt muss das Volk der KKE vertrauen, die bewiesenermaßen immer die Wahrheit gesagt hat. Unabhängig davon, ob man in allen Punkten mit ihr einer Meinung ist, ist es jetzt wichtig, mit ihr zusammen zu gehen, um die reaktionären Szenarien und den barbarischen Angriff abzuwehren.

Das Volk darf den Aussagen von PASOK, ND und den anderen Parteien der Plutokratie weder vertrauen, noch sich davon terrorisieren lassen. Diese Parteien ändern ihr Gesicht, um das Volk in die Falle zu locken. Sie ändern ihren Kurs nicht. Sie werden angriffslustiger gegen das Volk. Die Krise in der Euro-Zone wird tiefer. Die kapitalistische Barbarei kann nicht durch Illusionen und Konsens abgewehrt werden. Jetzt ist die Stunde der Verantwortung für das Volk. Es muss einen Sprung nach vorne tun. Es muss sich politisch und ideologisch von den Parteien des Systems und der EU entkoppeln, einer EU, für deren Beschönigung die Partei der Europäischen Linke und die Partei "Die Linke" in Deutschland einen großen Beitrag leisten. Sie verschleiern den wahren Charakter dieser imperialistischen Organisation und behaupten, dass es eine Entwicklung in diesem Rahmen zum Wohle der Völker geben kann.

Es gibt nur eine Lösung mit einem organisierten und entschlossenen Volk, gemeinsam mit der KKE. Das Volk kann nur dann den neuen barbarischen Angriff abwehren, wenn es für wirklich grundlegende Veränderungen, für den Sturz der Herrschaft der Monopole und für die Entkoppelung von der EU kämpft.


KKE, Athen, Juni 2011; aus einem Flugblatt, das die KKE beim UZ-Pressefest verteilt hat; v.i.S.d.P.: P. Mentis, Gütersloh

Raute

KKE: Kein Opfer für die Krise, für die Schulden und die Profite der Plutokratie!

Volksbewegung mit Zielrichtung auf das Kapital, seine Parteien und die EU

Mitteilung des Politbüros des ZK der KKE, Juni 2011

Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass das Volk und die Jugend auf die Straßen gehen und ihren angesammelten Zorn kundtun. Sie sind in der Lage, ein Klima eines wesentlicheren, kämpferischen Auftriebs zu schaffen, wenn sie sich hin zu einer entschlosseneren Teilnahme an der organisierten klassenkämpferischen Volksbewegung entwickeln. Sie kämpft, um die barbarische, volksfeindliche Politik abzuwehren und umzustürzen, und nicht nur um einen Personenwechsel in der Regierung oder um Kleinkorrekturen an den Memoranden der Monopole.

Damit das Volk der kapitalistischen Barbarei gegenübertreten kann, besteht heute die dringende Notwendigkeit, richtige Schlüsse zu ziehen, die Gründe der kapitalistischen Krise, der Schulden, der gestaffelten Memoranden zu verstehen, klar zu erkennen, dass die Verantwortlichen die Politik, die Parteien und die EU sind, die dem Profit und den Interessen der Großkonzerne dienen. Es ist an der Zeit, dass das Volksbewusstsein einen politischen und ideologischen Sprung macht, dass es sich von den Ideologien der PASOK und ND befreit, dass es sich der KKE anvertraut. Das ausbeuterische kapitalistische System kann dem Volk nichts mehr bieten, es ist überholt es verrottet; es wird nur Armut, Krisen, Kriege bescheren.

Die KKE ist die einzige Partei, die schon lange vor dem Memorandum das Volk zum Aufstand aufrief, als die Regierung und die anderen Parteien ihm die Ursachen verheimlichten und es in Bezug auf die Auswirkungen der Krise beruhigten. Außerdem hatte die KKE vorhergesehen, dass es früher oder später zu massenhafter spontaner Aufruhr neben den Kämpfen der organisierten Klassenkampfbewegung kommen wird. Die KKE hatte das Volk rechtzeitig und noch vor den Wahlen vor dem Sturm gewarnt, den PASOK oder ND mit sich bringen würden, egal, ob die eine oder die andere in die Regierung gewählt worden wäre. Rechtzeitig und mutig hat sie vorhergesehen, dass Plutokratie, Regierung und EU dem Volk den Krieg erklärt haben und es dazu aufrief, mit Ungehorsam, Undiszipliniertheit und Gegenwehr zu antworten, damit nicht das Volk die Krise, die Schulden und die Klemmen des Systems bezahlt. Entgegen des peinigenden Dilemmas "Verschuldung oder barbarische, volksfeindliche Maßnahmen" nahm sie mutig, klare Stellung: Kein Opfer für die Profite! Die Krise und die Schulden soll die Plutokratie tragen. Patriotismus bedeutet, dass sich das Volk nicht in die Insolvenz getrieben wird.

Die KKE wendet sich verantwortungsvoll und vertrauenswürdig an die Volksschichten, die heute auf die Straße gehen und weist darauf hin, dass all die Kämpfe, die nicht auf die Verantwortlichen und auf die Ursachen abzielen, nicht zu substanziellen Ergebnissen gelangen können. Sie ruft sie dazu auf, entschlossen nach vorne zu gehen.

Die allgemeine Forderung "Nieder mit dem Memorandum", der Sache nach, sagt nichts aus, wenn sie nicht zum Ausgangspunkt für die Verhinderung jedweder volksfeindlichen Politik wird, wenn sie nicht begleitet wird durch ein "nieder mit den Monopolen, der EU und den ihr dienenden Parteien". Andernfalls werden sie, auf die eine oder andere Weise, immer schlimmere Memoranden beschließen. Diese Politik wird bereits in allen Staaten der Europäischen Union durchgeführt, unabhängig von dem Grad ihrer Verschuldung. Wir können nicht zu Lösungen zurückkehren, die in den vergangenen Jahrzehnten erprobt worden sind.

Der Protest gegen Arbeitslosigkeit muss sinnvoller Weise durch den Kampf für eine Verstaatlichung der Großunternehmen erweitert werden. Solange sie den Kapitalisten gehören, werden sie die Wirtschaft und Produktion bestimmen, die unabhängig von Konjunktur, Arbeitslose schafft. Ihre harte Konkurrenz für eine Profitmaximierung wird die schwächsten Unternehmen in die Knie zwingen, die Klein- und Mittelunternehmer verdrängen, die Anzahl der Arbeiter und Angestellten verringern, Löhne und Rechte mit Füßen treten.

Die bekannten oberflächlichen und populistischen Parolen "Alle Politiker sind Diebe und Lügner!" entlasten den wahren Schuldigen: die Plutokratie, die dem Volk das Geld und dem Land seine Natur- und Bodenschätze raubt. Die Skandale, die Bestechung von Politikern und Parteien des Systems, ist die Folge der Politik, die dem Volk Leid zufügt, und nicht die Ursache. Sie zeigen Nachsicht mit den Funktionären von PASOK und ND sowie anderer Parteien, die die barbarischen Maßnahmen aus ideologischen und politischen Gründen stützen, auch wenn sie nicht gestohlen haben. Die reaktionären Parolen "Weg mit den Parteien und den Gewerkschaften", die einige Kreise in der Hoffnung auf Anklang in der Bevölkerung von sich geben, verfolgen hauptsächlich den Zweck, das Volksbewusstsein durcheinanderzubringen. Dadurch haben die Regierung und die anderen Parteien die Möglichkeit, die Botschaft des Protestes auf verschiedenste Art und Weisen zu ihren Gunsten zu interpretieren. Sie können dadurch die KKE, die konsequent die Politik von PASOK und ND enthüllt und bekämpft hat, in den gleichen Topf mit den Verantwortlichen stecken. Sie verbergen die politische Verantwortung des Teils der Volkes, der sie gestützt oder sie mit seiner Stimme getragen oder toleriert hat. Sie verschleiern, dass die klassenkämpferischen Kräfte, die sich in der PAME vereinigen, anhaltend und als Vorreiter für die Rechte der arbeitenden Menschen kämpfen, in Konfrontation mit den arbeitgeber- und regierungstreuen Gewerkschaftsmehrheiten der GSEE und ADEDY.

Die heutigen Kämpfe der Arbeiterklasse und der Jugend müssen auf die Verantwortlichen für das Leid des Volkes zielen, auf die Großkonzerne, die EU und die Parteien, die ihr dienen. So sind diese Kämpfe effektiv und in der Lage, die sich staffelnden volksfeindlichen Maßnahmen zu verhindern. Die Kämpfe des Volkes müssen die zeitgemäßen Rechte einfordern, sie müssen notwendige, grundlegende Änderungen anstreben, sowohl auf dem Feld der Wirtschaft, als auch an den Machtverhältnissen, sodass die Entwicklung den Bedürfnissen des Volkes und nicht den Profiten des Großkapitals dienen wird.

Die KKE warnt die Volkskräfte, die sich der Notwendigkeit des Handelns gegen ihre von der Regierung und der EU geführte ständige Verarmung und ruft sie auf, misstrauisch gegenüber den "Umarmungen" der bürgerlichen Parteien, der Massenmedien der Großunternehmer, unterschiedlicher Apparate sowie angeblich "unabhängiger" und "unparteiischer" Gruppen zu sein. Sie alle verfolgen vielschichtige Zwecke und Ziele, haben eigene Gründe für ihre Aktivitäten; dennoch stimmen sie überein, wenn es darum geht, die kämpferische Stimmung des Volkes einzuverleiben, zu unterminieren oder zu "entladen".

Die Regierung, die Parteien und die Apparate des Systems haben allen Grund dazu, dass die spontane Wut der Massen getrübt bleibt, dass sie aufgrund von bedeutungslosen Parolen oder reaktionären ideologischen Konstrukten in die Sackgasse läuft. So liegt es in ihrer Hand, die Formulierung der Forderungen des Volkes festzulegen. Sie bezwecken damit, die Reaktionen des Volkes zu ihren Gunsten zu kontrollieren. Sie nutzen sie aus, um zu einem bestimmten Zeitpunkt die Wut des Volkes zu "entladen" und sie zu einem Fatalismus, dass "nunmehr nichts mehr möglich ist", und schließlich zu einer Unterwerfung umzuwandeln. Die Reaktionen des Volkes sollen auf trügerische Ziele besserer Verhandlungen innerhalb der EU beschränkt werden, wie es die ND, LAOS und SYN/SYRIZA verkünden. Die ständig wachsende Wut des Volkes beunruhigt die Plutokratie, jagt ihr aber dennoch keine Angst ein, weil ihr bewusst ist, dass diese Wut ohne Organisation und Klassenbewusstsein nicht zielführend und gefährlich für sie sein kann. Im Gegenteil, sie versuchen aus dem Zorn Kapital zu schlagen, damit sie die Parteien der Macht auf noch reaktionärere und aggressivere Positionen führen. Unter dem Vorwand der "fähigen", "würdigen" und "ehrlichen" Politiker und angesichts der Reaktionen des Volkes ebnen sie den Boden für eine Umwandlung, falls sich das herrschende politische System als unfähig erweist, mit dem Faktor "Volk" fertig zu werden. Sie orientieren sich auf die Bildung neuer bürgerlicher Parteien, sodass sie Zeit gewinnen, als neue Parteien eine "Gnadenfrist" erhalten, damit sie dann noch entschlossener die arbeitenden Menschen mit der Barbarei des Kapitalismus zu verdammen.

Die KKE trägt keine Masken. Sie gibt nicht vor, "unparteiisch" zu sein. Sie wendet sich nicht mit halben Worten dem Volk zu, um seine Losungen einzuverleiben. Sie hat bewiesen, dass sie mit Offenheit und Mut, ohne Angst die ganze Wahrheit sagt und einen Ausweg zu Gunsten des Volkes vorschlägt. Die KKE wendet sich vertrauensvoll an das Volk. Es gibt eine Alternative! Unser Land hat alle nötigen Produktionsmöglichkeiten, um sich zu entwickeln und die zeitgemäßen Bedürfnisse des Volkes zu befriedigen. Damit das erreicht wird, ist es erforderlich, dass die großen Unternehmen strategischer Bedeutung in gesellschaftliches Eigentum/Volkseigentum übergeführt werden. Dass sich Produktionsgenossenschaften der kleinen und mittleren Bauern sowie der Selbständigen in den Städten bilden. Dass es eine nationale zentrale Planung der Wirtschaft besteht, mit Volksherrschaft und Arbeiterkontrolle. Der Weg der Macht und der Wirtschaft des Volkes bedeutet eine Entbindung von der EU und den anderen imperialistischen Organisationen. Diesen Weg kann ein starkes Bündnis des Volkes öffnen, das an den Arbeitsplätzen beginnt und sich überall verbreitet. Dieses Bündnis kämpft gleichzeitig jeden Tag für die Rechte der Arbeitslosen, der Familien aus den Volksschichten, der Geringverdienenden und der Rentner, der kleinen und mittleren Bauern und Selbständigen, ohne das Ziel eines grundlegenden Umsturzes aus den Augen zu verlieren. Die KKE ruft die Arbeiter- und die Volkskräfte auf, vor allem die, die seit Jahren der PASOK und ND gefolgt sind, diesen gemeinsamen Weg zu gehen. Wir rufen sie auf, damit wir den Ungehorsam und die Gegenoffensive des Volkes organisieren, das große Bündnis des Volkes, die alles zum Wohle des Volkes verändern wird.


KKE, Athen, Juni 2011; aus einem Flugblatt, das die KKE beim UZ-Pressefest verteilt hat; v.i.S.d.P.: P. Mentis, Gütersloh

Raute

KKE: Stellungnahme zu Palästina

Die KKE hat sich mit dem Beschluss des Politbüros des Zentralkomitees der Partei entschieden, den Kampf für die Anerkennung eines unabhängigen, souveränen und überlebensfähigen Staates Palästina zu unterstützen.

Innerhalb dieses Rahmenwerks rief Aleka Papariga, die Generalsekretärin des Zentralkomitees der KKE, die griechische Regierung mit einem Brief an den griechischen Premierminister dazu auf, den Anspruch auf die Anerkennung eines Staates Palästina mit den Grenzen von 1967 und mit der Hauptstadt Ostjerusalem als ein Mitgliedsstaat der UN zu unterstützen.

Weiterhin besuchte eine Delegation der KKE, von Giorgos Marinos, Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der KKE, geleitet, die Botschaften der Palästinenserbehörde, des Libanon und Syriens in Athen und informierte dort über den Standpunkt der KKE zu diesem Thema.

Am Dienstag und Mittwoch und (6. und 7. Juli) wird eine Delegation der KKE Palästina besuchen, wo sie mit Vertretern der palästinensischen Führung und anderen Vertretern politischer Kräfte Palästinas konferieren wird. Genossen G. Marinos, Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees und Mitglied des Nationalparlaments, G. Toussas, Mitglied des Zentralkomitees der KKE, MEP und verantwortlich für die Abteilung Europapolitik der KKE, E. Vagenas. Mitglied des ZKs und verantwortlich für die Abteilung Internationale Beziehungen der KKE und O. Maita, KKE-Kader, werden sich an dieser Delegation beteiligen.

Die KKE ruft die anderen kommunistische Parteien und Arbeiterparteien dazu auf, ähnliche Initiativen zu unternehmen und die Aktionen in ihren Ländern und international bis September zu verstärken, wenn das Thema der Anerkennung des palästinensischen Staates erwartungsgemäß angesprochen wird.

Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) setzt ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Palästinenserproblem verschärft fort, mit dieser neuen Initiative für die Anerkennung des palästinensischen Staates - eine Initiative, welche die allgemeineren Entwicklungen berücksichtigt und in den beständigen antiimperialistischen Kampf der KKE eingebunden ist.

Es ist eine Tatsache, dass ernste Entwicklungen in unserer Region stattfinden, welche mit der Intensität der Arbeiterklasse und Volkskräfte in Nordafrika und dem Mittleren Osten für soziale und demokratische Rechte in Verbindung stehen, aber auch mit den Bemühungen, bürgerliche Regime in dieser Region zu modernisieren. Es sind Entwicklungen, in die der Konkurrenzkampf der imperialistischen Mächte, ihre Verbindungen und Allianzen in hohem Maße hineinspielt.


Beurteilung der Situation

Die KKE folgt beharrlich dem Pfad der Solidarität mit dem Kampf des palästinensischen Volkes und entwickelt eine vielseitige Aktivität sowohl in Griechenland als auch im Ausland und bringt gleichzeitig seine Ablehnung der Vereinbarungen zum Ausdruck, die unter imperialistischem Druck gefördert wurden.

Heute können wir mit Sicherheit einschätzen, dass die Ergebnisse aufzeigen, dass die Logik, mit der die Osloer Verträge (1993) in Verruf gebracht wurden, die gleiche Logik ist, die bei Camp David im Jahre 2000 vorherrschte oder bei dem Annapolis-Gipfel (2007) - die Logik der wohlbekannten "Roadmaps."

Die Ergebnisse zeigen auf, dass die historischen Probleme, die Bildung und Anerkennung eines palästinensischen Staates betreffend, erhalten bleiben, die Besetzung der Territorien, die von Israel im Sechs-Tage-Krieg erobert wurden, fortgesetzt wird, die Frage der Rückkehr der Flüchtlinge unbeantwortet bleibt, die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten sich vermehren und die von Israel errichtete Mauer bleibt, wo sie ist. Wir haben organisierte israelische Angriffe überall in den besetzten gebieten, vor allem aber im Gazastreifen erlebt.

Auf Grundlage dieser Entwicklungen wird die Situation immer komplexer und gefährlicher.

Die vielgestaltige Interventionen imperialistischer Streitkräfte haben als Hauptziel, die Widerstandsbewegung gegen die Besetzung zu ersticken und Kräfte zu stärken, die zu einem kompletten Kompromiss und einer negativen Haltung dem Kampf für einen unabhängigen, souveränen und überlebensfähigen Staat Palästina inklusive Ostjerusalem gegenüberstehen.

Die USA und die EU reden über zwei Staaten (Israel und Palästina), aber sie verstecken die Hauptsache. Und die Hauptsache ist, dass, wenn sie von einem palästinensischen Staat sprechen, sie keinen souveränen Staat meinen, der Zukunft zugewandt und mit dem Volk als Entscheidungsgewalt. All dies wurde von den gegenwärtigen viel veröffentlichten Initiativen von Obama bestätigt. Die USA planen eine "Siedlung", die einen Grabstein auf die Rechte eines souveränen Staates setzt, denn das wäre ein Staat mit einer mit einer Grenze zu Israel, mit einem Selbstverteidigungsrecht, ein Staat in den Grenzen von 1967, mit Ostjerusalem als Hauptstadt, und mit der Rückkehr der Flüchtlinge.

Die KKE unterstützt den Kampf des palästinensischen Volkes und seinen Widerstand gegen die Besatzungskräfte. Wir prangern den Druck in der Palästinenserbehörde an, damit wollen die imperialistischen Kräfte eine Lösung durchsetzen, die gegen den Willen, die Interesse und die Rechte des palästinensischen Volkes sein würde.

Mit Interesse verfolgen wir die Aktivitäten von Organisationen, die der Besatzung und den imperialistischen Interventionen entgegenstehen, wir führen Diskussionen mit ihnen und verwenden ihre Erfahrungen.

Unser Verhältnis mit dem palästinensischen Volk erlaubt uns zu wiederholen, dass wir Angelegenheiten in einer strikten Weise analysieren müssen, weil Initiativen, die sich dem palästinensischen Volk als "freundlich" vorstellen, es manchmal nicht sind! Die Konkurrenz der bürgerlichen Klassen der Region und die größeren Pläne, die ihren Interessen dienen, bleiben dahinter verborgen.

Die KKE kämpfte und kämpft gegen eine politische Haltung, welche das Opfer dem Verfolger gleichsetzt, eine Haltung, die von der EU eingenommen wird, aber auch von den politischen Kräften der Sozialdemokratie und der Europäischen Links-Partei (ELP).

Die KKE verurteilt den mörderischen Angriff Israels gegen die Solidaritätsmission für die Bewohner des Gazastreifens im Mai 2010, der zu Dutzenden von Verletzten und Toten führte.

Wir kämpften und kämpfen weiterhin gegen die Bemühungen, die Widerstandsbewegung und ihre Aktivitäten im Namen des "Terrorismus" zu kriminalisieren und betonen, dass der wahre Terrorist gegen die Völker der Imperialismus ist. Die Völker sind gezwungen, alle Formen des Kampfes anzuwenden, was den bewaffneten Kampf gegen die Besatzer und Tyrannen mit einschließt, - für die nationale und soziale Befreiung, für die Aussicht, das Herrschaftsproblem zugunsten der Menschen zu lösen.

Alle Völker, auch das palästinensische Volk, müssen das souveräne Recht besitzen, ihre eigene Regierung und ihre eigene Zukunft zu bestimmen.

Auf diese Analysen gestützt, wiederholen wir die Haltung der KKE in der Palästinafrage:

Wir unterstützen den Kampf für die Schaffung eines unabhängigen, lebensfähigen und souveränen palästinensischen Staates, mit den Grenzen von 1967, mit Ostjerusalem als Hauptstadt, neben Israel. Wir verlangen die Befreiung des palästinensischen V0lkes von der Barbarei der Besatzungskräfte, der israelischen Armee.

Wir verlangen die Anerkennung des palästinensischen Staats als einen neuen Mitgliedsstaat der UN.

Wir verlangen ebenso:

- das Ende der israelischen Siedlungen und den Rückzug aller Siedler, die über die Grenzen von 1967 hinaus siedelten

- die Zerstörung der inakzeptablen Mauer, die Jerusalem und das Westjordanland trennt

- das Rückkehrrecht aller palästinensischen Flüchtlinge in ihre Behausungen, auf den relevanten UN-Entscheidungen basierend

- die Aufhebung jeder Blockade gegen die Palästinenser, ob in das Westjordanland oder den Gazastreifen

- die sofortige Herausgabe aller palästinensischen und anderen politischen Gefangenen, die in israelischen Gefängnissen eingekerkert sind.

- den Rückzug der israelischen Armee aus den besetzen Gebieten von 1967, was die Golanhöhen und die Sebaa-Region im Südlibanon mit einschließt.

Die KKE verlangt, dass die griechische Regierung die militärische Zusammenarbeit unseres Landes mit Israel beendet und dass sie direkt Schritte zugunsten der Anerkennung des palästinensischen Staats unterstützt. Dafür wird die KKE Initiativen unternehmen und inner- und außerparlamentarische Interventionen organisieren. Im europäischen Parlament und anderen EU-Gremien wird sie auf derselben Linie operieren.


27. Juni 2011, Politbüro des Zentralkomitees der KKE; Übersetzung aus dem Englischen: Frischmacher

Raute

13. AUGUST 1961

Stephan Hermlin: Offener Brief an Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass

Am 16. August 1961 richteten die westdeutschen Schriftsteller Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass einen "Offenen Brief" an einige Schriftsteller aus der DDR mit der Aufforderung, den Grenzsicherungsmaßnahmen ihrer Regierung zu widersprechen. Die Argumentation von Schnurre und Grass bewegte sich im Bereich der immer wieder beliebten Äquidistanz(2): Das geht so: 'Wir kritisieren hier im Westen undemokratische Vorgänge, nun tut dies gefälligst auch im Osten.' Direkt angesprochen wurden Anna Seghers, Arnold Zweig, Ludwig Renn, Willi Bredel, Stephan Hermlin und Peter Huchel. Wir dokumentieren hier die Antwort von Stephan Hermin.

Redaktion offen-siv

(2) Äquidistanz = gleicher Abstand zu zwei Polen. In der Politik immer: nicht Fisch, nicht Fleisch, dafür aber "Licht und Schatten", natürlich mit dabei das "Sowohl - als auch". Die Klassen allerdings und der Kämpfe zwischen ihnen, die kommen bei der Äquidistanz nicht vor. Denn das war der Zweck der Erfindung - diese Frage zu vermeiden.


Stephan Hermlin: Offener Brief an Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass

17. August 1961

Herrn Wolfdietrich Schnurre
Berlin-Zehlendorf West,
Goethestr. 29

Herrn Günter Grass,
Berlin-Grunewald,
Karlsbader Str. 16

Sie haben gestern, am 16. August 1961, einen offenen Brief an eine Reihe von Schriftstellern in der Deutschen Demokratischen Republik gerichtet. Da ich zu den von Ihnen genannten Empfängern gehöre, erlaube ich mir, das Folgende zu bemerken:

Sie wünschen, ich möge "die Tragweite der plötzlichen militärischen Aktion vom 13. August bedenken". Ich könnte mit den Worten eines offiziellen Sprechers in Washington darauf erwidern, daß die Rechte der westlichen Besatzungsmächte in West-Berlin durch die Maßnahmen der Deutschen Demokratischen Republik nicht angetastet wurden. Dies ist die Antwort, die bereits aus dem Westen gekommen ist, soweit die Frage der Tragweite aufgeworfen wird. Ich will es mir aber nicht ganz einfach machen, zumal ich kein Sprecher der amerikanischen Regierung bin.

Sie schrieben: "Wenn westdeutsche Schriftsteller sich die Aufgabe stellen, gegen das Verbleiben eines Hans Globke zu schreiben; wenn westdeutsche Schriftsteller das geplante Notstandsgesetz des Innenministers Gerhard Schröder ein undemokratisches Gesetz nennen; wenn westdeutsche Schriftsteller vor einem autoritären Klerikalismus in der Bundesrepublik warnen, dann haben Sie genauso die Pflicht, das Unrecht vom 13. August beim Namen zu nennen."

Ihr Argument, daß bei früherer Gelegenheit bereits in ähnlicher Form auftauchte, resultiert aus einem Trugschluß. Wenn Sie, Schnurre und Grass, gegen Globke und Schröder auftreten, die Sie regieren, so bin ich keineswegs verpflichtet, gegen meine Regierung aufzutreten, die Globke und Schröder etwas nachdrücklicher bekämpft als Sie beide es tun - das sei bei allem Respekt vor Ihrer Zivilcourage gesagt. Vielmehr ist meine Regierung bei dieser ihrer Tätigkeit meiner Zustimmung sicher. Tatsächlich ist das, was Sie das Unrecht vom 13. August nennen, eine staatliche Aktion gegen die Globke-Schröder-Politik.

Das Unrecht vom 13. August? Von welchem Unrecht sprechen Sie? Wenn ich Ihre Zeitungen lese und Ihre Sender höre, könnte man glauben, es sei vor vier Tagen eine große Stadt durch eine Gewalttat in zwei Teile auseinandergefallen. Da ich aber ein ziemlich gutes Gedächtnis habe und seit vierzehn Jahren wieder in dieser Stadt lebe, erinnere ich mich, seit Mitte 1948 in einer gespaltenen Stadt gelebt zu haben, einer Stadt mit zwei Währungen, zwei Bürgermeistern, zwei Stadtverwaltungen, zweierlei Art von Polizei, zwei Gesellschaftssystemen, in einer Stadt, die beherrscht [wird] von zwei einander diametral entgegengesetzten Konzeptionen des Lebens. Die Spaltung Berlins begann Mitte 1948 mit der bekannten Währungsreform. Was am 13. August erfolgte, war ein logischer Schritt in einer Entwicklung, die nicht von dieser Seite der Stadt eingeleitet wurde.

Ich habe meiner Regierung am 13. August kein Danktelegramm geschickt und ich würde meine innere Verfassung auch nicht als eine solche "freudige Zustimmung", wie manche sich auszudrücken belieben, definieren. Wer mich kennt, weiß, daß ich ein Anhänger des Miteinanderlebens bin, des freien Reisens, des ungehinderten Austausches auf allen Gebieten des menschlichen Lebens, besonders auf dem Gebiet der Kultur.

Aber ich gebe den Maßnahmen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik meine uneingeschränkte ernste Zustimmung. Sie hat mit diesen Maßnahmen, wie sich bereits zeigt, den Antiglobkestaat gefestigt, sie hat einen großen Schritt vorwärts getan zur Errichtung eines Friedensvertrages, der das dringendste Anliegen ist, weil er allein angetan ist, den gefährlichsten Staat der Welt, die Bundesrepublik, auf ihrem aggressiven Weg zu bremsen.

Ich erinnere mich noch sehr genau an das ekelerregende Schauspiel einer sogenannten nationalen Erhebung, das ich am 30. Januar 1933 als ganz junger Mensch am Brandenburger Tor erlebte. Zehntausende von Hysterikern teilten einander damals tränenüberströmt mit, Deutschland sei endlich von der Knechtschaft erlöst. Hätten damals am Brandenburger Tor rote Panzer gestanden, wäre der Marsch nach dem Osten nie angetreten worden, brauchten keine Eichmann-Prozesse stattzufinden und säßen wir heute zu dritt in einer unzerstörten, ungeteilten Stadt am Alex oder am Kurfürstendamm im Café.

In Ihrem Brief wird sehr deutlich an die Adressaten appelliert, sie mögen sich nicht vor einer Antwort drücken, es gäbe angesichts der heutigen Situation kein schweigen, so wenig - wie Sie schreiben - wie gerade zwischen 1933 und 1945. Offenbar haben Sie doch nicht sehr genau überlegt, an wen Sie das geschrieben haben, denn Ihre Adressaten, zumindest die Mehrzahl von ihnen, schwiegen gerade zwischen 1933 und 1945 nicht, im Gegensatz zu so vielen patentierten Verteidigern der westlichen Freiheit des Jahres 1961. Ich bin überzeugt, daß es meiner Antwort an Deutlichkeit nicht gebricht, und hoffe, daß wir uns bald in freundlicheren Stunden wiedersehen werden.

17. August 1961, Stephan Hermlin


Quelle: Hans Werner Richter (Hg.), Die Mauer oder Der 13. August, Reinbek 1961, S. 66-68

Raute

Peter Hacks: Das Vaterland

So wie das Einhorn vor den Geistern allen
Hervorsticht durch Empfindsamkeit und Wissen,
Wie der Demant vor minderen Kristallen,
Der Kaviar vor sonstigen Leckerbissen,
So wie der Panther vor den Waldnaturen
Und Greta Garbo vor den andern Huren,

So stach einmal mein liebes Vaterland
Unter den Reichen dieser Welt hervor.
Das Land, wo keiner darbte, keiner fror.
Das Land, wo jeder Dach und Arbeit fand.
Wie lob ich es? Wie enden, wie beginnen?
Ich sage, es war ganz und gar bei Sinnen.

Wer reifen wollte, war befugt zu hoffen.
Die Seelen nahmen Form an und die Leiber.
Dem Ärmsten stand die höchste Stelle offen.
Was Männer durften, durften auch die Weiber.
Und weder Aberglauben, weder Schulden
Fand sich sein stolzes Herz bereit zu dulden.

Und keine Krankheit, wenn sie heilbar war,
Blieb von der Kunst der Ärzte ungeheilt.
Und kein Verdruß, sofern er teilbar war,
Ward redlich nicht von Fürst und Volk geteilt.
Kein Eigentümer konnte uns befehlen,
Zu seinem Vorteil selbst uns zu bestehlen.

Wie aufgeklärt hier alles. Wie durchheitert.
Wie voller Frische, voller Ahnungen.
Ins Morgen ward die Gegenwart erweitert
Des Vaterlands durch seine Planungen.
Es ist ein Hochgenuß, von ihm zu sprechen.
Es war ein Staat und scheute das Verbrechen.

Wer kann die Pyramiden überstrahlen?
Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?
Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen
Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.
Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren.
Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren.

Das war das Land, in dem ich nicht geboren,
Das Land, in dem ich nicht erzogen bin,
Das ich mir frei zum Vaterland erkoren,
Daß bis zum Grab ich atmete darin.
Das mit dem Grab hat sich nun auch zerschlagen.
Doch war das Glück mit meinen Mannestagen.

In dieser Hundewelt geht vieles ohne
Ideen, aber nichts ohne Spione.
Schuld, daß ich alles deutlich offenbare,
Schuld trug das KGB. Wohl zwanzig Jahre
Hat insgeheim mit Langley oder Harvard
Es über unsern Untergang palavert.

Die Sowjetmacht, sie schenkte uns das Leben.
Sie hat uns auch den Todesstoß gegeben.
Nur täuscht euch nicht. Rußland und wir, wir beiden,
Sind niemals, auch nicht durch Verrat, zu scheiden.
So viel für jetzt. So viel zum künftig schwierigen
Verhältnis zwischen Preußen und Sibirien.

Fremd ist die Sonne, die mir heute leuchtet.
Und bloß im sich versenkenden Gemüte
Seh ich die Landschaft, die hier vormals blühte.
Nicht immer bleibt mein Auge unbefeuchtet.
Man weint um Hellas. Sonst geschieht es selten,
Daß einer Staatseinrichtung Tränen gelten.

Und derer laßt mich denken, die es schufen,
Das Vaterland, ihm Hirn und Willen liehen,
Es kräftigend zu menschlichsten Behufen.
Kaum einer ist mehr. Laßt mich nicht verziehen,
Als Greis dem Sterbenden mich mitzuteilen.
Für Alfred Neumann schrieb ich diese Zeilen.

Raute

OPPORTUNISMUS UND REVISIONISMUS

Redaktion offen-siv: Vorbemerkung zu diesem Schwerpunkt

Was die Invasionsarmeen gegen die russische Revolution nicht vollbringen konnten, was dem deutschen Imperialismus in Gestalt des Hitlerfaschismus nicht gelang, obwohl er über einen großen Teil der Ressourcen Europas verfügte - nämlich das Erwürgen der sozialistischen Revolution, die Zerstörung des ersten sozialistischen Landes der Welt, das schaffte der Revisionismus durch das Aufweichen, Versumpfen und Zersetzen der revolutionären Partei des Proletariats.

Der Revisionismus ist im 20. Jahrhundert die schärfste Waffe der Bourgeoisie gewesen, schlimmer als Panzer, Flugzeuge, Bomben und Kanonen.

Wenn wir vom Revisionismus sprechen, sprechen wir also nicht von irgendwas, wenn wir in der theoretischen Auseinandersetzung opportunistische und revisionistische Entwicklungen kritisieren, geht es weder um theoretische Spitzfindigkeiten noch um einen Streit um des Kaisers Bart. Es ist eine Auseinandersetzung um alles oder nichts.

Denn die Millionen Tote der Weltkriege sind nichts gegen die Opferzahlen, die der Revisionismus hervorgebracht hat.

Warum diese Vorrede?

- Weil man das Drama kaum übertreiben kann,
- weil nicht-revolutionäre bzw. konterrevolutionäre Phasen dem Lernen, dem Organisieren, dem Vorbereiten dienen müssen,
- weil die Situation in der kommunistischen Bewegung Deutschlands von einem überbordenden Wachstum des Opportunismus und Revisionismus gekennzeichnet ist,
- weil wir den Revisionismus systematisch bekämpfen müssen,
- weil man diese Tatsache gar nicht oft genug wiederholen kann.

Es gib zwei Analysezugänge zum Problemkreis des Opportunismus und des Revisionismus, das ist einerseits die theoretische Analyse, also die Ideologiekritik vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus aus (auf der Grundlage der Mehrwerttheorie, Krisentheorie, Imperialismustheorie, der Klassenfrage, der Frage nach dem revolutionären Subjekt, der Parteitheorie, der Revolutionstheorie und nicht zu vergessen des Materialismus) und das ist andererseits die historische Analyse, also die geschichtliche Aufarbeitung revisionistischer Entwicklungen - hier sind zu nennen die Geschichte der revolutionären Sozialdemokratie, der Gründung der KPD und der Oppositionsbewegungen gegen sie, die Geschichte der KPdSU, besonders die Geschichte des Chruschtschow-Revisionismus, des Eurokommunismus, des Untergang der kommunistischen Parteien Italiens, Frankreichs, Spaniens, Österreichs, um nur einige zu nennen, natürlich die Geschichte des konterrevolutionären Putschversuches in Ungarn, die des so genannten Prager Frühlings, dann des Gorbatschowismus und schließlich Ursache und Verlauf der Katastrophe der Konterrevolution in Europa. Und es geht aktuell weiter: kürzlich wirft die KP der USA den Leninismus über Bord und die Thesen des Sekretariats der DKP gehen in die gleiche Richtung, dies beides nur beispielhaft für die aktuelle Situation.

Wir haben schon manche theoretische Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Spielarten des Revisionismus gebracht, und wir haben einen reichen Fundus zur Analyse der Niederlage veröffentlicht. Wir bieten Euch in diesem Heft eine geschichtliche Skizze über den Zerfall der alten SPD, einen Überblick über den Untergang der Kommunistischen Partei Italiens und einen Blick auf die aktuellen Verhältnisse in der kommunistischen Bewegung Deutschlands. Die geschichtlichen Analysen bringen wir nicht, um das Herz des Historikers zu erfreuen, sondern allein zum Zwecke des Lernens. Im Zerstörungsprozess der SPD zeigen sich unendlich viele Parallelen zu heute, ebenso in dem rund 60 Jahre später bestimmend werdende Prozess der Zerstörung der italienischen Partei.

Wir wissen, dass diese Veröffentlichungen nicht alle und jeden erfreuen werden, wir halten sie aber für notwendig und werden auf dieser Strecke nicht nachlassen.

Red. offen-siv, Juli 2011

Raute

Heinz Wohlgemuth: Die Entstehung der KPD, Auszüge - Wie der Opportunismus die revolutionäre deutsche Sozialdemokratie zerstörte

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Gerhard Feldbauer: MEMORIAL - Juni 1976 - Kommunistische Partei Italiens (PCI) auf dem Weg in den Untergang

Die Kommunistische Partei Italiens (PCI) auf dem Weg in den Untergang. Im Juni 1976 erreichte sie bei den Parlamentswahlen 34 Prozent. Mit dem folgenden Compromesso storico begann die "Heimkehr zur Sozialdemokratie"

Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2008 erlitt die Linke Italiens in einem Wahlbündnis Sinistra arcobaleno (Regenbogenlinke) mit 3,1 Prozent ihre bis dahin schwerste Niederlage. Kommunisten, Sozialisten und Grüne sind seitdem zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte nicht mehr im Parlament vertreten. Unwillkürlich erinnert man sich, dass die IKP vor 35 Jahren, bei den Parlamentswahlen am 20./21. Juni 1976, mit 34 Prozent von zwölf Millionen Italienern gewählt wurde. Das zeugte von einem tiefen Widerhall der kommunistischen Ideen und einer sozialistischen Alternative unter den Menschen.

Wo liegen die Ursachen für den heutigen schockierenden Verlust an Vertrauen unter den Wählern. Sie liegen im Umsichgreifen von vielfältigen opportunistischen Erscheinungen, vor allem seiner Hauptströmung, des Revisionismus, und der fehlenden Auseinandersetzung mit ihnen. Die parlamentarischen Erfolge beförderten seit Ende der 1960er Jahre in der IKP das Wachsen einer sozialdemokratischen Strömung. Ihre politisch-ideologische Basis bildete der zu dieser Zeit in einigen westeuropäischen KPs (Italiens, Frankreichs und Spaniens, der Linkspartei Kommunisten Schwedens u. a.) entstandene so genannte Eurokommunismus, der sich von grundlegenden Fragen der kommunistischen Identität, darunter dem Leninismus abwandte. Der Begriff wurde übrigens zunächst von bürgerlichen Medien lanciert und dann von den Revisionisten in den betreffenden Parteien selbst übernommen. Während Spaniens PCE unter dem späteren Sozialdemokraten Santiago Carrillo kaum über Deklarationen hinauskam und die von George Marchais geführte PCF bald zunehmend wieder auf Distanz ging, wurde die IKP unter Enrico Berlinguer, seit März 1972 Generalsekretär, zu seinem Protagonisten.


Ziel: "Überwindung der Klassenschranken"

Berlinguer nahm den Wahlsieg zum Anlasse, der führenden großbürgerlichen Regierungspartei Democrazia Cristiana eine Zusammenarbeit auf Regierungsebene vorzuschlagen, um der wachsenden faschistischen Gefahr zu begegnen. Unter der Losung einer "chilenischen Lösung für Italien" betrieben die Faschisten, unterstützt von CIA, NATO und eigenen Militär- und Geheimdienstkreisen den Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung. Berlinguer bezog sich auf Antonio Gramscis Historischen Block und nannte seinen Vorschlag "Historischer Kompromiss". Die Notwendigkeit, gegen die faschistische Putschstrategie ein breites Bündnis unter Einschluss der Christdemokraten zu bilden, stellte zunächst einen richtigen Ausgangspunkt dar. Während es Gramsci beim Historischen Block jedoch um ein antifaschistisches Bündnis mit den katholischen Volksmassen unter Führung der Arbeiterklasse ging, suchte die IKP jetzt die Klassenzusammenarbeit mit DC. Bereits auf einer ZK-Tagung im November 1971 hatte Berlinguer deutlich erklärt, man müsse "aus der endemischen Krise der Regierungen des Linken Zentrums (der DC mit der Sozialistischen und Sozialdemokratischen Partei) herauskommen", eine "Regierung der demokratischen Wende" bilden und "die Überwindung der Klassenschranken anstreben".

Die IKP war zu dieser Zeit mit über zwei Millionen Mitgliedern die stärkste und politisch einflussreichste kommunistische Partei der kapitalistischen Industriestaaten. Für Verhandlungen befand sie sich in einer starken Position. Im Parlament belegte sie mit nur knapp fünf Prozent Abstand hinter der DC mit 227 Parlamentssitzen den zweiten Platz und stellte den Präsidenten, im Senat den Stellvertreter. Sieben Kommunisten leiteten Parlamentsausschüsse. Kommunisten und Sozialisten belegten von den Gemeinden bis zu den Landesparlamenten 52,8 Prozent der Mandate.


Günstige Position nicht genutzt

Die günstige Verhandlungsposition wurde jedoch nicht genutzt. Durch den Wahlerfolg erhielten die Reformisten Auftrieb und gewannen bestimmenden Einfluss auf die Gestaltung des Historischen Kompromisses. Sie konnten sich dabei auf die Aus- und Rückwirkungen ihres Kurses auf die soziale Zusammensetzung der Partei stützen, die einen beträchtlichen Zuwachs an Mitgliedern aus der katholischen Arbeiterschaft, aus Handwerkern und Angestellten sowie anderen städtischen Zwischenschichten der Dienstleistung und Bildung verzeichnete. Im Parteiapparat der mittleren Ebene hatte sich ein neuer Funktionärstyp durchgesetzt, der im Alter zwischen 20 und 30 Jahren überwiegend aus Hochschulabsolventen oder solchen, die dabei waren, ein Diplom zu erwerben, bestand. Nur 26 Prozent der Funktionäre kamen noch aus der Arbeiterklasse. Bei den Parlamentariern betrug der Arbeiteranteil nur noch 8,7 Prozent. Viele Parteimitglieder erhielten auch Zugang zu dem großen Sektor der staatlichen und kommunalen Betriebe oder wurden Staatsbedienstete. Sie gerieten damit zugleich in den Bereich des berüchtigten Klientelismus. Hinzugerechnet die Arbeit in der CGIL-Gewerkschaft, im umfangreichen Genossenschaftswesens und anderen gesellschaftlichen Institutionen entstand ein Sektor der Parteibürokratie, der bereits aus den Zeiten des Entstehens der Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg einen gefährlichen Nährboden reformistischer Entwicklung bildete. Es bestehe "die Gefahr, dass die Partei in den Institutionen aufgeht, dass sie diese Quasi zum ausschließlichen Terrain ihres Engagements macht", war in der Rinascita nachzulesen.(20)

Für die in Aussicht gestellte Aufnahme in die Regierung und - die niemals eingehaltenen - Versprechen, gewisse soziale und ökonomische Reformen einzuleiten, setzten die Revisionisten die Aufgabe fundamentaler Klassenpositionen durch. Damit entzog die IKP ihrer ursprünglich richtigen Zielsetzung den Boden und machte sie selbst unrealisierbar. Mit der Erklärung, "wir sind schon einmal ohne Dramatisierung in die Opposition gegangen", legalisierte Politbüromitglied Giorgio Amendola sogar ihren staatsstreichartigen Rausschmiss aus der antifaschistischen Einheitsregierung 1947 und beteuerte, "in der Opposition waren wir kohärent und haben uns auf die Regierungsverantwortung vorbereitet".(21)

Dem Eintritt in die bürgerliche Regierung wurde alles untergeordnet. Die IKP half der DC, die über keine regieringsfähige Mehrheit mehr verfügte, nach dem Wahlsieg über eine schwere Regierungskrise hinweg, in dem sie ihr Kabinett im Parlament durch Stimmenthaltung stützte. 1978 stimmte sie auf der Grundlage eines nun geschlossenen Abkommens, das ihren späteren Eintritt in die Regierung vorsah, für die von dem DC-Rechten und Vertrauensmann der CIA Giulio Andreotti geführte Große Koalition. Die IKP gab fundamentale Klassenstandpunkte auf. Sie sagte sich vom Leninismus los und beteiligte sich an der bürgerlichen antisowjetischen Propaganda. Sie bekannte sich zur kapitalistischen Markwirtschaft, versprach die Privatindustrie zu fördern und akzeptierte das bourgeoise Staatsmodell, für das sie lediglich eine "demokratische Transformation" forderte.


NATO zum "Schutzschild" erklärt

Den Gipfel des Revisionismus erklomm die IKP, als sie mitten im Kalten Krieg und angesichts der Blockkonfrontation verkündete, die NATO eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als "Schutzschild" eines italienischen Weges zum Sozialismus. Damit entzog sie ihrer ursprünglich richtigen Zielsetzung den Boden und machte sie selbst unrealisierbar.

Auf dem 10. Parteitag 1962 hatte Togliatti eingeschätzt, der Pakt (die NATO; d.Red.) sei "ein Joch, das die Nation so weit beschränkt, dass diese das Recht verliert, über ihr Geschick selbst bestimmen zu können."(22) Die Tatsache, dass die USA anschließend die entscheidende Rolle bei der Verhinderung der Zusammenarbeit der IKP mit der DC spielten, zeigte, wie brandaktuell die Wertung Togliattis geblieben war. Diese Haltung zur NATO stellte, bei einem gewissen Verständnis für kritische Positionen, welche die IKP gegenüber der KPdSU und vor allem ihrem Führungsanspruch in der kommunistischen Weltbewegung bezog, einen Affront nicht nur gegenüber der UdSSR, sondern auch den Staaten des sozialistischen Lagers dar. Mitten im Kalten Krieg und der Blockkonfrontation bezog die IKP Position für die von den USA geführte NATO und damit gegen den ihr gegenüberstehenden Warschauer Pakt und ihre führenden Kräfte, die Kommunistischen und Arbeiterparteien. Aber das war noch nicht alles. Es wurde völlig übersehen, dass NATO und CIA die vorangegangenen faschistischen Putschversuche in Italien aktiv unterstützt, ja regelrecht zu ihren Drahtziehern gehört hatten. In Vergessenheit geriet, dass die USA 1945, beginnend mit der Zulassung der faschistischen Bewegung zur Reorganisation der Mussolinipartei Uomo Qualunque, den Faschismus am Leben erhalten und im Friedensvertrag von Paris 1947 abgelehnt hatten, ein Verbot faschistischer Organisationen auszusprechen. Dieses Bekenntnis zur NATO war eine Absurdität ohnegleichen und eines jener opportunistischen Zugeständnisse an den Gegner, von denen man hoffte, er werde das honorieren, was sich als eine katastrophale Fehleinschätzung erwies.


Ergebnis Wende nach rechts

Am Tag der Amtseinführung der Kompromiss-Regierung setzte mit der Entführung und späteren Ermordung des DC-Führers Aldo Moro, Partner Berlinguers in der Regierungszusammenarbeit, ein von Washington eingefädeltes Komplott zur Verhinderung der Beteiligung der Kommunisten an der Regierung ein. Als Werkzeug wurden die von Geheimdienstagenten unterwanderten linksextremen Roten Brigaden benutzt. Regierungschef Andreotti, der später vor Gericht angeklagt wurde, am Mordkomplott gegen Moro beteiligt gewesen zu sein, sabotierte die Zusammenarbeit mit der IKP.


Bündnispartner Moro dem Tod ausgeliefert

Aldo Moro hätte für die IKP, wenn sie nicht derart schwerwiegende Zugeständnisse eingegangen wäre, ein Partner für die Durchsetzung von demokratischen Reformen im Rahmen der bürgerlichen Ordnung, die im Sinne Gramscis dem Ausbau der bürgerlichen Demokratie dienen und an den Sozialismus heranführen konnten, werden können. Dafür spricht vor allem sein Memoriale, das er im Angesicht seines bevorstehenden Todes im Gefängnis der Roten Brigaden niederschrieb und das als sein politisches Testament gilt. Wie er darin das von den herrschenden Kreisen der DC angeführte antidemokratische und volksfeindliche Regime und seine proamerikanische Politik anklagte, ließ deutlich den Übergang zu antiimperialistischen Positionen erkennen.(23) Es ist gleichzeitig ein Dokument menschlicher Größe und Standhaftigkeit. Moro erkannte, dass es sich in den Händen seiner Washingtoner Feinde befand, welche die Brigate Rosse als ihr Werkzeug benutzten. Er hielt dem physischen und psychischen Druck stand und bekannte sich mutig zu seiner Zusammenarbeit mit den Kommunisten, obwohl ihm ein Widerruf möglicherweise das Leben hätte retten können. Angesichts dieser Haltung Moros war es umso beschämender, dass die IKP sich zum Komplizen des von Andreotti unterstützten reaktionären Komplotts machte und in der Regierungsmehrheit verblieb, um ihren für später vorgesehenen direkten Eintritt in dieses rechts ausgerichtete Kabinett zu wahren.(24)

Entgegen der Absicht der Revisionisten, die trotzdem in der Parlamentskoalition verbleiben wollten, setzte Berlinguer im Januar 1979 den Austritt durch. Der politische Einfluss der IKP ging spürbar zurück. In den folgenden Jahren verließen etwa ein Drittel ihrer 2,2 Millionen Mitglieder die Partei. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen 1979 war ihre Stimmenzahl zum ersten Mal seit Kriegsende rückläufig. Sie verlor gegenüber 1976 mit einem Schlag fast vier Prozent ihrer Wähler, bis 1987 rund acht. Das Scheitern des Historischen Kompromisses wurde zur einschneidenden Zäsur im Werdegang der IKP. Eine kritische Auswertung durch die Parteiführung erfolgte nicht. Der Begriff verschwand einfach aus dem Sprachgebrauch der Partei. Die Revisionisten zogen keinerlei Schlussfolgerungen aus dieser Niederlage. Sie verfolgten weiterhin einen Kurs des Ausweichens vor den Klassenauseinandersetzungen und der Zugeständnisse. Da es nicht gelang, ihren Vormarsch zu stoppen, begann der Weg der IKP in den Untergang.


Am Ende wurde die IKP liquidiert

Berlinguer hatte die Revisionisten noch gezügelt.

Nach seinem Tod im Juni 1984 errangen diese den beherrschenden Einfluss in der Partei. Im Schatten des opportunistischen Kurses Gorbatschows und in Anwesenheit des Renegaten Jakowlew verkündeten sie im März 1989 offen die Sozialdemokratisierung der Partei. Mit der Umwandlung auf dem Parteitag im Januar 1991 in die reformistische Linkspartei (PDS) wurde die IKP, wie der führende kommunistische Philosoph Domenico Losurdo einschätzte, liquidiert.

Da in der danach gegründeten Partei der kommunistischen Neugründung (PRC) keine Auseinandersetzung mit dem revisionistischen Erbe der IKP stattfand, wollten die Revisionisten ihr 2008 das gleiche Schicksal bereiten.

Das wurde zwar verhindert, aber die Krise dauert an. Derzeit ist die kommunistische Bewegung Italiens in drei Parteien und mehrere Strömungen zersplittert. Ein Ausweg scheint nicht in Sicht.

Folge des Umsichgreifens des Revisionismus in der kommunistischen Bewegung war bzw. ist, dass es dem Mediendiktator Silvio Berlusconi im Bündnis mit Faschisten und Rassisten seit 1994 bereits dreimal gelang, eine rechtsextreme Regierung zu etablieren, und die Linken es bisher nicht schafften, diesen Tyrannen zu Fall zu bringen.

Gerhard Feldbauer, Künzel, Juni 2011


Erschienen in der elektronischen Zeitschrift "Schattenblick" am 12. Juni, einen Tag vorher in gekürzter Fassung in der Zeitung der KP Luxemburgs "Letzeburger Vollek". Wir veröffentlichen den vollständigen Text aus "Schattenblick" mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion. (Redaktion offen-siv)

Wir verweisen auf einige Publikationen unseres Autors zum Thema:

• Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo. Moro, Rote Brigaden und CIA. PapyRossa, Köln 2000.
• Aldo Moro und das Bündnis von Christdemokraten und Kommunisten im Italien der 70er Jahre. Neue Impulse, Essen, 2003.
• Die Recherchen des Commissario Pallotta. Warum Aldo Moro sterben musste. Eine Kriminalgeschichte nach Tatsachen. "offen-siv", Hannover 2008.

Raute

Michael Opperskalski: Aus den Tiefen des Niedergangs zur Einheit....

Das hört sich wie die Zuspitzung eines kaum auflösbaren Widerspruchs an. Da ist zum einen der Niedergang. Er bedeutet Niederlage, Verlust, Schwäche, Verwirrung und das - wie die Überschrift schon ausdrückt - in allen Tiefen, einschließlich durchaus hässlicher, abstoßender Symptome, die einem Weg immer weiter nach unten eben auch zu eigen sind. Einheit dagegen atmet Kraft, Perspektive, Prinzipien, Klarheit. Sie richtet sich in die Zukunft und ist zugleich in der Gegenwart verankert. Niedergang und Einheit also wie Feuer und Wasser? Es sei denn, man empfindet diese Einheit wie die Einheit der Passagiere auf der untergehenden Titanic. Eine Einheit angesichts des sicheren Todes. Eine Einheit, die lediglich die Hoffnung auf gemeinsame Kraft angesichts der besiegelten Perspektive geben kann und soll. Wie hieß es doch an der Bar eben jener untergehenden Titanic, das letzte der viel zu wenigen Rettungsboote war abgelassen worden, die Schieflage des Schiffes wurde bereits bedrohlich. Tod hing in der Luft. Dennoch spielte das Orchester weiter und der Barkeeper verkündete im Geiste dieser Einheit: "Ab jetzt gehen alle Drinks aufs Haus."

Zum Niedergang

Der Sieg der Konterrevolution in den sozialistischen Ländern war eine verheerende Niederlage für die kommunistische und Arbeiterbewegung, besonders auch in der BRD (DDR). Dies scheint bei jenen, die sich auch heute noch subjektiv als Kommunisten verstehen, im Wesentlichen unumstritten zu sein (dies trifft natürlich nicht auf objektiv konterrevolutionäre Elemente wie Trotzkisten à la SAV oder Maoisten à la MLPD zu, für die die siegreiche Konterrevolution ein historischer, revolutionärer Fortschritt ist). Damit scheint aber schon die Gemeinsamkeit unter sehr vielen organisierten Kommunisten in der BRD ausgeschöpft zu sein. Inzwischen werden nahezu alle Grundpositionen des Marxismus-Leninismus und damit die Grundelemente einer wirklichen Kommunistischen Partei in Frage gestellt. Festzustellen bleibt, dass der Revisionismus in unterschiedlichen Schattierungen innerhalb dessen, was von der kommunistischen Bewegung im imperialistischen Deutschland übrig geblieben ist, dominant und damit hauptverantwortlich für deren anhaltende Zersplitterung, Schwächung und ihren Niedergang ist. Fakt ist: DIE einheitliche kommunistische Partei, die fest auf dem wissenschaftlichen Boden des Marxismus-Leninismus steht, gibt es in der BRD nicht - ganz im Gegenteil, auch wenn die eine oder andere kommunistische Formation von sich großtuend behauptet, gerade DIE kommunistische Partei zu sein...

Ganz im Gegenteil - inzwischen hat der anhaltende Niedergang bei allen kommunistischen Organisationen eine Dimension und Rasanz erreicht, dass diese ganz offensichtlich sowohl im öffentlichen Auftreten, als auch organisationsintern zu immer leichter durchschaubaren "Luftnummern" greifen, um ihren immer drastischer werdenden Niedergang irgendwie zu verschleiern. Einmal abgesehen davon, dass das Verfallsdatum für solche Spielchen immer schneller abläuft und diese immer durchsichtiger werden, sie ändern nichts an den Realitäten...

Als Beispiel hierfür sei das diesjährige Pressefest der DKP-Zeitung "Unsere Zeit" (UZ) herausgegriffen. Geworben hatte die DKP für ihr Fest - wie schon fast eingefahren - mit Slogans wie "Fest der Solidarität" oder "das Fest der Linken". Hörte sich gut an, aber auch hier klaffen Realität und Projektionsbilder immer weiter auseinander. Tatsache ist, dass die Zahl der sich dort präsentierenden demokratischen Kräfte aus den Bereichen Antifa, Antirepression, internationale, antiimperialistische Solidarität etc. systematisch abgenommen hat. Tatsache ist auch, dass während konterrevolutionäre trotzkistische Organisationen wie die IL ("Sozialistische Zeitung") dort einen Stand aufbauen konnten, auf eine Stand-Anfrage der "Kommunistischen Initiative" (KI) nicht einmal reagiert wurde. Pikant dabei ist, dass jedoch der Spalterorganisation "KIG-2010" (dies sind einige ehemalige KI-Unterstützer, die sich vor etwa einem Jahr von der KI abgespalten hatten und deren Existenz nun objektiv dem Ziel dient, der KI zu schaden; "offen-siv" hatte in der Vergangenheit genauestens über diesen Vorgang berichtet) ein Stand als Ein-Mann-Show mit großem Transparent, aber nur ein paar Kopien ihrer wenigen Materialien aus dem Internet, erlaubt wurde...

Und auch der reale Besuch des Festes sieht beim näheren Hinsehen anders aus. In den vergangenen Jahren sprach die UZ immer von über 50.000, diesmal von "mehreren zehntausend Besuchern" (was immer dies nun auch heißen mag). Unterstrichen wurde dies durch eine Fotoserie, veröffentlicht im Parteiorgan (und sekundiert von der Tageszeitung "junge Welt", die seit einiger Zeit zunehmend - nicht nur, aber sehr deutlich - unkritisch auf die DKP orientiert), die in schönen Bildern Solidarität auf einem großen Fest ausdrücken sollen.

Doch auch noch so schöne Bilder und gewollte Assoziationen können über dem Graben der Realität höchstens sehr dünnes Eis wachsen lassen. Tatsache ist nämlich auch hier, dass die Besucherzahlen wahrnehmbar zurückgegangen sind, was nicht nur, aber sicherlich auch, am schlechten Wetter des Samstag lag. Dies erklärt dann auch Spendenaufrufe für das Fest nach dem Fest. Lücken müssen gefüllt werden....

Widersprüche können immer weniger zugedeckt werden.

Halten wir uns jedoch nicht länger mit tatsächlichen oder angenommenen Besucherzahlen des UZ-Festes auf. Dies wäre eine Betrachtungsweise, die lediglich an der Oberfläche kratzt. Der wirkliche Hintergrund der bisher aufgezeichneten Berichterstattung über das DKP-Parteifest kann kaum mehr die eskalierenden Widersprüche innerhalb der Partei verdecken, zumal sie auch auf dem Fest sehr offen ausgebrochen sind. Dies ist ein deutliches Zeichen für den anhaltenden Niedergang der DKP, der Teil des Niedergang all jeder Kräfte ist, die von der kommunistischen Bewegung in der imperialistischen BRD nach dem Sieg der Konterrevolution, besonders in der UdSSR und der DDR, übrig geblieben sind. Während des Parteifestes loderten sie an verschiedenen Ecken immer wieder auf.

Der bekannteste "Fall" ist sicherlich die Einladung, dann Ausladung und der dennoch schließlich erlaubte/durchgesetzte Auftritt der Musikgruppe "Bandbreite". Niemandem der Programmverantwortlichen war im Vorfeld aufgefallen, dass es sich bei der Band um musikalische Vertreter der Querfront handelt. Hinweise aus der DKP in diese Richtung, eindeutige Warnungen wurden vom Tisch gewischt. Kurz vor dem Pressefest lud man die "Bandbreite" schließlich dennoch aus. Begründung: man befürchte organisierte Provokationen der so genannten Antideutschen. Dennoch konnte die Musikgruppe am letzten Tag des Pressefestes spielen, auf Druck der Besucher, davon nicht weniger DKP-Mitglieder; auch die DKP-Vorsitzende unterstützte schließlich den durchgedrückten Auftritt. Was für ein Skandal....

Er liegt vor allem im Verkennen der Rolle und Funktion der so genannten Querfront, gemischt mit einem Einknicken vor den durch und durch reaktionären "Antideutschen". Das geht an die Wurzeln des antifaschistischen Grundkonsenses der Linken, der gerade am Punkt der Querfront systematisch aufgeweicht wird, nicht nur bei der DKP. Ähnliches trifft zum Beispiel aber auch auf den "Rotfuchs" oder die GBM/GRH zu, die einen Klaus Blessing bewerben, der ganz offen gemeinsame Sache mit Querfrontler Elsässer macht und schon auch im Kreise neofaschistischer Kräfte aufgetreten ist. Man besuche nur seine Homepage und werde entsprechende Berichte und Verweise finden...

Eskalierender Niedergang und Dominanz des Revisionismus sind zwei Seiten einer Medaille

Auch diese Aussage lässt sich wieder an nur einigen Beispielen belegen und sie betrifft fast durchgängig alles, was die Konterrevolution von der kommunistischen Bewegung im imperialistischen Deutschland übrig gelassen hat. Wir beginnen wieder bei der immer noch stärksten kommunistischen Formation der BRD, der DKP.

Wie erinnern uns: nach dem 19. Parteitag der DKP im Herbst des vergangenen Jahres hatten jene Genossinnen und Genossen, die innerhalb der Partei versuchen, an marxistisch-leninistischen Positionen festzuhalten, diese auszubauen, gerade diesen Parteitag als "Schritt in die richtige Richtung" eingeschätzt, zumal es auch gelungen war, einige dieser Genossen in den Parteivorstand wählen zu lassen und mit Genossen Köbele einen der ihren nun als einen der stellvertretenden Parteivorsitzenden zu haben. Dies sei nur möglich gewesen, weil es auf dem Parteitag Kräfteverschiebungen zu Ungunsten des Flügels um Leo Mayer gegeben hätte, dessen Kurs - nicht nur mit den so genannten "Politischen Thesen" des alten Sekretariats - auf offene Liquidierung nahezu aller Grundpositionen einer kommunistischen Partei hinausläuft.

Heruntergespielt wurde bei dieser Darstellung allerdings, dass diese angebliche Kräfteverschiebung auf dem Parteitag vor allem durch das Eingreifen rechtszentristischer Kreise um Robert Steigerwald und Hans-Peter Brenner möglich geworden war. Nun zerbröseln jedoch diese Kompromisse des Parteitages systematisch und fast nach Fahrplan.

Das kann inzwischen auch den linken DKP-Genossen nicht mehr verborgen bleiben. So schreibt die Redaktion der Zeitschrift "T&P" in ihrer letzten Ausgabe (Nr. 25, Juni 2011) sehr zutreffend:

"Der 19. Parteitag hat gezeigt, dass es in der DKP zu wesentlichen Fragen Differenzen gibt. (...) Man könnte meinen, die Debatten um die Thesen (die Politischen Thesen des alten Sekretariats, d. Autor) sei nach dem Parteitag eingeschlafen. Keine Debatte im Internet mehr, keine Artikel in der UZ. Nur die Störenfriede von T&P geben keine Ruhe. Doch die Ruhe trügt. Die Debatte wird nur anders geführt. Die Vertreter der Thesen im Sekretariat versuchen - als hätte es keinen 19. Parteitag gegeben - sie in praktische Politik umzusetzen.

Ideologisch wird diese Vorgehensweise im Grußwort der DKP, gehalten vom Bezirksvorsitzenden Südbayern, Walter Listl, auf dem Parteitag der österreichischen KPÖ am deutlichsten (siehe die letzte offen-siv, d. Autor). (...)

Diese spalterische Politik zeigt sich auch in den Anträgen zur 3. Tagung des Parteivorstandes zum 70. Jahrestages des Überfalls auf die Sowjetunion, zu den Briefen der griechischen KKE und zur Unterstützung der EL-Kampagne für die Schaffung 'eines Fonds für soziale Entwicklung'.

Der ursprünglich vorgelegte Resolutionsentwurf zum '70. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion' wurde in einem 'antistalinistischen Grundkonsens' abgefasst, der dem Dokument immer noch anhaftet, wenn auch in abgeschwächter Form. (...)

Der Vorstand des Landesverbandes Berlin wertet die Anträge zur KKE und der internationalen Politik der DKP sowie zur EL-Kampagne so: 'Die von Leo Mayer eingebrachten Anträge (...) können nicht anders als ein provokanter Vorstoß, die DKP mit Brachialgewalt unter die Fittiche der EL zu bringen gewertet werden. Insofern wirkt die EL nicht nur spalterisch auf die internationale kommunistische Bewegung, sondern auch in unsere Partei hinein'."(25)

Dem ließen sich noch weitere Beispiele anfügen, die hier nur angerissen werden sollen:

Die Propagierung der komplett liquidatorischen Thesen des Vorsitzenden der KP der USA, Sam Webb, auf der Homepage der DKP wie auch in der UZ; sie sind komplett kompatibel zu den "Politischen Thesen" des ehemaligen DKP-Sekretariats;

Die Darstellung der DKP lediglich als Partei von "Karl Marx und Friedrich Engels" - so geschehen auf nicht zu übersehenden Transparenten auf dem UZ-Pressefest, während Genosse Lenin kaum zu finden war;

Das faktische Mobbing der KKE-Genossen auf dem Pressefest der DKP-Zeitung, deren aktueller und lehrreicher Kampf in Griechenland nur eine an den Rand gedrückte Rolle spielte, während offene Rechtsopportunisten der so genannten KPÖ oder offene Agenten des US-Imperialismus wie Vertreter der so genannten "Irakischen Kommunistischen Partei" als gern gesehene Gäste behandelt wurden.

Jetzt rächt sich, dass der "ideologische Kopf" der DKP-Linken und Marxisten-Leninisten in der Partei, Hans Heinz Holz, faktisch unwidersprochen das gültige DKP-Programm als marxistisch-leninistisch und damit als Bollwerk gegen weitere revisionistische Aufweichungen verteidigte. Dieses Programm ist jedoch in Kernfragen nichts anderes als ein "fauler Kompromiss", auf den sich alle Seiten zugleich beziehen können.

Hinter dieser Art von Kompromiss steckt jedoch ein strategisches Konzept, das von eben jenem Hans Heinz Holz einst als derzeit angeblich notwendige "Einheit von Widersprüchen" definiert wurde. In der weiter oben zitierten Situation hört sich das nun in "T&P" (Nr. 25, Juni 2011) wie folgt und konkret an:

"Vertreter der Thesen versuchen, ihre Politik unbeirrt und kompromisslos der gesamten Partei aufzuzwingen. Politische Initiativen werden auf Konfrontation angelegt. Es soll 'durchmarschiert' werden. (...)

Die Frage ist, wie wir mit diesen Widersprüchen in der Partei umgehen. Es gibt die Möglichkeit, die Differenzen weiter zu diskutieren, die Positionen an der realen Entwicklung zu überprüfen und unsere Politik so anzulegen, dass nicht die einen den anderen ihre Position in der Praxis aufzuzwingen versuchen.

Und es gibt die Möglichkeit, auf Biegen und Brechen weiter zuzuspitzen."(26)

Einmal abgesehen davon, dass es in dieser Formulierung dem Leser individuell überlassen und damit jegliche Orientierung umgangen wird, welches Konzept als nun das wirksamste vorgeschlagen wird, so wird letztlich ein Bild von der DKP gezeichnet, dass wie folgt gekennzeichnet werden kann. Da gibt es zum einen die Anhänger der berühmt-berüchtigten Thesen, die der Partei ihre Politik aufzwingen wollen; dann gibt es auf der anderen Seite die DKP-Linken und schließlich einen großen Block, den es zu überzeugen gelte.

Tatsache ist jedoch: die Vertreter der Thesen haben keinerlei Gewaltmittel in ihrem Händen, mit denen sie irgendjemandem irgendetwas "aufzwingen" könnten und sie werden, wenn auch nicht in allen Fragen, von breiten Kreisen in der DKP unterstützt. Die Linken und Marxisten-Leninisten sind in der Partei nach wie vor eine Minderheit. Ihre inzwischen jahrelange Überzeugungsarbeit ist in wesentlichen Fragen zu einem Zurückweichen geworden. Auch deshalb, weil sie ihren Kampf nicht als Kampf gegen den Revisionismus und seine Vertreter klar und deutlich benennen und führen. In einer kommunistischen Partei kann es keinerlei "friedliche Koexistenz" mit dem Revisionismus geben.

Alles andere - und das ist historisch wie auch aktuell belegt - ist ein Weg in den Niedergang...

Keinerlei Interesse an einer einheitlichen Kommunistischen Partei

Vertreter der DKP-Führungen haben wieder einmal deutlich gemacht, dass sie keinerlei Interesse an einer Einheit der Kommunisten in der BRD haben (natürlich erst recht nicht auf marxistisch-leninistischen Positionen).

Die KPD-Führung hatte angesichts des Jahrestages der Gründung der SED mit dem Berliner Landesverband des DKP und unterstützt von anderen linken und sozialistischen wie kommunistischen Organisationen am 16. April dieses Jahres in Berlin zu einer Einheitsveranstaltung aufgerufen. Ideologisch-politisch vorbereitet hatte sie diese Veranstaltung mit einem faktischen Kotau vor nahezu allen revisionistischen Positionen innerhalb der DKP (die "offen-siv" hat darüber en Detail berichtet) in der ganz offensichtlichen Hoffnung, mit und auf der Einheitsveranstaltung erste, konkrete Schritte in Richtung Einheit vorbereiten und gehen so können.

Daraus wurde, wie zu erwarten war, nichts. Nina Hager, immerhin stellvertretende Vorsitzende, hat - trotz dieses Offenbarungseides - einer Einheit der Kommunisten eine Absage erteilt cora publikum, nachzulesen und dokumentiert. Was bleibt der KPD-Führung nach diesem Scherbenhaufen nun übrig? Theoretisch eine Rückbesinnung auf den Marxismus-Leninismus und damit auf die offensive Auseinandersetzung mit dem Revisionismus in all seinen Schattierungen. Realistisch ist jedoch leider, anzunehmen, dass sich der bereits jetzt schon sichtbare rasante Niedergang der KPD weiter beschleunigen wird. Die übrig bleibenden wenigen Mitglieder der KPD werden im Verlauf dieses Prozesses dann wohl von der DKP aufgesogen werden...

Was bleibt angesichts dieser Situation nun von den Spaltern der "KIG 2010" übrig? Bestätigt hat sich nicht nur, was die KI zu Beginn an sagte, als sich einige, wenige Unterstützer gezielt abspalteten: "KIG 2010" hat nun wirklich nichts mehr mit der "Kommunistischen Initiative (KI)" zu tun. In ihren wenigen Elaboraten haben sie inzwischen mit allen Prinzipien gebrochen, die im Gründungsaufruf der KI ausgearbeitet worden waren. Ihre beiden einzigen "Initiativen", die sie in der Lage waren, auszuarbeiten, sind faktisch zu Staub zerronnen: sie konnten keinerlei beeinflussende Rolle im Rahmen der u.a. mit der Festveranstaltung in Berlin geplanten konkreten Einheitsschritte zwischen KPD und DKP spielen. Wie auch? Solche Schritte wurden von Nina Hager ja höchst offiziell abgelehnt. Eine gemeinsame Unterschriftenliste zur Aufhebung des KPD-Verbots zu erarbeiten, ist ebenfalls in das Reich der Wunschträume geschickt worden, denn die DKP vertritt und verbreitet ihre eigene. Damit steht die "KIG 2010" nun gänzlich nackig da und ihre eigentliche objektive Funktion ist unübersehbar geworden: möglichst der "Kommunistischen Initiative (KI)" schaden und Verwirrung stiften. Deshalb wird "KIG 2010" wohl noch geraume Zeit künstlich am Leben gehalten werden.

Eine derzeitige Bilanz

Es sind derzeit keine Entwicklungen zu sehen, die den anhaltenden Niedergang dessen, was von der kommunistischen Bewegung in der BRD übrig geblieben ist, aufhalten oder gar umkehren würden. Das bedeutet in Konsequenz allerdings, dass derzeit leider nur sehr wenig organisierte Kommunisten aktiv an der Entwicklung der Einheit der Marxisten-Leninisten im Rahmen eines längerfristigen Prozesses des Aufbaus einer einheitlichen, fest auf dem Boden des Marxismus-Leninismus stehenden Kommunistischen Partei teilhaben werden.

Dies bedeutet, dass in der Periode, die vor uns liegt, der Schwerpunkt auf die Gewinnung neuer, junger Kämpfer vor allem aus der Arbeiterjugend sowie die Organisierung bisher unorganisierter Kommunisten liegen muss.

Die Lehre auch aus den von mir nur kurz und sicher nicht umfassend dokumentierten wie analysierten, für die kommunistische Bewegung in der BRD tragischen Entwicklungen kann allerdings nur lauten, dass eine wirkliche Einheit ausschließlich auf klaren Prinzipien, im konkret möglichen Eingreifen in die Klassenkämpfe und der deutlichsten Auseinandersetzung mit dem Revisionismus in all seinen Schattierungen erfolgen kann.

Diese große Herausforderung hat die "Kommunistische Initiative (KI)" angenommen!

Michael Opperskalski, Köln


Literatur

(20) Il Partito oggi, Rinascita, 6. Jan. 1978.

(21) Interview für Panorama, Nr. 485/1975.

(22) Palmiro Togliatti: Ausgewählte Reden und Aufsätze, Berlin (DDR) 1977, S. 637 f.

(23) Piscione (Hg): Il memoriale di Aldo Moro rivenuto in Via Monte nevoso a Milano. Rom 1993

(24) Beitrag des Autors: Von der eigenen Klasse umgebracht. Das Schicksal des bürgerlichen Reformers Aldo Moro, Weißenseer Blätter, 4/2000.

(25) T&P, Nr. 25, Juni 2011

(26) ebenda

Raute

KADERSCHULUNG DER KI

Frank Flegel: Erfolgreicher Start der Kaderschulung der Kommunistischen Initiative

Die zweigleisige Kaderschulung der KI hat im Juni begonnen, die eine Gruppe, die Kader aus Nordwest-, West- und Südwestdeutschland zusammenfasst, tagte Anfang Juni in Düsseldorf, die andere Gruppe, die Kader aus dem Vogtland, Thüringen und Sachsen zusammenfasst, tagte Mitte Juni in Dresden. Insgesamt nehmen knapp 30 Genossinnen und Genossen teil.

Beide Lerngruppen werden von mir betreut. Es ging bei den beiden ersten Seminaren um die Grundlagen der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, um die Klassenfrage und um die Notwendigkeit und die damit verbundene notwendige Funktion der Partei, gleichzeitig um das kommunistische Weltbild und um sehr konkrete Fragen der Organisation. So haben die Lerngruppen interne Kontakte bezüglich des Studienstoffes im 14-tägigen Rhythmus, sie fertigen Protokolle darüber an, beide Gruppen haben Koordinationszuständige bestimmt und sie haben sich entschlossen, im Frühherbst 2012 eine Großveranstaltung für die KI durchzuführen mit dem Arbeitstitel: "kommunistische Kultur". Zu diesem Zweck sind inzwischen eine Organisationszentrale und eine Programmgruppe gebildet worden.

Mit besonderer Freude konnte ich zur Kenntnis nehmen, dass insgesamt 19 junge KI-Kader die Kaderschulung nutzen wollen, um danach oder bereits gleichzeitig selbst als Multiplikatoren tätig zu sein. So gibt es inzwischen in Ostfriesland, im Osnabrücker Raum, im Gebiet Frankfurt/Mainz/Offenbach und im Raum Stuttgart Schulungsgruppen mit jungen Interessierten, die von unseren an der Kaderschulung teilnehmenden Kadern angeleitet werde. Und im Vogtland fand Mitte Juli ein Kaderwochenende statt, bei dem es um die Schulungsinhalte ging, darüber hinaus aber auch um die aktuelle Weltlage - und kulturelle Anteile kamen auch nicht zu kurz.

Diese erfreuliche Entwicklung hat dazu geführt, dass wir in die Kaderschulung neben den Schwerpunkten Ökonomie, Politik und Organisation nun auch den Schwerpunkt Didaktik aufgenommen haben.

Die Arbeit mit diesen jungen Genossinnen und Genossen ist ausgesprochen intensiv, sehr konzentriert und sachlich, voller Energie und ausgesprochen konstruktiv. Es macht mir sehr viel Freude, mit ihnen zusammen zu arbeiten.

Frank Flegel, Hannover

Raute

BUCHBESPRECHUNG

Hermann Jacobs: Sahra Wagenknecht hat eine Idee ... die Marx nicht hatte - Zu ihrem neuen Buch "Freiheit statt Kapitalismus"

Sahra Wagenknecht, die einst den Sozialismus reformieren wollte - (siehe ihre Arbeiten aus den 90er Jahren, in denen sie sich zu einer Reform des Sozialismus nach Art des NÖS der DDR bekannte) -, hat ein neues Buch geschrieben ("Freiheit statt Kapitalismus"), in dem es um nicht weniger geht als um eine Reform des Kapitalismus. Kapital-Gewinne sollen besteuert werden - 5 bis 10 % -, sind es Zins-Gewinne, soll der Staat sie an sich ziehen, sind es Unternehmens-Gewinne, sollen sie in Belegschaftseigentum fallen; quasi soll auf Basis dieser Steuer ein ("unveräußerliches") Stiftungseigentum im Besitz der Belegschaften der Betriebe entstehen. Von diesem Eigentum verspricht sich Sahra Wagenknecht, dass es zu einer "schrittweise(n) 'Neutralisierung' des Kapitals" führe; sie bezieht sich bei diesem Begriff auf - man höre und staune - Ota Sik.(27)

Sahra Wagenknecht: "Im Zentrum stehen (dann, bei diesem Stiftungseigentum in der Hand der Belegschaften, J.) nicht primär Fragen der Verteilung, sondern der Produktion, die ihre ureigene Aufgabe, den allgemeinen Wohlstand zu steigern, besser erfüllt als die heutige". Denn der heutige Kapitalismus erfüllt diese Funktion nicht mehr oder immer weniger. Sahra Wagenknecht verspricht sich von dieser Reform, die in den Kapitalismus fällt und diesen an die "ureigene Aufgabe der Produktion" gemahnen soll, Belegschaften, die beginnen, die Produktion in ihre Hand zu nehmen, nach ihren Interessen geleitet, statt nach den Interessen der Kapitalisten, die sich mehr und mehr einseitig auf das Erzielen von Rendite ausrichten. Der Wandel soll am Subjekt stattfinden, am arbeitenden, auf der Basis besagten neuen Eigentums. Eine Änderung am Objekt, den Produktionsverhältnissen, ist nicht vorgesehen.

Sahra Wagenknecht will eine Debatte: "Das klingt provokativ, ist auch so gemeint, ist aber zugleich eine Einladung zum Dialog zwischen echten, nämlich auch geistig liberalen Marktwirtschaftlern auf der einen und ebensolchen Sozialisten und Marxisten auf der anderen Seite. ­... Und es wird Zeit zu zeigen, wie man, wenn man die originären marktwirtschaftlichen Ideen zu Ende denkt (!!!, J.), direkt in den Sozialismus gelangt, einen Sozialismus, der nicht Zentralismus, sondern Leistung und Wettbewerb hochhält" (S. 11).

Was der reale Sozialismus - "wegen eben seines Zentralismus" - nicht garantierte. Sie ist da ganz eindeutig:

"Kreativer Sozialismus (das ist nun der ihrige, J.) hat sich von der Idee des planwirtschaftlichen Zentralismus verabschiedet. ... Es gibt Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und Sozialismus ohne Planwirtschaft (kursiv S. W.)" (S. 345)

So, so, sie weiß das, obwohl es ja so nicht war; denn gegeben hat es nur Sozialismus mit Planwirtschaft und nur - auf der anderen Seite - Marktwirtschaft mit Kapitalismus, bzw. der Marxismus machte da keinen großen Unterschied, er setzt im Grunde beide Begriffspaare synonym.


*


Das Problem bei Sahra Wagenknecht ist ein Doppeltes. Sie erkennt (im Übrigen neben vielen anderen) das rasant anwachsende Problem des Kapitalismus: Das einseitig auf bloße Vermehrung ausgerichtete Geldkapital, dem gegenüber ein auf "Innovation und gesellschaftliche Entwicklung" gerichtetes anderes Interesse geopfert würde. Dass sie diesen Interessengegensatz (den man auch anders nennen könnte, man könnte auch an sich vom Gegensatz von Kapitalist und Arbeiter, oder Kapitalismus und Kommunismus sprechen) benennt und ihm den Kampf ansagt, ist richtig.(28) Dass sie glaubt, bereits eine innere Form der Lösung dieses Gegensatzes, eine Lösung noch im Kapitalismus gefunden zu haben - den sukzessiven Übergang von mehr und mehr Teilen des Kapitals in die Hände der Belegschaften, ist eine Utopie. Natürlich, abstrakt gesehen ist es wohl richtig zu sagen, dass das allgemeine ökonomische Interesse in der Hand derjenigen die arbeiten besser aufgehoben ist als in der Hand derjenigen, die nur mehr Geld verdienen wollen. Das konkrete, qualitative ökonomische Interesse steht über dem rein abstrakten, rein quantitativen ökonomischen Interesse. Aber für Utopie halte ich, das andere Interesse an der Arbeit durchsetzen zu können unter Bedingung, da ja noch die ganze Unternehmens-, Kapital- und Staatspolitik auf Vermehrung ausgerichtet bleibt. Es ist ja nicht das Kapitalverhältnis abgeworfen und die Arbeitermacht errichtet, sondern die Arbeiter sind ihm, dem Kapitalverhältnis, - und nun "im eigenen Interesse" - weiterhin untergeordnet. Abhängig vom Gewinn sollen ja Löhne bestimmt werden. Aber vom Gewinn ist abhängig die Unternehmensentwicklung. Und somit haben wir den Gegensatz erhalten, dass das Unternehmen sich umso besser entwickelt als die Löhne gedrosselt bleiben. Es ist weder die Konkurrenz zwischen den Unternehmen aufgehoben, noch die Umwandlung der erzielten Gewinne in freies, allgemeines Geldkapital der Weg verbaut; womit sich zur inneren Ausbeutung äußere Ausbeutung gesellt. Man wird ja auf den Zins nicht verzichten.

Sahra Wagenknecht ist einen Weg konsequent zu Ende gegangen. Verglichen mit dem, was sie einst gesagt hat (siehe PS), hat sie die Gesellschaft gewechselt. Was sie einst noch für den Sozialismus, ihr erstes Objekt der Reformierung, andachte, verlagert sie nun geschichtlich davor. Es geht ihr um dasselbe Problem - das "passive Proletariat" ist zu überwinden. Es braucht ein aktives System, durch das es geschichtlich geweckt werden soll: Der Ausgebeutete als Akteur der Geschichte. Das will sie, ich konzediere ihr die "beste Absicht". Sie geht an den Kapitalismus und an den (gewesenen) Sozialismus unter dem Gesichtspunkt desselben Problems heran. Insofern bildet sie eine Einheit. Was sie als Problem aus dem Sozialismus nicht losgeworden, hat sie nun in den Kapitalismus übertragen.

Womit wir beim zweiten Problem von Sahra Wagenknecht sind. Sie verknüpft eine Idee, die sie für den Kapitalismus hat, mit einer Absage an den Sozialismus. Sie tut das, nicht indem sie den Begriff Sozialismus opfert, auch nicht, indem sie einer sozialen Kritik am Kapitalismus eine "überraschende" Wende gibt, sondern indem sie den Sozialismus von der Planwirtschaft trennt. Sie trennt ihn von seinem bekannten ökonomischen System.

Nun tun das viele, aber warum gerade sie? Für sie wird das immer ein Offenbarungseid sein. Warum? Nun, sie gilt als die Linke unter den "Linken".

Die Planwirtschaft ist doch nicht ein Plan (der kann, bei falscher Planung, schlechter sein als eine "Marktökonomie"), sondern er ist ein anderes Herangehen an die Frage der Aneignung. Dieses stellt sich automatisch für die Arbeit her, wenn die besonderen Eigentumsverhältnisse an der Arbeit zu einem gemeinsamen aufgehoben werden. In einer geplanten Wirtschaft geht es nicht um ein Recht der äquivalenten Aneignung (der eigenen Arbeit in der abstrakten Form des Wertes), sondern um das Recht der proportionalen Aneignung der Arbeit Aller; entsprechend Bedürfnissen - auch der Erweiterung nach - wird betriebliche Produktion ganz unterschiedlich entwickelt; also der eine Betrieb bekommt viel (Investitionsmittel, noch bei Geldform, in der Perspektive werden es die Gebrauchswerte als solche sein), der andere Betrieb weniger, ein dritter gar keine. Warum? Der Grund liegt in der Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse der Produzenten als Konsumenten! Ein abstraktes Produktionsbedürfnis entfällt in einer planmäßig betriebenen Wirtschaft. Was soll da eine Orientierung der Löhne auf Gewinne? Also eine "materielle Interessiertheit" am Konkreten?


*


Frage: Ist ein ("unveräußerliches") Stiftungseigentum in der Hand der Belegschaften denn der richtige (wirkliche, mögliche) Weg, die Arbeiter an Stelle der Kapitalisten in die Rolle der "treibenden, innovativen, kreativen Kraft" zu setzen? Sahra Wagenknecht will doch qua Eigentum, und das heißt besonderem Verhältnis zur Arbeit (was anderes ist Eigentum ja nicht), das Phänomen der Entfremdung der Arbeiter vom Eigentum lösen. Geht denn das?

Sahra Wagenknecht hat eine Idee ... aber Marx hatte sie nicht. Marx wollte das Phänomen der gesellschaftlichen Passivität der Ausgebeuteten lösen bei Aufhebung des Privateigentums.

Sahra Wagenknecht muß sich darüber im Klaren sein, dass sie die Eigentumsfrage, wie sie Marx, der Marxismus definiert hat, verlässt.(29)

Es ist das Problem des gesamten Reform-"Sozialismus", dass er den "Gewinn" (die Mehrarbeit) verstehen will ausschließlich in der Form, die das Kapital geboren, nicht aber in den vielen Formen, die auf der Basis der konkreten Arbeit denkbar sind. Auf der Basis eines "höheren Kapital-Verständnisses" bleibt das Sozialismus-Verständnis immer einseitig, wird es reduziert auf einen "verschönerten" Kapitalismus, was selbstverständlich die blanke Illusion ist, - und wird nicht vielseitig, umfassend und allgemein, wie es sein kann, wenn man von der Planwirtschaft ausgeht und die Frage des gesellschaftlichen Mehrprodukts damit eine Frage der gesamten Gesellschaft werden kann.

Apropos Illusion: Sahra Wagenknecht soll uns die Partei und den Staat nennen, die das, was sie vorschlägt, im Kapitalismus umsetzen sollen bzw. umsetzen können.

Hermann Jacobs, Berlin


Anmerkungen

(27) Ota Sik war ein tschechisch-schweizerischer Maler und Wirtschaftswissenschaftler. Berühmt wurde er als der Schöpfer der Wirtschaftsreformen des 'Prager Frühlings', die auch unter der Bezeichnung 'Der dritte Weg' bekannt wurden. Von 1962 an war er Mitglied im Zentralkomitee der KSC, von 1964 an leitete er eine Staats- und Parteikommission für die Wirtschaftsreform und gehörte der staatlichen Plankommission an. Im April 1968 vollzog die KSC mit einem Aktionsprogramm eine Wende in der Wirtschaftspolitik. Die entscheidenden ökonomischen Passagen stammten von Sik: "Die bisherigen Methoden der Leitungund Organisierung der Volkswirtschaft sind überlebt und erfordern dringend Änderungen, d.h. ein ökonomisches Leitungssystem, das eine Wendung zu intensivem Wachstum durchzusetzen vermag."

1970 wurde er Professor für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität St. Gallen. Er erhielt 1983 die Schweizer Staatsbürgerschaft. In St. Gallen setzte er seine Arbeiten der Verbindung von Plan- und Marktwirtschaft fort - er bezeichnete sein Modell als "dritten Weg", wobei die Planelemente gegenüber dem Markt zunehmend in den Hintergrund traten. In den 70er Jahren war Ota Sik mehrfach Gast bei den Achberger (anthroposophischen) Jahrestagungen zum Dritten Weg. Daraus gingen auch mehrere anthroposophische Veröffentlichungen hervor. Er bekannte sich 1990 in mehreren Interviews rückblickend zum "vollblütigen" Kapitalismus, so gegenüber einer tschechischen Tageszeitung: "Sehen Sie, wir konnten damals nicht alle unsere Ziele voll präsentieren. (...) Also war auch der dritte Weg ein verschleierndes Manöver. Schon damals war ich davon überzeugt, dass die einzige Lösung für uns ein vollblütiger Markt kapitalistischer Art ist." (Mladá Fronta, Prag, Jgg. 46, Nr. 178, 2. August 1990, S. 1-2.)

(28) Fragwürdig hier nur wieder, dass sie einen anderen Kapitalismus erkennt, in dem es schon mal so innovativ zugegangen sei (sie meint Erhard, Arnack u.a.!!). D.h. ihre Theorie leidet neben der allgemeinen auch an einer besonderen Illusion: der vom doppelförmigen Kapitalismus. Das hat ihr prompt auch den Widerspruch von "der anderen Seite" eingebracht. Siehe Bischoff/Liebers: "Vom unproduktiven Kapitalismus zur sozialistischen Marktwirtschaft - S. Wagenknecht plädiert für einen kreativen Sozialismus"; In: "Sozialismus", Heft 7/8 2011.

(29) Sie meint natürlich, sie nicht verlassen zu haben. Aber dies nur deshalb, weil sie ein anderes ökonomisches System für den Sozialismus im Auge hat. Damit sagt sie, die im realen Sozialismus gefundene Form der Planwirtschaft sei das falsche System gewesen.

Raute

AUS DER LESER/INNEN-POST

Abwegig und ein Fehler

Lieber Frank,
was ich Dir sagen muss: Es war damals wichtig, sich als Kommunist von Stalin zu distanzieren, damit es überhaupt noch eine Zukunft geben konnte. Kilew ist abwegig.

Und der Verriss der Thesen von Irene Eckert war ein Fehler. Sie wären eine gute Grundlage gewesen.

Mit roten Grüßen, Werner Neubert, Dresden


Kein gutes Haar

Werte Genossen,
nachdem Ihr ja dafür bekannt seid, dass Ihr an kaum wem in der hiesigen Linken ein gutes Haar lasst, müsst Ihr jetzt noch einen Angriff auf die "junge Welt" loslassen. Viel Feind, viel Ehr? Das ist ein falscher Ansatz, Genossen!

Mit kommunistischem Gruß, Kurt Wilhelm, Berlin


Dank

Liebe Leute von der Redaktion,
ich will Euch meinen Dank sagen. Ihr seid die einzigen, die ausführliche Sachen von der Griechischen Kommunistischen Partei bringen. Da kann man sich gut ein Bild selber machen, wie jetzt im Heft 4, wo die Einschätzung über China abgedruckt ist. Woanders wird alles schlecht gemacht, was die machen oder sagen, besonders, was die sagen über die Europäische Links-Partei.

Weiter so! Ihr seid eine gute Informationsquelle.

Solidarische Grüße, Nicole Scharze, Lüneburg


Hintergründe

Lieber Frank,
die aufklärenden Artikel von Ingo Niebel in Ausgabe 4-2011 zu Becerra, Dieterich, Scheer, der jungen Welt und so weiter waren sehr interessant. Wir bräuchten viel mehr solcher Hintergrundinformationen. Da merkt man erst, wie zum Teufel auch unsere Zeitungen uns an der Nase herumführen. Nichts ist transparent. Wo wird das enden?

Kann man an der verfahrenen Situation zwischen Ingo Niebel und der jungen Welt wirklich nichts mehr ändern?

Kämpferische Grüße, Lukas Weske, Augsburg


Besondere Freude

Lieber Herr Flegel,
herzlichen Dank für die Aufnahme der Goldstone-Dokumentation in die Mai-Juni-Ausgabe Ihrer Zeitschrift. Trotz der üblichen grotesken Diffamierungen bis hin zur Forderung, den Ankläger statt der Täter vor Gericht zu stellen, ist die skandalöse Kampagne spätestens mit Goldstones Erklärung vom 6. April und der Bestätigung seiner drei Mitarbeiter vom 14. April gescheitert und hat nur dazu beigetragen, den Bericht wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu heben.

Besonders hat mich gefreut, dass sie den Sieg der Wahrheit über boshafte Verleumdung in die Nachbarschaft der Aufdeckung des Jahrhundert-Raubs, der Würdigung Lukaschenkos und der Verurteilung freudiger Reaktionen der Bundeskanzlerin auf kaltblütigen Mord gestellt haben.

Die angebliche Wertegemeinschaft wird zu einer "Raubmörderbande", wenn sie Recht und Gerechtigkeit missachtet, wie es schonungslos schon Augustinus ausgesprochen hat (um 420 in seinem "Gottesstaat"). Das neuerliche Versagen der Linkspartei in Sachen Palästina gehört auch dazu.

Mit allen guten Wünschen für stetigen Einsatz für Wahrheit und Recht und mit freundlichen Grüßen, Rudolf A. Palmer, Berlin

Raute

Coordination gegen BAYER-Gefahren: Bitte um solidarische Hilfe

Liebe Freundinnen und Freunde,

Ihr habt es vielleicht schon gehört: Die Coordination gegen BAYER-Gefahren kämpft derzeit hart um die weitere Existenz.

Seit Anbeginn (1978) wird uns auf Grund unserer konsequent konzernkritischen Haltung jegliche Förderung verwehrt. Mit einigen wenigen - umso löblicheren! - Ausnahmen müssen wir unsere Arbeit vollständig aus eigener Kraft finanzieren.

Zehn Jahre Reallohnabbau und Finanzkrise - gestartet übrigens mit SPD und Grünen - haben tiefe Löcher in unsere Finanzen geschlagen. Nun ist es tatsächlich so weit: KonzernKritik vor dem Aus!

Umso bedeutsamer ist Eure solidarische Hilfe!

Stichwort BAYER" (SWB) ist ein starkes Stück Gegenmacht. Konkret und faktenreich enthüllt SWB, was im Inneren des BAYER-Konzerns vorgeht. Und berichtet über den weltweiten Widerstand gegen diesen multinationalen Chemie-Giganten. Beispielhaft für die Machenschaften aller Konzerne. "Stichwort BAYER" erscheint seit 1980 mit vier Ausgaben jährlich. Herausgegeben von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG).

Das internationale Netzwerk der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) leistet seit 1978 erfolgreich Widerstand gegen einen der größten und mächtigsten Konzerne der Welt. Die CBG übt Solidarität mit den Opfern von Konzernverbrechen und Konzernwillkür. Für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung.

Die CBG finanziert sich ausschließlich aus Spenden und Beiträgen. Entsprechend ist die CBG auf Spenden und Fördermitglieder angewiesen. Ermöglichen Sie Konzernwiderstand. Spenden Sie! Werden Sie Fördermitglied!

Spenden an GLS-Bank, Konto: 8016 5330 00, BLZ 430 609 67 zu Inlandsbedingungen;
aus dem Ausland: IBAN: DE 88 4306 0967 8016 5330 00; BIC: GENODEM1GLS

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Raute

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2011